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Der Wolf der Wölfe
Der Wolf der Wölfe
Der Wolf der Wölfe
eBook407 Seiten5 Stunden

Der Wolf der Wölfe

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Über dieses E-Book

Krieg überzieht das einstmalige calranische Reich.
Seit dem mysteriösen Verschwinden des Königs und der ungeklärten Nachfolge gespalten, ist der Untergang des Landes durch den Feind aus dem Osten nur eine Frage der Zeit.

Jetzt, nach Jahren der Abwesenheit kehrt ausgerechnet der Mann zurück, der die Zwietracht mitzuverantworten hat:
Sanguis, einer jener Elitesöldner, die der Volksmund "Wölfe" nennt.

Auf der Suche nach seiner entführten Schwester ahnt Sanguis nicht, dass er bald zwischen alle Fronten des Krieges gerät. Und, dass er sich bald auf einer Reise in die dunkle Vergangenheit seiner Heimat befindet, von deren Ausgang nicht nur das Leben seiner Schwester abhängt.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum29. März 2015
ISBN9783737539036
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    Buchvorschau

    Der Wolf der Wölfe - Andre Bixenmann

    Prolog

    »So begab es sich anno Domini 1214, dass König Godehard, nachdem er auf heiliger Queste als verschollen galt, durch seinen Sohn, den Prinzen Albrich, für tot erklärt wurde. Freilich war es dieses Urteil, welches die Fürstentümer des Reichs selbst nach der Schlacht bei Gotenburg in drei verfeindete Lager spaltete.

    Da waren zum einen die Königstreuen, die nicht an den Tod ihres geliebten Monarchen glaubten und sich gegen seinen Erben verschworen.

    Zum anderen gab es diejenigen – zumeist junge Adelige – welche sich in ihrem Streben nach Ruhm und Würden dem ambitionierten Prinzen andienten.

    Und zuletzt die Separatisten, die sich auf die eigene Lehnspolitik zurückzogen, indem sie sich zu Freien Fürstentümern erklärten.

    Diese Zwietracht, welche durch Grenzkonflikte, Zölle und Vandalismus noch gefördert wurde, hatte selbst dann noch Bestand als Ostgard dem geschwächten Calranien den Krieg erklärte. Und so schlitterte das einstmals mächtige Reich, zu Scherben gehauen, in einen Krieg, der in die Geschichtsbücher als die Große Geißel eingegangen ist.«

    Bruder Ludfried: Exagium über die Große Geißel und ihre Auswirkung auf das Wesen des gemeinen Menschen.

    – fernab der Heimat –

    Zuerst waren es nur einzelne Tropfen. Aber schon einen Wimpernschlag später stürzte eine schimmernde Schar trüber Tränen aus dem wolkenverhangenen Himmel. Umtost von einem beißenden Wind, peitschte sie der unbarmherzige Gott in die fahlen Gesichter und gegen die ehernen Kleider seiner Geschöpfe. Manche der glitzernden Perlen zerstieben trostlos, hauchten Haut und Haaren der Menschen einen Kuss oder machten Leder und Eisen knarzen. Manche Zähren hingegen, die kullernd den Boden sprengten, schwellten in Furchen und Mulden bald zu Rinnsalen, bald zu Pfützen an. In ihrem silbernen Glanz kreisten die Schatten eingefangener Krähen, die erst auseinanderjagten, als ein Beben die Spiegel in Wogen zerriss.

    Aus den Bäuchen tumber Trommeln geboren, zürnte Donnerschlag mit einem Mal jenen menschlichen Schemen, die im bleichen Sonnenlicht zu Stein ergraut waren. Ihr gespenstischer Blick ähnelte dem Ausdruck verwitterter Statuen und ruhte auf den nicht minder finsteren Gestalten, die ihnen in einiger Entfernung vor den Mauern der brennenden Stadt gegenüberstanden.

    Der marternden Ewigkeit überdrüssig mischte sich das Kreischen der Krähen und der geschlagene Grimm zu einem Weckruf, der den Schlaf nicht nur aus ihren Gesichtern bröckeln ließ. Auch aus den starren Gliedern, welche unversehens flackernde Banner in die von Rauch, Urin und Dung schwangere Luft stemmten, schwand der Bann. Dergestalt, dass sich die beiden gewaltigen Wappentiere im Widerschein der blassen Sonne Aug in Aug begegnen konnten: Hier der goldene Adler mit seinen messerscharfen Schwingen. Dort der weiße Hirsch, der sein brachiales Geweih an der Luft fegte. Stach dann erst einmal ein Meer löchriger Fahnen in den wütenden Wind nach, hörte man schon Stimmen inmitten eines röhrenden Hornes gellen. Ketten begannen zu rasseln, Schuhwerk zu schmatzen – und jählings schien ein Wolf zu heulen.

    Als der braunhaarige Kerl das tierische Jaulen in seiner Kehle erstickte, schob er den schwelenden Stängel zurück in seinen Mundwinkel. Lodernd vom Atemzug versengte die Glut das darin eingerollte Kraut. Was als kümmerlicher Stummel übrigblieb, schnippte der Mann von den vergilbten Fingerkuppen. Dann, noch während der inhalierte Rauch über sein Grinsen quoll, bewegte er mit einem Nicken zum Aufbruch.

    »Platz da«, raunte ein Hüne, der dem Braunhaarigen sogleich vorauszugehen begann.

    An seinen schwerfälligen Schritt geheftet, drängten sich die zwei Dutzend Gefolgsleute durch eine aufgelockerte Linie von Bogenschützen in den Rücken des vor ihnen marschierenden Heerhaufens.

    »Schafft eure Ärsche beiseite«, brüllte der Riese, dessen Schatten ihn über die hintersten Reihen der Schlachtordnung hinweg ankündigte.

    Seiner beängstigenden Erscheinung nicht genug, wuchtete er den bisweilen geschulterten Streithammer aus der Armbeuge. Von seinen wüsten Pranken gebändigt, ließ die spanngroße Schlagfläche der Waffe die Muskeln wie Hügel hervorstechen. Dergestalt sogar, dass fingerdicke Venen unter der blassen Haut sprossen: von der Schläfe des kahlgeschorenen Schädels über den wulstigen Hals zu den in ihrem Umfang an Oberschenkel erinnernden Armen.

    »Aus dem Weg, ihr Maden«, knurrte der Koloss, indem er nicht nur eine lückenhafte Reihe schwarzer Zähne offenbarte.

    Sondern auch seinen kantigen, aber derart zerklüfteten Kiefer, dass die unzähligen Dellen am Kopf, die Hasenscharte und die von Schnittwunden borkigen Brauen fast schon zur Nichtigkeit verkamen.

    Ausgerechnet er, der Großgewachsene mit den stahlblauen Augen, war es nicht, der die Zurückweichenden fröstelnde Ehrfurcht lehrte. Vielmehr war es der braunhaarige Kerl, der hinter ihm in die Menge tauchte. Und die Aufmerksamkeit, die der Riese mit seiner Gestalt beschworen hatte, durch die achtungsvolle Scheu vor seinem eigenen Erscheinungsbild ersetzte.

    Genauer gesagt, war es die Wange dieses Mannes, welche den Beiseitegeschobenen schlagartiges Entsetzen bereitete. Wo ihr naives Auge nichts ungewöhnliches vermutete, leuchtete sattes Fleisch durch eine Narbe, die sich von der Backe bis zum Nasenrücken spannte. In ihrer Mitte kreuzte sie ein krude ausgefranster Schmiss, der kurz unterhalb des rechten Auges bis hin zum Adamsapfel in die Haut geritzt war. So einzigartig in ihrer Furcht gebietenden Grässlichkeit bedeutete die kreuzförmige Narbe ein schauerliches Mal; eines, das man selbst hier erkannte. Denn, wie sich zeigte, begann ein zunächst nur gemurmeltes Wort bald tobende Wellen zu schlagen.

    »Wolf«, hörte man erst jemanden flüstern.

    »Wolf«, belferte schon der Darauffolgende, bis immer mehr Blicke den Spuren der unseligen Klingen folgten.

    Als gar ein fassungsloses Gaffen daraus zu werden drohte, drängten jene vernarbten, von der dunklen Vorahnung zuerst beschlichenen Recken die Unbedarften mit Schlägen und Tritten zur Seite, um dem Braunhaarigen inmitten der Streitmacht einen Korridor zu bereiten. Versehen mit einem verwegenen, doch dankbaren Lächeln schritt der Kreuznarbige vorwärts: vorbei an den Beherzten, an den Gleichmütigen, vorbei an den Hoffnungslosen, welche von den Kriegserprobten in die vorderen Reihen gedrängt worden waren, bis letztlich zu den Schon-so-gut-wie-Toten.

    Sanguis, wie der Kreuznarbige eigentlich hieß, machte deren Bedrücktheit lachen. Mit einem tiefen Atemzug ergab er sich dem beißenden Odem, der in Gestalt saurer Schweißdämpfe und verrottendem Leder den Wind vergiftete. Statt sich an den hängengelassenen Köpfen zu stören, labte er sich an der Angst, die in schlotternden Zähnen um sich schlug. Denn die gegenwärtige Verzweiflung erst war es, die seine Unerbittlichkeit hervorhob; für Aufsehen sorgte, indem sie die unheilvollen Narben inszenierte und ihm zu seinem Gefallen einen mystischen Schleier anheftete.

    Darüber konnte Sanguis nur schmunzeln. Er kratzte sich über die Bartstoppeln am Hals, bis ihn seine Narbe über den Kiefer zu den Haaren führte. Vom Regen zu nassen Strähnen gebunden, ließen sie sich sorgsam zur Seite streichen. Mit den anderswo zum Abstieg gezwungenen Tropfen löste sich der zuweilen dampfende Schleier von Sanguis‘ Blick. Dabei mischte sich für ihn zum ersten Mal ein solch bemerkenswert weißer Klecks in das glasige, aus Licht und Bewegung bestehende Spiel seiner Augen, dass der Kreuznarbige blinzelte und die Lider kniff. Als er darin das unbefleckte und gegen das Herbstlicht gleißende Hirschenbanner erkannte, ging sein Lächeln in einem tückischen Grinsen auf. Wie aus dem Nichts heraus setzte sich der Braunhaarige noch vor den Hünen an die Spitze der Gruppe. Er scherte aus und ließ sich solange von der Menge treiben, bis er dem ausgemachten Panier aus dem ersten Glied der Schlachtordnung gegenüberstand.

    Während sich sein Gefolge noch einen Weg zu ihm bahnen musste, begutachtete Sanguis seine linke Schulter, die von buntem Stoff gesäumt war. In ausgefransten Streifen herunterhängend, machte dieser das stählerne Armzeug für eine Handlänge verschwinden. Obwohl die Gespinste träge im Wind züngelten, ließen sich unter Blutkrusten und Dreck filigrane Bordüren und Muster erkennen. Was im ersten Moment nach bloßen Lumpen aussah, entpuppte sich als ein Fetzenbündel, das aus dutzenden Standarten und Fahnen gemacht, will heißen mit brachialer Gewalt angeeignet, worden war. In nahezu allen Farben und bestickt mit den unterschiedlichsten herrschaftlichen Insignien, schmückten sie Sanguis‘ Schulter; allerdings mit Ausnahme eines so reinen Weiß, wie es in den feindlichen Reihen voller Anmaßung, voller Dreistigkeit in Gestalt des Hirsches wogte; wie es seinen Stolz vor- und seine Hand verführte, in den Eisenhandschuh zu schlüpfen und sich zur Faust zu ballen.

    Inzwischen waren seine Mitstreiter an seine Seite gerückt.

    »Fertigmachen«, befahl er ihnen in herrischem Ton.

    Von einem lautlosen Nicken quittiert, stahl sich ein kesses Feixen in die düsteren Gesichter seines Gefolges. Ein flammender Abglanz blitzte unter den wüsten Helmen auf und ächtete die zur Verstohlenheit verdammten Augenpaare. Eingeläutet vom Klappern ihres Rüstzeugs schepperte Sanguis seinen Panzerhandschuh gegen die links an einen Harnisch aus beschlagenem Leder genietete Brustplatte. Der stählerne Donner des Widerhalls besänftigte ihn, weswegen er sogleich auf die gegerbte Hälfte übergriff. Darin war eine nach unten geneigte Dolchscheide eingearbeitet. Das zugehörige Klingenheft wurde durch Riemen am bloßen Herausfallen gehindert. Packte der Braunhaarige zielsicher das Klingenheft, würde sich bei einem übermäßigen Ruck die raffinierte Befestigung an der Parierstange lösen und die Klinge war frei. Viel lieber als sich dessen zu versichern, lockerte Sanguis das dämmerfarbene Tuch, das um seinen Unterarm geschlungen war, und verknotete dieses um seine Stirn. Damit konnte er sich dem Wolfsfell widmen, das seine rechte Schulter samt Nacken und Rücken bedeckte. Er zupfte das geliebte Grau in Form, versicherte sich der Bewegungsfreiheit seines Schlagarmes und zurrte einzelne Schnürungen fest. Beinahe bedächtig strich er noch die schwarzgetupften Härchen glatt, ehe er die Gürtel zurechtrückte, die sich an seiner Hüfte kreuzten: Erst den Einen, den zwei Taschen mit Räucherwerk und Keramik beschwerten. Dann den Anderen, an dem sein Schwert baumelte. Weil selbiges den Boden beinahe streifte, hatte es so manch trotziges Blümchen auf seinem Weg hierher erdrückt. Erst als die Klinge in diesem Moment kreischend aus der Scheide fahren durfte, war das vergessen. Mitunter sprengten auch die Waffen des Gefolges die Ketten ihrer Zähmung und täuschten über jedwedes schlechte Gewissen hinweg. Dafür war und blieb der eine Schrei der Dominanteste inmitten des krächzenden Gesangs. Nicht allein deshalb führte Sanguis die Klinge vor sein Antlitz, sondern auch um sein perlendes Abbild im Spiegel zu betrachten und zufrieden zu grinsen.

    Just jetzt, als der aufgeweichte Boden von den ersten Pfeilen beharkt aufspritzte, bedurfte es keiner Worte mehr. Knurrend und indem er seine spitzen Eckzähne bleckte, verschmähte Sanguis die nur wenige Schritte vor ihm niedergehenden Geschosse. Auf sein Handzeichen hin wurde ihm ein hölzerner Rundschild gereicht; und kaum hatten sich die Lederschlaufen um sein Handgelenk gewunden, deutete die Spitze seines Anderthalbhänders den Weg geradewegs über die freie Pläne zu dem weiß flirrenden Wappentier. Mit seinen dunklen Augen auf selbigen Berittenen versteift, der jenes Panier in die Schlacht trug, brach der Braunhaarige jäh aus der Formation aus, hernach ihm seine Gefährten ungehemmt und unter erhobenen Schilden hinterherstürzten; nicht wie man vermuten würde mit Krawall, sondern so lautlos, als würden sie von Geisterhand durch den aufgewühlten Matsch getrieben. Scheint’s von den heiseren Krähen dazu ermutigt, stieben die Kämpfer schon bald sprintend auseinander. Soweit, bis ihr loser Verbund den Geschossen kein einladendes Ziel mehr bot und sie, wie ein im Blutdurst begriffenes Rudel Wölfe, durch den Regen wetzten.

    Sanguis indes schaute nicht zurück. Im Vertrauen auf das ihm nachsetzende Hecheln hastete er durch den singenden Beschuss. Dabei ähnelten Schrittfolge und Sprünge, welche er unternahm, einem leichtfüßigen Tanz; einer sich von Pfütze zu Pfütze strickenden Kür, durch welche der Kreuznarbige dem todbringenden Säuseln enteilte. Erst als ein unsägliches Getöse über die Walstatt vor der belagerten Stadt schwappte, ging das Zischen in seinen betäubten Ohren unter.

    Dafür traten, völlig unvermittelt, Gesänge und Schlachtrufe ein wutschäumendes Brausen los. Trommelschlag und Hetze erschütterten nicht mehr nur den Grund. Nein, sie drohten die Erde zu zerreißen. Nicht allein deshalb stieß da eine Unzahl von Krähen über Sanguis hinweg, so aufgebracht, als wähnten sie sich dem Tode nahe. Ihnen dräuten die gleißenden Schwingen, die sich im Rücken des Braunhaarigen zum Aufstieg gebärdeten. Denn endlich plusterte der schwarzgesäumte Adler sein goldgesticktes Federkleid. Voller Erhabenheit bohrte er seinen Schnabel in die Luft. Vom Trieb des Wolfes an seine eigene Natur erinnert, beanspruchte er Teilhabe an der Jagd. Unter seine wie zum Schutz ausgebreiteten Flügel – den Schattenwurf des Banners – drängten sich nunmehr auch diejenigen, die noch vor Lidschlägen ihren Untergang geargwöhnt hatten. Sie bemühten sich um Schulterschluss, während sich die Angst vor dem Kreuznarbigen in beispielhafte Bewunderung, ihr zager Schritt in mannhaftes Hasten umkehrte. In der schirmenden Silhouette eins mit ihrem Wappentier zogen die Streiter ihre Waffen und ließen erschallen, was man für den gewaltigen Schrei eines Greifvogels hätte halten können.

    Obgleich die gestiftete Euphorie Sanguis beflügeln musste, verfluchte er das Spektakel. Denn es war dieser rasende Lärm, der ihn der taktgebenden Melodie seines Tanzes beraubte. Er kniff die Augen zusammen und schon beim nächsten Atemzug fand er sich dazu genötigt, den Rundschild nach oben zu reißen. Keinen Moment darauf nämlich pochte die erste Pfeilspitze im Holz.

    Als sich Sanguis gezwungen sah, den Kopf einzuziehen, mochten es nicht einmal mehr zwei Steinwürfe sein, die den Söldner von der feindlichen Schlachtordnung trennten. Binnen kurzem aber durchtobte die Wucht weiterer Treffer seinen Arm. Erst verliehen drei Pfeile dem Schild gefiederte Borsten, dann löcherte ein Armbrustbolzen die nachgebende Schutzwaffe. Zu seinem Glück verfing sich Letzterer in den Lederschlaufen des Handgriffs und erschöpfte sich wie ein im Netz zappelnder Fisch. Mit jedem weiter unternommenen Schritt jedoch besserte sich die heikle Situation: Aus der zunehmenden Nähe des Braunhaarigen verstärkte sich das Abkommen, durch welches die Geschosse immer höher über seinen Kopf geschleudert wurden. Auch sausten die Pfeile mittlerweile aus einem derart ungünstigen Winkel heran, dass sie nur mehr die schmaleren Seiten des Braunhaarigen zum Ziel hatten. Darum konnte der Kreuznarbige den bespickten Schild unbekümmert in die Höhe strecken. Während das Bloßstellen der erfolglosen Schützen auf der einen Seite mürrische Drohgebärden provozierte, wiegelte es die Gegenseite zu rauschendem Jubel auf. Kaum aber hatten es Sanguis‘ Getreue erblickt, verdichteten sich die nach Durchqueren des geschossbestrichenen Raumes hinfällig gewordene Auflockerung. Obschon der Zusammenstoß mit dem Feind in nur wenigen Schritten drohte, preschten die Söldner an die Seite ihres Anführers. In Windeseile fügten sie sich zu einem Keil, in welchem jene von verhängten Brustpanzern und dicken Schilden geschirmten Kämpfer die erste Reihe schmiedeten. In einer Zweiten sammelte sich die andere Hälfte und stachelte zu einem letzten Spurt an.

    Von der Waghalsigkeit der Wölfe geschreckt, bäumte sich der in die Schlacht getragene Hirsch auf seine Hinterläufe. Sein Vorhaben das gewaltige Geweih drohend zu schwenken aber scheiterte an deren ungeahnter Hast. So verkümmerte es zu einem ruckartigen Stochern, weswegen man glaubte das Tier auf dem moosgrünen Grund wanken zu sehen. Von dem Schlingern des Banners und seines Trägers verunsichert, verlangsamte sich das Marschtempo des durch die Raubtiere bedrängten Fähnleins. Während es an den Seiten vom Gros umfasst wurde, erstarrte es zu einer blinkenden Wand nervösen Eisens.

    Als aber Sanguis seinerseits zum Schwertstich ausholte, schoben sich aus dem Verborgenen blitzende Dornen auf die Schultern der ersten Reihe. Der Braunhaarige fletschte noch die Zähne. Dann schon sah er aus dem Augenwinkel heraus wie die aufgelegten Speere nach vorne schossen.

    Plötzlich zerriss die zur Ewigkeit verwobene Zeit. Aus der Unendlichkeit sprangen Scherben. Bruchstücke nur, die in ein Meer kurzlebiger Momente zerfielen.

    Die Klinge traf. Nicht den Bauch. Nicht die Brust. Sondern den Hals des Gegenübers. Das verriet die stäubende Wolke, die Sanguis entgegenschlug. Gehüllt in ihren roten Dunst stemmte sich der Söldner gegen den nachgiebigen Leib. Im Sinken begriffen übertrug dieser die Wucht auf den von einem Speer niedergemachten Hintermann. So begann der Zusammenprall wie ein ins Wasser geworfener Stein Kreise zu ziehen. Wogenförmig rauschten die Söldner gegen die Schlachtreihen, bis sich ihre Kraft an der Vielzahl von Widersachern erschöpfte. Wer von diesen nicht wie die Vorderen fiel, geriet ins Straucheln. Wer nur wankte, sah den Tod Einzug halten.

    Und die Wölfe setzten nach; allen voran der Kreuznarbige, der sich Weichteile und Bäuche der Gestürzten zur Trittspur erkor. Während er zuvorderst einen Kopf in den Schlamm stampfte, schlugen sich hinter ihm stählerne Klauen ins bloße Fleisch. Während er vorne Schienbeine und Rippen zertrümmerte, nagten sie hinten bereits das Fleisch von den Knochen. Während er seinen Schild wieder und wieder gegen Schädel hämmerte, so dass Holz und Nasen splitternd auseinanderbrachen, schwappte schon das Blut über die Leichen zu Füßen jener Schlachtreihe, die dem Zusammenprall widerstanden hatte.

    Doch auch wenn Sanguis in der rostroten Wut derjenigen badete, die den Tod ihrer Kameraden hatten bezeugen müssen, trottete er weiter; solange bis der Feind sich dazu durchgerungen hatte, seinem makabren Feixen ein Ende zu bereiten. Zum ersten Mal war Sanguis deshalb gezwungen seine Klinge zu kreuzen. Dass der weiße Hirsch hinter etlichen Waffengängen in die Ferne zu rücken drohte, ließ ihn fortan keine Nachsicht mehr üben. Der Söldner schlug nicht mehr nur Zähne ein, entzweite Knie oder knackte Handgelenke, damit sein Gefolge sich diesen gütlich tun konnte. Nein, Sanguis jagte auf eine selten grausame und doch elegante Art durch Unterleiber, Schädeldecken, Lungenflügel und Schulterblätter. Er tauchte und duckte sich, er hieb und schlug, er schlachtete. Solange, wie ihm der Kahlschlag nicht genügend Freiraum verschafft hatte, um endlich einen verräterisch-weißen Stoffzipfel zu erhaschen, der mit blitzendem Stahl konkurrierte.

    Kaum war der Gezeichnete wieder im Gedränge verschwunden, hielt ihn die kurzzeitige Pause wie immer zum Narren: Sein Herzschlag begann die Umgebungsgeräusche zu überlagern. Hitze presste sich durch seinen Körper. Die Stirn erbebte unter Schweiß und Blut. Seine kreuzförmigen Narben glühten und der Arm pochte im Takt der umringenden Wogen, wo doch die Heerhaufen geradewegs aufeinandergeprallt sein mochten und der Tod im Begriff schien, Ernte zu halten. Wie dem auch war, Sanguis pustete salziges Rot von seinen Lippen und stürzte dem geschauten Zeichen nach.

    Der Weg, den sein Anderthalbhänder bereitete, führte ihn sehr bald in ein noch dichteres Gemenge. Dort schließlich stellten sich ihm Kämpfer entgegen, die, weil sie sich von der Kleidungsvielfalt des gemeinen Fußvolks abhoben, Sanguis‘ Aufregung nährten: Denn über Gambeson und Kettenhemd einte sie ein Waffenrock, der in Farbe und Motiv dem nachgespürten Banner ähnelte. Derweil der Großteil dieser Einheit im Kampf stand, schützte eine um vier Berittene zentrierte Abteilung das von Sanguis begehrte Feldzeichen. Lechzend vor Verlangen triefte dem Wolf eiserner Speichel von den Mundwinkeln. Er musste nicht einmal mehr heulen, um auf sich aufmerksam zu machen. Von der geschlagenen Bresche alarmiert nämlich, scherte sogleich eine ganze Rotte aus, um dem unstillbaren Hunger der Bestie ein Ende zu bereiten.

    Sanguis kläffte. Denn als sie sich auf ihn stürzten, wurde er durch die unmittelbare Übermacht seiner Herausforderer prompt der Initiative beraubt. Mehr noch fühlte er sich dazu genötigt, den Angriffen durch Seitschritte und Paraden zu entgehen. Von gleich drei Seiten beharkt, war es allerdings nur eine Frage der Zeit, bis der Braunhaarige Treffer an Brust und Schulter erleiden würde. Dem Söldner blieb also nichts anderes übrig, als sich frühzeitig mit einer Rolle vom Feind zu lösen, ehe die zunehmende Atemlosigkeit zum Todesstoß reichte. In der kurzfristig erzwungenen Pause leckte er sich die Lippen und ergab sich seinem animalischen Durst. Zähneknirschend straffte er den Handschuh und verkrallte seine Finger am Schwertheft.

    Als seine Augen aufflackerten, stieb er wieder los. Ungeachtet der Tatsache, dass die drei Gegenüber bereits wieder nachsetzten. In tollkühner, aber nicht minder brillanter Kampfmanier blockte Sanguis nicht nur den Schlag des Ersten mit seinem Ellbogen, er durchbohrte und missbrauchte dessen Bauch auch noch als Schwerthalter. Seine freigewordene Hand entriss diesem daraufhin den Streitkolben und spickte damit den Schädel des Zweiten, den ein vorausgegangener Nierenhieb in Schockstarre versetzt hatte. Und zu guter Letzt zog Sanguis seine Klinge aus den Eingeweiden seines ersten Opfers, wendete sie in der Luft und streckte den dritten Waffenrockträger rücklings nieder.

    Es war nach diesem Spektakel, dass der einfache Haufen, von der Kampfkunst des Wolfes geschreckt, schleunigst auf Abstand ging. Die dadurch entstehende Freifläche aber füllten bald weitere der gerade niedergemachten Recken, auf deren Brust Sanguis den Hirsch erkannte. Dieses Mal aber waren es mehr als nur drei; und darüber hinaus weit enthusiastischere Kämpfer als ihre toten Kameraden.

    Vor Nervosität scharrte der Wolf mit seinen Füßen.

    Knurrend bemaß er jene Überzahl, die eine wirkliche Herausforderung für ihn darstellte, zumal es von seinen Gefolgsleuten keine Spur gab. Mit Ausnahme eines ganz besonderen Gefährten, der sich auf ein lauter werdendes Geschrei hin ankündigte. Denn machte man die Quelle rechtzeitig aus, sah man noch den Mann durch die Luft fliegen, der sodann als grausiges Omen in die Mitte des Kampfplatzes einschlagen sollte. Auf dessen brechendes Genick, empfahl sich derjenige träge Koloss unter Sanguis‘ Getreuen, der beim Ansturm des Rudels naturgemäß zurückgefallen war.

    Nun preschte dieser glatzköpfige Muskelberg durch die Angreifer des Kreuznarbigen, als hätte er noch nie etwas anderes in seinem Leben getan. Wortwörtlich Stück für Stück fegte dessen Hammer von den berstenden Beinen, was sich ihm in den Weg stellte. Drei, vier Schwünge genügten schon, damit eine ganze Reihe zerquetschter Lungen und deformierter Gliedmaßen den rosa Matsch säumte und das Kräftegleichgewicht wieder hergestellt war. Keinen Augenblick verschwendend, stürzte sich Sanguis wieder in den Kampf. Bis die Erde genügend Körperteile für ein Leichenpflaster hatte, das den Zorn des feindlichen Anführers eher früher als später auf die beiden um Schulterschluss bemühten Söldner ziehen musste.

    Aufgescheucht von den Verlusten griff dieser Berittene nach Flügelhelm und Waffe. Für einen Ritter wie ihn war diese Angelegenheit eine Frage der Ehre. Kaum also hatte er das Visier heruntergeklappt, zerrte er an den Zügeln seines Pferdes und bedeutete den beiden Junkern an seiner Seite mit der Schwertspitze den Weg.

    Zugegeben, hätte der Untergrund nicht aus Leichen bestanden, es wäre schier unmöglich gewesen, den Reitern auf diese Entfernung auszuweichen. Den Toten sei Dank aber, waren die Pferde darauf nur zum Traben imstande. Dass sie damit ihren gefährlichen Schwung verloren, gab den tollkühnen Provokateuren Spielraum. Von der Art, die es in einem wachsamen Moment erlaubte, zuzuschlagen. Genau dann nämlich, als die Reiter auf ihrer Höhe waren. Der Riese für seinen Teil stieß dem seinerseits begegneten Pferd kurzerhand in die Flanke. Der Wolf auf der anderen Seite zerteilte die Fessel des Seinen. Im Ergebnis katapultierte es die betroffenen Junker lauthals in den Dreck oder schlicht in die zerquetschenden Arme des Hünen. Die jungen Adligen waren tot, bevor es den beiden verbleibenden Reitern, dem Fähnrich und dem Befehlshaber, dank formidabler Reitkunst gelingen konnte, die Söldner zu umkreisen.

    Dann aber musste sich vor allem der Großgewachsene unverhofft mit Schlägen eindecken lassen. Sanguis dagegen, auf den der Fähnrich in einem Bogen zusteuerte, blieb noch eine Chance der drohenden Rachenahme des Berittenen zuvorzukommen. Für seine waghalsige Idee musste ihm nur eines der gestürzten Pferde ins Auge fallen. Zwischen zwei Lidschlägen darauf zuzustürmen, erledigte sein Drang von selbst. Und schon im nächsten Moment befand sich der Wolf im Sprung dorthin, wo er wohl oder übel scheppernde Bekanntschaft mit der Rüstung des Fähnrichs machte. Die beiden verkeilten sich noch in der Luft so sehr ineinander, dass sie sich augenblicks darauf im Schlamm wälzend wiederfanden. Während hier nur Fäuste flogen und Lippen platzten, hörte man von drüben schon das Fleisch schmatzen. Es verwunderte den Kreuznarbigen daher nicht, dass, gerade als er die Überhand zu gewinnen meinte, das Reittier des Befehlshabenden heranpolterte. Doch nicht nur, dass der Anführer auf ihn zu rauschte, er schmetterte den Kreuznarbigen schon im nächsten Augenblick mit einem Tritt des Steigbügels auf die Seite. Wo Sanguis den Fähnrich gerade noch in die Bewusstlosigkeit geprügelt hatte, lief er jetzt Gefahr zertrampelt zu werden.

    Nachvollziehbar hektisch also wühlte er nach irgendeiner Waffe, derweil der Ritter bereits eine Kehrtwende für das Finale vollführte. In der Annahme, den kahlköpfigen Hünen durch seinen Schlaghagel bezwungen zu haben, bemerkte der Berittene indes nicht, dass sich der Großgewachsene außerhalb seines Sichtfelds wieder auf die Beine hievte. Weil Sanguis so tat, als stelle er sich der Begegnung, sprintete der Riese los. Und genau im richtigen Moment zermalmte er krachenden Schaftes das Pferdekreuz. Doch obwohl die Bestie kippte, der Reiter schwang sich noch rechtzeitig aus dem Sattel.

    So kam es, dass mit einem Mal Funken ins graue Schlachtendämmern sprühten. Schwerter brandeten gegeneinander, es rasselte und klapperte. Klingentanz und Fechtkunst trafen zu einem exotischen Zweikampf zusammen. Auf engstem Raum beraubten sich Ritter und Söldner abwechselnd der Initiative. Was zunächst nicht enden wollte, verkürzten letztlich die aufgezehrten Kräfte des Gepanzerten. Mit beiden Händen an der Schneide haute Sanguis ihm in einem Moment der Unachtsamkeit die Parierstange um die Ohren. Der Helm trennte sich vom Kopf und der Anführer sank, gegen den Bauch seines Pferdes gelehnt, nieder. Aus einer Platzwunde an der Schläfe troff Blut. Aufgesogen vom fülligen Bart aber hinterließ der Schlag ein ansonsten heiles Gesicht. Was an Narben darin fehlte, war als Ausdruck seiner Kampferfahrung in Helm und Harnisch graviert. Selbst die Hirsche, die Armzeug und Brustplatte zierten, waren nicht davon verschont geblieben. Obgleich das imposante Schmiedewerk seine Lungenflügel quetschte, zeigte der Adlige keinen Schmerz. Stattdessen sah er seinen Bezwinger aus blauen Augen heraus an.

    Der Kreuznarbige entgegnete ein Grinsen.

    »Missgeburt«, keifte Alessia, als die Belagerer der Stadt auf dem Marktplatz Aufstellung nahmen.

    Zähneknirschend setzte sie sich an die Spitze der Verteidiger und begegnete ihrem Widersacher, dem das Wort gegolten hatte: Prinz Hadrian, ihrem älteren Bruder.

    »Hure«, schallte es von diesem zurück, der das Gebaren der Schwester in Harnisch und mit Schwert und Krone aufzukreuzen, belächelte. »Vaters Thron gehört mir.«

    »Ein Scheißdreck gehört dir, Fettsack«, zischte die blonde Schönheit, »das hat das Volk zu entscheiden, nicht du.«

    Ihre Worte aber provozierten Gelächter unter den verwegenen Gestalten, die sich im blauen Rauch der flammenden Vorstadt heranpirschten. Was sie, statt Waffenrock und Wimpel an der Seite des Prinzen einte, waren nur mehr die grauen Ascheflocken auf Rüstung und Haaren.

    »Wir beugen uns keinem Tyrannen«, brüllte ein Bauer, worauf sich um ihn bunte Fahnen in die Sonnenstrahlen reckten.

    »Aber einem Weibsbild«, spottete ein Geistlicher an Hadrians Seite, indem er das Symbol seines Glaubens in die Luft zeichnete.

    Begleitet von zustimmendem Murren und finsteren Blicken unter seinen Männern, nickte der Prinz.

    »Aus reiner Neugier, Schwester«, setzte er an, »was hat es dich gekostet, die schweinefickenden Bauern und debilen Adeligen dieses Landes ausnahmsweise einmal zusammen an einen Tisch zu kriegen?«

    Ein greiser Ritter neben Alessia stemmte die Hände in die Hüften. Seine brüchige Stimme machte Anstalten sich zu erheben. Doch der Prinz überging sie.

    »Deinen süßen Arsch? Oder doch nur deine weichen Lippen um ihre verschrumpelten Schwänze?«

    Hadrians Gesichtsausdruck verzog sich zu einem breiten Feixen. Während seine Männer die Kontrahentin mit eindeutigen Gesten verhöhnten, blies der sprachlose Ritter vor Scham die Backen. Dann, als hätte er darauf gewartet von einem Wolkenschatten verdüstert zu werden, setzte der Prinz fort.

    »Welcher Mann legt schon freiwillig seine Geschicke in die Hände einer Frau?«

    »Derjenige, der keine Unterdrückung und Ungerechtigkeit duldet«, entgegnete einer zaghaft. Hadrian aber schüttelte den Kopf.

    »Nein«, widersprach er, die Faust geballt, »derjenige, der diesen Tag nicht überleben wird.«

    Während seine Drohung jenseits für Verunsicherung sorgte, schlug sie sich diesseits in euphorischem Kampfgeist nieder. Alessia auf der anderen Seite lächelte. Denn der Zustrom

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