Entstehung und Grundlagen der Aktivierungstherapie: Aktivierungstherapie, Band 1
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Über dieses E-Book
Aktivierungstherapie ist eine verhältnismässig junge Disziplin. Dementsprechend ist ihre fachliche Entwicklung sehr dynamisch. Der erste Band der neuen Themenheftreihe «Aktivierungstherapie» des Zentrum für medizinische Bildung, Bildungsgang Aktivierung HF, fasst den Diskussionsstand über die Entstehung und die Grundlagen des Berufsfeldes zusammen. Mehrere Autorinnen beleuchten verschiedene Aspekte und Grundfragen der Aktivierungstherapie:
- die Geschichte der Aktivierungstherapie in der Schweiz,
- Aktivierung, Aktivierungstherapie, aktivierende Alltagsgestaltung – Grundlagen, Entwicklungen, Begriffsklärungen,
- die therapeutische Beziehung als Kernelement der Aktivierungstherapie,
- die Bedeutung der Aktivierungstherapie im interdisziplinären Team.
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Buchvorschau
Entstehung und Grundlagen der Aktivierungstherapie - Zentrum für medizinische Bildung
Editorial
Eigentlich hätte ich ganz gerne ein wenig den Mahnfinger gehoben dem heute auf allen Stufen des Lebens grassierenden Machbarkeitswahn gegenüber, dem Aktivierungs-Trend überall.
Ich stehe selbst im fragilen Alter und weiss, was Müdigkeit, Verlust von Kräften und Fähigkeiten, Einengung des Lebenshorizontes und gelegentlicher Lebensüberdruss bedeuten. Manchmal wünsche ich mir etwas mehr Respekt und Mitgefühl gegenüber der unaufhebbaren Schwächung von Altgewordenen.
Und trotzdem schreibe ich dieses Editorial gerne, besonders auch, nachdem ich in den nachfolgenden Darlegungen gesehen habe, mit welcher Sorgfalt das Thema «Aktivierung» behandelt wird. Zur Sorgfalt gehört ja auch, dass man die heute übliche Ignoranz und Verachtung gegenüber allem, was mit Leiden zu tun hat, nicht mitmacht, sondern mit Zärtlichkeit für alles Gebrechliche die Bemühung um Aktivierung angeht. Das ist für mich die Grundlage.
Wir leben heute mehr als ein Jahrzehnt länger als die Menschen vor hundert Jahren. Das noch immer vorhandene Defizit-Modell des Alters ist unzeitgemäss geworden, besonders die Lebensphase zwischen ca. 60 bis 75 Jahren verdient eine gründliche Aufwertung und verlangt nach neuen Modellen für diesen Lebensabschnitt (siehe mein Buch: Das Glück der späten Jahre – Mein Plädoyer für das Alter, Pendo-Verlag, 2005).
Wenn aber dann «die Wahrheit an den Tag kommt», die alten Tage dem entsprechen, was man als Schreckgespenst immer von sich weggeschoben hat: lebensmüde, inaktiv, behindert, verwirrt, oft schwierig und abweisend im Umgang, unselbstständig und abhängig von Hilfe, dann weiss der moderne Mensch nicht mehr was anfangen mit so einer Person.
«Entsetzlich, diese Gestalten, wie sie in den Pflegeheimen herumhocken!»
Solche Einschätzungen höre ich bei meinen Lesungen noch und noch. «Nume das nid», denkt jeder und jede. Die Aktivierende Alltagsgestaltung und die Aktivierungstherapie gehen von einem anderen Menschenbild aus. Basierend auf einem Ressourcenmodell versuchen die Therapeutinnen und Therapeuten Zeichen des inneren Lebens ihrer Klientinnen und Klienten zu erkennen und durch geeignete Aktivitäten zu entfalten.
Da sind einmal die Erinnerungen, dieser tiefe Brunnen des inneren Reichtums, wo Leben heraufgeholt und aktiviert werden kann, oft angestossen durch Musik, Lieder, Gerüche, Namen und Beziehungen aus der Kindheit. Sie schaffen es immer wieder, dass ein ansonsten ganz apathischer Mensch für Momente wieder ganz da ist, sich seiner Fähigkeiten, die erloschen zu sein scheinen, erinnert, weiss, womit er im aktiven Leben «punkten» konnte – und sei es nur in der Vorstellung, wie es gewesen sein mag.
Jemand sein: Nie wird dieses Bedürfnis eindrücklicher, als wenn Alte in der Abhängigkeit einer stationären Unterbringung sich vergegenwärtigen, wer sie waren oder sein wollten, an einem Kostümball oder in einer Theateraufführung, präsentiert in einer Fotogalerie, vielleicht auch in einem Buch über Zeitgenossen oder Angehörige des früheren Berufes.
Das bringt müde gewordene Augen zum Leuchten, schafft Glücksgefühle, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Angehörige, Personal und nicht zuletzt für all die, die nachkommen werden, weil es eine Präsentation der menschlichen Möglichkeiten bis zuletzt ist, die Mut macht.
Braucht es nun aber eine Ausbildung, um müde gewordene Betagte zu aktivieren? Ich würde mal sagen, dass die therapeutische Aktivierung, die mit dem Widerstand umgeht, weiter da zu sein, noch mitzumachen, sich nochmals ein «Schüpfli» zu geben, die in sich vorhandenen Kräfte nochmals zu wecken, professionelle Kenntnisse klar voraussetzt.
Es braucht enormes Wissen und Können, nebst einer grossen Portion Empathie, um behutsam abzuklären, ob es sich um eine Persönlichkeit handelt, die von einer inneren Ruhe und persönlichen Unabhängigkeit lebt und deshalb nichts von «Hüpfen in der Gruppe» hält und darum auch in Ruhe gelassen werden muss, oder ob es sich um einen Menschen handelt, der aus Hilflosigkeit gegenüber seiner jetzigen Lebenssituation verstummt ist.
Es folgen die vielen zaghaften, von mannigfachen Enttäuschungen durchzogenen Versuche, nochmals etwas aufzunehmen, was man früher gekonnt hat, auch wenn es unvollkommen ist. All das braucht therapeutische Begleitung, die fachmännisch im richtigen Mass einerseits fördert und andererseits akzeptieren hilft, was ist.
Aktivierungstherapie ist nur wirksam in einem pflegerischen Umfeld, in dem Alltagsaktivierung praktiziert wird. Wenn Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachleute, Angehörige und Freiwillige aufhören, ermunternd zu aktivieren, hat auch die «Spezialistin» kein Brot. Sie ist aber auch nicht einfach «ergänzend», wie oft gesagt wird, sondern Aktivierungstherapie ist ein zentraler Bestandteil aller Bemühungen um hochaltrige und demente Persönlichkeiten – und dies nicht, weil Ärzte und Pflegepersonen «zu wenig Zeit» dafür haben, sondern weil es besondere Kenntnisse für diese Tätigkeit braucht.
Aktivierungstherapeutinnen und -therapeuten leiden darunter, zu wenig anerkannt zu werden und schnell dem Rotstift des Sparens zum Opfer zu fallen. «Unser Wirken ist eben mit den üblichen Messinstrumenten unserer Gesellschaft nicht messbar!», klagen sie. Das sollte sie aber nicht entmutigen, weiterhin für ihre Aufgabe zu kämpfen. Alles Wesentliche des Lebens lässt sich nämlich nicht berechnen, obwohl wir spüren, dass es