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Psychodrama: Praxis
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eBook560 Seiten5 Stunden

Psychodrama: Praxis

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Über dieses E-Book

Lebendig, kreativ, intensiv: Psychodrama als erlebnisaktivierendes Verfahren für Therapie und Beratung: Das Psychodrama unterscheidet sich von anderen Verfahren durch den handelnden Zugang zum Erleben. Themen werden nicht nur verbal, sondern vor allem durch szenische Darstellung erschlossen. Anders als das Rollenspiel basiert Psychodrama jedoch auf Szenen aus dem realen Erleben der Gruppenmitglieder und wird daher als wesentlich realistischer erlebt.

Die Anwendungsfelder: Ideen für die Praxis: Expertinnen und Experten beschreiben die Anwendung des Psychodramas in vielen beruflichen Feldern: Therapie mit Erwachsenen und Kindern, Paarberatung, Schule, Erwachsenenbildung, Hochschuldidaktik, Personal- und Organisationsentwicklung, Supervision, Coaching, Sozialarbeit, Exerzitienarbeit, Markt- und Sozialforschung.

An den Grundlagen interessierte Leserinnen und Leser finden übrigens in dem folgenden Buch die ideale Ergänzung: von Ameln/Kramer: Psychodrama: Grundlagen.

Bühne frei – und viel Spaß beim Eintauchen in die Welt des Psychodramas.

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum3. Apr. 2014
ISBN9783642449383
Psychodrama: Praxis

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    Buchvorschau

    Psychodrama - Falko Ameln

    Falko von Ameln und Josef Kramer (Hrsg.)Psychodrama: Praxis201410.1007/978-3-642-44938-3_1

    © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

    1. Einführung in das Psychodrama

    F. von Ameln¹  und J. Kramer²

    (1)

    Am Diekschloot 11b, D-26506 Norden, Deutschland

    (2)

    Kompass Management Institut, Friedrich-Schmidt-Str. 40 A, D-50933 Köln, Deutschland

    Literatur

    Zusammenfassung

    Das Kapitel führt in die Grundgedanken und Arbeitsweise des Psychodramas ein. Ausgehend und in Abgrenzung vom in vielen Anwendungskontexten bekannteren Rollenspiel, werden die wichtigsten Grundprinzipien, Arrangements, Techniken und theoretischen Grundannahmen des Psychodramas skizziert.

    Drama ist ein griechisches Wort und bedeutet „Handlung (oder etwas, was geschieht). Psychodrama kann darum als diejenige Methode bezeichnet werden, welche die Wahrheit der Seele durch Handeln ergründet (…). Da es unmöglich ist, in die Seele des Menschen direkt einzudringen und das, was sich in ihr abspielt, erkennen und sehen zu können, versucht das Psychodrama den seelischen Gehalt des Individuums nach „außen zu bringen und ihn im Rahmen einer greifbaren und kontrollierbaren Welt gegenständlich zu machen (…). Wenn diese Phase des „Objektivmachens vollendet ist, beginnt die zweite. Es ist die Phase des Wieder-„Subjektivmachens, Wiederordnens und Wiedereinbeziehens dessen, was objektiviert wurde. In der Praxis gehen beide Phasen Hand in Hand (Moreno 1959, S. 77; 111).

    Das Psychodrama ist ein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von dem Arzt, Psychotherapeuten und Philosophen Jacob Levy Moreno entwickeltes Verfahren der

    handelnden Darstellung (griech. „drama" = Handlung)

    inneren Erlebens (griech. „psyche" = Seele).

    Das Psychodrama wird bisweilen mit dem (ebenfalls von Moreno entwickelten) Rollenspiel verwechselt. Anders als beim Rollenspiel basiert das klassische, sogenannte protagonistenzentrierte Psychodrama aber nicht auf einer prototypischen, von der Spielleitung konstruierten und letztlich fiktiven Situation, sondern auf dem Erleben eines Thementrägers, des Protagonisten bzw. der Protagonistin. Der Protagonist setzt nicht ein von außen vorgegebenes „Drehbuch" um, sondern er ist Schöpfer, Regisseur und Akteur seines eigenen Stücks. Ausgehend von diesem Erleben geht es im protagonistenzentrierten Psychodrama vorrangig darum, seine als problematisch erlebte Lage anhand der Komplexität einer real erlebten Situation zu reflektieren und alternative, für ihn stimmige Handlungs- und Bewertungsmöglichkeiten zu entwickeln. Dabei übernehmen Mitspieler/innen (sogenannte Hilfs-Iche) die Rollen der für die Situation bedeutsamen Interaktionspartner/innen – im Einzelsetting können diese Rollen durch Hilfs-Objekte oder den Leiter (die Therapeutin, den Coach, die Beraterin) verkörpert werden.

    Ein weiterer wichtiger Unterschied gegenüber dem Rollenspiel besteht darin, dass im Psychodrama eine Reihe spezifischer Arrangements und Techniken eingesetzt werden, die eine vertiefte Analyse der Situation und des Erlebens des Protagonisten ermöglichen – wir kommen weiter unten darauf zu sprechen. Innerhalb des breiten Instrumentariums stellt das Rollenspiel eines von vielen möglichen Arrangements der psychodramatischen Arbeit dar. Durch dieses methodische Instrumentarium sowie durch seine theoretische Fundierung, auf die wir ebenfalls weiter unten eingehen, geht das Psychodrama in seiner Komplexität und Leistungsfähigkeit weit über das Rollenspiel hinaus.

    Im Psychodrama wird nicht mit konstruierten Szenarien, sondern mit Situationen und Themen aus der Realität des Protagonisten/der Gruppe gearbeitet.

    In der Tat kann das Psychodrama wohl ohne Übertreibung als eines der komplexesten Verfahren der Beratung und Therapie betrachtet werden. Daher können wir die Grundzüge des Psychodramas im Rahmen dieses einführenden Kapitels auch nur kurz umreißen. Die nachfolgenden Beiträge in diesem Band setzen eine intensivere Kenntnis des Verfahrens voraus. Für eine intensivere Beschäftigung mit dem Psychodrama, seinen theoretischen Grundlagen, seiner Methodik und den Regeln für seine Gestaltung empfehlen wir unser ebenfalls im Springer Verlag erschienenes Lehrbuch (Ameln u. Kramer 2014).

    Ein wichtiger Impuls für die Entwicklung des Psychodramas war Morenos Unzufriedenheit mit der seinerzeit dominierenden Psychoanalyse Sigmund Freuds, der Moreno vorwarf, durch die Beschränkung auf die Sprache als Medium für die Bearbeitung des von den Klient/innen eingebrachten Problems wichtige Dimensionen für dessen Verständnis und Veränderung auszublenden. So entwickelte Moreno ein breites methodisches Kompendium der szenischen Arbeit, das auf dem Grundgedanken basiert, die Wirklichkeit der Klient/innen so nachzustellen, wie es ihrem Erleben entspricht und dabei neben dem faktischen Geschehen auch subjektiv bedeutsame Aspekte wie Emotionen, Motivationen oder Beziehungen abzubilden. Dieser Gedanke, in der „surplus reality ", wie Moreno sie nannte, über die objektive Wirklichkeit hinauszugehen und sich gerade dadurch der subjektiven Wirklichkeit der Klient/innen anzunähern, ist das zentrale methodische Prinzip des Psychodramas (Ameln 2013) und anderer mit ihm verwandter handlungsorientierter Methoden wie der Systemaufstellung, dem Planspiel oder dem Unternehmenstheater (Ameln u. Kramer 2007).

    Psychodrama bedeutet, die vom Protagonisten eingebrachte Situation so in ihrem raumzeitlichen Kontext gegenwärtig zu setzen, dass es seinem subjektiven Erleben der Situation entspricht.

    Entsprechend dieses Prinzips wird die Psychodrama-Arbeit von den Beteiligten in der Regel als sehr realitätsnah und intensiv erlebt. Dies bringt sowohl für die Analyse der zu bearbeitenden Thematik als auch für den Transfer der erarbeiteten Lösung in die Praxis große Vorteile mit sich – auf der anderen Seite muss angesichts der in der psychodramatischen Arbeit erzeugten Intensität darauf geachtet werden, dass das emotionale involvement der Teilnehmenden innerhalb der Grenzen dessen bleibt, was für das jeweilige Arbeitsfeld und den Auftrag akzeptabel ist.

    Neben dem bis hierher beschriebenen klassischen Protagonistenspiel, bei dem ein Thementräger eine für sein Thema bedeutsame Szene aus der Vergangenheit (oder auch der Zukunft) auf der Bühne inszeniert, gibt es eine Vielzahl weiterer psychodramatischer Arbeitsformen und Arrangements. So können psychodramatische Aufstellungen Beziehungsstrukturen in einer Familie, Gruppe oder Organisation schnell und prägnant deutlich machen; in der Arbeit mit dem leeren Stuhl kann der Perspektivenwechsel mit wichtigen Bezugspersonen erprobt werden; das soziodramatische Gruppenspiel ermöglicht es, die Dynamik zwischen gesellschaftlichen Gruppen zu simulieren und so Einsichten über gesellschaftspolitisch bedeutsame Themen wie z. B. Rechtsradikalismus oder internationale Konflikte zu erlangen. In all diesen verschiedenen Formen psychodramatischer Arbeit kommen spezifische Techniken zum Einsatz, mit denen die Exploration des Themas und der Innenwelt der Protagonistin bzw. des Protagonisten vertieft werden kann. Zu den wichtigsten psychodramatischen Techniken gehören:

    der Rollentausch . Dabei übernimmt der Protagonist bzw. die Protagonistin die Rolle eines Interaktionspartners (Rollenwechsel), um die in Frage stehende Situation aus dessen Perspektive zu betrachten, die Einfühlung in seine Rolle zu vertiefen. Wechselt das Gegenüber in die Protagonistenrolle, spricht man vom Rollentausch im engeren Sinne.

    die Doppeltechnik . In der wahrscheinlich meistverwendeten Variante dieser Technik, dem sogenannten einfühlenden Doppel, tritt eine Mitspielerin oder die Leiterin für eine kurze Sequenz neben den Protagonisten, um aus dessen Rolle Gedanken oder Gefühle zu äußern, die sie bei ihm wahrnimmt, die dieser aber nicht äußert. Die Doppeltechnik dient zur Stützung und zur Förderung der Selbstexploration des Protagonisten.

    der psychodramatische Spiegel . Bei dieser Technik tritt der Protagonist gemeinsam mit der Leiterin an den Rand der (meist imaginierten) Bühne, um von dort aus die abgelaufene Szene zu betrachten und aus dieser distanzierten Beobachtungsperspektive Einsichten zu gewinnen, die aus der Innensicht nicht möglich wären.

    Das Psychodrama ist jedoch weit mehr als lediglich eine Ansammlung von Techniken, sondern ein Verfahren, das neben einer umfangreichen Methodik sowie einer Praxeologie (d. h. Regeln zum Einsatz der Methodik) auch verschiedene Interpretationsfolien, d. h. Erklärungsmodelle für die Entstehung und die Möglichkeiten zur Behebung der thematisierten Problematiken umfasst. Moreno sieht das Selbst einerseits als Produkt der Rollen, die eine Person zu einem gegebenen Zeitpunkt innehat: „Rollen entstehen nicht aus dem Selbst, sondern das Selbst kann sich aus Rollen entwickeln" (Moreno 1982, S. 280). Moreno war einer der Begründer der Rollentheorie. Eine rollentheoretische Perspektive stellt einen ersten wichtigen Zugang zum Verständnis des Protagonisten und seiner Problematik dar (vgl. Petzold u. Mathias 1982).

    Zum zweiten sieht Moreno den Menschen nie als isolierte Monade, sondern stets in seiner Einbettung in ein Beziehungsnetz, das Moreno als soziales Atom bezeichnet. Seine Soziometrie beschreibt, wie sich zwischenmenschliche Beziehungen durch Kräfte der Anziehung und Abstoßung, die Moreno „Tele" nennt, sowie durch darauf basierende positive und negative Wahlen konstituieren. Störungen in dieser Beziehungsgestaltung, z. B. ein im Zuge von Umzügen schrumpfendes soziales Atom, eine größere Anzahl negativer oder unerwiderter Beziehungen im sozialen Atom etc. können sich negativ auf das Wohlbefinden der Menschen auswirken und diese auch krank machen. Morenos Ideal ist eine nach soziometrischen Kriterien gestaltete Gemeinschaft, in der wirkliche Begegnung zwischen den Menschen stattfinden kann. Die Soziometrie bildet einen wichtigen Pfeiler sowohl für die theoretische Fundierung des Psychodramas als auch für die Psychodrama-Praxis (Moreno 1996; Stadler 2013; Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie 2011).

    Eine dritte wichtige Grundlage des Psychodramas ist das Konzept von Spontaneität und Kreativität . Diese Kräfte ermöglichen es den Menschen, sich aus starren Verhaltensmustern (von Moreno als „Rollenkonserven oder „Kulturkonserven bezeichnet) zu lösen und passende Möglichkeiten des Umgangs mit sich neu stellenden Anforderungen zu entwickeln. Ziel des Psychodramas ist es, Spontaneität und Kreativität zu aktivieren und so für die Klient/innen einschränkende Rollenkonserven aufzubrechen.

    Des Weiteren hat Moreno eine in jüngster Zeit wieder stärker beachtete Theorie der Rollenentwicklung erarbeitet und die Gruppenpsychotherapie entwickelt; er wird als Mitbegründer der Gruppendynamik (Petzold 1980a) und der Aktionsforschung (Petzold 1980b) sowie aufgrund seiner genuin auf die Beziehung fokussierten Betrachtung als Pionier der systemischen Therapie und Beratung betrachtet (Schlippe u. Schweitzer 2002, S. 18).

    Diese theoretischen Leistungen und Konzepte werden außerhalb der Psychodrama-Community oft nicht oder nur verkürzt wahrgenommen. Während die Originalarbeiten Morenos vielfach eher unsystematisch und aufgrund ihres expressionistischen Duktus nicht leicht rezipierbar sind, haben die nachfolgenden Generationen von Psychodramatiker/innen sich darum verdient gemacht, die theoretischen Grundlagen des Psychodramas zu systematisieren, auszuarbeiten, zu erweitern und ihre Anschlussfähigkeit für aktuelle Diskurse herauszuarbeiten – hier sind beispielsweise die Arbeiten von Buer (1999, 2010), Hutter (2000) und Schacht (2009), die auf eine breite Palette psychodramatischer Themen bezogenen Bände der Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie oder die Beiträge in Wieser u. Ameln (in Vorbereitung) zu nennen. Auch die in jüngster Zeit rege Psychodrama-Forschung (Stadler u. Wieser 2011) trägt dazu bei, dem Psychodrama die ihm gebührende wissenschaftliche Anerkennung zukommen zu lassen.

    Das Psychodrama wird vielfach als reine Gruppenmethode betrachtet. Die Anwendung im Einzelsetting ist jedoch problemlos möglich und vielfach beschrieben (am detailliertesten bei Erlacher-Farkas u. Jorda 1996). Die definitorische Bindung an das Gruppensetting sollte daher aufgegeben werden.

    Während das Psychodrama bisweilen als Methode der Gruppenpsychotherapie definiert wird (z. B. bei Petzold 1978 oder bei Zeintlinger-Hochreiter 1996), ist die Eingrenzung auf den therapeutischen Bereich schon historisch nicht zu rechtfertigen, da Moreno das Psychodrama auch in pädagogischen und soziologischen Arbeitsfeldern, in der Sozialarbeit usw. einsetzte. Heute wird das Psychodrama immer stärker auch in nichttherapeutischen Arbeitsfeldern eingesetzt, ohne psychotherapeutische Absichten zu verfolgen. Wenn sich das Psychodrama als Verfahren versteht, muss es daher definitorisch losgelöst von den Arbeitsfeldern („Formaten"; vgl. Buer 1997) betrachtet werden, in denen es eingesetzt wird. In diesem Sinne verstehen sich die Beiträge in diesem Buch als Übersicht über die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Psychodramas, als Wegweiser für die psychodramatische Arbeit in den beschriebenen Handlungsfeldern und als Zeugnis dafür, dass das Psychodrama 125 Jahre nach Morenos Geburtstag lebendiger ist denn je.

    Literatur

    Ameln, F. v. (2013). Surplus Reality – der vergessene Kern des Psychodramas. Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie, 12 (1), 5–19.CrossRef

    Ameln, F. v. u. Kramer, J. (2007a). Organisationen in Bewegung bringen. Handlungsorientierte Methoden in der Personal-, Team- und Organisationsentwicklung. Berlin: Springer.

    Ameln, F. v. u. Kramer, J. (2014). Psychodrama: Grundlagen. Berlin: Springer.

    Buer, F. (1997). Zur Dialektik von Format und Verfahren. Oder: Warum eine Theorie der Supervision nur pluralistisch sein kann. OSC Organisationsberatung – Supervision – Clinical Management, 4, 381–394.

    Buer, F. (Hrsg.) (1999). Morenos therapeutische Philosophie. Die Grundideen von Psychodrama und Soziometrie (3. Aufl.). Opladen: Leske & Budrich.CrossRef

    Buer, F. (2010). Psychodrama und Gesellschaft: Wege zur sozialen Erneuerung von unten. Wiesbaden: VS Verlag.CrossRef

    Erlacher-Farkas, B. u. Jorda, C. (Hrsg.) (1996). Monodrama: Heilende Begegnung – Vom Psychodrama zur Einzeltherapie. Wien: Springer.CrossRef

    Hutter, C. (2000). Psychodrama als experimentelle Theologie. Rekonstruktion der therapeutischen Philosophie Morenos aus praktisch-theologischer Perspektive. Münster: Lit.

    Moreno, J. L. (1959). Gruppenpsychotherapie und Psychodrama. Einleitung in die Theorie und Praxis. Stuttgart: Thieme.

    Moreno, J. L. (1982). Definition der Rollen. In H. Petzold u. U. Mathias (Hrsg.), Rollenentwicklung und Identität. Von den Anfängen der Rollentheorie zum sozialpsychiatrischen Rollenkonzept Morenos (S. 277–285). Paderborn: Junfermann.

    Moreno, J. L. (1996). Die Grundlagen der Soziometrie. Wege zur Neuordnung der Gesellschaft (4. Aufl.). Opladen: Leske & Budrich.CrossRef

    Petzold, H. (1978). Das Psychodrama als Methode der klinischen Psychotherapie. In J. L. Pongratz (Hrsg.), Handbuch der Psychologie (Bd.8/2, 2751–2795). Göttingen: Hogrefe.

    Petzold, H. (1980a). Moreno und Lewin und die Anfänge psychologischer Gruppenarbeit. Zeitschrift für Gruppenpädagogik, 6 (1), 1–18.

    Petzold, H. (1980b). Moreno – nicht Lewin – der Begründer der Aktionsforschung. Gruppendynamik, 2, 142–160.

    Petzold, H. u. Mathias, U. (Hrsg.) (1982). Rollenentwicklung und Identität. Von den Anfängen der Rollentheorie zum sozialpsychiatrischen Rollenkonzept Morenos. Paderborn: Junfermann.

    Schacht, M. (2009). Das Ziel ist im Weg. Störungsverständnis und Therapieprozess im Psychodrama. Wiesbaden: VS Verlag.CrossRef

    Schlippe, A. v. u. Schweitzer, J. (2002). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung (8. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

    Stadler, C. (Hrsg.) (2013). Soziometrie: Messung, Darstellung, Analyse und Intervention in sozialen Beziehungen. Wiesbaden: Springer VS.CrossRef

    Stadler, C. u. Wieser, M. (Hrsg.) (2011). Psychodrama: Empirische Forschung und Wissenschaft. Wiesbaden: VS Verlag.

    Wieser, M. u. Ameln, F. v. (in Vorbereitung). Moreno revisited. Wiesbaden: Springer VS.

    Zeintlinger-Hochreiter, K. (1996). Kompendium der Psychodrama-Therapie. Analyse, Präzisierung und Reformulierung der psychodramatischen Therapie nach J. L. Moreno. Köln: inScenario.

    Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie (2011). Themenheft Soziometrie/Gruppendynamik, 10(2).

    Falko von Ameln und Josef Kramer (Hrsg.)Psychodrama: Praxis201410.1007/978-3-642-44938-3_2

    © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

    2. Psychodrama in der Psychotherapie

    Hans-Jörg Burmeister¹ 

    (1)

    Nationalstr. 17, CH-8280 Kreuzlingen, Switzerland

    2.1 Einführung

    2.2 Die Theorie der psychodramatischen Psychotherapie

    2.3 Verlauf und Prozessparameter der psychodramatischen Psychotherapie

    2.4 Psychodramatische Diagnostik

    2.5 Spezielle Anwendungen

    2.6 Rahmenbedingungen der Ausübung von Psychotherapie

    Literatur

    Zusammenfassung

    In diesem Kapitel werden die Grundlagen und spezielle Anwendungsformen der psychodramatischen Psychotherapie vorgestellt. Dazu gehören neben einer Einführung in das Format Psychotherapie mit der dazugehörigen gesetzlichen, ethischen und fachlichen Konzeption insbesondere die Darstellung von Diagnostik, Gesundheits- und Krankheitsverständnis, von Therapieaufbau und Therapieplanung sowie der störungsbezogenen Durchführung und Evaluation der Therapie. Arbeitsmittel wie spezielle Modifikationen des Vorgehens, um eine optimale Passung zwischen Methode und Krankheitsbild zu erreichen werden ausführlich behandelt und durch ausführliche Fallbeispiele praxisnah vermittelt. Das Kapitel eignet sich sowohl für Interessierte, die einen Erstkontakt mit der Methode suchen, um eigene psychotherapeutische Kenntnisse zu ergänzen, wie auch für ausgebildete Psychodrama-Therapeuten, um das eigene Vorgehen abzugleichen und Anregungen und Vertiefungen für die eigene psychotherapeutische Arbeit zu erhalten.

    „Moreno nahm dich in deiner Ganzheit, mit deinem Potenzial, nicht nur mit deinen Fehlern wahr. Er glaubte nicht daran, dass ein Begriff wirklich eine wesentliche therapeutische Hilfe darstellt. Er glaubte nicht daran, dass Sprache den Königsweg zur Psyche darstellt und dass Sprache all das vermitteln kann, was man zu wissen hat. Du kennst die Muster eines Menschen, aber wenn sich diese bestimmte Person dir gegenüber offenbart, siehst du etwas völlig anderes" (Moreno 1996, unveröffentlichtes Arbeitspapier).

    2.1 Einführung

    Trotz der visionären Leistungen, die Moreno, der Begründer des Psychodramas , mit der Etablierung eines eigenständigen gruppenpsychotherapeutischen Modells, eines Prinzips mitmenschlicher Begegnung als Basis jeder psychotherapeutischen Intervention oder der erstmaligen bewussten Ausarbeitung von Lösungskompetenz und Handlungsfähigkeit als psychotherapeutischen Leitvorstellungen vorgelegt hat, bleibt das Psychodrama als psychotherapeutisches Verfahren auch heute hinter seinen Möglichkeiten zurück. Der dem Verfahren eigenen Virtuosität bei der Gestaltung therapeutischer Prozesse und der Evidenz, die sich über Jahrzehnte hinweg in unzähligen Behandlungsverläufen gezeigt hat, steht ein deutlicher Mangel an wissenschaftlicher Systematik und empirischer Forschung entgegen. So kommt es, dass sich das Psychodrama als eines der ältesten Modelle der neuzeitlichen Psychotherapie in Deutschland bisher nur in Teilen des Gesundheitssystems etablieren konnte.

    Konzepte der allgemeinen Psychotherapie

    Eine der am meisten verbreiteten Definitionen von Psychotherapie hat Strotzka (1975) vorgelegt:

    Psychotherapie ist ein bewusster und geplanter interaktioneller Prozess zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, die in einem Konsensus (möglichst zwischen Patient, Therapeut und Bezugsgruppe) für behandlungsbedürftig gehalten werden, mit psychologischen Mitteln (durch Kommunikation) meist verbal, aber auch nonverbal, in Richtung auf ein definiertes, nach Möglichkeit gemeinsam erarbeitetes Ziel (Symptomminimalisierung und/oder Strukturveränderung der Persönlichkeit) mittels lehrbarer Techniken auf der Basis einer Theorie des normalen pathologischen Verhaltens. In der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig. (S. 3)

    Psychotherapie kann unmittelbar darauf abzielen,

    1.

    das Leiden des Betroffenen zu beseitigen (Symptomfreiheit) oder

    2.

    eine Einstellungsänderung herbeizuführen, die dieses Leiden lindert.

    Dabei kann das Ziel auch dadurch erreicht werden, eine „tiefergehende" Problematik (z. B. einen familiären Konflikt), die der Klient mithilfe seines Symptoms unter Umständen unbewusst zu bewältigen sucht, bewusst zu machen und aufzuarbeiten.

    Der für die Psychotherapie relevante und über Jahrhunderte diskutierte Leib-Seele-Dualismus (sind psychische Phänomene „reine biologische" Tatsachen?) ist durch die neuesten neurobiologischen Forschungsergebnisse zugunsten einer integrativen Perspektive endgültig überholt worden (vgl. Roth 1997). Dabei gilt das sogenannte biopsychosoziale Modell (Uexküll u. Adler 1996) als hermeneutische Grundlage für alle Formen menschlichen (und damit auch psychischen) Leidens: Leiden erklärt sich aus und betrifft alle Dimensionen menschlicher Existenz gleichzeitig. Der „körperlose Seelenmensch und der „seelenlose Körpermensch verfehlen die ganzheitliche Intention des Modells. Der allgemeine Zusammenhang zwischen Genetik und lebensgeschichtlichen Einflüssen wird durch das Diathese-Stress-Modell überzeugend beschrieben: Eine individuell unterschiedliche, biologisch determinierte Anfälligkeit für bestimmte psychische Störungen (Vulnerabilität) wird lebensgeschichtlichen Belastungen („life events", Stress) ausgesetzt, aber auch durch Schutzmechanismen gestützt. Störungen treten dann auf, wenn der durch die Vulnerabilität definierte individuelle Schwellenwert überschritten wird.

    2.2 Die Theorie der psychodramatischen Psychotherapie

    Die Rollentheorie Morenos und ihre Weiterentwicklungen bilden den Kern des hier vertretenen Erklärungsmodells. Die Grundzüge der Rollentheorie sollen hier in ihrer spezifischen Bedeutung für die psychodramatische Psychotherapie dargestellt werden, s. Übersicht.

    Überblick über die Grundannahmen der psychodramatischen Psychotherapie

    1.

    Menschliche Entwicklung ist untrennbar gebunden an zwischenmenschliche Beziehungen eine interpersonale Matrix (z. B. die Mutter-Kind-Beziehung).

    2.

    Die in der Beziehung wirksame Interaktion vollzieht sich vor allem im Handeln. Handeln ist für die menschliche Entwicklung konstitutiv.

    3.

    Spontaneität, die als energetisches Potenzial Handlungen auslösen kann (Handlungsbereitschaft, beim Neugeborenen sogenannter Aktionshunger), erzeugt die Möglichkeit neuer Erfahrung. Sie ist für kreative, neuartige Handlungen konstitutiv.

    4.

    Das Beziehungsgeschehen hat szenischen Charakter. Die im szenischen Handeln erfahrene intersubjektive Dynamik wird in Form von spezifischen Vorstellungs-, Gefühls- und Handlungsmustern im Inneren konserviert. Im Psychodrama werden diese Muster als Rollenmuster bezeichnet. Rollen sind zielbezogen und funktional. Sie dienen den Lebensinteressen.

    5.

    Die theoretisch vorhandene endlose Komplexität von Rollen wird durch den Rückgriff auf bekannte Muster reduziert, die sich bei der Bewältigung von Realität bewährt haben. Das ausgesuchte Muster bzw. die ausgesuchte Rolle korrespondiert mit der subjektiven Wahrnehmung, der emotionalen Bewertung und der kognitiven Deutung der Situation.

    6.

    Für eine angemessene Wahrnehmung muss der Klient Gewissheit über die eigene Existenz erlangt haben und in der Lage sein, Fantasie und Realität zu unterscheiden. Diese Fähigkeiten erfordern die Ausbildung spezifischer Rollenkompetenzen: Rollenhandeln, Rollenwahrnehmung, Rollenausübung und Rollentausch (s. Tab. 2.1). Phasenabhängig werden dabei während der menschlichen Entwicklung jeweils bestimmte Dimensionen des Rollenhandelns ausgestaltet:

    Die somatisch-motorische Dimension der Rolle,

    die phantasie- und vorstellungsgetragene Dimension der Rolle,

    die sozial und kognitiv konstruierte Dimension der Rolle.

    7.

    Rollen ermöglichen im Idealfall eine Koordination von somatomotorischer Aktivität, affektiver Gestimmtheit sowie kognitiv und interpersonal vermittelter situativer Einschätzung der „Stimmigkeit" des eigenen Verhaltens. Sie bleiben im Idealfall derartig flexibel, dass sie auf Veränderungen im Beziehungsgeschehen durch Verhaltensanpassungen adäquat antworten können.

    8.

    Diese Oszillation des Rollenverhaltens wird als Bündelung einzelner „Responses um einen bestimmten „Rollenkern beschrieben. Dabei werden als Organisationsprinzip soziale Rollenkategorien betont (z. B. Mutter, Freund, Lehrer), die durch bestimmte Attribute intrapsychisch weiter aufgefächert werden (z. B. die gute Mutter, die böse Mutter, die liebenswürdige Mutter, die erfolgreiche Mutter). Je nach situativer Anforderung werden dann bestimmte Rollenattribute für angemessene Rollenkonstellationen ausgewählt.

    9.

    Das für die psychodramatische Psychotherapie grundlegende Phänomen spontaner szenischer Wechsel, das z. B. auftritt, wenn eine Ausgangsszene die Erinnerung an die nächste, genetisch frühere Szene anstößt, kann über „innere Resonanzvorgänge erklärt werden. In der aktuellen Szene werden bestimmte Merkmale aktiviert (z. B. bestimmte Gefühle und Körpersensationen), die auch mit der früheren Szene verbunden sind (etwa durch „neuronale Attraktoren oder „Knotenpunkte"). Dadurch kann diese wieder ins Gedächtnis treten.

    10.

    Rollenmuster tendieren in unterschiedlichen Bezugssystemen zur Wiederholung. Als Ausgangspunkte für die szenische Wiedergabe von interaktionalen Mustern werden in der psychodramatischen Psychotherapie

    die aktuelle therapeutische Beziehung, insbesondere ihre multiple Auffächerung in Gruppen,

    die Realbeziehungen in familiären und/oder anderen sozialen Systemen,

    die rekonstruierten Beziehungen innerhalb psychodramatischer Handlungssequenzen und die Beziehungsäquivalente auf leiblicher und/oder symbolisch-imaginativer Ebene verwendet.

    Tab. 2.1

    Rollenkompetenz als Ziel der psychodramatischen Psychotherapie

    2.2.1 Gesundheits- und Störungsbegriff im Psychodrama

    Die Frage, was als Störung bzw. Krankheit betrachtet wird und was nicht, wirft in der Psychotherapie Probleme auf. Anders als im medizinischen Bereich, wo ein mehr oder weniger objektivierbares körperliches Krankheitsgeschehen vorliegt, hängt die Einstufung eines psychischen Phänomens als „Störung" in entscheidendem Maße ab

    von soziokulturellen Konventionen (was in einer Kultur als psychische Störung aufgefasst wird, kann in einer anderen Kultur als normal gelten),

    von gesellschaftlichen Machtverhältnissen,

    von den Interessen des „Auftraggebers" (von Familienangehörigen bis hin zu juristischen Instanzen) und nicht zuletzt

    von der Bewertung des Betroffenen selbst.

    Entsprechend ist in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) der Krankheitsbegriff aufgegeben worden. Die kritische Reflexion der Diagnose „psychische Störung" als sozialer Konstruktion in jedem Einzelfall gehört daher zur Professionalität des Therapeuten.

    Gesundheit

    erscheint aus psychodramatischer Sicht als Vorhandensein von Spontaneität und interpersonaler „Rollenkompetenz " (s. Tab. 2.1), die sich als Fähigkeit äußern, auf interpersonale und situative Anforderungen mit jeweils aktualisierbaren Rollen angemessen reagieren zu können. Dies schließt die Neuschöpfung von Rollen oder die neue Bewertung bisheriger Rollen aufgrund von Spontaneität mit ein. Denn spontane Handlungen setzen Anforderungen voraus, die durch automatisierte Handlungsmuster nicht angemessen beantwortet werden können. Die Angemessenheit von Handlungen steht in Bezug zu subjektiven Zielkriterien (Funktionalität und „Stimmigkeit" des Handelns) und zu sozialen Normen, zwischen denen das Handeln koordiniert werden muss.

    Störung

    wird umgekehrt sichtbar in einem Misslingen dieses Adaptationsvorgangs. So unterschiedlich die je individuell wirksamen Ursachen sind (biologische Defekte, erworbene Malformationen, soziokulturelle Pathogenese), so einheitlich ist das Pathologieverständnis psychischer Phänomene des Psychodramas: Pathologie im Sinne des Psychodramas ist immer Beziehungspathologie, d. h. misslingende Beziehungskoordination des Individuums mit seiner Umwelt. „Das Abgeschnittensein vom intermediären Raum der Beziehung (der Inter-Psyche) impliziert den Verlust vom eigenen Inneren, vom Zutrauen in dieses Innere" (Rohde-Dachser 1980, S. 278).

    2.2.2 Szene und Rollen: Das Arbeitsmodell für Beziehungen im therapeutischen Psychodrama

    Das Psychodrama sieht Beziehungserfahrungen als szenische Erfahrungen an. Szenen entstehen im Zusammenspiel komplementärer Rollen (Abb. 2.1, R1 und R2), die in einer bestimmten „Lage/Situation realisiert werden. Die verschiedenen (somatischen, psychischen, sozialen) Rollendimensionen der aktiven Rollen differenzieren die szenische Erfahrung weiter (Abb. 2.1, S-P-S; intrapsychisches Rollensystem ). Gleichzeitig wirken aus dem Hintergrund sozioemotional wichtige Beziehungen auf die Beziehungsgestaltung ein (Abb. 2.1, interpersonales Rollensystem; SNI = soziales Netzwerkinventar). Die für die Szene charakteristische „Lage schafft durch ihre Einflüsse eine je individuelle Ausgangssituation, die in die Beurteilung und Bewertung des Beziehungsverhaltens einbezogen wird. Die in einem bestimmten Augenblick gegebene Beziehungsdynamik, d. h. das Zusammenspiel von Lage und Rollenverhalten, spiegelt schließlich das individuelle Spontaneitätsniveau in der Beziehung für R1 und R2 wider.

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    Abb. 2.1

    Arbeitsmodell für Beziehungen in der Psychodrama-Therapie

    Beispiel

    Wenn ein männlicher Angestellter mit seinem männlichen Chef eine Gehaltsverhandlung führt, kann die Begegnung als Begegnung zwischen zwei Männern (soziale Rollenkategorie: Mann) und/oder als Begegnung zwischen Vorgesetztem und Untergebenen (soziale Rollenkategorie: Untergebener/Vorgesetzter) registriert werden. In der szenischen Erfahrung der Beteiligten werden beide Rollen des Rollensets symbolisch und emotional bewertet und vor dem Hintergrund bestehender Rollenmuster wahrgenommen (Verbindung zum SNI). Genetisch frühere Szenen beeinflussen die aktuelle Szene: Merkmale wie etwa Beherrschtwerden vs. Beherrschung oder Angst plus unterdrückte Wut vs. Schadenfreude könnten etwa den involvierten Rollen zugeordnet, die aktualisierten Rollendimensionen wie Verkörperung, emotionale oder kognitive Besetzung der Rolle (S-P-S) und der Szene entsprechend „ausgerichtet" werden. Je nach Lage, z. B. atmosphärischer Einhüllung der Szene beispielsweise durch Kontakte im unmittelbaren Vorfeld der Begegnung, variieren Rollenausübung und Spontaneität zusätzlich.

    Interpsychischer und intrapsychischer Rollenstatus sind Ausdruck der individuellen Beziehungserfahrung. Kompetenzen und Störungen gehen in beide ein und beide können als Zugangswege der psychodramatischen Psychotherapie genutzt werden. Dabei werden Rollen systematisch gesammelt, ausgewertet und in Verbindung zum Therapieziel gebracht: Progressive oder dysfunktionale Rollen. Die Handlungs- und Lösungskompetenz bleibt mit dem jeweilig verfügbaren Spontaneitätsniveau verbunden.

    2.2.3 Spontaneität und Kreativität : Lösungsorientierung der psychodramatischen Psychotherapie

    Kreative Handlungsbereitschaft beruht auf Spontaneität . Handlungsbereitschaft sinkt, wenn Kontrollverlustängste und – damit eng verbunden – Angst vor negativer Bewertung durch die Umwelt vorliegen. Handlungsbereitschaft steigt,

    wenn Vertrauen sich selbst gegenüber,

    Vertrauen anderen und der Situation gegenüber,

    aber auch Erfahrung von eigener Wirksamkeit,

    Glaube an die Beeinflussbarkeit der Situation und der eigenen Lösungskompetenz in der Situation vorhanden sind.

    Dieser enge Zusammenhang zwischen Rollenentwicklung und Spontaneität lässt sich am Beispiel der Behandlung chronischer psychischer Erkrankungen verdeutlichen. So engen z. B. schizophrene oder demenzielle Prozesse sowie Erkrankungen mit rigiden Handlungsmustern (z. B. Zwangserkrankungen, Depressionen oder schwere traumatische Erkrankungen) das aktualisierte Rollenrepertoire stark ein. Es kommt zur Rollenfixierung und einer starken Hemmung von Spontaneität. In diesen Fällen kann die gezielte Stimulierung von „günstigen, emotional positiv besetzten Rollenerfahrungen im Erwärmungsprozess und die Aktivierung gegenwärtig nicht mehr genutzter Rollenkategorien (z. B. Fantasierollen) eine Flexibilisierung des Verhaltens und eine Zunahme von Spontaneität einleiten. Selbst bestätigendes Erleben kann dabei sowohl auf der psychischen (z. B. durch Imaginationsübungen, durch Stimulierung von Hoffnung) als auch auf der kognitiven (z. B. durch „positives Denken) und der somatischen Rollendimension (z. B. durch Körperübungen und andere körperliche Aktivitäten) stimuliert werden. Jede Rollendimension verfügt also über spezifische „Interaktionszonen, die selbst bestätigendes Erleben stimulieren können. Die Frage, über welche Interaktionszonen das Spontaneitätsniveau „gestartet werden kann, bildet eine der Kernfragen für die psychodramatische Psychotherapie. Die Vorgänge, die erforderlich sind, um sich ungenutzte Rollenkategorien wieder anzueignen, müssen dabei jeweils störungsspezifisch gestaltet werden.

    Anders als beim klassischen sozialen Rollentraining geht es dabei zunächst nicht um die Bearbeitung der spezifischen Konfliktlage, sondern um die allgemeine Erweiterung des Handlungs- und Lösungspotenzials des Klienten. Im Rollenhandeln erlebt der Klient eine Erweiterung der eigenen Handlungsmöglichkeiten; dieser erlebte Zuwachs der eigenen Selbstwirksamkeit führt zu einem Zuwachs an Spontaneität. In der einmal erreichten Spontaneitätslage wird das schöpferische Potenzial für alternative Handlungsmuster frei: Interpersonales Rollenverhalten kann – einmal aus seiner Automatisierung gelöst – in der Therapie um neue Rollenkonfigurationen erweitert werden, die erlebte und erfahrene Beziehung erhält eine neue Bewertung, da sich der emotionale Bezug zum Anderen und/oder zur eigenen Person in der Beziehung verändert hat.

    2.2.4 Die Bühne: Die besondere Arbeitsebene der psychodramatischen Psychotherapie

    Psychodramatische Psychotherapie zeichnet sich durch die Hinzunahme einer besonderen therapeutischen Arbeitsebene aus, die für das Verfahren spezifisch ist. Es handelt sich dabei um einen intermediären Übergangs- oder Übungsraum (Winnicott 1985), die psychodramatische Bühne , die eine neue Kategorie von Realität in die Therapie einführt und der Umsetzung des psychodramatischen Handlungs- und Gestaltungsprinzips dient (Surplus Reality ). Die Stimulierung von Spontaneität und Spiel eröffnet im Idealfall einen Möglichkeitsraum, in dem Klienten therapeutisch sinnvolle Veränderungen vornehmen und erproben können.

    Die Bühne bietet „… ideale Vorbedingungen, präsymbolische oder nie ins Bewusstsein des Patienten gelangte Bilder in eine echte Symbolsprache zu überführen, indem sie eine in den psychischen Außenraum verlagerte und damit auch visuell erfahrbare szenische Aktion entstehen lässt" (Rohde-Dachser 1980, S. 298). Diese Externalisierung der „Innenwelt (Holmes 1992) schafft Distanz, die schöpferisch genutzt werden kann. „Psychodrama lässt mit Hilfe des Klienten die intrapsychischen Vorgänge in der Gestalt annehmen, um sie in einem greifbaren [!] und kontrollierbaren [!] Universum zu objektivieren (Moreno 1964, S. XXI f.). Der reversible Charakter der Spielrealität verstärkt das schöpferische Potenzial des Verfahrens. Gleichzeitig wirkt die implizite Verwendung von Imagination und „präsentativer Symbolik" im Rahmen von Konfliktbearbeitungen schützend und kränkungsvermeidend (Franzke 1985). Die Erlebnisdichte führt dabei zu Erlebnissen vitaler Evidenz, die Einsicht und neue Perspektiven zugänglich macht und den Idealbedingungen der Problemaktualisierung (Grawe 1995) nahekommt. Der szenische Symbolgehalt geht aber über die einfache Abbildung von Interaktionen hinaus. Gerade in der Auswahl einzelner Gegenstände und in der atmosphärischen Einhüllung der Szene spiegeln sich häufig latente Beschreibungsansätze, die das manifeste Thema der Szene entscheidend konturieren und weiter entwickeln können (s. auch Delius u. Hüffer 1996, zur besonderen Wirkung von Bildern auf den Gruppenprozess).

    In einer von Pruckner (2002) vorgeschlagenen begrifflichen Ausweitung des Bühnenbegriffs für das therapeutische Psychodrama insbesondere mit Kindern werden von ihr als „Arbeitsbühnen" die Soziale Bühne (SB), die Begegnungsbühne (BB) und die Spielbühne (SpB) unterschieden. Auf der SB werden die in der sozialen Realität des Betroffenen fassbaren Zustände, Veränderungen und Konflikte erfasst (z. B. mit dem sozialen Atom ) und therapeutisch beantwortet (z. B. im Paar- oder Familiengespräch). Auf der BB wird die psychodramatische Beziehungsgestaltung zur Vor- und Nachbereitung der eigentlichen Spielsequenz eingesetzt (z. B. Beziehungsaufbau, Abklärung von Befindlichkeit, Motivation, Erleben von Vertrauen/Sicherheit in den bevorstehenden Prozess, Sharing und Rollenfeedback nach der Spielsequenz, etc.). Auf der SpB werden die auf der BB vereinbarten Themen des Protagonisten als Als-Ob Realität mit passenden psychodramatischen Techniken inszeniert und auf therapeutische Ziele hin weiter entwickelt.

    2.2.5 Externalisierung und Katharsis : Ausgesuchte Wirkprinzipien der psychodramatischen Psychotherapie

    Das Psychodrama gehört zu den emotionszentrierten Ansätzen der Psychotherapie. Es ist in der Lage, die emotionale Repräsentanz und Verarbeitung von Beziehung besonders darzustellen und im Rahmen eines therapeutischen Prozesses systematisch verfügbar zu machen. Sie führt dabei die Ressourcen von Spiel, Handlung und symbolischer Darstellung in die Praxis der Psychotherapie ein.

    Unterdrückte Gefühle können angemessenes Rollenverhalten erschweren oder unmöglich machen. Gerade dadurch können schwerwiegende Störungen des Beziehungsverhaltens mit hohem Leidensdruck entstehen oder aufrechterhalten werden. Als Beispiele können depressive, psychosomatische oder Suchtstörungen dienen, bei denen trotz aller individuellen Unterschiede häufig bestimmte Gefühle (z. B. Aggressionen, Bindungswünsche), die in zwischenmenschlichen Situationen entstehen, nicht im Rahmen dieser Beziehungen artikuliert werden. Stattdessen werden diese Gefühle auf andere Situationen übertragen und indirekt „artikuliert". Die Emotionsforschung hat die Bedeutung des angemessenen Umgangs mit Affekten eindrücklich belegt.

    Affekte gefährden die Möglichkeit, die Kontrolle und damit die Sicherheit als Grundbedürfnis über eine interpersonale Situation zu behalten. Um Affekte ausdrücken zu können, muss deshalb einerseits Vertrauen und Sicherheit in die äußere Situation und die beteiligten Personen bestehen. Andererseits können die betroffenen Gefühle mit dem eigenen Selbstbild unvereinbar sein oder sie können als potenziell nicht begrenzbar und deshalb schädigend eingeschätzt werden. Bevor Affekte ausgedrückt werden können, ist deshalb häufig die Arbeit am Selbstbild (intrapsychisches Rollenrepertoire) oder an der Begrenzung von Gefühlen (Rollenhandeln mit gestuften Übungen) Voraussetzung. Damit der kathartische Ausdruck unterdrückter Gefühle auch zu Wachstum und kreativer Veränderung führen kann, muss er in Verbindung zu den auslösenden Beziehungserfahrungen gebracht und in ein neues Beziehungsverhalten eingefügt werden können. Dieses mitunter mehrschrittige Vorgehen führt zur Integrationskatharsis: Die durch die Katharsis freigesetzte Energie hebt den bis dahin niedrigen Spontaneitätsgrad an und ermöglicht dadurch Handlungskorrekturen, die den Prozess zur integrativen Handlungskatharsis vervollständigen.

    2.2.6 Zielvorstellungen der psychodramatischen Psychotherapie

    Die Ziele der psychodramatischen Psychotherapie werden im Einzelfall durch den Klienten vorgegeben. Im Allgemeinen bestehen die Ziele

    1.

    in der Stimulierung von Spontaneität und Kreativität , mit der notwendige Veränderungen eingeleitet werden können;

    2.

    in der Identifizierung von pathogenen, inadäquaten Handlungs- und Rollenmustern, ihren Voraussetzungen und ihrer lebensgeschichtlichen Bedeutung;

    3.

    in der Anbahnung und Erprobung neuer Interaktionsformen (Erweiterung des Rollenrepertoires).

    2.3 Verlauf und Prozessparameter der psychodramatischen Psychotherapie

    In der psychodramatischen Psychotherapie werden vier Prozessparameter unterschieden, die jeweils spezifische Funktionen für den therapeutischen Prozess erfüllen: die therapeutische Beziehung, die Erwärmungsphase , die Aktionsphase und die Integrationsphase (Tab. 2.2).

    Tab. 2.2

    Prozessparameter der psychodramatischen Psychotherapie

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