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Mythos Kaschmir: Vom Paradies der Mogulen zum Konfliktherd Südasiens
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Mythos Kaschmir: Vom Paradies der Mogulen zum Konfliktherd Südasiens
eBook355 Seiten3 Stunden

Mythos Kaschmir: Vom Paradies der Mogulen zum Konfliktherd Südasiens

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Über dieses E-Book

"Wenn es ein Paradies gibt, dann ist es hier", rief einst der Mogulherrscher Jehangir (1509 - 1627) beim ersten Anblick des Kaschmir-Tals in Verzückung aus. Über die Jahrhunderte etablierte sich ein Mythos um das kleine Kaschmir-Tal, der dieses Fleckchen Erde mit dem Garten Eden gleichsetzte. Ein fast verborgenes Paradies voll Mystizismus und Exotik, das Abenteurer, Missionare und machthungrige Herrscher gleichermaßen anzog.

Waren es vor Jahrhunderten die königlichen Herrscher selbst, welche Kaschmir durch ihre Bewunderung für das kleine Fleckchen Land adelten, so stellt sich das Kaschmir-Tal heute als eine Region dar, deren Natur und Kultur voll paradiesischer Potentiale steckt, die jedoch unglücklicherweise gegen abgründiges Handeln eingetauscht wurden. Seit mehr als 65 Jahren streiten sich die beiden Staaten Indien und Pakistan um dieses Stückchen Erde. Fast ebenso lange streben die Menschen in der Region nach politischer Unabhängigkeit. Von 1989 bis 2006 tobte im Kaschmir-Tal ein blutiger Bürgerkrieg, der die Gesellschaft spaltete; Akte von Gewalt, Rache und Verzweiflung, die zehntausende von Menschenleben gekostet haben und bei denen noch kein Ende abzusehen ist, prägen den Alltag - allen Regierungsverlautbarungen von Frieden und Wohlstand in Kaschmir zum Trotz.

Die beiden Autoren und Ethnologen, Oliver Uhrig und Vera Kudlinski haben das Kaschmir-Tal im Laufe der vergangenen 20 Jahre immer wieder besucht und insgesamt zwei Jahre dort gelebt. Während dieser Zeit haben sie das Leben, das Leiden und das Hoffen der Menschen in der konfliktgeplagten Region Nordindiens miterlebt und dokumentiert. Ihre Beobachtungen finden sich in diesem Band wieder, und sie geben Anlass zur Besorgnis. Zahlreiche Farbfotografien, historische Dokumente und erläuternde Grafiken visualisieren und unterstreichen nachdrücklich die Erkenntnisse der Autoren.
Ein zeitgemäßer Beitrag zur Kulturgeschichte Indiens.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum30. Sept. 2014
ISBN9783737510004
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    Buchvorschau

    Mythos Kaschmir - Oliver Uhrig

    Vorwort

    Als wir im Jahr 1995 zum ersten Mal gemeinsam nach Kaschmir reisten, waren wir noch Studenten der Ethnologie und befanden uns in der Vorbereitung zu unseren Magister-Arbeiten. Unvorhergesehene Umstände führten uns nach Srinagar, der Hauptstadt des Kaschmir-Tals, wo wir von der Zwiespältigkeit unserer Wahrnehmungen frappiert waren. Wie war es möglich, dass in solch einer lieblichen Umgebung derart unerfreuliche Lebensumstände herrschten? Allenthalben waren Bombenexplosionen oder das Knattern von Gewehrsalven zu vernehmen. Der Blick vom Hausboot verhieß Ruhe und Frieden; ein Besuch in der Altstadt offenbarte Hass und Gewalt - inmitten einer jahrhundertealten Kulisse, die jedem Touristen das Herz höher schlagen lässt. Was ging hier vor sich? Hatten die Menschen in Kaschmir nicht allen Grund, zufrieden und glücklich ihren Geschäften nachzugehen? Immer noch kamen zu jener Zeit westliche Touristen nach Kaschmir; die fünf Europäer, die wenig später ermordet werden sollten, darunter auch ein Deutscher, waren zu diesem Zeitpunkt noch frei und genossen das vermeintliche „Paradies Kaschmir".

    Unsere Erlebnisse warfen mehr Fragen auf, als wir in kurzer Zeit beantworten konnten. Wir suchten Abhilfe in diversen Buchhandlungen Srinagars und daheim, in der Fachbibliothek des Südasien-Instituts der Universität Heidelberg. Schnell wurde klar, dass das Informationsangebot zum Thema „Kaschmir recht eingeschränkt war. Wissenschaftliche Werke befassten sich mehrheitlich mit historischen Perspektiven des Konflikts und traditionellen Lebensformen der Kaschmiris. Erst allmählich hielt der aktuelle - gewaltsam ausgetragene - „Kaschmir-Konflikt Einzug in die wissenschaftliche Literatur. Ein Anfang; visuelle Eindrücke waren jedoch von diesen Publikationen nicht zu erwarten. Die Informationen blieben größtenteils akademisch abstrakt. Auf der anderen Seite beließen es die wenigen „populären Buchveröffentlichungen über Kaschmir meist bei mehr oder weniger „paradiesischen Fotos, oder aber sie kamen in Form individueller Reiseberichte daher. Letztere häufig mit kulturellen Vorurteilen und Halbwissen gespickt. Zwei Ausnahmen, die auch Einfluss auf die Idee zu diesem Buch haben, sind der hervorragende Fotoband „Kashmir von Raghubir Singh sowie die bereits im 19. Jahrhundert verlegte Monografie „The Valley of Kashmir des britischen Kolonialbeamten Walter Lawrence. Wenn es gelänge, ein Buch über das Kaschmir-Tal zu schreiben, welches die Vorzüge dieser beiden Publikationen in sich vereint, so unsere Überlegungen in der Folge, hätte der Leser eine Informationsquelle, die unterschiedliche Ebenen dieser Kultur und ihre publizistische Darstellung miteinander verknüpft. Visuelle Eindrücke, Fotografien in Verbindung mit Geschichten, Beobachtungen und Fakten. Informationen, welche die Leser zunächst über das Auge erreichen, um das optisch Wahrgenommene in Verbindung mit korrespondierenden Artikeln in einen tieferen, kulturrelevanten Zusammenhang zu stellen. Die Idee zu diesem Band war geboren. Für die Umsetzung dieses Projektes wurden jedoch zunächst wissenschaftliche Forschung und zahlreiche Reisen nach Kaschmir notwendig.

    Erst die langjährige Interaktion mit Kaschmiris, Indern und Deutschen, Wissenschaftlern und Privatpersonen sowohl in Kaschmir als auch in Indien und Deutschland machte dieses Buch überhaupt erst möglich. Der vorliegende Band ist keine ethnologisch-wissenschaftliche Monografie, aber ein Buch, dessen Schlussfolgerungen auf ethnologischen Erkenntnissen und deren Interpretationen beruhen. Es ist kein Buch, das den Anspruch hat, alle relevanten Fragen der Geschichte, der Kultur und des Konflikts im Kaschmir-Tal erschöpfend zu behandeln. Vielmehr ist es unser Bestreben, in exemplarischer Form gewisse Bereiche der Geschichte, des Lebens und des Leidens zu beleuchten, die nach unserer Auffassung zum gesellschaftlichen Selbstverständnis vieler Menschen in Kaschmir beitragen. Daher haben wir uns bemüht, wo möglich, die Sichtweisen der Bewohner Kaschmirs einzunehmen, die auch deren Widersprüche, Vorurteile und gesellschaftliche Polyphonie beinhalten. Wichtig war uns hierbei weniger stringente Wissenschaftlichkeit als vielmehr die Verständlichkeit der entsprechenden Fakten, Meinungen und Handlungen in und über diese Region. Ist im Verlauf dieses Bandes von „Kaschmir die Rede, so beziehen wir uns dabei ausschließlich auf das indisch verwaltete „Kaschmir-Tal, denn es ist diese Region, welche in der Regel sowohl mit dem Paradies per se als auch mit dem Konflikt zwischen Indien und Pakistan assoziiert wird. Dieses Buch soll den Leser ermutigen, sich auf eine spannende Kulturreise zu begeben. Eine Begegnung, die ihn mit eigenen touristischen Träumen, aber auch mit kulturellen Vorbehalten konfrontiert. Eine Konfrontation, die letztlich den Schlüssel bietet für verantwortliches und erlebnisintensives Reisen, differenzierte Wahrnehmung des „Fremden" und kritisches Hinterfragen des eigenen Handelns. Wir hoffen, dem Leser einen Ansatzpunkt zu bieten, von dem ausgehend er eigene Nachforschungen und Überlegungen zur Gesellschaft und dem Konflikt anstellen kann. Dies scheint uns wichtig, da der vorliegende Band unserem kulturellen Verständnis als Europäer, Wissenschaftler und Reisende entspringt.

    Obwohl wir versucht haben, unsere persönlichen Eindrücke in ausgewogener Form wiederzugeben, ist uns durchaus bewusst, dass es keine absolute Objektivität geben kann. Zu vielfältig und vielschichtig sind die Meinungen, Überzeugungen und „Wahrheiten, die das Leben und den Konflikt dieser Region reflektieren. „Wahrheit, davon sind wir überzeugt, spiegelt immer die Lebenswirklichkeit desjenigen wider, der sie ausspricht. Wir glauben, dass es mitunter wichtig ist, auch unbequeme „Wahrheiten offen auszusprechen, und sei es um den Preis der politischen Incorrectness. Dass es für unsere Ausführungen und Interpretationen nicht nur Zustimmung geben wird, ist uns durchaus bewusst. Das gilt insbesondere für den Bereich dieses Buches, der sich mit dem gewaltsam ausgetragenen „Kaschmir-Konflikt befasst. Wir legen jedoch Wert auf die Feststellung, dass es nicht in unserer Absicht liegt, eine der an diesem Konflikt beteiligten Parteien persönlich anzugreifen, wenngleich einige ihrer Verhaltens- und Verfahrensweisen kritisch kommentiert werden müssen. Vielmehr betrachten wir auch die publizistische Form des Diskurses als konstruktiven Ansatz zur Lösung eines spezifischen Problems – nicht nur in Kaschmir. Es ist daher nicht unser Anspruch, die eine, unumstößliche „Wahrheit zu präsentieren. Vielmehr möchten wir gerne dem Leser den Teil davon zeigen, welchen wir während unserer Aufenthalte in Kaschmir wahrgenommen, erlebt und mit Einheimischen erörtert haben. Wir möchten Denkanstöße geben. Denn am Ende ist eines sicher: Die „Wahrheit hat viele Gesichter. Heidelberg, im März 2014

    Einleitung

    „Wenn es ein Paradies gibt, dann ist es hier, soll der Mogulherrscher Jehangir (1509 - 1627) beim ersten Anblick des Kaschmir-Tals verzückt ausgerufen haben. Im 19. Jahrhundert etablierte sich der Begriff des „Happy Valley, basierend auf den Erfahrungen von zur Zwangsarbeit in Baltistan (heutiges Pakistan) rekrutierter Kaschmiris, die sich in der Regel tatsächlich glücklich schätzen konnten, wenn sie „ihr Tal lebend wieder sahen. Auch die kolonialen Herrscher aus England hatten Grund zur Freude, wenn sie an Kaschmir dachten. Das kleine Königtum im westlichen Himalaja bot ihnen eine Gelegenheit, der flirrenden Sommerhitze des indischen Subkontinents zu entgehen und stattdessen ihre Zeit mit jagen, fischen und süßem Nichtstun zu verbringen. So etablierte sich über die Jahrhunderte ein Mythos um das kleine Kaschmir-Tal, der dieses Fleckchen Erde mit dem Garten Eden gleichsetzt. Ein fast verborgenes Paradies voll Mystizismus und Exotik, das Abenteurer, Missionare und machthungrige Herrscher gleichermaßen anzog. An einem Knotenpunkt des historischen Handelsnetzes „Seidenstraße gelegen, trafen hier zentralasiatische, südasiatische und persische Kulturen aufeinander und formten eine Gesellschaft, auf die sich die jeweils eigenen Vorstellungen der Besucher vom Paradies scheint’s trefflich übertragen ließen. Sowohl frühen westlichen Reisenden als auch den späteren Kolonialherren aus Großbritannien erschienen die Bewohner dieses „Paradieses verweichlicht, naiv und verschlagen (Rau, 1996). Meist traten die Bewohner des Kaschmir-Tals in entsprechenden Beschreibungen jedoch höchstens als schmückendes Beiwerk auf, das bestenfalls den Eindruck des Exotischen und Geheimnisvollen vervollständigte. Ihre Lebensweisen, Nöte und Vorstellungen waren den meisten Besuchern fremd und wohl auch gleichgültig. In ihnen manifestierten sich damit westliche Vorstellungen einer paradiesischen Region, die voller Verheißung, aber auch voller Geheimnisse und Gefahren steckt. Heutzutage werden unsere Einschätzungen in Bezug auf Kaschmir von gegensätzlichen Wahrnehmungen getragen. Die viel beschworene Multireligiosität und Toleranz der kaschmiri Gesellschaft scheint unwiederbringlich verloren zu sein. Das so genannte Naturparadies eignet sich bestenfalls noch als Kontrapunkt zu den momentanen Geschehnissen im Kaschmir-Tal, die nicht von Brüderlichkeit, sondern vielmehr von Hass und Gewalt getragen sind. Nachdem im Jahr 1995 mehrere Ausländer verschleppt und getötet wurden, verkam das ehemalige Touristenparadies mit seinen pittoresken Hausbooten und spektakulären Trekking-Routen für europäische Besucher zu einer Art „No-Go-Area. Mehrere Reiseführer warnen auch heute noch explizit vor einem Besuch. Seit dem zweiten Drittel der 1990er Jahre gibt es verstärkt Hinweise auf dieAnwesenheit afghanischer Kämpfer in Kaschmir, die den seit 1989 gewaltsam ausgetragenen Widerstand gegen indische Soldaten um eine importierte kulturelle Variante bereicherten - Selbstmordattentate, die zwischenzeitlich verstärkt auch von einheimischen Jugendlichen durchgeführt wurden. Ebenso legen die Aktivitäten islamistischer Gruppen aus Pakistan und arabischen Ländern, die sich seit Jahren in der Region tummeln, eine Verbindung zum „virtuellen" Netzwerk Al-Qaida nahe. Dessen ungeachtet gelingt es der indischen und pakistanischen Regierung weiterhin nicht, den nun schon 60 Jahre andauernden Konflikt um die politische Zugehörigkeit Kaschmirs im Einvernehmen aller drei beteiligten Parteien (Indien, Pakistan und Kaschmir) beizulegen. Mit Hilfe des Militärs versuchen die beiden südasiatischen Atommächte, ihren Einfluss auf die geteilte Region aufrecht zu erhalten, während im Kaschmir-Tal selbst die Menschen auf eine direkte Beteiligung an der Suche nach einer friedlichen Lösung des Konflikts warten - und auf Gerechtigkeit für die vielen Toten.

    Viele Chancen wurden auf indischer Seite vertan, um die Herzen der Menschen zu gewinnen. So bleiben auch bis ins aktuelle Jahr 2013 die meisten der mutmaßlich von Armee, Sondereinheiten oder Polizei verübten Menschenrechtsverletzungen weiterhin ungesühnt. Auch wurde es versäumt, den Vertrauensvorschuss, den die kriegsmüden Kaschmiris ihren Politikern in Form von Wahlteilnahmen, im Jahre 2008, gewährten, in politische Handlung zu transformieren. Ein runder Tisch, der staatliche Vertreter – auch der Sicherheitskräfte, die unbestreitbar für viele Tote verantwortlich zeichnen - Gewaltopfer, Widerstandsgruppen und Moderatoren ins Gespräch bringt, existiert bis heute nicht einmal ansatzweise. Die Aufarbeitung des Geschehenen wird von staatlicher Seite versucht auszusitzen. Stattdessen baut man auf touristische Infrastrukturen, welche als schöne Kulisse vor den hässlichen Hintergrund von Gewalt und Ungerechtigkeitserfahrungen geschoben werden. So stellt sich das Kaschmir-Tal als eine Region dar, deren Natur und Kultur voll paradiesischer Potentiale steckt, die jedoch unglücklicherweise gegen abgründiges Handeln eingetauscht wurden. Akte von Gewalt, Rache und Verzweiflung, die bereits zehntausende von Menschenleben gekostet haben und bei denen noch kein Ende abzusehen ist, prägen den Alltag - allen Regierungsverlautbarungen von Frieden und Wohlstand in Kaschmir zum Trotz. Am Beispiel dieses Konfliktes lässt sich in exemplarischer Form die Vielschichtigkeit, Langlebigkeit und Wandlungsfähigkeit bürgerkriegsartiger, innerstaatlicher Konflikte studieren. Die Lehren daraus ist man freilich nicht bereit zu ziehen. Die Bezeichnung „Kaschmir" ist ein wenig verwirrend. Da ist zunächst das historische Königtum Kaschmir, dessen politische Grenzen sich im Lauf der Jahrhunderte immer wieder veränderten. Wir beziehen uns hier auf die Gebiete, die im Vertrag von Amritsar (1846) als zum Königtum gehörend benannt wurden. Dieser Vertrag hatte bis zur Teilung Indiens (1947) Gültigkeit. Das damalige Königreich grenzte im Nordwesten an Afghanistan, im Norden an China und im Osten an Tibet. Pakistan existierte zu jener Zeit noch nicht, und so lag im Westen und Süden des Landes Britisch-Indien. Natürliche Grenzen bildeten das Karakorum-Gebirge im Norden, der Hindukusch im Nordwesten, das Pir Panjal-Gebirge und das Siwalik-Gebirge im Süden bzw. Südwesten sowie das Himalaja-Gebirge im Südosten und die Ost-Ladakh-Gebirgskette im Osten. Das Territorium des Maharajas umfasste die Regionen Gilgit, Baltistan, Aksai Chin, Ladakh, Zanskar, Jammu, das Kaschmir-Tal sowie einen schmalen Streifen westlich des Kaschmir-Tals, der heute unter dem Namen Azad Kaschmir bekannt ist.

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    Grafik: Der Bundesstaat Jammu, Kaschmir und Ladakh, im geografischen Kontext Indiens

    Der heutige indische Bundesstaat „Jammu, Kaschmir und Ladakh" (J&K) ist nach der Teilung Indiens und dem daraus folgenden Zerfall des Königreichs Kaschmir aus dem Territorium des einstigen Herrschergebiets hervorgegangen. Während die Gebiete Gilgit, Baltistan und Azad Kaschmir heute zu Pakistan gehören (wobei sich Indien und Pakistan um Azad Kaschmir und Baltistan streiten), und China im Jahr 1961 die Region Aksai Chin besetzte, wurden die verbleibenden Regionen zu dem neuen Bundesstaat zusammengefasst. Kulturell und religiös lässt sich dieser in drei unterschiedliche Regionen einteilen: Das ist erstens die Region Jammu mit der Winterhauptstadt des Staates in der Stadt Jammu. Dort liegt die Heimat der Dogras, des hinduistischen Herrschergeschlechts Kaschmirs im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Dieses Gebiet wird hauptsächlich von Hindus bewohnt. Die zweite Region ist Ladakh, zu der auch das Zanskar-Tal zu rechnen ist. Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Buddhisten, wobei aber auch Muslime in Ladakh leben. Schließlich umfasst die dritte Region das kleine Kaschmir-Tal. Dort befindet sich die Sommerhauptstadt des Staates: Srinagar. Die überwiegende Anzahl der Bewohner ist muslimisch (über 90 Prozent). Dieses Gebiet wird traditionell aber auch von kaschmiri Hindus bewohnt. Das hat im Laufe der letzten 80 Jahre zu einem Streit zwischen Hindus und Muslimen über die kulturelle Identität der Bewohner des Kaschmir-Tals geführt. Dieser Streit findet seine politische Fortsetzung im so genannten Kaschmir-Konflikt. Ein verbindendes Element existiert freilich zwischen den unterschiedlichen Religionsgruppen im Kaschmir-Tal. Es handelt sich dabei um die Regionalsprache Kaschmiri, die nur hier gesprochen wird, während die übrigen Regionen des Bundesstaates ihre eigenen Sprachen und Dialekte besitzen.

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    Karte: Jammu, Kaschmir und Ladakh

    Ist in Indien von „Kaschmir die Rede, so bezieht man sich dabei allgemein auf das Kaschmir-Tal. Die anderen - kulturell eigenständigen - Regionen des Bundesstaates werden mit ihren eigenen Namen (Jammu, Ladakh etc.) benannt. Spricht man vom politischen Staat „Jammu, Kaschmir und Ladakh, bezeichnet man diesen kurz und knapp als J.K. (engl. Jay Kay). Sofern nichts anderes ausdrücklich benannt wird, handelt dieses Buch ausschließlich vom indisch verwalteten Kaschmir-Tal, wobei wir uns den Begriff „Kaschmir" in gleichbedeutender Weise zu eigen gemacht haben.

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    Karte: Das Umland der Stadt Srinagar

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    Foto: Die Altstadt von Srinagar

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    Foto: Einfache Transportboote, wie sie auch heute noch in Gebrauch sind.

    1.1. Wie Brahma den Wasserdämon Jalobhava tötete

    Mythos und Fakten über die Entstehung des Kaschmir-Tals

    Der Mythos

    Am Anfang war in Kaschmir das Wasser, und in ihm lebten eine Vielzahl von Dämonen und übel wollenden Geistern, die Göttern, heiligen Männern und Menschen gleichermaßen das Leben schwer machten. Einer der Mythen über Die Entstehung des Kaschmir-Tals bezeichnet den einstigen Riesensee, der das Tal| ausfüllte, als Satisaras (Puri 1997, S. 3). An dieser Stelle nahm Shakti die Form eines Sees an. Shakti, manchmal auch Sati genannt, ist eine hinduistische Muttergottheit, der unterschiedliche Aspekte wie göttliche Kraft, weibliche Hingabe, Reproduktionsfähigkeit, Kreativität und Zerstörung zugeschrieben werden. Kashyapa, ein Enkel Brahmas, Seher und Vater der Nagas (Nagas sind mythische Schlangenwesen aus der buddhistischen und hinduistischen Frühgeschichte des Kaschmir-Tals, die auch heute noch von Hindus in der Region verehrt werden. Nagas/Nags werden häufig mit Wasser assoziiert. Daher sind sie in der Überzeugung der Gläubigen insbesondere an Quellen, Grotten und unterirdischen Daseinswelten präsent. Zahlreiche Ortsnamen, wie z.B. Sheshnag, Verinag, Kokernag, verweisen auf den Bezug zu ihnen. Daneben erscheinen diese Wesen freilich auch als Stammesgesellschaft aus der Frühzeit der Besiedelung im Kaschmir-Tal. Auch in anderen Regionen des indischen Subkontinents existieren noch „Naga-Gesellschaften, wie beispielsweise in Nagaland.), erfuhr auf einer Pilgerreise, dass „das Land im Nordwesten (Kaschmir) von einem mächtigen Raksha (ein Dämon) und seinen Gesellen heimgesucht wurde. Der Name des Dämons war Jalobhava, der Wassergeborene. Er und die anderen Dämonen lebten im See Satisaras und machten eine Besiedelung des Kaschmir-Tals unmöglich.

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    Foto: Wasser, nichts als Wasser.

    Um Jalobhava und seine Helfer unschädlich zu machen, unterzog sich der Seher einer starken Askese, aufgrund derer ihm die Gottheiten Brahma, Vishnu und Shiva zu Hilfe eilten. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass dies nicht so einfach war wie gedacht. Auch der Donnergott Indra hatte bereits vergeblich versucht, des Wasserdämons Herr zu werden, war jedoch gescheitert. Vishnu nahm die Gestalt eines Bären (Vahara) an und zerstörte die das Kaschmir-Tal umgebenden Berge bei der Stadt Vaharamula, die an der Stelle des heutigen Baramulla lag (Puri 1997, S. 3). Das Resultat dieser Zerstörung war so nachhaltig wie unerfreulich für den Dämon Jalobhava und seine Helfer. Das Wasser des Satisaras lief nämlich ab, und das Kaschmir-Tal kam nach und nach zum Vorschein. Noch gab sich der Dämon aber nicht geschlagen. An der Stelle des heutigen Srinagar, der Hauptstadt des Kaschmir-Tals, versteckte sich der Wasserdämon im Schlamm des niedrigen Überbleibsels des Sees und hielt seine Verfolger zum Narren. Andere Autoren, wie zum Beispiel Morris, verorten diesen Platz im heutigen Wular-See, der im Norden des Kaschmir-Tals liegt. Am Ende jedoch wurde der Dämon ausfindig gemacht und getötet. Nach dem Tod ihres Meisters verloren die übrigen Dämonen den Mut, und die Belästigungen gegenüber Göttern und Menschen hörten größtenteils auf. Nach und nach konnte das Kaschmir-Tal während der Sommermonate besiedelt werden. Die Winter jedoch gehörten immer noch den Dämonen, da die frühen Siedler während dieser Periode in wärmere Gegenden abwanderten. Das ging so lange, bis eines Winters ein alter Brahmane im Tal blieb. Er wurde von den übriggebliebenen Dämonen gepackt, in den kleinen Rest-See geworfen und schließlich vor den König der Schlangen (Nila Naga), der der Sohn des

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