MONDWELT: Episoden 1
Von Daniel Schiller
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Über dieses E-Book
Schiff 1533 --- Omega zu Alpha --- Jupiter-C --- Kundschafter --- Demonstration.
Die Erde ist zerstört. Der Trabant der Alten Welt ist das neue Zuhause der Menschheit. Sie lebt in Kolonien unter der Oberfläche, über den Globus verteilt, getrennt, um Ressourcen ringend. Die nächsten Generationen kennen die Alte Welt schon nicht mehr. Sie schreiben ihre eigene Geschichte in der Mondwelt ...
Fünf kurze Geschichten. Sie eröffnen die Mondwelt, füllen die Neue Welt mit Erlebnissen, berichten Abenteuer der Menschen, erzählen Episoden aus den Kolonien. Sie stehen für sich, zu eigenen Zeiten, an eigenen Orten, mit eigenen Charakteren.
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Buchvorschau
MONDWELT - Daniel Schiller
Inhalt
Inhalt
Schiff 1533
Omega zu Alpha
Jupiter-C
Kundschafter
Demonstration
Mehr aus der Mondwelt
Erdseite
große Versionen der Karten: http://www.schillrich.de/geschichten.html
Rückseite
große Versionen der Karten: http://www.schillrich.de/geschichten.html
Pole
große Versionen der Karten: http://www.schillrich.de/geschichten.html
Schiff 1533
2113.210
Lokation: Orbit über der Erde
Leona erwachte wieder, schwerfällig, wie in Trance. Es lockte, immer wieder in die Bewusstlosigkeit zurückzugleiten. Blinzelnd gingen ihre Augen auf. Alles war noch unscharf und milchig. Sie war bewusstlos geworden. Alle Muskeln taten weh, waren verkrampft. Sie fühlte sich, als wäre sie äußerst hart auf dem Boden aufgeschlagen … benommen und dumpf. Das war die Beschleunigung gewesen. Am Ende hatte ihr Körper das nicht mehr ausgehalten. Richtig schlimm. Die Ohnmacht war als Erlösung gekommen. Und jetzt … Schwerelosigkeit!
Sie hatten es geschafft, offensichtlich. Der ganze Lärm war weg, das Rattern, das Schütteln, die Vibrationen der Rakete. Sie waren im Orbit angekommen, über der Atmosphäre. Jetzt gab es keinen Weg zurück. Die Kabine war dunkel. Eigentlich war das nur ein umgebautes, aufgerüstetes Frachtmodul. Neben ihr, über ihr, vor ihr regten sich andere Gestalten, schattenhaft, schemenhaft in der Dunkelheit. Jemand atmete schwer, räusperte sich. Ein Anderer wimmerte. Zwei Stimmen in der Ferne flüsterten. Das waren ihre Mitreisenden. 29 Glückliche, mit denen sie die Reise in die Neue Welt antrat.
Leona schnallte sich ab … und verlor sofort jede Orientierung. Nur durch Zufall bekam sie einen Gurt zu fassen und zog sich zum … Licht … zu diesem kleinen Bullauge über ihrem Kopf. Oder war das doch der Boden? Hier fiel wenigstens ein heller Lichtstrahl herein. Sie blinzelte. Es war hell da draußen. Sie schaute zur Erde … hinauf. Oben und unten waren durcheinander, hatten keine echte Bedeutung mehr. Sie musste ihre Wahrnehmung erst dazu überreden, dass sie jetzt über der Erde war … und plötzlich blickte sie hinab … bodenlos. Sie presste die Augen zusammen, damit sich ihr Kopf endlich beruhigte. Beim zweiten Blick hinaus war es schon einfacher …
Das Eis der Polarkappe strahlte hell und weiß ein paar hundert Kilometer unter ihr. Von dort waren sie vor zehn Minuten gestartet, ein Höllenritt. Dort, in der Kälte und Leere der Antarktis lag Station C, einer der Startplätze für das, was später Der Exodus genannt werden sollte.
Dort unten waren noch Marcus, Danil, Ilka, Molina mit Zonja, Gil, Juano, Serge, Moya … und noch tausende andere Menschen ... Flüchtlinge. Die gesamte Menschheit flüchtete. Sie überquerten die Kontinente, wagten die Überfahrt von Südamerika und Südafrika über den stürmenden südlichen Ozean. Nicht von Australien! Dort stand nicht mehr viel. In Trecks marschierten sie dann durch die weiße Einöde zu den Auffanglagern auf dem Gletschereis, diese riesigen Zeltstädte und Containersiedlungen in der kalten Weite. Sie waren lieber dort, in der unerbittlichen Kälte und den Gefahren der Antarktis, als noch irgendwo auf den anderen Kontinenten. Alles in der Hoffnung lieber früher als später einen Platz zu bekommen. Tausende Menschen waren auf der Reise schon gestorben, entweder von einer Katastrophe auf den Kontinenten heimgesucht, auf See im Sturm verschollen oder auf der letzten Etappe … auf dem Eis säumten unzählige starrgefrorene, halbverschneite Leichen den Weg. Im Rossmeer und im Weddellmeer ankerten die großen Startplattformen. Von dort ging es hinauf, ins All und dann weiter zur Neuen Welt. Jeder wartete auf seinen Slot, seinen Platz, seine Chance … bevor der letzte Flug aufbrach, bevor sie auf der Alten Welt gefangen waren.
Dicke Wolken schoben sich ins Bild, verdeckten den Blick hinunter. Leona schaute in die andere Richtung, nach Norden, wohin ihre Flugbahn sie führte. Ein grauer, dichter, stürmender Brei verhüllte den Globus. So sah es im ganzen Rest der Welt aus. Der mächtige Polarwirbel hielt die Stürme vom Südpol fern … noch. Deswegen starteten sie aus dieser unwirtlichen Gegend. Die Antarktis war das Tor zur Neuen Welt.
Das Schiff zog auf seinem polaren Orbit weiter nach Norden, weg vom Startplatz, auf seiner Ellipse zum Rendezvous steigend. Der Südpol, das Eis der Antarktis, war schon aus dem Sichtfeld verschwunden. Das eben war ihr allerletzter Blick zurück gewesen. Leona zitterte. Sie würde die Oberfläche nie wieder erblicken.
„Mir ist übel!", sagte jemand neben ihr, ein Mann, etwa in ihrem Alter. Er würgte und erbrach sich schon. Nicht alles landete in der Tüte, die er sich schnell an den Mund drückte. Feine Brocken Kotze schwebten durch den Lichtstrahl davon. Es roch säuerlich. Die Nachbarn versuchten sich irgendwie aus der Flugbahn zu bringen, nichts abzubekommen. Aber niemand kümmerte sich um ihn. Da waren noch andere Stimmen, weiter weg, in der Dunkelheit. Leona verstand sie nicht. Sie alle waren ein wild zusammengewürfelter Haufen hier drin. Leona griff nach ihrem Rucksack. Da war ihre Ration, ihr gesamter Proviant für die Reise, Essensriegel, Wassertüten, Reinigungstücher … vier Windeln …
„Ich heiße Jan, Jan-Erik.", sagte der Mann, der sich eben noch erbrochen hatte, mit heißerer Stimme.
Sprach er mit ihr? Er hatte einen angenehmen Akzent. Leona schaute ihn unsicher an. Er lächelte unsicher zurück, aber offenbar dankbar, dass sie ihn nicht ignorierte. Es fühlte sich einfach gut an, wieder jemanden zu verstehen, nicht komplett mit sich allein hier drin zu sein.
„Leona Simow."
Er nickte zum Bullauge. „Wir haben einen Fensterplatz!"
Leona musste lachen. Ja, in all dem Schlamassel hatten sie beide wenigstens einen Fensterplatz. Das Eis war gebrochen.
„Über welche Route bist du gekommen?" fragte Leona.
„Kapstadt … oder das, was mal Kapstadt war."
Das war sie ja auch. „Dann hätten wir uns schon treffen können."
„Vielleicht waren wir auf demselben Boot."
Sie hatten den gesamten afrikanischen Kontinent durchquert. Flüge gab es nicht mehr. In Zügen, Bussen oder zu Fuß war man unterwegs. Die Reise dauerte lang, sehr lang. Die Ungewissheit, wann sie das Ziel erreichten, ob sie das Ziel erreichten, was der nächste Tag brächte … die Reise dauerte ewig. Zuerst war das nervenaufreibend gewesen. Immerhin war Leona noch nie in Afrika gewesen. Am Ende waren sie dann stumpf, teilnahmslos, fast apathisch jeden Morgen neu aufgebrochen. Irgendwann verlor man jede Orientierung. Die liegengebliebenen Fahrzeuge, die verwüsteten Felder, die leeren Städte, die unzähligen Toten neben den Straßen, die tobenden Stürme und dunklen Wolkenbänke … die Welt starb und die Zivilisation hatte schon ihre Bastionen aufgegeben. Jeder Mensch musste sich entscheiden: flüchten oder eingraben? Die Flucht war ungewiss, über die Kontinente, über das Meer und dann ins All hinüber zur Neuen Welt. Mit Sicherheit konnten nicht alle hinüber. Die Alternative war, sich in Bastionen aus Stahl und Beton zurückzuziehen, oder in Bunker unter die Erde. Solche Enklaven entstanden überall. Aber auch deren Plätze waren begrenzt.
Beide Wege waren unsicher. Für Leona fühlten sich die Bastionen und Bunker aber wie ein Sterben auf Raten an. Die Neue Welt! Das sagte ihr die Intuition. Nur wer sich nicht entschied, zu spät entschied, würde mit Gewissheit sterben, würde draußen auf der verwüsteten Oberfläche untergehen, hatte ganz sicher keine Chance.
Leona kannte keinen der anderen Passagiere. Sie hatte auch keinen Kontakt mehr nach Hause, zu niemandem. Ben war bereits im Mittelmeer verschollen … sie hatte keine Familie, keine Freunde, keine Bekannten mehr. Und auch jetzt war sie schon wieder von ihren Begleitern da unten getrennt worden. So zerrissen Familien, Partnerschaften, Freundschaften. Das ganze soziale Gefüge kam durcheinander.
Ein dumpfe Dröhnen drangen durch die Hülle, fauchende Stöße. Die Wand vor ihr bewegte sich plötzlich … alles bewegte sich. Die Menschen griffen um sich, um sich irgendwo festzuhalten. Jemand rief etwas. Erstaunt? Erschrocken?
„Wir manövrieren., sagte Jan, ganz ruhig. „Das sind die Steuertriebwerke.
„Aha. Etwas Sinnvolleres fiel Leona nicht ein. Aber sie war irgendwie erleichtert. „Und wer steuert uns?
„Der Computer., antwortete Jan trocken. „Der weiß, wo wir hinsollen.
„Woher weißt du das?"
„Ich habe die Dinger mit gebaut, zumindest die alten Frachtfähren. Ich wäre selbst zum Mond geflogen, stand schon im Karriereplan … bevor alles schief ging. Aber jetzt komme ich ja auch so dahin. War Jan stolz? Er winkte sie zum Bullauge. „Der Ring …
Leona blickte wieder zu Erde hinab. „Wir steigen immer noch auf?", fragte sie verwundert. Die Wolkenschicht lag deutlich tiefer.
Jan nickte. „Der Start hat uns auf eine weite Ellipse gesetzt. Bei technischen Fragen war er in seinem Element. Er malte eine Kurve in die Luft. „Über dem Südpol waren wir knapp über der Atmosphäre. Beim Rendezvous über dem Nordpol werden wir mehrere tausend Kilometer weiter oben sein. Wir müssen den Ring überfliegen.
Der Trümmerring … die beiden Einschläge hatten nicht nur die Atmosphäre aufgewühlt, Schockwellen durch die Kontinente geschickt, Flutwellen um den Globus gejagt … sie hatten auch riesige Trümmermengen in die Höhe katapultiert. Das meiste davon war zurückgestürzt, hatte die Zerstörung um den Globus getragen. Aber es war sehr viel, mehr als genug, im Orbit geblieben. Unzählige Gesteinsbrocken umkreisten die Erde, auf wilden Bahnen, durcheinander, noch chaotisch … aber sie begannen schon einen echten Ring zu bilden … und damit die Alte Welt schmücken.
„Ist das gefährlich?"
Jan zuckte mit den Schultern. „Schon. Niemand weiß genau, was da alles rumfliegt … und wie hoch. Die Fähren sollen das überfliegen … aber …"