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Ratgeber Wachkoma: für Angehörige und Betreuende
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Ratgeber Wachkoma: für Angehörige und Betreuende
eBook155 Seiten1 Stunde

Ratgeber Wachkoma: für Angehörige und Betreuende

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Über dieses E-Book

Dieses Buch richtet sich an Angehörige und Betreuende von Menschen im Wachkoma und geht neben den pflegerischen Aspekten auch auf die sozialen und menschlichen Bedürfnisse der Beteiligten in dieser herausfordernden Lebenssituation ein.
Eine genaue Zahl, wie viele Menschen im Wachkoma zu Hause versorgt werden gibt es nicht. Allerdings erleiden jedes Jahr schätzungsweise bis zu 10.000 Menschen neu eine Hirnschädigung und viele werden im Zustand Wachkoma nach Hause entlassen. Wie bereitet man sich als Angehörige darauf vor? Was genau kommt auf einen zu und wo kriegt man Hilfe?
Der erfahrene Autor unterstützt mit kompetenten Wissen und geht dabei feinfühlig auf die wichtigen Aspekte und Bedürfnisse der Betroffenen ein. Eingestreute Zitate von Angehörigen spiegeln die Fragen und Ängste, auf welche der Autor mit Informationen, Aufklärung und Erfahrung eingeht.
Wissenschaftlich fundiert und nah am Menschen. 
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum20. Apr. 2021
ISBN9783662628317
Ratgeber Wachkoma: für Angehörige und Betreuende

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    Buchvorschau

    Ratgeber Wachkoma - Jürgen Drebes

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021

    J. DrebesRatgeber Wachkomahttps://doi.org/10.1007/978-3-662-62831-7_1

    1. Was ist eigentlich ein Wachkoma?

    Jürgen Drebes¹  

    (1)

    Bochum, Deutschland

    Die Idee für einen Ratgeber ist durch Gespräche mit Ihnen als pflegende Angehörige entstanden. Nicht selten wurde mir berichtet: „… dort war er dann 8 Wochen, mit der Aussage der Chefärztin nach 3 Tagen ‚keinerlei Rehapotenzial, machen Sie sich Gedanken, in 8 Wochen muss er hier weg‘. (Z1). Oder: „Er musste aber die Rehaklinik verlassen, weil die Aufenthaltsdauer bereits überschritten war … Die Krankenkasse hat damals gesagt, dass mein Mann austherapiert sei. (N1). Wenn Sie nicht zufällig den erforderlichen fachlichen Hintergrund haben, dann wird es ohne eine angemessene Begleitung schwierig: „Ende Juni ist er als austherapiert entlassen worden und damals war es auch einfach so, man steht einer Situation gegenüber, auf die man nicht vorbereitet ist. (F1). Meistens wird man nur über das Nötigste informiert, „… die haben mir halt ein paar Sachen gesagt, was ich beantragen muss oder was ich mir halt besorgen muss (M1). Da nützt es auch nichts, wenn der behandelnde Stationsarzt ein paar Monate später feststellt, „… wenn ich eure Wohnsituation nur geahnt hätte, das hätten wir nie verantwortet (R1). Und wenn Sie schon ein wenig älter sind, dann heißt es vielleicht: „Ja, nun gucken Sie sich doch Ihren Mann an, der ist 70 Jahre, der macht nichts, der tut nichts, der rührt sich nicht, suchen Sie mal ein Pflegeheim für Ihren Mann … und Sie sind ja wohl auch nicht mehr in der Lage, Ihren Mann zu pflegen. (H1).

    In Kap. 2 und Kap. 3 werde ich aufzeigen, mit welchen Fragen Sie sich grundsätzlich in Ihrer Familie befassen und welche Überlegungen bezüglich der weiterführenden Versorgung Sie noch während des Krankhausaufenthalts bzw. während der Rehabilitation anstellen sollten. Die weiteren Kapitel beschäftigen sich mit unterschiedlichen Lebensbereichen und den Möglichkeiten der Gestaltung des Alltags und des Zusammenlebens. In jedem Kapitel finden Sie eingestreute Zitate aus den geführten Gesprächen, um die verschiedenen Aspekte zu verdeutlichen. Ich habe die Lebensbereiche gewählt, die in den Gesprächen mit Ihnen immer wieder betont wurden, dabei ist die Liste nicht als abgeschlossen zu bezeichnen. Fachbegriffe finden Sie in einer Klammer in abgekürzter Form, zur besseren Übersicht gibt es ein Abkürzungsverzeichnis. Fachsprache, die im deutschen Sprachgebrauch nicht gängig ist, finden Sie zusätzlich in kursiver Form. Die Abkürzungen hinter den Zitaten finden Sie nicht im Abkürzungsverzeichnis erläutert, hier handelt es sich um Kürzel der jeweiligen Gesprächspartner.

    Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

    1.1 Was ist ein „Wachkoma"?

    Was ist eigentlich der Zustand, der herkömmlich als Wachkoma bezeichnet wird? Verantwortlich für diesen Zustand ist eine erworbene Hirnschädigung, die im Laufe des Lebens eintritt. Durch ein meist plötzliches Schädigungsereignis werden vorhandene Fähigkeiten und Fertigkeiten beeinträchtigt, das bisherige Leben der Betroffenen wird zum Teil einschneidend unterbrochen. Erworbene Hirnschädigungen können durch eine Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen oder Verletzungen des Gehirns verursacht werden. Vereinzelt wurden bereits vor 200 Jahren Menschen nach einem Schädel-Hirn-Trauma beschrieben. Insbesondere bedingt durch Kriege wurde festgestellt, dass Soldaten mit Schädel-Hirn-Verletzungen häufig einen dauerhaft erhöhten Pflegebedarf aufwiesen. Der deutsche Neurologe Ernst Kretschmer (Kretschmer 1940) beschreibt Menschen nach Hirnschädigungen folgendermaßen:

    Der Patient liegt wach da mit offenen Augen. Der Blick starrt geradeaus oder gleitet ohne Fixationspunkt verständnislos hin und her. Auch der Versuch, die Aufmerksamkeit hinzulenken, gelingt nicht oder höchstens spurenweise; Ansprechen, Anfassen, Vorhalten von Gegenständen erweckt keinen sinnvollen Widerhall. Die reflektorischen Flucht- und Abwehrbewegungen können fehlen. Es fehlt manchmal auch das reflektorische Zurückgehen in die Grundstellung bzw. in die optimale Ruhestellung. Trotz Wachsein ist der Patient unfähig zu sprechen, zu erkennen, sinnvolle Handlungsformen in erlernter Art durchzuführen. Dagegen sind bestimmte vegetative Elementarfunktionen, wie etwa das Schlucken, erhalten. Daneben treten die bekannten frühen Tiefenreflexe, wie Saugreflex oder Greifreflex, hervor.

    Die Gründe für den Zustand Wachkoma liegen meist in einer traumatischen oder nichttraumatischen Schädigung des Gehirns. Ein Schädel-Hirn-Trauma wird in den Grad I, II oder III eingeteilt. Eine Gehirnerschütterung (Commotio cerebri ) als Schädel-Hirn-Trauma Grad I heilt in der Regel ohne Langzeitschäden aus. Bei einer Gehirnprellung (Contusio cerebri ) als Schädel-Hirn-Trauma Grad II kommt es zu Beeinträchtigungen oder Ausfällen, die sich jedoch in der Regel nach einer bestimmten Zeit zurückbilden. Eine Gehirnquetschung (Compressio cerebri ) als Schädel-Hirn-Trauma Grad III führt zu Ausfällen und Beeinträchtigungen wegen der Schwere der Schädigung über einen sehr langen Zeitraum – je nach Ausmaß erholen sich die Betroffenen nicht oder nur unvollständig. Ursächlich handelt es sich meist um Verletzungen nach Unfall oder Sturz, bei den nichttraumatischen Schädigungen liegt meist eine Sauerstoffunterversorgung des Gehirns nach Herzinfarkt, Ertrinkungsunfall oder Vergiftung vor.

    Welcher Begriff ist der Richtige?

    Doch welcher Begriff für eine erworbene Hirnschädigung ist der Richtige? Es gibt mehrere Namen für dieses Krankheitsbild und es scheint deshalb, dass erworbene Hirnschädigungen in ihren unterschiedlichen Ausprägungen und Entwicklungen in der Medizin noch nicht angemessen thematisiert worden sind. In diesem Ratgeber wird der Begriff Wachkoma für den Zustand einer erworbenen Hirnschädigung benutzt. Er wird auch gerne von Selbsthilfeorganisationen und von Angehörigen verwendet und beschreibt den Zustand der Betroffenen mit Wachheit und dem Öffnen der Augen bei scheinbar komatösem Zustand. Die Atmung des Patienten ist stabil, er zeigt eine erhaltene Spontanatmung. Ein Schlaf-Wach-Rhythmus ist gegeben, auch wenn die Schlafphasen sich im Gegensatz zu früher vielleicht verschoben haben. In Wachphasen öffnet der Patient zwar die Augen, der Blick jedoch scheint ins Leere zu gehen. Ein Fixieren ist nicht möglich, auch wenn er manchmal vegetative Reaktionen zeigt. Dann verstärkt sich die Atmung oder erhöht sich der Herzschlag, manche Patienten fangen an zu schwitzen. Auf Ansprache und Berührung zeigt der Betroffene keine sinnvollen Reaktionen. Aus eigener Kraft kann er nicht selbst Kontakt zur Umwelt aufnehmen. Aus dem französischen Sprachgebrauch kommt der Begriff coma vigile, der den Betroffenen mit offenen Augen daliegend beschreibt. Die Übersetzung aus dem Französischen kommt dem deutschen Begriff Wachkoma sehr nahe.

    In der deutschen Fachsprache wird eher vom apallischen Syndrom (APS) gesprochen. Apallisch bedeutet im ursprünglichen Sinn, dass die Hirnrinde, das Pallium, als wesentliche Struktur des Gehirns nicht mehr funktionstüchtig ist. Es ist aber schon seit vielen Jahren bekannt, dass man durch Hirnstrommessungen Aktivitäten in der Hirnrinde von Wachkomapatienten nachweisen kann. Trotz vielseitiger Kritik hält sich der Begriff des apallischen Syndroms im deutschsprachigen Raum und findet sich in medizinischen Fachbüchern. Der Begriff wird jedoch von Selbsthilfeorganisationen und Fachverbänden als abqualifizierend beurteilt. Häufig wird damit verbunden, dass der betroffene Mensch nur noch eine „sinnlose Hülle und damit „lebensunwert ist.

    Im angloamerikanischen Raum wird der Begriff Persistent Vegetative State (PVS) am häufigsten benutzt. Durch diese Definition wird ausgedrückt, dass der Betroffene lediglich ein physisches Leben führt und nicht in der Lage ist, sozial zu interagieren oder mental zu reagieren, nur die vegetative Funktionen wie Herzkreislauf, Atmung oder Darmtätigkeit sind intakt. Immer wieder wird das Wort persistent mit permanent verwechselt, was jedoch große Auswirkungen hat. Persistent ist nämlich der Versuch einer Diagnosebildung, der eine Weiterentwicklung zumindest nicht ausschließt. Permanent dagegen ist gleichbedeutend mit einer Prognose, die eine Zustandsveränderung ausschließt. Zunehmend wird deshalb im englischen Raum nur noch von einem Vegetative State gesprochen, was jedoch die grundsätzlich negative Haltung gegenüber dem Krankheitsbild Hirnschädigung nicht wesentlich ändert.

    Es gibt noch weitere Begriffsbestimmungen, die jedoch nicht zur Klärung beitragen. Eine wertneutrale Wiedergabe ist die international anerkannte Darstellung des Vollbildes Wachkoma unter dem Begriff Syndrom reaktionsloser Wachheit (SRW) bzw. international Unresponsive Wakefulness Syndrome (UWS). Die im Begriff steckende Reaktionslosigkeit ist zwar in vielen Fällen bei den oben beschriebenen vegetativen Reaktionen zutreffend, es zeigt sich jedoch auch immer wieder, dass manche, augenscheinlich vegetative Reaktionen, ein Hinweis auf eine Zustandsverbesserung sein können. Hier sind Sie es als Angehörige, die solche Zeichen meist zuerst erkennen. Werden diese wiederholt deutlich, kann das ein Hinweis auf ein minimales Bewusstsein sein, Fachleute sprechen hier von einem Minimal Conscious State (MCS). In diesem Stadium zeigt der Betroffene teilweise zielgerichtete Reaktionen auf die Außenwelt durch beispielsweise Fixieren, Blickfolgen oder Lächeln. Die Reaktionen zeigen sich bei Ansprechen der Sinne, das kann durch Sehen, Hören oder auch Berührungen der Fall sein. Es gibt Meinungen, dass der Minimal Conscious State durch spezielle Untersuchungsmethoden diagnostiziert wird, andere Experten betonen, dass eine gute Krankenbeobachtung in Verbindung mit einem entsprechenden Assessment dieselbe Aussagekraft

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