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Mohn und Schatten
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eBook182 Seiten2 Stunden

Mohn und Schatten

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Über dieses E-Book

Die Wählergunst bei den Europawahlen hat gerade die Rechtspopulisten in vielen Ländern nach oben gespült. Vor dieser gesellschaftspolitischen Kulisse kehrt Katharina Jensen nach Hamburg zurück. Sie arbeitet nach den dramatischen Ereignissen vor zwei Jahren endlich wieder als Journalistin und lernt den Fotografen Nik Brahms kennen. Wenige Tage später begeht ein gemeinsamer Freund Selbstmord in der Nähe von Hamburg. Zusammen mit der Schwester des Toten machen sie sich auf, die Hintergründe dieses anfangs so eindeutigen Freitods zu klären. Und entdecken im Grenz-land zwischen Dänemark und Deutschland mehr als ihnen lieb ist.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum20. Nov. 2016
ISBN9783741868719
Mohn und Schatten

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    Buchvorschau

    Mohn und Schatten - Manfred Braasch

    Prolog

    Am 12. Mai 2008 trafen sich im Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten in Hamburg zwei Männer. Das gediegene Hotel am Neuen Jungfernstieg verfügte über die notwendige diskrete Atmosphäre, um wichtige geschäftliche Dinge zu besprechen, die nicht für jedes Ohr bestimmt waren. Außerdem bot das Restaurant des Hauses mit seinen zwei Michelin-Sternen und immerhin 19 Gault Millau Punkten einige kulinarische Überraschungen.

    Beide Männer waren in dunklen maßgeschneiderten Anzügen mit dezenter Krawatte unterwegs. Die Chronometer blitzten am rechten Handgelenk, der eine trug TAG Heuer, der andere Union Glashütte. Und auch sonst erkannte das geschulte Personal des Vier-Jahreszeiten, dass diese Herren durchaus gut bei Kasse waren. Sie waren zweifelsohne ausreichend dressy gekleidet, wie es auf der homepage des Hotels unter den Stichwort Dresscode hieß.

    Sie begrüßten sich mit dem bei vielen Managern üblichen kräftigen Händedruck, nicht überschwänglich, aber durchaus zugewandt. Sie hatten sich bereits bei anderen Gelegenheiten in Berlin und Zürich getroffen und dabei schätzen gelernt. Jeder hatte bereits seine Suite bezogen, nun saß man entspannt im Restaurant, das an diesem Abend nur halb besetzt war. Nach dem Austausch über das Wetter und die Anreise – der eine kam aus dem Norden, der andere mit dem Firmenjet aus Essen - und der Bestellung eines exklusiven Drei-Gänge-Menüs näherte sich das Gespräch dem konkreten Anlass.

    »Carl, wie Du sicher gelesen hast, steht unser Konzern vor wichtigen Auseinandersetzungen mit der Stadt Hamburg. Unsere Taktik ist bislang aufgegangen und Deine damalige Beratung hat sich ausgezahlt. Der Hamburger Senat steht aktuell erheblich unter Druck. Die Kostenschätzungen, die zu einer breiten Befürwortung des Baus der Elbphilharmonie geführt haben, lassen sich nicht mehr halten. Nächstes Jahr sind Wahlen in Hamburg und das macht einige Leute im Rathaus nervös.«

    Der Mann, der mit Carl angesprochen wurde, nickte nachdenklich und nippte an seinem Apèretif. Ein gut gekühlter Prosecco aus dem Veneto, unterlegt mit frisch gepresstem Granatapfel. Akzeptabel, schmunzelte Carl still, genoss den leicht moussierenden Abgang, bevor er auf das eben Gesagte einging.

    »Martin, wir haben es mit einer klassischen Entwicklung politisch gewollter Prestigebauten zu tun. Es ist fast schon langweilig, dass es immer wieder funktioniert. Am Anfang wird eine solide Kostenschätzung unter Abwägung aller erdenklichen Risiken in die öffentliche Debatte gegeben, garniert mit etwas Lyrik über ein  neues Wahrzeichen für die Stadt. Ganz wichtig dabei: der Wettbewerb der Metropolen, den man nicht verlieren dürfe. Das übliche Blabla eben. Und schon gibt es eine breite Zustimmung für das Projekt. Die Handelskammer steht Gewehr bei Fuß und sorgt für Unterstützung in der Wirtschaft. Der Bürgermeister spricht ein paar bornierte Millionäre, die der Stadt viel zu verdanken haben, an und bittet um Spenden zum Wohle der Hansestadt. Es kommt ein für jeden Normalbürger beachtliches Sümmchen zusammen, das Abendblatt berichtet wohlwollend. Genügend weiße Salbe, um die ohnehin wenigen kritischen Stimmen mundtot zu machen.«

    »Und wir haben die Stadt am Haken, aus der Nummer kommt kein Senat mehr raus.«

    In diesem Augenblick wurde der Auftakt gereicht. Rindertatar mit Kräutercrème für Carl, geeiste Senfperlen mit Gurken-Chorizo-Vinaigrette für Martin. Die Herren unterbrachen kurz das Gespräch, bis der ausgesprochen höfliche Kellner seinen Spruch aufgesagt und den Herren guten Appetit gewünscht hatte.

    Carl schaute prüfend auf seinen Teller und nahm den Faden wieder auf.

    »Mein Team wird einen Fahrplan für alle Szenarien entwickeln. Damit können Deine Hausjuristen, wenn sie nicht ganz dumm sind und davon muss ich doch wohl ausgehen«- Carl schaute Martin direkt in die Augen - »alle möglichen Angriffe der Stadt kontern. Wir sorgen dafür, dass der Geldhahn nicht versiegt.«

    Martin nickte zufrieden mit dem Kopf. Er wusste um die Qualität der Zuarbeit, die Carl ihm gerade zugesichert hatte. Damit war das wesentliche Ziel dieses Abends erreicht, jetzt begann der entspannte Teil. Alsbald war der Aperitif ausgetrunken und Carl ließ den Sommelier kommen. Als Hauptgang hatten beide Herren Ochsenschwanz mit geräuchertem Kartoffelstock und Périgord-Trüffel gewählt. Der erstaunlich junge aber kenntnisreiche Weinkellner empfahl dazu einen Valpolicella vom italienischen Weingut Quinatrelli. Die Flasche lag bei stolzen 650 Euro und Carl freute sich ein wenig, dass sein Gegenüber bei dem Preis einwenig mit dem linken Auge zuckte. Wenn schon denn schon, dachte sich Carl, er hatte bislang in Hamburg immer gut verdient. Der Abend versprach nett zu werden, Martin und er kamen mit Hilfe des guten Essens und des schweren Rotweins richtig gut in Fahrt und erzählten sich einige Anekdoten aus ihrem wirtschaftlichen Treiben der letzten Jahre.

    Carl bestellte noch eine Flasche des wirklich ausgezeichneten Valpolicella und – wie erwartet – wollte Martin diese unbedingt übernehmen. Carl liebte diese Spielchen unter Reichen, Neureichen oder denen, die sich für eins von beiden hielten. Herrlich.

    Sie streiften beim letzten Gläschen noch kurz die amerikanische Immobilienblase und beide waren sich schnell einig, dass das böse enden könnte. Gegen ein paar riskante Spekulationen, Warentermingeschäfte mit Nahrungsmittel oder – sehr interessant – diesen neuen Hochgeschwindigkeitshandel hatte niemand etwas. Aber nun hätten die Amis mal wieder übertrieben, den Bogen überspannt. Und die amerikanische Notenbank FED heizte das ganze noch an. Irgendwann würde es einfach zu viele Subprime-Kredite geben. Und was dann geschehen würde, wollten die beiden Herren dann doch nicht zu Ende diskutieren.

    Viel lieber widmete man sich mit aller noch verfügbaren Aufmerksamkeit dem Glas Cognac, das in breiter Herrlichkeit vor ihnen stand. Schade, dass die dicken Zigarren in diesem Restaurant nicht mehr möglich waren, dachte Carl noch kurz und nahm einen Schluck aus dem Schwenker. Wunderbar. Auch Martin genoss sichtlich dieses Getränk, das von einem gewissen Château de Plassac aus der Nähe von Bordeaux stammte. Soviel hatte Carl noch verstanden, als der Kellner mit den beiden Gläsern an den Tisch gekommen war.

    Es wurde Zeit für die Nachtruhe. Zumindest für Martin, der beim Aufstehen schon einwenig schwankte. Die beiden wünschten sich eine gute Nacht und hätten sich fast umarmt. Man sehe sich vielleicht noch beim Frühstück. Sie gaben sich die Hand und attestierten sich grinsend, dass alles Wichtige besprochen sei.

    Carl hatte eine Suite in der Bel Etage buchen lassen. Balkon, Ausblick auf die Binnenalster, Hamburg lag einem zu Füssen und das für nur 540 Euro die Nacht. Die Fahrt mit dem Aufzug ging flott, er war zufrieden mit dem Abend und öffnete gut gelaunt seine Zimmertür. Das Fenster zur Alster war geöffnet, ein laues Lüftchen wehte ihm entgegen. Und der athletische Blondschopf, der leicht bekleidet lächelnd auf ihn zukam und anfing, an seiner Anzugshose herumzunesteln, war ganz nach seinem Geschmack. Was für ein Abend. Was für ein Leben. Man musste nur zupacken. Und das brauchte er sich jetzt nicht zweimal sagen.  

    Kinobesuch mit Folgen

    Lars Meyer verließ das Verlagshaus von Gruner und Jahr am Baumwall gegen 18.30 Uhr. Ein arbeitsreicher Sonntag lag hinter ihm und er war gut vorangekommen. Er liebte diesen siebten Tag der Woche, eine produktive Konzentration diffundierte durch die hellen Redaktionsräume, die nur zur Hälfte besetzt waren. Überhaupt, das ganze Wochenendgehabe vieler Kollegen, Ausflug mit der Familie hier, Grillen mit Freunden da – das war nichts für Lars Meyer.

    Er hatte sich nach dem erfolgreichen Germanistikstudium in Heidelberg für die Journalistenlaufbahn entschieden und seit dem war die Arbeit sein Leben. Die Ochsentour, Volontariat, ein paar kleinere Provinzblätter, dann zwei Jahre Häppchenjournalismus beim Focus und schließlich zum Stern.

    Neun Jahre lebte er jetzt schon in Hamburg. Die Stadt und der Hafen hatten es ihm angetan und er genoss den Blick aus dem Verlagsgebäude auf das quirlige Treiben an und auf der Elbe. Direkt gegenüber lagen die legendären Docks 10 und 11 von Blohm und Voss, in denen mächtige Schiffe repariert werden konnten. Auch wenn das Dock Elbe 17 gleich nebenan deutlich größer war, diese beiden monumentalen schwarzen Kästen prägten die Aussicht auf den Hafen und waren neben den Containerbrücken Sinnbild für Deutschlands wichtigsten Hafen.

    Lars Meyer stammte aus Hessen, kam aber mit den Fischköppen gut zurecht. Er wohnte in einer Drei-Zimmer-Wohnung am Rande von Ottensen. Kurz bevor der Stadtteil so richtig hipp und damit unerschwinglich geworden war, konnte er in einem frisch sanierten Mehrfamilienhaus eine Eigentumswohnung kaufen. Er würde noch 10 Jahre daran abzahlen, aber er war froh, diesen Schritt gemacht zu haben. Er genoss das Treiben in der Ottenser Hauptstraße, besonders am Samstag pulsierte hier das öffentliche Leben. Der kleine Wochenmarkt auf dem Friedensplatz war von freudigem Stimmengewirr erfüllt, Nachbarn verweilten zu einem kleinen Plausch und das kulinarische Angebot war gut. Lars Meyer kaufte aber am liebsten bei Paola ein, einem kleinem italienischen Geschäft fast am Ende der Ottenser Hauptstraße. Hier gab es exzellenten Wein, guten Käse aus Umbrien und stets eine erlesene Auswahl bester Antipasti. Insgesamt, stellte Lars Meyer immer wieder fest, passte dieser Stadtteil zu ihm, da nahm er die gegelten Latte-Macchiato-Machos und die berüchtigten Ottenser Kampfmütter mit ihren stylischen Kinderwagen gern in Kauf.

    Anfangs hatte er sich in den knapp 100 nunmehr eigenen Quadratmetern einsam gefühlt. Während seines beruflichen Vagabundenlebens, hier zwei Jahre, dort 13 Monate, war er häufig in einer WG untergekommen. Immer war jemand für ein kurzes Hallo oder auch ein gemeinsames Glas Wein zu finden gewesen. Dies war jetzt seine erste eigene Wohnung, nur für ihn. Aber emotionale Anflüge einer verklärten Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, ein bettelnder, gleichwohl schüchterner Blickwechsel mit einer Frau oder die Frage was wäre wenn? gehörten mittlerweile der Vergangenheit an. Zumindest die meiste Zeit. Jetzt war er erklärter Single und damit zufrieden. Glück, sagte er sich hin und wieder bei einem abendlichen Glas Bardolino, wurde ohnehin überbewertet. Glück, allenfalls ein kurzzeitiger Rauschzustand, aus dem man dann umso tiefer stürzte. Er hatte doch alles, brauchte sich nicht ständig abstimmen oder gar Rücksicht auf Frau oder Kind nehmen. Er verdiente gutes Geld bei Gruner und Jahr, hatte Erfolg mit seinen Artikeln. Er arbeitete gern im Reporter-Team, genoss Freiheit und Produktionsstress gleichermaßen. Und so richtig einsam war er gar nicht, es gab ein paar Kumpels, die er gelegentlich traf. Meist, um in einem der Hafenrestaurants Essen zu gehen oder für einen Kinotrip. Was will man mehr - Lars Meyer jedenfalls nichts.

    Meyer war durch und durch Cineast, schaute viel und gern alles was die Traumstudios in Hollywood an Thriller und Sciencefiction auf den Markt schmissen. Jetzt freute er sich auf eine schnelle Pizza und ein Bier mit Nikolaus Brahms. Nikolaus, den alle nur Nik nannten, war Fotograf beim Hamburger Abendblatt. Ein netter Typ von der unkomplizierten Sorte. Die beiden hatten sich beim Jahresempfang der Hamburger Landespressekonferenz im Grand Elysee vor ein paar Jahren kennengelernt und sich gegenseitig nach dem vierten oder fünften Bier ihre Leidenschaft für Sciencefiction-Filme und alle Arten von Comicadaptionen gestanden. Als die Katze aus dem Sack war, grinsten Meyer und Brahms sich kurz an und schauten verschmitzt in die Runde, ob jemand ihre Unterhaltung verfolgt hatte. Erleichtert verabredeten sie sich für den neuen Spiderman, der in der nächsten Woche in die Kinos kam.

    Aus diesem ersten Treffen war eine Konstante geworden, die beiden trafen sich in lockeren Abständen und amüsierten sich bei Thor-, X-Men- oder Avengers-Filmen prächtig. Wie ein kleines intimes Geheimnis, hatte Lars Meyer einmal am Ende eines solchen Kinoabends gedacht. Nie erwähnte er die Kinobesuche gegenüber seinen Arbeitskollegen. Von den meisten wäre er wohl nur müde belächelt worden. Amerikanische Blockbuster und dann noch Comicverfilmungen standen nicht hoch im Kurs der meisten Mitarbeiter des journalistischen Flaggschiffs aus dem Hause Gruner und Jahr.

    Meyer schaute kurz auf die Hafen-Skyline. Nie ruhten die unzähligen Containerbrücken, 365 Tage im Jahr wurden die bunten Kisten verschoben. Sinnbild einer globalisierten Welt, Handel rund um die Uhr. Auch an diesem Sonntagabend.

    Er war gut in der Zeit und ging zu seinem Auto. Wenig später traf er Nik vor dem Cinemaxx am Dammtor. Nik hatte wie üblich die Karten besorgt, Meyer war für Bier und Pizza zuständig. Nach einer kurzen Umarmung schlenderten die beiden Richtung Colonaden, dort gab es einen Italiener mit einer ehrlichen Pizza und rot-weiß karierten Tischdecken ohne viel Schnickschnack.

    »Und, warst Du heute noch in der Redaktion?«

    Nik schaute seinen Kumpel etwas besorgt von der Seite an. Er war der Ansicht, dass Lars deutlich zu viel arbeitete und zu leben vergaß. Aber das hätte er ihm nie so direkt ins Gesicht gesagt. Dazu war ihre Freundschaft bislang zu tönern, zu eindimensional. Wirklich Persönliches grenzten sie in ihren Gesprächen meist aus. Nik baute gegenüber den meisten Menschen nicht so schnell Vertrauen auf - vielleicht war er deshalb Fotograf geworden. Die Kamera hielt ihn wohltuend auf Abstand, Beobachter war seine selbst gewählte Überlebensnische.

    »Klar, bin nach dem Frühstück gleich hin. Auch wenn Du es nicht glaubst, es war ein guter Tag, man kann am Sonntag fast ungestört arbeiten. Viele der Dummschwätzer sind nicht da, wirklich ein

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