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Tödliche Habsucht
Tödliche Habsucht
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eBook369 Seiten5 Stunden

Tödliche Habsucht

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Über dieses E-Book

Jarl Harald Blaufuchs ist außer sich. Über Jahre hinweg hat er sich beharrlich für den Abschluss eines Handelskontrakts mit dem fernen Reich der Sassirab eingesetzt, aber ausgerechnet an dem Tag, an dem der Vertrag gesiegelt und unterzeichnet werden soll, verschwindet das Dokument spurlos - und das mitsamt dem Boten.
Asleif Gellisson, Jarl Haralds Schreiber, macht sich umgehend auf die Suche. Mit Erfolg. Er findet den Boten - doch der ist mausetot! Der Vertrag bleibt weiterhin verschollen.
Mit Hilfe des Kaufmanns Thorfinn Erikson stellt Asleif in der Stadt der Wikinger weitere Ermittlungen an. Die beiden stoßen auf Habgier, Fremdenhass, Niedertracht und noch mehr Todesfälle.
Aber wird es ihnen auch gelingen den Vertrag aufzuspüren?
Die Zeit jedenfalls drängt unerbittlich …
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum16. Aug. 2015
ISBN9783738035087
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    Buchvorschau

    Tödliche Habsucht - Martin J. Fredrikson

    Das Buch

    Jarl Harald Blaufuchs ist außer sich. Über Jahre hinweg hat er sich beharrlich für den Abschluss eines Handelskontrakts mit dem fernen Reich der Sassirab eingesetzt, aber ausgerechnet an dem Tag, an dem der Vertrag gesiegelt und unterzeichnet werden soll, verschwindet das Dokument spurlos - und das mitsamt dem Boten.

    Asleif Gellisson, Jarl Haralds Schreiber, macht sich umgehend auf die Suche. Mit Erfolg. Er findet den Boten - doch der ist mausetot! Der Vertrag bleibt weiterhin verschollen.

    Mit Hilfe des Kaufmanns Thorfinn Erikson stellt Asleif in der Stadt der Wikinger weitere Ermittlungen an. Die beiden stoßen auf Habgier, Fremdenhass, Niedertracht und noch mehr Todesfälle.

    Aber wird es ihnen auch gelingen den Vertrag aufzuspüren?

    Die Zeit jedenfalls drängt unerbittlich …

    Der Autor

    Martin J. Fredrikson lebt in Ostwestfalen-Lippe, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

    Von Berufs wegen ist Fredrikson freiberuflicher Transkriptor für altdeutsche Handschriften.

    Seine Kenntnisse über Skandinavien, sein Faible für mittelalterliche Geschichte sowie sein Hang zum Kriminalisieren haben ihn zum Schreiben seines Debütromans verführt.

    Inhaltsverzeichnis

    Das Buch

    Der Autor

    Vorwort

    Karte von Europa

    Karte von Birkuna

    Tag Eins - Thorstag

    1 - Der Schreiber

    2 - Das Kreuz

    3 - Der Gode

    Tag Zwei - Friggastag

    4 - Die Jagd

    5 - Der Tod

    Tag Drei - Erdtag

    6 - Das Gerücht

    7 - Der Runenstab

    Tag Vier - Sonntag

    8 - Das Versteck

    9 - Der Jomborger

    Tag Fünf - Mondtag

    10 - Das Ende

    11 - Die Schnigge

    Tag Sechs - Tyrstag

    12 - Die Wende

    13 - Das Geständnis

    Tag Sieben - Odinstag

    14 - Die Abreise

    Die Personen

    Vorwort

    Haben Sie sich, werte Leserin, werter Leser, nicht auch schon das eine oder andere Mal gefragt – derweil Sie im Geiste durch die Weltgeschichte gewandelt sind – was gewesen wäre, wenn … z.B. Adolf Hitler als Mädchen denn als Junge zur Welt gekommen wäre oder Christopher Kolumbus mitsamt seinen drei Karavellen in den Weiten des Atlantiks versunken wäre, ohne die Neue Welt zu entdecken? Würde man Karl noch als den Großen bezeichnen, wenn er den Feldzug gegen den Sachsenkönig Widukind verloren hätte? Oder wäre das Christentum im frühen Mittelalter auch dann auf die Britischen Inseln gelangt, wenn der römische Feldherr Gaius Julius Cäsar vor der Einnahme von ganz Gallien, während einer der vielen Schlachten durch einen zufällig verirrten Pfeil vom Pferd und somit ins Grab gerissen worden wäre?

    Von letzterer Annahme ausgehend, habe ich mir vorgestellt, welche Auswirkungen, insbesondere religiöser und politischer Art, ein vorzeitiger Tod Cäsars für den Verlauf der Geschichte hätte haben können. Als Ergebnis meiner Überlegungen ist ein historischer Kriminalroman herausgekommen, der im nördlichen Europa einer Welt spielt, die der uns bekannten weitestgehend entspricht. Das alltägliche Leben der Menschen spielt sich in dieser Geschichte überwiegend so ab, wie es auch in der realen Historie geschehen sein mag – es herrschen sogar die gleichen Götter. Gleichwohl gibt es eindeutige Unterschiede, wie z.B. bei der Verteilung der Religionen in Europa. Auch wird es hie und da schon mal ein wenig mystisch, wenn etwa Gerüchte darüber auftauchen, wonach Christus gar nicht in Rom geboren sein soll oder wenn von rothäutigen Menschen berichtet wird, denen Federn statt Haare auf dem Kopf wachsen und die angeblich eine Siedlung auf Grönland überfallen haben sollen, nur um den Bewohnern die Haare zu stehlen.

    Doch ich will Sie jetzt gar nicht länger aufhalten. Lassen Sie sich überraschen und tauchen Sie ab in eine alte/neue Welt voller Leben … und Tod.

    Karte von Europa

    Karte von Birkuna

    Tag Eins

    _______________

    Thorstag

    1

    _____________________

    Der Schreiber

    Ehe Asleif die Doppeltür öffnete, welche die Vor- von der Jarlshalle schied, hielt er einen Moment inne, um seinen Blick schweifen zu lassen. Das mächtige, ihn um Längen überragende Portal war vollständig mit filigranen Schnitzereien verziert, die zumeist ornamentale, in sich selbst verschlungene Tiere abbildeten. Das Holz der beiden Flügel hatte dereinst in Form zweier knorriger Eichenbäume über Jahrhunderte hinweg Wind und Wetter trotzend den Birkberg beschattet – bis Thor sie eines Tages durch einen einzigen Schlag seines Blitze speienden Hammers gefällt hatte.

    Als kleinem Kind war Asleif immer ein wenig mulmig gewesen, wenn er mit seinen kurzen Fingern versucht hatte, die geschwungenen Linien der Figuren nachzufahren, die aus dem dunklen Holz zu wachsen schienen. Die Ehrfurcht war längst gewichen, gleichwohl wurde ein Jeder, der dies Portal durchschritt, unweigerlich daran erinnert, wie winzig und unwürdig der Mensch doch im Vergleich zu den Göttern war – Götter, welche seit Anbeginn der Zeit die Allmacht besaßen, die Geschicke aller Individuen in Midgard zu lenken.

    Entschlossen zog Asleif nun die Tür auf, nickte kurz der Wache zu, die zu des Jarls persönlicher Verfügung hier postiert war und ging gemessenen Schrittes zum anderen Ende der Halle: Beherrscht wurde der in etwa fünfzehn mal dreißig Schritt große Raum von der langgestreckten Feuergrube, welche den Saal in zwei Hälften teilte. Rechts und links wurde sie von zwei Reihen langer Holztische nebst schlichten Bänken flankiert, während quer dazu, am hinteren Ende der Grube, ein kleinerer, indes weitaus prunkvollerer Tisch stand: die Jarlstafel! Die Mitte ihrer vom Feuer abgewandten Längsseite wurde vom überaus prachtvollen Thron des Herrschers dominiert. Beiderseits daran anschließend, sowie an den Stirnseiten der Tafel, standen etliche herrlich geschnitzte Stühle aus Eichenholz. Sie waren für die Familie des Jarls sowie hoch geschätzte Gäste reserviert. Abgesehen von einigen fein gewebten Teppichen, welche hie und da das nackte Mauerwerk verbargen, war die Halle durchweg schmucklos. Die dicken Außenmauern sowie zwei Reihen starker Holzsäulen trugen das mächtige Gebälk mitsamt dem gewaltigen Satteldach. Entlang der beiden Traufseiten zogen sich die mit Holzplanken abgedeckten Erdbänke hin, die während der Nacht einem großen Teil der Mannen vom Jarl als Schlafplätze dienten. Fensteröffnungen besaß die Halle keine; belichtet wurde sie lediglich durch blakende Tranlampen, die an langen Ketten von den Dachbalken herabhingen sowie vom flackernden Schein des Feuers, welches auch im Sommer unablässig geschürt wurde. Der dabei entstehende Rauch zog, in Ermangelung einer Esse, schlicht und einfach durch die Ritzen des Reetdaches ab. Zutritt in die Halle erlangte man einzig und allein durch die zuvor erwähnte Doppeltür. Die kleineren Türen, die sich in der gegenüberliegenden Wand befanden, boten lediglich Zugang zu den Räumen, die Jarl Harald, dessen Familie sowie über Nacht bleibenden Gästen als Privatgemächer dienten.

    Obgleich der Morgen noch jung war und Asleif lediglich eine dünne, beigefarbene Wolltunika trug, stand ihm bereits der Schweiß auf der Stirn. Zugegeben, es war Erntemond, der ohnehin heißeste Mond des Jahres und die Sonne sengte bereits mehr als eine Woche lang erbarmungslos vom strahlend blauen Himmel, doch dass man selbst hier in der Jarlshalle schwitzte, dessen wuchtige Steinwände seit alters her nicht nur für Stabilität und Sicherheit, sondern auch für ein ausgeglichenes Klima sorgten, war schon über die Maßen erstaunlich.

    Nachdem Asleif das Ende der Halle erreicht hatte, streifte er sich seine Tasche aus Ziegenleder von der Schulter und legte sie behutsam auf einer Ecke der Jarlstafel ab. Ein paar Schritte weiter saß Jarl Harald Blaufuchs auf seinem von zwei Narwalzähnen flankierten Thron und betrachtete leutselig das Treiben seines Schreibers.

    Obschon sie bereits beim Frühstück miteinander gesprochen hatten, begrüßte Asleif ihn: »Hei, Ohm, wie ist es denn? Können wir anfangen?«

    »Hei, Asleif«, gab der Jarl zurück, »gewiss können wir beginnen, doch mit Bedacht, wenn ich bitten darf, denn es gilt einen langen Brief zu erstellen. Solltest du mir vor lauter Eifer und wegen des schwülen Wetters beim Schreiben aus den Latschen kippen, nützt mir deine Anwesenheit nämlich herzlich wenig. Ich schlage daher vor, du füllst zunächst ein bisschen Flüssigkeit nach. Nimmst du Bier, gewürzten Wein oder lieber ein Horn mit Met?«

    Verblüfft schaute Asleif auf und warf die Stirn in Falten. Wenn er mit einer persönlichen Frage konfrontiert wurde, tat er dies fast immer – selbst wenn es sich um so etwas Profanes handelte wie die Auswahl eines Getränkes. Allein für diesmal runzelte er die Stirn weniger ob des Inhalts der Frage, als vielmehr darüber, dass sie überhaupt gestellt wurde – der Ohm wusste doch ganz genau, was er für gewöhnlich trank. Wollte er ihn etwa foppen? Gleichviel, er entschied sich die Frage sinngemäß zu beantworten: »Nun ja, ich denke ein Becher kühles Bier könnte wohl nicht schaden, nicht schaden.«

    Jarl Harald schaute über seine rechte Schulter und rief: »Gunni, du hast es gehört. Bring unserem Schreiber hier zügig einen Becher mit frischem Bier. Und wenn du damit fertig bist, darfst du dich gerne wieder um meinem Pokal kümmern; fülle ihn alsbald mit Met, sonst trocknet er mir noch aus.«

    »Ja, Herr, es soll sogleich geschehen«, erwiderte Gunni.

    Jarl Harald, mit seinen gut 30 Lenzen im besten Mannesalter, besaß eine wahrhaft beeindruckende Gestalt: annähernd sieben Fuß groß, stark und kräftig gebaut, verfügte er über breite Schultern und ein mächtiges Haupt. Derweil die graublauen Augen, die in einem ovalen Gesicht mit markanten Zügen saßen, bisweilen scharfe Blicke abschießen konnten, wurde sein voller Mund von einem stattlichen Vollbart umrahmt. Gewandet war Harald Blaufuchs in leichte Beinlinge aus Leinen sowie eine blaue Tunika aus feiner Seide, welche vorzüglich mit dem Rotblond seiner Haare harmonierte. Dazu trug er einen breiten Rindsledergürtel mit einer silbernen Drachenkopfschnalle und weiche, hellbraune Lederstiefel.

    Seine langen Zöpfe flogen wirbelnd durch die Luft, als sich der Blaufuchs wieder seinem Schreiber zuwandte: »Asleif, trotz der Hitze, die selbst Ochsen in die Knie zu zwingen vermag, habe ich heute überaus gute Laune. Und soll ich dir sagen weshalb? Weil ich mit diesem Sassirab, der vorletzte Nacht an unserem Bankett teilnahm, einen Vertrag abgeschlossen habe, der nicht nur in Birkuna, sondern in ganz Svera, ja, ich bin sogar geneigt zu sagen, in ganz Skandland zu einem großartigen wirtschaftlichen Aufschwung führen wird. Das ist auch der Grund, weshalb ich dir nun einen Brief an meinen Vetter, Olaf Halbohr, Jarl von Rybe, angeben werde … Beim Schädel! Was ist denn?«

    Ärgerlich ob der Störung, stierte der Blaufuchs Gunni an, der, nachdem er Asleif mit Bier versorgt hatte, nun unschlüssig neben dem Thron stand.

    »Ich bitte um Vergebung, Herr, der Pokal.«

    »Was ist denn mit dem Pokal?«, raunzte ihn der Jarl an.

    »Ihr wolltet noch Met, Herr«, brachte Gunni zaghaft hervor.

    »Oh, bei allen Asen! Sag das doch gleich.« Leise vor sich hin grummelnd drückte Jarl Harald das leere Gefäß seinem Mundschenk in die zögerlich fordernde Hand. Dann stieg er entschlossen von seinen Thron herab, um sich erwartungsfroh an die Seite seines Schreibers zu stellen. Dieser hatte unterdessen nebst all seinen Schreibgerätschaften auch einige leere Pergamentbögen mit ausgepackt.

    »Komm Asleif, nimm erst mal einen tüchtigen Schluck von dem Bier. Hernach wird deine Feder gewiss weitaus flüssiger schreiben, als du es dir jetzt vorstellen kannst.«

    Der Angesprochene ergriff gehorsam den so gepriesenen Becher und sprach: »Ja danke, Ohm. Ich befürchte jedoch, dass sich die Skandländer, sofern diese unbotmäßige Hitze noch länger anhält, von unseren Göttern wohl bald geschlossen abwenden werden, ganz besonders aber von unserem Donnergott, der uns offensichtlich völlig vergessen hat. Gleichwohl, auf Thor!«

    Derweil Asleif einen tiefen Zug machte, schlug der genannte Gott in genau diesem Moment seinen Hammer mit einem gewaltigen Blitz präzis neben das Langhaus in den Burghof hinein. Prompt verschluckte sich der Schreiber an dem Gebräu, das soeben seinen Hals hinabrann. Durch kräftiges Husten versuchte Asleif daraufhin seine Kehle wieder frei zu bekommen. Jarl Harald indessen fing grölend an zu lachen und schlug ihm einige Male helfend auf den Rücken. Nachdem sein Schreiber endlich wieder durchatmen konnte, meinte der Blaufuchs schmunzelnd: »Beim Schädel noch mal, Asleif Gellisson! Mir war ja gar nicht bewusst, dass du derart eng mit den Göttern zusammenarbeitest.«

    Dem Angesprochenen war diese seltsame Verknüpfung der Umstände ungemein peinlich und er konnte spüren, dass seine Wangen heftig glühten. Da er nichts zu erwidern wusste, trank er aus lauter Verlegenheit noch einen weiteren Schluck Bier.

    Asleif, seines Zeichens Schreiber in Diensten von Jarl Harald, war alles andere als ein Krieger. Und das, obschon er bereits seit zweiundzwanzig Sommern, gleich nachdem er das Licht von Midgard erblickt hatte, hier auf der Burg lebte. Er besaß eine schlanke Statur, hatte dunkelblonde Haare und seine Körperhöhe von knapp 5½ Fuß entsprach in etwa der durchschnittlichen Größe seiner Landsleute. In seinem länglichen Gesicht mit dem zumeist stoischen Ausdruck fanden sich blaugrüne Augen, eine leicht gebogene Nase und ein gerader Mund. Sein energisches Kinn hielt er – für einen Skandländer durchaus unüblich – frei von jedem Barthaar. In seiner ihm ganz eigenen Art versuchte er von vornherein jedem Streit aus dem Wege zu gehen. Im Falle dass er aber doch mal in einen hineingeriet, bemühte er sich stets den Hader so schnell als möglich mit besonnenen Worten zu beenden.

    »Nichts für ungut«, beschwichtigte ihn der Blaufuchs soeben, »mir ist natürlich ebenso klar wie dir, dass sich Thor nicht ins Handwerk pfuschen lässt; weder von seinen Götterkollegen – vom durchtriebenen Loki mal abgesehen – noch von uns mickerigen Menschlein hier unten auf Midgard. Wenn dir der Schreck wieder aus den Gliedern gefahren ist, sag mir einfach Bescheid und wir beginnen dann in aller Ruhe mit dem Brief.«

    Mittlerweile hatte der Regen begonnen ein munteres Liedchen aufs Dach der Halle zu trommeln und sowohl Jarl Harald als auch sein Schreiber empfanden allein das gleichmäßige Rauschen schon als überaus willkommene Erfrischung.

    Während Gunni nunmehr den frisch gefüllten Silberpokal kredenzte, setzte Asleif sich zurecht, brachte eine Tranlampe zum Brennen, spitzte die Schreibfeder mit seinem Dolch und gab Jarl Harald schließlich das Zeichen, dass er bereit sei.

    Der Blaufuchs erklomm wieder seinen Thron, nahm einen großen Schluck Met und begann dann folgendermaßen: »Also schreib: Birkuna, im Erntemond des Jahres 73 seit Knuts Einigung; Sei gegrüßt, Vetter Olaf! Zunächst meinen Dank für dein Schreiben vom Heumond. Es freut mich zu hören, dass bei Euch alle wohlauf sind. Wie es um meine Familie steht, kann ich dir leider nicht mitteilen, da – abgesehen von meiner Wenigkeit – derzeit alles auf Reisen ist. Mir jedenfalls geht es prächtig!

    Zu der von dir erwähnten politischen Lage vermag ich durchaus mehr auszusagen: So stimme ich mit dir darin überein, dass man auf die Ausbreitung der Chrissen-Religion bald mehr Acht geben muss, als am Ruder eines Drachens bei stürmischer See. Dass die Chrissen bereits erste Erfolge in Keltenstädten nahe der aquitanischen Grenze zu verzeichnen haben, war mir bislang noch nicht bekannt, allein ich vermag dergleichen zu berichten: Wir haben nämlich zurzeit einen besonderen Gast in der Stadt – einen Sassirab. Er heißt Dschafar ibn Fadin und ist Gesandter des mächtigen Emirats, welches die Region östlich und südlich des Schwarzmeers beherrscht. Um uns zu verständigen, bedienen wir uns der Hilfe eines ionischen Übersetzers, den der Sassirab vorausschauend mitgebracht hat. Nebenbei bemerkt, gaben wir vorgestern zu Ehren unseres Gastes in der Halle ein Festmahl – dergleichen ist dem armen Kerl wohl noch nie widerfahren. Den ganzen Abend kam er aus dem Staunen nicht heraus; besonders beeindruckt war er von den Gesängen der Krieger sowie, mehr noch, vom Vortrag des Skalden. Nachdem dieser zehn Strophen dargebracht hatte, fragte der Sassirab verwundert, wann die Saga denn zu Ende sei; nach fünfzig Strophen teilte er mir mit, diese Ode sei so immens lang, dass er glaubte, zu träumen; nach hundert Strophen schlief er tatsächlich; nach zweihundert wurde er geweckt und in eine Gästekammer gebracht, damit er in Ruhe weiterschlummern konnte, derweil meine Mannen genüsslich der zweiten Hälfte der Saga lauschten. Erst spät am gestrigen Vormittag war er in der Lage in sein Haus zurückzukehren. Offensichtlich hat der Met eine höchst nachhaltige Wirkung auf den Gesandten …«

    An dieser Stelle unterbrach sich Jarl Harald, stand auf und trat neben Asleif, um einen Blick auf das bislang Geschriebene zu werfen.

    »…Wirkung auf den Gesandten«, echote Asleif. »Hab ich, hab ich. Wie geht’s weiter?«

    »Warte mal … ja, schreib: Bevor ibn Fadin den geistigen Getränken Tribut zollen musste, fand er noch Gelegenheit mir zu berichten, dass die Chrissen auf etlichen kleineren ionischen Inseln Kirchen errichtet hätten und große Teile der dortigen Bevölkerung bereits dem neuen Glauben huldigten!

    Da können unsere Götter wahrlich von Glück sagen, dass der Große Knut, nachdem es ihm vor nunmehr 73 Sommern gelungen war die Nordländer zu vereinen, seinen Untertanen befohlen hat, sämtliche Sklaven freizulassen und überhaupt jeglichen Sklavenhandel sowie das Darbringen von Menschenopfern unverzüglich aufzugeben. Ich denke diese Maßnahme hat den Vormarsch der Chrissen nach Skandland zum Erliegen gebracht, denn wie mir scheint, sind es vorwiegend derartige Gräueltaten, die ihnen den Weg ebnen. Die Chrissen prangern diese Unsitten an und erringen damit die Sympathien des gemeinen Volkes. Wenn sie dieses erst einmal hinter sich geschart und gar erste Kirchen errichtet haben, ist es nur noch eine Frage der Zeit bis die alteingesessenen Götter vertrieben sind. Nimm nur das Beispiel Keltien: Nach wie vor opfern die Druiden Jungfrauen in den heiligen Hainen, oder Ionien: Wie mir Paxiklos, der Übersetzer des Sassirab gestern noch bestätigte, sind die adeligen Ionier unter gar keinen Umständen bereit, auf ihre Sklaven zu verzichten. Wohin das führt, hat man ja gesehen. Mit ibn Fadin habe ich übrigens einen vortrefflichen Vertrag ausge… Beim Schädel! Was ist denn nun schon wieder?«

    Ein Wächter war durchs Portal geschlüpft und näherte sich eiligen Schrittes der Jarlstafel. Der Blaufuchs, empört ob der neuerlichen Störung, holte aus, um seinen kostbaren Silberpokal vor lauter Wut an die Wand zu pfeffern. Allein zu Asleifs Überraschung ließ Jarl Harald am Ende der Wurfbewegung den Kelch nicht los, sondern schloss im letzten Augenblick seine Finger ganz fest um dessen Stiel. Als der Blaufuchs den verblüfften Blick seines Schreibers gewahrte, beugte er sich verschwörerisch hinunter und flüsterte ihm ins Ohr: »Ganz im Vertrauen, Asleif. Hätte ich losgelassen, würde jetzt gewiss eine prächtige Beule meinen Pokal zieren und Leif Thordarson, mein Silberschmied – bei weitem der Beste in ganz Svera – hätte hernach die Delle wieder hinaustreiben müssen. Odin sei Dank, fiel mir im letzten Moment wieder ein, dass mir der Schmied jedes Mal furchtbar die Leviten liest, wenn ich es wage, ihn mit derartigen Kleinigkeiten zu belästigen. Du brauchst gar nicht so blöde zu grinsen, ich will und kann es mir mit ihm nicht verscherzen. Tatsache hingegen ist, dass Leif nach jeder – aus seiner Sicht – unnötigen Reparatur stets dermaßen geladen ist, dass selbst Thor leibhaftig Skrupel hätte, der Schmiede Schwelle zu überschreiten, um den ausgebesserten Pokal wieder abzuholen! Von meinen Knechten wagt es deshalb niemand, beim Schädel! Diese Aufgabe bleibt stets mir selbst vorbehalten, obwohl es mir auch so schon an Zeit mangelt.«

    Der Wächter hatte zwischenzeitlich die Jarlstafel erreicht und trat ungeduldig wartend von einem Bein aufs andere bis Jarl Harald wieder auf seinen Thron saß und ihm endlich Gehör schenkte.

    »Ohm, Ohm, da draußen wartet …«

    Weiter kam er nicht, denn er musste sich rasch ducken – der Blaufuchs hatte mit dem Kelch nach ihm gezielt, sich jedoch im letzten Augenblick abermals besonnen. Er tauschte mit Asleif einen wissenden Blick und donnerte alsdann: »Beim Schädel! Wie wagst du Wurm es mich anzusprechen? Haben neuerdings die Flöhe bei dir das Denken übernommen? Noch einmal so eine Frechheit und du wirst bei der nächsten Mahlzeit gebratene Zunge essen – deine eigene! Ich warne dich. Mir ist mitnichten entgangen, dass ihr mich alle hinter meinem Rücken Ohm nennt, allerdings darf einzig und allein mein Schreiber Asleif es auch wagen, mich so anzureden. Und damit ihr Taubnüsse das ein für alle Mal kapiert, erklär ich dir jetzt nochmal, warum. Sein Vater Gelli gab im Kampf aufopferungsvoll sein Leben, um meines zu retten. Dadurch wurde Asleif zum Waisenkind. Und da er als kleiner Junge schon mehr Hirn besaß, als in eure Hohlschädel jemals reinpassen wird, nahm ich ihn kurzerhand unter meine Fittiche. Er ist mir ans Herz gewachsen, erst recht, nachdem ich ihn in meine Dienste genommen habe, und er mir seine außerordentlichen Fähigkeiten bewiesen hat. Und nur deshalb darf er sich mir gegenüber Dinge erlauben, von denen ein so holzköpfiger Moortrottel wie du nicht mal zu träumen wagen darf. Hast du mich verstanden? Was willst du hier überhaupt?«

    Der Wächter, welcher inzwischen, um sich möglichst unsichtbar zu machen, vor Jarl Harald auf den Knien lag, hob probeweise den Kopf.

    »Herr, edler Herr, hoher Jarl Harald Blaufuchs, Gebieter über ganz Birkuna, habt Erbarmen mit mir. Ich bin nur ein ganz unwürdiger Knecht und ihr habt Recht, mein Schädel ist hohl und ich bitte Euch um …«

    »Ja, ja, ist ja schon gut«, fuhr der Jarl dazwischen, »sag mir endlich, was du zu melden hast, beim Schädel!«

    »In der Vorhalle steht dieser Ionier«, begann der Wächter zaghaft seine Neuigkeit zu verkünden. »Ihr wisst schon wen ich meine, Herr, diesen Begleiter vom Sassirab. Der Ionier ist völlig außer sich und will dauernd den Goden sprechen.«

    »Wieso kommst du dann zu mir?«, raunzte ihn der Jarl genervt an. »Wie du siehst, ist Teit nicht anwesend.«

    »Ja, Herr, das hat mir die Türwache auch schon gesagt. Doch keiner weiß, wo der Gode steckt, er ist verschwunden.«

    Allmählich verlor Harald Blaufuchs wieder die Geduld. »Beim Schädel! Verschwunden? Das vermag ich nicht zu glauben! Auf den Goden ist Verlass, der verschwindet nicht so einfach. Noch heute früh sprach ich mit ihm, als er in seiner Kammer den Vertrag siegelte. Soviel ich weiß, hatte er die Absicht hernach den Segen der Götter zu erbitten und das Dokument anschließend dem Gesandten zu überbringen, damit dieser ebenfalls Siegel und Unterschrift setzt. Falls Teit nicht mehr im Tempel ist, so wird er wohl im Hause des Sassirab sein.«

    »Herr, er war nicht beim Sassirab, er hat einen Boten geschickt.«

    Jarl Harald verdrehte die Augen. »Nun verstehe ich gar nichts mehr; weswegen sollte der Gode denn einen Boten schicken?«

    Bevor der Mann eine Antwort fand, unterbreitete Asleif einen Vorschlag: »Entschuldigt, Ohm, warum fragt Ihr nicht Paxiklos? Er kann Euch gewiss besser aufklären, gewiss besser.«

    Der Blaufuchs gab seine Zustimmung und entließ mit einer wedelnden Handbewegung den Wächter, welcher sichtlich erleichtert war, weiterem Ungemach zu entgehen. Raschen Schrittes entfernte er sich, um den Ionier hereinzuholen.

    Wenige Augenblicke später durchmaß der Übersetzer des Sassirabs in hektischer Manier die Halle. Als er näherkam, konnte sich Asleif ein Grinsen nicht verkneifen und auch Jarl Harald hatte Mühe, das verräterische Zittern seines Bartes zu unterdrücken.

    Der Ionier, von Haus aus schon ein schmächtiges Bürschchen – er war spindeldürr und erreichte kaum die Höhe von fünf Fuß, war ganz offensichtlich in den Gewitterguss hineingeraten. Dies hatte dazu geführt, dass sein üblicherweise krauses, pechschwarzes Haar, das seinen Kopf für gewöhnlich wie eine Mähne umkränzte, sich nunmehr platt der Kontur seines Schädels angepasst hatte. Auch seine Tunika hing ihm klatschnass am Körper herab und Tropfen auf Tropfen löste sich, von ihm völlig unbeachtet, aus des Kittels Saum sowie den Enden seiner Ärmel, sodass zahllose kleine Pfützen den von ihm zurückgelegten Weg markierten. Ob des erwähnten Anblicks ähnelte der Ionier eher einem nassen Straßenköter denn einem sprachkundigen Gelehrten.

    Jarl Harald, dessen Laune auf Grund dieses Auftritts wieder umgeschlagen war, begrüßte ihn freundlich: »Hei, Paxiklos. Wie ich höre, sucht Ihr den Goden. Darf ich fragen was das zu bedeuten hat?«

    Der Ionier, der die sverische Sprache etwas eigentümlich verwendete, antwortete: »Ich Euch grüße in Ehren, hoher Jarl. Doch mein Herr, Dschafar ibn Fadin, sein sehr in Wut, wegen das Vertrag, was er nicht bekommen!«

    Harald Blaufuchs war die Verblüffung deutlich ins Gesicht geschrieben. »Aber der Wächter hat mir doch gerade eben berichtet, dass ein Bote bei Euch war – hat er denn das Dokument nicht übergeben?«

    »Herr, der Bote hat bringen Schatulle mit Pergamente darin, aber …«

    »Aber was?« Jarl Harald wartete gespannt auf das Ende des Satzes. Mit seiner linken Hand umklammerte er die Armlehne des Throns, mit der rechten den Silberpokal.

    »… aber Pergamente in Schachtel waren blank, ist nichts drauf geschrieben! Wo ist bleiben Vertrag?«

    »Beim Schädel!«, brüllte der Blaufuchs auf, derweil sein Kelch, endlich befreit von der herrschaftlichen Hand, durch die rauchige Luft der Jarlshalle segelte und nach Beendigung eines formvollendeten Bogens unsanft an die Wand klatschte. Verziert mit einer großen Delle rollte er auf dem Lehmboden aus. »Das kann doch gar nicht sein! Ich habe den Vertrag eigenhändig unterschrieben und abgesehen von Siegel und Unterschrift Eures Herrn war er vollständig!«

    »Und ich haben gesehen, was war in Kästchen!«, wiederholte Paxiklos mit unterdrückter Stimme. Er bemühte sich unverkennbar, seine Erregung zu dämpfen. »Beide Bögen waren leer! War darauf nicht Buchstabe, nicht Rune, nicht Hieroglyphe, nicht ein Strich, nur – Nichts!«

    Da Paxiklos seine Behauptung so vehement verteidigte, sprach er wohl die Wahrheit, sagte sich Jarl Harald. Er schluckte infolgedessen seinen Ärger notgedrungen hinunter und sann eine Weile über die schier unglaubliche Kunde nach, die ihm der Ionier so aufgebracht und für ihn völlig überraschend kredenzt hatte: Tatsächlich war es ein wenig sonderbar, dass Teit einen Boten zu ibn Fadin geschickt hatte, anstatt wie vereinbart persönlich hinzugehen. Diesen Punkt wird er wohl plausibel erklären können, indes aus welchem Grund hat er dem Sassirab leere Blätter überlassen? Hat Teit die Pergamente schlichtweg verwechselt oder hat er den Abschluss des Vertrages ganz bewusst verhindert? Letztere Möglichkeit war indes ebenso unglaubwürdig wie die Annahme, dass der Sassirab versucht haben sollte, ihn, den Jarl, in irgendeiner Weise zu hintergehen. Ibn Fadin hat die lange und beschwerliche Reise schließlich nicht gemacht, um sich in Svera zu verlustieren, sondern weil er handfeste wirtschaftliche und politische Ziele verfolgte.

    Jarl Harald wandte sich an seinen Schreiber: »Asleif, diese Sache muss dringend geklärt werden. Ich vermute, dass es sich um eine schlichte Verwechslung handelt, denn ich sehe keinerlei Grund, weswegen Teit oder auch der Sassirab die Vereinbarung so kurz vor Schluss noch boykottieren sollten. Aber wie auch immer, der Vertrag ist über die Maßen bedeutsam und darf unter gar keinen Umständen in die falschen Hände geraten. Die Folgen wären unabsehbar! Außer dem Oberhaupt der Sassirab, seinem Gesandten ibn Fadin, Teit sowie mir selbst, kennt niemand auch nur ansatzweise dessen Inhalt. Er muss unter allen Umständen geheim bleiben, zumindest bis ibn Fadin das Dokument gesiegelt hat, verstehst du?

    Begleite jetzt den Ionier zu seinem Herrn und versuch die Pergamente wieder aufzutreiben. In derlei Dingen besitzt du ein ausgezeichnetes Gespür. Überdies vertraue ich dir, wie du weißt, vorbehaltlos. Sprich mit ibn Fadin und suche alsdann nach Teit oder befrage den Boten. Mach was du für nötig hältst, aber bringe mir, um Odins Willen, das Dokument zurück!«

    Asleif nickte zustimmend. In der Tat hatte er bereits des Öfteren großes Geschick bewiesen, wenn es galt, versteckten oder verlegten Gegenständen auf die Spur zu kommen. Im Gegensatz zu den Anderen, die beim Suchen stets planlos hin und her rannten, ließ er zunächst seine

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