Antikörper in der Krebsbekämpfung: Grundlagen, Prinzipien und Anwendungsmöglichkeiten
Von Melvyn Little
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Über dieses E-Book
Antikörper als biologische Waffe gegen den Krebs
Ein Buch über Historie, Entwicklung und den spannenden Einsatz von Antikörpern zur Behandlung von Krebs. Der Autor versteht es, für interessierte Fachleute, Ärzte und Laien die Grundlagen dieser neuen Technologie auf leicht verständliche Weise zu vermitteln und die wesentlichen Prinzipien unkompliziert darzustellen. Einfache und übersichtliche Abbildungen und Tabellen ermöglichen es dem Leser, die wesentlichen Informationen des Buches rasch zu erfassen.
Antikörper machen heute einen großen Teil des Umsatzes für biologische Produkte in der Pharmabranche aus und ihre Bedeutung in der Krebstherapie nimmt ständig zu.
Der Inhalt
- Aufbau, Eigenschaften und Herstellung von Antikörpern
- Impfung als Krebsprävention – Herstellung von Tumorvakzinen
- Therapeutische Antikörper zur Behandlung verschiedener Krebserkrankungen
- Wirkungsweise und Verwendung zugelassener Antikörper
- Therapeutische Antikörper als schnell wachsende Sparte biopharmazeutischer Produkte
- Antikörper in klinischer Entwicklung – Ausblick in die Zukunft
Der Autor
Prof. Melvyn Little, ehemaliger Leiter der Forschungsgruppe „Rekombinante Antikörper“ am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und außerplanmäßiger Professor für Biochemie an der Universität Heidelberg.
Mitbegründer der Biotech-Firma Affitech in Oslo.
Gründer und Vorstandsmitglied der Biotech-Firma Affimed Therapeutics in Heidelberg.
Heute im Ruhestand und Biotechnologie-Consultant.
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Buchvorschau
Antikörper in der Krebsbekämpfung - Melvyn Little
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
Melvyn LittleAntikörper in der Krebsbekämpfung10.1007/978-3-662-45114-4_1
1. Lebensrettende Antikörper
M. Little¹
(1)
St. Peter-Ording, Deutschland
M. Little
Email: melvyn-little@t-online.de
Eine der größten Errungenschaften der modernen Medizin war die komplette Ausrottung der Pocken durch ein weltweites Impfprogramm. Sind ähnliche Erfolge bei der Bekämpfung von Krebs mit Impfstoffen zu erwarten? Wäre es auch möglich – wie bei der ursprünglichen Behandlung von Diphtherie – die durch Impfstoffe erzeugten Antikörper für eine Krebstherapie zu verwenden? Für ein besseres Verständnis der heutigen Einsatzmöglichkeiten von Impfungen und der jüngsten innovativen Anwendungen von Antikörpern zur Therapie von Krebserkrankungen lohnt sich zunächst ein Exkurs zu den Anfängen der Immuntherapie, einem Gebiet, das in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung erfahren hat.
Impfung gegen Pocken
Im Jahr 1721 führte Lady Mary Montagu Wortley, die Frau des britischen Botschafters in Istanbul, die Methode der im Mittleren Osten praktizierten Impfung mit Pockenmaterial, das abgeschwächte Viren enthielt, in Großbritannien ein (die damals sog. Variolation ). Trotz der Gefahr einer Rückmutation, die zur Vermehrung krankheitsauslösender Viren führen würde, ließen sich viele prominente Bürger mit der neuen Methode impfen. Sogar Katharina die Große ließ sich und ihren Sohn Paul 1768 vom englischen Arzt Thomas Dimsdale mit menschlichem Pockeneiter impfen.
Ein weiterer Fortschritt zur Bekämpfung der Pocken war die relativ ungefährliche Impfung mit Eiter von Menschen, die mit Kuhpocken infiziert worden waren (Abb. 1.1). Zur Erinnerung an die erste wissenschaftlich durchgeführte Impfung mit Kuhpockenviren im Jahr 1796 durch Edward Jenner hängt das Fell der Kuh Blossom an einer Wand der Bibliothek in der St.-Georgs-Medical School in Tooting (UK). Diesen ehrenwerten Platz hat Blossom ihren Kuhpocken zu verdanken, die sie auf die Milchmagd Sarah Nelmes übertragen hat. Aus den Blasen an Sarahs Hand entnahm Edward Jenner Eiter, den er in beide Arme von James Phipps, dem 8-jährigen Sohn seines Gärtners, impfte. Später infizierte Jenner den Jungen mit Pockenmaterial, es entwickelte sich aber keine Infektion . Auch nach einer zweiten Verabreichung von Pockenmaterial trat keine Infektion mit Pocken auf. Dieses Verfahren, das er Vakzinierung nannte (vacca: lat. Kuh), hat er systematisch und erfolgreich an einer Vielzahl weiterer Probanden angewendet.
A330469_1_De_1_Fig1_HTML.gifAbb. 1.1
Prävention einer Pockeninfektion durch Vakzinierung, durchgeführt von Edward Jenner im Jahr 1796
Schon 20 Jahre vorher, im Jahr 1765, hatte Dr. John Fewster über die Eigenschaft der Kuhpocken, eine Infektion mit Pocken zu verhindern, berichtet. Seine These wurde von mehreren Personen in Deutschland und England bestätigt. Es war aber das Verdienst von Edward Jenner, eine Immunität gegen Pocken durch eine Impfung mit Kuhpocken eindeutig zu demonstrieren.
Impfungen gegen beliebige Infektionen
Edward Jenner konnte über den Wirkmechanismus seines Vakzins nur spekulieren. 1880 zeigten Louis Pasteur und sein Mitarbeiter Emile Roux, dass abgeschwächte Hühnercholera-Bakterien gegen virulente Cholerabakterien schützen konnten. Pasteur ist es dann gelungen, Impfstoffe gegen Milzbrand, Schweinerotlauf und Tollwut zu entwickeln. Durch seine Arbeit wurde zunehmend klar, dass beliebige Infektionen durch Impfung verhindert werden konnten. Nach der Impfung des 9-jährigen Jungen Joseph Meister im Jahr 1885 gegen Tollwut konnte Pasteur sich vor impfwilligen und spendenfreudigen Bürgern kaum retten. Dadurch war es möglich, das Institut Pasteur in Paris zu gründen – bis heute das führende biomedizinische Institut in Frankreich.
Der Tuberkulin-Skandal
Damals gab es keine Regelungen für Arzneimittelversuche. So konnten Louis Pasteur und sein deutscher Konkurrent Robert Koch Versuche mit Menschen durchführen, die manchmal auf der Basis von Vermutungen und unzureichender Vorarbeit basierten. Ein besonders eklatantes Beispiel ist der Tuberkulin-Skandal im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Ohne überzeugende Daten propagierte Robert Koch eine Impfung gegen Tuberkulose mit einem Tuberkelbazillen-Extrakt, den er Tuberkulin nannte. Er überredete auch seine 17-jährige Geliebte Hedwig Freiberg zu einer Impfung, mit dem Hinweis, dass sie krank werden könnte, aber voraussichtlich nicht sterben würde. Zuerst gab es einige Berichte über Heilerfolge, aber nach einer zunehmenden Zahl von Todesfällen wurde das Mittel nicht mehr verwendet.
Heilung von Diphterie mit Pferdeserum
Der ehemalige Schüler von Robert Koch, Emil von Behring, ging zusammen mit Kitasato Shibasaburō und Paul Ehrlich mit der Einführung eines Diphtherie-Antitoxins 1893 vorsichtiger um. Es wurde eine Reihe von detaillierten Vorversuchen durchgeführt, und die Ergebnisse wurden mit Kollegen ausführlich diskutiert. Bei diesen Versuchen war es nicht das Ziel, eine Immunität gegen eine Infektion hervorzurufen, sondern die zerstörerische Wirkung eines Toxins zu verhindern. Patienten mit Diphterie wurde das Serum von Pferden injiziert, die vorher mit Diphterie-Toxin geimpft worden waren (Abb. 1.2). Viele Patienten konnten dadurch geheilt werden, wofür Emil von Behring 1901 den ersten Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt. Mit dem Preisgeld finanzierte er die Gründung einer pharmazeutischen Fabrik, der Behringwerke, zur Herstellung des Serums.
A330469_1_De_1_Fig2_HTML.gifAbb. 1.2
Gewinnung eines Antitoxins zur Behandlung von Diphtherie im Rahmen einer Zusammenarbeit von Emil von Behring, Kitasato Shibasaburō und Paul Ehrlich im Jahr 1893
Auf ähnliche Weise konnten von Behring, Kitasato und Ehrlich die schützende Wirkung eines Antitoxins gegen Tetanus demonstrieren. Diese Art von Behandlung nannten sie passive Immunisierung , da sie nicht zu einer Immunität gegen den Krankheitsverursacher führt, sondern lediglich seine Wirkung blockiert. Sie verwendeten zum ersten Mal die Begriffe Antikörper und humorale Immunität für die im Serum erzeugten Antitoxine. Der Schutz durch die Antikörper dauert aber in der Regel nur ein paar Monate, bis die fremden Proteine aus dem Blut verschwinden. Eine mehrmalige Applikation ist nicht möglich, da eine Überreaktion des Immunsystems gegen die Fremdproteine zu einem anaphylaktischen Schock mit Kreislaufkollaps führen kann.
Antigen
Um die Bildung von Antitoxinen zu erklären, entwickelte Paul Ehrlich 1897 die sog. Seitenkettentheorie . Er postulierte, dass die Toxine von bestimmten struktur-komplementären Rezeptoren (»Seitenketten«) auf Zelloberflächen gebunden werden und sich dabei ähnlich wie Schlüssel und Schloss verhalten (Abb. 1.3). Da die Rezeptoren für die Funktion der Zelle wichtig sind, versucht die Zelle, die blockierende Wirkung der Toxine durch die Produktion weiterer Seitenketten zu überwinden. Überschussige Rezeptoren werden als lösliche Seitenketten (»Antikörper«) in das Serum sezerniert.
A330469_1_De_1_Fig3_HTML.gifAbb. 1.3
Bindung zwischen Antikörpern und einem Antigen nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Der Y-förmige Antikörper besitzt zwei identische Bindungsstellen, die geometrisch komplementär zum Antigen sind
Vor der Einführung von Penicillin war die Pneumokokken-bedingte Lungenentzündung eine oft tödlich verlaufende Krankheit, die nur durch die Verabreichung eines Antiserums behandelt werden konnte. 1923 zeigten Michael Heidelberger und sein Mentor Oswald Avery, dass das Antiserum gegen die Zuckerkomponente (Polysaccharide) auf den Pneumokokken gerichtet war. Es gelang Heidelberger dann die Präzipitation (Ausfällung) des Antikörpers durch Zugabe des Polysaccharid-Antigens. Nach einer Analyse des Präzipitats konnte zum ersten Mal eindeutig demonstriert werden, dass Antikörper Proteine sind. Michael Heidelberger hatte das seltene Glück, bis zu seinem Tod mit 103 Jahren noch sehr lange auf diesem aufregenden Gebiet im Labor arbeiten zu können.
Die Schlüssel-Schloss-Hypothese als Erklärung für die Bindung zwischen einem Antigen (Antikörper generierende Substanz) und einem Antikörper konnte von Linus Pauling um 1943 bestätigt werden. Er fand heraus, dass die Interaktionen mehr von komplementären Strukturen als von der chemischen Zusammensetzung abhingen. Die beiden Bindungsstellen eines Antikörpers sind identisch – Forscher sprechen von der Spezifität eines Antikörpers für ein bestimmtes Antigen. Wie wir in Kap. 7 sehen werden, ist es aber auch möglich, Antikörper mit zwei verschiedenen Spezifitäten herzustellen (bispezifische bzw. dual bindende Antikörper).
Antikörper werden in B-Lymphozyten (B-Zellen) produziert
Im Gegensatz zu seinen früheren Spekulationen, alle Zellen würden solche Rezeptoren besitzen, vermutete Ehrlich später, nur spezialisierte Zellen im Blutplasma würden Antikörper bilden . Er hielt es