Digitale Geschäftsmodelle – Band 2: Geschäftsmodell-Innovationen, digitale Transformation, digitale Plattformen, Internet der Dinge und Industrie 4.0
Von Alexander Pflaum
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Buchvorschau
Digitale Geschäftsmodelle – Band 2 - Stefan Meinhardt
Teil IDigitalisierung in der Kundenbeziehung
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019
S. Meinhardt, A. Pflaum (Hrsg.)Digitale Geschäftsmodelle – Band 2Edition HMDhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-26316-4_1
1. Entscheidungsunterstützung im Kundenbeziehungszyklus durch Maschinelle Lernverfahren
Andreas Welsch¹ , Verena Eitle¹ und Peter Buxmann¹
(1)
Software & Digital Business, TU Darmstadt, Darmstadt, Deutschland
Andreas Welsch (Korrespondenzautor)
Email: andreas.welsch@sap.com
Verena Eitle
Email: eitle@is.tu-darmstadt.de
Peter Buxmann
Email: buxmann@is.tu-darmstadt.de
Zusammenfassung
Die zunehmende Digitalisierung sowie die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Daten verändern das Wirtschaftsleben, den Alltag des Einzelnen und die Gesellschaft als Ganzes. Vor diesem Hintergrund wird der Einsatz von Maschinellen Lernverfahren in vielen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft zum Teil kontrovers diskutiert. Mit Hilfe des Einsatzes solcher Algorithmen lassen sich beispielsweise Prognosen verbessern sowie Entscheidungen bzw. Entscheidungsprozesse automatisieren. In diesem Artikel geben wir zum einen einen Überblick über die Grundprinzipien Maschinellen Lernens. Zum anderen diskutieren wir Anwendungsmöglichkeiten sowie Wirtschaftlichkeitspotenziale am Beispiel des Kundenbeziehungszyklus.
Schlüsselwörter
Automatisierung von UnternehmenssystemenKundenbeziehungszyklusVertriebspipelineprozessKundenbindungMaschinelles Lernen
Vollständig überarbeiteter und erweiterter Beitrag basierend auf Welsch et al. (2018) Maschinelles Lernen Maschinelles Lernen, HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik Heft 320, 55(2):366–382.
1.1 Einleitung
Die Digitalisierung der Wirtschaft bedroht vielfach traditionelle Unternehmen, welche vermehrt mit disruptiven Ideen aufstrebender Neuankömmlinge im Wettbewerb stehen und sich oftmals aufgrund ihrer Größe und Komplexität nur langsam anpassen oder Innovation betreiben können (Christensen 1997). Allerdings bieten sich gleichzeitig auch Chancen, die bestehenden Geschäftsmodelle und -prozesse dahingehend zu transformieren bzw. neue zu entwickeln, dass weiterhin ein Wettbewerbsvorteil generiert werden kann (Chesbrough 2007; Osterwalder und Pigneur 2010). Insbesondere die fortschreitende Prozessautomatisierung wird dabei als wesentlicher Faktor der digitalen Transformation aufgeführt (World Economic Forum 2016; McKinsey 2017). Das primäre Ziel steigender Automatisierung ist es, Effizienz-, Effektivitäts- und Qualitätsverbesserungen zu realisieren (Damm und Kalmar 2017). Informationssysteme, wie Enterprise Resource Planning (ERP) und Customer Relationship Management (CRM), sind bereits seit Jahrzehnten in Unternehmen etabliert und unterstützen den Kundenbeziehungszyklus. Nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Vernetzung von Menschen (soziale Medien), Maschinen (Industrie 4.0) und Systemen (z. B. Cloud Computing) steigt das globale Datenvolumen exponentiell (Huber 2016). Technologien, wie Big Data, ermöglichen es, dieses große Datenvolumen zu verarbeiten, zu analysieren und zu speichern (Schroeck et al. 2012). In Kombination mit besseren Algorithmen im Bereich künstlicher Intelligenz sowie verteilter, paralleler Datenverarbeitung wird darüber hinaus die Grundlage für Maschinelles Lernen geschaffen (Kelly 2014).
In Folge dessen entsteht eine neue Klasse „intelligenter Systeme", die durch Fähigkeiten, wie beispielsweise Kognition (Kelly und Hamm 2013), weitere Teile bislang manuell ausgeführter Tätigkeiten übernehmen und dabei Probleme selbstständig und effizient lösen können (Mainzer 2016), ohne dass die explizite Programmierung derselben erforderlich ist. Diese intelligenten Systeme ermöglichen es, Signale und Muster in strukturierten, semi-strukturierten als auch unstrukturierten Daten zu erkennen sowie diese zu analysieren (Hurwitz et al. 2015; Reeves und Ueda 2016). Das Hauptmerkmal dieser Systeme ist dabei die sogenannte „schwache künstliche Intelligenz", welche die Lösung eng definierter, hoch spezialisierter Probleme (wie beispielsweise das autonome Fahren oder das Stellen medizinischer Diagnosen) bezeichnet¹ (Pennachin und Goertzel 2007) und hierdurch den Anschein erweckt tatsächlich intelligent zu sein oder intelligent zu agieren (Russell und Norvig 2010). Dennoch sind intelligente Systeme nicht nur bereits vielfach den bisherigen von Menschen programmierten Systemen überlegen, sondern auch den menschlichen Fähigkeiten selbst – teilweise bereits bei Aufgaben, die aufgrund von Kreativität und Komplexität bislang nicht automatisierbar waren (Brynjolfsson und McAfee 2017). Ein interessantes Anwendungsbeispiel ist die Optimierung von Kundenbeziehungen. Aufgrund der Verfügbarkeit von großen Datenmengen sowie der steigenden Bedeutung der Kundenfokussierung sind die Bereiche der Kundenidentifizierung, -anziehung, -bindung und -entwicklung für die Anwendung von intelligenten Systemen grundlegend geeignet (Ngai et al. 2009; Watson 2017). Vor diesem Hintergrund wird der Fokus in diesem Beitrag auf den Einsatz von Maschinellen Lernverfahren im Kundenbeziehungsmanagement gelegt mit dem Ziel, die verschiedenen Anwendungsfelder sowie die damit verbundenen Optimierungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
In diesem Kontext rückt die Änderung der Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine (Softwaresystem) stärker in den Fokus der Diskussion (Bitkom 2017). Dabei wird der Übergang von entscheidungsunterstützenden hin zu entscheidungsautomatisierenden Aufgaben in Anlehnung an SAE International (2016) beschrieben (siehe Abb. 1.1): Innerhalb eines manuellen Systems nimmt der Mensch (Benutzer) dauerhaft alle anfallenden Aufgaben und Entscheidungen zur Zielerreichung selbst wahr, ohne dass ein Softwaresystem vorhanden oder involviert ist (Stufe 0). Auf der ersten Automatisierungsstufe unterstützt das System hingegen den Menschen bereits bei der Ausführung definierter Aufgaben, während der Mensch die Kontrolle darüber behält und Entscheidungen zur Zielerreichung selbst trifft (z. B. ERP-Systeme der 1960–1990er-Jahre). Systeme auf der zweiten Stufe übernehmen die Ausführung definierter Aufgaben, während die Kontrolle darüber beim Menschen verbleibt und dieser die Entscheidungen zur Zielerreichung selbst übernimmt (z. B. Internet- und Microservicesarchitektur der 2000–2010er-Jahre) (SAE International 2016; Bitkom 2017). Der Mensch übernimmt unter dem Schlagwort „Human-in-the-Loop" neben der Anwendung auch die Kontrolle über das System und trifft alle relevanten Entscheidungen (Damm und Kalmar 2017).
../images/484382_1_De_1_Chapter/484382_1_De_1_Fig1_HTML.pngAbb. 1.1
Stufenmodell Automation des Entscheidens (basierend auf: SAE International 2016; Bitkom 2017)
Allerdings wird sich die Aufgabe des Menschen mittelfristig stärker hin zur Überwachung intelligenter Systeme (Stufe 3) entwickeln, bei der der Mensch im Fehlerfall einschreiten kann bzw. muss (Committee on Technology National Science and Technology Council 2016). Jedoch nimmt diese Anforderung mit steigender Automatisierung (hin zu Stufe 4) stetig ab. Davenport und Kirby (2016) beschreiben vier Ebenen der Intelligenz solcher Systeme: Unterstützung für Menschen, Automatisierung repetitiver Aufgaben, Kontextbewusstsein und Lernen sowie Selbstbewusstsein, wobei das Erreichen der Letzteren durch starke künstliche Intelligenz realisiert wird (Pennachin und Goertzel 2007). Letztlich werden diese Systeme der fünften Stufe autonom, ohne jegliche Eingabe und Kontrolle des Benutzers, agieren, ihre Umgebung analysieren und basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen selbstständig entscheiden (Fachforum Autonome Systeme 2017). Zudem sind sie in der Lage, auch selbstheilende Funktionen auszuführen, um das vorgegebene Ziel zu erreichen sowie die zur Ausführung einer Aufgabe erforderlichen Fähigkeiten mittels Maschinellem Lernen selbstständig zu erwerben und zu optimieren (Wahlster 2017).
Insbesondere der Übergang von menschlicher hin zu systemgetriebener Entscheidung wird dabei als ein bedeutsamer, evolutionärer Schritt wahrgenommen, der gegenwärtig durch die Einbettung Maschinellen Lernens in Unternehmenssysteme zu beobachten ist (z. B. IBM 2017; Salesforce 2017; SAP 2017b). Allerdings ergeben sich hieraus zugleich auch Risiken geringer Akzeptanz solcher Systeme, da durch die zugrunde liegende Technologie des Maschinellen Lernens Entscheidungen für den Menschen nicht mehr zwingend nachvollziehbar oder transparent sind (Davenport und Kirby 2016; Brynjolfsson und McAfee 2017). Damm und Kalmar (2017) verweisen in diesem Zusammenhang auf einen Bericht des Europäischen Parlaments (2017), in dem u. a. explizit diese Transparenz sowie Nachvollziehbarkeit der durch künstliche Intelligenz getroffenen Entscheidungen für den Menschen gefordert werden. Basierend auf der Automation des Entscheidens (siehe Abb. 1.1) folgt daher zunächst eine Übersicht der zugrunde liegenden Konzepte des Maschinellen Lernens sowie die anschließende Betrachtung dieser im Kontext des Kundenbeziehungszyklus. Anhand von Anwendungsbeispielen aus Wissenschaft und Praxis werden die Zusammenhänge erläutert und das Potenzial Maschineller Lernmethoden praxisnah