Die Hexe von Großrudestedt: Frau-Geschichten
Von Hans Heinrich
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Über dieses E-Book
Die Gegenwart ist erreicht mit der Witwe, die, Kein Sommer ist hinüber, mit einem ihr Liebenswerten übereinkommt. Wie Liebende in ihrem Übermut liegen, das erfährt die Handschuhverkäuferin von einem Kunden. Höhenluft auf freier Wildbahn atmet eine junge, kühne Frau in Eschenlohe, wie vereinbart. Ihr begegnet einer, der vom Tod einer Frau auf freier Wildbahn erzählt. Tiefsinnig erwägt der professeur, ob er dem Lockruf einer vor 25 Jahren von ihm mignonne créature genannten Schülerin folgen soll. Damals hätte er sie gerne süßes Luder geheißen, heute betreibt sie ein Lokal Nähe Venusberg. Der Tag ist voll – ein Blick in die Zukunft. Kriege brechen nicht mehr aus, sie werden sorgfältig geplant, dem eigenen Land wird das gleiche Zerstörungspotential verordnet wie dem feindlichen. In Rio de Janeiro wird eine Agenturmeldung, getreu dem Thema dieser Frau-Geschichten, in ihr Gegenteil verkehrt.
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Buchvorschau
Die Hexe von Großrudestedt - Hans Heinrich
Liborius Zeck
Die Hexe von Großrudestedt
Frau-Geschichten
Ruodliebs Neffe heiratet
Die gerettete Ehre
Der traurige Jüngling
Die Hexe von Großrudestedt
Die bremische Gesina
Neun, bald zehn
So ein Erschauern
Wie Liebende in ihrem Übermut
Eschenlohe, wie vereinbart
Kein Sommer ist hinüber
Nähe Venusberg
Der Tag ist voll
Rio de Janeiro
Nachweise
Ruodliebs Neffe heiratet
Die Tochter der Schlossherrin begann, während sie mit Würfeln spielten, sich dem Neffen des Ruodlieb zuzuneigen. Beiden bereitete es Wonne, besiegt zu werden. Dreimal siegte sie über ihn, dreimal er über sie. Beider Siegerwonnen stand der Schmerz gegenüber, nicht unterlegen zu sein.
Tausend Jahre zuvor schrieb der Römer Cornelius Tacitus seine Germania. Er berichtet, dass die Einwohner Germaniens dem Würfelspiel sich hingeben als wäre es ein ernsthaftes Geschäft. Immer sind sie, gleichviel ob sie gewinnen oder verlieren, rücksichtslos gegen sich selbst, auch wenn sie nicht betrunken sind. Wenn aller Besitz vertan ist, setzen sie ihre persönliche Freiheit, ja, ihr Leben ein. Diese ihre ganze Existenz zerstörende Borniertheit heißen sie Treue, fidem vocant. Der im Spiel Unterlegene fügt sich seinem Schicksal und lässt sich, ist er auch jünger und kräftiger, widerstandslos binden. Der Sieger will den Versklavten nicht in seinem Haus haben und bietet ihn, um die Peinlichkeit des Sieges loszuwerden, auf dem Markt zum Verkauf an.
Auch die Tochter der Schlossherrin und der Neffe des Ruodlieb versklavten sich während des Würfelspiels, freilich gegenseitig, und zwar so heftig, dass sie zuletzt wünschten, sie könnten ihre Körper tauschen. Dies Verlangen blieb unerfüllt. Deshalb ging das Mädchen zur Mutter und sagte: »Keine Scham hindert mich, vor dir und aller Welt zu erklären: Noch in dieser Nacht will ich mich mit diesem Mann da in Liebe vereinigen.«
Gerne hätte die Schlossherrin eingewilligt – wäre das Verlangen ihrer Tochter schicklich gewesen. So aber musste sie sich dem Begehren widersetzen.
Sie bändigte das Mädchen bis zu dem Tag, an dem die Hochzeit gerüstet wurde.
Gerüstet aber wurde die Hochzeit im Hause des Ruodlieb, und es sprach der Gastgeber zu den Gästen: »Vor einiger Zeit begab es sich in diesem Haus, dass dies schöne Fräulein und mein Neffe während ihre Hände mit Würfeln spielten sich heiß ineinander verliebten. Seither begehren sie nach nichts anderem als durch das Gesetz der Ehe verbunden zu werden. Weil Gott es gefallen hat, euch in meinem Haus zu versammeln, frage ich: Seid ihr willens, dies Ehebündnis als Zeugen zu besiegeln?«
»Mit Freuden«, sagten die Gäste, »wollen wir dieser Sache als Zeugen beistehen und fragen ohne zu zögern: Willst du, Neffe des Ruodlieb, dieses Mädchen zur Frau nehmen?«
Der Gefragte erhob sich und sagte: »Ja. Ich will dieses Mädchen da zur Frau nehmen.«
Das Mädchen, gefragt, ob es willens sei, diesem Mann auf Lebenszeit sich zu verbinden, senkte den Kopf, schlang eine Locke, die sich aus ihrem Haarkranz gelöst hatte, um den Finger und sagte, zur Mutter sich wendend: »Ja, ich will diesen Mann. Soll ich einen im Spiel mir unterlegenen Sklaven nicht begehren? Dreimal hab ich ihn besiegt, dreimal bin ich ihm unterlegen. Er muss mich heiraten, mag er weiterhin über mich siegen oder mir unterliegen. Dienen soll er mir treu alle Tage und beharrlich alle Nächte.«
Nach dieser kessen Rede erhob sich rundum herzliches Gelächter. Die Zeugen wandten sich der Mutter zu und fragten, ob sie wider die Heirat etwas vorzubringen habe.
»Nichts«, sagte die Schlossherrin, »habe ich gegen diese Heirat vorzubringen. Frau und Mann sind sich an Macht und Reichtum gleich.«
Daraufhin entschieden die Zeugen, es habe die Zeremonie unverzüglich zu beginnen.
Ruodlieb gab das Zeichen.
Der Neffe trat hin zum granitenen Stufensockel des Hausgerichts, zog das Schwert aus der Scheide und schärfte es mit kundiger Hand von der Parierstange bis zur Spitze.
»Mit diesem Schwert«, sagte er zur Braut, »werde ich dir, gemäß altem Brauch, den Kopf vom Körper schlagen, wenn du diesen Ehepakt verletzt.«
Er zog den Ring vom Schwertgriff, fasste die Hand der Braut, zwängte den Ring über den Finger und sprach die üblichen Worte: »Wie dieses Gold den Finger deiner Hand umschließt, so schließt dich an mich unverbrüchliche Treue, die du niemals verletzen darfst.«
Die Braut hob den Arm, als wolle sie jetzt mit dem Treueschwur das Gebot des Mannes bekräftigen. Sie aber spreizte die Hand, drehte sie über den Köpfen langsam hin und her und wies den umstehenden Zeugen den Ring.
»Ist es nicht allgemeiner Brauch«, sagte sie, »dass Braut und Bräutigam einverständlich den einen und gleichen Vertrag schließen und sich dem einen und gleichen Urteil unterwerfen?«
»Ja«, sagten die Zeugen, »das ist seit langem allgemeiner Brauch.«
»Nun denn«, sagte die Braut, ging hin zu dem Stufensockel, zog das Schwert aus der Scheide, prüfte mit dem Daumen der Ringhand die Schärfe von der Spitze bis hinauf zur Parierstange, schob das Schwert zurück in die Scheide und lächelte.
Nach einer Weile wandte sie sich dem Bräutigam zu.
»Dich, du Lieber, frage ich. Denn du weißt vielleicht eine Antwort. Ich frage dich, warum die Frau dem Mann eine andere Treue schuldet als der Mann der Frau. Weiter frage ich dich, ob dem Urvater Adam in Gottes Garten Eden erlaubt war, neben seiner lieben Frau Eva eine zweite Frau sich zu halten. Vielleicht hast du von schriftgelehrten Männern Erkundigungen eingezogen und gehört, dass dem Mann zwei Frauen zugestanden werden. Die erste ist die mit dem Goldring am Finger. Sie hat bei Strafe des bitteren Todes beharrlich und treu zu dienen. Die zweite ist seine muntere Lustgefährtin. Ich frage, ob du solches gehört oder gar gelesen hast. Oder weder gehört noch gelesen hast? Das frage ich dich und wir alle sehen dich schweigend. Also frage ich weiter. Warum soll dieses Schwert, das du meinetwegen geschärft und vor Zeugen geprüft hast, nur mein Leben beenden dürfen? Warum musst nicht auch du, wenn du den Ehepakt brichst, den schmerzlichen Tod erleiden? Du kennst keine Antwort und ich erkläre vor den hier versammelten Zeugen: Nein, Neffe des Ruodlieb. Auf diesen Ehepakt lasse ich mich nicht ein. Lebe wohl.«
Zu den Zeugen sagte sie: »Es leben viele Männer auf dieser schönen Welt. Mit jedem vermähl ich mich lieber als mit diesem Bornierten da, der seiner Braut den Tod androht.«
Sie zog den Ring ab, legte ihn auf den Sockel des Hausgerichts, ging hin zur Mutter, umarmte sie, küsste ihr die Tränen von den Wangen und versuchte mit aller Kraft, sie aus dem Saal hinauszudrängen, hinauszuziehen.
Die Zeugen schwiegen.
Ruodlieb blickte auf das Flechtwerk der steinernen Platten ihm zu Füßen.
Der Neffe, nach einer Weile, hob beide Arme, als sei er bereit, den Treueid zweifach zu schwören. Er ging hin zur Braut, kniete sich ihr zu Füßen, senkte den Nacken und sagte: »Wenn ich jemals auf eine muntere Lustgefährtin mich einlasse, sollst auch du das Recht beanspruchen, mir den Kopf abzuschlagen, ohne eine Strafe oder einen Nachteil befürchten zu müssen.«
Er nahm die Hände des Mädchens, küsste sie, stand auf, hob die Schwurhand und sagte: »Dies ist öffentlich kundgetan und feierlich geschworen vor den Zeugen zu dieser Stunde hier im Hause meines Onkels Ruodlieb. Amen.«
Das Mädchen lächelte, löste sich von der Mutter, schob