Auguste Viktoria: Die letzte deutsche Kaiserin
Von Randy Fink
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Über dieses E-Book
Erstmals wird die Rolle der Kaiserin im gesellschaftlich-politischen Alltag des Wilhelminismus in einer kritischen Biografie umfassend untersucht.
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Buchvorschau
Auguste Viktoria - Randy Fink
RANDY FINK
AUGUSTE
VIKTORIA
DIE LETZTE DEUTSCHE KAISERIN
Für meine Großeltern
Elfriede – Gisela – Herbert – Horst
INHALT
IEinleitung
IIDie Jugend (1858–1888)
Die Ehefrau
IIIDie Kaiserin (1888–1914)
Die Kaiserin
Der Hof
Der Alltag
Der Kaiser
Die Familie
Die Innenpolitik
Die Fürsorge
Die Außenpolitik
IVDer Krieg (1914–1918)
VDas Exil (1918–1921)
VISchlussbetrachtung
Anmerkungen
Quellen- und Literaturverzeichnis
Archivale Quellen
Zeitungen
Zeitgenössische Literatur
Literatur
Bildnachweis
I
EINLEITUNG
Die Namen dreier Kaiserinnen sind verzeichnet in der noch kein halbes Jahrhundert langen Geschichte des neuen deutschen Kaiserreichs. Und bei jedem Namen tritt ein völlig anderes Bild vor unsere Seele. […] Auguste Victoria hat keinen politischen Ehrgeiz gekannt, hat sich nie in den Parteikampf gestellt, hat keinen Mittelpunkt des geistigen Lebens bilden wollen. Es war ihr genug, Gattin und Mutter zu sein und daneben die Last der Krone zu tragen.¹
Die letzte deutsche Kaiserin Auguste Viktoria handelte aus Liebe. So kann man das Leben der Frau beschreiben, die an der Seite Wilhelms II. das Deutsche Kaiserreich von 1888 bis 1918 regierte. Als die Kaiserin am 11. April 1921 im niederländischen Exil nach langer Krankheit starb, zeichneten zahlreiche Nachrufe das damalige geschlechtertypische Bild der still leidenden, engagierten Frau und Mutter, »deren herzgewinnende[n] Züge uns fast ein Menschenalter hindurch auf unseren Wegen begleitet haben« und deren »Heimgang […] in unzähligen Herzen ein Gefühl der Wehmut und Ergriffenheit« ausgelöst hat.² Dabei war die Landesmutterpräsenz der Kaiserin kein Mythos der Trauerbewältigung, sondern wurde maßgeblich durch ihr eigenes Handeln geschaffen und tief in der deutschen Bevölkerung verankert.
Das deutsche Volk erinnerte sich an Auguste Viktoria, wie sie Freibier für Soldaten vor dem Neuen Palais in Potsdam ausschenkte, karitative Einrichtungen besuchte oder bei Wanderungen durch Siedlungen mit Anwohnern auf der Dorfstraße plauderte. Eindrucksvoll sind Anekdoten wie diese, als Auguste Viktoria eine Kadettenanstalt besuchte und einer der Schüler vermutlich aus Heimweh weinte. Die Kaiserin legte einen Arm um den Jungen, führte ihn in ein Nebenzimmer und setze ihn sich auf den Schoß, um ihn zu trösten.³ Das Image der deutschen »Vorbildsmutter« wurde obendrein durch umfangreiche Fotografien und Postkarten verstärkt, die, teils unterschrieben, als eine Art Gunstzeichen vergeben und angefragt wurden, ähnlich wie heute Autogrammkarten von Prominenten. »Majestät brauchen Sonne« galt nicht nur für die Selbstdarstellung des Medienkaisers Wilhelm II., sondern auch für seine Frau, deren tadelloser Leumund sich durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit des Kaiserhauses verstärkte. Zu den Ehrungen gehörten Benennungen medizinischer Einrichtungen mit ihrem Namen ebenso wie ihre Unterschrift in Gästebüchern und gestifteten Bibeln für neu errichtete Gotteshäuser. Wenn auch die Berliner, ihrer christlichen Wohlfahrtsbestrebungen wegen, sie liebevoll neckisch die »Kirchenjuste« nannten, erkannte die Berliner Schnauze, dass durch Auguste Viktoria wichtige Prozesse und die Gründung von Einrichtungen zur medizinischen Versorgung angestoßen wurden. Dazu gehören allen voran die 1905 gegründete Gesellschaft zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und das daraus resultierende Kaiserin-Auguste-Victoria-Haus, durch deren Wirken die Säuglingssterblichkeit im Kaiserreich fachkundig gesenkt werden konnte.
Trotz zunehmender körperlicher Gebrechen folgte die Kaiserin einem rigorosen Pflichtbewusstsein, das ihr das Volk hoch anrechnete. Ihre Tochter Viktoria Luise erinnerte sich, dass »[w]enn es sich gar nicht anders einrichten ließ, […] sie im langen Schleppkleid und mit großem Diadem [erschien], aber sie erschien.«⁴ Die Kaiserin war verlässlicher, mitfühlender und stiller Ruhepol in der Hektik der Jahrhundertwende. Dafür wurde sie geachtet und geschätzt. Sie spendete jene zwischenmenschliche Zuneigung, nach der sich das Volk sehnte. Sie war präsent und spendete Trost. Zum 20. Regierungsjubiläum von Auguste Viktoria 1908 schrieb die Berliner Börsenzeitung daher die rezeptionsrelevanten Worte: »Wo immer soziale Schäden, wo immer Leiden und Unglück, Not und Kummer an den Tag treten, finden sie im Gemüt der Kaiserin jederzeit den Widerhall liebevoller Teilnahme und Hülfsbereitschaft.«⁵
Das ruhige und sanfte Gemüt der Kaiserin war von Bedeutung für die Beziehung zu ihrem Mann, dessen Sprunghaftigkeit und launenhafte Natur so sinnbildartig für die deutsche Gesellschaft waren, und bildete so einen ausgleichenden Faktor. Die Person Wilhelms II., mit ihrem militärischen Gehabe, ihrer präpotenten Selbstüberhebung, aber auch ihrer Anziehungskraft, war der beste Vertreter des Wilhelminismus. Auguste Viktorias Hingabe und Zurückhaltung passten zum obrigkeitstreuen Epochenbild, obwohl die Beziehung des Kaiserpaares zutiefst ungleich war, auch wenn öffentlich das Gegenteil stilisiert wurde. Das egoistische Verhalten Wilhelms II. traf auf die hinnehmende Anhänglichkeit Auguste Viktorias, die zeitweise solch extreme Züge annahm, dass sich der engere Hofkreis um die Gesundheit der Kaiserin sorgte. Als die kranke Kaiserin zum Beispiel bei einem Spaziergang mit kurzem Atem keuchte: »Aber Wilhelm, jetzt kann ich wirklich nicht mehr!«⁶, riet Wilhelm ihr, sich hinzusetzen und spazierte alleine weiter. Der Kaiser war das Zentrum in der Existenz Auguste Viktorias, sie betrachtete ihn als Herrscher und erwartete von allen dieselbe Hörigkeit. Sein Wohlergehen und seine Machterhaltung waren ihre Raison d’Être.
Eine andere Alternative hätte Auguste Viktoria auch nicht gehabt, denn einen eigenen Glanz, eine faszinierende Aura oder Größe, besaß sie nie. Der erste Reichskanzler Otto von Bismarck nannte sie die »holsteinische Kuh«. Fürstin von Pless urteilte, sie sei »wie eine stille, sanfte Kuh, die Kälbchen hat und Gras frißt und sich dann niederlegt und wiederkäut.«⁷ Mit ihrer hingebungsvollen, fürsorglichen, pflichtbewussten, taktvollen, unprätentiösen und dumpfen Art entsprach sie dem zeitgenössischen Ideal einer Frau. Reichskanzler Bülow äußerte sich anlässlich der Silberhochzeit, das Kaiserpaar sei »zu dem Vorbild echt deutschen Familienlebens und Familienglücks auf dem Kaiserthron«⁸ aufgestiegen. Alles sprach für dieses Bild, die Inszenierung funktionierte.
Warum nun eine Biografie über eine Person, die keinerlei Reiz auszustrahlen vermag und niemandem Rätsel aufgibt? Eine Monarchin, die Historiker »als zu taktvoll oder zu dumm gehalten [haben], um überhaupt eine politische Rolle in der Wilhelminischen Ära zu spielen. Wenn sie ihr überhaupt einen Platz in den Fußnoten ihrer Studien gaben, dann wurde sie als vorbildliche Frau und Mutter beschrieben, die sich eifrig an ihre hausfraulichen Pflichten klammerte.«⁹ Eine politische Kaiserin war in den zeitgenössischen Köpfen nicht im Rahmen des Möglichen und so ist es bis heute geblieben. Es ist diese einseitige und fehlende kritische Forschung über Auguste Viktoria, die der Grund für diese Betrachtung ist.
Denn wo Liebe ist, ist auch Hass. Diese Extreme prägten Auguste Viktoria und machen sie in ihrer Stellung als Mitglied der höchsten gesellschaftspolitischen Ebene interessant. Dabei richtete sich ihre Feindseligkeit gegen alles, was die Größe ihres Mannes und des Reiches vermeintlich untergrub und war geprägt durch starren Konservatismus und Xenophobie. Meist äußerte sich dies in Verstimmungen, die auf den ersten Blick als Schrullen oder Launen erscheinen. So zum Beispiel 1897, als die Kaiserin nach dem goldenen Thronjubiläum Königin Victorias von Großbritannien, der Großmutter Wilhelms II., meinte, am englischen Hof »mit ausgesuchter Kühle … kaum höflich« behandelt worden zu sein, und sich darüber echauffierte, dass man sie »immer hinter der schwarzen Königin von Hawaii placiert« habe.¹⁰ 1903 weigerte sie sich, die – aus ihrer Sicht unebenbürtige – Königin von Serbien zu empfangen, was Spannungen zwischen Deutschland, Serbien und Russland hervorrief. Versuchte sich Auguste Viktoria hingegen öffentlichen Empfängen und Staatsbesuchen zu entziehen, musste sie dazu teilweise vom Auswärtigen Amt und ihrem Mann gezwungen werden. Reichskanzler Bernhard von Bülow äußerte sich schonungslos in seinen Memoiren:
Bei aller Trefflichkeit ihres Wesens hat die Kaiserin Auguste Viktoria unsere Beziehungen um Rußland wie namentlich zu England und bis zu einem gewissen Grade auch zu Italien durch ihr Ausländern gegenüber steifes und prüdes Wesen nicht erleichtert. Wenn ihr Gemahl in dieser Beziehung zu viel tat, war sie bisweilen geneigt, zu wenig zu tun.¹¹
Auguste Viktorias Pflichtbewusstsein hörte außerhalb der Reichsgrenzen auf. Dabei entfaltete sie durch ihren Glauben an die Macht der Krone und die deutsche Suprematie eine erstaunliche Macht als Ratgeberin. Als 1908 die Daily-Telegraph-Affäre das Ansehen und die Mentalität des Kaisers wie nie zuvor erschütterte, war es die Kaiserin, die ihren Mann von einer Abdankung abbrachte und gleichzeitig vergeblich versuchte, Reichskanzler Bülow, der durch die Affäre und sein Handeln beim Kaiser in Ungnade fiel, im Amt zu halten. Jahre später, während des Ersten Weltkrieges, plante sie durch Vermittler im preußischen Herrenhaus die Wiederernennung Bülows zu erwirken. Vehement wehrte sie sich gegen eine Machteindämmung ihres Mannes und sah in jedem, der Änderung in der Prärogative der Krone für notwendig hielt, einen Feind. So sind der Sturz von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg und des Chefs des Zivilkabinetts Rudolf von Valentini entscheidend durch die Kaiserin beeinflusst worden. Derweil schirmte sie in ihrer ehelichen Hingabe ihren Mann während des Krieges teils wochenlang ab. Scharfzüngig schrieb Admiral Müller 1916 deswegen in sein Tagebuch: »Der Kaiser ist wegen Erkältung zu Bett geblieben. Da wird also wohl bald die Kaiserin kommen.« Einige Monate später musste sich Wilhelm einer kleineren Operation unterziehen und die Kaiserin wachte »wie ein Cerberus darüber, daß niemand zu ihm kommt«¹². Dadurch erschwerte Auguste Viktoria die Kommunikation zwischen oberstem Kriegsherren, seinen Generälen und seinen Beratern.
Die Nähe zum Kaiser machte die Kaiserin zu einem wichtigen Bestandteil der politischen Entscheidungsfindung. So drängte sie ihren Mann und Reichskanzler Bethmann Hollweg 1912 nach zähen Verhandlungen zur Annahme einer Flottennovelle zur Vergrößerung der deutschen Seemacht. Ein Akt der von Admiral Tirpitz mit größter Freude gesehen wurde und der »ihr im Namen aller Patrioten dankbar die Hand« küsste.¹³ Während des Krieges äußerte sich die Kaiserin verstärkt als Vertreterin einer harten Kriegsführung und befürwortete den uneingeschränkten U-Boot-Krieg, der die fatalste Entscheidung in der Militärpolitik des Deutschen Reiches darstellen sollte. Gegen Ende des Krieges hatte sich die Macht der Kaiserin als politische Akteurin so sehr gefestigt, dass insbesondere Personalentscheidungen ohne sie kaum noch durchzusetzen waren. Auguste Viktoria war, entgegen bisheriger Urteile, eine resolute und politisch treibende Figur.
Dies sind Facetten der deutschen Kaiserin, die weder Zeitgenossen noch Historiker bisher beachtet haben, obwohl die Zeit des Deutschen Kaiserreichs zu den meist diskutierten Epochen deutscher Geschichte zählt und sich weiterhin enormer Popularität erfreut. In Übersichtswerken über die Geschichte des Kaiserreiches fehlt ihre Darstellung komplett. Ausstellungen wie Frauensache. Wie Brandenburg Preußen wurde (2015) und Kaiserdämmerung (2018) oder aber Dokumentationen wie Majestät brauchen Sonne (1999) behandelten die Kaiserin nur am Rande – in ihrer Rolle als Frau. In fiktiven Werken, etwa im ZDF-Mehrteiler Das Adlon¹⁴ (2013) und in der ersten Staffel der Serie Charité(2017), tritt sie lediglich als Statistin auf. Eine herausstechende Ausnahme bildet der an originalen Schauplätzen gedrehte dokumentarische Spielfilm Kaisersturz (2018) des ZDF, in dem die Kaiserin präzise von Sunnyi Melles dargestellt und als Stütze hinter dem geschwächten Kaiser charakterisiert wurde.
Auch in der deutschen Erinnerungskultur ist die Kaiserin kaum präsent. Ihre bekannteste und wertvollste Darstellung ist ein Mosaik in der Gedenkhalle der Berliner Gedächtniskirche. Vereinzelt freuen sich Sammler über Postkarten mit ihrem Porträt, die sie auf einem der zahlreichen Berliner Flohmärkten ausgraben. Von den zahlreichen Namensgebungen, die auf sie zurückzuführen, sind heute nur noch wenige existent. Der sehr luxuriöse Schnelldampfer Kaiserin Auguste Victoria, welcher 1905 vom Stapel lief und von der Kaiserin persönlich in Stettin getauft wurde, erfreute sich bei Nordatlantikreisen wegen des Komforts großer Beliebtheit. Nach dem Krieg wurde er als Reparationszahlung an Großbritannien abgegeben und fuhr ab 1921 unter kanadischer Flagge mit anderem Namen – bis er 1931 abgewrackt wurde. Der Kaiserin-Auguste-Victoria-Marsch, op. 145 von Eduard Funck wird heute vereinzelt in Schleswig-Holstein gespielt, erreichte aber nie »Kultstatus«. Nach ihrem Tod wurde die Pfingstkirche in Potsdam zur Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gedächtniskirche umgetauft, sie verlor ihren Namen jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg wieder. Einzig das Kaiserin-Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin-Schöneberg, die Kaiserin-Auguste-Viktoria-Stiftung für Senioren mit Sitz in Hamburg sowie die 2015 geschlossene Zeche Auguste Viktoria in Marl und Haltern am See, eine der letzten Steinkohlebergwerke in Deutschland, erinnern zumindest mit ihrem Namen an die ehemalige Kaiserin. Eine Statue von Auguste Viktoria in Marl schaut bis heute auf das ehemalige Bergbaugelände. Ihrer Leidenschaft für Rosen wegen wurde zu ihrem 25. Regierungsjubiläum 1913 im Rosarium Sangerhausen eine Büste von ihr aufgestellt. Als 1950 die Landesregierung Halle diese Statue entfernen lassen wollte, vergruben Gärtner des Rosariums die Büste heimlich. Sie wurde 1983 zufällig bei Grabungsarbeiten wiedergefunden und steht seit 2001 auf ihrem ursprünglichen Platz.
Von wesentlicher Bedeutung für eine kritische Studie der Kaiserin war der Aufsatz von Andreas Dorpalen in einem amerikanischen Geschichtsmagazin von 1952.¹⁵ Heute, 70 Jahre später, trägt die fehlende mediale Präsenz Auguste Viktorias maßgeblich dazu bei, dass sie als Forschungsobjekt unattraktiv ist. Dabei ist das Deutsche Kaiserreich eine der umfangreichsten Forschungsgebiete der deutschen Geschichte, eine frühere Dämonisierung und Apologetik ist zu einer unglaublich objektiv-kritischen Debatte geworden. Dies gilt allerdings nicht für die Monarchie, Aristokratie und Eliten – Begriffe, die bis heute von Historikern belächelt werden. Im Vergleich zu England, Frankreich und den Niederlanden hat der deutsche Tenor der »Geschichte von unten« und die kontinuierliche Aufarbeitung (man mag sagen: Überstrapazierung) des »Dritten Reiches« und der DDR erhebliche Lücken in der Betrachtung deutscher Adelsbiografien hinterlassen.
Dieses Buch wird daher Kaiserin Auguste Viktoria, ihr Wirken und ihren Einfluss in vier grob chronologischen Kapiteln untersuchen. Ziel ist nicht die Dämonisierung der Landesmutter, sondern die Wahrnehmung ihrer Person als politische Akteurin einer Epoche, die in einer der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte endete. Nicht die volkstümliche Rezeption der Kaiserin soll zerstört werden, sondern aus der häufig einseitigen Betrachtung ihrer Person soll sich eine differenziertere und kritische Betrachtung entwickeln und Auguste Viktoria in den Kontext des paradoxen Deutschen Kaiserreiches eingeordnet werden. Einem Staat, der geprägt war von Leistungsfähigkeit und Schnelligkeit, von Konventionalität und Neuzeit, von nationalem Stolz und regionaler Eigentümlichkeit und schließlich von Ehrgeiz und Furcht. Als Staat lag das Deutsche Kaiserreich im Zentrum eines fragilen Europas, welches sich beinahe selbst zerstörte. Ein Europa, das durch eine bedeutende und kontroverse Gruppe von Herrschern, Diplomaten und Politikern geformt wurde. Als letzte deutsche Kaiserin war Auguste Viktoria Teil dieser Gesellschaft illustrer Herrschaften, die am Ende die Glorie oder die Schuld auf ihren Schultern trugen.
II
DIE JUGEND (1858–1888)
Als die letzte deutsche Kaiserin geboren wurde, existierte das Deutsche Kaiserreich noch nicht. Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich in der Mitte Europas unter der Bezeichnung »Deutscher Bund« ein Flickenteppich größerer und kleiner Einzelstaaten ohne zentrale Staatsgewalt. Ausschlaggebende Bedingung für die Mitgliedschaft in diesem Bund war die Zugehörigkeit zur deutschen Sprache. So kam es dazu, dass Luxemburg, damals noch ein Teil der Niederlande, und die Herzogtümer Holstein und Lauenburg, damals ein Teil von Dänemark, im Deutschen Bund aufgenommen wurden, während weitgehende Gebiete von Österreich und Ostpreußen nicht dazu zählten.
Der Deutsche Bund war weder ein einheitlicher Staat, noch eine Nation mit geschlossener ethnischer und historischer Zugehörigkeit. Insbesondere in den Grenzgebieten konkurrierten die Angehörigkeitsvorstellungen der Bevölkerung und nationale Differenzen luden sich zunehmend auf. So auch in den Herzogtümern Holstein, Lauenburg und Schleswig, die alle dem dänischen Staat angehörten und bis auf Schleswig gleichzeitig Teil des Deutschen Bundes waren. Im Zuge der revolutionären Erschütterungen erhoben sich im März 1848 deutschnationale Bewegungen in allen drei Herzogtümern gegen Dänemark, woran maßgeblich Herzog Christian August von Augustenburg beteiligt war. Der Erste Schleswig-Holsteinische-Krieg endete siegreich für Dänemark und wurde im Londoner Protokoll von 1852 völkerrechtlich ratifiziert. Die Einheit des dänischen Staates wurde somit gesichert, während Holstein und Lauenburg weiterhin Teil des Deutschen Bundes blieben. Ebenfalls wurde die Erbfolge in Dänemark festgesetzt, denn der dänische König aus dem Haus Oldenburg war kinderlos. Während Dänemark die weibliche Thronfolge anerkannte, galt dies nicht für die Herzogtümer Holstein und Lauenburg, die beide Teil des deutschen Bundes mit männlicher Erbfolge waren. Wäre die Nichte des Königs, Louise von Hessen, Königin geworden, wäre die Personalunion mit den Herzogtümern beendet gewesen. Ein dynastischer Wechsel aufgrund der Kinderlosigkeit des dänischen Königs war für die Einheit des dänischen Staates unabwendbar. Auch Christian August von Augustenburg, der aus einer Nebenlinie der Oldenburger stammte, hatte Anrecht auf den dänischen Thron. Er war jedoch aufgrund seiner pro-deutschen Beteiligung während des Konflikts ins Exil verbannt worden und zog sich nach Primkenau in Niederschlesien zurück. Christian von Glücksburg, der einer weiteren Nebenlinie der Oldenburger angehörte, wurde zum Thronfolger ausgerufen, was das Erbfolgeproblem elegant löste. Denn Prinz Christian war der Ehemann von Louise von Hessen, die nun zwar nicht Königinregentin wurde, sondern nur Königingemahlin, aber die dynastische Linie zumindest aufrechterhielt, während man die Herzogtümer im Königreich behalten konnte.¹⁶
Der exilierte Herzog Christian August und seine Frau Luise Sophie von Danneskjoeld-Samsøe hatten sieben Kinder. Dazu gehörte der 1829 geborene Friedrich Christian August, der, wie sein Vater, an der deutschen Erhebung gegen Dänemark teilnahm. Der stattliche Mann mit dem mächtigen Backen- und Schnurrbart heiratete am 11. September 1856 die 1835 geborene Adelheid zu Hohenlohe-Langenburg, deren Mutter eine Halbschwester der britischen Königin Victoria war. Letztere war es auch, die sich vehement gegen eine Ehe ihrer Cousine mit dem 27 Jahre älteren Napoleon III. aussprach, nachdem dieser um die Hand von Adelheid anhielt. Zwar weinte sich die beinahe Kaiserin der Franzosen die Augen aus, aber die Ehe mit Friedrich von Augustenburg verlief dennoch harmonisch und besonnen.¹⁷
Die letzte deutsche Kaiserin wurde am 22. Oktober 1858 um 7.30 Uhr als Tochter von Friedrich und Adelheid auf einem Rittergut in Dolzig, einem kleinen Dorf mit knapp 450 Einwohnern geboren. Ihr im Jahr 1857 geborener Bruder verstarb sieben Tage nach ihrer Geburt. Das kleine Mädchen wurde am 30. November 1858 auf den Namen Augusta Victoria Friederike Luise Feodora Jenny zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg getauft. Zu seinen Taufpaten gehörten der Prinzregent von Preußen und seine Frau, Wilhelm und Augusta, deren Sohn und dessen Gattin, Friedrich Wilhelm und Victoria, eine Tochter von Königin Victoria. Diese war zum Zeitpunkt der Taufe schwanger mit ihrem ersten Sohn, dem späteren Wilhelm II., der am 27. Januar 1859 im Kronprinzenpalais in Berlin zur Welt kam. Die Holsteiner bekamen noch fünf weitere Kinder: 1860 Karoline Mathilde, 1862 Friedrich Viktor, der im selben Jahr verstarb, 1863 Ernst Günther, 1866 Luise und 1874 Feodora.
Der Vater, Friedrich VIII. von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, hier um 1870, heiratete 1856 Adelheid zu Hohenlohe-Langenburg. (Künstler: Carl Fischer)
Die ersten fünf Jahre ihrer Kindheit verbrachte Dona, wie Auguste Viktoria im Familienkreis genannt wurde, in der ländlichen Idylle der Niederlausitz. Der Tod des kinderlosen dänischen Königs im November 1863 änderte dies, als Prinz Christian von Glücksburg ihm auf den Thron folgte und somit auch die Regentschaft über die Herzogtümer Schleswig und Holstein übernahm. Am 16. November rief sich Donas Vater, nachdem sein Vater ihm die herzoglichen Anrechte übertragen hatte, zu Friedrich VIII. Herzog von Schleswig und Holstein aus und richtete sich mit dem Pamphlet Mein Recht ist Eure Rettung an die Bevölkerung. Die Spannungen zwischen Dänemark und dem Deutschen Bund führten durch Annahme der dänischen Novemberverfassung unter dem neuen König Christian IX. zum Casus Bello. Sein Ziel, beide Herzogtümer näher an den dänischen Staat zu binden, brach die Londoner Protokolle ebenso wie die Selbstausrufung Friedrichs VIII.
Obwohl die Situation zwischen den Staaten auf das Äußerte gereizt war, kam es zu keinerlei Kampfhandlungen. Auch nicht als Truppen im Namen des Deutschen Bundes in Holstein und Lauenburg im Rahmen der Bundesexekution einmarschierten und Friedrich VIII. am 30. Dezember unter Jubel der Bevölkerung und unterstützt vom Militär in Kiel einzog. Dazu kam es erst, als der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck ein Ultimatum an Dänemark richtete, indem er zur Aufgabe der Novemberverfassung innerhalb von 48 Stunden aufforderte – wohl wissend, dass der dänische König dazu nicht fähig war, ohne innenpolitische Spannungen auszulösen. Als Reaktion darauf erklärten Preußen und Österreich den Dänen den Krieg und überschritten am 1. Februar 1864 die Grenze zu Schleswig.
Der Deutsch-Dänische-Krieg endete nach einem halben Jahr mit einer Niederlage Dänemarks und dessen Einflussverlust über Lauenburg, Holstein und Schleswig. Die Hoffnung Friedrichs VIII., die Herzogtümer zu regieren, wurde zerschlagen, als Preußen und Österreich sich die Kontrolle über die Gebiete teilten. Die Entschädigung, die Preußen dem Augustenburger anbot, lehnte dieser aus Stolz ab. In den folgenden Jahren verkaufte er das Grundstück in Dolzig und zog für fünf Jahre mit seiner Familie in das Holsteinische Palais in Gotha. Der Tod von Donas Großvater Christian-August von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg im März 1869 führte die Familie schließlich nach Primkenau in Schlesien.
Während der Zeit in Gotha veränderte sich der Deutsche Bund rapide. Der Konflikt zwischen Österreich und Preußen über die Kontrolle der annektierten Herzogtümer Schleswig und Holstein verschärfte sich zunehmend. Nachdem preußische Truppen in das von Österreich verwaltete Holstein einmarschierten, entzündete sich aus dem Konflikt der Deutsche Krieg, der nach nur sieben Wochen in der Schlacht von Königgrätz zugunsten der Preußen entschieden wurde. Die beim Prager Frieden vom 23. August 1866 beschlossenen Veränderungen waren massiv. Der Auflösung des Deutschen Bundes folgte die Gründung des von Preußen dominierten Norddeutschen Bundes mit 22 Mitgliedstaaten, aus dem im Folgenden das Deutsche Reich hervorging.
Dabei war der Norddeutsche Bund nur eine Zwischenlösung auf dem Weg zur Formierung eines deutschen Gesamtstaates im Sinne einer kleindeutschen Lösung. Preußens Machterweiterung und der Ausschluss Österreichs wurden durch den Deutsch-Dänischen-Krieg und den Deutschen Krieg essenziell vorangetrieben. Die Lunte zur nationalen Geschlossenheit und dem Anschluss der süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt an den Norddeutschen Bund legte 1870 eine diplomatische Krise um den spanischen Thron. Dieser wurde dem Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen angetragen, was in Frankreich zur Befürchtung führte, man wäre bald von Hohenzollern in Preußen und Spanien eingekreist. Zwar zog Prinz Leopold seine Kandidatur zurück, doch wollte der preußische König Wilhelm I. bei einem Gespräch mit dem französischen Diplomaten de Benedetti in Bad Ems von einem endgültigen Verzicht eines Hohenzollern auf den spanischen Thron nichts wissen. Das Gespräch wurde von einem Mitarbeiter des norddeutschen Kanzlers und preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck an eben diesen telegrafiert. Der Kanzler kürzte die Nachricht seines Mitarbeiters so, dass die Veröffentlichung dieser Emser Depesche in Deutschland als auch in Frankreich für Empörung sorgte. Für die Franzosen war die – laut gekürzter Depesche und einem Übersetzungsfehler der französischen Presse – brüske Ablehnung ihres Diplomaten durch den preußischen König ein Affront und bedrängte den Nationalstolz. Frankreich erklärte dem Norddeutschen Bund am 19. Juli 1870 den Krieg,