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Das Leben ist kein Wünsch-Dir-Was: Epochen Erzählungen Erinnerungen
Das Leben ist kein Wünsch-Dir-Was: Epochen Erzählungen Erinnerungen
Das Leben ist kein Wünsch-Dir-Was: Epochen Erzählungen Erinnerungen
eBook545 Seiten7 Stunden

Das Leben ist kein Wünsch-Dir-Was: Epochen Erzählungen Erinnerungen

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Über dieses E-Book

Man muss die Vergangenheit kennen, um die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten zu können.
Doch was ist Vergangenheit, ist Geschichte?
Formal eine Autobiographie, ist das Buch eine andere Art der Geschichtsschreibung. Dazu ein bekannter Germanist:
Eine Familiengeschichte kann zu erkennen geben, in welcher Weise die großen Geschehnisse auf ein einzelnes Leben eingewirkt haben, wie sich politische, gesellschaftliche, Vorgänge dort widerspiegeln.
Neben den eigenen Erinnerungen greift der Autor auf Er-zählungen früherer Epochen zurück, sowie auf kritische Literatur und er lässt Zeitzeugen zu Wort kommen. Damit passt er sich nicht der korrekten Sichtweise an. Sein Credo:
Ich versuche, aus der Sicht meiner Vorfahren zu erzählen, das bin ich ihnen schuldig, das gebietet mir die Achtung vor ihrer Würde.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum30. Jan. 2024
ISBN9783758341021
Das Leben ist kein Wünsch-Dir-Was: Epochen Erzählungen Erinnerungen
Autor

Jürgen Bussiek

Der Autor wurde 1933 in einer unruhigen Zeit geboren. Seine Eltern bauten einen Betrieb zu einem beachteten mittelständischen Bekleidungsunternehmen auf. Mit Mühe brachten sie den Betrieb durch die Kriegs- und Nachkriegszeit. Dem Junior war vorbestimmt, das Unternehmen zu übernehmen. Doch die wirtschaftliche Entwicklung machte das Überleben eines Betriebs mittlerer Größe unmöglich, das Unternehmen wurde verkauft. Für den Junior hieß das, kompletter beruflicher Neuanfang. Der gelang an einer FH. Auch machte er einen Abstecher in die Kommunalpolitik. Nach seiner Pensionierung betätigte er sich als Buchautor und Journalist.

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    Buchvorschau

    Das Leben ist kein Wünsch-Dir-Was - Jürgen Bussiek

    Am Abend wird man klug

    für den vergangenen Tag,

    doch niemals klug genug

    für den der kommen mag.

    Friedrich Rückert

    Inhaltsverzeichnis

    Ein ganz persönliches Vorwort

    Alte Zeiten

    Sachsenland

    Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation

    Reformation

    Preußen

    Franzosenherrschaft

    Bismarck

    Alltag im Kaiserreich

    Europas Selbstvernichtung

    Weimarer Republik

    Wunder und Warnung

    Im Blickpunkt der Welt

    Freude und Fragen

    Beginn der Katastrophe

    Weltkrieg

    Zusammenbruch

    Hurra wir leben noch

    Leben in Trizonesien

    Die neue Freiheit

    Päda-Zeit

    Burschenherrlichkeit

    Wette verloren, Glück gewonnen

    Neue Zeiten

    Ausbruch, Umbruch, Einbruch

    Unruhiges Deutschland

    Politik ein garstig Lied

    Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben

    Starke Ossis, Jammer-Wessis

    Schwarzer Riese, Die Patin

    Berliner Republik und Weltenbummler

    Die Ruhe und der Sturm

    Alt oder weise

    Ein ganz persönliches Vorwort.

    Ein leichter Wind weht durch das Tal zu meinen Füßen. Ich blicke vom Südhang des Wiehengebirges hinab auf Wiesen und Felder, mit alten Gehöften, umsäumt von hohen Eichen. Mitten im Tal schlängelt sich der kleine Fluss Else, und dort liegt meine Heimatstadt Bünde. Nicht mehr erkennbar aber zu erahnen liegt weiter südlich der Teutoburger Wald, früher einmal Osning geheißen, auch nicht viel höher als der kleine Höhenzug des Wiehengebirges. Nach Westen geht mein Blick und verliert sich im Dunst des Abendlichtes, wo sich die beiden Höhenzüge vereinen. Im Osten wird dieses friedliche Tal begrenzt durch den großen Weserbogen, ehe die Weser durch die Porta Westfalica nach Norden in die norddeutsche Tiefebene zur Nordsee strömt. Ein liebliches Stück Heimat, das Ravensberger Land.

    Ich sitze an einem Platz, an dem laut Erinnerungstafel schon ein berühmter Sohn Deutschlands gesessen hat. Rainer Maria Rilke weilte 1917 einige Monate als Gast von Hertha Koenig auf dem nahe gelegenen Gut Böckel. Seine „Jahresringe des Lebens" treffen meine Gedanken, da nun ich hier sitze:

    „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,

    die sich über die Dinge ziehn.

    Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,

    aber versuchen will ich ihn."

    Wenn dieses Buch das Licht der Welt erblickt hat, habe ich den 90ten Lebensring vollbracht. Mit diesen Zeilen habe ich Rückschau gehalten auf mein Leben: woher komme ich? Was hat mich geprägt? Was habe ich weiterzugeben?

    Ich könnte auch sagen: „90 Jahre, bin ich alt oder weise".

    Bei einbrechender Dämmerung sehe ich die ersten Sterne.

    „Heimat deine Sterne, sie strahlen mir auch am fernen Ort ist mehr als ein Lied meiner Jugend. Es bringt die Sehnsucht nach der Heimat zum Ausdruck, die Tausende meiner Generation erlebt haben, weil sie fern der Heimat waren oder sie für immer verlassen mussten. Wie prägend aber die Heimat für das eigene Leben ist, wurde mir erst mit steigendem Alter bewusst. Zur Heimat zählt nicht nur die Familie, zur Heimat gehören Gedanken und Erinnerungen an Erlebtes, Erzähltes, Gelesenes, alles was auf meiner „Festplatte gespeichert wurde und mich prägte, Geschichten die zur Geschichte wurden. Ein weises Wort lautet:

    Man muss die Vergangenheit kennen, um die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten zu können.

    Doch was war die Vergangenheit? Zweifellos ist mein Geschichtsbild ein subjektives. Ein objektives aber wird es nie geben. Voltaire, der Meister des freien Wortes, hat gesagt:

    „Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat."

    Doch wer hat sich darauf geeinigt?

    Immer schreibt der Sieger die Geschichte der Besiegten.

    Dem Erschlagenen entstellt der Schläger die Züge.

    Aus der Welt geht der Schwächere und zurück bleibt die Lüge;" lautet die Antwort von Bertold Brecht.

    Nach der Siegerversion habe ich einen erneuten Wandel zur politisch korrekten Version der Geschichte zur Kenntnis bekommen. Ich erinnere ich mich an viele, teils widersprüchliche, Versionen der Geschichte meiner Heimat, sowie an Memoiren von Persönlichkeiten mit der eigenen Sichtweise. Wir lebten als Jugendliche in der Sagenwelt mittelalterlicher Helden.

    Meinen eigenen Erinnerungen habe ich viele Erinnerungen von Zeitzeugen wörtlich hinzugefügt. Es sind Berichte meines Vaters, persönliche Gespräche und schriftliche Berichte von Zeitzeugen, sowie u. a. die Bücher vom Chefdolmetscher Dr. Paul Schmidt; Journalist Sebastian Haffner; Graf von Nayhauß; Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Albrecht Schöne, um nur die wesentlichen zu nennen. Dazu habe ich einige Historiker angeführt wie Clark, Kershaw u.a., aber auch Schulbücher aus wechselnden Zeiten.

    Im Laufe meines Lebens spürte ich, wir brauchen einen Halt als Orientierung, wenn wir nicht wie ein Stück Treibholz auf dem Weltmeer dahintreiben wollen. Wohl dem, der Familie und Heimat sein eigen nennen darf. Sie sind die Wurzeln, aus denen wir unsre Kraft ziehen können, wenn wir den Halt verlieren.

    Meine Familiengeschichte macht mir auch bewusst, aus welch einfachen Verhältnissen meine Vorfahren stammen. Wie sie als Mägde und Knechte, als Schreiber, Bauernsöhne und Töchter, oft von Armut und Hunger, Angst und Not fast erdrückt, uns Nachgeborenen ein Leben in Wohlstand und Sicherheit vorbereitet haben. Aber auch ihr Leben hat die Wurzeln in der Vergangenheit. Meine Erinnerungen können daher nicht erzählt werden, ohne die großen Epochen einzubinden.

    Doch warum schreibe ich nun eine Familiengeschichte, die sich auch an lesende Fremde richtet, für die derartige persönliche Geschichten kaum interessant sind, zumal ich keine „Person des öffentlichen Interesses" bin. Albrecht Schöne gab mit seinen eigenen Erinnerungen die Anregung, es zu versuchen:

    „Eine Familiengeschichte kann zu erkennen geben, in welcher Weise die großen Geschehnisse einer Zeit auf ein kleines, einzelnes Leben eingewirkt haben, wie sich politische, gesellschaftliche, kulturelle Vorgänge und Veränderungen dort abbilden und widerspiegeln."

    Von meinem Land, meinen Vorfahren und meinem Leben will ich nun berichten. Im Gegensatz zu manchen „Historikern und „ Politikern will ich dabei nicht so überheblich sein, mit heutigem Wissen und Werten eine Messlatte an eine Zeit anzulegen, in der die Lebensumstände und Lebensauffassungen gänzlich andere waren. Ich versuche, aus der Sicht meiner Vorfahren zu erzählen, das bin ich ihnen schuldig, das gebietet mir die Achtung vor ihrer Würde.

    Alte Zeiten

    Meine Erinnerungen beginnen mit einem „Spielplatz aus Urzeiten. Als Kinder tobten wir im Sommer im Doberg herum, einer kleinen schroffen Erhebung am Rande der Stadt Bünde, die ein Fremder kaum als Berg bezeichnen würde. Im Sommer spielten wir dort Verstecken, Indianerspiele oder Räuber und Gendarm, im Winter dienten uns seine kurzen Abhänge als Rodelbahn, als „Todesbahn, die wir bäuchlings auf unseren Schlitten liegend hinab sausten. Wir wussten aus der Heimatkunde, dass wir auf dem Boden der Ur-Nordsee spielten.

    Der Doberg gilt weltweit als einmaliges Naturdenkmal und liegt heute 150 m über dem Meeresspiegel, für Geologen weltweit eine Besonderheit. Hier fand man die Überreste von Bewohnern, die vor vielen Millionen Jahren im Oligozän in dieser Region lebten. Die Ur-Nordsee bedeckte die Bünder Region, die Temperaturen lagen im Durchschnitt bei 18°-20° und unsere Vorfahren hätten täglich im Meer baden können. Allerdings wäre das sehr gefährlich gewesen, damals war es das Revier von Haifischen, Zahnwalen, Seekühen, Seeigeln, Muscheln und anderem Getier. Dort wurden u. a. ein 30 Millionen Jahre altes 3m langes Skelett einer Seekuh und ein 1m langer Schädel eines Zahnwals gefunden. Sie sind einmalige Zeugnisse der Zeit und liegen heute im Heimatmuseum. Knochen und Schalen des Seegetiers auf dem Grund des Meeres lieferten im vorigen Jahrhundert Mergel und Kalk, früher wichtige Rohstoffe.

    Es erfolgte ein Klimawechsel von Sommertemperaturen zur Eiszeit. Eis-Gletscher schoben große Steinbrocken von Skandinavien in unser Land; Findlinge, die von unseren Urahnen zu Kultstätten oder auf Gräbern aufgetürmt wurden, auch in unserm Garten liegen drei kleine Exemplare.

    Die bei erneuter Erwärmung entstandenen Schmelzwasser brachen durch die heutige Porta Westfalica Richtung Norden. Auf der vom Eis freigegeben Tal-Aue entstand eine Tundra und bot Moschusochsen, Mammut, Wisent, Elch, Rentier und Hirsch den Lebensraum.

    Der Tundra folgten dichte Wälder, aber das Klima blieb rau. Wäre das warme Mittelmeerklima zurückgekommen, wären die Voraussetzungen für die Besiedlung gänzlich andere gewesen. Aber die Mentalität wurde nicht geprägt vom sonnigen „dolce vita oder „savoir vivre mit bunten Weiten, sondern „schaffe, schaffe Häusle bauen" war für das Überleben in kalten Wintern und regenreichen Jahreszeiten lebensnotwendig. Dichte Wälder zwangen zu kleinen Gemeinschaften. So wurde ein Charakter geformt, wurden Tugenden und Werte gefordert, die zum Überleben in diesem Umfeld erforderlich waren, Kultur-Grundlagen, die sich bis heute erhalten haben, die uns prägen. Den Charakter der Bewohner beschreibt uns eine Erzählung:

    Als Gott und Petrus durch das später als Westfalen bezeichnete Land kamen, fanden sie dort keine Menschen. Da sagte Petrus zu Gott, er solle für dieses Land doch auch einen Menschenschlag schaffen. Zufällig lag da gerade eine alte Eichenwurzel auf dem Boden. Gott stieß mit seinem Fuß daran und sprach: „Werde Mensch! Da wurde der Knubben lebendig, rieb sich die Augen und fragte: „We stödd mi dao?, was im Hochdeutschen auch nicht freundlicher klingt: „Wer stößt mich da?"

    So erschien der Steinzeitmensch (80 000 – 10 000 v. Chr.) und hinterließ seine Spuren mit Pfeil- und Lanzenspitzen, sowie Steinhämmern als Werkzeug. Auch aus der Bronzezeit (2200 – 800 v. Chr.) gibt es Besiedlungsspuren. Es waren sesshafte, frühgermanische Stämme, die hauptsächlich Jäger waren, aber auch Getreide-Anbau wurde nachgewiesen. Mensch und Tier lebten im Langhaus unter einem Dach, ein Prinzip, das in den westfälischen Bauernhäusern bis ins 20. Jahrhundert beibehalten wurde. Sie blieben zusammen als Großfamilien, darüber stand die Stammesgemeinschaft. Entscheidungen über stammesrelevante Fragen wurden auf dem Thing, eine Volks-Heeres und Gerichtsversammlung der Männer getroffen. Der Stammesführer wurde gewählt – auch abgewählt. Demokratie in germanischer Urform.

    Die Frauen unterstanden rechtlich dem Vater oder Mann, hatten aber ein hohes Ansehen. Wenn die junge Ehefrau über die Schwelle getragen wurde, wurde ihr damit die Verantwortung als „Herrin im Haus", für Knechte und Mägde, für das Wohlergehen der Familie übertragen. Als Priesterinnen wurden sie um Rat gefragt, selbst über Krieg und Frieden.

    Ihre Lebenseinstellung war geprägt von Grundtugenden, die als ethische Regeln verstanden wurden, ohne die die Gemeinschaft nicht überlebensfähig war. Es waren keine göttlichen Gebote, deren Befolgung mit dem Leben im Himmel belohnt oder bei Nichteinhaltung mit der Hölle bestraft wurden. Die Regeln beruhten auf der Überzeugung, dass wir des Lebens, das uns die Ahnen vererbt haben und wir unseren Nachkommen schulden, nur durch ehrenvolles Handeln würdig sind. Ob die später schriftlich formulierten „9 Tugenden" dem entsprachen, ist nicht gesichert, sie dürften aber wohl die Grundlagen des Miteinanders widerspiegeln.

    Mut, Wahrheit, Ehre, Treue, Gastfreundschaft, Fleiß,

    Selbstdisziplin, Eigenverantwortung, Durchhaltewillen.

    Die immer wieder zitierte Freiheit der Germanen war keine Tugend, sondern ein mit Geburt erworbenes Recht, das auch gegen Widerstände verteidigt werden musste.

    Wir Jugendliche erlebten sie in der Sagenwelt, ihre Helden waren unsere Vorbilder, unbewusst wurden sie auch Grundlagen unserer jugendlichen Kameradschaft.

    Mit Beginn der Christianisierung wurden sie durch christliche Gebote ergänzt und gemeinsam zur Grundlage unseres heutigen Rechtswesens. Damit begann aber auch die folgenschwere Allianz zwischen Kirche und staatlicher Autorität. Die Kirche legitimierte den Herrscher als von Gottes Gnaden bestimmt, er wurde nicht mehr auf dem Thing gewählt. Lediglich im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation blieb ein Rest als Königswahl erhalten, da die Fürsten den König bestimmten. Es spielte aber auch die Erbfolge eine wesentliche Rolle. Der König hielt auch Reichstage ab, auf denen wesentliche Beschlüsse gefasst wurden.

    Dass die Griechen „als Wiege der Demokratie" bezeichnet werden, wundert mich. Sparta war als harter Kriegerstaat eine Oligarchie. In Athen hatte nur ein kleiner Teil der Bevölkerung ein Mitspracherecht in der Ekklesia (Volksversammlung). Die Mehrheit der Metöken blieb ohne Rechte. Die Metöken waren Zuwanderer aus den umliegenden Regionen, die als Handwerker und Händler das wirtschaftliche Rückgrat der Stadt bildeten und oft reiche und angesehene Bürger waren, trotzdem kein Bürgerrecht hatten. Auch mussten alle Beschlüsse der Ekklesia vom Rat der Fünfhundert vorbereitet werden, deren Mitglieder ausgelost wurden. Die griechische Gesellschaft war wesentlich ausgeprägter eine reine Männergesellschaft als bei den Germanen. Selbst die adelige Frau wurde auf eine eigene Abgeschlossenheit zurückgedrängt.

    Wesentlich einflussreicher auf Mitteleuropa waren die kulturellen, wissenschaftlichen und auch architektonischen Leistungen der Griechen. Worte wie Architektur, Symphonie, Theater, Szene Ästhetik sind griechischen Ursprung. Griechische Denker der Antike wie Plato (428-347) und sein Schüler Aristoteles (384-322) legten den Grundstein für die Philosophie. Doch diese Gedanken brachten erst die Kreuzritter aus dem arabischen Raum nach Mitteleuropa.

    Maßgeblicher für unsere Demokratie war der Einfluss römischer Verfassungen. Parlament, Senat, Senator haben ihren Ursprung in Rom. Unter Caesar hatten sie ihr Reich bis westlich des Rheins ausgedehnt. Kontakte und Konflikte mit den Germanen waren unvermeidlich, damit auch Einfluss auf die Lebensweise. So begab es sich zu der Zeit, als in Rom der Kaiser Augustus regierte, dass nicht die Geburt Jesu in Bethlehem, sondern dass meine Heimat in den Mittelpunkt des Weltgeschehens rückte. Von der Zeit singt man noch heute:

    Als die Römer frech geworden,

    zogen sie nach Deutschlands Norden".

    Anno 11 v. Chr. wollte Drusus das Gebiet der Germanen erobern, wie Caesar Gallien erobert hatte. Caesar konnte in ein Land mit offenen Landschaften einmarschieren, in offenen Feldschlachten den Gegner bezwingen. Er fand größere Siedlungen und Städte vor, von denen das Land beherrscht wurde. Aber auf Drusus warteten dichte Wälder, nur den Einheimischen vertraut. Die Siedlungen mit wenigen Häusern lagen verstreut auf Lichtungen. Wenn die fremden Heere kamen, zogen sich die Bewohner in die Wälder zurück und bekämpften die Heere mit einer Guerilla-Technik. So konnte Drusus zwar weit in das Land eindringen, es aber nicht beherrschen.

    In meiner Heimat siedelten die Cherusker. Ihr Fürst Segimer stellte zur Sicherung eines friedlichen Lebens seinen 17 v. Chr. geborenen Sohn den Römern als Geisel. Die fürstliche Geisel wuchs in einer edlen Familie mit dem römischen Namen Arminius auf, erzogen wie ein Römer. Er lernte die Sprache, Denkart und Kriegskunst der damaligen Weltherrscher und machte sich in römischen Diensten so verdient, dass er in den Ritterstand aufstieg. Im Herzen aber blieb er Cherusker, liebte sein Volk mehr als römischen Lorbeer und luxuriöses Leben.

    Als Quintilius Varus neuer römischer Stadthalter in Germanien wurde, gehörte Arminius zu dessen engerem Führungskreis. Varus wollte nach Belieben schalten und walten und Steuern eintreiben. Dadurch brach wieder Unmut unter den germanischen Stämmen aus und es gelang Arminius, mehrere Stämme zum Widerstand gegen die Römer heimlich zu vereinen.

    Als die Römer 9 n. Chr. vom Lager an der Weser in das Winterlager am Rhein aufbrachen, bewog Arminius den Feldherrn Varus, einen anderen als den ausgebauten Weg über den Hellweg zu marschieren, um einen Aufstand eines kleinen Stammes auf dem Rückweg niederzuschlagen. Damit lockte er Römer zu einem für die Germanen günstigeren Ort für die Schlacht.

    Jahrhunderte vermutete man die Schlacht im östlichen Teutoburger Wald. Einen Hinweis auf den Ort der Schlacht gibt es bei Tacitus in dem Bericht über den Feldzug von Germanicus im Jahr 15 n. Chr.: „Ductum inde agmen ad ultimos Bructerorum, haud procul Teutoburgiensi saltu, in quo reliquiae Vari legionumque insepultae dicebantur".

    „Dann führte er (Germanicus) sein Heer bis zu der äußersten Grenze der Bructerer, unweit des Teutoburger Waldes, in dem die Überreste des Varus und seiner Legionen unbestattet liegen sollten." Diese Beschreibung trifft allerdings auf die westlichen Ausläufer des Teutoburger Waldes zu, wo er sich mit dem Wiehengebirge vereint. Nahe dem dortigen Ort Kalkriese wurden in den letzten Jahrzehnten viele Funde gemacht, die zeigen, dass dort eine Schlacht stattgefunden hat. Durch neue metallurgische Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass die Fundstücke von der 19. Legion von Varus stammen. Man fand auch an der Porta Spuren eines Lagers von Varus. Damit gilt es als gesichert, dass Varus mit seinen Legionen und Tross von der Porta nördlich des Wiehengebirges entlang zo..

    Der Zug der Streitmacht umfasste die 7. 8. und 19. Legion sowie 3 Reitereinheiten und 6 Kohorten, insgesamt wohl 15-20.000 Soldaten plus deren Versorgungseinheiten. Der Weg war für das römische Heer ungewohnt eng und zwang es, sich weit auseinander zu ziehen, man schätzt den Zug auf 15-20 Kilometer Länge. Schon an den Tagen vor der entscheidenden Schlacht wurden die mit Rüstung und Marschgepäck belasteten Römer durch ausbrechende und sich zurückziehende Germanen zermürbt, obwohl die Germanen in Bewaffnung und Ausbildung den Römern unterlegen waren. Schließlich verengte sich der Marschweg erheblich. Im Norden liegt ein riesiges Moor, im Süden erheben sich die undurchdringlichen Hänge des Wiehengebirges. Die Römer konnten ihre gewohnte Schlachtordnung nicht entfalten, der Vorteil des unübersichtlichen, engen Geländes war auf Seiten der Germanen. Auch standen die germanischen Götter Wotan und Donar mit Blitz, Donner und heftigem Regen ihren Schutzbefohlenen bei. Es gab kaum römische Überlebende, Varus stürzte sich ins eigene Schwert.

    Feldherr Germanicus zog in den Folgejahre mehrfach ins Land, unterwerfen konnte er die Germanen nicht. Er konnte aber Thusnelda, die schwangere Frau von Arminius durch Entführung in seine Gewalt bekommen. Doch Arminius gab den Kampf nicht auf. Im Jahr 16 untersagte Kaiser Tiberius weitere verlustreiche Feldzüge. Germanicus wurde ein Triumphzug gewährt, in dem die Gefangene Thusnelda mit ihrem kleinen Sohn Thumelicus der Menge vorgeführt. Danach verlieren sich die Spuren von ihnen.

    Arminius wollte lt. Tacitus „die germanischen Stämme unter seiner Herrschaft einigen, stieß aber auf den Neid und den Widerstand seiner eigenen Sippschaft". Im Jahr 21. n.Chr. kam er durch eine Hinterlist ums Leben. Trotz seines frühen Todes blieb er als Befreier Germaniens in Erinnerung.

    Später wurde aus dem Namen Arminius der Name Hermann, weil er einen deutschen Namen haben solle und ein Heermann sei. Im östlichen Teutoburger Wald, wo zunächst die Schlacht vermutet wurde, wurde das 54m hohe Hermanns-Denkmal errichtet und 1875 eingeweiht. Auf seinem 7 m langen Schwert stehen die Worte:

    Deutschlands Einigkeit- meine Stärke,

    meine Stärke –Deutschlands Macht.

    In meiner Heimat entschied sich also, dass Germanien frei blieb und nicht unter römischen Einfluss geriet, sondern im Gegensatz zu den romanischen Ländern (Italien, Frankreich) eine eigene Entwicklung nahm. Hier wurde also „Weltgeschichte" geschrieben!

    Sachsenland

    In meinem Büro hängen zwei Abbildungen, auf denen sich zwei Ritter einen Handschlag geben. Eine zeigt das Siegel der Titularstadt Bünde anno 1719, die andere die Urkunde, mit der am 14. VII. 2009 Kaiser Wilhelm II. die Darstellung als Stadtwappen genehmigte. Die Ritter sind die Sachsen Hengist und Horsa. Die Sachsen waren vom Norden in das Land der Cherusker eingedrungen und errichteten ihr Stammesgebiet zwischen Rhein und Elbe. Ihr Stamm bestand aus den Westfalen, den Ostfalen und in der Mitte den Engern. Ihre Geschichte begegnet mir in meiner Heimat überall, in den Sagen, in Straßennahmen, Plätzen und Denkmälern.

    Anno 449 wurde das Bünder Land Ausgangspunkt germanischeuropäischer Geschichte. Die beiden Brüder Hengist und Horsa gaben sich der Sage nach in Bünde den oben geschilderten Handschlag für einen Heerzug nach Britannien. Sie waren vom dortigen König Vortigern zur Hilfe gegen die Picten und Scoten gerufen worden, die aus dem Norden in sein Land eingefallen waren. Zusammen mit den nördlich lebenden Angeln brach das angel-sächsische Heer also nicht zur Eroberung nach Albion auf, sondern als gerufene Hilfstruppen. Sie waren erfolgreich, aber da Vortigern den Wehrsold nicht zahlen konnte, fand er sie mit Ländereien ab. Hengist und Horsa holten ihre Familien mit Hausrat in 56 Schiffen in das erworbene Land. Sie breiteten sich in der neuen Heimat aus und übernahmen später selbst die Herrschaft. Viele Ortsnamen wie Hereford und Ledebury, die Namen der Grafschaften Wessex, Sussex, Essex, sowie die Lordnamen Elting, Bathorst, Lindhorst weisen auf die Verbindung mit der ursprünglichen Heimat hin.

    In dieser Zeit zerfiel das Römische Weltreich. Es war die Zeitepoche unserer „Deutschen Heldensagen. Die kriegerischen Reiter wurden mit steigendem Stellenwert von Rüstung und Schwert zu Rittern. Hervorragende Schmiede gelangten zur Berühmtheit. Bekannt wurde Wieland der Schmied, der seinem Sohn Wittich das Schwert „Mimung vermachte und ihm damit verhalf, zu den Gefolgsleuten von Dietrich von Bern aufzusteigen.

    Dietrich von Bern, ausgebildet vom Lehrmeister Hildebrand, war unwiderstehlich mit seinem Schwert „Nagelring". Er war der große Held unserer Sagen. Sein Weg führte ihn an den Hof des Hunnenkönigs Etzel. Dort wurde er Zeuge des Untergangs der Burgunder mit ihren königlichen Brüdern Gunther, Gernot und Giselher.

    Die Brüder sind uns bekannt aus der Nibelungensage, in der Siegfried von Xanten die zentrale Rolle zukommt. In seiner Jugend töte er einen Drachen und badete in seinem Blut, das sich auf seiner Haut erhärtete und ihn unverwundbar machte, bis auf eine Stelle im Rücken, die durch ein Ahornblatt nicht mit dem Drachenblut benetzt wurde. Er bekam das Schwert Balmung von den beiden Söhnen des Königs Nibelung, damit er ihren Streit um das Erbe schlichte. Doch es kam zum Streit mit den Brüdern, in dem die Brüder unterlagen. So kam Siegfried zusätzlich in den Besitz des legendären Nibelungenschatzes. Er gewann die Gunst der Königstochter der Burgunder namens Kriemhild. Das führte am Hof zu Eifersuchten mit der Gemahlin Gunthers, der nordischen Brunhild. Das Drama endete mit der heimtückischen Ermordung Siegfrieds durch Hagen von Tronje, der ihn von hinten genau an der verwundbaren Stelle mit einer Lanze tötete. Kriemhild wurde daraufhin die Gemahlin des Hunnenkönigs Etzels und ihre Rache mit Hilfe der Hunnen führte zum Untergang der Burgunder.

    Für uns Jungen waren die Helden damaliger Zeit unser Vorbild. Mein Freund Ludwig war Dietrich von Bern, ich war sein Gesell Dietleib. Siegfried war der Nibelungenheld Siegfried. Die Mädchen spielten Kriemhild, Brunhild und andere. Wir bastelten uns Schilde und schnitzten Holzschwerte. Die ritterlichen Tugenden Ehre, Treue und Gerechtigkeit versuchten wir in jugendlichem Eifer nachzuleben. Ich werde noch darauf zurückkommen. Das Ehrenwort galt uns als Eid.

    Ehre, Treue und Gerechtigkeit waren auch in der Realität die Grundlagen der Herrschaft der Fürsten und Könige. Die Herrschaft gründete nicht auf geschriebenen Gesetzen oder Verfassungen, ihre Grundlage war das Vertrauen auf das ungeschriebenen Treueversprechen gegenüber Lehnsherrn und König.

    Einen wahren Hintergrund haben die Sagen, doch liegen Zeit und Ort sehr weit auseinander. So treffen Etzel, der geschichtliche Attila, die burgundischen Königsbrüder und Dietrich von Bern, der geschichtliche Theoderich, in den Sagen zusammen. Doch die besungenen Tatsachen liegen weit auseinander, zeitlich wie auch räumlich. Um 150 n. Chr. waren die Goten vom Gebiet an der Ostseeküste an das Schwarze Meer vorgedrungen, und bedrängt von den Hunnen in das oströmische Reich weiter gezogen. Dort waren sie als militärische Verstärkung gegen Westrom willkommen. Die asiatischen Gebiete hatten sich zunächst aus religiösem Grund vom römischen Papst getrennt, 395 erfolgte die politische Trennung von Rom. Die Hauptstadt Byzanz wurde zu einem Machtzentrum mit einem eigenen Kaiser.

    Anno 436 drangen die Hunnen nördlich der Alpen weiter nach Westen vor, überfielen die Burgunder und töteten den König Gundahari mit allen seinen Verwandten also auch seine Brüder Gislahari und Gibeche (in der Sage Gunther, Giselher und Gernot). Mit einem weiteren Vorstoß drangen die Hunnen unter ihrem König Attila bis weit in Gallien ein. Sein Heer wurde von den Franken, den Westgoten und den Burgundern 451 geschlagen. Attila starb 453, sein Reich zerfiel.

    Als anno 476 der in weströmischen Diensten stehende germanische Heerführer Odoakar den letzten römischen Kaiser absetzte, sah Byzanz sich als Erben des römischen Reiches. In seinem Reich hatte er den Goten auf ihre Zug von Norden Aufenthalt eingeräumt und er beauftragte den gotischen Feldherrn Thiudareiks (Theodericus, Theoderich = sagenhaft Dietrich von Bern) mit seinen Goten nach Italien zu ziehen und gegen Odoakar vorzugehen. Theoderich war in zwei berühmten Schlachten siegreich, bei Verona (in der Sage Bern) und Ravenna (Raben). Er löste sich von Ostrom, gründete ein Westgotenreich in Italien. Die Goten wurden aber gezwungen, nach Westen weiterzuziehen. Sie gründeten ein Reich in Spanien und Südfrankreich, das 711 durch Araber zerstört wurde.

    Byzanz versuchte, das alte römische Reich wieder herzustellen, verlor aber weite Teile Italiens an die Langobarden und behielt nur einzelne Gebiete in Mittel- und Süditalien. Diese „Außenherrschaft" führte noch über Jahrhunderte zum Streit mit den Herrschern nördlich der Alpen, weil der Vatikan deren Unterstützung einforderte.

    Das alte Rom blieb als Stadtstaat mit einem Senat über Jahrhunderte bestehen, der Sitz des Papstes in einem eigenen Rechtsgebiet des Vatikans bis in die heutige Zeit.

    Der Vatikan beharrte darauf, dass der römische Kaiser Konstantin dem Papst weltliche Oberherrschaft über weite Gebiete Italien geschenkt hatte und legte den europäischen Fürsten eine entsprechende Urkunde vor (Konstantinische Schenkung (315/317). Erst im 15.Jahrhundert wurde festgestellt und anerkannt, dass die Schenkung eine Fälschung war. Aber inzwischen hatten sich die entsprechenden Machtstrukturen verfestigt und führten immer wieder zu Kriegszügen. Im Rahmen dieser Machtkämpfe wurde der König der Franken zum Patrizius (Schutzherr) von Rom, eine Verpflichtung, die die nächsten Jahrhunderte erheblich beeinflusste.

    Das Frankenreich war nach dem Zusammenbruch des römischen Weltreiches nördlich der Alpen in der ehemals römischen Provinz Gallien entstanden. Nach vielen Stammeskämpfen begann der Merowinger Chlodwig (466-511) die Errichtung einer fränkischen Großmacht als Königsstaat nach römischem Vorbild. Sie wurden aus taktischen Gründen christlich, um sich die Unterstützung des Papstes zu sichern. Anno 687 reißt der karolingische Hausmeier Pippin die Macht an sich und begründet die Herrschaft der Karolinger. Sein Sohn Karl Martell schlug die über die Pyrenäen vordringenden Araber, die in Spanien einen Kalifen-Staat errichtet hatten. Dadurch rettete er die christlich-abendländische Kultur in Zentraleuropa.

    König „Pippin der Kurze" teilte sein Reich anno 768 als Erbe an seine zerstrittenen Brüder Karl und Karlmann auf. Doch bereits 771 stirbt Karlmann durch eine rätselhafte Erkrankung. Unbewiesen sind die Vermutungen, dass Karl darin verstrickt ist. Tatsache ist: Die Söhne Karlmanns waren noch Kleinkinder und Karl berief zur Klärung der Nachfolge sofort eine gemeinsame Reichsversammlung beider Reiche zum 24. Dezember ein. Schon eine gemeinsame Reichsversammlung war ein seltsames Unterfangen, war die Nachfolge doch eigentlich eine interne Reichsangelegenheit von Karlmanns Reich. Außerdem war in der kurzen Frist von 20 Tagen nach Karlmanns Tod und mitten im Winter für viele Fürsten eine Anreise nicht möglich. Nach dem gemeinsamen Gottesdienst der Großen beider Reiche trat Graf Adalhard, ein Gefolgsmann Karls, vor die Versammelten und schlug vor, dass beide Reiche unter Karl wieder vereinigt würden, denn nur ein geeintes Frankenreich könne gegen die Feinde bestehen.

    Karl soll gesagt haben: „Ich will das Kreuz tragen!"

    Man geht wohl recht in der Annahme, dass der Graf Adalhard nicht gewagt hätte, einen solchen Vorschlag ohne vorherige Abstimmung mit Karl zu machen. Die Witwe floh mit ihren Kindern und stellte sich unter den Schutz des Langobardenkönigs. Die Söhne Karlmanns, die eigentlichen Erben, fielen Gefolgsleuten Karls in die Hände und verschwanden nach 773 aus den Quellen. Der Kriegsherr Karl begann, von vielen bewundert, seine Eroberungsfeldzüge in Europa.

    Zu der Zeit erstreckte sich das Sachsenland meiner Vorfahren von der Eider und Nordsee bis zur Unstrut und dem Rothaargebirge, von der Elbe im Osten bis zum Niederrhein im Westen. Im Norden waren die Dänen und Friesen ihre Nachbarn, im Osten grenzten sie an das Gebiet der slawischen Wenden. Im Westen und Süden waren sie von den Franken umgeben. Im Gegensatz zu den christlichen Franken verehrten sie noch die alten germanischen Götter, wie Odin, Thor (Donar) und Wotan. Der Frankenkönig Karl verkündete auf der Reichsversammlung in Worms 772 seinen Entschluss, die Sachsen zu unterwerfen mit der Begründung, die Sachsen zu christianisieren. Damit begann ein jahrzehntelanger Krieg. Es wird vermutet, dass es vor allem das Volk war, das sich gegen die Kirchenfürsten und die von Karl eingesetzten fremden und einheimischen christlichen Grafen erhob. Karl befahl aus Teilen des Sachsenlandes nur Frauen, Kinder und alte Männer umzusiedeln, sie sollten keine neuen Sachsengebiete bilden können. Die Männer wurden im Kampf überwunden. In ihren alten Gebieten siedelte er treue Franken an.

    Als Karl mit einem geteilten Heer an beiden Ufern der Weser marschierte, wurde der eine Teil vernichtend von den Sachsen geschlagen, der andere Teil konnte nicht über die Weser kommen. Karl schwor blutige Rache. Er umzingelte mit seinem Heer bei Verden einen Teil der dort siedelnden Sachsen. Die Männer, ob Unfreie, Bauern, Freie, Edellinge und Gaugrafen legten kampflos ihre Waffen nieder. Entgegen germanischem Brauch wurden sie mit den Händen auf den Rücken gefesselt. Die Fürsten Karls wollten ihn von dem Massenmord abbringen, doch er ließ 4500 Männer durch Schwertschläger enthaupten.

    In den noch von Sachsen besiedelten Gebieten befahl Karl Zwangstaufen. Die Taufe war nicht die „Reinwaschung von Sünden" sondern Mittel zum Zweck. Entsprechend waren seine Anordnungen.

    „Wer sich ungetauft unter seinen Stammesgenossen verbirgt, zur Taufe kommen verachtet, der soll des Todes sterben."

    „Verbrennt jemand den Körper eines Toten nach heidnischem Brauch, so soll er an Haupt und Leben gestraft werden."

    Karl verkörperte damals das Bild eines kriegerischen und heiligen Königtums in Nachfolge des Römischen Reiches. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er kriegerisch im Sattel. Er ging aber in seiner Brutalität sogar über das Maß seiner Zeit hinaus. Mancher seiner Zeitgenossen fragte sich „ist er von Sinnen?"

    Sogar die Kirche belehrte ihn anno 796 auf einer Synode, dass Bekehrung nicht „durch mit dem Schwert erzwungene Massentaufen der Sachsen erfolgen könne".

    Sein härtester, sächsischer Gegner war der in meiner Heimat lebende und auch noch heute bekannte Herzog Widukind (Wittekind). Über mehr als 10 Jahre dauerte der brutale Kampf um Glauben und Unterwerfung, bis Widukind sich entschloss, eine friedliche Einigung mit Karl zu suchen. Er hatte seine militärische Aussichtlosigkeit erkannt und das bedeutete für ihn ein Gottesurteil. Der Christengott war nach seiner Einschätzung stärker als die Sachsengötter. Karl war des Kampfes auch müde und sicherte Widukind Unversehrtheit zu. Sie schlossen Frieden und Widukind ließ sich 785 in Attigny taufen.

    Danach gibt es keine geschichtlichen Zeugnisse mehr von Widukind. Die Geschichtsschreibung geht davon aus, dass Widukind mehr oder weniger freiwillig ins Kloster Reichenau am Bodensee ging. Aber lt. einer Grabplatte aus dem 11. Jh. soll Widukind in Enger in seiner Heimat beerdigt sein. Kaiser Karl IV. besuchte 1377 das Grab Widukinds. Die in der Kirche gefundenen Gebeine eines Mannes scheinen auf der Grundlage von Indizien und wissenschaftlichen Untersuchungen diese Annahme zu bestätigen. Wurde er nach seinem Tod nach hier zurückgebracht, oder konnte er auf seine Güter in der Heimat zurückkehren, wie in vielen Legenden geschildert wird?

    Gesichert ist, dass seine Nachkommen weiterhin im Ravensberger Land auf ihren Gütern lebten. Noch heute erinnern in Bünde und im ganzen Kreis Herford Straßen Einrichtungen, Denkmäler an den Sachsenherzog.

    Die Widukind-Sagen gehörten zu meiner Jugendlektüre:

    Widukind traf sich mit seinen Getreuen an verschiedenen Stellen bei heimlichem Kriegsrat. Die Franken wussten nie, wo er sich befand. Er ließ seinen feurigen Rappen so beschlagen, dass die Hufeisen umgedreht waren. So wies seine Fährte immer in die Richtung, aus der er gerade gekommen war. Einmal aber hatten sie doch Kenntnis bekommen von dem Weg, den er geritten kam und bauten dort ein mächtiges Hindernis auf. Dann warteten sie rechts und links in Dickicht auf ihn. Als Widukind die Gefahr sah, flüsterte er seinem Rappen ins Ohr: „Hengstken, spring awer, kriegst’n Spint Hawer. Springste nich awer, frätet di un mi de Rawen". Da spitzte das Roß die Ohren, raste auf das Hindernis zu, sprang ab und flog mit seinem Herrn auf die andere Seite des Verhaus und den Häschern davon.

    Aber alle List und Kampfesmut halfen nichts, Karls Heere waren zu groß und übermächtig.

    Einsam und verzweifelt ritt Widukind einmal über einen Pass im Wiehengebirge. Da rief er aus gequältem Herzen: „Du Herr der Christenheit, wenn du der wahre und rechte Gott bist, gib mir ein Zeichen, so will ich dir dienen!" Da stutzte sein Ross und scharrte mit dem Huf den felsigen Grund. Siehe da, es rollte ein Stein zur Seite und hervor sprang ein silberner Brunnquell. Ergriffen stürzte der Recke zu Boden und schlürfte aus hohler Hand das Wasser des Lebens. Er fand sich bereit, den neuen Gott anzuerkennen und sich taufen zu lassen.

    Die Wittekindsquelle sprudelt noch heute am Südhang des Wiehengebirges bei Bergkirchen, und ist gegen Verschüttung inzwischen durch einige Steine gesichert.

    Zum Friedensgespräch traf sich Widukind mit Karl in der Nähe von Exter an einem Stein, den Widukind hatte zu einer Sitzbank herrichten lassen. Karl hob die Hand und Widukind schlug ein. Sodann ließ Karl einen Schimmel vorführen und sprach:

    Dein schwarzes Heidenroß war berühmt und gefürchtet. Vertraue dich nun diesem Schimmel an. Er sei das Sinnbild deiner Wandlung, dein Wappen und Schildzier.

    Von diesem Ross leiten sich das Westfalen- und das Niedersachsenwappen her, jeweils ein Schimmel auf rotem Grund. Der Rappe Widukinds wurde zum heraldischen Zeichen des Kreises Herford, der noch heute den Beinamen Wittekindkreis trägt.

    Da nun Widukind Christ geworden war, wollte er in seinen Landen auch Kirchen errichten lassen. Er ließ den Gemeinden Bünde, Enger und Rehme verkünden, er wolle dort begraben sein, wo ein Gotteshaus zuerst vollendet sei. Die Bünder gingen mit berühmten Fleiß an die Arbeit, doch kurz vor Errichtung des Gebäudes erklang von Enger her das Hillebilleläuten der Zimmermannsäxte, das die Vollendung des Bauwerkes meldete.

    Wie war das möglich, fragten sich die verzweifelten Bünder. Auf Anraten eines Mohrs hatten die Engerschen den Turm „vergessen", von einem Turm war in der Forderung Widukinds nicht die Rede. Aus Dankbarkeit ließen die Engerschen das Abbild seines Kopf in Stein gehauen an der Ostwand des Chores ein.

    Diesen Kopf kann man noch heute an der Kirche sehen. Der spätere Turm steht noch heute neben der Kirche.

    Widukind gab seinen Waffengenossen große Höfe zur Bewirtschaftung, die Sattelmeierhöfe. Sie mussten Sattelpflicht leisten: in Kriegszeiten mussten sie einen Reitersmann stellen oder selber im Sattel dem Lehnsherrn folgen und begleiteten ihn zu Pferde bei seinen Ritten im Land. Sie gaben noch den preußischen Königen das Ehrengeleit, wenn diese ins Land kamen. Wenn ein Sattelmeier starb, stand bis in die Neuzeit sein Leibpferd während der Trauerfeier am offenen Kirchenportal und folgte hinter dem Leichenwagen dem Herrn bis ans Grab. Sattelmeierhöfe gibt es noch heute, deren Gebäude stammen aber aus späteren Jahrhunderten.

    Es ist umstritten, ob die Sattelmeierhöfe auf Widukind zurückgehen, oder sie von Karl als Meierhöfe eingesetzt wurden, um die Unterhöfe zu beaufsichtigen. Selbst die Bezeichnung Sattelmeier ist aus Widukinds Zeiten nicht verbürgt. Die beschriebenen Verpflichtungen gegenüber dem Landesherrn, werden aber im 17. Jahrhundert in einer Verpflichtung zur berittenen Verteidigungsbereitschaft ausdrücklich erwähnt.

    Die zu Widukinds Zeiten in Bünde (damals Buginithi) gebaute Kirche gehört zu den ältesten Kirchengründungen in Westfalen. Historisch nachweisbar ist, dass es in fränkischer Zeit auf einer hochwassersicheren Anhöhe über der Else eine Ansiedlung mit einer Kirche gab. Namenspatron der Kirche war und ist bis heute der Märtyrer Laurentius. Im ausgehenden 8. Jahrhundert wurden viele Kirchen dem heiligen Laurentius geweiht. Im Volksmund wurde sie aber noch zu meiner Jugendzeit nur Wittekindskirche genannt. Das Dorf Buginithi bestand aus wenigen Häusern um die Kirche mit dem Pfarrhof (Wehme=das Geweihte) an der heutigen Wehmstraße.

    Der Frankenherrscher war auch Patricius Romanorum, Schutzherr Roms. Als Papst Leo III. wegen seines ausschweifenden Lebens in Bedrängnis durch die Kurie geriet, und die Langobarden sowie die in Italien liegenden oströmischen Gebiete Rom und den Papst bedrohten, floh der Papst zum Frankenkönig Karl. Mit fränkischem Schutz konnte er nach Rom als Papst zurückkehren. Zur Klärung der Vorwürfe setzte Karl durch, dass Leo III. seine Unschuld durch einen Eid beteuernd sollte. Wenn diesem Eid kein göttliches Strafgericht folgen würde, sei er von Gott freigesprochen. Leo beteuerte seine Unschuld und kein göttliches Strafgericht traf den Papst. Nach diesem göttlichen Freispruch feierten alle Weihnachten im Jahr 800. Papst und König Karl knieten vor dem Altar, dann erhob sich der Papst und setzte Karl die zum Gebet abgelegte Krone auf mit den Worten, mit denen römische Kaiser gekrönt wurden,

    „..dem erhabenen Karl.. den von Gott gekrönten, großen und friedbringenden Kaiser der Römer.."

    Damit aber gab es wieder zwei Kaiser im ehemals römischen Reich; den in Byzanz residierenden und nun wieder einen in Rom gekrönten. Das forderte Byzanz heraus.

    Auch als Kaiser setzte Karl seine Feldzüge in gleicher brutaler Form fort. Da die unterworfenen Stämme keine eigenen Truppen hatten, musste Karl die Grenzsicherung gegenüber Einfälle von außen immer mit dem eigenen Heer durchführen, mal im Osten, dann in Spanien, dann in Italien; oft waren es auch reine Beutezüge. In einer Lebensbeschreibung steht: „der inzwischen 48-jährige Karl führte zum ersten Mal in den Sommermonaten keinen Krieg." Erst in späteren Regierungsjahren wurde er ausgleichender und bemühte sich um rechtliche und wissenschaftliche Grundlagen und Bildung in seinem Reich.

    Im Mittelalter war er der große Kriegsherr, galt vielen Herrschern als Vorbild und bekam den Beinamen „der Große".

    Für Frankreich war „Charlemagne" immer ein großer, nationaler König. Für die ostfränkisch-deutschen Herrscher war er die Grundlage für ihren Anspruch als Kaiser. Der französische Aufklärer Voltaire wetterte 1756, mit Karl habe die verhängnisvolle weltliche Macht der Kirche begonnen. Der so große Kaiser sei ein brutaler Despot und ein frömmelnder Heuchler gewesen, der sich mit mehreren Frauen zugleich vergnügt habe.

    Napoleon sah sich als sein Nachfolger. Journal de Paris:

    „Es gibt nur eine Hand, die berechtigt ist, das Schwert Charlemagne zu tragen, das ist Bonaparte der Große".

    Die Nationalsozialisten bezeichneten ihn zunächst als „Sachsenschlächter", aber Hitler sah sich nach seinem Frankreichfeldzug als neuer Karl der Große.

    Zum der Errichtung von Handelsplätzen sagte Karl:

    Ich will mit den Edlen einen Kriegszug beschließen. Denn das ist die Profession eines Königs und Kaisers, nicht das welsche Tauschen und Handeln. Warum Karl heute als „Symbolgestalt für ein friedliches, transnationales Europa gilt und Aachen 1950 damit die Verleihung des „Internationalen Karlspreis begründet, verstehe ich nicht. Ein Herrscher, der den friedlichen „welschen Handel nicht als die „Profession eines Kaisers sieht, auf den sich Napoleon und Hitler als Nachfolger beriefen, kann nicht ein Leitbild für die Zukunft sein.

    Nach dem Tod Karls (814) zerbrach die Mär von der Schaffung eines „einheitlichen, christlichen Reichs ", da der zentralistische Beamtenstaat Karls nicht aus einer verbindenden Identität der Stämme und Völker entstanden war. Da Karls älteren zwei Söhne vor ihm starben, fiel das Erbe an Ludwig den Frommen. Nach seinem Tod wurde das Reich 843 durch den Vertrag von Verdun auf Karls Enkel aufgeteilt.

    Karl der Kahle wurde Herrscher im Westfrankenreich (heutige Frankreich), in dem Gallo-Romanisch gesprochen wurde. Die „tiutschen Lande, in denen das germanische Althochdeutsch gesprochen wurde, fielen als Ostfrankenreich an Ludwig, später „der Deutsche genannt. Lothar bekam das Gebiet zwischen den beiden Reichen (Lothringen), das von der Nordsee bis nach Rom reichte. Nach dem Tod Lothars fiel 870 im Vertrag von Meerssen (Mersen bei Maastricht) der gallo-romanisch sprechende Teil an das Westfrankenreich, der Althochdeutsch sprechende Teil an das Ostfrankenreich. Damit kamen die politisch und wirtschaftlich wichtigen Städte und Gebiete Aachen, Holland und das Elsaß an das Ostfränkische Reich. Burgund und Italien wurden selbstständig. Grundlage des Staatsgebietes wurde also die durch eigene Sprache und Kultur verbundene Volksgruppe, gegenüber dem durch Macht zusammengeführten, universalistischen Staatsgebilde Karls ohne jegliche verbindende Identität.

    Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation

    Im Jahr 1953 erlebte ich die spektakuläre 1100-Jahrfeier meiner Heimatstadt Bünde. In einem großen Umzug lief die Geschichte vor uns ab, alle Großen der Geschichte zogen durch die Stadt. Das Dorf Buginithi mit einer Kirche gab es schon wesentlich länger auf einer Anhöhe an der Else. Unter Karl dem Großen wurde es durch Konfiskation zum Reichseigentum. Sein Sohn Ludwig der Fromme schenke es

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