Lebendige Seelsorge 3/2022: Pastorale Evaluation
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verbunden sehen möchten: Überprüfung, Effektivität, Controlling. Dabei sagt 'evaluieren' wenig anderes als 'wertschätzen', nur eben auf Latein. Wird jemand evaluiert, dann wird seinem oder ihrem Handeln Bedeutung zugemessen. Dann wird unterstellt, dass pastorales Handeln wertvoll sein will und sein kann.
Neben die sprachliche Verwandtschaft tritt ein sachlicher Bezug: Wer sich heute in die Hände eines Krankenhauses begibt, erwartet selbstverständlich, dass Personal und Prozesse unter Qualitätsgesichtspunkten evaluiert wurden, und das permanent. Schließlich geht es um die eigene Gesundheit. Analoges gilt zum Beispiel für die Erwartung an Reiseanbieter oder an die Autoreparatur. Auch hier wird selbstverständlich geprüfte Qualität vorausgesetzt. Wenn das aber so ist, soll denn dann für die Pastoral anderes gelten als für die Gesundheit, den Urlaub oder das Auto? Welchen Grund kann es geben, nicht auch in der Pastoral zu erwarten, dass Personal, Prozesse und Programme evaluiert werden?
Manche von Ihnen werden nun spontan zustimmen oder aber ein Störgefühl entwickeln. Das Thema 'Pastorale Evaluation' ist kontrovers. Sehr gut, denn so entsteht die Möglichkeit, etwas Neues zu lernen. Dieses Heft der Lebendigen Seelsorge bietet Ihnen das Material für die eigene Urteilsbildung: Argumente, Debatten, Beispiele, O-Töne, Methoden – und Bilder! Katharina Gebauer aus dem Gestaltungsteam von wunderlichundweigand ist für uns ins Atelier gegangen und kam mit einigen Cartoons wieder heraus: amüsante, ironische, zupackende, fragende. Viel Spaß auch damit!
Matthias Sellmann
Dr. theol., Professor für Pastoraltheologie
an der Ruhruniversität Bochum
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Rezensionen für Lebendige Seelsorge 3/2022
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Buchvorschau
Lebendige Seelsorge 3/2022 - Matthias Sellmann
THEMA
Mess-Intentionen?
Das Anliegen pastoraler Evaluation in gnadentheologischer Reflexion
Gnade und Erfolg haben etwas Grundsätzliches gemeinsam: Es sind beides höchst komplexe und ausdifferenzierte Begriffe. Der Blick auf das Gnadensystem der (Neu-)Scholastik zeigt, dass der theologische Grundbegriff für die grundlegende Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch je nach Perspektive, Voraussetzungen und Rahmenbedingungen durchaus komplex sein kann. Und glaubt man dem Artikel zu ‚Erfolg‘ auf Wikipedia, gibt ist nicht nur eine Vorstellung von Erfolg, sondern viele und durchaus unterschiedliche. Weil ‚Erfolg‘ als „Fähigkeit […] gesetzte Ziele zu erreichen" (Wikipedia), natürlich davon abhängt, welche Ziele angestrebt und wie diese definiert werden, stellt sich die Frage, ob beide Begriffe – Gnade und Erfolg – in systematisch-theologischer Perspektive überhaupt in Beziehung gesetzt werden können. Johanna Rahner
Unter den Bedingungen einer ökonomisierten und globalisierten Spätmoderne entwickelt sich ein neuer Typos des Christentums, vielleicht sogar eine neue Art von Religiosität, die religiöse Erfahrung, Emotionalität, Heilungsprozesse und Bekehrungserlebnisse in den Mittelpunkt stellt und sie zugleich auf vielfältige Weise ‚medial‘ inszeniert – also alle spätmodernen Kriterien für ‚Erfolg‘ in Sachen Religion erfüllt (vgl. Pollack/Rosta, 406f.).
WO GNADE NOCH ERFOLG HAT
Der Erfolg der charismatisch-pentekostalen Variante des Christentums besteht in der engen Verbindung von Sichtbarkeit und Greifbarkeit religiöser Erfahrung, also der realen Erfahrung von Gnade und Begnadigung durch Gott: „Das Heilige wird erfahrbar und konkret, und zwar in einer körperlich berührenden Art und Weise: durch mitreißende Musik, durch Wunderheilungen, durch asketische Lebensregeln – alles soll irgendwie dokumentieren, direkten Zugang zum Heiligen zu haben und damit in den existentiellen Belangen des Lebens auf der richtigen Seite zu stehen – nämlich der Seite Gottes" (Schüßler 2018, 236). Spektakuläre und affektiv erfahrbare Glaubenserlebnisse bzw. Gnadenerfahrungen sorgen für Attraktivität (vgl. ebd., 232) und sichern „religiöse Legitimität und Glaubwürdigkeit" (ebd., 248). Der primäre Ereignis- und Erfahrungsort des Göttlichen und damit der Gnade hat sich – im Blick auf die Theologiegeschichte bis heute – vom Kosmos über die Institution (Kirche) zum eigenen Körper verschoben (vgl. Schüßler 2019): „Es ist der eigene Körper und die eigene Biographie, es ist das ‚Leben‘ selbst, das zur letzten und einzigen Gelegenheit eines gelungenen, heilen und guten Lebens geworden ist" (ebd., 285). Die Nähe zur mittelalterlichen Mystik ist unverkennbar und zugleich zeigt sich darin der Pentekostalismus unverkennbar als Kind der späten Moderne: Denn der Körper ist „die unverwechselbare Oberfläche der eigenen Selbstdarstellung […]. Und er ist ein Ort der Erfahrung des Heiligen. Der Körper und das an ihm direkt Wahrnehmbare wird zur ultimativen Letztinstanz dessen, an was wir uns noch halten können, wenn vieles andere verschwimmt, also Offenbarungsfundamentalismus affektiver Erfahrung" (Schüßler 2018, 240). Es wird letztlich durch ein individualisiertes, „offenbarungstheologisches und soteriologisches Präsenz- und Wirksamkeitsversprechen" (ebd., 237) überzeugt – gratia efficax in ihrer spätmodernen, subjektivierten Variante.
Johanna Rahner
Dr. theol. habil., Prof.in für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen.
In systematisch-theologischer Perspektive muss das auf grundlegende Vorbehalte treffen: Denn die „praxeologischen Überzeugungen und formulierten Wahrheiten pentekostaler Gemeinschaften speisen sich aus einem „strengen Dualismus zwischen Gott und dem Bösen, der durch die Allgegenwart des Bösen ausgedrückt wird
(Werner, 126). Die Gnadenerfahrung hat also eine dunkle Rückseite, nämlich die der Gnadenlosigkeit; und beide Seiten bedingen sich gegenseitig, ja konturieren in die konkrete Gnadenerfahrung selbst: „Den biographischen Sitz im Leben haben pentekostal-charismatische Bewegungen deswegen konsequent bei Lebenskrisen, die bei der Bekehrung zu bewältigen sind. Die Notwendigkeit einer sichtbaren Anwesenheit des Geistes ergibt sich konsequent und wird in sinnenhaften, erfahrungsbasierten Zeichen und Zeichenhandlungen real gesetzt" (ebd., 127). Auf dem Hintergrund des dualistischen Konzepts von Begnadung und Nicht-Begnadung wird dabei jener religionsgeschichtlich tief verwurzelte, aber häufig auch lokal vertraute und existentiell plausible, rituelle Rahmen, bestehend aus Exorzismen, Beschwörungsformeln und Zeichenhandlungen, bereitgestellt, „der auf die Ängste der Menschen vor Zauberei wie ihr Bedürfnis nach Schutz reagieren kann" (Böntert, 202). Traditionelle Deutungsmuster und spätmoderne Inszenierung, Medialisierung, ja Ökonomisierung von ‚Gnadenerfahrungen‘ verbinden sich.
So leben ihre Glaubensvorstellungen geradezu von dem, was die akademische Theologie im ‚aufgeklärten Europa‘ mit guten Gründen kritisiert (vgl. Schüßler 2018, 232). Bei näherem Hinsehen wird darüber hinaus ein subtiler, ‚kulturell hegemonialer Kapitalismus‘ im Sinne einer Ökonomisierung des Religiösen bzw. eines Gnadenkapitalismus als implizite Leitkultur sichtbar, der „sich der Menschen auf einer viel wirksameren Ebene bemächtigt, jener, die sie zu dem macht, was sie sind: Er bemächtigt sich ihrer Sehnsüchte und Hoffnungen, ihrer Ängste und Nöte. Er formt bereits Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute und dann befriedigt er sie, er gibt all dem Sprachen, Bilder und – Erfüllung: konkret und fassbar" (Bucher, 2). So scheint keine „andere Frömmigkeitsform […] so gut an die Marktförmigkeit der Existenz angepasst zu sein, wie das charismatische und pentekostale Christentum" (Schüßler 2018, 258). Was dann zu jenem theologiegeschichtlichen Treppenwitz der Gnadenlehre führt, dass im 21. Jahrhundert wohl gerade der Typos eines weichgespülten Calvinismus zu einer forcierten Ökonomisierung des Religiösen quasi als postmoderne ‚Form‘ des Ablassdenkens (samt seinen Schlagseiten) führt: Gnade durch Erfolg – ein fragliches Konzept!
WIE RELIGIONSSOZIOLOGISCHE DRIFTEN DIE TOPOLOGIE VON GNADE UND ERFOLG VERÄNDERN
Zunächst zwei Beobachtungen. Zum einen: Die Institution ‚Kirche‘ ist in Sachen Gnaden- und Heilsvermittlung als primärer Bezugsort von Gnade/Gnadenerfahrung – wie es ja die traditionelle Rede von der ‚Gnadenanstalt‘ insinuiert – heute desavouiert bzw. bleibend auf die hinteren Plätze verwiesen. Sie wird nie mehr jener primäre Bezugspunkt der Gnaden- bzw. Heilsgewissheit in dieser Welt sein, den sie im mittelalterlichen Ordnungsgefüge noch unhinterfragt innehatte. Zum anderen: Die in der Folge stattfindenden, neuen Ortsbestimmungen von Gnadenvermittlung und Gnadenerfahrung erweisen sich nicht nur in ekklesialer Perspektive als durch und durch ambivalent. Welche Konsequenzen folgen daraus für die Evaluationsmöglichkeiten pastoralen Handelns?
Zur ersten Beobachtung: Wenn wir, wie Charles Taylor zu Recht behauptet, im ‚Zeitalter der Authentizität‘ (vgl. Taylor, 788–842) leben, stehen individuelle Glaubensvollzüge und individuelle Glaubensverantwortung samt der Notwendigkeit einer persönlichen Aneignung, Verantwortung und Praxis des Glaubens am Ausgangspunkt und im Zentrum jeder religiösen Identität. Nicht eine bestimmte religiöse oder gar konfessionelle Bindung gibt mir meine Lebensform vor, sondern mein Lebensstil sucht sich die dazu passende Spiritualitätsform (vgl. ebd., 211). Ausschlaggebend ist: „Ich muss meinen Weg zur Ganzheit und zur spirituellen Tiefe finden. Die jeweilige Spiritualität muss dem Erleben entsprechen. Kein Wunder, dass die „Grundform des spirituellen Lebens […] die Suche
(ebd., 847) ist. Diese ‚Suche‘ sperrt sich häufig sogar gegen eine ‚institutionalisierte Religion‘, also auch gegen die Kirchen, ihre Autoritätsansprüche und Identitätsmarker. Denn die „sehen es ja als ihre Aufgabe an, die Suche zu verhindern oder innerhalb der festgelegten Regeln zu halten und vor allem einen bestimmten Verhaltenskodex vorzuschreiben" (ebd.). Spätmoderne religiöse Identität ist daher gekennzeichnet durch „einen Verlust an einer bestimmten Form authentischer Kirchenerfahrung, nicht zuletzt an kirchlicher Verortung. Was Kirche überhaupt bedeutet, wird […] zunehmend undeutlicher" (Hoff, 135). Zudem verfügt die Bindekraft einer Gemeinschaft nicht mehr über die Normen und Reichweite, um eine wirklich lebensumfassende Zusage der Individuen zu erhalten. Bilden sich Gemeinschaften, sind sie häufig ethisch (geteilte Werte), kulturell (geteilte Nation oder Ethnie) oder emotional (geteiltes Wir-Gefühl) motiviert. Wir haben es mit einem individualisierten und fragmentierten Christentum zu tun: einem affektiven, patrimonialen, humanitären, politischen, humanistischen, ästhetischen, … Christentum.
Zur zweiten Beobachtung: Die französische Religionssoziologin Danièle Hervieu-Léger spricht mit Blick auf die daraus folgenden neuen Ortsbestimmungen des Glaubens anschaulich von Pilgern und Konvertiten als den grundlegenden Dynamiken einer spätmodernen, nun fluiden Ver-Ortung (vgl. Hervieu-Léger). ‚Pilger‘ bedeutet (vgl. ebd., 78ff.): Religiosität ist prinzipiell unterwegs. Religiöse Identität ist kein ‚Erbe‘ mehr, sondern eine Wanderungsbewegung. Die Vergemeinschaftungsform ist also so etwas wie eine religiöse Pilgergemeinschaft oder eine Gemeinschaft aus religiösen Pilgern (Beispiel: Taizé), die geprägt ist durch Freiwilligkeit und Offenheit der Zugehörigkeit (fluide Gemeinschaften [‚für alle offen‘] ohne vorherige Sozialisation und ohne zukünftige Integration). Religiöse Praktiken sind eher am Außergewöhnlichen als an der Wiederholung orientiert (z. B. emotional aufgeladene Versammlungen wie Weltjugendtage als „Katholizismusausstellung" (ebd., 78), die nicht Einheit [oder gar Einheitlichkeit], sondern [durchaus differente] Pluralität sichtbar macht; mit einem emotional gestärkten Wir-Gefühl um