MitMenschen gewinnen: Wegmarken für Mission in der Region
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Buchvorschau
MitMenschen gewinnen - Evangelische Verlagsanstalt
Herausgegeben vom Kirchenamt der EKD
Band 2
MitMenschengewinnen
Wegmarken für Mission in der Region
Im Auftrag des
Zentrums für Mission in der Region
herausgegeben
von Hans-Hermann Pompe und Thomas Schlegel
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie;
detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.
© 2011 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.
Umschlagfoto: stm/Quelle: Photocase
Gesamtgestaltung: Kai-Michael Gustmann, Leipzig
E-Book
-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017
ISBN 978-3-374-04979-0
www.eva-leipzig.de
Geleitwort
Die Menschen in Deutschland werden immer weniger und immer älter. Ganze Regionen leeren sich, hier und da kommen sogar schon die Wölfe wieder zurück. Christinnen und Christen gehen nicht mehr einfach ins Nachbarhaus, um sich zu verabreden, sondern müssen telefonieren und dann das Auto nehmen. Viele Kirchen bleiben sonntags zum Gottesdienst halb, dreiviertel leer und manche werden noch nicht einmal aufgeschlossen. Nichts ist mehr selbstverständlich, sondern muss aufwändig organisiert werden. Da fragen wir uns: Was sollen wir tun? Wie soll es weitergehen? Sollen wir in deprimiertes Schweigen verfallen?
Doch vielleicht schauen wir auch dorthin, wo Schrumpfen längst drastische Realität ist. Wie es funktionieren kann, phantasievoll darauf zu reagieren, zeigt beispielhaft das Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes „shrinkingcities", schrumpfende Städte: Architekten, Wissenschaftler und Künstler untersuchten die jüngere Entwicklung schrumpfender Städte und machten konstruktive Vorschläge für einen Umbau. Dort, wo immer weniger ist, wo es kein Wachstum mehr gibt, sondern in erster Linie leer stehende Räume, Häuser, ganze Stadtteile, wo ganze Industriezweige zusammengebrochen sind und die demographische Entwicklung ihr Übriges tut, kommt es zu hochinteressanten und neuen Entwicklungen: Kunstprojekte, Stadtgärten oder intergenerationelles Zusammen-Wohnen sind entstanden, die allesamt die Lebendigkeit einer schrumpfenden Stadt aufzeigen.
Das Beispiel zeigt: Weniger zu werden ist zwar möglicherweise deprimierend, aber gerade eben kein Grund, deprimiert zu bleiben. Menschen zu begeistern, zu überzeugen, gerade daraus etwas zu machen, neu anzufangen, ist nicht immer nur beschwerlich, sondern kann gerade auch entlastend sein, von Lasten befreien.
Wir als Kirche müssen nicht einmal lange überlegen, wovon wir reden und wofür wir begeistern wollen: Wir haben die befreiende Botschaft des Evangeliums, besitzen „Leuchttürme" vorbildlicher kirchlicher Arbeit. Mission ist dabei mehr als ein Reden über Altbekanntes – sie ist Neuwerden, noch einmal Anfangen, und das ist sie sicherlich in anderen Strukturen: zentraler und dezentral zugleich.
Schon jetzt ist erkennbar, dass die kirchliche Arbeit in der Zukunft insbesondere in der Region einen anderen Blick braucht: Nicht jede Gemeinde muss und kann mehr alles tun, und einiges kann gemeinsam besser getan werden. Gemeinde auf Zeit und Zeiten für die Gemeinde werden wir sein und haben. Der Weg dorthin ist nicht leicht. Überforderung und Finanzprobleme, Enttäuschungen und Rückfälle wird es geben. Und doch: Nach mehr als 2000 Jahren dürfen wir wohl sagen: „Gott kann viel mehr tun, als wir jemals von ihm erbitten oder uns auch nur vorstellen können. So groß ist seine Kraft, die in uns wirkt. Deshalb wollen wir ihn mit der ganzen Gemeinde durch Jesus Christus ewig und für alle Zeiten loben und preisen. Amen." (Eph 3,20 f.)
In den hier vorgelegten Beiträgen aus dem „Zentrum Mission in der Region wird deutlich, dass Region nicht für Verlust, Sparen oder Rückwärtsbewegung steht, sondern in ihr das Potential für „Neues Land
, für einen missionarischen Aufbruch liegt.
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern spannende Entdeckungen!
Katrin Göring-Eckardt
Die Präses der
EKD-Synode
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Geleitwort
Hans-Hermann Pompe und Thomas Schlegel
Zur Einführung
Hans-Hermann Pompe
Fragwürdig leben.
Was missionarische Haltungen fördert
Heinzpeter Hempelmann
Gott im Milieu.
Vom Vorbild Gottes, der seine Welt verlässt, um bei uns in unserer Welt zu sein
Daniel Hörsch
Wie „ticken" die Menschen in einer Region?
Einführung in die Kirchendemographie
Heinzpeter Hempelmann
Wenn die „Mükke" dreimal zusticht.
Milieuübergreifendes kirchliches Handeln, basiert auf kirchendemographischen Erhebungen als Projekt des EKD-Zentrums Mission in der Region
Christhard Ebert
Mensch, wer bist du?
Gründe für eine Mitgliederorientierung in der Kirche
Martin Alex
Weites Land – ein weites Feld.
Kleine Ideen für Mission in ländlichen Räumen
Christhard Ebert
Und wenn der Nachbar nicht will?
Konkurrenz und Kooperation in der Kirche
Juliane Kleemann
Mit Erfolg daneben.
Anmerkungen zur Prozessdidaktik
Thomas Schlegel
„Weniger ist Zukunft".
Kirchliches Wachstum in Zeiten des Schrumpfens?
Liste der Autorinnen und Autoren
Weitere Bücher
Fußnoten
Hans-Hermann Pompe und Thomas Schlegel
Zur Einführung
Die evangelische Kirche lebt in Regionen, die das Leben von Menschen bestimmen. Sie ist selbst regional strukturiert – und sie arbeitet in regionalen Bezügen. Wo Kirche in Nachbarschaften, Quartieren, Regionen oder Räumen denkt, können neue Zielgruppen für das Evangelium erreicht werden: Kooperation, Ergänzung und Beschränkung sind Schlüsselaufgaben für eine kleiner und ärmer werdende Kirche, die ihre Mission ernst nimmt.
Mission ist auf der Agenda der Evangelischen Kirche in Deutschland weit nach oben gerückt. Spätestens seit der
EKD-Synode
1999 steht fest: „Die evangelische Kirche setzt das Glaubensthema und den missionarischen Auftrag an die erste Stelle, sie gibt dabei einer Vielfalt von Wegen und Konzepten Raum, ihr ist an der Kooperation und gegenseitigen Ergänzung dieser unterschiedlichen Wege und Konzepte gelegen" (Kundgebung der Synode). Die meisten Landeskirchen haben damit begonnen, sich ein gemeindenahes und theologisch verantwortetes Missionsverständnis zu erarbeiten. Sie brechen auf – hin zu Menschen, die mit Evangelium, Gott, Kirche oder Glaube nichts anfangen können. Und das macht Hoffnung.
Mission in der Region kann so etwas sein wie ein noch nicht ausgepacktes Geschenk: ein Mehrwert für Mission – entstehend aus einer Kooperation für Menschen, dem Wahrnehmen von Menschen, einem Aufbruch hin zu Menschen und einer Neuausrichtung an Menschen, die von Gemeinde und Kirche noch nicht oder nicht mehr erreicht werden. Im Zuge des
EKD-Reformprozesses
hat das „Zentrum Mission in der Region" die besondere Aufgabe, diesen Mehrwert zu durchdenken, Hilfen zu entwickeln, sie in der Praxis zu erproben und für Landeskirchen und Gemeinden verfügbar zu machen.
Mit diesem ersten Band aus dem „Zentrum Mission in der Region" legen die Mitarbeitenden der drei Standorte Dortmund, Stuttgart und Greifswald grundlegende und einführende Überlegungen zu Schlüsselthemen von Reform und Aufbruch vor.
In dem eröffnenden Beitrag führt Hans-Hermann Pompe aus, dass Mission nicht nur bedeutet, seinen Glauben ansteckend zu leben, sondern auch, frag-würdig Christ zu sein: „… sich selbst durch das Evangelium so infrage stellen zu lassen, dass die Antwort der Gnade das eigene Leben heilt und trägt; und für andere frag-würdig zu werden, von ihnen so mit Interesse beschenkt zu werden, dass sie uns der Nachfrage würdig halten. Zentral für eine solche Existenz sind missionarische Grundhaltungen, die das „Raum
-Klima der Begegnungen in Alltag und Gemeinde prägen und in zwei komplementäre Bewegungen münden: den attraktionalen Modus von Kirche, der auf das Kommen ausgerichtet ist, und den inkarnationalen Modus, der aus dem Hin-Gehen besteht.
In dieser Richtung bietet Heinzpeter Hempelmann in seinem Aufsatz „Gott im Milieu die theologische Fundierung: den Weg Gottes in die Tiefe – seine Menschwerdung. Im Anschluss an den Hymnus aus dem Philipperbrief rekonstruiert er drei Haltungen, die heutige Kirche von Gottes Selbstentäußerung lernen kann: Liebe macht Grenzüberschreitung erforderlich; sie verlangt die Beweglichkeit, Menschen in ihren Lebenswelten ähnlich zu werden; schließlich kann man sich von Jesus eine barmherzige, „urteilsfreie Zuwendung
zum anderen abgucken.
Diese Lernpotentiale greift Daniel Hörsch auf, indem er eindringlich daran erinnert, genau hinzuschauen, wie die Menschen in einer Region „ticken. Der erwünschte Wandel in der Kirche setzt einen Blickwechsel voraus, oder man könnte auch sagen: Mission beginnt mit dem Sehen! Sodann stellt Hörsch das Werkzeug Kirchendemographie vor, eine innovative „Sehhilfe
, die vom Zentrum Mission in der Region entwickelt wurde. Sie bietet einen internen „Elchtest und zielt auf den „Bartimäuseffekt
: Den Gemeinden einer Region werden die Augen geöffnet für „milieuspezifische, soziodemographisch bedingte Charakteristika einer Region".
Metaphorisch geht es weiter mit dem dreifachen Stich der „Mükke, der zu „Neuem reizen soll
. Heinzpeter Hempelmann führt hier in einem Überblick in die Milieutheorie ein und fragt nach ihrem dreifachen Potential für die Gemeindearbeit und
-analyse
. Er lässt diese Gedanken in konkrete Vorschläge münden, wie Gemeinde die Grenzen zwischen den Lebenswelten überschreiten kann.
Dass es bei der Mitgliederorientierung auch um eine urmissionarische Bewegung geht, nämlich dass „Gott bei den Menschen ankommt", erörtert Christhard Ebert in seinem Beitrag „Mensch, wer bist du?". Mitgliederorientierung könnte auch ganz knapp Beziehungspflege genannt werden: Es geht um den Aufbau und die Intensivierung von Kontakten zwischen Mensch und Gemeinde bzw. Mensch und Gott. Die einzelnen Bausteine dazu werden überblicksartig beschrieben und graphisch dargestellt.
Martin Alex macht noch einmal von anderer Seite aus deutlich, wie wichtig ein geschärfter Blick für die Mission der Kirche ist. Denn nicht nur verschiedene Milieus verdienen je eigene Aufmerksamkeit, sondern auch die unterschiedlichen Regionen: Selbst „das Land" ist heutzutage so disparat, dass es nicht die Lösung für alle Regionen gibt. Verschiedene Typen von „Land" werden exemplarisch vorgestellt, und es wird genau durchdacht, mit welchen Ideen man der je eigenen Situation begegnen kann.
Was allerdings viele – nicht nur ländliche – Kirchengemeinden inzwischen eint, ist das gemeinsame Arbeiten in einer Region. Darauf fokussiert Christhard Ebert in „Und wenn der Nachbar nicht will? – Konkurrenz und Kooperation in der Kirche. Obwohl rational vieles für die Zusammenarbeit verschiedener Gemeinden spricht, sieht die Realität oft anders aus: Neid und Konkurrenz sind ein „verborgenes, aber wirksames Hintergrundthema kirchlichen Tuns
. Ebert zeigt Regeln für Kooperationen auf, macht deutlich, welche Haltungen sie befördern und wie wichtig Transparenz für ihren Mehr-Wert ist. Überraschenderweise führt er dann den Konkurrenzbegriff aus „dem schroffen Gegensatz zur Kooperation heraus, indem er jenen wertfrei zu betrachten versucht. Oft seien es nur die Folgen des Fehlverhaltens, die einen Wettbewerb destruktiv wirken lassen. Indem auch die Schwächen einer Zusammenarbeit benannt werden, erhält man ein System, in dem Konkurrenz und Kooperation „in einem ausgewogenen Spannungsverhältnis
zueinander stehen.
Wie komplexe Systeme – z. B. Kirchenkreise oder Regionen – lernen und sich in geregelten Verfahren für die Zukunft qualifizieren, beleuchtet Juliane Kleemann in ihrem Beitrag „Mit Erfolg daneben – Anmerkungen zur Prozessdidaktik. Dabei geht sie konkret auf solche Prozesse ein, die einer Gemeinde oder einer Region mehr missionarische Außenwirkung verleihen können. Die verschiedenen Phasen werden benannt, die zentrale Bedeutung der „Hypothesenbildung
, in der Unkonventionelles gedacht werden soll, wird unterstrichen. Gemeinden tun sich damit erfahrungsgemäß schwer, so auch mit der letzten Phase, der Evaluation – obwohl gerade in dem Erkennen eines Fehlers der nachhaltigste Lerneffekt für eine Organisation liegt.
Thomas Schlegel diskutiert abschließend die Frage, wie sich der reformorientierte Wille zu wachsen mit der Erfahrung des akuten Schrumpfens, dem die Kirche ausgesetzt ist, zusammen denken lässt. Eine Auswertung der Mitgliedschaftsentwicklung in den
EKD-Gliedkirchen
der Neuen Bundesländer macht klar, dass vieles, aber nicht alles demographisch bedingt ist. Entgegen beliebten Verdrängungsmechanismen plädiert Schlegel für eine offene theologische Diskussion des Themas „Schrumpfen". Ausgehend vom biblischen Befund liefert er dazu einen ersten Beitrag. Mission, so das Fazit, orientiert sich immer an qualitativem und quantitativem Wachstum, kann aber auf dem Boden einer ecclesiologia crucis auch bedeuten: Shrink positive! Shrink intelligent!
Weitere Aspekte von Raum und Region, von Mission und Kooperation sowie Bausteine für ein zukunftsfähiges Regionen-Verständnis sind für die Folgebände vorgesehen.
Hans-Hermann Pompe
Fragwürdig leben
Was missionarische Haltungen fördert
„Mission ist Werbung für die Schönheit eines Lebenskonzeptes. Ich teile mit anderen, was ich schön finde." (Fulbert Steffensky)
Im Jahr 2001 gehörte ich einer Arbeitsgruppe an, die die Ergebnisse der Leipziger Missionssynode der EKD auf die Gegebenheiten der Evangelischen Kirche im Rheinland übertragen sollte. Wie findet man einen hilfreichen Missionsbegriff für eine plurale, große Landeskirche, die mit Mission mehrheitlich eher Schwierigkeiten hat? Die Gruppe entschied sich, mit einer einfachen Frage zu beginnen: „Wessen Mission hat dich gewonnen?" Wir gingen davon aus, dass für die meisten Menschen auf ihrem Weg zum Glauben andere Menschen wichtig waren.
„Da denkt man über Mission nach – und dann ist es die eigene Mutter!, kommentierte überrascht Martin Dutzmann, ein beteiligter Superintendent. Die einfache Frage nach den Menschen an unserem Weg des Glaubens hat überall, wo sie gestellt wurde, zu einem regen Austausch geführt. Jemand aus einer örtlichen Gemeindeleitung sagte überrascht: „Wir sitzen seit 20 Jahren zusammen und haben uns heute zum ersten Mal von unserem Glauben erzählt
– auch hier erlebten alle Beteiligten diesen Austausch als enorm bereichernd.
Die Freude an der Weitergabe des eigenen Glaubens lässt sich nun weder durch Papiere verordnen noch per Mehrheit beschließen, sondern sie entsteht aus der Begegnung mit dem lebendigen Gott. Jesus hat seinen Jüngern gesagt: „Ich bin gekommen, ein Feuer anzuzünden auf Erden; was wollte ich lieber, als dass es schon brennte!" (Lk 12,49) Feuer verbreitet sich durch Ansteckung. Es werden ansteckende Menschen gebraucht, um das Feuer des Evangeliums auf andere zu übertragen. Dieser Prozess bleibt ein Geschehen des Geistes Gottes, er ist weder regelbar noch zu instrumentalisieren. Aber es gibt Faktoren, die solches Anstecken unterstützen oder es verhindern. Wer wird schon in einer abweisenden Atmosphäre das mitteilen, was er schön findet? Umgekehrt: Wer kann für sich behalten, was ihn trägt, wenn andere offen danach fragen? Missionarische Haltungen brauchen einen