Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Die Dämonen
Die Dämonen
Die Dämonen
eBook421 Seiten6 Stunden

Die Dämonen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Lord Gadennyn hat sich durch Mord und Intrigen zum König von Koridrea aufgeschwungen. Nun besitzt er die Mittel, um die anderen Länder des alten Königsreichs zu erobern. Er stellt eine gewaltige Streitmacht auf. Doch die Schwarze Armee, angeführt von den Magiern Traigar und Duna, stellt sich dieser entgegen. Eine finale Schlacht scheint unausweichlich. Aber Gadennyn verlässt sich nicht allein auf die militärische Überlegenheit seines Heers: Er sendet von ihm geschaffene dämonische Kreaturen aus, um seine Gegner zu vernichten.
Während die Schwarze Armee nach Süden zieht, streifen Cora, Boc und Spin zusammen mit Gormen Helath, dem Führer des Schwarzen Ordens, durch die Ostlande, um Zpixs, das Wesen, das die Zeit manipulieren kann, zu finden und zum Verbündeten zu gewinnen.
Die Gefährten wissen, dass sie einen Krieg gegen Gadennyns überlegene Streitmacht nicht gewinnen können. Sie müssen sich dem König, der durch das Amulett des toten Lordmagiers Semanius über eine unvorstellbare magische Macht verfügt, stellen. Nur eine List kann ihnen helfen, ihn zu besiegen.

Der vorliegende Band Die Dämonen bringt die Fantasie-Trilogie Wathans Hammer zum Abschluss.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum19. Nov. 2018
ISBN9783742716118
Die Dämonen

Ähnlich wie Die Dämonen

Titel in dieser Serie (3)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Die Dämonen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Die Dämonen - Roland Enders

    Karte

    graphics1

    Was bisher geschah

    Band I: Der Schwarze Abt

    Der junge Magier Traigar steht in Diensten Lord Gadennyns, eines Provinzfürsten in Koridrea, dem südlichsten Land des zerfallenen Alten Königreichs. Eines Tages kann Traigar den Angriff einer dämonischen Kreatur auf Gadennyn abwehren und rettet ihm damit das Leben. Sein Herr erzählt ihm darauf vom mächtigen Lordmagier Semanius, der vor ein paar Jahrhunderten versucht hat, die Macht im Reich an sich zu reißen und dabei Tausende von Menschen getötet oder in grausame Bestien verwandelt hat, bevor er sich aus einem unbekannten Grund das Leben nahm. Semanius sei nun in der Person Nunoc Baryths, des Abts des berüchtigten Schwarzen Ordens in Vulcor, weit im Norden des Alten Königreichs, wiedergeboren worden, erklärt Gadennyn. Der Schwarze Abt beabsichtige, seinen damals gescheiterten Plan, die Länder des Reichs zu unterwerfen, zu vollenden. Dies habe er ihm selbst offenbart, als er vor Jahren in seine Gefangenschaft geriet, berichtet Traigars Dienstherr. Er habe aber fliehen können, und seitdem bange er um sein Leben. Auch die von Traigar getötete dämonische Kreatur, die einen Anschlag auf sein Leben durchgeführt hat, sei von Semanius geschickt worden. Vermutlich könne niemand den Schwarzen Abt aufhalten, außer vielleicht ein talentierter Magier, von denen es in diesen Zeiten nicht mehr viele gibt. Der Lord bittet Traigar, den Schwarzen Abt zu töten, um schlimmes Unheil von der Welt abzuwenden.

    Der junge Magier lässt sich von seinem Herrn überzeugen. Nach gründlicher Vorbereitung brechen sie auf: Traigar, Hauptmann Gother, ein Vertrauter Gadennyns, die Soldaten Zaphir und Dremion, Spin, der Waldläufer, Cora, die Heilerin, Boc, der Schmied, und Winger, der Baumeister. Sie schlagen sich durch die weitgehend unbekannten Ostlande und geraten mehrfach in Lebensgefahr. Sie begegnen dem geheimnisvollen Zpixs, einem Wesen vom Volk der Xhingi, das Macht über die Zeit besitzt.

    Nach monatelanger Reise erreichen sie schließlich das Land Vulcor und finden das abgelegene Kloster. Traigar kommen nun Zweifel, und er weigert sich, Nunoc Baryth zu töten, doch Gother zwingt ihn dazu. Nachdem der Schwarze Abt tot ist, fallen Traigar und seine Begleiter in die Hände des Schwarzen Ordens. Dann erfahren sie zu ihrem Entsetzen, dass sie ihr Herr getäuscht hat: Nicht Nunoc Baryth ist der wiedergeborene Semanius, sondern Gadennyn! Sie haben mit dem schwarzen Abt den einzigen Widersacher ausgeschaltet, der ihm hätte gefährlich werden können.

    Band 2: Die neue Macht

    Traigar ist verzweifelt. Er hat den größten Fehler seines Lebens begangen, als er Nunoc Baryth tötete. Dessen Nachfolger, Gormen Helath, glaubt ihm, dass der junge Magier und seine Begleiter von Gadennyn getäuscht worden sind. Nur Gother kannte die wahre Identität seines Herrn und war in dessen Pläne eingeweiht. Der Hauptmann wird eingekerkert. Der Schwarze Orden nimmt Traigar und seine anderen Gefährten auf, nachdem sie geschworen haben, ihren Fehler wieder gutzumachen.

    Gother gelingt es zu fliehen. Einige Schwarze Kämpfer, Ordensmitglieder mit herausragenden Kampffähigkeiten, verfolgen ihn, doch sie können nicht verhindern, dass er Vulcor auf einem Schiff Richtung Koridrea verlässt.

    Traigar und seine Freunde erfahren inzwischen die wahre Geschichte von Semanius aus dessen Tagebuch, das der Schwarze Orden gefunden hat. Als Quelle der unvergleichlichen magischen Macht des Lordmagiers offenbart es einen geheimnisvollen Stein, den er in einem Amulett um den Hals trug. Der Ursprung des Steins ist unklar. Semanius hat ihn als junger Magier in einem Bachbett gefunden. Etwas scheint darin zu wohnen, das Semanius’ Wesen grundlegend verändert hat. Jahrhunderte nach seinem Tod stieß Gadennyn auf das Tagebuch und fand den Stein. Im Gegensatz zu dem Lordmagier offenbart der Fürst aber nicht seine ganze Macht, sondern scheint einen subtileren Plan zu verfolgen. Sein erster Schritt bestand darin, den Abt des Schwarzen Ordens zu eliminieren.

    Die führenden Ordensmitglieder und die Gefährten aus Koridrea fassen einen Plan wie sie Semanius aufhalten wollen. Traigar soll – zusammen mit Duna, der Feuermagierin – die Schwarzen Kämpfer des Ordens nach Süden führen. Auf dem Weg durch die Länder des Alten Königreichs wollen sie eine Armee rekrutieren. Natürlich wird Gadennyn davon erfahren und ebenfalls ein Heer aufstellen. Doch die Truppen Traigars und Dunas sollen nur als Ablenkungsmanöver dienen. Gormen Helath, der Stellvertreter Nunoc Baryths, will inzwischen mit Cora, Spin und Boc in die Ostlande reisen, dort nach Zpixs suchen und ihn um Hilfe bitten. Der Xinghi soll mit seiner Fähigkeit, die Zeit zu manipulieren, Gadennyn das Amulett, das dem Lord seine Macht verleiht, entreißen.

    Die beiden Gruppen brechen auf. Traigar, Duna und die Schwarzen Kämpfer gewinnen zunächst Verbündete unter den Nomaden Vulcors, überzeugen dann die Einwohner der Stadt Helmseth sie zu unterstützen und rekrutieren Männer für das Schwarze Heer – meist Tagelöhner, arme Bauern, ehemalige Gesetzeslose, aber auch einige gut ausgebildete Söldner unter der Führung des Säbelmeisters Osiris.

    Gadennyn bereitet unterdessen die Machtübernahme in Koridrea vor. Er hat den Kanzler Aturo Pratt, den mächtigsten Mann nach König Bredos, in der Hand, weil er von einem Mord weiß, den Pratt beging. Der Kanzler sorgt im Auftrag Gadennyns dafür, dass sich das Gerücht über einen angeblichen Geheimbund verbreitet, dem einige Fürsten des Hauses der Lords angehören sollen. Der sogenannte Rabenbund wolle den König ermorden lassen, heißt es. Tatsächlich findet auch ein Anschlag auf Bredos statt, der aber vereitelt werden kann. Der ‚besorgte’ Gadennyn lädt daraufhin einige der Lords zu einer geheimen Versammlung ein und berichtet ihnen, was Pratts Geheimdienst angeblich über den Rabenbund herausgefunden hat. Er schlägt vor, schon jetzt einen Nachfolger für Bredos, der keinen leiblichen Erben hat, zu wählen, falls dieser einem Anschlag zum Opfer fallen sollte, damit der Rabenbund im darauf folgenden Chaos nicht die Macht übernehmen könne. Er selbst stehe für die Königswürde aber nicht zur Verfügung. Die Fürsten misstrauen sich gegenseitig so sehr, dass sie dennoch Gadennyn gegen dessen vorgeblichen Widerstand zum Thronfolger wählen.

    Natürlich kommt es so, wie es Gadennyn und Pratt eingefädelt haben: Pratt setzt einen Attentäter auf Bredos an, und dieser hat Erfolg. Die fingierten Beweise deuten auf einige der Fürsten des Hauses der Lords hin: die, welche Gadennyn nicht zum Geheimtreffen eingeladen hatte. Sie werden verhaftet und hingerichtet. Die übrigen Lords krönen Gadennyn zum König. Der schmiedet jetzt an seinem Plan, die nördlichen Länder des alten Königreichs zu erobern, aber ihm fehlt die äußere Bedrohung, um eine Armee zu rekrutieren. So begnügt er sich vorläufig damit, die Grenzkräfte zu verstärken und eine Bürgerwehr gegen die angeblichen Anhänger des Rabenbundes zu gründen.

    Gother erreicht nach seiner Flucht die Hauptstadt und berichtet dem König von der erfolgreichen Beseitigung seines Widersachers Nunoc Baryth. Gadennyn ist erfreut, aber auch beunruhigt. Er hat das nagende Gefühl, mit Traigar, Duna und den Schwarzen Kämpfern, die er alle noch im Kloster des Ordens in Vulcor hoch im Norden vermutet, könnten ihm neue, gefährliche Gegner erwachsen. Er benutzt wieder die Macht der Gestaltswandlung, mit der er schon einmal eine dämonische Kreatur erschaffen hat, angeblich vom Schwarzen Abt entsandt, um ihn zu töten. Jetzt verwandelt er Raubtiere einer Menagerie in Bestien und setzt sie auf Traigar, Duna und die Schwarzen Kämpfer an.

    Der Winter ist hereingebrochen. Das Schwarze Heer wächst und wächst und zieht weiter nach Süden. Eine der Bestien erreicht es, doch Traigar tötet sie. Er kann seine magische Kraft, die früher unkontrolliert ausbrach und die er kaum seinem Willen unterwerfen konnte, jetzt besser beherrschen, seit er meditiert und in der Transzendenz die Leere gefunden hat, einen Ort jenseits von Raum und Zeit, in der er direkten Zugriff auf die magische Macht hat.

    Gormen Helath, Spin, Boc und Cora ziehen unterdessen auf der Suche nach Zpixs durch die Ostlande und durchqueren dabei das Land der ‚Drachen’, Riesenreptilien, die Sauriern gleichen. Eine Begegnung mit einem Königsdrachen endet beinahe mit ihrem Tod. Dank Gormen Helaths magischer Fähigkeiten überleben sie die Episode.

    Gadennyn hat inzwischen von der Schwarzen Armee erfahren, die nach Süden Richtung Koridrea zieht. Diese Bedrohung spielt ihm in die Karten: Er kann nun – unterstützt vom Haus der Lords und von der Bevölkerung –ein eigenes Heer aufstellen. Dank der Ressourcen des Landes wird es ein viel größeres und schlagkräftigeres sein, mit gut ausgebildeten und bewaffneten Soldaten. Es plant, Traigars Armee zu vernichten und dann die anderen Länder des ehemaligen Königsreichs zu erobern.

    In der Hauptstadt findet das Winterturnier statt, an dem auch Gother teilnimmt. Er siegt Runde um Runde und steht am Ende schließlich einem jungen Kämpfer namens Orec gegenüber. Orec trägt einen tiefen Hass auf Adlige und Ritter in sich, da er in der Burg eines Ritters Jahre im Verließ verbrachte, zu Unrecht angeklagt und bestraft, weil er sich den Zorn des Sohnes und der Töchter des Burgherrn zugezogen hatte. Orec zieht seitdem als Turnierkämpfer durch die Lande und tötet in seinen Duellen die Blaublütigen und die Ritter. Gother ist zwar kein Ritter, aber der Vasall des Königs, und deshalb tötet er ihn ebenfalls ‚unbeabsichtigt’ in einem fairen Zweikampf, wie es scheint. Gadennyn lässt ihn festnehmen und verwandelt ihn ebenfalls in eine seiner Kreaturen, die er auf Traigar ansetzt. Er verleiht ihm aber noch eine besondere Fähigkeit, die der magischen Kraft des jungen Magiers widerstehen kann.

    Buch 2: ‚Die neue Macht’ endet damit, dass der König Orec ausschickt, um Traigar zu töten.

    Im Land der Xinghi

    Der Ort der ewigen Verdammnis konnte kaum schlimmer sein als der Dschungel: eine düstere, modrige und feuchte Welt. Armdicke Schlingpflanzen hingen von den Bäumen herab und wanden sich wie Schlangen über den Boden, mannshohe Wurzeln und dichtes Unterholz machten ihn fast undurchdringlich. Die einzige Möglichkeit, den Urwald mit den Pferden zu durchqueren, boten Wildwechsel, manche von ihnen breit wie Karrenwege. Sie zogen sich kreuz und quer durch den Wald, ein Netz natürlicher Straßen. Es schien, als hätten Riesen die Pflanzen in diesen Schneisen niedergetrampelt, die Äste bis in zwölf Fuß Höhe abgebrochen, das Laub bis hinauf zur doppelten Mannshöhe abgeerntet und die Rinde von den angrenzenden Stämmen geschält. Bald begegneten sie ihnen: seltsamen und Respekt einflößenden Tieren, die die breiten Wildpfade ausgetreten hatten. Die Geschöpfe erreichten fast die Höhe einiger der Pflanzenfresser im Drachenland, besaßen lange, schlauchartige Nasen, riesige Stoßzähne, die wie nach oben gekrümmte Hauer hervorragten, Ohren, so groß wie das Fell einer Basstrommel und haarlose, dicke, graue Schwarten. Gormen hatte solche Tiere einmal in einem illustrierten Buch gesehen. Sie würden Alafanten genannt und hätten ihren Lebensraum in den Südlanden, hieß es da. Die vier Reiter trafen einmal auf eine Herde von dreizehn Tieren – Jungtiere, Kälber und ihre Mütter – und ein anderes Mal auf einen gewaltigen Einzelgänger, der sie wütend anstarrte, einen trompetenartigen Ruf ausstieß und mit den fächerartigen Ohren wedelte. Beide Male verdrückten sie sich schnell durch schmale Seitenpfade oder brachen sich einen Weg ins Unterholz, um den dickhäutigen Alafanten den Weg freizumachen.

    Cora fragte sich, ob es eine gute Idee sei, die Pfade der großen Tiere zu benutzen. Was wäre, wenn die Reiter ihnen einmal nicht rechtzeitig ausweichen könnten? Dann würden sie wohl überrannt und in den aufgeweichten Boden gestampft werden! Aber es gab offenbar keine andere Möglichkeit, durch den dichten Urwald nach Südwesten voranzukommen. Wie konnte sich Spin überhaupt so sicher über die Richtung sein? Das dichte Blätterdach verbarg das Firmament. Weder der Sonnenstand am Tag noch die Sternzeichen in der Nacht konnten ihm als Anhaltspunkte zur Bestimmung der Himmelsrichtung dienen. Aber der Waldläufer führte sie unbeirrt durch das Labyrinth der Wildwechsel.

    Den großen Strom, der die Ostlande von Süden nach Norden durchquert und dabei weiter nördlich über die Klippe in die Große Kluft stürzt, hatten sie weit hinter sich gelassen, aber den Weg, auf dem sie auf der Hinreise gekommen waren und der durch den lichteren Wald führte, in dem das inzwischen wohl verlassene Dorf der Ostlingsfrauen um Horlu stand, fanden sie nicht, und so schlug Spin vor, nach Südwesten zu reiten, wo sie durch das Land der Xinghi kommen mussten.

    Nun schlugen sie sich seit Tagen durch diesen Urwald, den sie zu hassen gelernt hatten. Auch in dieser Region herrschte noch der Winter. Das Wetter zeigte sich jedoch viel milder als westlich der Berge oder im hohen Norden. Die Temperaturen glichen denen in Koridrea im Herbst. Es fiel kein Schnee, aber es regnete unablässig. Der kalte Regen durchnässte ihre Kleidung. Eine dicke, feuchte Nebelschicht lag auf der Erde, begrenzte ihre Sicht auf zehn bis zwanzig Schritte, manchmal weniger, und die hohe Feuchtigkeit der Luft machte das Atmen schwer. Boc hatte sich einen Schnupfen geholt und fing jetzt auch noch an zu husten. Er hatte ein wenig Fieber. Cora kochte ihm dreimal täglich einen heißen, gräßlich schmeckenden Sud aus getrockneten Heilpflanzen, die sie in ihrer umfangreichen Apotheke bei sich führte.

    Die dicht belaubten Baumkronen schützten sie zwar vor den Wolkenbrüchen, aber das stetige Rieseln von oben, das von dem im Laubdach gesammelten Nass stammte, fühlte sich viel unangenehmer an als ein kurzer, frischer Regenguss. Nicht nur Wassertropfen fielen auf sie herab, auch Zecken, die sich im stetigen Tröpfeln geschickt verbargen. Die Menschen suchten ihre Körper und die ihrer Reittiere mehrmals täglich nach den Plagegeistern ab. Cora hatte sie schon an den unmöglichsten Stellen entdeckt. Sie fragte sich, wie die ekelhaften Tiere immer einen Weg durch ihre dicke Kleidung fanden. Wenigstens gab es um diese Jahreszeit keine Stechmücken. Mit denen hatten sie ja auf der Hinreise zu kämpfen gehabt, als sie einen anderen Dschungel – (oder war es derselbe an einer anderen Stelle gewesen?) – durchquert hatten.

    Heute lagerten sie in einer kleinen Lichtung, die Mensch und Tier gerade genug Platz zum Ausruhen bot. Müde und abgespannt saßen sie um das dampfende und qualmende Feuer, das sie immerhin ein wenig wärmte. Mit Feuerstein und Zunder wäre es ihnen nie gelungen, die feuchten Äste und Zweige, die sie im Unterholz gesammelt hatten, zu entzünden, aber Dank der magischen Fähigkeiten Gormens prasselten jetzt die Flammen. Cora zog sich bis auf ihr Lendentuch aus, dann zündete sie einen kleinen Zweig an, den sie vorher zum Trocknen dicht an das Feuer gelegt hatte, und wartete, bis er ein Stück abgebrannt war. Sie blies die Flamme aus und strich mit der noch glühenden, verkohlten Spitze über die kugelförmig aufgeblähten Leiber dreier voll gesogener Blutsauger an ihrem Körper, bis diese abfielen. Eine Zecke hatte sie in der Achselhöhle gefunden, eine weitere am Bein und eine dritte unter ihrer linken Brust. Sie und die Männer hatten längst jede Scham abgelegt und sich daran gewöhnt, sich vor den anderen zu entblößen, um die Schmarotzer zu finden und loszuwerden. Spin, der seine Bisse gerade behandelt hatte, reichte ihr den Salbentopf weiter. Cora strich etwas von der grüngrauen Paste auf die roten Stellen.

    Als viel schwieriger erwies es sich, Zecken loszuwerden, die sich in die Kopfhaut gebohrt hatten. Hier konnten sie natürlich keine heiße Flamme oder glühende Holzkohle benutzen, ohne sich dabei die Haare zu versengen. Nachdem sie es zuerst mit Lampenöl mehr oder weniger erfolglos versucht hatten, banden sie sich mit Stoffstreifen, die sie aus einigen Kleidungsstücken geschnitten hatten, festsitzende Turbane um den Kopf.

    Cora zog sich wieder an und hüllte sich zusätzlich in eine noch halbwegs trockene Decke. Die anderen taten es ihr nach. Dann aßen sie ein karges Mahl. Viel war von ihrem Proviant nicht mehr übrig: Brot und Dörrobst verschimmelt und ungenießbar, der Reis kalt aufgequollen, der Käse von Maden befallen. Sie warfen die verdorbenen Vorräte weg. Spin hatte vor zwei Tagen eine kleine Gazelle geschossen. Ihr Fleisch bot die einzige Abwechslung von der Kost aus Pilzen und Beeren, die überall wuchsen. Schweigend kauten sie auf den durch Pökeln haltbar gemachten Streifen herum. Cora fand ihr Stück zäh, aber sie war Spin dankbar, dass er gelegentlich Wild aufspürte und erlegte. Nach dem Essen unterhielten sich die vier Gefährten, wandten sich wieder dem Thema zu, das ihre Gedanken am meisten beherrschte.

    „Wie weit ist es noch?", erkundigte sich Gormen beim Waldläufer.

    „Wenn du damit meinst, wie weit wir noch vom Pass entfernt sind, dann weiß ich es nicht, antwortete der. „Ich kann nur raten, dass wir noch zwei bis dreihundert Meilen nördlich davon sind. Im Dschungel schaffen wir höchstens zehn Meilen am Tag, das heißt wir werden wahrscheinlich noch einen Monat unterwegs sein, bis wir ihn erreichen. Wenn du allerdings wissen willst, wie weit es noch bis zum Land der Xinghi ist, dann antworte ich: Wir sind längst da.

    „Aber wie sollen wir sie jemals finden?" Coras Stimme klang hoffnungslos.

    „Sie werden uns finden", meinte Boc und hustete röchelnd. Dann schnäuzte er sich zwischen den Fingern. Spin nickte.

    „Ich denke, Boc hat recht. Allerdings glaube ich, dass sie uns schon gefunden haben. Wir müssen sie nur dazu bringen sich zu zeigen."

    „Du meinst, sie beobachten uns jetzt gerade?" Gormen blickte sich suchend um.

    „Ich denke, einer ihrer Späher begleitet uns, seit wir über den Fluss gesetzt haben. Draußen, in der weiten Ebene, in der es nur wenige Bäume und Büsche gibt, hat er uns wohl aus der Ferne im Auge behalten. Jetzt dürfte er so nahe sein, dass er unsere Unterhaltung hört."

    „Dann rufe ihn doch einfach", meinte Boc.

    „Was soll ich denn rufen? Wenn er unsere Sprache spräche, wüsste er längst, dass wir mit seinem Volk Kontakt aufnehmen wollen. Dass er sich nicht zeigt, kann bedeuten, dass das Waldvolk nichts mit uns zu tun haben will. Wahrscheinlicher ist aber, dass er kein Wort von dem versteht, was wir sagen. Die Xinghi-Späher sprechen unsere Sprache nicht. Zpixs ist eine Ausnahme. Sein Volk hat ihn nach Koridrea geschickt, um die Menschen dort zu beobachten, und deshalb hat er Koridreanisch gelernt." Spin zuckte resignierend die Schultern. Aber Gormen schien plötzlich eine Erleuchtung zu haben.

    „Ist denn nicht anzunehmen, dass der Späher, der für diese Region zuständig ist, sich in der Sprache der Ostlinge, der Menschen, die ihre Nachbarn sind, verständigen kann? Vielleicht versteht er mich dann auch. Mit meinem Krandoranisch, der Sprache des Alten Königreichs, konnte ich mich ganz leidlich mit Tera, dem Bildhauer, unterhalten."

    Spin schlug sich vor den Kopf. „Ich bin ein Narr, dass ich nicht darauf gekommen bin. Du hast sicher recht, Gormen. Die Xinghi beobachten die Ostländer seit langer Zeit. Um zu wissen, was ihre menschlichen Nachbarn im Schilde führen, müssen sie natürlich deren Sprache beherrschen. Ja, mein Freund, versuch dein Glück."

    Der Schwarze Mönch stand auf, wandte sich dem Wald zu und sagte mit lauter Stimme auf Krandoranisch:

    „Späher der Xinghi. Wir wissen, dass du in der Nähe bist. Wir kommen in Frieden. Meine Begleiter hier kennen einen der Euren ganz gut. Seinen Namen können wir in eurer Sprache nicht aussprechen, er klingt in unseren Ohren wie Zpixs. Wir haben eine weite und gefahrvolle Reise gemacht, um ihn zu finden und mit ihm zu reden. Die Angelegenheit ist äußerst wichtig, nicht nur für uns Menschen, sondern auch für euch. Auch ihr seid in großer Gefahr. Wir sind gekommen, um die Xinghi vor einem heraufziehenden Unheil zu warnen und um Hilfe zu bitten."

    Sie warteten, doch nichts geschah. Nach einer Weile setzte sich Gormen wieder ans Feuer und seufzte.

    „Immerhin war es einen Versuch wert. Versucht nun, ein bisschen zu schlafen. Ich halte die erste Wache."

    Sie wickelten sich in ihre Decken und rollten sich zusammen, bis auf den Schwarzen Mönch, der sich auf einen Stein hockte und ins herunterbrennende Feuer starrte. Nach einer Weile vernahm er die regelmäßigen Atemzüge von Cora und Spin und das röchelnde Schnarchen von Boc, der durch seine verstopfte Nase keine Luft bekam und deshalb mit offenem Mund atmete.

    Mittlerweile gab das Lagerfeuer kaum noch Rauch ab, da das brennende Holz durch die Hitze getrocknet war. Die Flammen tanzten ihren feurigen Tanz, und durch die aufsteigenden heißen Gase sah Gormen den Waldesrand dahinter in rötlichem Licht flimmern und wabern, als bestünde er aus kochendem Wachs oder heißer Lava. Inmitten dieses gespenstischen Hintergrunds materialisierte plötzlich eine Gestalt, ein kleines, menschenähnliches Wesen.

    „Ich bin Zpixs. Du hast mich gerufen", sagte es.

    Cora freute sich sehr, das kleine, freundliche Waldwesen wiederzusehen. Sie drückte dem Xinghi einen Kuss auf die Stirn. In dessen Minenspiel zeigte sich keine Emotion, aber die Bewegung seiner Ohren verriet seine Freude.

    Spin stellte ihm Gormen Helath vor. Als der Waldläufer erklärte, Gormen gehöre dem Schwarzen Orden aus Vulcor an, legte Zpixs die Ohren eng an den Kopf, ein Zeichen der Verwirrung, wie Cora vermutete.

    „Das verstehe ich nicht, wunderte sich der Waldbewohner. „Ist nicht der Schwarze Abt, der Führer dieses Ordens, euer Feind, der wiedergeborene Semanius? Seid ihr nicht aufgebrochen, um ihn zu besiegen? Jetzt ist einer seiner Brüder euer Gefährte. Was ist geschehen? Warum sind Traigar, Gother, Winger und die beiden Soldaten nicht bei euch? Sind sie umgekommen? Konntet ihr diesen Nunoc Baryth nicht bezwingen?

    Gormen antwortete ihm:

    „Nunoc, mein Bruder und väterlicher Freund, ist leider tot. Traigar und Gother haben ihn getötet, wie es ihr Plan vorsah. Aber manchmal trügt der Schein, Zpixs. Traigar und seine Freunde wurden von Gother und dessen Herrn getäuscht. Die Wahrheit ist: Nicht Nunoc Baryth, sondern der Lord von Shoala, Athlan Gadennyn, ist der wiedergeborene Lordmagier Semanius."

    Die langen Ohren des Xinghi schwirrten wie die Flügel einer Libelle. Für einen kurzen Augenblick flimmerte die Luft, dann war er verschwunden, doch einen Lidschlag später tauchte er fast an derselben Stelle wieder auf.

    „Verzeiht, meine Freunde, dass ich euch verließ. Ich bin eine Weile durch den Wald gestreift, um der Verwirrung meiner Gefühle Herr zu werden."

    ‚Eine Weile?’, dachte Gormen, aber dann fiel ihm ein, dass dieses Wesen ja die Zeit beherrschte. Es mochte nach seinem eigenen Zeitempfinden stundenlang umhergeirrt sein.

    „Erzählt mir alles, was geschehen ist, seit wir uns vor vielen Monaten getrennt haben", bat Zpixs.

    Cora gab einen groben Abriss der Geschehnisse. Sie berichtete nur kurz von ihrer Begegnung mit den Grim, ihrer Gefangennahme und Zaphirs Tod. Dann erzählte sie in knappen Worten von ihrer Ankunft in Vulcor, dem Attentat auf Nunoc Baryth, und wie sie vom Verrat Gadennyns und Gothers erfuhren. Dennoch dauerte ihr Bericht eine Weile. Zum Schluss sprach sie von dem Plan, den die Gefährten und die Schwarzen Mönche gemeinsam ersonnen hatten, um Semanius zu besiegen: Traigar und Duna sollten mit den Schwarzen Kämpfern des Ordens ein Heer aufstellen und nach Süden ziehen; dies sei aber nur als Ablenkungsmanöver gedacht, um Semanius’ Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie – Cora und ihre Begleiter – seien gemäß dem Plan wieder in die Ostlande zurückgekehrt, um Zpixs um Hilfe zu bitten.

    „Hilfe wobei?", wollte das kleine Wesen wissen.

    Boc ergriff das Wort:

    „Die Schwarzen Mönche haben herausgefunden, was Gadennyn – oder Semanius – diese unvorstellbare magische Macht verleiht. Es ist ein Amulett mit einem schwarzen Stein. Wir müssen es ihm wegnehmen. Nur so können wir ihn besiegen. Aber wir Menschen sind dazu nicht in der Lage. Wir würden niemals auch nur in die Nähe von Semanius gelangen. Er würde uns vernichten. Der Einzige, der das kann, bist du, Zpixs. Wir wollen ihn ablenken, so gut wir können, aber du – und darum bitten wir dich – musst ihm das Amulett abnehmen."

    Zpixs’ Ohren spielten wieder wie wild.

    „Das ist unmöglich."

    „Aber du kannst doch die Zeit einfrieren! Es wäre ganz einfach für dich, ihm …"

    „Darum geht es nicht, Boc. Selbstverständlich wäre ich in der Lage, ihm diesen Talisman der Macht zu stehlen. Aber ich darf es nicht."

    Cora fragte mit einem scharfen Unterton in der Stimme:

    „Du darfst es nicht? Wer sollte es dir verbieten uns zu helfen?"

    „Mein Volk und unsere Gesetze", erklärte der Xinghi mit Nachdruck.

    Die Heilerin erinnerte sich. Zpixs hatte ihnen bei ihrer ersten Begegnung erzählt, dass es den Xinghi nicht erlaubt war, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Völker zu mischen oder gar Partei für eine Seite zu ergreifen. Nach kurzem Überlegen argumentierte sie:

    „Angenommen, Semanius wäre ein Xinghi. Dürftest du dann etwas gegen ihn unternehmen?"

    „Selbstverständlich. Wenn er mein Volk bedrohte, dann …"

    „Ach, dann liegt es gar nicht daran, dass er ein Mensch ist, sondern ausschlaggebend ist nur, ob er eine Gefahr für euch darstellt oder nicht?"

    Zpixs zögerte kurz.

    „So ist es. Ich dürfte eingreifen, wenn er unser Feind wäre. Doch Semanius bedroht uns nicht. Ich bedaure, dass er die Menschen jenseits des Gebirges unterjochen will, aber das rechtfertigt nach unserem Gesetz keine Parteinahme zu euren Gunsten."

    Jetzt erhob Gormen die Stimme. Er sprach eindringlich:

    „Du irrst dich, Zpixs, wenn du glaubst, Semanius sei nicht euer Feind. Er ist der Feind aller Lebewesen dieser Welt! Sobald er das Alte Reich wieder errichtet und unter seine Herrschaft gezwungen hat, wird er seinen Blick nach Osten und Süden richten. Die Menschen in diesen Ländern mögen in der Übermacht sein, aber gegen seine magischen Kräfte haben sie nichts zu bestellen. Ihre Unterwerfung ist so gut wie sicher. Und dann wird er von den unterjochten Ostländern von der Existenz der Xinghi erfahren, jenen Wesen, die ihnen so Angst einflößend, dämonenhaft und mächtig erscheinen. Er wird euch als Bedrohung betrachten und danach streben, euch zu vernichten!"

    Das Ohrenspiel des kleinen Wesens geriet noch heftiger. Lange schwieg es und schaute die Gefährten nacheinander an. Endlich stieß Zpixs einen Laut aus, der einem menschlichen Seufzer glich.

    „Ich muss das dem Rat vortragen. Nur er kann entscheiden, ob unsere Gesetze verletzt werden, wenn ich euch helfe."

    „Dann kommen wir mit dir, erklärte Spin. „Führe uns zu deiner Stadt, Zpixs. Wir wollen eurem Rat unsere Argumente selbst vortragen.

    „Es tut mir leid, das geht nicht. Kein fremdes Wesen darf Khtau n’ Hoghx betreten. Wartet hier. Ich komme morgen wieder."

    Im selben Augenblick war er verschwunden.

    Cora träumte.

    Zpixs führt sie durch den Wald auf Pfaden, die sie allein nie entdeckt hätte. Seine kleine, feingliedrige Hand liegt in ihrer wie die eines Kindes in der seiner Mutter.

    Es ist dunkel, aber sie kann ihre Umgebung so gut sehen, als ob der Vollmond am Himmel stünde. Doch die Farben sind vollständig verblasst. Blätter, Ranken und Stängel der Pflanzen schimmern schwach bis hellgrau, ein vorbeihuschendes Tier strahlt in weißem Licht, und der Boden ist dort, wo blanke Erde hervortritt, fast schwarz. Sie sieht den Xinghi neben sich, der ebenfalls leuchtet, als sei er von einer Aura umgeben. Sie blickt an ihrem eigenen Körper hinab und sieht ein fahles Licht von sich ausgehen, das hell erstrahlt, wo ihre nackte Haut an Händen und Unterarmen zu sehen ist, und das etwas schwächer durch die feinen Maschen des Stoffs ihrer Kleidung schimmert.

    Allmählich wird der Wald lichter, und die Bäume werden größer. An den mächtigen Stämmen wachsen dicke Ranken, die bis in die Kronen hinaufreichen.

    Wohin gehen wir?", fragt sie.

    Nach Khtau n’ Hoghx, der Hauptstadt des Xinghi-Reichs", erklärt Zpixs.

    Aber ich dachte, kein fremdes Wesen dürfe es betreten?"

    Deinem Körper ist es verboten, aber deine Seele darf mich begleiten. Komm."

    Der Waldbewohner ergreift eine Ranke und klettert rasch hinauf.

    Das schaffe ich nicht", murmelt Cora verzagt.

    Du bist leicht wie eine Feder. Versuch es einfach."

    Zweifelnd packt die junge Frau die dicke Liane und holt tief Luft. Dann stemmt sie die Füße gegen den Stamm und macht einen Klimmzug. Sie ist überrascht, als sie fast schwerelos hinaufgleitet, so als befände sie sich unter Wasser. Bald hat sie eine schwindelerregende Höhe erreicht. Der Waldboden weit unten ist gar nicht mehr sichtbar. Aber sie hat keine Angst. Kurz über ihr klettert der Xinghi und verschwindet im dichten Blätterdach. Die Kronen der weit auseinanderstehenden Baumriesen haben sich hier zu einer kompakten Masse verwoben, die einer geschlossenen Wolkendecke gleicht. Sie taucht hinein, klettert weiter durch die Myriaden von Blättern, Ästen und Zweigen, die ihr durchs Gesicht streifen, im Weg sind und sie daran hindern wollen, dem verschwunden Xinghi zu folgen, aber sie lässt sich nicht beirren, bis sie schließlich durch die Laubdecke bricht. Ein Laut der Überraschung entfährt ihr.

    Sie befindet sich jetzt nicht etwa über den Baumkronen wie sie erwartet hat. Die Stämme streben noch viel weiter empor, und etwa dreißig bis vierzig Fuß über ihr bildet ein weiteres Blätterdach eine lichte Decke. Der Raum dazwischen ist völlig entlaubt. Es ist, als ob sie sich in einer gewaltigen Halle befindet, deren Boden und Decke aus Millionen von Zweigen und Blättern bestehen. Die Stämme der Riesenbäume wirken wie Säulen, die das Gewölbe stützen. Überall an den dicken Ästen um sich herum erkennt sie frische Schnittflächen, wo die Zweige entfernt wurden. Diese Halle ist keines natürlichen Ursprungs. Und sie ist bewohnt.

    An den dicken, entlaubten Ästen hängen aus Binsen und Zweigen geflochtene nestartige Kugeln, befestigt mit Lianen oder Hanfseilen. Manche sind so groß wie kleine Hütten, manche messen aber auch nur drei bis vier Fuß im Durchmesser. Sie besitzen Löcher an den Seiten, die wohl als Eingänge und Fenster dienen. Es müssen Hunderte, wenn nicht mehr als Tausend dieser Behausungen sein. Die meisten sind locker verstreut angeordnet, in verschiedenen Höhen und Abständen, gerade wie es der Verlauf der Äste gestattet. Einige bilden Trauben von einem Dutzend und mehr und erinnern an einen Bienenstock. Und alle sind durch Brücken und Stege verbunden.

    Vor ihr steht Zpixs, der auf sie gewartet hat, auf einer solchen Hängebrücke, eine von zweien dicht nebeneinander laufenden, die hinüber zu einer größeren Plattform führen. Die Brücke ist wie die runden Hütten aus Binsen geflochten und besitzt einen Boden aus dickem Schilfrohr. Sie ist schmal, geländerlos und schaukelt durch das Gewicht des Xinghi. Über ihrem konkav geschwungenen Boden hängen zwei Seile, eines in Höhe der Größe eines durchschnittlichen Xinghi – Zpixs hält sich mit einer seiner feingliedrigen Hände daran fest – und eines drei Fuß darüber. An diesem oberen Seil sind in Abständen von einigen Schritten kürbisgroße Lampions aus einem pergamentähnlichen Material befestigt, die ein weiches, helles Licht aussenden. Und diese Lampions gibt es überall. Sämtliche Brücken, Stege und Plattformen erstrahlen in ihrem Glanz. Khtau n’ Hoghx gleicht einem Lichtermeer.

    Cora, die die herrliche Stadt voller Staunen bewundert, sieht, dass sie vor Leben wimmelt. Auf den Plattformen zwischen den kugeligen Hütten oder Nestern herrscht geschäftiges Treiben. Kleine, menschenähnliche Gestalten huschen schwindelfrei und sicher über die schmalen Stege und Brücken. Ähnlich wie sie selbst und Zpixs scheinen sie von innen zu leuchten. Allerdings ist dieses Körperlicht jetzt deutlich schwächer als vorhin, als sie noch am Boden des Waldes durch die tiefe Dunkelheit gewandert sind.

    Manche der Xinghi tragen Lasten auf ihren Köpfen: Körbe, gefüllt mit Brot und Früchten, Amphoren, in Stoff verpackte Bündel. Kinder spielen in einem Klettergerüst aus Seilen. Sie flitzen über straff gespannte Stricke, springen ins Leere, drohen abzustürzen und fangen sich dann im letzten Moment. Cora hält vor Schreck den Atem an, als sie sieht, wie eines den Griff verfehlt und tatsächlich stürzt. Doch das Kleine landet ein paar Fuß tiefer in einem engmaschigen Netz, das sie vorher nicht gesehen hat. Der junge Xinghi benutzt dessen Federkraft, um sich wieder nach oben zu schnellen.

    Zpixs wartet geduldig, bis die Menschenfrau ihn wieder anblickt.

    Komm, fordert er sie auf. „Ich will dir unsere Stadt zeigen.

    Sie folgt ihm ohne Angst über die schwankende Brücke, indem sie sich am oberen Führungsseil festhält. Sie weiß ja, sie träumt. Ihr kann nichts geschehen. Sollte sie fallen, so würde sie einfach aufwachen. Aber sie ist sich sicher, sie wird nicht stürzen. Nicht, wenn Zpixs bei ihr ist.

    Sie erkennt jetzt, dass die meisten der Brücken doppelt sind und parallel nebeneinander herführen. Eine einzelne Hängebrücke wäre zu schmal für eine Begegnung zweier Passanten. So dient eine dem Hin- und die andere dem Rückweg.

    Cora stößt auf einen der Lampions am oberen Seil und muss um ihn herumgreifen und sich ducken, um unter ihm durchzuschlüpfen. Durch die dünne Pergamentwand

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1