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Sehnsucht nach Zärtlichkeit
Sehnsucht nach Zärtlichkeit
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eBook341 Seiten4 Stunden

Sehnsucht nach Zärtlichkeit

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Über dieses E-Book

Die Abenteuer einer Journalistin in Tibet — mitreißend und fantasievoll erzählt. Eingebunden in historische und kulturelle Ereignisse, ist dieser Roman in seiner Vielschichtigkeit spannend bis zur letzten Seite. Ein Buch, das zum Nachdenken zwingt und das man sich nicht entgehen lassen sollte.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum15. Dez. 2013
ISBN9783844277913
Sehnsucht nach Zärtlichkeit

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    Buchvorschau

    Sehnsucht nach Zärtlichkeit - Hans-Joachim Koehl

    Imprint

    Sehnsucht nach Zärtlichkeit

    Hans-Joachim Koehl

    published by: epubli GmbH, Berlin

    www.epubli.de

    Copyright: © 2013 Hans-Joachim Koehl

    ISBN 978-3-8442- 7791-3

    Lektorat: Erik Kinting / www.buchlektorat.net

    Inhalt

    Imprint

    Inhalt

    Erstes Buch

    Ohne Gesetz

    Das Schiff

    Die Zeit

    Unbekanntes Land

    Waali

    Die Reise

    Begierde

    Wächter

    Am Indus

    Zweites Buch

    Kelly

    Hoffnung

    Das Kloster

    Kellys erste Reise

    Aufbruch

    Die zweite Reise

    Der Beweis

    Erstes Buch

    Ohne Gesetz

    Als ich es zum ersten Mal hörte, bekam ich eine solche Angst, dass meine Hände anfingen zu zittern. Ich musste mich zur Ruhe zwingen, um nicht einen schweren Anfall zu bekommen. Wenn ich mich stark aufregte, konnte es passieren, dass mein jetziger Körper sich in wilden Zuckungen auflehnte und unter Schmerzen verkrampfte. Mit dem Gedanken, dass keine akute Gefahr bestand, beruhigte ich mich.

    Panik war nicht angesagt; bisher gab es nur Gerüchte. Um mich abzulenken und zu beruhigen, kaute ich ein paar Datteln. Ein Bote war gekommen, was würde er bringen?

    „Herr, dein Sohn schickt mich, euer Schiff liegt am Ufer, es hat eben festgemacht!"

    Freude durchlief mich. „Geh zu den Frauen und lass dir zu essen geben!"

    „Danke, Herr!"

    „Nehu!"

    „Ja, Herr!"

    „Sag Betschep und Sinks, sie sollen mich begleiten: bewaffnet! Du kommst auch mit, wir gehen zum Fluss!"

    Allein und unbewaffnet war es zu gefährlich durch die Gegend zu laufen, wenn man nicht als Kahnzieher oder auf einer Ruderbank enden wollte. Diebstahl, Raub mit Waffengewalt und Vergewaltigung waren an der Tagesordnung. Ohne Schutz war es nicht ratsam, sich auf eine Reise zu begeben, selbst wenn diese nur ein paar Flügelschläge weit war. Auf den Wegen war es zu unsicher. Viele wollten sich ein Imperium, zumindest ein Stadtkönigreich errichten und scheuten nicht davor zurück, ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen.

    „Ja, Herr?" Betschep stand vor mir und auch Sinks näherte sich. Ihre Steinbeile hatten sie an einem dicken Ledergürtel an der Seite hängen. Ein Köcher mit Pfeilen hing mit dem Bogen über ihre Schultern. Irgendwo in ihrer Kleidung waren kurze scharfe Waffen aus Feuerstein versteckt. Was noch fehlte, waren ihre langen Spieße … aber die würden wir nicht brauchen.

    Wir standen an der Seite eines mit Palmen bewachsenen Innenhofes. In der Mitte lag der hauseigene Brunnen. Um diesen herum waren runde Häuser aus Flechtwerk mit Lehm und Tierdung überzogen. Eine große, dicke Hecke aus Dornengestrüpp war so dicht, dass kein Raubtier ein Durchkommen wagen würde; seien es nun zwei- oder vierbeinige! Die Dornenhecke war mehr als mannshoch und umschloss das ganze Gelände.

    Von außen war kein Blick ins Innere möglich — weder ins Haus noch in den Palmenhain oder den Gemüse- und Obstgarten. Auch nicht von einem Kamel oder Pferd aus. Die einzige Öffnung durch das Dornengeflecht war ein Holztor und der dünne Wassergraben vom Fluss her unter der Hecke durch. So hatten wir einen guten Schutz gegen nächtliche Löwenattacken.

    Zur Sicherheit gegen zweibeinige Räuber hatte ich zwei starke, bewaffnete Männer als Wachen eingesetzt. Vor den Wildhunden im Kral mussten wir uns selbst in acht nehmen; die hatten immer Hunger. Trotzdem war man vor einem Überfall nie sicher. Es gab nur ein Gesetz: das des Stärkeren.

    Stärke und Gewalttaten wurden bewundert. Vor zwei Wochen fanden wir außer dem Obergewand einer meiner Sklavinnen keine Spur mehr von ihr. Sie hatte auf dem Feld den Boden gelockert, es war nicht weit vom Haus. Die Wächter glaubten, ein Löwe hätte die Ärmste geholt, doch es war weder Blut zu sehen noch hatten sie Schreie gehört; es gab Spuren von Löwentatzen, aber auch von mehreren Männerfüßen.

    Sinks, mein zweiter Sohn, ein Hüne, zwei Kopf größer als die Menschen, hatte die Wächter mit je fünfzehn Stockhieben bestraft. Sie ertrugen sie stumm.

    Die Palmenblätter wehten leicht im Morgenwind, der kühl vom Fluss her übers Land wehte. Wir gingen durch die Dattelhaine zum Euphrat; am Ufer entlang, in Richtung Anlegesteg. In einen dichten Schilf- und Papyrusgürtel eingerahmt lag der Fluss. Allerlei Getier war hier zu Hause: Schlangen, Krokodile und Flusspferde sowie unzählige Vögel, die noch keinen Namen hatten.

    Der Fluss lag, ruhig und blaugrün, träge in seinem Bett. Es sah aus, als hätte er noch nicht ausgeschlafen. Doch es gab auch andere Tage: Er konnte alles verschlingen, was sich ihm in den Weg stellte. Wasser ist nicht berechenbar.

    Schade, ich hatte mich hier sehr wohl gefühlt. Die Menschen waren willig und leicht zu steuern. Eins war sicher: Wenn ich mein kleines Reich erhalten wollte, dann mussten wir innerhalb von zwölf Monaten dieses Land verlassen.

    Es war hell. Die Sonne versteckte sich wie jeden Tag hinter einem dicken Dunstvorhang.

    Diese dicke, geschlossene Wolkenschicht umgab den ganzen Planeten und verhinderte eine direkte Sonneneinstrahlung. Er schützte alle Lebewesen vor Krankheiten und einem frühen Tod, denn die aggressiven Mikrowellen, Gamma-, Röntgen- und UV-Strahlen wurden durch den Dunst gefiltert und konnten nicht zu ihnen durchdringen und die Zellen frühzeitig zerstören. Von diesem Wissen hatten meine Leute nicht den leisesten Schimmer.

    Die dicke Wolkendecke verschaffte ihnen ein langes Leben. Bis zu tausend Erdenjahre konnten die Menschen Fleischlinge existieren. In unserer Zeitrechnung war es nur ein Tag. Doch hier auf der Erde zählte eine andere Zeitspanne. Die Männer, die am Ufer an uns vorbeizogen, sahen wie ein langer, sich windender Wurm aus. Sie waren um Brustkorb und Schultern mit einem Tau fest verbunden und zogen damit einen Lastkahn gegen die leichte Strömung. Schiffe wurden gezogen, gerudert oder gesegelt. Es war ein identischer Lastkahn, wie ich einen hatte: flach und breit. Flussaufwärts wurden Felle, Leder, gesalzener Fisch, Taue und Handwerkswaren transportiert. Eins der besten Geschäfte waren Waffen. Begehrt waren junge Frauen und Pfeilspitzen aus einem dunkelroten Metall. Diese drangen in die dicken Felle der großen Tiere besser ein als hölzerne. Alles wurde getauscht: Männer zum Ziehen der Kähne, Kinder und Frauen für die Felder und sonstige Arbeiten.

    Vom Oberlauf des Flusses kamen Menschen nicht immer wieder zurück, stattdessen gelbes Metall, Holz und behauene Steine. Im oberen Flusslauf am Ende des Euphrat gab es einen kleinen Gebirgsbach. An dessen Ufern wurde Gold aus dem Schwemmsand gewaschen, das war seit ewigen Zeiten bekannt, denn der Bach begrenzte die Nordostseite der Täler vom Garten Eden. Die Flüsse Tigris und Euphrat sind seine Brüder im Westen und Osten bis auf den heutigen Tag.

    Am Tauschplatz der Waren entstanden kleinere Siedlungen, die durch unsere Hilfe schnell größer wurden. Die Handelsplätze und Speicher wurden befestigt, bewacht und wuchsen zu Trutzburgen.

    Am Ufer wurde mithilfe langer Bohlen vom Land aus unser Schiff entladen.

    „Sei gegrüßt Haleb. Wie war die Reise?"

    Der Mann, der vor mir stand, war einen Kopf größer als alle anderen. Selbst unter seinem Gewand konnte man noch den muskulösen Körper erkennen. Die Haut war dunkel, die Haare fielen ihm schwarz auf die Schultern und ein Goldband hielt die Pracht zusammen. Sein Gesicht war auf den ersten Blick ebenmäßig. Trotzdem senkten alle den Blick vor ihm, denn sie fürchteten seine Augen. Seine ganze Ausstrahlung hatte etwas Gewalttätiges, Furcht einflößendes. Schon als Knabe war er außergewöhnlich stark, schweigsam — ja finster!

    Bisweilen ging ihm selbst seine Mutter aus dem Weg. Als er kaum geboren war, wollte ihn seine Mutter nicht mehr stillen. Sie kam zu mir und beschwerte sich: Du hast einen Sohn gezeugt, der mir in die Brust beißt, wenn die Milch nicht schnell genug kommt. Die Schmerzen sind unerträglich: Soll ihn doch eine Amme stillen! Aber auch die Amme schrie vor Schmerz. So wurde er mit Kamel- und Ziegenmilch gestillt. Er war nicht wählerisch — Hauptsache satt werden.

    Er lernte gut und verstand es meisterhaft die Menschen in seiner näheren Umgebung in seinen Bann zu ziehen und zu manipulieren, um seinen Willen durchzusetzen. Als Gleichaltrige noch Knaben waren, war er schon ein Mann. Durch seine immense Kraft zerbrachen seine Bögen aus Bambus oder Holz. Ich fertigte ihm einen aus dem Schädelknochen und Horn einer Antilope. Diesen Bogen hat er noch immer.

    Ich bin stolz auf meine Söhne. Alle drei sind wahre Giganten an Körpergröße und Kraft; kein Mensch kann es mit ihnen aufnehmen.

    Haleb liebt die Jagd; es ist ihm egal was er jagt, Hauptsache es hat Beine. Sinks ist hinterlistig, schlau und boshaft. Betschep liebt den Kampf über alles und seine Frauen samt Kinderschar. Alle drei waren schon als Kinder gewalttätig; auch untereinander.

    Einmal, bei einem Abendmahl lagen wir ums Feuer. Da versuchte Sinks seinem Bruder Haleb ein Stück Fleisch von dessen Holzspieß zu entwenden. Als er die Hand mit dem Fleisch langsam zurückzog, nagelte Haleb den Arm von Sinks mit einem Messer auf die Holzplatte. Sofort stürzte sich Betschep auf Haleb. Haleb war noch dabei das Messer aus Holz und Arm zu ziehen, als ein gewaltiger Schlag von Betschep ihn zu Boden riss. Betschep stürzte sich auf den am Boden Liegenden, doch geschickt rollte sich Haleb weg, sprang auf und stürzte sich von hinten auf Betschep, riss ihn mit der linken Hand an den Haaren und die rechte Faust schmetterte auf die rechte Niere. Betschep schrie auf und blieb am Boden stöhnend liegen.

    Sinks hatte sich inzwischen die Armwunde abgebunden. Er benutzte das Kopftuch einer Frau, die hinter ihm saß. Aus der Wunde quoll dickes dunkelrotes, fast schwarzes Blut. Doch es gab kein Jammern und kein Geschrei! Er öffnete und schloss seine Faust und dann stürzte er sich auf Haleb. Sein wütender Kampfesschrei warnte Haleb, sofort warf er sich zur Seite, so fiel Sinks auf Betschep der den Angriff abwehren musste!

    Jetzt kämpfte jeder gegen jeden! Keiner von uns wagte es, die drei zu trennen. Alle anderen Anwesenden schnappten sich ein Stück Fleisch, Brot oder eine Schüssel mit Brei und setzten die Mahlzeit draußen fort.

    Erst als unser großes Zelt über den Kämpfern zusammenbrach, kam einer nach dem anderen heraus gekrochen; alle blutverschmiert! Seit diesem Tage liegen sie nur noch getrennt an der Tafel.

    Haleb war mir am liebsten von den dreien. Nicht weil er mein Erstgeborener war, … vielleicht, weil er so finster, so verschlossen war. Ich konnte es nicht genau definieren; solche Gedanken waren rein menschlicher Natur und ich vergaß manchmal, dass wir Lichtgestalten die Menschen lediglich als Wohnung benutzten.

    Vor nicht allzu langer Zeiten waren wir auf der Jagd und hatten schon einen ganzen Tag auf Lauer gelegen. Uns wäre ein Löwe genau so lieb gewesen wie eine Antilope; selbst mit einem Hasen hätten wir zufrieden sein können. Doch auch in der Dämmerung kam kein Tier zur Quelle. Haleb war voller Zorn. Er sprach nicht, doch wer ihn nur ein wenig kannte, ging ihm jetzt besser aus dem Weg. Als es ganz dunkel wurde, brachen wir die Jagd ab.

    Ein Jagdhelfer, ein junger Sklave mit schwarzer Haut und lustigem Gemüt, den ich gegen einen Sack Aussaat getauscht hatte, rannte und sprang durch die Büsche und rief: „Die Jagd ist aus, wir gehen nach Haus! Da hörte ich das Singen eines Pfeils und Halebs Worte: Wer ... sagt ... das?" Der Ton dieser Stimme ließ mich schaudern. Der Knabe fiel mit einem spitzen, erstaunten Schrei, als könne er nicht verstehen, dass eins seiner Beine ihn nicht mehr trug. Halebs Pfeil stecke in seinem Oberschenkel. Nun … er war mein Sklave! Wäre er Halebs Sklave gewesen, hätte er die Attacke nicht überlebt. Als Haleb begann, die Frauen in unserem Haus zu schlagen, die ihm nicht zu Willen waren, sandte ich ihn fort und gab ihm eine Aufgabe, bei der er sich bewähren konnte.

    Wir konnten ihn nicht mehr ertragen. Die Sippe hatte nur Frieden, wenn er auf der Jagd war. Sein liebstes Wild waren Raubkatzen; vor allem die Löwen. Die Felle waren sehr begehrt. Er tauschte sie gegen alles, was er benötigte. Bewunderung und Angst vor ihm wechselten sich ab. Ich kannte keinen, der mit ihm vertraut war. Haleb brauchte ein Ziel, eine Aufgabe.

    Ich hatte auf dem Fluss drei Handelsschiffe; hier sollte er von einem den Handel übernehmen. Die ständige Bewegung eines Schiffes war meiner Meinung nach genau das Richtige für diesen unruhigen Geist. Als er alles gelernt hatte, was nötig war, um einen Schiffskahn zu führen, wollte er selbst das Kommando übernehmen. Der Bootsführer lehnte lachend ab: „Das musst du mit deinem Vater ausmachen." Zwei Bootsleute standen schmunzelnd dabei.

    Schon als Kind ertrug Haleb es nicht, ausgelacht zu werden. Den zwei Bootsleuten schlug er blitzschnell die Köpfe zusammen, sodass sie wie Eierschalen platzten. Der entsetzte Schiffsführer rettete sich mit einem Sprung in den Fluss. Seitdem führt Haleb das Kommando. Und bisher zu unseren Gunsten.

    „Seid gegrüßt, Vater, die Reise hat sich gelohnt. Die neuen Speere und der Schild, die du mir schenktest, kamen gut zum Einsatz. Als wir am oberen Fluss an eine Biegung kamen, war eine Trosse von Ufer zu Ufer gespannt. Dort sind seichte Stellen, und als wir aufliefen, wollten sie uns niedermachen.

    Dreißig Mann war die Rotte stark. Vom Ufer stürmten sie auf uns zu; doch wir waren vorbereitet. Die Pfeile lagen auf den Sehnen. Einige konnten fliehen. Fünf hab ich dir als Sklaven mitgebracht, die anderen mussten wir im Kampf erschlagen."

    Er sprühte vor Eifer und ich hatte den Eindruck, mit dem Erschlagen könnte er jeden Moment wieder anfangen.

    Rund um uns war ein geschäftiges Treiben. Für seine beiden Brüder hatte er weder Gruß noch Blick. Als sie noch Kinder waren, sind sie ihm schon immer ausgewichen, denn alles ging nur nach Halebs Willen oder gar nicht.

    Das Schiff war eigentlich nur ein 25 Schritt langer und 5 Schritt breiter Kasten. Zum Staken hatte es auf beiden Seiten die Laufplanken und in der Mitte einen kurzen Mast mit einer langen Stange, fast quer, an dem ein dreieckiges Segel befestigt war. Nur im hinteren Teil war das Schiff abgedeckt, ansonsten war es offen. Bei Sturm musste ein Mann ständig Wasser schöpfen, trotz des zähen Erdpechs, mit dem die Fugen abgedichtet waren.

    Haleb drehte sich um und rief zum Schiff: „He Zanuck.

    Binde die fünf neuen Sklaven wieder ans Schiff zum Wasserschöpfen." Dann drehte er sich zu mir um.

    Ich musste zu ihm aufschauen, als ich ihn fragte: „Hast du meinen Auftrag erfüllt? Konntest du etwas heraus finden? Mich interessiert die Ladung nicht so sehr!"

    Ich hatte vor meiner eigenen Vermutung Angst: die Überfälle und Toten. Die vielen Bluttaten auf der Erde würden nicht ungesühnt bleiben. Auch meine Söhne hatten Blutschuld auf sich geladen. Eines ihrer liebsten Spiele war es, Menschen zu fangen und über die fremden jungen Frauen herzufallen. Wenn die Männer ihrer Sippe sich verteidigten, kam es zum Kampf und darin waren meine Söhne sehr geschickt. Die Männer wurden nicht getötet, nein, das machte ihnen kein Spaß. Sie wurden verspottet, verhöhnt, ein bisschen gequält oder einige verkauft. Den Rest ließ man wieder laufen.

    Die Welt war so schön, so perfekt — nur sicher war sie nicht. Durch die besondere Stärke meiner Söhne gehörten sie zu den Rücksichtslosesten. Keiner lebte nach Gesetzen. Jeder tat was ihm passte, denn außer der Blutrache gab es keine Sühne, Verfolgung oder Gesetz.

    Jeder prahlte mit seinen Heldentaten und kleinen Raubzügen.

    Der meiste Mutwillen richtete sich gegen die Urks.

    Sie sahen den Menschen ähnlich, waren etwas kleiner und behaarter, sehr gute Jäger und immer auf Wanderschaft. Sie lebten in Zelten aus Fellen oder Laubhütten, aber auch in Höhlen. Sobald die Jagdgründe nichts mehr hergaben zogen sie weiter. Früher stahlen oder tauschten die Menschen von ihnen die Frauen, aber nie gebaren sie den Menschen Kinder. Sie waren zwar weitaus klüger als Affen aber vom regelmäßigen Arbeiten waren sie nur mühsam zu überzeugen. Als sich das nach einer Generation bei den Menschen herumgesprochen hatte, wurden sie nur noch verfolgt. Die Urks wurden immer seltener. Sie suchten weiter im Nordwesten, wo noch kein Mensch den Boden betreten hatte, neue Jagdgebiete.

    Hier in der fruchtbaren Ebene zwischen den beiden Strömen, vermehrten sich die Menschen rasch und so hielt man sich an die, die schwächer waren, machte ihnen ihre Jagdgründe streitig, raubte sie aus und stahl ihre Frauen und Mädchen. Niemals gab es Kinder bei diesen Verbindungen. In Gefangenschaft, wenn sie arbeiten sollten, starben sie wie die Fliegen. Kleine Tauschgeschäfte waren möglich. Für einen Tonkrug, an einer Quelle in ihrem Gebiet abgestellt, gaben sie einige sehr schöne Felle. Früher lebten sie in den besten Jagdrevieren, doch als der Mensch kam und die gleichen Jagdgründe beanspruchte, mussten sie weichen.

    Haleb sah mich von oben herab an. Sein wildes schwarzes Haar wurde von einem Lederband gehalten. Seine Miene gab kein Lächeln her und er berichtete.

    „Ja, ja, du musst dir vorstellen: Einige Tagesreisen vom Fluss mitten im Wald bauen sie einen Kasten aus Holz, größer als ein Haus soll er werden. Es sind ständig Leute da, die sich das ansehen und die Bauherren verspotten. Es gibt kein anderes Gesprächsthema im ganzen Land."

    „Warum machen die das?" fragte Betschep, mein Jüngster.

    „Mit einem Sohn aus der Sippe, Cham hieß er, habe ich gesprochen", sagte Haleb und fuhr fort: „Es ist nicht einer allein, es ist die ganze Familie. Sie bauen diesen Kasten weit vom Fluss auf trockenem Land. Die Leute rundum gehen hin und lachen, freuen sich und spotten über so viel Dummheit.

    Die Geschichten von ihnen werden überall erzählt. Der Vater heißt Noe, er hat angeblich eine Stimme Gottes gehört, es würde eine Wasserflut kommen und alle Menschen wegspülen. Er solle jede Menge Tiere mitnehmen, Proviant und die gesamte Familie. Ich habe ihn gefragt, wie sein Gott heißt und er meinte: er hätte keinen Namen. Er sagt von sich, er sei der Anfang und das Ende, der Schöpfer aller Dinge, er habe sogar mit ihm gesprochen. Was soll´s, ein Verrückter.„Vater ... was hast du?

    Mich packte eine Kraft, Angst! Alles Blut wich mir aus Gesicht und Beinen. Mir wurde schlecht. Ich fing an zu zittern, Speichel lief mir aus dem Mund. Ich wusste genau, von welchem Gott er gesprochen hatte. Wenn dem so war, dann war die Zeit hier vorbei und alle meine Pläne zum Bau meines Machtzentrums zunichte.

    Ich wusste dieses Dasein, unser Sein auf der Erde, war auf Fleischeslust, Habgier und dem Willen zur Macht aufgebaut. Noch ein knappes Jahr … bis dahin musste ich an einem sicheren Ort, irgendwo möglichst hoch in den Bergen sein.

    Doch momentan musste ich mich ganz ruhig verhalten. Wenn ich dies nicht tat, bekam dieser Körper wieder einen Anfall. Trotz meiner Beherrschung fiel mein Unwohlsein auf und Haleb und Sinks stützen mich.

    Wir setzten uns auf einen Stapel Schnittholz. Langsam ordnete ich meine Gedanken und beruhigte mich wieder.

    „Wie weit sind sie mit dem Bau?" fragte ich.

    „Nun, die erste Etage ist fertig. Es sollten drei werden. Warum ist es für dich so wichtig? Die werden nie fertig, es wird alles zusammenfallen!", sagte er selbstsicher.

    Betschep lachte und meinte: „So etwas Dummes! Wo soll denn das viele Wasser herkommen? Noch nie ist der Fluss so weit über die Ufer getreten. Da müsste uns schon der Himmel auf den Kopf fallen!"

    Wir lachten alle über den gelungenen Spaß.

    Aus seiner Sicht hatte er recht, wie sollten auch alle Wolken zu Boden fallen. Wenn nachts die Luft abkühlte, wurde durch den Tau der Nacht alles feucht. Der schwere Dunst benetzte die Erde und Pflanzen. Durch die dichte Wolkendecke wurden die tödlichen Strahlen der Sonne gefiltert. Doch was würde sein, wenn dieser Strahlenschutz zusammenbräche? Die Erde hatte noch nie einen Regenguss erlebt. Regen, selbst das Wort, war völlig unbekannt. Aber davon wusste ich zu dieser Zeit auch noch nichts.

    Langsam ging es mir etwas besser, doch die Glieder meines Wirts beherrschte ich noch nicht gänzlich. Ich war noch von diesem Schreck geschwächt. „Wir werden das Land verlassen müssen. Holt mir die Sänfte und kommt mit nach Hause!"

    Sie verstanden nicht. Meine Söhne waren erwachsene, furchtlose Männer geworden. Sie widersprachen auch nicht, denn ich war das Oberhaupt und sie hatten gelernt mir zu vertrauen. Ich denke, ich war der Einzige, dem sie gehorchten.

    „Ja, Vater, warte noch; ich will euch allen ein Geschenk mitgeben!", rief Haleb.

    Er ging zum Schiff und kam kurz darauf mit sechs Frauen in seiner Begleitung zurück. „Das sind noch die Besten!", sagte er.

    „Wo sind die her?", fragte Sinks.

    Haleb zeigte seine weißen Zähne und streckte sich. „Am Oberlauf des Euphrat teilt sich der Fluss und es gibt dort in der Nähe eine starke Quelle. Dort blieben wir ein paar Tage, um uns diesen Kasten im Land anzusehen. Plötzlich spitzten die Hunde die Ohren, winselten leise und gaben sonst keinen Laut. Laut bellen war nicht erlaubt. Wir taten so, als hätten wir nichts bemerkt. Doch unsere Waffen hatten wir in der Hand. Als der Überfall kam, waren wir nicht überrascht.

    Mit denen, die uns überfielen, waren wir schnell fertig, doch ließ ich es dabei nicht bewenden. Meine Männer setzten den geflohenen Angreifern nach, suchten und fanden nach zwei Tagen ihren Lagerplatz, und wir nahmen uns, was zu gebrauchen war. Einige von ihnen nahmen wir mit. Die Frauen und Kinder tauschten wir später gegen Oxid und etwas Gold."Dabei gab er mir ein kleines Holzkästchen.

    Es war erstaunlich schwer. Als ich es später öffnete, schimmerten gelbe Körner in verschiedenen Größen darin. Flussgold, das wertvollste aller Materialien.

    Er schaute mich forschend an und erzählte weiter.„Den größten Teil dieser Sippe haben wir dann ungeschoren gelassen. Sie werden an ihren Feuern noch lange erzählen, wie eine wilde Horde über sie herfiel. Meinen Namen werden sie nicht vergessen und mir in Geschichten danken, dass ich sie am Leben ließ.

    Diese Weiber hier habe ich behalten, sie gefielen mir noch am besten und ich habe sie für euch mitgebracht. Heute Abend am Feuer erzähle ich euch noch ein einmaliges Ereignis."Das sagte er nicht ohne Stolz in seiner Stimme.

    Haleb war zwar verschlossen und in seinem Zorn unberechenbar, aber nie geizig. Habgier war ihm fremd. Wenn er etwas erworben hatte, konnte er es auch teilen. Er verstand es, die Menschen an sich zu binden. Was er wollte war Macht. In diesem Punkt war mit ihm nicht zu spaßen. Ihm zu widersprechen konnte gefährlich werden.

    Als Haleb seine erste Reise machte, hatte er keine Mühe Männer zu finden, die zum Oberlauf mitfuhren, obwohl es eine gefährliche Reise war. Bei seinen vielen Jagden hatte er eine Rotte Männer um sich geschart. Es waren raue, gefürchtete Kämpfer und es hatte sich an den Feuern herumgesprochen, dass mit Kannats Söhnen und seinen Männern nicht zu spaßen war, dadurch waren unser Land und unsere kleine Stadt von größeren Überfällen verschont geblieben.

    „Oh, Bruderherz, vielen Dank! Im Namen aller Freuden bedanken wir uns!" Betschep und Sinks verneigten sich lachend. Jeder von ihnen hatte schon einige Frauen. Doch Arbeit gab es genug und ihre Frauen würden sich freuen, Hilfe zu bekommen und Neues von anderen Sippen und Gebieten zu erfahren.

    „Vater! Mach du den Anfang, such dir zwei aus!", meinte Haleb.

    „Das werde ich schön bleiben lassen. Wer weiß, was unter dem Dreck hervorkommt. Lasst uns das später zu Hause entscheiden, nachdem sie gereinigt sind."

    Die Männer lachten, sie verstanden sehr gut.

    Meine Kräfte waren inzwischen zurückgekehrt, trotzdem ließ ich mich auf dem Rückweg tragen.

    Inzwischen war es warm geworden. Der Fluss brachte keine Kühlung und der leichte Wind war, wie jeden Mittag, eingeschlafen. Die Luft flimmerte ein paar Ellen über dem Boden. Wegen der Wolken und dem Dunst, der die Erde umgab, erreichten direkte Sonnenstrahlen die Erde nicht, und so war es trotz der Wärme angenehm. Das grob gewebte Tuch, das als Baldachin vor unserem Haus und dem Brunnen gespannt war, gab ein angenehmes Zwielicht.

    Normalerweise gab es zu den Mahlzeiten immer gekochten Getreidebrei. Doch heute war Haleb zurück, ein Grund für ein Festmahl. Wir saßen auf Matten um einige Holzteller, auf denen gekochtes Fleisch, Gemüse und dünne Brote lagen. In groben Tonschüsseln gab es eine fette Brühe, die mit Holzlöffeln oder direkt aus den Schüsseln getrunken wurde. Die Frauen und Kinder hatten ihren eigenen Kreis. Wer von den Kleinsten schon laufen konnte, ging dorthin, wo es ihm am besten gefiel, beziehungsweise wo es am meisten zu essen gab.

    Die Söhne waren bei ihren Müttern und die Töchter ließen sich gern von den Vätern mit ein paar Leckereien verwöhnen. Ab dem zwölften Lebensjahr schlug diese Sitte ins Gegenteil um. Die Söhne wollten schon bei den Männern essen und die Mütter verboten ihren Töchtern bei den Männern zu sitzen.

    Wir aßen in Frieden, gesprochen wurde kaum. Es wurde nicht hastig gegessen, aber doch stetig, denn die Schüsseln waren immer schnell leer.

    Ich mochte es, wenn alle zusammen waren, es gab eine Stimmung des Vertrauens, der Sicherheit und Geborgenheit und der Zusammengehörigkeit.

    Haleb wandte sich zu mir: „Vater, ich muss dir noch etwas Merkwürdiges berichten.„Eigentlich hatte ich vor, diesem Noe das Holz zu stehlen. Er hat jede Menge ausgezeichnetes, hartes Bauholz für seinen Kasten gesammelt. Schöne, bearbeitete Stämme, gesägte Bretter und Balken, die wir hier gut gebrauchen könnten. Es ist nur eine kleine Sippe, also kein Problem für uns. Es wäre

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