Die Stadt ist der Dschungel
Von Anja Kwiatkowski
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Buchvorschau
Die Stadt ist der Dschungel - Anja Kwiatkowski
Kapitel 1
Die Passagiere im Hafenkomplex machten Alois und seinen Begleitern instinktiv Platz. Der Kopfgeldjäger nahm es mit zufriedenem Grinsen zur Kenntnis. So sollte es sein. Wenn ein Troll in Ledermontur einen etwas orientierungslosen Menschen in Handschellen hinter sich her zerrte, dann war es nur allzu natürlich, dass sich ihnen niemand in den Weg stellte. Der Gefangene sah verständlicherweise ebenfalls nicht sonderlich glücklich aus, aber da er in wenigen Minuten auf einer Fähre Richtung Kontinent sitzen würde, konnte man es ihm auch nicht verübeln. Er war illegal auf die Insel gekommen und wurde nun abgeschoben. Ein privater Sicherheitsdienst hatte Alois Hintertupfer auf den Mann angesetzt, der Troll hatte ihn ohne Probleme aufgespürt und nun wurde er wieder von der Insel weggebracht. Alois hatte sich abgesichert, falls es am Hafen zu Problemen mit den Behörden kommen sollte, und seinen Bekannten Linus mitgenommen, einen Streifencop, der nebenbei schlechte Romane über Alois' aufregendes Leben schrieb. Hätte man den Troll danach gefragt, dann war es ausschließlich das Einkommen durch diese Geschichten, das ihn die Gegenwart des nervigen Cops erdulden ließ. Linus Caesar Jagelowsky war einer der anstrengendsten Menschen, die Alois kannte und das sollte durchaus etwas heißen, denn er fand einfach alle Menschen anstrengend. Er konnte sich noch gut an die Geschichten seines Großvaters erinnern, als Menschen von der Insel verbannt waren. Nach und nach waren die Bestimmungen gelockert worden, erst durften sie in bestimmten Zonen leben, dann wurden die Ausgangssperren für Menschen schrittweise aufgehoben. Schließlich wurden sie per Dekret der Ethikkommission für gleichberechtigt erklärt. Alois' Großvater hatte als junger Troll gegen diese Entscheidung demonstriert, war entschlossen gewesen, zur Not den bewaffneten Kampf aufzunehmen, wie viele andere auch. Die verordnete Gleichberechtigung der Menschen hatte damals viele Angehörige der anderen Rassen in die Arme der Radikalen getrieben. Geändert hatte das nichts. Menschen wurden per Gesetz gleichgestellt. Großvater Hintertupfer gab den Widerstand recht bald wieder auf, wurde vielfacher Vater und hatte andere Sorgen. Aber die Trennung in den Köpfen blieb. Niemand traute den Menschen. Aber seither machten die sich überall breit, die Kriminalitätsrate stieg sprunghaft an, das Leben war nicht mehr so wie vorher. Das behauptete jedenfalls Alois' Großvater. Es gab keinen Grund, daran zu zweifeln. Die Auswirkungen menschlichen Verhaltens würden weltweit noch auf Jahrhunderte spürbar bleiben. Sperrzonen, Fall-out-Areas, egal, wie man es nannte, es waren Menschen gewesen, die dafür verantwortlich waren, dass große Teile des Planeten nicht mehr bewohnt werden konnten. Und nicht wenige der anderen Völker verlangten daher, dass die Menschen in eben diesen Zonen leben sollten, die sie so dauerhaft verseucht hatten, anstatt in den Regionen zu leben, die geschützt waren, und in denen die anderen Völker überlebt hatten. Sicherlich war das eine radikale Ansicht, aber je mehr man sah, wie sehr die Menschen bereits wieder alles beherrschen wollten, bedurfte es keiner Wahrsagerei, um zu wissen, dass eine neue Katastrophe nur eine Frage der Zeit sein würde. Menschen waren gefährliche Störfaktoren, die man besser unter Kontrolle gehalten hätte. Aber natürlich fanden sich ein paar Aktivisten, die sich gegen die Diskriminierung der Menschen einsetzten, ohne wahrhaben zu wollen, welche fatalen Folgen das für die Weltgemeinschaft haben würde. Denn dass die Menschen mal dazulernen würden, damit rechnete Alois nicht. Und so lebten sie nun wieder mitten unter ihnen, in den großen Städten. Alois hatte erst neulich gelesen, dass etwa 80% aller verurteilten Kriminellen Menschen waren. Wundern tat ihn das nicht. Sie hatten einfach einen Hang zu unmoralischem Verhalten. Zugegeben, er verdiente sein Geld mit der Tatsache, dass es immer jede Menge kriminelle Menschen gab, die gefunden werden mussten. Insofern sollte er sich vielleicht nicht beklagen. Und natürlich gab es auch den einen oder anderen Menschen, der es vielleicht ehrlich meinte. Aber es änderte nichts an der Tatsache, dass er Menschen grundsätzlich für kriminell hielt. Nicht, dass die anderen Völker da nicht auch durchaus mithalten konnten, aber es schien, als würden Menschen es besonders darauf anlegen, all ihre - ohne Frage vorhandene - Kreativität vor allem in kriminelle Energie umzusetzen. Was aber noch viel schlimmer war, zumindest nach Alois' Ansicht, war die Tatsache, dass sich Menschen deutlich schneller vermehrten als irgendeine andere Rasse, sogar schneller als die Orks und die vermehrten sich wie die Karnickel. Zumindest hatte das Großvater Hintertupfer behauptet. Alois selber hatte noch nie in seinem Leben ein Karnickel gesehen.
„Was ist denn los mit dir, Alois? Wenn du weiter so große Löcher in die Luft starrst, bildet sich gleich ein solches schwarzes", sagte Linus und rammte ihm kameradschaftlich seinen Ellenbogen in die Hüfte. Alois brummte unzufrieden. Das war auch so ein Punkt. Menschen reichten ihm gerade einmal bis zur Brust, meinten aber dennoch, ihm irgendwie auf Augenhöhe zu begegnen.
„Schwarzes was?", fragte er irritiert.
„Loch, Alois. Schwarzes Loch. Du bist vollkommen abwesend. Was ist denn los?"
Sie hatten auf den unbequemen Plastikbänken im Transitbereich Platz genommen und warteten auf den Beamten, der den Menschen in Empfang nehmen würde, um ihn auf die Fähre Richtung Kontinent zu verfrachten. Sie waren nicht die einzigen. Ein paar Sitze weiter sahen sie drei Orks, die verdächtig nach Grenzbeamten in Zivil aussahen, und die menschliche Familie in ihrer Begleitung machte einen so elenden Eindruck, dass man getrost vermuten durfte, sie sollten ebenfalls abgeschoben werden. Alois fand das absolut richtig, die Insel war klein, sie hatten hier ihre eigenen Probleme mit Sperrzonen, da brauchten sie nicht auch noch die Verseuchten vom Kontinent.
„Typisch Menschen, knurrte er. „Erst die Welt ins Chaos stürzen und sich dann verpissen wollen.
„Ich muss doch sehr bitten, empörte sich Linus. „Ich bin ein Hüter des Gesetzes, ich stürze niemanden ins Chaos.
„Aber mit den Gesetzen nimmst du es auch nicht so genau. Oder muss ich dich tatsächlich dran erinnern, dass wir erst vor ein paar Wochen höchst illegal eingebrochen sind und anschließend auch noch zwei Wachmänner ausgeschaltet haben? Wir haben uns nicht gerade Mühe gegeben, festzustellen, ob sie überlebt haben. Du bist ein Killer, Linus. Ein staatlich sanktionierter Killer."
Der Cop war blass geworden und schaute sich vorsichtig nach allen Seiten um. Aber sie saßen außer Hörweite der Grenzorks und ihr eigener Gefangener hatte dermaßen viele Drogen intus, dass er nicht viel von dem mitbekam, was um ihn herum geschah. Es war nötig gewesen, ihn ruhig zu stellen, da er sich heftig gegen seine Abschiebung gewehrt hatte. Wer wollte ihm das verübeln? Die Aussicht, in Zukunft wieder in verseuchtem Gebiet ums Überleben kämpfen zu müssen, wäre für niemanden erfreulich gewesen. Aber das hätten sich die Menschen eben vorher überlegen müssen, bevor sie in ihrer Gier und religiösen Verblendung alles vernichteten, was über Jahrtausende aufgebaut worden war. Den Preis dafür mussten sie nun alle bezahlen.
„Ich bin nicht glücklich darüber, was ich getan habe, aber es erschien mir die einzige Möglichkeit, den Fall aufzuklären. Kein Grund, das hier jedem auf die Nase zu binden, zischte der Cop. „Und ich bin wahrlich nicht stolz darauf, möglicherweise den Tod eines Wachmanns verschuldet zu haben. Aber ich bin Cop, ich fange jetzt nicht an zu heulen. Die Stadt da draußen ist ein Dschungel, da gilt Fressen und Gefressen werden.
Linus' scharfe Worte wurden durch sein zerknirschtes Gesicht arg ihrer Aggressivität beraubt.
Alois winkte gelassen ab. Er selber war moralisch hoch flexibel. In einer von Menschen beeinflussten Welt blieb niemand lange makellos. Um so erstaunlicher war es zu sehen, dass es Leute wie Linus gab, die tatsächlich so etwas wie Prinzipien hatten und sich schwer damit taten, dagegen zu verstoßen.
Jagelowsky warf ihm finstere Blicke zu, die Alois aber ignorierte. Statt dessen schaute er den vorbei eilenden Passagieren zu, die für die Wartenden im Transitbereich nur einen schnellen Seitenblick übrig hatten und dann schon wieder verschwunden waren. Einer der Menschen erregte jedoch seine besondere Aufmerksamkeit. Er stand vor der Plasmawand und las die Abfahrtzeiten der Fähren. Seine Körperhaltung ließ darauf schließen, dass sein linkes Bein entweder etwas kürzer oder verletzt war. Als der Mensch den Kopf ein wenig zur Seite drehte, konnte Alois sein Profil erkennen und sein Puls beschleunigte sofort. Er hatte sich nicht getäuscht, er kannte den Mann. Allerdings hätte der nicht hier sein dürfen. Er hätte überhaupt nicht sein dürfen. Alois' letzte Information über Myrner besagte, dass er in einer der Todeszonen auf dem Kontinent verschollen war. Der Mikrochip in seinem Ohr war schon vor Jahren verstummt. Allerdings wusste Alois nur allzu gut, dass man da sehr leicht selber für sorgen konnte. Und die kleine Narbe am Ohr nahm man gern in Kauf, wenn man dafür vom Radar der internationalen Sicherheitsdienste verschwand. Er selber trug ebenfalls solch eine Narbe und er ging davon aus, dass Myrners Ohr auch eine hatte.
Alois stand auf und wollte seinen ehemaligen Kameraden auf sich aufmerksam machen, stellte aber nach zwei Schritten fest, dass ihm noch jemand am Arm hing. Den Abgeschobenen hinter sich her zu schleifen, würde zu viel Aufmerksamkeit der falschen Art auf sich ziehen. „He, Myrner!, rief er statt dessen. Er konnte sehen, dass der Kopf des Menschen kurz in seine Richtung ruckte, er sich dann aber eilig aus dem Infobereich entfernte. „Myrner!
, rief Alois erneut, was die Aufmerksamkeit einiger Passagiere erregte und sie machten einen noch größeren Bogen um den Troll. Die Grenzorks schienen nun ebenfalls Interesse zu entwickeln und begannen zu tuscheln.
„Was machst du denn?, nörgelte Linus. „Wer war das?
„Ein alter Bekannter."
„Der offenbar entweder schwerhörig ist oder nichts mit dir