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... bis Qou auftauchte: eine fantastische Geschichte
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eBook428 Seiten5 Stunden

... bis Qou auftauchte: eine fantastische Geschichte

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Über dieses E-Book

Wie kann etwas Gutachten heißen, wenn es vernichtend ist? Für Elfe Qou steckt die Welt der Menschen voller Rätsel und Verrücktheiten. Dabei wollte sie doch nur dem Pechvogel Lou zu seinem Glück verhelfen. Nun irrt sie, vom Geheimdienst verfolgt, durch eine fremde Stadt und schlittert von einem Abenteuer ins nächste. Fast könnte man sich totlachen, wenn's nicht so zum Heulen wäre. Nur gut, dass Qou verschlossene Türen öffnen kann. Folge ihr durchs geheime Tor, um unser seltsames Verhalten durch die Augen dieser zauberhaften Erscheinung zu betrachten. Du wirst staunen!
SpracheDeutsch
Herausgebernet-Verlag
Erscheinungsdatum1. Okt. 2022
ISBN9783957203540
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    Buchvorschau

    ... bis Qou auftauchte - Martin Huber

    Kapitel 1

    Qou gähnte gelangweilt, als sie sich unbeobachtet fühlte.

    »Du solltest wenigstens die Hand vorhalten«, tadelte Tachora sie, ohne sich umzudrehen.

    Lustlos begann Qou, wieder an ihrem riesigen Blumenstock zu zupfen, während die anderen verzweifelt an ein paar kümmerlichen Blättchen laborierten. »Seit einer Stunde bin ich fertig, sitze hier herum und vergeude meine Zeit«, seufzte sie.

    Tachora warf einen Blick auf die prächtigen Blumen und lächelte. »Ob dir langweilig ist, hängt nicht von deiner Arbeit ab. Langeweile entsteht im Kopf. Wenn du öde Gedanken hast, ist das nicht die Schuld der Blumen.«

    Qou kicherte. Von wegen öde Gedanken! Tachora ahnte ja nicht, woran sie die ganze Zeit dachte.

    Lisu warf ihr einen neidvollen Blick zu, den Qou mit einem Augenzwinkern beantwortete. Schnell konzentrierte sie sich ganz auf ihre Pflanzen, oder, genauer gesagt, auf die Tierchen, die emsig daran herumkrabbelten.

    Im nächsten Moment marschierten fünfzig Ameisen mit einer prachtvollen Hibiskusblüte zu Lisu hinüber, die sie entzückt in Empfang nahm.

    Tachora schüttelte den Kopf. »Wie ich sehe, könnt ihr auch mal einen Augenblick ohne mich auskommen – und, Qou, wenn dir schon so langweilig ist, dann hilf den anderen meinetwegen, aber mach bitte keinen Blödsinn!« Damit ließ sie die Gruppe allein.

    Kaum war Tachora außer Sicht, war auch schon Schluss mit der Stille. Alle drängten sich um Qou, in der Hoffnung, dass ihr wieder einer ihrer Späße einfiele.

    »Wir wollen doch artig unsere Aufgaben machen«, sprach sie mit gespielter Strenge. »Welch lustloses Pflänzchen«, wandte sie sich sodann an Lisu, zog deren mageres Gewächs aus der Erde und setzte es wie ein Püppchen behutsam auf ihre Hand. Dann hauchte sie es an und murmelte ein paar Worte.

    Plötzlich fingen die Wurzeln an, sich leicht zu bewegen. Sie wurden dicker und dicker, während die Blüte zu einem großen, runden Kopf heranwuchs, bis auf einmal ein kleiner Oktopus seine Tentakel zwischen ihren Fingern baumeln ließ.

    Qou setzte ihn sanft auf den Boden, wo er sofort seine Beine ringelte, eins nach dem anderen, so, als wolle er ausprobieren, ob sie auch funktionierten. »Jetzt pass gut auf!«, sprach Qou den winzigen Gesellen mit erhobenem Zeigefinger an, und wirklich reckte er sein Köpfchen leicht nach oben, als höre er zu.

    Nun schnippte sie rhythmisch mit den Fingern, und sogleich begann der Tintenfisch, einen Walzer zu tanzen, was mit acht Beinen gar nicht so einfach ist.

    Begeisterte Ahs und Ohs begleiteten ihn, worauf Mumuma anfing, den Freudenwalzer des Mondballes zu singen.

    Sofort stimmten alle anderen ein, aber selbstverständlich nicht mit dem Originaltext des Balls, sondern einer ulkigen Parodie, die immer für größte Heiterkeit sorgte, wenn keine Aufsicht anwesend war. Am Ende jeden Verses gab es ein kleines Solo. Mumuma ahmte dann meist treffsicher die brüchige Stimme des in die Jahre gekommenen Vorsängers nach. Als nun das Solo näherkam, deutete sie aber erwartungsvoll auf den Oktopus.

    Qou nickte zustimmend, formte mit ihrer Hand einen Mund und zeigte mit den Fingern, wie er singen solle. Was machten da alle für große Augen, als der krabbelige Tänzer tatsächlich seinen Mund weit öffnete und …

    »Qou! Hab ich nicht gesagt, du sollst keinen Blödsinn machen?« Tachora stand plötzlich hinter ihnen, die Hände empört in die Hüften gestemmt.

    Geschwind klatschte Qou in die Hände, und der Tintenfisch schrumpfte zurück in die Erde, während alle anderen kleinlaut an ihren Platz zurückschlichen.

    Tachora sah Qou eine Weile nachdenklich an, dann winkte sie ab und meinte: »Das ist jetzt aber genug für heute! Am Nachmittag geht ihr rüber zu Zakadoko und helft ihm im Garten, damit ihr einmal seht, wie richtige Blumen aussehen sollen. Qou, du bleibst bitte noch hier, mit dir muss ich ein ernstes Wort reden!«

    Nachdem alle schnell verschwunden waren, saß Qou nun mit schuldbewusster Miene vor Tachora, gefasst auf eine Standpauke.

    Tachora musste lächeln. »Ich kann dich besser verstehen, als du denkst«, begann sie, »mir ging es damals nicht anders, auch wenn mir das heute keiner mehr zutrauen würde. Aber, Qou, du hast so eine außergewöhnliche Gabe, und du weißt das auch! Bei deinen Fähigkeiten könntest du längst im Titanischen Rat assistieren. Du hast nahezu alle Voraussetzungen dafür, bis auf eine – es fehlt dir der Ernst. Du könntest ganz gewiss Großartiges schaffen, so leicht, wie dir alles fällt, doch albern wie die Menschen zauberst du stattdessen drollige Tierchen.«

    »Die Menschen können Tierchen zaubern?«, fragte Qou mit großen Augen.

    Tachora musste lachen. »Nein, natürlich nicht. Ich meinte damit nur, dass es albern ist, so etwas zu tun. Die Menschen tun eben auch oft Dinge, die absolut unsinnig sind und ihrer nicht würdig. Ja, auf ihre Würde geben sie sehr viel – und treten sie im nächsten Augenblick schon wieder mit Füßen.«

    »Ach, ich würde so gerne mehr über die andere Welt wissen!«, rief Qou. »Mir fehlt eben doch viel mehr als nur der Ernst. Was täte ich denn im Titanischen Rat, wenn ich überhaupt nichts über die Menschen weiß? Woher kennst du dich eigentlich so gut aus, wenn die Welten so streng getrennt sind?«

    Tachora wurde sichtlich verlegen. »Nun ja«, begann sie, »es gibt schon Verbindungen. Grundsätzlich ist es so, dass uns hier nichts verborgen bleibt, was dort drüben geschieht, auch wenn wir die fremde Welt nicht persönlich betreten.«

    Qou ließ nicht locker. »Es gab aber doch Elfen, die hinübergekommen sind, das hast du selbst einmal erwähnt. Wie hat Imi das geschafft?«

    »Imi hat einen hohen Preis dafür gezahlt, sie hat ihre Unsterblichkeit für die Liebe zu einem Menschen geopfert«, antwortete Tachora traurig.

    Qou schluckte. »Vom Sterben hast du uns auch nie etwas erzählt«, sagte sie etwas vorwurfsvoll.

    »Das mag schon sein«, gab Tachora zu, »aber das braucht dich auch nicht zu interessieren. Imi ist aus purer Neugierde heimlich hinübergehuscht, und dann ist es eben passiert; sie hat sich verliebt und ist bei ihrem Menschen geblieben. Sie wollte es so, warum, weiß nur sie selbst. Aber hör gut zu: Solltest du je auf so eine dumme Idee kommen, kannst du sie gleich wieder vergessen! Imi war eine Elfe der Lüfte, ihr Weg stünde dir als Wasserelfe gar nicht frei.«

    Qou zog einen Schmollmund. Es ärgerte sie, dass Tachora am Ende immer rechtbehielt, aber sie gab nicht auf. »Sinja durfte aber wieder zurück und hat sogar einen Menschen in unsere Welt geschleust«, erwiderte sie.

    Tachora lachte laut, und als Qou sie ganz verdutzt ansah, erklärte sie: »Sinja wurde von König Oberon persönlich zur Prüfung in die Menschenwelt gesandt. Der Elfenkönig war völlig überrumpelt, als es am Ende so ausging, was sollte er tun?«

    »Dann hat Oberon also einen Fehler gemacht?«, fragte Qou ungläubig.

    Tachora nickte nur und musste wieder lachen.

    Qou triumphierte: »Jetzt ist dir das Geheimnis doch herausgerutscht!«

    »Nein«, sagte Tachora, »nur weil man etwas nicht ausspricht, ist es noch lange kein Geheimnis. Glaub mir: Oberon ist weise wie kein anderer, aber die Liebe der Menschen ist selbst für ihn unergründlich.« In dem Moment, als Tachora Qous leuchtende Augen sah, wurde ihr klar, dass sie diesen Satz besser nicht gesagt hätte. Am liebsten hätte sie sich auf die Zunge gebissen. Schnell fügte sie an: »Sinja ging durch Oberons Pforte. Du kannst dir denken, dass er so schnell keine Elfe mehr hindurchlässt. Für unser Wasserreich wäre sie sowieso nicht geeignet.«

    »Das ist aber ungerecht! Die Menschen brauchen das Wasser nicht weniger als die Luft«, beschwerte sich Qou.

    »Nichts ist ungerecht«, beruhigte sie Tachora, »für uns gibt es eben einen anderen Weg, aber glaube ja nicht, dass ich dir den verrate. Wenn Oberon dich schicken will, wird er ihn dir schon zeigen.«

    »Du kennst ihn ja selber nicht!«, versuchte Qou Tachora zu provozieren.

    Tachora zog nun den, wie sie glaubte, überzeugendsten Trumpf: »Ich kenn den Weg sehr wohl, und als ich so jung war wie du wollte ich sogar selber durchs Silberne Tor schlüpfen, aber ich wurde erwischt, wie übrigens alle, die es versucht haben. Hart war die Strafe, die ich erhielt, strenger als alles, was du dir vorstellen kannst. Wenn du also mehr über die Menschen erfahren willst, dann sei ein bisschen fleißiger in den Lektionen der Weisheit. So viel kann ich dir jedenfalls verraten: Wenn du die nächsten drei Prüfungen vorbildlich bestehst, was mit etwas mehr Ernst für dich ein Leichtes sein sollte, so wirst du in die hohe Kunst des Sehenden Geistes eingeweiht. Dann wirst du auch verstehen, wie Menschen denken.«

    Qou überlegte. »Werde ich dann auch verstehen, wie sie lieben?«, fragte sie plötzlich.

    »Ein Schritt nach dem anderen«, bremste sie Tachora, »du hast doch jede Zeit der Welt, und es warten noch so große Aufgaben auf dich. Du brauchst heute nicht im Garten zu arbeiten, deine Blumenkomposition war ja perfekt. Bitte nutze die Zeit, einmal gründlich darüber nachzudenken, was du willst, was du kannst und welche Erwartungen auf dir ruhen.«

    Kapitel 2

    Es war einfach zum Sterben schön! Er lag, die Hände hinter dem Kopf, im weichen Sand der Düne und erlebte den prächtigsten Sonnenuntergang dieses außergewöhnlich warmen Spätsommers. Am frühen Nachmittag hatte ein Gewitterschauer die Luft wohltuend gereinigt, danach klarte es wieder auf, als habe es nie auch nur ein Wölkchen gegeben. Die rauen Wellen verwandelten sich in sanfte Wogen, und der Himmel strahlte in einem tiefen Blau, wie es eben nur die späten Monate hervorzaubern. Munter waren die Segelboote wie kleine Spielzeugschiffchen umhergekreuzt. Nun war die Sonne kurz davor, am Horizont zu versinken.

    Er hatte den Strand ganz für sich, denn die wenigen Badegäste saßen um diese Zeit in den Gaststätten. Danach würden sie vielleicht noch einen kleinen Spaziergang an der Strandpromenade machen, aber bestimmt käme keiner bei einbrechender Dunkelheit bis hierher.

    Ein junger Mann war noch eine Weile mit seinem Hund unten am Wasser herumgetollt, aber auch der war jetzt verschwunden.

    Ende der Saison. Ein wehmütiges Gefühl ergriff ihn, als ihm diese Worte in den Sinn kamen. Das war nun also der letzte Sonnenuntergang. »Wer weiß, morgen wird es vielleicht regnen, du versäumst nichts«, murmelte er trotzig. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Wie seltsam, dass sich eigentlich alle Menschen in diesem Punkt einig sind. Wenn es dann aber wirklich so weit ist, will keiner den Schritt wagen – nun ja, fast keiner.

    Morgen, übermorgen, leere Worte! Nein, er würde nichts versäumen. Selbst wenn man ihm den besten Posten im größten Unternehmen anböte, sein Geld würde mindestens die nächsten zwanzig Jahre den Banken gehören. Er musste gestehen, dass die Versuchung schon mal dagewesen war, sich in die Gläubigerbanken einzuhacken; er hätte sich das zugetraut. Oder, noch besser, in Mikes Unternehmen. Nicht des Geldes wegen, nur um zu zeigen, dass er es konnte. Er hatte sogar einmal daran gedacht, das Programm zu löschen, das Mike sich hinterhältig unter den Nagel gerissen hatte. Aber wozu? Würde sich sein Leben dadurch ändern? Wenn das Schicksal ihm bestimmt hatte, den anderen beim Leben zuzusehen, war es dann nicht egal, ob er sie vom Fahrrad aus beneidete oder durch die Scheibe einer fetten Limousine? Er war Loser, und er würde es immer bleiben.

    Wenn er nur je hätte ergründen können, warum es so war, schon von Anfang an. Wenn dir morgens als Erstes die Zahnbürste ins Klosett plumpst, weißt du: Heute ist so ein Tag. Dagegen kannst du dich nicht wehren, es wird sich ein Unglück ans nächste reihen, ohne Erbarmen.

    Bei ihm folgte das ganze Leben diesem unheilvollen Gesetz. Die Natur hatte ihn nicht gerade mit körperlichen Gaben verwöhnt. Er war nie sportlich gewesen und als Kind stets kleiner und schmächtiger als die anderen. Klar, dass er nicht zu den Rabauken zählte, die sich immer vordrängten. Und wenn es etwas zu verteilen gab, so war stets er derjenige, der leer ausging, so wie damals, als die Bäckerei dem Kindergarten die schönen Laternen für den Martinszug stiftete. Alle bekamen eine, nur als er an die Reihe kam, war keine mehr im Karton. Das war der Anfang, auch wenn er damals noch nicht ahnte, dass sein weiteres Leben aus solchen Kartons bestehen würde, mal kleine Schachteln, mal große Kisten, aber immer leer.

    Als der Lehrer in der Schule fragte, wer am Wochenende beim Ausflug mit dabei sein wolle, hob auch er wie alle anderen den Finger. Er wurde nicht mitgezählt.

    Am bittersten erinnerte er sich jedoch an die Szenen im Sportunterricht, wenn Mannschaften gewählt wurden. Zwei hochgeschossene Sportskanonen durften abwechselnd aussuchen. Wenn keiner krank war, waren sie eine ungerade Zahl, dann blieb er als Einziger übrig.

    »Warum müssen wir den Loser nehmen?«, maulte das Team, dem er vom Lehrer aufgedrängt wurde. Der Lehrer hatte dann stets tröstende Worte parat, nicht für ihn, nein, für die arme, gedemütigte Mannschaft.

    Müssen Sportlehrer eigentlich auch Pädagogik studieren, oder drückt man ihnen einfach nur eine Trillerpfeife in die Hand?

    Ansonsten war er kein schlechter Schüler gewesen, in den Lernfächern manchmal ein wenig faul, aber in Mathe ein richtiges Ass. Einmal war er sogar für den Länderwettbewerb in Mathematik vorgeschlagen worden, aber sein Klassenlehrer vergaß, seine Bewerbung rechtzeitig weiterzuleiten. Er nahm es gelassen. Er war es gewöhnt, still in der letzten Reihe zu sitzen und nicht aufzufallen.

    Manchmal bekam er mit, wie die anderen Schüler begeistert von ihren Partys erzählten – er wurde nie eingeladen.

    Wenigstens blieb ihm so auch die Teilnahme an einem Tanzkurs erspart.

    »Warum muss ausgerechnet ich mit dem Loser tanzen?«

    Nein, darauf konnte er verzichten.

    Die Jungs, immer deutlich eleganter als er und fast immer einen Kopf größer, sahen auf ihn herab, und die Mädchen machten einen Bogen um ihn. Im Grunde genommen war es gut, wenn sie ihm nicht zu nahekamen, dann musste er wenigstens ihre bissigen Bemerkungen nicht mit anhören.

    Ein einziges Mal in seiner Schulzeit allerdings fand er doch noch besondere Beachtung: auf der Abiturfeier. Die Schülerband spielte jedem Absolventen eine kurze Melodie, etwa »We are the Champions«, oder »Sweet little Sixteen«, wie es eben gerade passte. Als ihm der Rektor sein Zeugnis überreichte und gerade verkünden wollte, dass er Jahrgangsbester war, dröhnte sein Song dazwischen: »Einer ist immer der Loser«.

    Loser! Seit der zweiten Klasse hatte man ihn nur noch so genannt. Irgendwann hatten es sogar seine Eltern übernommen, weil sie es so »drollig« fanden. Loser! Er trug diesen Namen nicht, weil er einer war, sondern er war zum Loser geworden, weil er so hieß.

    Das Studium begann recht unspektakulär. Er lief im großen Haufen mit und war schon ausreichend damit beschäftigt, seinen Stoff zu lernen. Dass viele seiner Kommilitonen äußerst ausgiebig das Nachtleben der Großstadt genossen, fiel ihm lange gar nicht auf. Er fragte nicht, was die anderen privat trieben. Erst als sich im Laufe der Zeit die Reihen in den Hörsälen lichteten, beobachtete er das seltsame Phänomen, dass alle anderen paarweise oder in kleinen Gruppen zusammensaßen, die Plätze um ihn in der Regel jedoch freiblieben.

    Es überraschte ihn nicht, dennoch tat es weh. Wenigstens fand er in den Seminaren eine praktische Möglichkeit, sich zu revanchieren: Wenn er besser war als alle anderen, konnte man ihn nicht übergehen. Das machte ihn nicht gerade beliebter, aber es gab ihm zumindest das Gefühl, wahrgenommen zu werden.

    Dann kam der große Wettbewerb. Jede Hochschule schickte ein Team ins Rennen, und er sollte mit dabei sein, darauf bestand sein Professor. Peinlich war nur, dass der schöne Sven dadurch rausflog, was ihm von der Gruppe recht übelgenommen wurde, vor allem von Svens Freundin Helena, der Jahrgangsgrazie und amtierenden Miss Uni, die ihn fortan mit Basiliskenblicken strafte.

    Gemeinsam gewannen sie den ersten Preis, seinetwegen, aber das sprach niemand aus. Immerhin verhalf ihm dieser Preis später zu seiner ersten Anstellung als Programmierer in einem großen Betrieb. Eigentlich war es ein miserabler Job, schlecht bezahlt, schlecht organisiert in einer Abteilung, in der sich alle belauerten. Das Arbeitspensum war nicht wirklich zu bewältigen, unbezahlte Überstunden häuften sich, und alles geschah unter enormem Zeitdruck.

    Ihm machte die aggressive Stimmung unter den Kollegen nichts aus. Er war es gewöhnt, still vor sich hinzuarbeiten, und machte seine Sache gut – viel zu gut, verglichen mit seinem Gehalt. Anfangs brachte ihm das viel Misstrauen bei den Kollegen ein, die ständig von der Angst getrieben wurden, jemand könne sie überholen oder gar aus dem Ring boxen. Irgendwann merkten sie jedoch, dass sie alle unangenehmen Aufgaben auf ihn abwälzen konnten, von da ab behandelte man ihn etwas freundlicher.

    Der Einzige, der immer gute Laune verbreitete, war Mike, ebenfalls ein Neuling. Mike verstand nicht viel vom Programmieren, aber er war der ideale Verkäufer und in der Marketingabteilung bestens aufgehoben, was vielleicht auch daran lag, dass dort viele junge Frauen beschäftigt waren. Mike konnte ihn von vornherein gut leiden, was auf Gegenseitigkeit beruhte.

    »Wie hältst du es bloß aus zwischen all den Sauertöpfen?«, fragte er oft.

    Die Freundschaft ging nicht so weit, dass sie privat etwas unternommen hätten, schließlich waren Mikes Abende ganz und gar der holden Weiblichkeit geweiht, aber im Betrieb waren die beiden bald so etwas wie enge Vertraute.

    Mikes Aufgabe war, den Kontakt zwischen Programmierern und Marketing am Laufen zu halten. So bekam er bald mit, dass man in der Chefetage sehr wohl über die Leistung der einzelnen Angestellten Bescheid wusste und sie geschickt ausnutzte. Mike war es auch, der ihn deshalb immer wieder anstachelte, doch endlich mehr Gehalt und eine höhere Einstufung zu fordern. Beinahe hätte er das sogar getan, wenn nicht das Gerücht umgegangen wäre, dass die Firma eine große Rationalisierungswelle plane, von der Firmenleitung großspurig als zukunftsorientierter Umstrukturierungsprozess bezeichnet. Über jedem Arbeitsplatz hing plötzlich das Damoklesschwert der Effizienz, was in Wahrheit bedeutete: Wer den Mund aufmachte, flog raus.

    Dann ging alles ganz schnell. Mike zog ihn in einer Mittagspause auf die Seite und eröffnete ihm, er wolle sich selbstständig machen, mit ihm als Partner.

    Einen Monat später saß er an seinem eigenen Rechner, auch wenn dieser, strenggenommen, noch der Bank gehörte. Mike war es nicht nur gelungen, die nötigen Kredite aufzutreiben, es gab auch schon ganz passable Aufträge.

    »Das willst du gar nicht wissen«, sagte Mike nur grinsend, wenn er ihn fragte, wie er denn so schnell an dermaßen gute Kontakte gekommen sei.

    Hier war er nun endlich in seinem Element. Sein Partner Mike ließ ihn tüfteln und experimentieren, stellte neue Mitarbeiter ein und mietete weitere Räume dazu. Ein merkwürdiges Gefühl war das, plötzlich mit »Chef« angesprochen zu werden.

    Nach etwa drei Wochen allerdings bot man sich gegenseitig das Du an, und er war wieder Loser. Der Spitzname blieb an ihm kleben wie ein Kaugummi an der Schuhsohle.

    Dann kam Weihnachten, was für ein Ereignis! Während man vor einem Jahr in der alten Firma versucht hatte, vor dem Jahreswechsel noch bis an den Rand des Zusammenbruchs alles Liegengebliebene aufzuarbeiten, galt es hier, den erfolgreichen Start glänzend zu feiern. Dass man ab nächstem Jahr die gesamte Etage für sich hatte, wurde mit Champagner begossen.

    »Und jetzt habe ich noch eine Überraschung für dich«, sprach Mike ihn an, nachdem man angestoßen hatte, und winkte eine reizende junge Dame heran. »Das ist Bianca Helmbach, deine neue Assistentin.«

    Er stellte verlegen sein Sektglas ab und streckte ihr die Hand entgegen. »Ich bin L…«

    »Das ist Herr Kolbe, dein Boss«, fuhr Mike schnell dazwischen.

    Ja, man sollte aufhören, wenn es am schönsten ist. Hätte ihn an jenem Abend eine Straßenbahn überfahren, es wäre nahezu einem Heldentod gleichgekommen.

    Kapitel 3

    Das Silberne Tor! Tachora hatte es nur nebenbei erwähnt, aber Qou gingen die Worte nicht mehr aus dem Kopf. Beim Mittagessen brachte sie kaum einen Bissen hinunter, weil sie in Gedanken schon durch dieses Tor schritt. Prachtvoll stellte sie es sich in ihrer Fantasie vor, umrahmt von rätselhaften, silbernen Ornamenten, die in der Sonne glitzerten und gleißten. So ein auffälliges Bauwerk konnte doch nicht unbemerkt bleiben!

    Kaum war die Tafel aufgehoben, rannte sie in die Bibliothek und hievte einen dicken, in Leder gebundenen Band der Wundersamen Enzyklopädie aus dem Regal. Wirklich erstaunlich, was es alles in Silber gab: vom Silberblick über Silberfischchen und Silberlinge bis zum Silberrücken. Ein Tor war leider nicht dabei.

    Sie schritt die Regale ab und las aufmerksam die Schildchen, die in schnörkeliger Schrift über jedem Fach die enthaltene Rubrik bezeichneten. Wo sollte sie suchen? Weder in der Geografie noch in der Magie wurde sie fündig. Um an die alten Erzählungen zu kommen, musste sie extra auf eine Leiter steigen. Du liebe Zeit, das waren 43 schwere Bände, und keiner davon hatte ein Stichwortverzeichnis. Über die Menschenwelt gab es seltsamerweise nur ein einziges Buch, aber das kannte sie bereits in- und auswendig. Es bestand im Wesentlichen auch nur aus einer Aufzählung aller Eigenarten und Gebräuche der Menschen, enthielt jedoch kein Wort darüber, wie man zu ihnen gelangte.

    Qou dachte fieberhaft nach. Wo könnte sie etwas über dieses verflixte Silberne Tor erfahren? Und plötzlich fiel es ihr ein: Großmeister Wupotschin! Warum war sie da nicht gleich draufgekommen?

    Wie der Blitz rannte sie hinüber ins Alte Kastell und hastete die Treppen hinauf. Wupotschins Laboratorium befand sich ganz oben unter dem Dach. Die meiste Zeit bastelte er am Modell des doppelten Sonnenkreises, einer komplizierten Maschinerie aus Messingrädern, Federn und Drähten. Man durfte es nur aus gebührender Entfernung bewundern und auf gar keinen Fall berühren. Über dem Modell wölbte sich eine gewaltige Glaskuppel, in die eine skurrile, stählerne Wendeltreppe zu einer Plattform hinaufführte, auf der Wupotschins Teleskop thronte. Dieses Teleskop war, wie das Modell, ein unberührbares Heiligtum. Qou durfte dennoch in klaren Nächten vorsichtig die Sterne damit beobachten, von Wupotschin liebevoll unterrichtet.

    Heute fand sie ihn an seinem wuchtigen Schreibtisch sitzend, vertieft in uralte, vergilbte Sternenkarten. Qou stellte sich leise neben ihn und wartete geduldig, bis er sich endlich zu ihr wandte. »Nanu, erst stürmst du die Teppen herauf, dass man meinen könnte, die Trolle seien hinter dir her, und nun stehst du da und kriegst den Mund nicht auf. Was hast du denn auf dem Herzen?«, fragte er augenzwinkernd.

    Qou wechselte verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Ich hätte da eine Frage, auf die ich in der Bibliothek keine Antwort gefunden habe«, begann sie zaghaft. »Was und wo ist das Silberne Tor

    Wupotschin schob verdutzt die Sternenkarten beiseite. »So, so, das Silberne Tor«, murmelte er nachdenklich, »du meinst wahrscheinlich das Himmelstor beim Sternbild Stier?«

    Qou schüttelte den Kopf. »Kein Sternbild! Das Menschentor. Ich konnte nicht einmal in der Wundersamen Enzyklopädie etwas darüber finden.«

    »Es stand nicht drin? Nun ja, so wichtig ist es auch nicht«, erklärte Wupotschin. »Ein altes Tor in der Menschenwelt wird so genannt. Die Römer bauten es in der Stadt Split, es muss wohl Teil eines prächtigen Palastes gewesen sein.«

    »Nein, das kann es auch nicht sein«, entgegnete Qou, »ich meine kein Tor bei den Menschen, sondern zu den Menschen.«

    Wupotschin sah sie etwas merkwürdig an. »Davon war seit zig Septilien nicht mehr die Rede. Wie kommst du darauf?«

    Qou wusste, dass Großmeister Wupotschin nicht leicht zu knacken war, wenn es um Geheimnisse ging. »Nun ja, Tachora machte so eine Bemerkung, das hat mich neugierig gemacht«, antwortete sie.

    Wupotschin lachte. »So neugierig, dass du gleich im Galopp hier heraufstürmen musstest? Warum hast du nicht gleich Tachora gefragt?«

    Das war wieder typisch für den Alten, sie mit Gegenfragen mattzusetzen. Natürlich wusste er genau, warum sie Tachora nicht fragen konnte. Qou musste es sehr schlau angehen. »Tachora erzählte, dass sie damals eine sehr strenge Strafe zu erdulden hatte. Ich fürchtete, sie mit weiteren Fragen zu kränken«, sagte sie schnell.

    »Papperlapapp«, widersprach Wupotschin, »Tachora war damals so ein quirliger Wirbelwind wie du. Die Strafe hat sie knallhart einkalkuliert und eisern ertragen. Hat ihr damals übrigens nicht geschadet. Sag bloß, du willst ihr in dieser Sache nacheifern!«

    Qou wurde verlegen. »Wie sollte ich? Ich weiß ja nicht einmal, wo dieses Silberne Tor ist und wie es aussieht.«

    Wupotschin sah sie eine Weile still und unbewegt an. Dann sprach er: »Selbst wenn ich wollte, könnte ich dir nicht sagen, wo es ist, denn es ist nicht immer an der gleichen Stelle.«

    Qou war verwirrt. Sie hatte sich das Silberne Tor die ganz Zeit als großes, prächtiges Gebäude vorgestellt. Warum war sie nicht auf den Gedanken gekommen, es könne eine von Oberons Zauberpforten sein, die keiner je sieht oder erahnt. Sinja war durch solche Pforten gegangen, ohne es selbst zu merken. Imi aber hatte es alleine geschafft, also musste es dennoch irgendeinen Hinweis geben. »Wie kann man das Tor denn überhaupt finden, wenn es ständig den Ort wechselt?«, fragte sie schließlich.

    Großmeister Wupotschin tippte ihr auf die Stirn. »Es findet dich, wenn es Zeit ist.«

    Die Sonne blendete Qou, als sie aus dem düsteren Alten Kastell ins Freie trat. Nichts hatte sie aus Wupotschin herausbekommen, außer dass es sich beim Silbernen Tor um eine magische Erscheinung handeln musste. Wenigstens so viel konnte sie seinen Worten entnehmen, dass Tachora wohl mehr wusste, als sie zugab. Tachora, freilich! Sie war der Schlüssel!

    »Nutze die Zeit, einmal gründlich darüber nachzudenken, was du willst, was du kannst und welche Erwartungen auf dir ruhen!« Das waren ihre Worte am Ende des Gesprächs gewesen.

    War das womöglich ein geheimer Tipp? Und Großmeister Wupotschin hatte ihr auf die Stirn getippt, als er sagte: »Es findet dich, wenn es Zeit ist.«

    Es lag also an ihr, das Geheimnis zu lüften und den Weg durchs Tor zu finden. Das leuchtete ein, machte die Sache aber auch nicht leichter.

    Sie schlug den Weg zum See ein, wie sie es immer tat, wenn sie in Ruhe nachdenken wollte. Es gab eine freie Stelle im Schilf, wo sie oft unter einer Weide saß und ihren Gedanken freien Lauf ließ. Dort legte sie sich nun ins weiche Gras und schaute den Enten beim Baden zu. Es ist schwer, sich auf eine komplizierte Sache zu konzentrieren, wenn man bei strahlendem Sonnenschein von Schmetterlingen und Libellen umtanzt wird. Draußen auf dem See versuchte ein vorwitziges Entenküken, immer wieder der Gruppe zu entkommen, was die aufmerksame Mutter aber stets verhinderte.

    »Du musst durchs Silberne Tor tauchen!«, rief Qou ihr lachend zu. Dann schloss sie die Augen und genoss die heiße Sonne. Wenn sie genügend Sonnenwärme zu sich nähme, könnte sie zu den Faunen hinüberschwimmen; das würde sie auf andere Gedanken bringen. Bei denen war es immer lustig, und Tachora hatte ihr ja freigegeben. Ob die Faune etwas über das Tor wussten? Ach nein, wohl eher nicht. Sie kannte keine einzige Geschichte, in der die Faune Kontakt zu den Menschen gesucht hätten. Wozu auch?

    Letztes Jahr war sie zum Sonnwendtanz hinübergeschwommen. Wie eine Prinzessin hatten die Faune sie da umschwärmt, die süßesten Früchte aufgetragen und vergeblich versucht, sie mit blaugrünem Wein zu verführen. Bis spät in die Nacht hatte sie getanzt, und fast hätte ihr der betrunkene Skyrollo einen Heiratsantrag gemacht, wenn nicht …

    Lautes Geschnatter weckte sie aus ihrem Tagtraum, denn die Entenmutter trieb jetzt ihren Nachwuchs an Land.

    »So, nun kriegst du aber geschimpft für deine Eskapaden!«, scherzte Qou, als das freche Küken aufgeregt vor seiner Mutter her trippelte. »Soll ich zu Skyrollo und seiner wilden Bande rüberschwimmen?«, fragte sie.

    Da schüttelte die Ente den Kopf.

    Qou musste lachen. »Ach du! Du weißt doch gar nicht, worum es geht.« Sie pflückte eine Margerite und zählte an den Blättern ab: »Ich tu’s, ich tu’s nicht, ich tu’s …«

    Die Margerite riet ihr, es zu tun, aber eigentlich hatte sie jetzt keine Lust mehr. Sie ließ schnell noch ein Blütenblatt nachwachsen. »Siehst du, ich tu’s nicht.« Zufrieden legte sie sich wieder ins Gras, räkelte sich faul und nahm noch mehr Sonne zu sich. Vielleicht konnte sie die anderen am Abend noch zu einem Wettschwimmen überreden? Ach nein, die hatten ja Gartendienst, danach war gewiss nichts mehr mit ihnen anzufangen. Lächelnd schloss sie abermals die Augen.

    Kapitel 4

    Er konnte sich noch sehr gut an Biancas ersten Arbeitstag erinnern. Sie saß ihm genau gegenüber, was sie anfangs recht verlegen machte, schließlich war er ihr Chef. Wenn er zu ihr hinübersah, senkte sie den Blick und wurde ein wenig rot. Das machte ihn wiederum nervös, denn noch nie hatte sich ein Mädchen ihm gegenüber so respektvoll benommen, schon gar kein so attraktives.

    Er hatte ihr für den Anfang eine nicht allzu schwere Aufgabe gegeben, mit der sie offenbar doch ein wenig zu kämpfen hatte.

    Als es Mittag war, stand sie auf und wollte gehen, drehte sich aber gleich wieder um, als sie sah, dass er sitzen blieb. »Gehen Sie nicht ins Bistro rüber?«, fragte sie unsicher, »Mike hat mir erzählt, dass alle rübergehen.«

    »Nein«, antwortete er nur kurz, ganz in seine Arbeit vertieft. Als er nach einer Weile aufsah,

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