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Scrittura Segreta
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eBook339 Seiten4 Stunden

Scrittura Segreta

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Über dieses E-Book

Ein Mord auf dem Forum Romanum ist nur der Anfang – bald sieht sich Commissario Giacomo Casanova vom römischen Morddezernat mit mysteriösen Geheimbünden und gefährlichen Bruderschaften konfrontiert: denn es gibt Hinweise auf ein bislang unbekanntes Evangelium, das konservativen Kirchenkreisen sehr ungelegen kommt! Spannender Vatikan-Thriller um Geheimnisse aus biblischer Zeit – und heutige Glaubensfanatiker, die vor nichts zurückschrecken. "Eine historische und kriminalistische Zeitreise …" (Leser)
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum11. Okt. 2015
ISBN9783738042849
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    Buchvorschau

    Scrittura Segreta - Roman Odermatt

    Exposition

    Die christliche Religion ist aufgebaut auf einer Lüge, die Weihnachtsgeschichte nicht mehr als ein schönes Märchen. Die ersten christlichen Chronisten erfanden oder veränderten historische Ereignisse radikal; unter den argwöhnischen Augen der römischen Kaiser hatten sie keine andere Wahl. Die Passionserzählungen stellen die Juden als schuldig am Tod Jesu hin, entlasten die Römer aber von jeder Schuld. Nach der Herrschaft der römischen Kaiser errichtete auch die christliche Kirche eine Zwangsherrschaft. Gegen Ende des vierten Jahrhunderts ließ sie in Trier den ersten Ketzer hinrichten. Aus Verfolgten wurden Verfolger.

    Warum verwandelte sich eine religiöse Idee in eine andere, fast gegenteilige? Wie ist die expansive, die Welt verändernde Kraft der christlichen Kircheninstitution zu erklären? Wohl vor allem aus der Spannung zwischen Geschlechtsfeindlichkeit und Sexualgier, zwischen Seele und Körper des Menschen.

    Interessanteres als das Entstehen der christlichen Religion lässt sich meiner Meinung nach in der Geistesgeschichte schwerlich finden. Der Prozess, wie sich eine Religion aus einer anderen entwickelt und dann fast in ihr Gegenteil verkehrt, lässt sich wie in einem Fixierbad mit der verstreichenden Zeit Schicht um Schicht sichtbar machen.

    Prolog

    Rom

    40 n. Chr.

    Tausende von Menschen sehen dem blutigen Arenakampf der Gladiatoren entgegen. Im tosenden Oval des Amphitheaters steigt der mauretanische König Ptolemaeus vom Wagen, begrüßt den römischen Kaiser und nimmt neben ihm auf der Tribüne Platz. Caligula hat es sich unmittelbar über der Kampfbahn in den weichen Kissen seines Sessels bequem gemacht und den Einzug des Afrikaners betrachtet. Auch der jüdische König Herodes Agrippa hat auf der Kaisertribüne Platz genommen.

    Langsam füllen sich die Logen. Im Amphitheater gruppiert sich Rom in der strengen Gliederung seiner Klassen: Die Tribünen unmittelbar an der Arena sind die Ehrenplätze für die Senatoren, die nächsten Reihen belegt der Ritterstand, schlussendlich folgen die Plebejer und Proletarier. Die ärmsten finden sich hingegen weiter unten: in der Arena. Dort beginnen die Vorbereitungen für die Gladiatorenkämpfe. Prächtige Harnische, Arm- und Beinschienen und Flügelhelme mit Visier und Nackenschutz werden angelegt. Nur die Brust soll frei bleiben zum Empfang der tödlichen Wunden.

    Der Lärm schwillt an. Die Gladiatorenmeister gruppieren die Kämpferpaare. Als ein untersetzter Syrer gegen einen um zwei Köpfe größeren Mauren antreten soll, erhebt sich wütendes Pfeifen, sodass der Aufseher schnell die Paare neu aufstellen lässt. Die Zuschauer beschweren sich, weil sie einen ordentlichen Kampf sehen wollen. Der riesige Maure bekommt einen wegen seiner Wildheit gefürchteten Juden als Gegner.

    Die Paare teilen sich in zwei Fronten. Auf der einen Seite sammeln sich die mit Helm und Schild, mit Kurzschwert und Schienen gewappneten Kämpfer. Zu ihnen gehört auch der Maure. Auf der anderen Seite stellen sich die Gladiatoren auf, die ohne Helm und Panzer, aber mit einer dreizackigen Fischharpune kämpfen werden. Die gefährlichere Waffe des Juden ist aber das geflochtene Netz. Damit kann er seinen Gegner durch einen geschickten Wurf wehrlos machen.

    Sklaven bringen den Todgeweihten goldbestickte Tuniken, purpurne Mäntel und Pfauenfederbüsche für die Helme. Als sich die Gladiatoren geschmückt haben, gibt der Kriegstribun, dem die Leitung der Kampfspiele übertragen ist, das Zeichen zum Beginn.

    Unter dem schmetternden Klang der Hörner ziehen die Gladiatorenpaare vor die Kaisertribüne. Die Blicke der Zuschauer sind auf Caligula gerichtet. Grüßend hebt er die Hand und entlässt die Schar, die langsam die weite Bahn der Arena umrundet. Beifall des Volkes brandet von den Sitzreihen herunter.

    Die vielen Helfer in der Arena räumen nun das Feld, und die Masse verstummt.

    Vorsichtig belauern sich der Maure und der Jude, versuchen sich zu überrumpeln. Wenn der eine vorstößt, weicht der andere zurück. Kurzschwert und Dreizack krachen gegeneinander. Das Netz des Juden fliegt durch die Luft und geht fehl. Staub verdüstert die Sicht. Die Hände der Zuschauer klammern sich an die Brüstungen der Sitze. Zurufe von den Tribünen ertönen. Der Maure stößt mit dem Kurzschwert zu; eine blutige Wunde klafft in der Brust des Juden. Beifall ertönt. Der verwundete Kämpfer richtet seinen Blick auf die Zuschauer und flieht vor die Kaisertribüne. Vom Pfeifen und den Schmährufen der Zuschauer verfolgt, läuft der Jude um sein Leben. Doch seine Kräfte schwinden schnell. Unerbittlich folgt ihm der Maure mit dem Schwert; in seinen Augen funkelt hell die Mordgier.

    „Du wendest dich ab, mein Freund, sagt Caligula zu Ptolemaeus, der neben ihm sitzt. „Gefallen dir die Spiele nicht?

    „Nein, Caligula, antwortet der König und steht auf. „Mir ist dieses Morden zuwider. Ich möchte mir am liebsten die Ohren zuhalten, um das Mordgeschrei nicht zu hören. Ich kann diese verzerrten Gesichter nicht mehr sehen. Meine Seele weint. Diese Menschen sind blind in ihrem Herzen und sehen nicht. Sie sind leer in die Welt gekommen und leer suchen sie, die Welt zu verlassen. Nun aber sind sie trunken. Wenn sie nüchtern sind, werden sie bereuen.

    Caligula bricht in Gelächter aus.

    „Du hast zu lange in Ägypten und Judäa gelebt, Ptolemaeus, und siehst Rom mit den Augen der griechischen Philosophen und pharisäischen Rabbiner. Für uns Römer haben diese Spiele eine Bedeutung, die du nicht verstehst."

    Ptolemaeus hat der Arena den Rücken gekehrt. Zorn und Abscheu sind ihm ins Gesicht geschrieben.

    „Ich weiß nur, Caligula, dass an diesem Tag der Freude und des Jubels sinnlos Menschen getötet und Leid und Qualen bereitet werden. Du müsstest sehen, wie man in Ägypten und Judäa Feste feiert. Ich habe Sed-Feste in Alexandria und Pessach-Feste in Jerusalem erlebt, die mein Herz ergriffen haben."

    „Diese Spiele, entgegnet Caligula selbstgefällig und deutet auf die Arena, „gewöhnen ein Volk von Soldaten an den Anblick des Todes, an Wunden und Blut. So bereiten wir Römer uns auf den Krieg vor.

    „Es ist eine neue Zeit angebrochen, Caligula", sagt Ptolemaeus und blickt angewidert in die Arena hinunter.

    Das Gespräch wird von einem empörten Aufschrei unterbrochen. Ein Sturm der Entrüstung über die Feigheit des unglücklichen Juden rast durch das Amphitheater.

    „Maure, töte ihn! Maure, töte ihn!", brüllen die Zuschauer im weiten Rund.

    Fast vom Publikum vergessen haben die anderen Paare ihren Kampf beendet. Tote und Schwerverwundete liegen im eigenen Blut in der Arena. Die Aufmerksamkeit gilt fast ausschließlich dem Juden, der sich mit seiner Brustverletzung vor die Kaiserloge schleppt und den rechten Zeigefinger hochhält: ein Zeichen, mit dem er um Gnade fleht. Hinter ihm steht der Maure mit stolz erhobenem Schwert.

    „Herodes Agrippa, wendet sich Caligula an den jüdischen König, „bestimme du, was mit dem Juden geschehen soll!

    Herodes Agrippa erhebt sich von seinem Sitz und tritt an die Brüstung. Er kennt die Sprache der Arena: Der nach oben gereckte Daumen symbolisiert das gezückte Schwert und bedeutet Tod. Will er nicht den Zorn der Zuschauer auf sich ziehen, muss er das Todesurteil über den Juden fällen. Herodes will gerade seinen Arm ausstrecken, als Ptolemaeus ihn davon abhält. Mit gekreuzten Zeigefingern gibt er dem Mauren das Zeichen, dass er sein Schwert niederlegen soll. Dann verlässt er die Kaisertribüne und geht zu dem Juden auf die Sandbahn hinunter. Bevor dieser das Bewusstsein verliert, fängt ihn der mauretanische König auf und trägt ihn aus der Arena.

    Der Zorn der Zuschauer richtet sich nun gegen Ptolemaeus, der sie um ihren Nervenkitzel gebracht hat. Die Schmährufe begleiten den mauretanischen König bis zum Ausgang des Amphitheaters. In diesem Augenblick verlässt auch Kaiser Caligula seine Loge.

    Als Ptolemaeus mit dem Juden aus dem Tor ins Freie tritt und ihn in den Schatten eines Gehölzes legt, ist er bereits tot.

    Während die Zuschauer aus dem Amphitheater strömen, um sich lärmend und randalierend in der Stadt zu verteilen, versammeln sich einige Angehörige der jüdischen Gesandtschaften aus Alexandria und Jerusalem im gemieteten Haus von Ptolemaeus am Forum Romanum. Auch Tiberius und sein Sohn Marcus aus dem ägyptischen Alexandria befinden sich in dem Haus des mauretanischen Königs. Während dicke Mauern und die geschlossenen Läden vor den Fenstern das Geschrei der Gasse fernhalten, verbreiten Lampen und Kerzen einen erstickenden Öldunst. Zwanglos stehen griechische Ruhebetten in dem Raum, davor kleine Marmor- und Ebenholztische. Das Deckengebälk wird von Säulen aus gelbem Marmor getragen, die Legionäre aus Ägypten mitgebracht hatten.

    Die Juden liegen auf den Ruhebetten, die Arme in weiche Kissen gestützt.

    Der Mann, der die kleine Versammlung einberufen hat, der Philosoph Philon von Alexandria, geht mit großen Schritten zwischen den Ruhebetten auf und ab.

    „In Rom gibt es keine Moral mehr, schimpft er. „Kein Götterglaube hindert die Reichen und Mächtigen, sich gegen alle Gesetze des Himmels und der Erde zu vergehen. Ein wahnsinniger Kaiser steht an der Spitze dieser Gesellschaft, die ein Leben der Sünde und Sittenlosigkeit führt.

    „In den drei Jahren der Regierung Caligulas, sagt sein Bruder Tiberius mit verbitterter Miene, „hat Rom sein einst so holdes Gesicht in eine scheußliche Fratze verwandelt. In früheren Jahren war das Imperium gesittet und gut verwaltet. In allen Städten sah man Altäre, weiß gekleidete Priester, Pferde- und Wagenrennen und musische Wettkämpfe. Jetzt aber ist Rom ein Blutegel, der den Ländern und Provinzen das Blut aussaugt, um das eigene unheilige Leben zu verlängern.

    Tiberius‘ Sohn Marcus wiegt das Haupt und streckt die Hand abwehrend aus.

    „Sei vorsichtig mit derartigen Äußerungen, Vater! Die Spitzel des Kaisers sind sehr hellhörig. Aber dein Urteil ist richtig. Was soll man von einem Kaiser erwarten, der für ein einziges Gastmahl eine Million Sesterzen ausgibt? Für jede Narrheit hat Caligula Geld in Fülle. Einem Wagenlenker, der mit seinem Gespann gewann, schenkte Caligula einmal zwei Millionen Sesterzen. Das siegreiche Rennpferd wollte er im vergangenen Jahr allen Ernstes zum römischen Konsul wählen lassen. Der Gaul frisst aus vergoldeter Krippe, steht auf elfenbeinernem Rost, trägt juwelengeschmückte Purpurdecken und hat seinen eigenen Palast."

    Marcus erhebt sich von seinem Ruhebett, rauft sich die Haare und wendet sich an Philon, der in seinem Rundgang innegehalten hat: „Schau nicht so ungläubig, Philon, so ist Caligula! Nichts von dem, was ich erzähle, ist übertrieben. Caligula liebt es, Blut zu vergießen. Häufig sieht er bei Folterungen zu, bei seinen Gastmählern lässt er manchmal Sklaven verstümmeln, töten oder blenden. Dabei verfolgt er mit seltsamer Spannung die Tätigkeit des Henkers. Seinem Schwiegervater befahl er, sich selbst mit dem Rasiermesser die Kehle durchzuschneiden, weil sich der alte Mann bei einem Seesturm geweigert hatte, ein Schiff zu besteigen. Den Gardepräfekten, der ihm auf den Thron geholfen hatte, ließ er erwürgen. Um ihm nicht dankbar sein zu müssen!"

    Philon bedeckt mit den Händen sein Gesicht.

    „Das ist ja noch grässlicher, als ich ahnte, stöhnt er. „Und solch einen Mann erträgt Rom?

    „Rom ist wahnsinnig!, antwortet Marcus. „Es besteht nur noch aus dem Pöbel und ein paar anständigen Menschen, die in ständiger Furcht leben und glücklich sind, wenn man sie unbehelligt lässt. Caligula unterhält die Masse mit immer neuen Aufregungen und Sensationen. Gefährlich wird er nur seinen Höflingen, dem Volk schmeichelt er.

    Als müsse er Halt finden, umfasst Marcus mit beiden Händen eine der Säulen, wo sich das Licht der Öllampen und Kerzen auf dem gelben Marmor spiegelt.

    „Der Anlass, fährt er fort, „der euch hergeführt hat, wurde ebenfalls durch den kaiserlichen Wahnsinn verursacht. Zuerst wurde seine verstorbene Schwester vergöttlicht, dann machte er sich selbst zum Gott, und nun verlangt er, zum höchsten der Götter, zum Jupiter Latiaris, erklärt zu werden. Im Tempel des Kapitols ließ er sein eigenes Standbild aus reinem Gold aufstellen, das täglich in ein Gewand gehüllt wird. Es ist dieselbe Art und das gleiche Gewand, wie es der Kaiser an diesem Tag trägt.

    Es ist ganz still geworden in dem Raum. Die Worte Marcus‘ sind nicht ohne Eindruck geblieben. Seit er in Rom ist, hat er begonnen, die Ereignisse aufzuschreiben, daher vermag er derart überzeugend aufzutreten.

    Die Juden schauen zum Eingang hinüber, durch den Ptolemaeus den Raum betritt. Er kehrt vom Amphitheater zurück. Die Männer mustern ihn. Ptolemaeus ist vierundvierzig Jahre alt. Seine ganze Erscheinung strahlt eine wohltuende Ruhe und Gelassenheit aus.

    Eine jüdische Dienerin erscheint, kniet nieder und bietet dem König ein kupfernes Becken mit duftendem Wasser an, damit er sich vor Beginn des Essens die rechte Hand wasche, mit der die Speisen berührt werden. Eine zweite Magd bereitet ein Fußbad und sprengt duftendes Öl auf die Kissen. Doch Ptolemaeus bedeutet den beiden Frauen, dass er nichts essen wolle und auch kein Fußbad wünsche. Stattdessen setzt er sich auf ein Kissen und verschränkt wortlos die Arme vor der Brust. Er kennt die Juden, die jetzt in Rom weilen, von seinen Reisen nach Alexandria und Jerusalem.

    „Meine Freunde, sagt Philon mit ruhiger Stimme, „ihr wisst, warum wir nach Rom gekommen sind. Ihr kennt alle das Dekret des Kaisers Caligula, das uns befiehlt, eine Büste seiner selbst in allen Tempeln und Bethäusern aufzustellen und dieser Büste Opfer darzubringen.

    „Gott Caligula", höhnt sein Bruder Tiberius.

    Philon macht eine ärgerliche Handbewegung, dann fährt er fort: „Viele Völker sind dem Befehl des Kaisers widerspruchslos nachgekommen. Doch wir werden Caligulas Büste in unseren Synagogen oder gar im Tempel von Jerusalem nicht verehren!"

    „Vergiss nicht, knurrt Marcus und schlägt mit der Faust auf die Marmorsäule, „dass Gesandte der griechischen und römischen Kaufherren aus Alexandria auch hier in Rom sind. Sie werden versuchen, diese Gotteslästerung zu benutzen, um uns, ihre Konkurrenten, mit einem Schlag zu beseitigen, indem sie Caligula zu strengen Strafmaßnahmen gegen uns auffordern.

    „Ich dachte, diese Kaufherren befänden sich im Gefolge deines Freundes Herodes Agrippa?", fügt Philon trocken hinzu.

    Von draußen dringt gedämpft das Geschrei der Volksmenge ein.

    „Vor der Reise nach Rom habe ich mich oft mit meinem zukünftigen Schwiegervater Herodes Agrippa im Palast getroffen, um über die zu unternehmenden Schritte zu beraten, sagt Marcus, der seit Monaten im Gefolge Herodes in Rom weilt. „Ich kenne die Verhältnisse in Rom und am Kaiserhof und bin, nachdem ich von dem Anlass eurer Bittgesandtschaft gehört habe, bereit, euch zu helfen. Eure Empfehlungsbriefe habe ich Caligula bereits übergeben lassen.

    „Wir sind dir sehr dankbar für deine Vermittlung, Marcus, sagt Philon, der an ein Fenster getreten ist, den Laden zur Seite schiebt und auf die Gasse blickt, „aber je mehr ich von dieser Stadt und ihrem Kaiser sehe, desto weniger glaube ich an einen Erfolg unserer Mission.

    „Bist du nicht auch der Meinung, Ptolemaeus, fragt Marcus den mauretanischen König, „dass es uns angesichts dieses frevlerischen Gottwahnsinns Caligulas kaum gelingen wird, die Schändung unserer Bethäuser zu verhindern?

    „Ihr sollt nicht aufhören, einen Weg zu suchen, bis ihr ihn findet, antwortet Ptolemaeus, „und wenn ihr ihn gefunden habt, werdet ihr vielleicht erschrocken sein, wohin er euch führt.

    „Gib uns einen Rat, Ptolemaeus, bittet Philon. „Wie können wir vor dem Kaiser bestehen? Du kennst den Kaiser, er hört auf dich.

    „Ihr denkt wohl, dass ich gekommen bin, um Frieden in die Welt zu bringen. Ihr wisst nicht, dass ich gekommen bin, um Feuer, Schwert und Krieg zu bringen."

    Die Juden blicken besorgt zum geöffneten Fenster, ob kein Unberufener horche. Philon bemerkt die Blicke der Männer und zieht verlegen den Laden wieder vor das Fenster.

    „Du willst dich gegen den Kaiser erheben, Ptolemaeus?", flüstert Marcus.

    Ptolemaeus sieht ihn lange an. „Erkenne, was vor dir ist, und was dir verborgen ist, wird dir enthüllt werden. Denn es gibt nichts Verborgenes, was nicht offenbar werden wird."

    Ptolemaeus begibt sich am nächsten Tag mit den Juden aus Alexandria und Jerusalem in die weitläufigen Garten- und Bauanlagen, die das Palatinische Schloss mit dem ehemaligen Park des Maecenas verbindet. Philon hat mit Callistus, einem einflussreichen Mann am Kaiserhof, vereinbart, dass sich Caligula, Ptolemaeus und die Juden hier in den Gartenanlagen treffen.

    Jetzt warten sie bang auf Caligulas Ankunft. Die Zeit verstreicht. Sie werden ungeduldig. Schließlich schickt Ptolemaeus Tiberius an den Kaiserhof.

    Am Abend, als Ptolemaeus und die Juden in der Halle eines nahe gelegenen Prunkbaus sitzen, fragt Marcus den mauretanischen König: „Was ist das für eine Mission, die dich nach Judäa geführt hat und von der alle Welt spricht?"

    Ptolemaeus blickt schweigend in die knisternde Glut eines Feuers, das die Gestalten der Menschen in der Halle mit flackerndem Schein beleuchtet. Nach einer Pause, in der man nur das Knacken des brennenden Holzes hört, beginnt der König von Mauretanien mit seiner Erzählung, die seltsam das Herz der Zuhörer anrührt.

    „Es ist vielleicht die rechte Stunde, sagt er, „von meiner Mission in der römischen Provinz im Osten zu sprechen. Ich weiß nicht, ob von euch einer das Land Galiläa kennt. Die Landschaft ist dort freundlicher als im Süden der Provinz. In Galiläa liegt die kleine Stadt Nazareth. Hier wohnte ich einige Jahre mit meinen Eltern, die zuvor das Land Numidien als König und Königin regiert hatten, bis die Situation für beide zu gefährlich wurde und sie aus dem Land fliehen mussten. Später kehrten meine Eltern mit mir und meiner Schwester Drusilla ins Königreich Mauretanien zurück. Vor drei Jahren besuchte ich auf meinen Missionsreisen durch die römischen Provinzen auch das Land meiner Geburt, Judäa, um mich mit den jüdischen Königen und Fürsten zu treffen. Ich merkte bald, dass es heißer Boden war, auf dem ich ging.

    Ptolemaeus legt ein paar frische Scheite auf das niederbrennende Feuer, rückt fröstelnd näher an die Glut heran und fährt in seinem Bericht fort: „Es war um die Zeit, als Tiberius in Misenum starb und Caligula in Rom zum Imperator gekrönt wurde. Der neue Kaiser brachte keinen guten Ruf mit. Bald nachdem er seine Macht in Rom gefestigt hatte, begann Caligula die Juden zu provozieren, indem er den Kaiserkult gewaltsam durchzusetzen versuchte. Ich zog im Land herum und suchte das Gespräch mit den Fürsten und dem einfachen Volk. Wenn ich mit meinem Gefolge in einem Dorf oder einer Stadt ankam, sprach sich das schnell herum, und das Volk strömte aus nah und fern herbei. Es gibt viele unzufriedene Zwischenrufe im Land, allerdings sprechen die Juden nicht mit einer Stimme. Besonders die Zeloten streben einen gewaltsamen Aufstand gegen Rom an, während die Gemäßigten, die einen Ausgleich mit Rom suchen, beständig an Rückhalt verlieren. Auch mich betrachteten die jüdischen Autoritäten und die Römer in Judäa als Unruhestifter. Aber auch die mächtigen Pharisäer sahen in mir, dem Fremden in ihrem Land, den Eindringling in ihre Domäne."

    „Viele deiner Gedanken, Ptolemaeus, die du in Worte gefasst hattest, unterbricht Philon, „drangen bis nach Alexandria. Die Menschen von Judäa sehen in dir den Messias. Sie hoffen, dass du sie von der römischen Besatzungsmacht befreien wirst.

    Callistus erscheint in der Halle. Er ist umgeben von Prätorianern, die mit ohrenbetäubendem Gegröle hereinstürmen. Callistus übersieht die ehrerbietig grüßenden Juden geflissentlich und gibt den Prätorianern einen Wink, die Ausgänge zu besetzen. So jagt der ganze Schwarm wild durch die Korridore und Gemächer des Prunkbaus. In der Mitte der Halle, die mit spiegelndem Malachit gedeckt ist, bleibt Callistus plötzlich stehen. Die ihn umringenden Prätorianer bilden eine Gasse. Herodes Agrippa betritt die Halle. Er flüstert Callistus zu: „Den ich küssen werde, der ist es, den ergreift und führt ab! Aber sorgt dafür, dass ihm kein Leid geschieht."

    Herodes Agrippa hält Ausschau nach Ptolemaeus, und als er ihn am Feuer sieht, tritt er zu ihm.

    „Sei gegrüßt, Ptolemaeus!", sagt der König der Juden und küsst ihn.

    Callistus tritt ebenfalls an Ptolemaeus heran und sagt: „Da bist du also, du Gotteshasser, der die in der ganzen Welt anerkannte Göttlichkeit des Kaisers leugnet!"

    „Seid ihr gekommen, um mich wie einen Räuber gefangen zu nehmen?", fragt Ptolemaeus ruhig.

    Philon von Alexandria zwängt sich zwischen Ptolemaeus und Callistus und stammelt ein paar Worte der Rechtfertigung.

    „Hört meine Worte, ihr Juden, ruft Callistus den Versammelten zu. „Verlasst Rom, solange das Herz des göttlichen Kaisers noch milde gestimmt ist!

    Callistus gibt seinen Prätorianern einen Wink, die Ptolemaeus daraufhin in ihre Mitte nehmen und aus der Halle führen.

    Die Juden, zu Tode erschrocken, flüchten aus den Garten- und Bauanlagen. In stillem Gebet wenden sie sich an den großen Gott ihrer Väter, damit er das Herz des Imperators zu Milde und Mitleid lenke.

    Allein Marcus folgt Ptolemaeus. Als ein Prätorianer den Jüngling an seinem Gewand packt und ihn abführen will, kann Marcus fliehen, indem er den Prätorianer mit seinem zerrissenen Gewand und einem verdutzten Gesicht zurücklässt.

    Callistus steht mit Ptolemaeus und zwei Prätorianern vor der schneeweißen Vorhalle des Marcellustheaters; die wuchtigen Giebelfriese überragen die Dächer der benachbarten Gebäude. Welch ein Gegensatz zu den aufgewühlten Straßen Roms! Hier ist eine andere Welt, die unberührt scheint von der Unruhe der Stadt. Stimmen der Schauspieler hallen durch die fast menschenleeren Höfe und Säulengevierte, ungestört von der Hast des Alltags. Wie für die Ewigkeit gebaut scheinen die hohen Mauern und das schwarze Zederngebälk der kassettierten Decken.

    Durch lange Korridore, vorüber an den Theatergarderoben, führen die Römer den mauretanischen König zum Saal des Kaisers. Dort sind Regale, Täfelung und Gebälk aus duftendem Edelholz, Mosaiken glitzern am Fußboden, gelbgeäderte, polierte Säulen stützen die gewaltigen Tragbalken der bemalten und vergoldeten Decke.

    Ein griechischer Schauspieler studiert mit Caligula gerade eine Rolle ein. Der Kaiser trägt das kurze Röckchen der Balletttänzer. Seine Beine sind von unnatürlicher Länge, der Körper ist übermäßig aufgedunsen. Sein hoher Schädel ist völlig haarlos, die Augen glühen wie im Fieber. Die einst rosige Gesichtsfarbe ist durch Krankheit und ungesunde Ausschweifungen fahl und grau geworden.

    „Wen bringst du mir da?", ruft er Callistus zu.

    „Es ist Ptolemaeus, der König von Mauretanien, göttlicher Kaiser", antwortet Callistus ergeben.

    Unvermittelt bricht Caligula in Gelächter aus, tritt zu Ptolemaeus heran und legt ihm die Hand auf die Schulter. „Menschen, die mich nicht für einen Gott halten, sind im Grunde unverständig, nicht aber bösartig oder straffällig! Der Gerichtshof soll sich mit ihm befassen", befiehlt Caligula irrsinnig kichernd.

    Der Tag des Verhandlungsbeginns kommt heran. Der Gerichtshof versammelt sich im Pantheon, dem Tempel aller Götter.

    Der jüdische König Herodes Agrippa und der Hohepriester von Jerusalem lassen sich in einer Sänfte von ihrer palatinischen Villa hinabtragen, um als Zeugen am Gerichtsprozess gegen Ptolemaeus teilzunehmen.

    Vor dem Pantheon steigen die

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