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Hucho - Aerodynamik des Automobils: Strömungsmechanik, Wärmetechnik, Fahrdynamik, Komfort
Hucho - Aerodynamik des Automobils: Strömungsmechanik, Wärmetechnik, Fahrdynamik, Komfort
Hucho - Aerodynamik des Automobils: Strömungsmechanik, Wärmetechnik, Fahrdynamik, Komfort
eBook2.200 Seiten17 Stunden

Hucho - Aerodynamik des Automobils: Strömungsmechanik, Wärmetechnik, Fahrdynamik, Komfort

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Über dieses E-Book

Leistung, Fahrverhalten und Komfort eines Automobils werden nachhaltig von seinen aerodynamischen Eigenschaften bestimmt. Ein niedriger Luftwiderstand ist die Voraussetzung dafür, dass die hochgesteckten Verbrauchziele erreicht werden. Die Aerodynamik des Automobils ist 1981 erstmalig erschienen und seitdem zu einem Standardwerk geworden. Der Stoff ist von Praktikern erarbeitet worden, die aus einer Vielzahl von Versuchen strömungsmechanische Zusammenhänge ableiten und Strategien beschreiben. Bei unveränderter Gesamtkonzeption wurden für die 6. Auflage neue Ergebnisse zum induzierten Widerstand und zur Haltung der Fahrtrichtung bei Seitenwind aktualisiert. Völlig neu wurden die Kapitel über Kühlung und Durchströmung (HVAC) sowie über Motorradaerodynamik, numerische Methoden wie CFD und CAA erarbeitet.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Vieweg
Erscheinungsdatum12. Sept. 2013
ISBN9783834823168
Hucho - Aerodynamik des Automobils: Strömungsmechanik, Wärmetechnik, Fahrdynamik, Komfort

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    Buchvorschau

    Hucho - Aerodynamik des Automobils - Thomas Schütz

    Thomas Schütz (Hrsg.)ATZ/MTZ-FachbuchHucho - Aerodynamik des Automobils6., vollst. überarb. u. erw. Aufl. 2013Strömungsmechanik, Wärmetechnik, Fahrdynamik, Komfort10.1007/978-3-8348-2316-8_1© Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

    1. Einführung

    Wolf-Heinrich Hucho¹  

    (1)

    Gärtnereiweg 3, 86938 Schondorf am Ammersee, Deutschland

    Wolf-Heinrich Hucho

    Email: HuchoWHH@t-online.de

    1.1 Aufgabenstellung

    1.1.1 Zielgrößen

    1.1.2 Charakterisierung der Fahrzeugaerodynamik

    1.1.3 Angrenzende Fachgebiete

    1.2 Entwicklung der Fahrzeugaerodynamik

    1.2.1 Literatur

    1.2.2 Der Zeit voraus

    1.2.3 Leitgröße c W

    1.2.4 Formfindung für den Pkw

    1.2.5 „Entliehene" Formen

    1.2.6 Stromlinien

    1.2.7 Erste Parameterstudien

    1.3 Von der Kutsche zum Automobil

    1.3.1 Tiefziehen

    1.3.2 Ponton-Karosserie

    1.3.3 Einvolumen-Körper

    1.4 Heckformen

    1.4.1 Kamm-Heck

    1.4.2 Schrägheck

    1.4.3 Stufenheck

    1.4.4 Vollheck

    1.5 Richtungsstabilität

    1.6 Nutzfahrzeuge

    1.7 Motorräder und Schutzhelm

    1.8 Innere Strömungen

    1.8.1 Motorraum

    1.8.2 Fahrgastraum

    1.9 Entwicklungsstrategien

    1.9.1 Detailoptimierung

    1.9.2 Formoptimierung

    1.9.3 Grenzwert

    1.10 Design und Aerodynamik

    1.11 Werkzeuge für die Entwicklung

    1.11.1 Windkanäle

    1.11.2 Rating

    1.11.3 Klassischer Weg

    1.11.4 Ganzheitliche Verfahren

    Zusammenfassung

    Wesentliche Eigenschaften eines Automobils werden von der Aerodynamik beeinflusst. Im Vordergrund stehen die Fahrleistungen: Der Verbrauch und damit zugleich die Emissionen. Und natürlich die Spitzengeschwindigkeit, wenngleich deren Stellenwert etwas in den Hintergrund getreten ist, zumindest in der Werbung; der Käufer interessiert sich nach wie vor dafür. Die Fahrleistungen sind jedoch nicht alles. Worauf es ebenso ankommt, das vermittelt Abb. 1.1 mit einer Übersicht.

    Geradeauslauf, Seitenwindstabilität, Komforteigenschaften wie Windgeräusche, Heizung, Belüftung und Klimatisierung des Fahrgastraumes, Sicht, Schmutzfreihaltung der Karosserie, Kühlung von Motor, Getriebe und Bremsen, Kräfte auf Einzelteile wie Deckel und Türen, alle diese für die Eigenschaften eines Autos maßgeblichen Kategorien hängen von seiner Umströmung und seiner Durchströmung ab.

    Sieht man einmal von den Rennwagen ab, dann wird die Form eines Autos aber primär nicht davon bestimmt, dass mit ihr gewünschte aerodynamische Eigenschaften verwirklicht werden sollen – wie es zum Beispiel bei einem Flugzeug der Fall ist. Das wird darauf ausgelegt, einen vorgegebenen Auftrieb bei möglichst niedrigem Luftwiderstand zu erzeugen. Im Gegenteil, die Form eines Autos wird unter funktionalen, ökonomischen und vor allem nach ästhetischen Gesichtspunkten entwickelt. Die angeführten aerodynamischen Zielgrößen sind mit möglichst unauffälligen Maßnahmen zu erreichen.

    1.1 Aufgabenstellung

    1.1.1 Zielgrößen

    Wesentliche Eigenschaften eines Automobils werden von der Aerodynamik beeinflusst. Im Vordergrund stehen die Fahrleistungen: Der Verbrauch und damit zugleich die Emissionen. Und natürlich die Spitzengeschwindigkeit, wenngleich deren Stellenwert etwas in den Hintergrund getreten ist, zumindest in der Werbung; der Käufer interessiert sich nach wie vor dafür. Die Fahrleistungen sind jedoch nicht alles. Worauf es ebenso ankommt, das vermittelt Abb. 1.1 mit einer Übersicht.

    A289179_6_De_1_Fig1_HTML.gif

    Abb. 1.1

    Aufgabenspektrum der Fahrzeugaerodynamik. Foto Volkswagen AG

    Geradeauslauf, Seitenwindstabilität, Komforteigenschaften wie Windgeräusche, Heizung, Belüftung und Klimatisierung des Fahrgastraumes, Sicht, Schmutzfreihaltung der Karosserie, Kühlung von Motor, Getriebe und Bremsen, Kräfte auf Einzelteile wie Deckel und Türen, alle diese für die Eigenschaften eines Autos maßgeblichen Kategorien hängen von seiner Umströmung und seiner Durchströmung ab.

    Sieht man einmal von den Rennwagen ab, dann wird die Form eines Autos aber primär nicht davon bestimmt, dass mit ihr gewünschte aerodynamische Eigenschaften verwirklicht werden sollen – wie es zum Beispiel bei einem Flugzeug der Fall ist. Das wird darauf ausgelegt, einen vorgegebenen Auftrieb bei möglichst niedrigem Luftwiderstand zu erzeugen. Im Gegenteil, die Form eines Autos wird unter funktionalen, ökonomischen und vor allem nach ästhetischen Gesichtspunkten entwickelt. Die angeführten aerodynamischen Zielgrößen sind mit möglichst unauffälligen Maßnahmen zu erreichen.

    Dabei kommt dem Design eine überragende Bedeutung zu. Seine Aufgabe besteht darin, der Technik eine ansprechenden Form zu geben, die in die Zeit passt, die mit dem Lebensgefühl der Gesellschaft im Einklang ist. Der Designer muss ständig nach neuen Ausdrucksformen suchen; dabei wird er von Randbedingungen eingeengt, die teilweise im Widerspruch zueinander stehen: Markenähnlichkeit und Differenzierung innerhalb der Modellreihe, Kontinuität und Fortschritt.

    Für die Aerodynamik des Automobils folgt daraus zweierlei:

    die aerodynamischen Eigenschaften eines Autos ergeben sich in der Regel primär als Konsequenz seiner Form, nicht als deren Begründung.

    das Ziel kann nicht die eine, die ultimative Form sein, wie sie z. B. von den modernen Verkehrsflugzeugen verkörpert wird. Die Aerodynamik des Automobils sieht sich mit immer neuen Formen konfrontiert; andererseits wirkt sie aber durchaus auf das Design, auf die Form zurück.

    1.1.2 Charakterisierung der Fahrzeugaerodynamik

    Die Fahrt eines Automobils ist mit einer Reihe von Strömungsvorgängen verbunden; sie lassen sich in drei Kategorien einteilen, nämlich in die:

    Umströmung des Fahrzeuges;

    Durchströmung von Karosserie, Motor- und Fahrgastraum;

    Strömungen innerhalb seiner Aggregate.

    Die beiden zuerst genannten Felder sind eng miteinander gekoppelt. So hängt z. B. die Luftbewegung im Motorraum direkt von der das Fahrzeug umgebenden Strömung ab, und zugleich wirkt die Durchströmung des Motorraumes auf eben diese Umströmung zurück. Beide Felder müssen in ihrer Wechselwirkung betrachtet werden; beide sind Gegenstand der Automobil-Aerodynamik. Dagegen sind die Strömungsprozesse im Inneren von Motor und Getriebe von den beiden anderen Feldern völlig entkoppelt; ein Zusammenhang besteht nur über die Fahrmechanik. Sie werden nicht zur Aerodynamik gerechnet, und folglich werden sie hier nicht behandelt.

    Aus Sicht des Aerodynamikers sind Automobile stumpfe Körper . Ihr Seitenverhältnis, das ist ihre Breite (oder Höhe) im Verhältnis zu ihrer Länge, ist klein. Autos bewegen sich bei einem Bodenabstand, der klein im Vergleich zu ihrer Höhe ist. Ihre Formen sind mannigfaltig, und sie sind, wie mit Abb. 1.2 symbolisiert, äußerst komplex. Ihre Umströmung hat dreidimensionalen Charakter, und die Grenzschichten sind voll turbulent. Typisch sind die zahlreichen Ablösungen . Nach ihrer Kinematik lassen sich bei diesen, wie in Abb. 1.3 schematisiert, zwei verschiedene Arten unterscheiden: Nimmt eine Ablösung ihren Ausgang von einer Linie – oder Kante – die vornehmlich senkrecht zur örtlichen Strömung verläuft, Abb. 1.3a, dann führt das zur Bildung eines Totwassers . Innerhalb dessen ist die Strömung instationär, ja chaotisch, und in der Regel herrscht mäßiger Unterdruck. Dieser Typus der Ablösung tritt z. B. an einem stumpfen Heck auf. Unter bestimmten Bedingungen kommt es nach der Ablösung zum Wiederanlegen ; dabei entsteht eine Ablöseblase . Eine derartige Strömungsform bildet sich z. B. im Windlauf , wenn die Windschutzscheibe zu steil steht. Löst die Strömung dagegen an einer schrägen Linie – oder Kante – ab, Abb. 1.3b, dann rollt sie sich zu einer „Wirbeltüte" auf und bildet einen Längswirbel , der stromabwärts lange stabil bleibt, bis er schließlich dissipiert. Er induziert auf der Kontur in seiner Nähe einen hohen Unterdruck. Beim Pkw kann sich eine derartige Ablösung an schrägstehenden C-Säulen ausbilden, ebenso aber auch an den A-Säulen. Lange Zeit ist diese Art der Ablösung, das Aufrollen von Wirbeltüten, in der Fahrzeugaerodynamik nicht verstanden, ja mitunter sogar ganz übersehen worden.

    A289179_6_De_1_Fig2_HTML.gif

    Abb. 1.2

    Die Mannigfaltigkeit von Formen, mit denen sich die Fahrzeugaerodynamik auseinander zu setzen hat

    A289179_6_De_1_Fig3_HTML.gif

    Abb. 1.3

    Die zwei Arten der Strömungsablösung. a an einer Kante senkrecht zur örtlichen Strömungsrichtung, b an einer schräg zur lokalen Strömung verlaufenden Kante (ohne Linie)

    Beide Formen der Ablösung, Totwasser und Längswirbel, interferieren miteinander. Sie sind für einen großen Teil des Luftwiderstands verantwortlich. Ihre Gestaltung bildet einen wesentlichen Teil der Entwicklungsarbeit, im Windkanal sowie am Rechner. Hinzu kommen Strömungen in teilweise offenen Hohlräumen, um mehrere Körper, um rotierende Räder und in durchströmten Kanälen.

    Es ist die Aufgabe des Fahrzeugaerodynamikers, diese komplexen Strömungsfelder durch geeignete Maßnahmen günstig zu gestalten. Was in diesem Zusammenhang unter günstig zu verstehen ist, soll in dieser Einführung nur kurz umrissen werden; es ist Gegenstand dieses Buches und wird in den einzelnen Kapiteln ausführlich behandelt.

    Wie komplex die Umströmung eines Autos ist, lässt sich sichtbar machen, im Windkanal und auf dem Bildschirm. Ein Beispiel für ersteres liefern Rauchbilder wie in Abb. 1.4. Die Rauchfäden ¹, Abb. 1.4a, die in der Ebene des Längsmittelschnittes eingeleitet wurden, zeigen den Verlauf der Stromlinien bei symmetrischer Anströmung, wenn also das Fahrzeug bei Windstille fährt. Über weite Strecken bleibt die Strömung an der Kontur anliegend, selbst bei der Umrundung von Kanten mit vergleichsweise kleinem Radius. Dort, wo die Stromlinien eng beieinander liegen, ist die Strömungsgeschwindigkeit hoch und folglich herrscht Unterdruck; es entsteht Auftrieb. Besonders auffallend ist die Ablösung an der Hinterkante des Daches. Am Heck bildet sich ein großvolumiges Totwasser ² aus. Dieses kann, hier nicht ausgeführt, im Windkanal sichtbar gemacht werden, indem der Rauch nicht der „gesunden" Strömung sondern der abgelösten hinter dem Fahrzeug zugeführt wird. Er füllt das ganze Totwasser aus, bis hin zum Ort der Ablösung.

    A289179_6_De_1_Fig4_HTML.gif

    Abb. 1.4

    Sichtbarmachung der Strömung . a mit Rauch im Windkanal, b numerisch berechnet. Foto und Bild Daimler AG

    Sehr viel Mühe wird darauf verwandt, die lokalen Strömungsfelder zu gestalten: Die Luft ist so um das Fahrzeug zu führen, dass Scheiben und Leuchten frei von Schmutz bleiben, dass keine Wassersträhnen den Blick in die Außenspiegel trüben, dass keine lästigen Windgeräusche entstehen, die Scheibenwischer nicht abheben und dass die Ölwanne des Motors und die Bremsen zuverlässig gekühlt werden.

    Die Durchströmung der Karosserie ist so auszulegen, dass die Verlustwärme des Motors unter allen Betriebsbedingungen abgeführt wird, ebenso auch die Abwärme aus den Kühlern für Öl, Ladeluft und rezirkuliertem Abgas sowie vom Kondensator der Klimaanlage. Im Fahrgastraum hat sie für einen zugfreien Luftwechsel zu sorgen. Zu beachten sind dabei die Temperaturfelder: im Motorraum ist die Luft so zu führen, dass die Hilfsaggregate nicht zu heiß werden; im Fahrgastraum derart, dass sich Fahrer und Fahrgäste behaglich fühlen. Bevorzugt wird hier eine Schichtung nach dem Motto: Kühler Kopf und warme Füße.

    Damit ist kurz umrissen, welchen Einfluss die Aerodynamik auf die Gestaltung des Fahrzeuges ausübt, nicht nur auf seine äußere Form und damit auf das Design , sondern auch auf die inneren Räume und auf viele seiner konstruktiven Details. Das bringt es mit sich, dass sich der Aerodynamiker ständig mit Argumenten auseinandersetzen muss, welche von Design, Konstruktion und Versuch ins Feld geführt werden. Nur wenn er die Probleme dieser anderen Fakultäten richtig versteht, kann er auf sie eingehen, nur dann kann er die Aerodynamik im Automobilbau zur Geltung bringen. Dazu gehört auch, dass er akzeptiert, dass sein Fach beim Auto einen anderen Stellenwert hat, als z. B. beim Flugzeug, dass es hier, wie schon erwähnt, nicht entwurfsbestimmend ist³.

    1.1.3 Angrenzende Fachgebiete

    Zur Aerodynamik der Automobile gibt es in anderen Gebieten der angewandten Strömungsmechanik – allesamt „stumpfe Körper " – eine Reihe von Parallelen, und zwar bezüglich der Aufgabenstellung, der Randbedingungen und der Methodik, wie sie bearbeitet werden. Ihre (kurze) Darstellung soll den Fahrzeugaerodynamiker dazu ermuntern, diese angrenzenden Fachgebiete im Auge zu behalten⁴.

    Die engste Verwandtschaft besteht zu den Schienenfahrzeugen; die Strömungsfelder um Auto und Eisenbahn sind einander verwandt. Ein wesentlicher Unterschied ergibt sich daraus, dass bei der Bahn durch Kopplung mehrerer Wagen zu einem Zug ein im Verhältnis zu seiner Breite und Höhe sehr langer Körper entsteht. Das mit der Folge, dass die Grenzschicht am Ende eines Zuges extrem dick ist. Die wesentlichen Entwicklungsziele der Eisenbahn -Aerodynamik sind:

    Niedrige Druckspitzen („Druckstoß, auch „Kopfwelle genannt) beim Begegnen von Zügen, bei der Einfahrt in Tunnels und beim Durchfahren von Bahnhöfen;

    niedriger Luftwiderstand;

    Reduzierung der Windgeräusche;

    Kontrolle des Seitenwindeinflusses;

    Abstimmung von Innen- und Außenströmung für Zwecke der Kühlung und Klimatisierung.

    Die modernen Hochgeschwindigkeitszüge fahren sehr viel schneller als die meisten Autos. Wie sich dadurch bei der Formgestaltung die Prioritäten verschieben, wird am Beispiel des Bugs deutlich: Vor allem beim Reisebus ist dafür das Kriterium „niedriger Luftwiderstand maßgeblich. Eine Vorgabe, die sich mit vergleichsweise kleinen Radien an den führenden Kanten erfüllen lässt. Dagegen ist es bei der Bahn das Ziel, den Druckstoß zu minimieren. Das führt zu Kopfformen, die umso schlanker sein müssen, je schneller der Zug fährt. Erschwerend kommt hinzu, dass bei „Triebzügen die Formen von Bug und Heck identisch sind. Für sich betrachtet sollte der rückwärts laufende Kopf – also das Heck – nach dem Kriterium niedriger Widerstand gestaltet werden, womit er möglicherweise formbestimmend würde – was aber bis jetzt, nach Wissen des Autors, so noch nicht ausgeführt wurde.

    Zahlreich sind auch die Bezüge zur Aerodynamik der Bauwerke . Aus Sicht der Strömungsmechanik ergeben sich folgende Parallelen:

    Bauten sind in der Mehrzahl stumpfe Körper;

    ihre Umströmung ist durch Ablösungen gekennzeichnet;

    Bodeneinfluss und Bodengrenzschicht sind ausgeprägt;

    zwischen mehreren Bauwerken herrscht Interferenz.

    In der Entwicklung werden vergleichbare Ziele verfolgt:

    Bestimmung der wirkenden Luftkräfte auf das Bauwerk als Ganzes;

    Ermittlung der Luftkräfte auf Teile wie Dächer, Fassaden, Fenster und Antennen;

    Beeinflussung des bodennahen Strömungsfeldes zum Schutz von Passanten, aber auch von Fahrzeugen;

    Abstimmung von Umströmung und Durchströmung für Klimatisierung und Feuerung.

    Ein besonderes Phänomen der Gebäude-Aerodynamik stellen die aeroelastischen Vorgänge dar⁵. Diese könnten auch in der Fahrzeugtechnik aktuell werden, wenn dort verstärkt vom Leichtbau Gebrauch gemacht wird. Extrem leicht gebaute, großflächige und schwach gewölbte Teile wie Dächer, Deckel und Türen könnten von der Umströmung zum Flattern angeregt werden, ebenso aber auch das Verdeck eines Kabrioletts .

    Parallelen ergeben sich auch zum Schiff, auch zu dessen Überwasser-Teil; denn diese sind ebenfalls stumpfe Körper. Ablösungen treten an schrägen Kanten auf. Entwicklungsziel ist ein niedriger Widerstand. Und gelegentlich bedient sich der Fahrzeugaerodynamiker der Versuchstechnik der Schiffbauer. So wurden mit Autos Versuche im Wasserkanal und sogar im Schleppkanal ausgeführt.

    Auch bei der Auslegung der inneren Strömungsfelder kann der Fahrzeugtechniker Lösungen aufgreifen, die sich anderswo bewährt haben. So konnten bei der Erarbeitung der Grundlagen der Motor-Kühlluftführung die Ergebnisse der Entwicklung von Ölkühlern für Flugzeuge, den sogenannten Düsenkühlern, genutzt werden. Die Klimatisierung des Fahrgastraumes erweist sich nicht zuletzt wegen dessen Enge als äußerst schwierig. Bei den physiologischen Anforderungen kann aber ebenso auf Erkenntnisse der Raumklimatisierung zurückgegriffen werden, wie bei der Lösung einzelner strömungstechnischer Probleme, so z. B. bei der Dimensionierung geschlossener Kanäle, der Verteiler und Ausströmer.

    Schließlich gibt es mit den genannten Nachbargebieten Gemeinsamkeiten in der Versuchstechnik, der Messtechnik und bei den numerischen Verfahren.

    1.2 Entwicklung der Fahrzeugaerodynamik

    1.2.1 Literatur

    Vorweg: Eine umfassende Darstellung der zeitlichen Entwicklung der Automobilaerodynamik, ihrer Geschichte also, gibt es nach Wissen des Autors noch nicht. Will man sich ein Bild von ihr verschaffen, muss man auf einzelne Publikationen zurückgreifen, die entweder dem Werk einzelner Erfinder gewidmet sind oder die versuchen, einen Überblick zu geben, das vornehmlich aus nationaler Sicht⁶.

    Mit dem vorliegenden Abschnitt wird versucht, aus einer verwirrenden Vielfalt von „Aero -Ideen", nur gedachten und solchen, die zumindest in Prototypen realisiert wurden, den roten Faden der Evolution hin zu niedrigerem Luftwiderstand herauszupräparieren und zwar unter zwei Aspekten: Was ist aus Sicht der Aerodynamik wirklich neu, und was davon hat sich als tauglich für die Serie erwiesen. Zwei grundverschiedene Ansätze lassen sich erkennen. Der eine, in Abb. 1.5 skizziert, beginnt – immer aufs Neue – mit einer aerodynamischen Idee und formt sie aus. Daraus sind neben exotischen Vehikeln originelle Limousinen entstanden – z. B. Citroen DS 19 und NSU Ro 80 – eher Einzelstücke, die nicht für die Ableitung von Typenreihen geeignet, die nicht entwicklungsfähig waren. Nach dem anderen Ansatz, rechts in Abb. 1.6, analysiert der Aerodynamiker den Entwurf des Designs, identifiziert strömungsmechanische Schwachstellen und beseitigt diese schrittweise, mit möglichst unauffälligen Maßnahmen. Wie beide Wege in der Praxis aussehen, wird in den folgenden Abschnitten anhand von konkreten Beispielen ausgeführt.

    A289179_6_De_1_Fig5_HTML.gif

    Abb. 1.5

    „Pannel Historique" der Fahrzeugaerodynamik nach Barreau und Boutin (2008)

    A289179_6_De_1_Fig6_HTML.gif

    Abb. 1.6

    Konvergenz der Aerodynamik-Entwicklung, nach Hucho (2005)

    1.2.2 Der Zeit voraus

    Die Aerodynamik wurde von der Automobiltechnik nur sehr zögerlich akzeptiert; die Synthese aus beiden ist erst nach mehreren vergeblichen Anläufen gelungen. Das ist umso verwunderlicher, als sich doch in den benachbarten Disziplinen der Verkehrstechnik, im Schiffbau und im Flugzeugbau, die Symbiose mit der Strömungsmechanik von Anbeginn als äußerst fruchtbar erwiesen hatte. Vielleicht hatten es die Konstrukteure der Schiffe und Flugzeuge einfacher. Sie konnten sich an Vorbildern in der Natur orientieren, an den Fischen und den Vögeln, denen sie wesentliche Formmerkmale abschauten. Diese waren nicht nur Aerodynamik pur, sie waren Natur. Damit ließ es sich trefflich argumentieren. Dem Auto fehlte ein derartiges Pendant. Und so versuchten es seine Formgestalter – die zugleich seine Konstrukteure waren – zunächst mit Anleihen in der Schiffs- und der Flugtechnik. Aber, was dort sinnvoll war, musste es nicht unbedingt in der Automobiltechnik sein. Erst als sie das erkannten und sich von diesen falschen Vorbildern lösten, gelang der Aerodynamik auch im Auto der Durchbruch.

    Eine weitere Ursache für die sich wiederholenden Misserfolge der Aerodynamik am Auto ist darin zu suchen, dass die ersten Ansätze ihrer Zeit zu weit voraus waren. Auf den damaligen schlechten Straßen konnten die vergleichsweise schwach motorisierten Automobile nur sehr langsam fahren, nicht viel schneller, als die Pferdekutschen. Stromlinienförmige, windschnittige Karosserien mussten da geradezu absurd wirken. Denn der Schutz der Insassen vor Wind, Regen und Staub ließ sich auch mit den vertrauten Bauformen der Kutsche gewährleisten. Das Vorurteil aber, dass strömungsgünstige Formen etwas für spleenige Sonderlinge seien, hielt sich auch dann noch, als es aus ökonomischen Gründen längst dringend geboten war, die Vorzüge der Aerodynamik zu nutzen.

    1.2.3 Leitgröße c W

    Die Historie der Fahrzeugaerodynamik soll anhand der Kenngröße c W geschildert werden; diese Zahl hat immer im Brennpunkt des Interesses gestanden, galt zeitweise fast als Synonym für das Fach. Dass damit nur ein Teilaspekt berührt wird, wurde schon betont.

    Wie in Kap. 2 näher ausgeführt, der Luftwiderstand F W – und natürlich auch alle anderen Komponenten der resultierenden Luftkraft sowie die Luftmomente – wächst mit dem Quadrat der Fahrgeschwindigkeit v F an:

    $${F_{\text{W}}} \sim v_{\text{F}}^2\;.$$

    (1.1)

    Bei einem Mittelklasse-Pkw beträgt sein Anteil am gesamten Fahrwiderstand bei einer Geschwindigkeit von v F = 100 km/h bereits 75 bis 80 %. Durch Reduzierung des Luftwiderstands kann also die Antriebsökonomie eines Autos entscheidend verbessert werden. Nach wie vor steht deshalb auch das Ziel der Minimierung des Luftwiderstands im Mittelpunkt der Fahrzeugaerodynamik. War früher das treibende Motiv dafür die Erhöhung der Spitzengeschwindigkeit , so ist es heute die Senkung des Verbrauchs und, damit gekoppelt, die Reduzierung der Kohlendioxyd-Emissionen. Schreibt man Gl. 1.1 für den Widerstand vollständig an, so ist

    $$F_{\text{W}} = c_{\text{W}}A_{\text{x}} \frac{\rho}{2} v_{\text{F}}^2\;.$$

    (1.2)

    Dabei ist c W der dimensionslose Widerstandsbeiwert , A x ist die Projektionsfläche des Fahrzeugs in dessen Längsrichtung, wie mit Abb. 1.7 definiert, und ρ ist die Dichte der umgebenden Luft, für die in Abschn. 2.​4.​1 ein Zahlwert mitgeteilt wird.

    A289179_6_De_1_Fig7_HTML.gif

    Abb. 1.7

    Definition der Stirnfläche A x eines Fahrzeuges

    Der Luftwiderstand F W eines Fahrzeuges wird also einmal von dessen Größe bestimmt, die sich ihrerseits gut durch seine Stirnfläche A x beschreiben lässt⁷. Zum anderen hängt der Luftwiderstand von der Form des Autos ab, und deren aerodynamische Güte wird durch den c W-Wert ausgedrückt. In der Regel ist die Fahrzeuggröße – und damit die Stirnfläche A x – im Lastenheft festgeschrieben. Die Minimierung des Luftwiderstands konzentriert sich dann ausschließlich auf den c W-Wert und dessen Beeinflussung von der Form.

    1.2.4 Formfindung für den Pkw

    Über die Entfaltung der Aerodynamik im Fahrzeugbau gibt die Schautafel in Abb. 1.6 einen Überblick; sie beschränkt sich auf den Pkw. Danach lassen sich vier Phasen ausmachen, die natürlich weder zeitlich noch inhaltlich so scharf gegeneinander abzugrenzen sind, wie im Bild schematisiert. Die Betrachtung orientiert sich allein an strömungsmechanischen Aspekten: Wann wurden welche Effekte entdeckt? Wie wurden sie in technische Lösungen umgesetzt? Dabei sollen auch die beschrittenen Irrwege nicht übergangen werden; an ihnen wird besonders anschaulich, was erforderlich ist, um Aerodynamik bei Fahrzeugen zu realisieren.

    Die ersten beiden Abschnitte, in Abb. 1.6 mit „geborgte Formen und „Stromlinie bezeichnet, wurden von einzelnen Personen geprägt, sind mit deren Namen verbunden. Später verlagerte sich die Entwicklung der Aerodynamik in die Autofirmen hinein und verschmolz mit deren Produktentwicklung. Statt der Namen einzelner Erfinder treten nun Typenbezeichnungen und Fahrzeugnamen hervor, wenn aerodynamische Phänomene benannt werden.

    Soweit in den Veröffentlichungen Zahlenangaben gemacht werden – im Mittelpunkt steht auch da der c W-Wert – sind diese äußerst kritisch zu bewerten. Das gilt keineswegs nur für die aus der älteren Literatur. Solange mit verkleinerten Modellen gearbeitet wurde – und deren Einsatz ist auch heute noch üblich – sind die Messergebnisse schon deshalb häufig nur mit Vorbehalt vergleichbar, weil die Modellgesetze nicht immer genau eingehalten wurden. Wo immer das möglich ist, werden ältere Angaben der Literatur durch neuere Messergebnisse ergänzt. Dabei ist es besonders reizvoll, Messungen heranzuziehen, die an „Oldtimern" im Original in Großwindkanälen ausgeführt wurden. Als Beispiel sei der Tatra 87 angeführt, Abb. 1.8. Er wurde als Modell im Maßstab 1 : 5 bei der DVL in Berlin Adlershof untersucht; Koenig-Fachsenfeld (1936) veröffentlichte 1941 daraus c W = 0,244. Aus Höchstgeschwindigkeit und Motorleistung wurde zur gleichen Zeit c W = 0,31 errechnet. Die spätere Messung an einem Original, ausgeführt im großen Klimawindkanal der Volkswagen AG, ergab c W = 0,36.

    A289179_6_De_1_Fig8_HTML.jpg

    Abb. 1.8

    Der Tatra 87 von 1937, Konstrukteur Ledwinka, im großen Klimawindkanal der Volkswagen AG. Foto VW, Exponat Verkehrszentrum Deutsches Museum, München, c W = 0,36

    1.2.5 „Entliehene" Formen

    Bei den ersten Versuchen, Fahrzeuge nach aerodynamischen Gesichtspunkten zu gestalten, orientierten sich die Karosseure an Formen, die sich im Schiffbau und in der Luftschifftechnik bewährt hatten. Fast unbesehen entliehen sie diese von dort; es entstanden Torpedos und Zeppeline auf Rädern. Zweifellos hatten diese Wagen einen sehr viel niedrigeren Luftwiderstand als ihre zeitgleichen Konkurrenten mit kutschenförmigen Aufbauten. Strömungsmechanisch waren sie jedoch keineswegs so perfekt, wie ihre Linien suggerierten. So blieb z. B. unberücksichtigt, dass die Strömung um einen Rotationskörper ihre Achssymmetrie verliert, wenn dieser nahe an den Boden herangerückt. Das mit der Folge, dass dabei der Widerstand erheblich zunimmt. Weiter wurde die Strömung durch das freiliegende Fahrwerk – und in einigen Fällen auch durch den Fahrer – gestört.

    Das wohl älteste nach strömungstechnischen Gesichtspunkten entworfene Fahrzeug ist der elektrisch angetriebene Rekordwagen, mit dem Camille Jenatzy als erster die 100-km/h-Marke überwand⁸. Bei einem Schlankheitsgrad λ (Verhältnis der Länge l zum Durchmesser d) von λ = l/d ≈ 4 hatte aber, wie in Abb. 1.9 zu sehen, nur der Aufbau eine strömungsgünstige Form. Die freistehenden Räder und der nicht „integrierte" Fahrer dürften die guten Eigenschaften des Rotationskörpers weitgehend zunichte gemacht haben. Jenatzys Rekordwagen kann jedoch als Urahn aller Monoposto-Rennwagen angesehen werden, auch wenn bei ihm der Wagenkörper noch über und nicht zwischen den Rädern angeordnet war.

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    Abb. 1.9

    Der Rekordwagen von Jenatzy, mit dem er am 29. April 1899 eine Spitzengeschwindigkeit von 105,9 km/h erreichte. Foto Chambre Syndical des Constructeurs Automobiles Français. Eine Replik ist im Museum für Technik in Berlin ausgestellt

    Ein Fahrzeug mit luftschiffförmigem Aufbau zeigt Abb. 1.10; Graf Ricotti ließ es 1913 bauen. Mit einem Verhältnis von Länge zu Durchmesser von l/d ≈ 3 ist die Form wesentlich völliger als die des Wagens von Jenatzy, aber dafür sitzen die Insassen auch nicht mehr im Freien.

    A289179_6_De_1_Fig10_HTML.jpg

    Abb. 1.10

    Das luftschiffförmige Auto des Grafen Ricotti, 1913, aufgebaut einem Fahrgestell von Alfa-Romeo. Spitze 139 km/h. Replik im Alpha Romeo Museum in Arese/Mailand

    Es wurden auch Entwürfe bekannt – so schon 1911 der von Oskar Bergmann⁹ – bei denen die Räder weitgehend von der Karosserie umschlossen waren. Ein italienisches Patent von 1912 passte das Fahrwerk auf originelle Art an die Aerodynamik an: Die vier Räder wurden rhombenartig angeordnet; vorn und hinten je eins auf der Mittellinie, die beiden anderen auf beiden Seiten¹⁰. So konnte die Karosserie als vergleichsweise dünnes, senkrecht stehendes Profil ausgeführt werden. Ginge es bei der Fahrzeugaerodynamik allein darum, einen möglichst niedrigen Luftwiderstand auf Räder zu stellen, dann wäre mit diesem Ansatz ihre Entwicklung sehr schnell zum Ziel gekommen. Auch wenn keine Messwerte an derartigen Automobilen bekannt geworden sind, sie dürften sich durch günstige c W-Wert ausgezeichnet haben.

    Im Gegensatz zu den von Jenatzy und Ricotti gewählten Formen ist das sogenannte „Bootsheck ", das den in Abb. 1.11b gezeigten „Audi-Alpensieger" von 1913 ziert, aerodynamisch völlig unwirksam. Denn die Strömung, die am scharfkantigen Bug, an den freistehenden Scheinwerfern und den Kotflügeln ablöst, kann durch einen Einzug am Heck nicht wieder zum Anliegen gebracht und damit ein Druckanstieg bewirkt werden. Dennoch wurde das Bootsheck gern bei sportlichen Wagen eingesetzt, verlieh es ihnen doch ein dynamisches Aussehen, wie der Vergleich mit dem darüber abgelichteten Vorgänger mit einem stumpfen Abschluss belegt. Damit entpuppt sich das Bootsheck als ein typisches Beispiel dafür, wie aerodynamische Argumente dazu missbraucht wurden – und mitunter noch werden – um stilistische Kuriositäten zu rechtfertigen. Ihren Höhepunkt erreichte diese Unsitte mit den fantastisch anmutenden Heckflossen amerikanischer Straßenkreuzer in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

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    Abb. 1.11

    Das Bootsheck. a Audi von 1912, Exponat Audi-Museum Zwickau, b Audi „Alpensieger" von 1913, Exponat Deutsches Museum München; Fotos Verfasser

    1.2.6 Stromlinien

    War die Fahrzeugaerodynamik bis hierher durch zahlreiche eher intuitive Versuche gekennzeichnet, so setzte nach dem ersten Weltkrieg eine regelrechte Entwicklung ein. Sie wurde von drei Seiten gestützt bzw. vorangetrieben:

    1.

    Durch die Analyse der einzelnen Fahrwiderstände, die Riedler bereits 1911 durchführt hatte. Dadurch erhielt das Streben nach einem möglichst niedrigen Luftwiderstand einen rationalen Hintergrund.

    2.

    Ludwig Prandtl und Gustave Eiffel hatten die physikalischen Grundlagen des Luftwiderstands erarbeitet. Diese wurden sogleich auch auf das Fahrzeug angewendet¹¹. Jedoch, die Fahrzeugbauer taten sich noch lange Zeit schwer damit, sich von der „Impact-Theorie" freizumachen, der Vorstellung, die sich Isaac Newton vom Strömungswiderstand gemacht hatte.

    3.

    Nach dem ersten Weltkrieg war der Flugzeugbau in Deutschland verboten. Auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern wandten sich einige Luftfahrtingenieure der Automobiltechnik zu, auch in anderen Ländern, in denen diese Einschränkung nicht galt. Sie versuchten, ihre im Flugzeugbau gewonnenen Erkenntnisse auf das Auto zu übertragen. An mehreren Stellen gleichzeitig entstanden sogenannte „Stromlinienwagen ".

    Welche Wege bei dieser Übertragung beschritten wurden, ist in einem Schema in Abb. 1.12 dargestellt. Der den verschiedenen Ansätzen gemeinsame Ausgangspunkt war das symmetrisches Tragflügelprofil mit vergleichsweise großem Schlankheitsgrad λ. Die Tiefe des Profils , l, entspricht dabei der Länge des Fahrzeugs, l, die Profildicke d der Breite, b.

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    Abb. 1.12

    Ableitung von Pkw-Formen aus einem Tragflügelprofil, schematisch

    Rumpler¹² schnitt aus dem Profil (großer Spannweite) eine Sektion heraus, drehte sie um 90° und passte deren Form an Dach und Boden dem dreidimensionalen Charakter der Strömung an. Diesen Körper versah er mit freistehenden Scheibenrädern und um den Raum des spitz auslaufenden Hecks zu nutzen, brachte er dort den Motor unter¹³. Die so entstandene Limousine  – es gab davon auch ein Kabriolett und eine Großraumausführung – ist in Abb. 1.13 zu sehen; in der Draufsicht, hier nicht gezeigt, erkennt man die Form eines ziemlich dicken, symmetrischen Tragflügelprofils.

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    Abb. 1.13

    Der Rumpler-Wagen mit „Tropfenform", aufgenommen im Windkanal der Volkswagen AG; Exponat Deutsches Museum München; eine Langausführung des Tropfenwagens wird im Berliner Museum für Technik ausgestellt (c W = 0,28; A x = 2,57 m²)

    An Modellen im Maßstab 1 : 7,5 ließ Rumpler 1922 Windkanalversuche vornehmen¹⁴. Im Vergleich zu einem Auto, das er mit „normale Form bezeichnete, war der Luftwiderstand seines Autos in „Tropfenform um etwa ein Drittel niedriger. Dass es Rumpler aber keineswegs allein um einen niedrigen c W-Wert ging, kann man seiner Werbung entnehmen. Mit Zeichnungen wie Abb. 1.14 gab er seiner Erwartung Ausdruck, dass sein Wagen infolge der „sauberen Umströmung sehr viel weniger Staub aufwirbeln würde, in heutiger Terminologie „sehr viel umweltfreundlicher wäre. Messungen, die 1979 an einem Original des Rumpler-Wagens bei VW durchgeführt wurden, ergaben für diesen den Widerstandsbeiwert c W = 0,28 (die Stirnfläche war mit A x = 2,57 m² im Vergleich zu der von zeitgleichen Wagen, die ca. 3 m² betrugen, klein). Ein derart niedriger c W-Wert ist mit einem Serienwagen erst Jahrzehnte später erreicht worden, nämlich mit dem Opel-Omega, Baujahr 1986.

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    Abb. 1.14

    Werbung: Weniger Staub mit dem „Tropfenwagen", Zeichnung Rumpler (1921)

    Rumpler produzierte seinen „Tropfenwagen " in einem von ihm eigens dafür gegründeten Automobilwerk¹⁵. Aber er scheiterte; sein Auto fand kaum Käufer. Immer wieder ist behauptet worden, dass das Publikum die ungewöhnliche „Tropfenform" nicht angenommen habe. Dabei wird übersehen, dass Rumplers Auto voller unausgereifter Neuheiten steckte; eine davon war die von ihm erfundene Pendelachse. Deren unzureichende Erprobung resultierte in gravierenden Qualitätsmängeln, und diese allein hätten ausgereicht, den Erfolg seines Autos zu verhindern.

    Etwa zeitgleich mit Rumpler begann Jaray mit einer Entwicklung, die den „Stromlinienwagen" zum Ziel hatte¹⁶. In seiner Arbeit mit dem Titel „Der Stromlinienwagen, eine neue Form der Automobilkarosserie", die er 1922 veröffentlichte (Jaray 1922), hat er diesen Begriff selbst geprägt. Die dort geschilderte Vorgehensweise bei der Analyse der Umströmung völliger Körper in Bodennähe, die in Abb. 1.15 schematisiert ist, sollte sich später als richtungweisend herausstellen.

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    Abb. 1.15

    Ableitung des Halbkörpers in Bodennähe aus einem freifliegenden Rotationskörper; Messung Klemperer (1922)

    Jarays Versuche führte Wolfgang Klemperer (1922) durch, im Windkanal des Grafen Zeppelin in Friedrichshafen. Zum Ausgangspunkt seiner Messungen wählte er einen spindelförmigen Rotationskörper. Dessen Schlankheitsgrad betrug mit λ = l/d = 5 etwa das Doppelte von dem, was bei damaligen Autos gängig war. Im freien Flug hoch über dem Boden ergab sich ein Widerstandsbeiwert von c W = 0,045. Diese Spindel führte Klemperer nun schrittweise an den Boden heran. Das mit dem Ergebnis, dass dabei der Widerstand zunahm, zunächst allmählich, dann aber, bei der für Autos üblichen kleinen Bodenfreiheit, steil. Dabei beobachtete er, dass die Umströmung der Spindel bei Annäherung an den Boden ihre Rotationssymmetrie verlor und dass sich auf ihrer rückwärtigen Oberseite eine ausgeprägte Ablösung ausbildete. Folgerichtig machte er diese für den Anstieg des Widerstands bei Annäherung an den Boden verantwortlich.

    Für den Grenzfall Bodenabstand gleich Null konnte jedoch der rotationssymmetrische Charakter der Strömung zurückgewonnen werden: Durch Spiegelung an der Fahrbahn war der vollständige Rotationskörper wieder hergestellt. Dessen reale Hälfte, die Jaray „Halbkörper " nannte, passte er dem Raumbedarf in einem Auto dadurch an, indem er die halbkreisförmigen Spanten durch rechteckige ersetzte und deren obere Kanten verrundete.

    Wurde dieser Halbkörper auf die bei Autos erforderliche Bodenfreiheit angehoben, so nahm sein Widerstand erneut zu. Die Ursache dafür, nämlich die Ablösung der Strömung an der scharfen Vorderkante der Unterseite, konnte er durch deren Abrunden weitgehend beseitigen und damit den Widerstandsanstieg rückgängig machen; das Ergebnis: c W = 0,09. Durch Hinzufügen der Räder – die hohlen Radhäuser wurden nicht nachgebildet – stieg der Widerstand auf c W = 0,15. Er lag damit zwar dreimal so hoch, wie derjenige der freifliegenden Spindel. Aber im Vergleich zu den Autos jener Tage, für die c W ≈ 0,55–0,65 galt, war dieser Wert derart günstig, dass er Jaray dazu ermutigte, aus diesem Halbkörper realistische Autoformen abzuleiten.

    Jaray hatte erkannt, dass der Widerstand seines Halbkörpers vor allem durch die Ablösung an dessen rückwärtiger Partie zustande kommt. Er suchte deshalb nach Formen, die der Strömung einen möglichst weitgehenden Wiederanstieg des Druckes ermöglichten, nicht ablösten und somit den Widerstand klein halten. Er versuchte, der Strömung den Druckanstieg bei kleinerer Länge dadurch abzutrotzen, dass er ihn auf zwei Ebenen aufteilte. Er erfand die „Kombinationsform ". Wie rechts in Abb. 1.12 vereinfacht dargestellt, setzte er diese im ersten Ansatz aus zwei Profilabschnitten zusammen: Aus einem horizontal liegenden und einem senkrecht darauf aufgesetzten. Inwieweit die Strömung seinem Gedankenmodell folgt, ist leider nie überprüft worden. Skepsis ist angebracht, denn die sich in der Verschneidung der beiden Profile ausbildende Eckengrenzschicht ist bei Druckanstieg besonders ablösungsgefährdet¹⁷.

    Gleichwohl, Jaray war mit seiner Kombinationsform eine Halbierung des Luftwiderstands gegenüber zeitgleichen Limousinen gelungen. Das ermutigte Fahrzeughersteller wie Audi, Dixi und Ley in den Jahren 1922 und 1923 Prototypen mit Jaray’schen Linien vorzustellen; Chrysler folgte 1928. Aber die Wagen – der Audi ist in Abb. 1.16 zu sehen – kamen beim Publikum nicht an und gingen folglich auch nicht in Serie. Darüber jedoch, dass die nach Jaray geformten Wagen der verschiedenen Hersteller einander sehr ähnlich sahen, sind damals keine Klagen laut geworden.

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    Abb. 1.16

    Einer der ersten Pkw in Jaray-Form, der Audi Typ K14, 50 PS, 1923 karossiert von Gläser in Dresden; Foto Archiv R. J. F. Kieselbach

    Der Bau der Autobahnen, der in Deutschland Anfang der 1930er Jahre begann, beflügelte die Idee des Stromlinienwagens erneut. Jaray wandelte sein Konzept ab; er verwendete nun, wie unten rechts in Abb. 1.12 skizziert, einen halben Rotationskörper als Aufsatz auf das Grundprofil. Das gab den Autos ein gefälligeres, ein sportliches Aussehen. Dass aber auch diese aerodynamisch keineswegs immer so perfekt waren, wie erhofft, wird an dem in Abb. 1.17 gezeigten BMW 328 deutlich. Trotz weitgehend anliegender Strömung kam dieser Klassiker nur auf c W = 0,44. Dazu hat vermutlich die Ablösung am Heck ebenso beigetragen, wie ein hoher Kühlluftvolumenstrom , auf den man von den großen Öffnungen am Bug schließen kann. Aber im Vergleich zu einem für die damalige Zeit typischen Serienwagen wie z. B. dem in Abb. 1.18 abgelichteten Daimler Benz, für den bei einer Stirnfläche von A x = 2,53 m² c W = 0,66 gemessen wurde, ist der Fortschritt zu erkennen, den die Jaray-Linien für die Aerodynamik bedeuteten. Jedoch, das Problem des lang auslaufenden Hecks war auch mit dieser Variante der Kombinationsform nicht gelöst.

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    Abb. 1.17

    BMW 328, 1938 von Wendler karossiert; Exponat Deutsches Museum, Foto im Windkanal der Volkswagen AG

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    Abb. 1.18

    Daimler Benz, Typ „Stuttgart", 1928; Foto aufgenommen im Untertürkheimer Windkanal der Daimler AG (c W = 0,66; A x = 2,53 m²)

    Die Stilisten¹⁸, die sich in den 1930ern von den Karosseuren zu emanzipieren und als eigenen Beruf zu etablieren begannen, erledigten das auf ihre Art. Kurzer Hand hackten sie den „langen Schwanz ab und stellten das Heck steiler. Damit entstand die Pseudo-Jaray-Form . Zahlreiche Autos wurden nach diesem Konzept gebaut; einige davon sind in Abb. 1.19 aufgereiht. Auch der von Ferdinand Porsche für Volkswagen entwickelte „Käfer gehörte dazu. Diese Form zeichnete sich durch einen vergleichsweise hohen Luftwiderstand aus. Was die Amerikaner nicht daran hinderte, sie dennoch „fastback zu nennen. Ein typisches Beispiel dafür, wie sich mangelnde Kenntnis der Physik „dialektisch überspielen lässt. Der hohe Widerstand der hierzulande „Fließheck " genannten Form gab ein Rätsel auf. Blieb doch, wie Abb. 1.20 zeigt, die über das Dach strömende Luft auf der ganzen Schräge bis hin zur Unterkante anliegend; folglich sollte doch der Widerstand niedrig sein. Dieses Rätsel wurde erst sehr viel später entschlüsselt: 1974 bei der Entwicklung des VW Golf I. Darauf wird noch einzugehen sein.

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    Abb. 1.19

    Einige Pkw mit Pseudo-Jary-Form; Werkbilder

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    Abb. 1.20

    Fädchen an einem Adler-Pkw mit Pseudo-Jaray-Heck, aufgenommen im Fahrversuch. Foto Freiherr Koenig-Fachsenfeld (1951)

    Ein Automobil, das nach Jaray-Linien gezeichnet wurde, kam jedoch gut an: der von Hans Ledwinka konstruierte Tatra 87, der schon mit Abb. 1.8 vorgestellt wurde. Er ging 1936 in Serie und wurde bis 1950 gebaut. Mit einem Verhältnis von Länge l zu Höhe h, l/h = 2,9, war er zwar weniger schlank, als typische nach Jaray geformte Wagen, aber doch sehr viel schlanker, als die zeitgenössischen konventionellen Autos, für die l/h ≈ 2,3 galt. Bei gegebener Länge wurde beim Tatra 87 das vergleichsweise sanft auslaufende, geneigte Heck dadurch verwirklicht, dass der Pavillon weit nach vorn verlagert und der Motor im Heck angeordnet wurde. Ein Design, das dem schon damals gültigen Trend zuwiderlief, nämlich mit einer möglichst lang gestreckten Motorhaube Leistung zu demonstrieren. Ob beim Tatra 87 Jarays Kombinationsform „funktioniert" hat, ob also die Heckpartie wirklich ablösungsfrei umströmt wurde und wie sich der Lufteinlass (für den Heckmotor) auf die Strömung ausgewirkt hat, ist nie näher untersucht worden, es lässt sich auch anhand der Rauchaufnahme in Abb. 1.8 nicht feststellen. Der Vorschlag, die Jaray-Form auf Omnibusse anzuwenden, fand keinen Beifall, siehe Koenig-Fachsenfeld et al. (1936); die dafür erforderliche Verlängerung des Fahrzeugs wurde nicht akzeptiert.

    Der Ansatz, die Form einer Limousine vom Flügelprofil abzuleiten, wurde auch von Pierre Mauboussin (1933) aufgegriffen¹⁹. Er entwarf die in Abb. 1.21 gezeichnete Form; Chenard und Walker karossierten den Wagen. Der Name „Mistral" sollte seine aerodynamische Konzeption unterstreichen. In der Draufsicht erkennt man die Kontur des Profils, das in eine Heckflosse mit scharfer senkrechter Hinterkante auslief. Die Flosse war so groß, dass von ihr, im Gegensatz zu der des Tatra 87, ein merklicher Beitrag zur Stabilität bei Seitenwind erwartet werden konnte. Die Hinterräder waren mit einem horizontalen Profil verkleidet. So entstand am Heck eine Verschneidung mit Anklang an die Kombinationsform von Jaray. Mit dieser teilte der Wagen aber auch das Manko, im rückwärtigen Teil nur wenig Raum zu bieten.

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    Abb. 1.21

    Linien des Voiture aérodynamique „Mistral" von Mauboussin (1933), Chenard und Walker

    Einen weiteren Versuch, Erkenntnisse aus der Flugtechnik auf möglichst direktem Weg auf das Auto anzuwenden, unternahm Jean Andreau (1946) mit dem Auto „Mathis-Andreau 333": drei Räder, drei Personen, drei Liter auf 100 km. Seine eigenwillige Konstruktion erkennt man in Abb. 1.22; eine weitergehende Version (SIA, 1935) mit großer Heckflosse war geplant. Matthieu Barreau und Laurent Boutin (2008) haben darüber berichtet, ebenso auch über die Ansätze von Panard („Dynavia, 1948), Renault („Vesta, 1987), Citroen („Eco, 2000), Volkswagen („Concept 1, 2002) und Daihatsu („UFE II, III", 2005).

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    Abb. 1.22

    Dreirad-Auto Mathis-Andreau 333 (Zeichung und Foto), Archiv M. Barreau

    Auch A. Lange (1937) hat eine widerstandsarme Autoform mit Rückgriff auf die Flugzeug-Aerodynamik entwickelt; sie ist links unten in Abb. 1.12 skizziert. Auf ein horizontal liegendes Profil setzte er ein zweites, ebenfalls horizontales auf und zwar so, dass es an der Windschutzscheibe begann und an der Fahrzeughinterkante mit dem unteren Profil zusammenlief. Nach Verrunden der seitlichen Kanten entstand das im Abb. 1.23a gezeichnete Modell²⁰. Der mit c W = 0,14 angegebene, sehr günstige Luftwiderstand konnte später annähernd bestätigt werden. Für ein Modell, welches bei Volkswagen im Maßstab 1 : 5 nachgebaut wurde, ergab sich c W = 0,16. Das Modell war aber vollkommen glatt ausgeführt, ohne Einzelheiten wie Fahrwerk, Radkästen oder Fenstervertiefungen. Die Lange-Form erwies sich als annähernd gleich günstig, wie der von Jaray und Klemperer abgeleitete Halbkörper in Abb. 1.15. Aber, auch das Heck eines Lange-Wagens war sehr lang. Es konnte nur bei Heck- und Mittelmotoranordnungen verkraftet werden. So z. B. bei den 911ern von Porsche, siehe Abb. 1.23b, bei denen die Lange-Form auch heute noch „lebt".

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    Abb. 1.23

    a Silhouette des Lange-Wagens, c W = 0,14, b Porsche 911 (2004), c W = 0,28, A x = 2,0 m²; Foto Porsche AG

    Auf den verschiedenen Wegen, Formen aus dem Flugzeugbau auf das Auto zu anzuwenden, wurde immer wieder der gleiche Fehler gemacht: Sie alle, Rumpler, Jaray, Mauboussin, Andreau und Lange, übernahmen „das Profil , so wie es sich in der Flugtechnik herausgebildet hatte: Vorne rund, größte Dicke etwa bei halber Tiefe, hinten spitz auslaufend. Dieses Konzept übertrugen sie möglichst unverändert auf das Auto. Fahrzeugtechnische Belange, wie z. B. die Anordnung des Motors und die Gestaltung des Innenraumes, ordneten sie der Aerodynamik unter. Sie orientierten sich an dem von Klemperer gemessenen „Idealwert von c W = 0,15 und versuchten, diesem möglichst nahe zu kommen. c W = 0,30, ein Wert, der erst Anfang der 1980er Jahre mit Serienfahrzeugen erreicht werden sollte, wurde zu einer Zeit als Ziel ins Auge gefasst, als die Autos mit c W = 0,55 bis 0,65 auf die Straße kamen. Auf die Idee, deren sehr hohen Luftwiderstand mit weniger radikalen Formen schrittweise abzubauen, sind die frühen Aerodynamiker offenbar nicht gekommen. So kam es zu der unglücklichen Polarisierung: „Normale Autos blieben aerodynamisch ungünstig. Dagegen warteten „aerodynamisch ausgebildete mit exotisch anmutenden Formen auf – und in deren Folge mit technischen Einschränkungen, die vom Markt nicht akzeptiert wurden²¹.

    1.2.7 Erste Parameterstudien

    Diese Kluft wurde erst überbrückt, als sich die Fahrzeugtechniker selbst der Aerodynamik annahmen. Das geschah annähernd gleichzeitig in zwei Schulen: in den USA durch Walter E. Lay²² und in Deutschland durch Wunibald Kamm²³.

    Lay (1933) führte als erster systematische Parametervariationen durch. Er veröffentlichte sie 1933 in seiner berühmten Arbeit „Is 50 Miles per Gallon Possible with Correct Streamlining?"; einen Auszug daraus fasst Abb. 1.24 zusammen. Front- und Heckpartie eines generischen Modells mit den Hauptabmessungen eines Pkw wurden schrittweise abgewandelt. Die Messungen offenbarten eine starke Wechselwirkung zwischen Bug und Heck. So kommt z. B. ein strömungsgünstiges Heck nur dann voll zum Tragen, wenn der Vorderwagen anliegend umströmt wird. Darauf wurde schon bei der Diskussion des „Bootshecks" hingewiesen. Stellt man z. B. der Strömung eine zu steile Windschutzscheibe entgegen, so hat das einen starken Anstieg des Widerstands zur Folge. Wenn andererseits der Widerstand des Körpers schon hoch ist, weil die Strömung am Heck abgelöst ist, dann ist der Einfluss der Windschutzscheibenneigung nur noch schwach ausgeprägt.

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    Abb. 1.24

    Kurzfassung der Versuchsergebnisse, die W. E. Lay (1933) an einem wandelbaren generischen Automodell erzielte

    Leider wich das Modell von Lay in wesentlichen Details von einem echten Auto ab. So waren z. B. die Seitenwände und die Unterseite vollkommen plan, und alle Kanten waren scharf. Ablösung und Aufrollen von Wirbeln an den Kanten haben sicher die Einflüsse anderer Formdetails verdeckt, zumindest verändert. Deshalb ließen sich Lays Ergebnisse nicht verallgemeinern; folglich blieben sie in der Praxis sie weitgehend unbeachtet.

    1.3 Von der Kutsche zum Automobil

    1.3.1 Tiefziehen

    Das Streben der Aerodynamiker nach niedrigerem Luftwiderstand wurde von einer Entwicklung unterstützt, die nicht aerodynamischer Natur war: von der Metamorphose von der Kutsche zum Automobil, siehe Eckermann (2013) und Abb. 1.25. Solange sich die Konstruktion der Karosserie an den Kutschenbau anlehnte, wurde sie auf einem tragenden Rahmen aufgebaut. Darauf wurde ein Gerippe aus Holz errichtet, das beplankt wurde, mit Textil, Holz oder Stahlblech. Bevorzugt wurden ebene oder leicht zylindrisch gewölbte Flächen; die Übergänge waren, zumindest aus Sicht der Aerodynamik, vorwiegend kantig, Trittbretter und geschwungene Kotflügel wurden angesetzt, die Scheinwerfer blieben freistehend.

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    Abb. 1.25

    Wandel von der Kutsche zum Automobil. a FIAT Barilla von 1932, b FIAT 500 ab 1938; Fotos Barker und Harding (1992)

    Diese traditionelle Technik wurde von der selbsttagenden Karosserie abgelöst, gefertigt aus Stahlblech, vereinzelt auch aus Aluminium. Das Tiefziehen der Bleche ließ räumliche Krümmungen zu; zunächst wurden große Radien bevorzugt. Damit war aus einem eckigen Kasten ein glatter Köper mit gerundeten Übergängen geworden, der gewissermaßen von selbst strömungsgerechter war. Dazu trug bei, dass der senkrecht stehende Kühler hinter einem Grill verschwand, der seinerseits zum Bestandteil des Bugs wurde und der die Funktion des Markenzeichens übernahm. Auch dass die Kotflügel und später die Scheinwerfer „integriert" wurden, kam der Aerodynamik zugute. Nur die Trittbretter erinnerten bei einigen Typen noch lange Zeit an die Kutsche; sie störten aber die Strömung nicht.

    1.3.2 Ponton-Karosserie

    Als nach dem zweiten Weltkrieg die Automobil-Produktion wieder aufgenommen wurde, geschah das zunächst mit Vorkriegsmodellen. Die amerikanischen Fahrzeuge waren eine Generation jünger als die der Europäer, denn die Entwicklung ziviler Pkw wurde dort erst rund zwei Jahre später „eingefroren", als in der alten Welt. Mit der Pontonform setzten die Amerikaner neue Maßstäbe. Die Mutation der Pseudo-Jaray-Form mit stromlinienförmigen Kotflügeln zur Pontonform vollzog sich in zwei Schritten:

    an das abfallende Heck wurde ein Kofferraum angesetzt; es entstand das Stufenheck; die daraus resultierende größere Länge wurde in den USA gern akzeptiert;

    Kotflügel und Scheinwerfer wurden in die Karosserie einbezogen, und auch das Trittbrett entfiel.

    Damit wurde die Einteilung des Pkw in drei Volumina schon an seiner Silhouette sichtbar; die Form war der Funktion gefolgt: Je ein eigener Körper für Motor, Fahrer und Fahrgäste sowie für das Gepäck. Die Elemente der „three-box car" sind in Abb. 1.26a skizziert; in Abb. 1.26b ist ein typisches Auto in Pontonform zu sehen: Der Ford Lincoln Continental von 1949. Den ersten dieserart gestalteten Pkw hatte Kayser-Frazer bereits 1946 herausgebracht; diesen von Howard Darrin entworfenen Wagen und weitere Beispiele für die Pontonform zeigt Abb. 1.27.

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    Abb. 1.26

    Drei-Volumina-Bauform. a schematisch, b Ford „Lincoln Continental", 1949; Foto Ford Motor Co

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    Abb. 1.27

    Europäische und US-amerikanische Pkw in Pontonform, Werkbilder

    Die glattflächigen Formen mit gut gerundeten Übergängen und die gewölbte, zunehmend auch geneigte Frontscheibe boten im Vergleich zu den in Abschn. 1.2.6 vorgestellten Wagen abermals bessere Voraussetzungen für eine saubere Umströmung. Der durchschnittliche c W-Wert sank von 0,55 auf 0,45, also um fast 20 %. Gleichzeitig wurden auch die Stirnflächen kleiner, so dass sich insgesamt ein erheblich niedrigerer Luftwiderstand ergab. Wie schon beim Übergang auf die Stahlkarosserie aus Pressteilen, so waren auch bei diesem Schritt Fertigungstechnik und Design die treibenden Kräfte, nicht jedoch die Aerodynamik.

    Diese verharrte dann rund zwei Dekaden auf gleichem Niveau. Allgemein herrschte das Vorurteil, dass noch niedrigere c W-Werte nur mit den typischen Stromlinien der 1930er Jahre zu erreichen seien, an deren verhaltene Marktakzeptanz man sich nur all zu gut erinnerte. Und das Schicksal derjenigen Hersteller, die es dennoch wagten, aus dieser Stagnation mit einem Rückgriff auf die Stromlinie auszuscheren, bestärkte die Vorsichtigen in ihrer reservierten Haltung: Panhard musste aufgeben, und Citroen, eine Zeitlang in der Aerodynamik führend, vgl. Abb. 1.28, verlor die unternehmerische Selbständigkeit. Ob aber beider Scheitern allein der Eigenwilligkeit der Formen von „Panhard Dyna, „Citroen DS 19 und „Citroen GS anzulasten ist, steht ebenso dahin, wie bei Rumplers Misserfolg mit seinem Tropfenwagen . Citroen versuchte, dem zu entkommen und „schwamm gegen den Strom, wie mit Abb. 1.29 dokumentiert: Mit dem DS 19 war ein Wagen auf die Straße gekommen, dessen Form die Aerodynamik hervorkehrte. Als sich dann die fließenden Linien allgemein durchzusetzen begannen, brachte Citroen – nach der verhaltenen Akzeptanz des aerodynamisch gestylten CX – den kantigen „BX heraus, der, erstaunlich genug, mit c W = 0,33 deutlich günstiger war, als der stromlinienförmige „DS 19 mit c W = 0,38!

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    Abb. 1.28

    Die Stromlinien-Pkw von Citroen (1956–1982)

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    Abb. 1.29

    Citroen: der DS 19, 1956 (a) und der BX, 1982 (b); Fotos Archiv R. J. F. Kieselbach

    Auch NSU wagte den Versuch, der Langeweile der Pontonform zu entkommen, mit dem in Abb. 1.30 abgelichteten Ro 80. Dessen hohes Heck nahm die Keilform der nächsten Generationen vorweg. Dass der Markterfolg dieses zukunftsweisenden Automobils ausblieb, war sicher nicht der Aerodynamik anzulasten²⁴.

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    Abb. 1.30

    NSU Ro 80, Modelljahr 1976; c W = 0,38; A x = 1,99 m²; Foto Volkswagen AG

    1.3.3 Einvolumen-Körper

    Die sich wiederholenden Misserfolge mit der Stromlinie konnte eine Reihe von Ingenieuren nicht davon abhalten, noch viel weiterreichende Ideen zu verfolgen. War mit Stromlinienwagen bestenfalls c W ≈ 0,30 erreicht worden, so blieb damit ein großer Teil des Potenzials unausgeschöpft, auf das Klemperer mit c W = 0,15 mit dem Halbkörper hingewiesen hatte. Mit Einvolumen-Körpern sollte sich das erschließen lassen. Man knüpfte an Ideen an, wie sie bereits in der Frühphase der Fahrzeugaerodynamik mit den „entliehenen" Formen (vgl. Abschn. 1.2.5) versucht worden waren.

    So entwarf Aurel Persu (1924) einen Wagen, dessen Form er „dem idealen Halbkörper geringsten Luftwiderstands anzupassen" (Zitat Persu) versuchte; der war ihm aus den Arbeiten von Jaray und Klemperer bekannt. Um den engen Raum im sich verjüngenden Heck auszunutzen, ordnete auch er den Motor dort an, wie in Abb. 1.31a zu sehen. Um schnell und kostengünstig zu einem fahrfähigen Prototypen zu kommen, baute Persu unter weitgehender Verwendung vorhandener Teile den in Abb. 1.31b gezeigten Versuchsträger²⁵. Jedoch, weder die praktische Brauchbarkeit noch die Ästhetik der angestrebten „Idealform" konnte er damit demonstrieren, und Messwerte sind nicht überliefert.

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    Abb. 1.31

    Einvolumen-Pkw von Aurel Persu (1922). a Entwurf, b Versuchsträger; Zeichnung und Foto Archiv R. J. F. Kieselbach

    Später, ab 1930, hat sich eine Reihe US-amerikanischer Autoren mit dem Einvolumen-Konzept beschäftigt²⁶. Deren Ergebnisse sind im Abb. 1.32 zusammengestellt. Um die mit Modellen unterschiedlicher Detaillierung und verschiedener Maßstäbe erhaltenen Messungen bewerten zu können, ist jeweils ein vom gleichen Autor mit vermessenes zeitgenössisches Modell hinzugefügt worden. Für alle Einvolumen-Modelle ergaben sich Widerstandsbeiwerte, die nur etwa ein Drittel derjenigen der zeitgleichen Limousinen betrugen. Nur mit dem für Fahrzeuge viel zu langen Heck, das Lay in seine Untersuchungen einbezog, erzielte er einen noch niedrigeren Wert.

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    Abb. 1.32

    Einvolumenmodelle in den USA während der 1930er Jahre

    Es waren durchaus nicht nur Ingenieure, die sich an dieser Autokonzeption versuchten. Vor allem Designer haben im Einvolumen die ultima ratio für die Autoform gesehen. In den USA waren es Norman Geddes (1931) und der Architekt Buckminster Fuller (1933), in Frankreich Emile Claveau (1925) und André Dubonnet (1935). Sie folgten dem Beispiel Marco Graf Ricottis, einvolumige Spezialkarossen anzufertigen. Besonderes Aufsehen erregte Fullers²⁷ dreirädriges, mit dem Hinterrad gelenktes Fahrzeug „Dymaxion ", das in drei Versionen gebaut wurde. In Abb. 1.33 ist die Ausführung Nr. 1 von 1933 abgelichtet.

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    Abb. 1.33

    „Dymaxion" Nr. 1 von Buckminster Fuller; Foto J. Krause und C. Lichtenstein (1999)

    Die meisten dieser Formen dürften mehr oder weniger intuitiv entstanden sein und kaum jemals einen Windkanal „gesehen" haben. Dagegen wurden die Linien des in der Aerodynamischen Versuchsanstalt (AVA) in Göttingen entwickelten einvolumigen Versuchswagens aus strömungsgünstigen Profilen abgeleitet, wie unten links in Abb. 1.12 zu sehen. Eine Analyse der Umströmung des Lange-Wagens hat jedoch ergeben, dass dieser bei weitem nicht so ideal umströmt wurde, wie unterstellt. Ablösung zeigte sich vor allem seitlich am Vorderwagen im Übergang zu den Kotflügeln und im Bereich des Windlaufs. Durch eine „geschlossene Form" sollten diese Nachteile beseitigt werden. Schlör (1938) setzte den Längsmittelschnitt des in Abb. 1.34a gezeichneten Modells aus zwei Göttinger Tragflügelprofilen zusammen, die sich beide durch einen niedrigen Luftwiderstand auszeichneten: c W = 0,125. Die Kontur der Querspanten entwickelte er aus einem halben Rotationskörper. In Fahrzeugmitte näherte er deren Form einem Rechteck mit verrundeten oberen Längskanten an, um zu einem möglichst geräumigen Inneren zu kommen.

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    Abb. 1.34

    Der Schlör-Wagen (1938). a Außenhautplan, b fahrfähiger Prototyp im großen Windkanal (elliptische Düse, 7 m × 4,5 m) der AVA in Göttingen; Foto Archiv DLR

    Aussagen über den Widerstand dieses Fahrzeuges macht Abb. 1.35. Dort sind Messungen zusammengestellt, die an drei Ausführungen des Schlör-Wagens ausgeführt wurden: Bei dem 1 : 5-Modell und der Großausführung handelt es sich um Originale der AVA; das 1 : 4-Modell ist ein Nachbau von Volkwagen. Aufgetragen ist der c W-Wert über dem mit der Fahrzeughöhe dimensionslos gemachten Bodenabstand e. Bei großer Bodenfreiheit hat dieser Halbkörper sogar einen günstigeren Widerstand als die Profile, aus denen er abgeleitet wurde. Das ist nicht verwunderlich, wird doch der dreidimensionale Körper bei gleicher Dicke mit niedrigerer Geschwindigkeit umströmt wird, als ein zweidimensionales Profil.

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    Abb. 1.35

    An verschiedenen Modellen des Langwagens gemessene c W-Werte

    Mit Annäherung an den Boden nimmt der c W-Wert zu. Die „Rauigkeit " der Fahrzeugunterseite führt zu einem weiteren Widerstandsanstieg. Der Wert aus dem Windkanal, c W = 0,186, wurde durch Auslaufversuche, vorgenommen in der TH Hannover, mit c W = 0,189 bestätigt. Bei Würdigung dieses guten Wertes muss jedoch die mit A x = 2,54 m² ungewöhnlich große Stirnfläche des Schlör-Wagens berücksichtigt werden, die ihrerseits aus der großen Breite von 2,10 m folgte. Diese wiederum war erforderlich, um den vollverkleideten Vorderrädern ausreichenden Lenkeinschlag zu ermöglichen; die große Stirnfläche ist also als konzeptionsbedingt. Über Fahrversuche haben Hansen und Schlör (1943) berichtet.

    Die Einvolumenform hat sich nur in einigen wenigen Marktnieschen durchsetzen können. Einmal bei zweisitzigen Kleinstwagen wie seinerzeit die „Isetta von BMW und derzeit der „Smart von Daimler. Und dann, sporadisch, bei Großraumlimousinen wie z. B. dem „Pontiac Transport (MY 1993) und dem „Sharan (erste Generation) von VW und Ford. Diese sind aber eher dem Sektor Kleinbus zuzuordnen.

    1.4 Heckformen

    1.4.1 Kamm-Heck

    Die Kombinationsform von Jaray löste das Problem „langes Heck nicht; ja, es blieb sogar ungewiss, ob sie überhaupt „funktionierte, nämlich dass sie, wie erhofft, einen gewissen Wiederanstieg des Drucks bewirkte. Erst Mitte der 1930er Jahre gelang es Kamm und seinen Mitarbeitern, eine stumpfe Heckform mit niedrigem Luftwiderstand zu entwickeln. Form und Funktion dieses Hecks lassen sich anhand von Abb. 1.36 erklären: Beim Hauptspant beginnend wird die Kontur des Fahrzeuges sanft eingezogen, so, dass die Strömung gerade noch anliegend bleibt. Auf diese Weise wird ein stetiger Druckanstieg erzielt, wie im Diagramm unter dem Foto schematisiert. Kurz vor der Stelle jedoch, an der die Strömung ohnehin von der Kontur ablösen würde, wird der Körper senkrecht abgeschnitten. Es entsteht ein Vollheck, hinter dem sich ein Totwasser bildet. Durch das Einziehen von Dach und Seiten wird die stumpfe Heckfläche („Heckspiegel") klein (gestrichelte Linie), und infolge des Druckrückgewinns ist der Unterdruck in diesem Totwasser nur mäßig. Beides zusammen – kleine Spiegelfläche und geringer Unterdruck – resultiert in einem niedrigen Luftwiderstand. Als Kamm-Heck ist diese Form in die Literatur eingegangen.

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    Abb. 1.36

    Funktion des Kamm-Hecks, im Vergleich zum Jaray-Heck und dessen „Pseudo"-Version, schematisch. a Kamm-Wagen K2 im VW-Windkanal, b Konturen im Längsmittelschnitt, c die zugehörigen Druckverläufe; Foto Volkswagen AG

    Nach dieser seiner Idee ließ Kamm insgesamt vier Versuchswagen karossieren. Der erste, der K1, war mit einer vollkommen bündigen Außenhaut und abgedeckten Vorder- und Hinterrädern äußerst progressiv gestaltet. Er wird in Abb. 1.37 (als 1 : 5-Modell) dem konventionell gestalteten Prototyp W 158²⁸ von Daimler-Benz gegenübergestellt. Die Fädchenaufnahmen machen den Unterschied in der Umströmung überdeutlich. Während die Strömung am W158 fast auf der ganzen Oberfläche abgelöst ist – nur das Dach macht eine Ausnahme – verläuft sie auf dem K1 weitgehend anliegend. Dieser krasse Unterschied fand seine Entsprechung im Luftwiderstand: Wartete der W158 mit c W = 0,51 auf, so wurde für den K1 c W = 0,21 gemessen, wobei in beiden Fällen die Kühlluftströmung nicht simuliert wurde.

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    Abb. 1.37

    Umströmung des Kamm-Wagens K1 (b, d) im Vergleich zum zeitgenössischen Mercedes W158 (a, c). Modelle M1 : 5, Fotos FKFS

    Das Heck des K1 war noch sehr weit ausladend; ein sehr viel völligeres Kamm-Heck weist dagegen der K2 auf, siehe Abb. 1.36a. Die Rauchfäden lassen erkennen, dass die Strömung der Dachkontur bis zu der Stelle folgt, an welcher der Wagenkörper senkrecht abgeschnitten wurde. Die Messungen im großen Windkanal der Volkswagen AG konnten allerdings den von Kamm angegebenen c W-Wert nicht bestätigen. Hatte dieser aus dem Auslaufversuch c W = 0,24 ermittelt, so ergab sich im VW-Windkanal c W = 0,37. Im Vergleich zu den zeitgenössischen Wagen immer noch ein sehr guter Wert.

    Der Vorteil des Kamm-Hecks gegenüber der „Stromlinie" geht aus Abb. 1.38 hervor. Der konsequent nach Jaray geformte „Adler Trumpf" ist sehr viel länger als der K2. Ein Pseudo-Jaray, wie z. B. der Volvo 455, kann zwar auf die gleiche (kürzere) Länge wie ein Wagen mit Kamm-Heck gebracht werden. Aber dann wird das Heck so steil, dass sich mit c W ≈ 0,55 ein sehr viel höherer Widerstand ergibt. Anders beim Tatra Typ 87. Bei dem wurde der Pavillon weit nach vorn verlegt, so das genügend Länge für ein Jaray-Heck entstand. Das aber um den Preis, dass die vordere Haube kürzer wurde. Eine Form, die beim Publikum nicht beliebt war, denn sie ließ auf weniger Leistung des Motors schließen. Ein Schluss, der auf den Tatra keineswegs zutraf, denn der hatte im Heck einen Achtzylinder untergebracht.

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    Abb. 1.38

    Vergleich der Linien nach Kamm mit denen des Tatra 87 (Heckflosse nicht gezeichnet) und des Adler Versuchswagens mit Pseudo-Jaray Heck

    Eine originelle Heckform ist bei FIAT entstanden: eine Verbindung von Jarays Kombinationsform mit einem Kamm-Heck. Abbildung 1.39 zeigt das Ergebnis: Einen FIAT 508 C Mille Miglia mit einem gegenüber der Serie modifizierten rückwärtigen Wagen. Bei diesem Prototyp lief der auf das horizontale Profil nach Jaray senkrecht aufgesetzte Körper (vgl. Abb. 1.12), nicht spitz aus, sondern endete stumpf mit Linien nach Kamm. Während für die Serienausführung c W = 0,35 angegeben wurde, so nach C. Vivarelli (2009) für den Wagen mit dem Jaray-Kamm-Heck c W = 0,23.

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    Abb. 1.39

    FIAT 508 C Mille Miglia (MM), eine einmalige Verbindung von Jaray-Form und Kamm-Heck; mit freundlicher Genehmigung von Curzio Vivarelli (2009)

    Zu Synthesen aus den Stuttgarter und den Göttinger Arbeiten, zu einem Lange- oder Schlör-Wagen mit Kamm-Heck, kam es nicht. 1939 endete mit der Einstellung der Produktion ziviler Fahrzeuge auch die Möglichkeit, die bis dahin erzielten Ergebnisse der Aerodynamik-Forschung in die Serie zu übernehmen.

    1.4.2 Schrägheck

    Die Entwicklung von Heckformen wurde Anfang der 1970er Jahre wieder aufgenommen. Angestoßen durch eine eher zufällige Entdeckung bei den Windkanalarbeiten am VW Golf I wurden an verschiedenen Stellen systematische Untersuchungen an hinten abgeschrägten prismatischen Körpern angestellt und bald auch an Autos. Darauf wird in Kap. 4 näher eingegangen. Abbildung 1.40 nimmt ein Ergebnis vorweg.

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    Abb. 1.40

    Strömung an der Heckschräge. a und b Vergleich mit der Strömung an einem Tragflügel kleiner Streckung; nach Hucho, c Einfluss des Neigungswinkels φ auf den c W-Wert, nach Ahmed (1984)

    Der geordnete Verlauf der Fädchen, den das Foto in Abb. 1.40a für den Adler Versuchwagen zeigt, weist auf eine auf der Heckschräge anliegende Strömung hin. Dazu wurde bereits festgestellt, dass von dieser nicht auf einen niedrigen Widerstand geschlossen werden darf. Schaut man genauer hin, dann erkennt man, dass die Fädchen auf dem Seitenteil und der Dachschräge entlang der C-Säule auf einander zulaufen. Das bedeutet, dass sich entlang dieser Linie die Strömung von der Karosserie ablöst und zu einem tütenförmigen Wirbel aufrollt, wie in der Zeichnung darunter schematisiert (siehe auch Abb. 1.3b). Die Ähnlichkeit dieser Strömungsform mit derjenigen um einen Tragflügel kleiner Streckung²⁹ ist frappierend. Die beiden gegenläufig drehenden Wirbeltüten ziehen die über das Dach fließende Luft nach unten, halten sie dort anliegend, induzieren aber einen Widerstand , dessen Größe von dem Winkel φ der Heckschräge abhängt.

    Wie, das ist in Abb. 1.40c zu sehen. Dort ist der c W-Wert über dem Neigungswinkel φ der Heckschräge aufgetragen. Geht man vom Vollheck , φ = 0, aus, dann nimmt der Widerstand bei leichtem Abschrägen ab. Nach Durchschreiten eines flachen Minimums in der Nähe von φ = 10° steigt er dann mit größer werdenden Neigungswinkel φ wieder an, zunächst nur wenig, dann aber steil, um bei φ = 30° schlagartig abzufallen. Der Grund dafür: Die sich an den C-Säulen aufrollenden Randwirbel platzen infolge des mit φ ansteigenden Gegendrucks auf. Es bildet sich das für ein Vollheck typische „Totwasser, wie rechts oben im Diagramm skizziert, und der induzierte Widerstand geht gegen Null. Der Neigungswinkel vieler Autos mit „fastback lag zwischen φ = 25 und 40°, also genau in dem Bereich, in welchem der Widerstand besonders hoch ist. Das Rätsel um ihren hohen Widerstand war somit entschlüsselt. Heutige Fließhecks liegen bei φ ≈ 15°, sind also strömungsgünstig, und ihre Länge scheint niemanden zu stören; sie verleiht vielmehr Eleganz.

    1.4.3 Stufenheck

    Die Strömungsform um ein Stufenheck ist sehr viel komplizierter, als beim Schrägheck. Die im allgemeinen schräg gestellte Heckscheibe verhält sich wie ein Tragflügel großer Streckung, bei dem bekanntlich die Randwirbel schwächer ausgeprägt sind und nicht bis zur Flügelmitte wirken. Die an der Hinterkante des Daches ablösende Strömung kann sich, je nach Geometrie, auf dem Deckel des Kofferraumes wieder anlegen, und am senkrechten Abschluss des Kofferraums bildet sich ein Totwasser aus.

    Der Versuch von Carr (1983), die Abhängigkeit des c W-Wertes eines Stufenhecks nach den zwei rechts in Abb. 1.41a definierten Winkeln φ und φ E, zu ordnen, blieb erfolglos. Vielmehr müssen die einzelnen geometrischen Parameter, rechte Skizze, im konkreten Einzelfall auf einander abgestimmt werden, wie im Diagramm in Abb. 1.41b (nach Buchheim et al. 1983, 1981) ausgeführt.

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    Abb. 1.41

    a Beschreibung der Geometrie eines Stufenhecks durch die zwei gekennzeichneten Winkel φ und φ E nach einem Vorschlag von Carr (1974), b Abstimmung der drei geometrischen Parameter Neigung der Heckscheibe γ sowie Höhe z und Länge x des Kofferraums für den Audi 100 III; Bezug ist das Vorgängermodell; die Pfeile zeigen an, wie weit das Design der Aerodynamik folgen konnte; nach Buchheim (1983)

    1.4.4 Vollheck

    Mit dem Vollheck soll die Transportkapazität des Fahrzeugs vergrößert werden. Mit letzter Konsequenz erreicht man das, indem man den Aufbau hinten senkrecht abschneidet und das Dach bis dorthin waagerecht fortsetzt. Räumt man einem niedrigeren Luftwiderstand höhere Priorität ein und zieht Dach und Seiten ein, nähert man sich damit einem Kamm-Heck. Durch Abschrägen der Heckklappe mit einem Winkel 30° < φ < 90° lässt sich der Widerstand nicht herabsetzen, aber das Fahrzeug bekommt dadurch ein gefälligeres Aussehen; manche nennt es dann „Sportback".

    1.5 Richtungsstabilität

    Die aerodynamischen Untersuchungen an Fahrzeugen wurden sehr bald auch auf die Schräganströmung ausgedehnt, wie sie bei natürlichem Seitenwind zustande kommt. So beobachtete schon Klemperer (1922) bei seinen für Jaray durchgeführten Messungen, dass, wenn er das Fahrzeugmodell schräg in den Windkanal stellte, so dass es „schiebend angeströmt wurde, der Luftwiderstand mit wachsendem Schiebewinkel β zunimmt. Und weiter fiel ihm auf, dass dieser Widerstandsanstieg bei strömungsgünstigen Formen sehr viel schwächer ausgeprägt ist als bei kantigen, ja, dass er bei ersteren bei großen Schiebewinkeln sogar ins Gegenteil umschlägt, zu einer Widerstandsabnahme wird und dass somit eine Vortriebskomponente entsteht: „Der Körper des Fahrzeugs wirkt dann wie ein Segel eines hart am Wind fahrenden Segelschiffes (Klemperer). Eine Eigenschaft, die beim Strandsegler genutzt wird, nicht aber beim normalen Pkw. Denn derart große Schiebewinkel treten, wie noch belegt wird, nur bei sehr kleinen Fahrtgeschwindigkeiten auf, bei denen der Luftwiderstand ohnehin keine Rolle spielt.

    Mit zunehmender Fahrgeschwindigkeit gewann die Richtungsstabilität bei Seitenwind an Bedeutung. Heald (1933) berichtet, dass die durch Schräganströmung entstehende Seitenkraft bis zu einem Schiebewinkel von etwa 20° linear

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