Digital Customer Experience: Mit digitalen Diensten Kunden gewinnen und halten
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Wie typisch für die Fachbuchreihe Edition HMD greifen die Beitragsautoren das Thema aus Sicht von Forschung und Praxis gleichermaßen auf.
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Buchvorschau
Digital Customer Experience - Susanne Robra-Bissantz
Teil IGrundlagen und Perspektiven
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
Susanne Robra-Bissantz und Christoph Lattemann (Hrsg.)Digital Customer ExperienceEdition HMDhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-22542-1_1
1. 7 Rules of Attraction – Mit kundenorientierten Diensten erfolgreich in der Digitalen Transformation
Susanne Robra-Bissantz¹ und Christoph Lattemann²
(1)
TU Braunschweig, Braunschweig, Deutschland
(2)
Jacobs University Bremen, Bremen, Deutschland
Susanne Robra-Bissantz (Korrespondenzautor)
Email: s.robra-bissantz@tu-bs.de
Christoph Lattemann
Email: c.lattemann@jacobs-university.de
Zusammenfassung
Alles bleibt anders. Die Digitalisierung verändert Märkte – zum Teil disruptiv. Allerdings gilt heute noch mehr als früher: es kommt nicht auf ein Produkt an, sondern auf den Wert, den man dem Kunden bietet. So zumindest proklamiert es der Ansatz der Service Dominant Logic. Und hier bietet genau die Digitalisierung und ihr Einsatz in kundenorientierten Diensten verschiedene Möglichkeiten, die aus Produkten ganze Problemlösungen für den Kunden machen und damit ihren Wert deutlich steigern: ob durch Individualisierung, durch bessere Unterstützung oder durch raffinierte Zusatzleistungen. Es lohnt sich, an verschiedenen Stellen einen anderen Blick auf die Attraktivität des eigenen Angebots zu werfen. Hierzu stellt der vorliegende Beitrag die wesentlichen Grundlagen der Service Dominant Logic vor. In 7 Schritten entwickelt er darauf aufbauend Denkanstöße in Regelform für eine Servitization und Digitalisierung der eigenen Produktpalette.
Schlüsselwörter
Service Dominant LogicCustomer ValueKundenorientierte DienstleistungRegeln zur DigitalisierungValue in interactioneServices
Überarbeiteter Beitrag basierend auf Robra-Bissantz und Lattemann (2017) 7 Rules of Attraction, HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik Heft 317, 54(5):639–651.
1.1 Einleitung und Motivation
Die Digitalisierung verändert Märkte. Viele Anbieter, begonnen mit der Musikindustrie, dem Verlagswesen, über den stationären Einzelhandel bis hin zur Industrie kämpfen um ihre Kunden. Sie beobachten die technischen Möglichkeiten, die sich heute mit Websites, Apps, Location Based Services oder anspruchsvoller Datenanalyse ergeben. Parallel bringen globale Player oder auch hunderte von innovativen Start-ups täglich viele neue digitale Dienstleistungen auf dem Markt.
Technologie, auch Informationstechnologie, kann dabei unternehmerischen Erfolg nicht erklären. Aber auch das Produkt allein führt heute häufig nicht mehr dazu, dass Kunden ihrem Anbieter mehr oder weniger treu sind. Ein relativ neuer Ansatz, der eine Erklärung vieler neuer Phänomene verspricht, ist die so genannte Service Dominant Logic – die seit dem Jahr 2004 immer konkreter einen anderen Blick auf Märkte, Kunden und das Angebot eines Anbieters richtet (Vargo und Lusch 2004).
Aufbauend auf eine kurze Einführung in die Service Dominant Logic, ergänzt durch die Perspektive des Wirtschaftsinformatikers, entwickelt der vorliegende Beitrag sieben plakative Regeln, die eine Dienstleistungssicht auf Produkte, Unternehmen und Märkte mit der Digitalisierung verbinden und damit heutige Anbieter potenziell für zukünftige Herausforderungen wappnen.
1.2 Service Dominant Logic zur Analyse der digitalen Transformation
Die Service Dominant Logic stammt aus dem Bereich des Dienstleistungsmarketings und stellt trotzdem die traditionelle Marketing-Perspektive auf den Kopf. Bestechend ist, dass dieses theoretische Konzept viele praktische Entwicklungen, die wir auf Märkten beobachten, begründen kann.
Für die folgende Analyse hinsichtlich der digitalen Transformation beschreibt und erklärt sich die Service Dominant Logic im Wesentlichen über sieben Aspekte, die unser Markt- und vielleicht sogar Weltbild ganz grundlegend verändern:
1.
Fokus: Wert
Der zentrale Betrachtungsgegenstand eines Anbieters ist nicht sein traditionelles Produkt (Sach- oder Dienstleistung), sondern der Wert, den dieses Produkt einem potenziellen Kunden schafft. Bereits seit einiger Zeit wird diskutiert, dass Sachleistungen, bzw. Dinge, lediglich Vermittler für Dienstleistungen sind. Die Service Dominant Logic ergänzt, dass auch Dienstleistungen lediglich eine Mittlerrolle einnehmen: sie sind ein Vermittler von Kompetenzen und damit wertvoll. Als typisches Beispiel zieht diese Sichtweise hier den Kühlschrank heran: er ist lediglich der Träger des Wertes, Dinge kühl halten zu können. An sich, als Produkt, ist er nicht wertvoll. Gäbe es andere Wege, Dinge kühl zu halten, dann könnten auch diese gewählt werden.
2.
Austausch: Kompetenzen (Ressourcen)
Um Werte zu schaffen, werden nicht Produkte sondern Ressourcen zwischen Partnern ausgetauscht und von diesen jeweils integriert: Fähigkeiten, menschliche Arbeit, Wissen etc. Ein Kunde nutzt seine eigenen Kompetenzen und die Ressourcen verschiedener Partner, um damit seinen Wert zu realisieren. Auch ein physisches Produkt entsteht, bevor es ausgetauscht wird, aus Kompetenzen. Es vermittelt diese lediglich. Menschliche Arbeit begründet die physische Dienstleistung. Wissen in der Form von digital gespeicherten Algorithmen bietet einen elektronischen Dienst. Für jede benötigte Kompetenz überlegt der Kunde, ob er sie selber beitragen oder aber extern erwerben will. Im letzteren Fall stellt der Kunde im Gegenzug jeweils seine Ressourcen und damit einen eigenen Service zur Verfügung. Dabei kann sich der Austausch von Ressourcen auch über mehrere Partner vollziehen.
3.
Beteiligte: Akteure
Der Kunde ist, ebenso wie der Anbieter, ein Akteur, der Werte aus Ressourcen schafft. Damit tritt der Kunde aus seiner passiven Rolle heraus: stattdessen greift er auf Ressourcen von Unternehmen zu – was heute sehr viel mehr der Lebenswirklichkeit, insbesondere über Apps, entspricht. Zudem sind die Rollen Anbieter und Kunde nicht mehr klar unterscheidbar, sie können rasch wechseln oder auch vom gleichen Akteur eingenommen werden. Dieser Blick ermöglicht, dass auch Phänomene, wie zweiseitige Märkte, auf welchen derselbe Mensch sowohl etwas anbietet als auch etwas konsumiert, beschrieben werden können.
4.
Wertentstehung: Co-Creation
Ein Wert entsteht damit immer in einer so genannten Co-Creation (Lattemann und Robra-Bissantz 2006): in einem gemeinsamen Kreationsprozess, der immer den Begünstigten dieses Wertes einschließt. So gilt in Bezug auf ein physisches Produkt, dass es erst wertvoll sein kann, wenn beide Partner zumindest einen Übergang des Besitzes gestaltet haben und der Begünstigte es im Anschluss derart nutzt, dass es für ihn genau das bietet, was er für die Lösung eines Problems oder für seine Lebensqualität benötigt hat.
5.
Individuelle Werte
Dabei kann der Wert eines Produktes, auch einer Dienstleistung, für jeden Einzelnen völlig unterschiedlich sein. Werte sind individuell, und sie überdauern auch beim Einzelnen nicht für immer. Man macht sich mit dieser Sicht gleichzeitig von der gängigen Perspektive eines Marktes frei, auf dem Angebote gleicher Art ihre Nachfrage suchen. Völlig neue Ideen, wie ein Wert entsteht, können auftreten – obwohl sie niemals im Blick des vorher definierten Marktes waren.
6.
Der Wert als Value in Use
Der Wert eines Produktes oder einer Dienstleistung entsteht (auch) in seiner oder ihrer langfristigen Nutzung. Was ist der Wert eines Automobils? Wahrscheinlich nicht allein das Eigentum, das mit dem Kaufprozess übertragen und abgeschlossen ist. Es mag sein, dass das Automobil seinem Nutzer langfristig als Statussymbol dienen soll oder ihn von A nach B transportiert oder aber nur sicherstellt, dass eine Mobilität ohne Lücken möglich ist. Diese Werte gilt es zu entdecken und dafür zu sorgen, dass das eigene Angebot sie erfüllen kann. Zumindest sollte das eigene Angebot in einem so genannten Service-Ökosystem aus vielen Angeboten unterschiedlicher Partner (Unternehmen aber auch private Akteure) einen wesentlichen Beitrag zum gesamten Wert leisten.
7.
Der Wert als Value in Interaction
Für die Wirtschaftsinformatik besonders wichtig ist, dass neben dem genannten „Value in Use auch ein „Value in Interaction
existiert. Damit erlaubt die Service Dominant Logic explizit, die „Digital Customer Experience" (Lattemann und Robra-Bissantz 2017) als eigenständigen und wichtigen Wertbeitrag zu sehen und zu gestalten. Vermittlungsplattformen, Konfigurationssysteme, Apps oder die gemeinsame Entwicklung von neuen Produkten oder Dienstleistungen tragen als eigenständiger eService (digitaler Service) dazu bei, dass sich Werte entfalten können. Die Service Dominant Logic verweist hier darauf, dass es gilt, gemeinsame Räume, so genannte Joint Spaces (Grönroos 2011), zu eröffnen. Diese können Orte sein, die der Anbietende und der Nutznießer für den jeweils anderen öffnen. Häufig sind diese Joint Spaces virtuelle Räume – z. B. eine Website oder eine mobile Applikation.
1.3 Seven Rules of Attraction
Jedes Unternehmen, sei es aus der Industrie oder der Dienstleistung, tut gut daran zu versuchen, einen völlig neuen Blick auf sein Angebot zu werfen – zunächst ganz allgemein auf den Charakter seines Angebots als Wert.
Nehmen wir als Beispiel den typischen Supermarkt. Welchen Wert verspricht sich eine Konsumentin von Lebensmitteln? Nehmen wir hier, beispielhaft, an: sie möchte gerne mit Freunden und/oder Familie zuhause gut essen. Diesen Wert kann sie auf ganz unterschiedlichem Weg erhalten – völlig abstrahiert vom ursprünglichen Supermarkt. Immer sind verschiedene Ressourcen und damit auch Kompetenzen oder Aktivitäten notwendig. Die Waren müssen ausgewählt werden, sie müssen in die Wohnung gelangen, ein Rezept wird benötigt, man kocht oder man lässt es eben sein.
Entsprechend findet sich eine Vielzahl von Anbietern, die zum Wert des Essens zuhause beitragen können. Sie transportieren zum Beispiel gewünschte Lebensmittel von den Regalen in die Wohnung. Warum nutzt man diesen Dienst? Weil es einem nicht wertvoll erscheint, Lebensmittel selber aus den Regalen zu wählen und sie zu tragen. Wählt man dagegen gerne aus, weil einem der Supermarkt Inspiration bietet, dann würde man eher nur auf einen Lieferservice zurückgreifen, der einem die Waren nach Hause transportiert. Ist es genau die Auswahl, die man eher lästig als wertvoll empfindet, dann entstehen Dienste, die vorgepackte Lebensmittel an einem Pick-up zur Verfügung stellen, damit man sie abholt und selber transportiert. Auch digitale Services, die den Einkauf im Supermarkt vereinfachen, zum Beispiel durch automatisierte Zahlungsvorgänge oder durch ein Routing durch den Supermarkt, setzen hier an. In diesem Fall ist der Einkauf wertvoll, das Anstehen an Kassen und die viele Zeit der Suche nach einzelnen Dingen nicht. Sind die Lebensmittel schließlich zuhause, dann erachtet die Konsumentin es unter Umständen als wertvoll selber zu kochen. Rezepte zu entwickeln, allerdings, ist keine Aktivität, die ihr Freude bereitet: Rezepte-Foren halten hierzu einen guten Service bereit. Für diejenige, die gerne Rezepte erarbeitet, stellt dieser Service eine Plattform dar, auf der sie selber zum Anbieter werden kann. Mit Plattformen, auf welchen Köche ihr Können vermieten, kommt die Konsumentin in den Genuss eines selbstgekochten Essens, zuhause – ohne dass sie es als Wert empfinden muss, selber zu kochen. Legt sie keinen Wert auf Kochaktivitäten zuhause, dann wendet sie sich an Lieferservices, die Speisen aus Restaurants nach Hause bringen. Und diejenige, die zwar kochen möchte, aber darauf möglichst wenig vorbereitende Gedanken verwenden mag, bestellt sich eine Kochbox, die Lebensmittel unter Berücksichtigung ihrer Präferenzen zusammenstellt und das passende Rezept beilegt.
Man sieht an dieser kurzen Geschichte, die natürlich noch weiter ausgeschmückt werden kann, dass sehr viele eServices und Dienstleistungen auf dem Weg vom Lebensmittel bis zum Wert des gemeinsamen Essens liegen können. Jeder eService, jede Dienstleistung passt zu einem spezifischen Wert, den ein spezifischer Mensch sich, unter Berücksichtigung seines eigenen Ressourceneinsatzes, vorstellt. Die Aufgabe des Anbieters ist es, sein Produkt weiterzuentwickeln. Dabei muss das Unternehmen jedoch eine Vorstellung über die gesamte Bandbreite möglicher Werte haben, zu denen seine Ressourcen beitragen können. Diese Werte sind sein Ausgangspunkt.
Trotz der aufgezeigten Vielfalt der Wertgestaltung zeigt sich doch eine gewisse Gemeinsamkeit, wenn man die jeweiligen Bestandteile der Angebote betrachtet. Sie bestehen typischerweise aus Produkten (Sachgut), Dienstleistungen sowie eServices. Eine Dienstleistung aus einem Produkt zu schaffen (Servitization) und diese Dienstleistung dann digital mit eServices zu unterstützen (Digitalisierung) stellt die Formel für eine gelungene Digital Customer Experience dar (Vandermerwe und Rada 1988; Lattemann und Robra-Bissantz 2017). Die Dienstleistung geht ganz individuell auf die Bedürfnisse des potenziellen Kunden ein. Digitalisierung jedoch, macht diese Individualität über die direkte Vernetzung mit dem Kunden erst möglich. Ein erster Denkanstoß für den Anbieter ist damit zu erwägen, wie Produkt, Dienstleistung und eServices einzeln oder als gesamte Problemlösung einen besonderen Kundenwert versprechen. Tab. 1.1 zeigt diese aus der ersten Regel resultierenden Designoptionen für neue Kundenwerte. Sie werden mit den weiteren Regeln schrittweise ergänzt, sodass sich als Fazit eine gesamte Wertematrix der digitalen Transformation ergibt (vgl. Abschn. 1.4).
Tab. 1.1
Wertematrix der digitalen Transformation – Elemente aus Regel 1
Als Hilfestellung, um einen Wert für den Kunden zu identifizieren, bietet sich das Methodenset des Design Thinking (Brown 2008; Lattemann et al. 2017) an. Hier entstehen seit den 1990er-Jahren Ansätze für so genannte „wicked problems" – Probleme, für die es keine einzelne, determinierte Lösung gibt und die nicht einfach durch die Weiterentwicklung eines einzelnen Produkts lösbar sind. Insbesondere für das Design von Customer Experiences bietet es sich an, ganz bestimmte, durch Dienstleistung und Digitalisierung geprägte Gestaltungsmöglichkeiten für die eigene erfolgreiche digitale Transformation zu prüfen. Dabei fügen sich viele Trends sowie Konzepte der Wirtschaftsinformatik, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben, in das Mind Set (Redlich et al. 2018) der Service Dominant Logic ein.
Rule 2. Sein oder haben? – Bei Produkten geht es Kunden selten um das Kaufen
Der erste Schritt zur Servitization von Produkten befasst sich mit der typischen Transaktion. Ein Produkt wird, gewöhnlich, gekauft und befindet sich dann im Handlungsbereich des Kaufenden. Allerdings ist es bei vielen Produkten nicht unbedingt eindeutig, dass der Wert des Kaufenden darin besteht, das Eigentum an einem Produkt zu erwerben. Denkt man beispielsweise an teure Werkzeuge oder Maschinen, dann genügt es häufig, sie fallweise zu leihen.
Bereits die auf die Transaktionskosten-Theorie aufbauende Property-Rights-Theorie (Demsetz 1974) betrachtet neben dem Eigentumsübergang eine Reihe von kleinteiligen Verfügungsrechten (Property Rights), die statt dem Eigentum an einen anderen Akteur übergeben werden können. Dazu gehört insbesondere das Recht etwas zu nutzen. Heute sind diese Möglichkeiten unter dem Schlagwort der Sharing Economy (Wittstock et al. 2018) zusammengefasst. Teilen, Tauschen, Leihen: Für das einfache Beispiel einer Handtasche kann der Wert darin bestehen sie auf Dauer zu besitzen, weil man darauf stolz ist. Aber häufiger zählt ein anderer Value in Use. Wenn beispielsweise der eigene Wert darin besteht, immer die passende Tasche zum Outfit zu besitzen, dann hält man sich vielleicht an einen Tauschkreis oder an die Möglichkeit Handtaschen zu leihen.
Die Möglichkeiten des Teilens, Tauschens und Leihens werden über Digitalisierung befördert. Anhaltspunkt hierfür sind die Transaktionskosten: die Kosten, ein passendes Produkt zu finden, die Verträge für die Verteilung der Property Rights zu gestalten sowie eine den gemeinsamen Interessen entsprechende Nutzung abzuwickeln (Williamson 1998). Ohne digitale Informationsverarbeitung, Smartphones, Apps und Vernetzung gelingt dies nur mit hohen Informations-, Vereinbarungs- bis hin zu Kontrollkosten, in Form von Zeit, Mühe und Geld, z. B. in langen Schlangen am Autoverleih. Heute am Smartphone genügt sozusagen ein „Tastendruck".
Bei Verbrauchsgütern reicht der einzelne Kauf häufig nicht aus, um eine komplette Problemlösung zu erhalten. Viele Ansätze so genannter Cyber-Physical-Systems zeigen auf, dass elektronische Services, die mit dem Produkt in einem Internet der Dinge verbunden sind, den Wert deutlich erhöhen können (Fleisch et al. 2014). Aus Kundensicht zählt dazu beispielsweise die Möglichkeit der Nachbestellung. Bereits eine Lösung zum Rasieren, die neben dem Rasierer einen eService bereitstellt, der auf Knopfdruck eine Bestellung für neue Klingen auslöst, kann über höhere Bequemlichkeit für den Kunden seinen Wert steigern. Derartige Lösungen sind aus dem Supply Chain Management im B2B-Bereich seit langem bekannt. Mit den heute immer günstigeren Technologien sind vormals dem zwischenbetrieblichen Geschäftsverkehr vorbehaltene Ansätze, wie das Vendor Managed Inventory, bei dem der Lieferant das Lager seines Kunden verwaltet und jeweils, bei Bedarf, wiederbefüllt, oder die Just-in-Time-Lieferung auch im Privaten immer vorstellbarer. Denn es kann durchaus einen Wert darstellen, wenn der Kühlschrank erkennt, dass neue Milch benötigt wird, diese direkt bestellt und liefern lässt.
Zusammenfassend setzen Gestaltungsoptionen für (elektronische) Dienstleistungen zu einem Produkt sehr naheliegend an der Transaktion sowie an einem nachhaltigen Value in Use an (vgl. Tab. 1.2).
Tab. 1.2
Wertematrix der digitalen Transformation – Elemente aus Regel 2
Rule 3. Mehr Service ist mehr … Digitale Dienste werden der aktive Partner in Dienstleistungen
Dienstleistungen machen Produkte wertvoller, weil sie den Kunden in seiner Problemlösung oder ganz allgemein in seinem Leben unterstützen. Dies entspricht dem vor einigen Jahren proklamierten Ansatz der Support Economy (Zuboff 2010). Sie verweist darauf, dass jegliche Ökonomie bei der Gesellschaft beginnt. Sie beruhe damit auf dem Verlangen jedes Einzelnen, sein Leben so zu führen, wie er es will. Damit notwendige, kundenzentrierte Angebote setzen im Individualraum des Einzelnen an und ermöglichen ihm, seine Bedürfnisse individuell und effizient zu decken.
Die Dienstleistung ist gemäß Definition von einem Prozess in Interaktion des Dienstleisters mit dem Kunden geprägt. Ein so genannter externer Faktor (ein Produktionsfaktor), der vom Kunden stammt, fließt in die Produktion der Dienstleistung ein (Bodendorf 1999). Schon allein aus diesem Grund müssen sich Dienstleistungen immer individuell an diesen externen Faktor anpassen. Ein Friseur wird beispielsweise die Haarstruktur und das Gesicht seiner Kunden beim Haarschnitt ebenso berücksichtigen wie ihre Präferenzen. Typischerweise sind die Automatisierungspotenziale in der Dienstleistung aufgrund der direkten Interaktion und der individuellen Anpassung eher begrenzt und können/sollen erst Schritt für Schritt durch moderne Technologien geborgen werden. Gerade bei Dienstleistungen am externen Faktor Mensch, die Maschinen oder Roboter erbringen könnten, stellt sich schnell auch die Frage der Akzeptanz: beispielsweise bei Robotern im Service eines Restaurants oder bei Maschinen, die eine medizinische Operation durchführen.
Sobald sich die Dienstleistung jedoch in einer ihrer Phasen mit Informationen darstellen lässt, können digitale Technologien den menschlichen Partner ersetzen. Dies beginnt mit der Erkennung der individuellen Situation des externen Faktors – sei es ein Mensch oder ein Sachgut. Hier übernimmt beispielsweise ausgereifte Sensorik die ehemals menschliche Wahrnehmung. Seit langem gelingt dies für die Ortserkennung, wenn es darum geht, den Startpunkt für eine Mobilitätsdienstleistung zu ermitteln oder für eine ganze Reihe weiterer Location Based Services. Weitergehend unterstützt die Kontexterkennung im gesamten Umfeld: beispielsweise mit Informationen über den aktuellen Zustand von Räumen, in Smart Homes. Der Zustand von Dingen ergibt sich beispielsweise über die Messungen von Materialeigenschaften. Ausgereifte Bilderkennung kann sowohl das Umfeld eines Menschen, anhand von Bebauung oder Vegetation, als auch den Zustand von Objekten über Bildvergleich, erkennen. Dazu kommt die Beobachtung des Menschen, über seine Bewegungen bis hin zu seinen Körpersignalen. Smart Watches, Fit Bits oder weitere ausgereifte Hardware im Bereich des Quantified Self (Swan 2012) zählen Schritte ebenso wie Schlafpositionen, Blickrichtungen oder den Hautleitwert. Sie können damit auf aktuelle Tätigkeiten, Präferenzen, Emotionen aber auch Risiken schließen. Beobachtungen im virtuellen Raum tragen beispielsweise Bewegungen auf Websites, genutzte Applikationen, aktuelle Kalendereinträge, Kontakte und potenziell jede in Text oder Sprache geäußerte Meinung bei.
Es entsteht eine Sammlung von Daten, Informationen und Wissen, die das menschliche Gedächtnis deutlich übersteigt und über viele Kunden und Dinge hinweg vernetzt ist: genannt Big Data (Swan 2012). Ebenso wie der menschliche Dienstleister eine gute Antwort, ein gutes Angebot oder auch einen sinnvollen Warnhinweis (unter Rückgriff auf sein Gedächtnis) mithilfe seiner Intelligenz aus der erkannten Situation des Kunden ermittelt, nutzen Apps oder Websites intelligente Algorithmen, z. B. des Data Mining oder Ansätze der Künstlichen Intelligenz. Mithilfe von maschinellem Lernen lassen sich, beispielsweise im Case Based Reasoning, Lösungsvorschläge für Kundenprobleme aus abgeschlossenen Fällen ermitteln, die so genannten Prescriptive Analytics erarbeiten aus Vergangenheitsdaten und Simulationen Lösungsvorschläge für die Zukunft oder Neuronale Netze bilden direkt die menschliche Verarbeitung des Gehirns nach (Eberl 2016).
Die Resultate der automatisierten, digitalen Erwägungen machen eine individuelle digitale Dienstleistung möglich. Sie geht von der Information über die Beratung bis zur automatischen Steuerung. Fortschreitend entstehen immer bessere Empfehlung von nächsten Produkten, beispielsweise über das Collaborative Filtering (Sarwar et al. 2001) über viele Kunden hinweg. In einem noch menschlicheren Setting ahmen Social Bots den Kommunikationspartner (Strohmann et al. 2018), z. B. in Verkaufsgesprächen, nach.
Im B2B-Bereich finden sich Dienstleistungen, die unter dem Stichwort der Predictive Maintenance (Mobley 2002) beispielsweise zum Kugellager eines Windrads die IT-gestützte Betreuung mit individueller und situationsspezifischer Wartung anbieten. Dazu bedienen sie sich Sensoren, die in einem typischen Setting eines datengetriebenen Geschäftsmodells Verschleißdaten von vielen dezentralen Aktivitäten von Kunden, in diesem Fall vom dezentralen Betrieb der Kugellager in Windrädern zusammentragen. Eine automatisierte Steuerung beeinflusst, aufbauend auf Sensorik und digitale Entscheidungsmechanismen, beispielsweise Warenflüsse bis hin zu gesamten Produktionsabläufen: in der Industrie 4.0. Dies unterstützt insbesondere die Möglichkeit individueller Produkte – eine nicht digitale aber dennoch über Digitalisierung ermöglichte und wertvolle Customer Experience.
Die digitale Informationsverarbeitung bietet, zusammenfassend, Potenziale für mehr (da automatisierbare) Dienstleistungen, indem eServices, gleich der typischen, menschlichen Informationsverarbeitung, Situationen erkennen, interpretieren, Lösungen entwickeln und diese zum Teil weitgehend und automatisiert umsetzen (vgl. Tab. 1.3). Im Vorgriff auf die Ausführungen im folgenden Abschnitt spielt hierbei die Annäherung an die menschliche Interaktion eine besondere Rolle.
Tab. 1.3
Wertematrix der digitalen Transformation – Elemente aus Regel 3
Rule 4. Doch. Man muss reden. – Insbesondere im „Shoppen liegt ein Wert: Der „Value in Interaction
Lange Zeit haben sich fast ausschließlich die Fachgebiete des Designs sowie der Usability mit Fragen des digitalen Kundenkontakts, z. B. über Websites, beschäftigt. Sie sehen dabei ihre beiden Aufgabenbereiche zunehmend breit und in Überschneidung, aber auf alle Fälle so, dass zum Design auch die Nützlichkeit und zur Usability auch die Aufgabenangemessenheit der digitalen Schnittstelle für den Kunden tritt (Krug 2014). Gemäß des Technology Acceptance Models (Venkatesh et al. 2003) hängt entsprechend zumindest die Akzeptanz für eine Webseite im Wesentlichen von ihrer „Usefulness und ihrem „Ease of Use
ab. Der Ansatz der Affordances, aus dem Design, weist darauf hin, dass die so genannte Gebrauchseigenschaft, also das wofür die Website genutzt werden soll, direkt aus ihrem Design erkenntlich ist (Norman 2013).
Heute, in der Service Dominant Logic, ist mit dem Konzept des Value in Interaction ganz gezielt expliziert, dass genau die Interaktion selber, die Beratung, die Unterstützung einer Suche, die Empfehlung oder der Produktvergleich eine wertvolle Dienstleistung darstellt. Ebenso wie der Wert eines Produktes sich häufig erst in einem gut durchdachten Nutzungsszenario erschließt, kann auch der Weg bis zur Kaufentscheidung so wertvoll sein, dass sie in der Beziehung zwischen Anbieter und Kunde einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil darstellt.
Bekannt sind diese Überlegungen aus frühen Gedanken dazu, ob der Internet-Geschäftsverkehr zu einer Disintermediation – zu einem Verlust verschiedener Handelsstufen zwischen dem Produzenten und seinem Kunden – führt. Bereits frühe Entwicklungen des E-Commerce zeigten hier auf, dass sich die Rolle des Handels insofern wandelt, dass er nicht mehr obligatorisch ist und allein der Raum- und Zeitüberbrückung in der Verteilung von Gütern dient. Stattdessen kann er weitere typische Aufgaben übernehmen, die für den Kunden wertvoll sind: schon früh galt hier eine Differenzierung, beispielsweise, in die Sortimentsfunktion, die Maklerfunktion, die Beratungsfunktion oder die Interessenwahrung und Absicherung des Kunden. Man sprach hier von einer Re-Intermediation (Chircu und Kauffman 2000).
Heute finden sich eine Fülle von eServices, die genau mit diesen Funktionen einen Wert für den Kunden schaffen. Die Digitalisierung der Geschäftsbeziehungen eröffnet zudem weitere Chancen, die beispielsweise auf den Konzepten der Customer Journey oder des Multi-Channel-Management (Wirtz 2008)