Kunst riechen: Duftproben zur Vermittlung olfaktorisch bildender Werke
Von Dorothée King
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Im Zentrum der Untersuchung stehen mögliche Veränderungen der Rezeptionsgewohnheiten und der ästhetischen Erfahrung durch geruchsbasierte Kunst. Aus den Erkenntnissen entwickelt sich der Entwurf der olfaktorischen Ausstellung Smeller 2.0 samt Vermittlungsüberlegungen.
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Kunst riechen - Dorothée King
Dorothée King
Kunst riechen
Duftproben zur Vermittlung
olfaktorisch bildender Werke
ATHENA
Kunst und Kulturwissenschaft in der Gegenwart
Herausgegeben von Doris Schuhmacher-Chilla
Band 13
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über
E-Book-Ausgabe 2016
Copyright der Printausgabe © 2016 by ATHENA-Verlag,
Copyright der E-Book-Ausgabe © 2016 by ATHENA-Verlag,
Mellinghofer Straße 126, 46047 Oberhausen
www.athena-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten
Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (Print) 978-3-89896-646-7
ISBN (ePUB) 978-3-89896-879-9
1Riechst Du es auch?
»Die Duftorgel spielte ein köstlich erfrischendes Kräuterkapriccio – Arpeggiowellchen von Thymian und Lavendel, Rosmarin, Basilikum, Myrte und Schlangenkraut, eine Folge kühner Modulationen durch die Gewürzrucharten bis nach Ambra, dann langsam zurück über Sandelholz, Kampfer, Zedernholz und frischgemähtes Heu (mit gelegentlichen, zart angedeuteten Dissonanzen- einer Nasevoll Sauerkraut und einem leisen Rüchlein Roßäpfel) zu den schlichten Duftweisen, mit denen das Stück begonnen hatte.«[1] (Aldous Huxley: Schöne neue Welt, 1932)
Die oben beschriebene Duftorgel, die Aldous Huxley im Jahre 1932 für die weit entfernte Zukunft entworfen hat, wird Wirklichkeit. Duftgestaltung und der Einsatz von Geruch in Kommerz, Kultur und Kunst nimmt zu. Ein Beispiel aus München und Hamburg: Bürger protestieren, ihnen stinkt es. Sie fühlen sich nicht durch das Erscheinungsbild oder die Mode einer neu eröffneten amerikanischen Bekleidungskette belästigt, sondern durch den Geruch, der aus den Läden dieser Kette strömt. Die Lüftungsanlagen der Läden verbreiten den Geruch des hauseigenen Parfums Fierce nicht nur in den Innenräumen, das Aroma wird auch auf die Straße gepustet, um potentielle Kunden per Duft anzulocken.[2] Dies ist nur ein Beispiel für die Auswirkungen von kommerzieller Luftgestaltung. Die Idee, Duft als zusätzlichen Marketingkanal einzusetzen ist nicht neu, wird aber immer häufiger von Firmen aufgegriffen. Sei es der Duft von geröstetem Kaffee, der von Kaffeehäusern auf die Straße weitergeleitet wird, oder frischer dynamischer Duft, den die Kunden beim Betreten von Banken unbewusst wahrnehmen sollen.[3] »Fragrance Marketing«[4] nennt die Kulturwissenschaftlerin Constance Claasen diese Art von Duftgestaltung zur Schaffung von Wiedererkennungswerten für Filialen von Läden und Firmen.
Auch Bildungseinrichtungen setzen zunehmend auf olfaktorische Effekte, mit dem Ziel, bestimmte Sachverhalte multisensorisch eindrucksvoller zu vermitteln. Historische Museen versuchen zum Beispiel, das Eintauchen in vergangene Welten durch den Zusatz von Geruch zu den gezeigten Exponaten zu verstärken. So sieht man im Kindermuseum in Indianapolis nicht nur einen Tyrannosaurus Rex in Originalgröße, es kann auch olfaktorisch nachvollzogen werden, wie es aus seinem Maul gestunken haben könnte.[5] Wir sind in einer Umwelt angekommen, in der nicht nur unsere visuelle, akustische und geschmackliche Umwelt designt wird, sondern auch die Luft, die wir riechend einatmen. Aus gutem Grund, denn die Nase als Sinnesorgan bietet im Vergleich zu den anderen Sinnen ein Alleinstellungsmerkmal. Wir können wegsehen, uns die Ohren zuhalten, uns entscheiden, etwas nicht zu essen oder nicht anzufassen, aber wir können nicht wegriechen. Die Besonderheit des olfaktorischen Sinnes ist zudem, dass Aromen in den gleichen Hirnregionen verarbeitet werden wie Emotionen,[6] Ausdünstungen rufen Gefühle hervor. In aller Vorläufigkeit auf die Kunst übertragen, bedeutet dies: Olfaktorische Kunstwerke werden wahrgenommen; die olfaktorische Wahrnehmung kann zu emotionalen Reaktionen beim Publikum führen. Dieser Sachverhalt legt ein kalkulierbares Involviert-Sein der Rezipienten nahe. Augenzwinkernd gefragt: Was will die Kunstvermittlung mehr?[7] Pessimistischer Einwand: Düfte verfliegen und sind schwer zu steuern.[8] Gerüche werden verschieden wahrgenommen, nicht jeder Mensch riecht gleich viel oder gleich differenziert. Riechbehinderung ist ein Phänomen, das weiter verbreitet ist, als man annehmen würde. Einen Raum olfaktorisch zu gestalten, ist nicht einfach: Es gibt viele andere Gerüche oder auch andere Sinneseindrücke, die den olfaktorischen Wahrnehmungsvorgang verändern. Putzmittel, Parfums oder mitgebrachte Kaffeebecher können den Duft eines Kunstwerk herausfordern. Aromen sind zeitbasiert, d. h. sie verfliegen schnell, außer man investiert in teure, konstant beduftende Belüftungsanlage, wie ScentAir, Arome, Olfacom, oder tauscht die ausgestellten duftenden Materialien immer wieder aus. Man denke an die Blumen in Camille Henrots Ausstellung Snake Grass im Schinkel Pavillon in Berlin. Die pflanzlichen Teile in ihren von Ikebana inspirierten Skulpturen wurden täglich mit frischen Blumen ersetzt.[9]
Trotz oder gerade wegen dieser ganz eigenständigen und widersprüchlichen Attribute nehmen Geruch und Geruchssinn einen zunehmend bedeutsamen Stellenwert in den künstlerischen Materialien ein. Aroma ist als Element in der Kunst nicht neu: Die Wolle in Joseph Beuys Filzinstallationen mieft, das Fett verströmt einen intensiven Geruch. Aromen sind in Dieter Roths Schokoladen-Werkstätten wahrnehmbare Komponenten. Bruce Nauman fordert in seiner Installation Body Pressure die Partizipierenden dazu auf, sich an der Wand zu reiben und in die olfaktorische Wahrnehmung einzutauchen.[10]
In den zeitgenössischen Künsten experimentieren Künstler zunehmend mit Duft und Gestank. Sie stellen damit die Rezeptionsgewohnheiten ihres Kunstpublikums vor neue Herausforderungen. Was passiert mit unserer Wahrnehmung beispielsweise, wenn wir in einer Kunstausstellung – anstatt uns einem Projekt über unseren Sehsinn zu nähern – dazu aufgefordert werden, an einer Wand zu rubbeln und dann zu raten, aus welchem Land der Herr kommt, der diesen Geruch einst schwitzend verströmte? So ist Sissel Tolaas geruchsbasiertes Kunstwerk The Fear of Smell – The Smell of Fear zu rezipieren.[11] Wir stehen nun eben nicht nur sehend zum wiederholten Male vor einem von vielen impressionistischen Bildern, wie in Ausstellungen à la Die schönsten Franzosen kommen aus New York,[12] und wissen ganz genau, welche visuelle Erfahrung uns erwarten könnte. Im Gegenteil – wir sind aufgefordert, uns eigenständig annähernd, über unser Geruchsorgan mit einem Kunstwerk auseinanderzusetzen.
Ausgangspunkt der vorliegenden Forschungsarbeit sind künstlerische Strategien und Werke von Künstlern der (zeitgenössischen) bildenden Kunst, die Aroma und Geruch bewusst in ihren Arbeiten in Gebrauch nehmen. Dazu seien an dieser Stelle die Künstler kurz vorgestellt, deren Projekte in dieser Arbeit ausführlich analysiert werden: Marcel Duchamp erschafft vielleicht das erste auch olfaktorisch zu rezipierende Kunstwerk. Für die Exposition Internationale du Surréalisme, die 1938 in Paris stattfindet, inszeniert er eine dreidimensionale Collage. Er kombiniert Gemälde und Skulpturen von anderen Künstlern, 1200 leere, an der Decke hängende Kohlesäcke, eine Landschaft aus Laub und einen kleinen Teich mit Schreien, die angeblich in einem Irrenhaus aufgezeichnet worden waren, mit dem Duft von gerösteten Kaffeebohnen.[13]. Carsten Höller arbeitet mit biologischen Materialien und Methoden. Er experimentiert auch mit der olfaktorischen Wirkung von Cocktails aus tierischen Pheromonen.[14] Wolfgang Laib arbeitet seit den 1980er-Jahren mit Bienenwachs und Honig und setzt die olfaktorischen Ausdünstungen dieser Naturmaterialien bewusst in seinen Performances und Objekten ein.[15] Anya Gallaccio ist bekannt für ihre Arbeiten, in denen die Ausdünstungen von vergammelnden Rosen oder alternder Schokolade eine zentrale Rolle spielen.[16] Dan Mihaltianu versucht Odeur als Erinnerungen festzuhalten, indem er mit Destillationsprozessen und Alkohol arbeitet. Teresa Margolles, studierte Gerichtsmedizinerin und Künstlerin, konfrontiert ihr Publikum mit Nebel, der aus Leichenwaschwasser von städtischen Leichenhäusern produziert wurde.[17] Wie bereits erwähnt, setzt die Duftkünstlerin und Chemikerin Sissel Tolaas in ihren Arbeiten oft auf die Wirkung von Schweißaromen.[18] Olafur Eliasson, bekannt für sein Interesse an phänomenologischen Vorgängen bei den Rezipienten seiner Werke, integriert die Düfte von Pflanzen in seine Kunstwerke.[19] Klara Black setzt in ihren Skulpturen auf ungewöhnliche und wohlriechende Materialien wie Lidschatten und Puder.[20]
1.1 Forschungsziel
»If we want a visitor to use all of her brain during a museum visit, odors need to be a part of the experience. Furthermore, because smelling is an active perceptual process that requires attention, adding odors to an experience will result in a visitors‹ closer engagement and turn the passive experience into an active exploration.«[21] (Andreas Keller: The Scented Museum)
Diese Forschungsarbeit richtet sich auf die Untersuchung von Geruch in der jüngeren bildenden Kunst, um die Frage zu beantworten, wie Aromen-basierte Kunst vermittelt werden kann. Die vorliegende Arbeit untersucht die möglichen Veränderungen der Rezeptionsgewohnheiten und die potentiellen Veränderungen in den Prozessen der ästhetischen Erfahrung durch geruchsbasierte Kunst.
Die Analyse von Arbeitsweisen und Werken verschiedener Künstler, die mit Duft und Gestank arbeiten, soll zeigen, welche Spannbreite der Rezeptionsangebote über Geruch und das Riechen entwickelt werden können. Die Analyse der unterschiedlichen Aspekte ästhetischer Erfahrung in der Begegnung mit aromatischen Kunstwerken wird für ästhetische Bildungsprozesse nutzbar gemacht.[22] Am Ende steht der Entwurf einer olfaktorischen Ausstellung samt Vermittlungsüberlegungen.
1.2 Nasenklemme ab, Scheuklappen auf
»Sight is so endlessly analyzed, and the other senses so constantly ignored, that the five senses would seem to consist of the colonial/patriarchal gaze, the scientific gaze, the erotic gaze, the capitalist gaze and the subversive glance.«[23] (Constance Claasen: The Colour of Angels: Cosmology, Gender and the Aesthetic Imagination)
Wie Claasen feststellt, ist visuelle Rezeption so ausführlich analysiert worden, als könne man meinen, die Augen wären unsere einzigen Sinnesorgane. Zum Hören, Tasten und Schmecken in den bildenden Künsten wurde jedoch ausführlich geforscht und ausgestellt. In den letzten Jahrzehnten wurden einige Ausstellungen konzipiert, die sich thematisch einem der nicht-visuellen Sinne widmen. So wurde bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren eine Vielzahl von Ausstellungen konzipiert, die taktile Kunstwahrnehmung erfahrbar machten, wie Feel it, 1968, im Moderna Museet Stockholm, First International Tactil Sculpture Symposium, 1969 in der Long Beach, California, Gallery C, Do Touch, 1976, im Boston Museum of Fine Arts, Les mains regardent, Paris, 1977/78, im Centre Pompidou.[24] Die erste deutsche Ausstellung zum Anfassen Plastik zum Begreifen gab es 1979 in der DDR.[25] Die Ausstellung See this Sound am Lentos Museum in Linz bearbeitete das Zusammenspiel von visueller und auditiver Wahrnehmung in der Entwicklung der Künste im 20. Jahrhundert.[26] Die Ausstellung Eating the Universe beschäftigte sich zwischen 2009 und 2011 gleich in drei Kunsthäusern, der Kunsthalle Düsseldorf, der Galerie im Taxispalais Innsbruck und im Kunstmuseum Stuttgart, mit dem Essen in der Kunst.[27] Alle dort gezeigten Kunstwerke setzen sich mit den Thematiken Nahrung und Essverhalten auseinander.
In dieser Untersuchung konzentriere ich mich auf Werke, in denen Düfte als riechbare Materialien von Künstlern bewusst, wenn auch manches Mal beiläufig, als Rezeptionsangebot für das Publikum in Gebrauch genommen werden. Ziel ist, das Zusammenspiel von olfaktorischer Wahrnehmung und ästhetischer Erfahrung zu entschlüsseln und in ein Ausstellungskonzept zur Vermittlung von aromatischer Kunst zu übertragen. Natürlich verströmen auch Kunstwerke, die gesehen, gehört oder ertastet werden können, Odeur. Ölgemälde, Bronzeskulpturen oder auch die warme, surrende Technik bei Medienkunstwerken verbreiten einen spezifischen Geruch. Diese Geruchserfahrungen sollen jedoch in dieser Abhandlung zugunsten bewusst eingesetzter aromatischer Komponenten in Kunstprojekten vernachlässigt werden. Des Weiteren gibt es Darstellungen von Geruch in Bildern oder Videos. In den Gemälden von Otto Dix beispielsweise, auf denen häufig rauchende Menschen dargestellt sind, kann man beim bloßen Anblick einen beißenden abgestandenen Gestank fühlen.[28] Abbildungen dieser Art von olfaktorischer Erfahrung klammere ich gleichfalls aus. Auch vernachlässigt werden aromatische Zusätze zu Kunstwerken. In manchen Museumsshops kann man tatsächlich Duftkerzen kaufen, welche die ästhetischen Erfahrungen von Monets Sonnenblumen auf die olfaktorische Ebene und ins eigene Heim transportieren sollen.[29]
Diese Forschungsarbeit beschränkt sich auf den Geruchssinn, da die Rezeptionsvorgänge von aromatischen