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Monströse Moral: Der fünfte Fall für Laura Peters
Monströse Moral: Der fünfte Fall für Laura Peters
Monströse Moral: Der fünfte Fall für Laura Peters
eBook476 Seiten5 Stunden

Monströse Moral: Der fünfte Fall für Laura Peters

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Über dieses E-Book

"Die Glühbirne hing nackt an einem Kabel von der Decke und tauchte den Keller in diffuses, rotes Licht. Ansonsten gab es nur ein Regal, auf dem der aufgeklappte Laptop stand und leise vor sich hinsurrte. Und die Webcam. Das lidlose Auge unverwandt und mitleidlos auf die Mitte des Raumes gerichtet. Auf den Stuhl. Aus Metall und mit extra stabilen Beinen und Armlehnen. Eine Sonderanfertigung für Adipositas-Patienten bis dreihundert Kilogramm.
Und für Opfer, die durch die Hölle gehen mussten."

Ihr neuer Fall führt die Detektivin Laura Peters in eine Klinik für Psychiatrie und in die mystischen Tiefen des Darknets. Sie kommt einem Psychopathen auf die Spur, der ein unglaubli­ches Spiel treibt. Als sie merkt, dass sie längst selbst Teil eines menschenverachtenden Experiments ist, muss sie eine herzzer­reißende Entscheidung treffen. Denn Justin, das jüngste Team­mitglied, könnte sein nächstes Opfer sein.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum14. Mai 2020
ISBN9783750236981
Monströse Moral: Der fünfte Fall für Laura Peters
Autor

Patricia Weiss

Die Schriftstellerin Patricia Weiss lebt mit ihrer Familie und ihrem Hund im schönen Bonn am Rhein. Alle Bände der Laura-Peters-Serie und die Halloween-Novellen sind als Taschenbuch im Internet und als E-Book in allen Online-Buchläden erhältlich.

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    Buchvorschau

    Monströse Moral - Patricia Weiss

    Das Buch

    „Die Glühbirne hing nackt an einem Kabel von der Decke und tauchte den Keller in diffuses, rotes Licht. Ansonsten gab es nur ein Regal, auf dem der aufgeklappte Laptop stand und leise vor sich hin surrte. Und die Webcam. Das lidlose Auge unverwandt und mitleidlos auf die Mitte des Raumes gerichtet. Auf den Stuhl. Aus Metall und mit extra stabilen Beinen und Armlehnen. Eine Sonderanfertigung für Adipositas-Patienten bis dreihundert Kilogramm.

    Und für Opfer, die durch die Hölle gehen mussten."

    Ihr neuer Fall führt die Detektivin Laura Peters in eine Klinik für Psychiatrie und in die mystischen Tiefen des Darknets. Sie kommt einem Psychopathen auf die Spur, der ein unglaubliches Spiel treibt. Als sie merkt, dass sie längst selbst Teil eines menschenverachtenden Experiments ist, muss sie eine herzzerreißende Entscheidung treffen. Denn Justin, das jüngste Teammitglied, könnte sein nächstes Opfer sein.

    Die Bücher von Patricia Weiss

    Monströse Moral ist der fünfte Roman, in dem Laura Peters mit ihrem Team ermittelt.

    Alle weiteren Bände der Laura-Peters-Serie wie Das Lager, Böse Obhut, Zweiundsiebzig, Moloch Unsterblich und Verlassene Seelen und die Halloween-Novellen Cäcilie und Escape If You Can sind als Taschenbuch und als E-Book im Internet erhältlich, zum Beispiel auf der Autorenseite

    https://www.patriciaweiss.de

    Kontakt

    Patricia Weiss freut sich auf den Austausch mit ihren Lesern auf der Facebook-Seite Patricia Weiss – Autorin, auf X (Twitter) Tri_Weiss, auf Instagram tri_weiss und auf YouTube Patricia Weiss Autorin.

    Impressum

    Texte: © Copyright by Patricia Weiss

    c/o

    Relindis Second Hand

    Gotenstr. 1

    53175 Bonn

    patriciaweiss@gmx.net

    Covergestaltung und Foto: Patricia Weiss

    Model: Julia Abel

    Lektorat: Katharina Abel

    Alle Rechte vorbehalten.

    Veröffentlichung: Mai 2020

    Monströse Moral ist als Taschenbuch und als E-Book erhältlich.

    Für Miez.

    Love life, stay weird.

    Red Room

    Ein Red Room ist ein Raum, in dem Menschen für Geld gequält werden.

    Die Tortur wird live gestreamt und Zuschauer können sich über das Darknet

    und mithilfe einer aufwendigen Bitcoin-Zahlungsprozedur

    zuschalten und zusehen.

    Angeblich gehören Red Rooms zu den urbanen Mythen – und ich kann nur hoffen, dass das stimmt.

    Neun Jahre zuvor

    1 JVA Masdorf

    Erst am Ende der Hoffnung, wenn es nichts mehr zu verlieren gibt,

    ist es die Verzweiflung,

    die die Kräfte des Bösen freisetzt.

    Auf manche Orte kann man sich nicht vorbereiten. Egal wie groß die Befürchtungen oder wie niedrig die Erwartungen sind, alles kommt noch viel schlimmer. Manche Orte sind einfach die Hölle.

    Das Gefängnis ist so ein Ort: Vordergründig geprägt von strenger Hierarchie und strikten Regeln, selbst für die privatesten Verrichtungen, öffnen sich hinter den verschlossenen Zellentüren die unheilvollen Weiten eines rechtsfreien Raums, in dem das System von Gut und Böse außer Kraft gesetzt und Sadismus zum obersten Prinzip wird.

    Das Wochenende stand bevor, die Wärter waren gut gelaunt, tauschten ihre Pläne aus und rissen Witze über einen unerfahrenen Kollegen, der die Stellung halten musste. Es war fast sechs Uhr, alles wurde für den Schichtwechsel vorbereitet, Türen schlugen laut hallend zu und zunehmend kehrte Ruhe ein. Doch diese Ruhe war trügerisch. Beklemmend.

    Der Vorbote des Grauens, das auf ihn wartete.

    Er trottete mit den anderen Gefangenen hinter dem keuchenden Wärter her, der süßlich nach Schweiß stank, und starrte auf die silberne Kette mit den Schlüsseln und Schließkarten, die an dessen Hose befestigt war. Den Gürtel konnte man nur erahnen, er war verborgen unter den Speckrollen, die sich weit über den Hosenbund wölbten. Mit jedem Schritt wuchs seine Verzweiflung. Er spürte Übelkeit aufsteigen, Panik. Wie ein gefangenes Tier rasten seine Gedanken und suchten nach einem Ausweg, aber sein Verstand gab ihm klar zu verstehen, dass es den nicht gab. Niemand würde ihm helfen, es gab keine Rettung.

    Freitag Abend, achtzehn Uhr, bis Montag Morgen, sechs Uhr. Vor ihm lagen sechzig Stunden Martyrium. Und alles, was er tun konnte, war darum zu kämpfen, am Leben zu bleiben.

    Die Gruppe wurde kleiner, einer nach dem anderen bog in eine Zelle ab und wurde eingeschlossen. Er blieb als Letzter übrig. Der Wärter schlurfte zu einer geöffneten Tür, postierte sich daneben und suchte den richtigen Schlüssel: „Rein mit dir."

    Die Übelkeit stieg in ihm hoch und seine Füße wollten ihn nicht weiter tragen.

    „Mach schon. Ich habe heute noch was anderes vor."

    Zögernd trat er in die Türöffnung. Sie hockten auf den Betten, die Arme auf die Beine in den Trainingshosen gestützt und warteten auf ihn.

    „Nein!" Der Schrei war in seinem Kopf so laut wie eine Explosion, doch über seine Lippen kam nur ein Flüstern.

    „Vito hat darum gebeten, dass ihr das Wochenende gemeinsam verbringen könnt. Dann wünsche ich euch viel Spaß." Der Wärter stieß ihn in den Rücken und er stolperte in den Raum, konnte sich gerade noch an der Lehne eines Betts abfangen, um nicht hinzufallen. Die drei Zellenkameraden lachten dreckig. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss.

    Das Spiel begann.

    „Na, du Hurensohn? Freust du dich, uns zu sehen?" Das Wiesel mit dem eklatanten Lispeln schickten sie jedes Mal vor. Er war der Schwächste des Trios und wurde von den anderen gequält, wenn es sonst kein Opfer gab. Doch wenn sie ihn mitmachen ließen, tat er sich mit besonderer Brutalität und Härte hervor, um sie zu beeindrucken.

    „Guck, Schwuli, da ist der Eimer. Du machst dir bestimmt schon in die Hosen."

    Es begann immer mit Worten. Beleidigungen, Beschimpfungen. So pushten sie sich hoch, brachten sich in Stimmung. Versuchten ihn aus der Reserve zu locken, zu provozieren. Damit er einen Fehler machte, ausfallend wurde, womöglich als Erster zuschlug. Fast, als bräuchten sie einen Grund, eine Ausrede, um endlich loslegen zu können. Doch dem war nicht so. Es war lediglich ihr rituelles Vorspiel, das sie zelebrierten. Die Gewaltorgie würde auch beginnen, wenn er nicht reagierte.

    Das Wiesel gab ihm einen Stoß. „Los, Hose runter. Du weißt, wir brauchen einen vollen Eimer für den Spaß."

    Ergeben senkte er den Kopf, öffnete mit zitternden Fingern den Knopf und zog den Reißverschluss herunter. Sich wehren half nicht, das hatte er bereits mehrfach versucht, es vergrößerte im Zweifel nur noch ihr Vergnügen und sein Leiden.

    Dann blieb die Zeit stehen.

    Sie arbeiteten sich an ihm ab. Traten ihn, bis sie müde wurden, und demütigten ihn auf jede nur erdenkliche Art. Aber so schlimm wie dieses Mal war es noch nie gewesen.

    Seine Wahrnehmung bestand nur noch aus Schmerz. Schmerz und Angst. Unterbrochen von gelegentlichen Auszeiten, die ihm sein Bewusstsein gönnte, wenn es sich in eine Ohnmacht verabschiedete, weil der Körper an seine Grenze gelangt war. Doch sie holten ihn immer wieder zurück. Ein Guss kaltes Wasser und Schläge ins Gesicht reichten, um ihn aus gnädig schwarzer Nicht-Existenz zurück in die Hölle der Realität zu zwingen.

    Seine Peiniger waren ausdauernd.

    Die Freude am Quälen, das Adrenalin und die sexuelle Erregung bildeten einen Drogen-Cocktail, der wirksamer war als jedes Amphetamin. Doch sechzig Stunden waren lang. Selbst wenn sie unterbrochen wurden durch die Kontrollgänge des Wärters, der alle acht Stunden einen Rundgang machte und durch das kleine Fenster in der Zellentür guckte und sogar einmal eine Extrarunde einlegte, weil Zellennachbarn sich über den Lärm beschwert hatten, und er wissen wollte, ob ‚alles in Ordnung sei‘. Oder durch gelegentliche Essenspausen, bei denen immer einer bei ihm blieb, damit er nicht um Hilfe schreien oder fliehen konnte. Was absurd war, denn wenn es etwas an diesem Ort nicht gab, waren es Hilfe oder die Möglichkeit zu entkommen.

    Doch gegen Sonntagnachmittag schien es ihm, als würden sie müde, als schlüge die Stimmung um.

    Als wollten sie das Ganze beenden.

    Und als würde ihnen plötzlich klar, was sie ihm angetan hatten.

    Und dass selbst, wenn er sie nicht denunzierte, die Gefängnisleitung davon erfahren und sie anzeigen würde. Vorzeitige Entlassung oder Hafterleichterungen waren damit für die drei Monster in weite Ferne gerückt. Fast regte sich so etwas wie Schadenfreude in ihm. Wenn er dazu die Kraft gehabt hätte.

    Doch dann entwickelte sich diese Idee. Er konnte gar nicht sagen, wer zuerst darauf gekommen war, denn er dämmerte nur in seinem Schmerz dahin, erleichtert, für eine Weile Ruhe von den Quälereien zu haben, aber plötzlich sprachen sie nur noch darüber, begeisterten sich mehr und mehr für den Plan, überboten sich an Vorschlägen für die Ausführung.

    „Du wirst dich selbst umbringen, du schwule Sau. Hast du verstanden?" Vito, der Boss, sprach ihn zuerst an. Das tat er selten. Mit ihm sprechen. Meist ignorierte er ihn, während er ihn schlug, trat oder ihn von hinten nahm. Sah ihn noch nicht einmal dabei an. Deshalb wirkten seine Worte umso furchteinflößender.

    „Er muss es selbst machen. Das Wiesel wippte aufgeregt auf seiner Matratze. „Hast du verstanden? Allein. Er lachte irre.

    „Wir reißen einfach das Laken in Streifen und knoten es aneinander. Und dann hängt sich das Arschloch damit auf. Los, Body, dein Job." Vito gab dem dritten im Bunde, den sie Body nannten, weil er Muskeln wie ein Berg und ein Gehirn wie Erbsenpüree hatte, einen Wink. Der erhob sich, riss das Betttuch aus der Koje und versuchte, mit bloßen Händen einen Streifen abzutrennen. Doch das gestaltete sich schwieriger als erwartet.

    Und erkaufte ihm Zeit. Letzte, kostbare Momente in seinem kurzen Leben, das ihm plötzlich wieder so wertvoll erschien. Die vergangenen zwei Tage hatte er nichts mehr herbeigesehnt als den Tod, sich gewünscht, dass die Qualen endlich ein Ende finden würden – für immer. Doch jetzt, wo er auf der Matratze lag, so wie sie ihn dort hingeworfen hatten - ihm fehlte die Kraft, sich in eine bequemere Position zu drehen - und den dreien bei den Vorbereitungen zu seinem Suizid zusah, erwachte sein Lebenswille wieder. Er wollte nicht sterben. Nicht hier, nicht jetzt, nicht durch die Hand dieser Monster und erst recht nicht durch seine eigene.

    Das Schicksal hatte sein Leben in einen Albtraum verwandelt, aber es musste auch wieder andere Tage geben. Es konnte doch nicht alles so enden.

    Laut ratschend gab das Betttuch nach und Body reichte dem Wiesel den ersten Streifen. Der Muskelprotz schien jetzt den Dreh heraus zu haben, die nächsten Stoffstücke dauerten nur noch wenige Augenblicke und schon bald hatten sie ein improvisiertes Seil hergestellt.

    Das Wiesel beugte sich vor sein Gesicht und hielt es ihm hin. „Los, Kindermörder, du bindest dir jetzt den Strang um den Hals, dann machst du es an der Heizung fest und hängst dich da rein, bis du abnippelst. Klar?"

    Er schüttelte den Kopf, wollte sich wegdrehen, doch es war aussichtslos. Erst recht in seinem erbärmlichen Zustand. Sie grölten und johlten, feuerten ihn an, das Wiesel starrte sabbernd mit leeren Augen vor sich hin und wichste.

    Das Ringen um den Tod dauerte Stunden.

    Auch wenn er bald einverstanden war, sich zu töten, brachte er es nicht bis zu Ende. Es ging einfach nicht. Die Heizung, an die sie ihn gebunden hatten, war zu niedrig, sein Körpergewicht schien nicht auszureichen, um die Schlinge um seinen Hals endgültig zuzuziehen. Jedes Mal, wenn er kurz davor stand, endlich ohnmächtig zu werden und zu sterben, regte sich sein Lebenswille und ließ sich nicht niederkämpfen. Immer wieder kroch er ins Leben zurück, nur um durch Tritte und Schläge zu einem weiteren Versuch gedrängt zu werden.

    Die Prozedur zog sich ewig hin. Das Morgengrauen kündigte bereits den neuen Tag und damit die Wachablösung an.

    Vito verlor die Geduld. Er gab Body einen Wink: „Mach du das."

    Der nickte, stand auf, sah einen Augenblick unbewegt auf ihn nieder, dann sprang er mit Anlauf und dem Hintern zuerst auf ihn runter.

    Die letzten Gedanken bestanden aus der Erkenntnis, dass es geschafft war.

    Schlugen um in Wut, Hass.

    Und dem Aufblitzen von tödlichem Durst nach blutiger Rache. Er würde wiederkehren. Und sie alle finden.

    Mit einem gewaltigen Krachen wurde es dunkel in seinem Kopf.

    Endgültig.

    Heute

    Sonntag

    2 Ofenkaulen, Siebengebirge

    Ein Tor in die Unterwelt.

    Lillian Sawaris’ Herz klopfte bis zum Hals. Immer wieder studierte sie das Blatt mit der skizzierten Karte, um sicherzugehen, dass sie sich nicht verlaufen hatte. Eigentlich konnte es sich nur um einen Scherz handeln. Wer kritzelte schon solch kindische Wegbeschreibungen?

    Aber Tina war verschwunden. Das war eine Tatsache.

    Und derjenige, der ihr heute dieses Blatt unter die Matte vor die Wohnungstür gelegt hatte, wusste es.

    Würde sie ihre Freundin wirklich am Ziel der Schnitzeljagd mitten im Wald finden? Sie war gestern aufgebrochen, um ihre Mutter zu besuchen, und seitdem nicht zurückgekehrt. Dabei hatten die beiden kein gutes Verhältnis, deshalb waren es meist Stippvisiten, geprägt von Zigarettenrauch, ranzigen Buttercremetortenstückchen und Vorwürfen. Oft dauerte es nur wenige Minuten, bis Tina von ihr als lesbische Schlampe beschimpft und aus der Wohnung gejagt wurde.

    Die Homophobie der alten Frau wurde nur von ihrer Sammelwut übertroffen.

    Das ganze Apartment war gesteckt voll mit Fröschen in jeglicher Ausführung: Keramik, Plüsch, Stein, Porzellan, Gummi, Plastik, Holz, Schokolade. Überall hockten diese Viecher und glotzten einen an. Und mittendrin thronte die Mutter auf dem Sofa, eine qualmende Kippe zwischen den nikotingelben Fingern, und starrte genauso. Eine fette Kröte in ihrem Tümpel. Lillian hatte die überfüllte Wohnung nur einmal betreten. Damals, als sie noch dachte, sie könnte Tinas Mutter mit Freundlichkeit einwickeln und dazu bringen, ihre Liebe zu der Tochter zu akzeptieren.

    Sie lachte hart auf. Bevor dieser Moment eintrat, würde eher die Hölle zufrieren.

    Die Wanderung hatte an einem Parkplatz im Siebengebirge begonnen. Von dort aus führte ein breit angelegter Weg zu einem beliebten Ausflugslokal. Doch schon an der ersten Biegung hatte sie den Weg verlassen und sich entsprechend den Anweisungen auf einem zugewachsenen Trampelpfad in die Botanik schlagen müssen. Noch waren die Büsche kahl, der Frühling war in weiter Ferne, und Blätter bedeckten braun und matschig den Boden. Mehrfach war sie auf dem abschüssigen Gelände weggerutscht und einmal hatte nur eine Wurzel, an die sie sich in letzter Sekunde klammern konnte, verhindert, dass sie in den Abgrund schlitterte.

    War das Ganze ein makabrer Scherz? Steckte womöglich sogar Tina selbst dahinter? Lillian runzelte die Stirn. Das wäre das Letzte. Sie so in Sorge zu versetzen und dann mit einer Kinderpiratenkarte durch dieses Gestrüpp ins Nirwana zu schicken.

    Sie folgte einer Biegung und vor ihr tauchte ein mächtiger Baumstamm auf, der quer über dem Weg lag. Ein Kreuz aus rosa Kreide bestätigte, dass sie den nächsten Punkt auf der Karte erreicht hatte. Der Stamm war so dick, dass ein Darübersteigen, ohne das Holz zu berühren, unmöglich war. Sie würde sich die Jeans an der feucht-moosigen Rinde versauen. Ihre Laune sank in den Keller. Wenn das hier ein Scherz war, dann würde jemand dafür bezahlen müssen.

    Eigentlich konnte sie sich nicht vorstellen, dass Tina ihr das antun würde. Die Freundin war lustig, manchmal zu Unsinn und kindischen Streichen aufgelegt, aber nicht grausam. Oder sie hatte sich total in dem Menschen geirrt, der in den letzten sechs Monaten den wichtigsten Platz in ihrem Bett und in ihrem Herzen eingenommen hatte.

    Der Weg führte jetzt über eine Schneise im Wald steil bergan und war von Brombeeren überwuchert. Immer wieder musste sie Ranken von der Hose lösen, die sich mit den Dornen durch den dicken Stoff tief in der Haut verhakt hatten. Erleichtert seufzte sie auf, als sie das Zwischenplateau erreichte, auf dem es mehr Bäume und weniger Dickicht gab und das Vorankommen leichter wurde. Sie beschleunigte die Schritte, schob Tannenwedel zur Seite und bückte sich unter Ästen durch. Dann lichtete sich der Wald und sie gelangte zum vorletzten Meilenstein: einem riesigen, vermoosten Betonquader. Ein perfekter Würfel, sofern man sich vorstellte, dass der untere Teil ein gutes Stück im Boden steckte.

    Lillian umrundete das Gebilde, suchte nach einem Eingang. Doch erst als sie auf einen Felsbrocken kletterte, entdeckte sie an der Oberseite eine kleine, quadratische Öffnung, gerade groß genug, dass ein Mensch hindurchpasste. Und daneben das rosa Kreidekreuz.

    War Tina darin?

    Doch laut Schatzkarte war sie noch nicht am Ziel. Die Odyssee führte weiter zu einer Höhle, die in unmittelbarer Nähe liegen sollte. Sie stieg von dem Felsen und umrundete den Quader erneut, diesmal den Blick auf die Umgebung gerichtet. Da. Das musste es sein. In einer Mulde, verborgen hinter größeren Steinbrocken, gähnte eine ovale Öffnung.

    Mit klopfendem Herzen näherte sie sich.

    Der Untergrund wurde steiniger, sie musste aufpassen, dass sie nicht umknickte. Vor dem Felsspalt blieb sie stehen. Unschlüssig.

    Die Finsternis starrte sie an.

    Ein Tor in die Unterwelt.

    Was nun? Wurde von ihr erwartet, dass sie in die Höhle kletterte und dort nach Tina suchte? Sie zog das Handy aus der Jacke, stellte die Lampe an und hielt sie ins Innere. Der Lichtstrahl war nicht sehr kräftig, hatte kaum Reichweite und ließ nur schemenhaft etwas erkennen. Lillian krallte die eine Hand in den Felsen, streckte die andere mit der Taschenlampe aus und beugte sich so weit wie möglich vor.

    Der Gestank traf sie wie ein Keulenschlag.

    Eine Mischung aus vergammeltem Fleisch, Moder und Fäkalien. Sie musste die Luft anhalten und sich zwingen, die Mission nicht sofort abzubrechen. Tapfer leuchtete sie in die Dunkelheit, doch außer, dass sich der Raum nach hinten in einen Gang zu verjüngen schien, konnte sie nichts erkennen und beendete das Unterfangen, bevor sie sich noch den Hals brach. Es musste anders gehen.

    Sie schaltete das Blitzlicht der Kamera ein und schoss aufs Geratewohl Fotos in die Finsternis. Dann zog sie sich vom Eingang zurück, lehnte sich an einen Felsen, atmete erleichtert die frische Waldluft ein und sah die Bilder an. Auf der linken Seite des Gewölbes zeichneten sich die Überreste eines aus groben Ziegeln errichteten Kamins ab. Irgendwann früher schien diese Höhle von Menschen genutzt worden zu sein, doch das musste schon lange zurückliegen. Dahinter schimmerten Lichtpunkte wie kleine Glühwürmchen. Als sie das Foto vergrößerte, entdeckte sie ein gigantisches Spinnennetz, perfekt gewebt und intakt. Niemand, der größer war als eine Maus, hätte in den Gang, der von der Höhle in die Tiefen des Berges führte, vordringen können, ohne es zu zerstören. Doch wie lange brauchte eine Spinne, um so ein Netz zu weben? Einen Tag? Eine Stunde? Jedenfalls schien der Witzbold, der ihr die Schatzkarte vor die Tür gelegt hatte, nicht mehr hier zu sein. Blieb trotzdem die Spinne. Seufzend legte sie den Kopf in den Nacken und starrte durch die Baumkronen in den grauen Himmel. Die Vorstellung, in einen dunklen Gang voller Insekten, Fledermäuse und sonstigem Getier zu klettern, verursachte ihr Gänsehaut.

    Lillian betrachtete das nächste Foto.

    Vom Blitzlicht beleuchtete, helle Steine, die den Boden bedeckten. Und ein Gegenstand, an dem etwas Glänzendes befestigt war. Eine eisige Hand schien ihr in den Nacken zu greifen, schickte Kälteschauer durch den ganzen Körper. Ihre Finger zitterten so sehr, dass es ihr erst nach mehreren Versuchen gelang, das Bild zu zoomen. Doch eigentlich brauchte sie keine Bestätigung, sie wusste, was dort lag.

    Es war eine roségoldschimmernde Tasche, an der ein Anhänger befestigt war: ein goldenes Herz mit den Buchstaben L und T.

    Lillian und Tina.

    Ihre Gedanken rasten.

    War die Freundin dort drin? Sollte sie die Feuerwehr rufen? Aber was, wenn die sich mühsam mit einer ganzen Mannschaft durch das unebene Gelände im Wald kämpften, nur um eine billige Kunstledertasche aus einer Höhle zu retten? Womöglich musste sie den Einsatz bezahlen. Das konnte sie sich absolut nicht leisten.

    Es half alles nichts, sie musste selbst nachsehen.

    Lillian streifte die Kapuze über den Kopf, zog den Reißverschluss bis ganz nach oben und steckte die Hosenbeine in die urbanen Trekkingstiefel. Schuhe, die sie nur gekauft hatte, weil sie angesagt und stylish waren. Nicht, weil sie sich gerne in der Natur aufhielt. Dann kletterte sie über die Steine zurück zur Öffnung und aktivierte erneut die Taschenlampe des Handys.

    Sie holte tief Luft, bückte sich und begab sich in die stinkende Finsternis.

    Es dauerte einen Moment, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und auch dann konnte sie kaum mehr als das erkennen, was im Lichtkegel auftauchte. Rasch leuchtete sie einmal rundum, um sicherzugehen, dass keine Gefahr lauerte, vielleicht ein Tier, oder ein Obdachloser, oder womöglich der Kartenmaler selbst, dann bewegte sie sich auf allen vieren in Richtung Tasche. Der Boden, eine Mischung aus Steinen, Erde und Blättern, war unangenehm weich und klebrig unter den Fingern. Eine Konsistenz, die im Zusammenhang mit dem Gestank ekelerregende Assoziationen hervorrief. Ein hauchzartes Knistern an der Kapuze signalisierte ihr, dass sie ein Spinnennetz gestreift hatte. Es brauchte eisernen Willen, die Vorstellung an eine dicke Spinne, die jetzt womöglich über ihren Kopf krabbelte, zu verdrängen und weiter vorwärts zu kriechen.

    Endlich tauchte im spärlichen Lichtstrahl die Tasche auf.

    Lillian wollte sie an sich nehmen, doch sie schien sich festgehakt zu haben. Sie zog kräftiger, riss und ruckte gewaltsam daran.

    Plötzlich ertönte ein raschelndes Schleifen.

    Als ob etwas Großes in Bewegung geriet. Das Blut rauschte in ihren Ohren, als sie die Taschenlampe darauf richtete. Ein derber Männerschuh. Wie ihn Bauarbeiter oder Wanderer trugen. Zitternd ließ sie das Licht weiterwandern.

    Sie wollte schreien, doch es kam nur ein Krächzen.

    Ein Mann. Die Beine auf dem Boden lang ausgestreckt, den Rücken an der Wand, der Oberkörper leicht zur Seite gefallen, gehalten von den Armen, die rechts und links oberhalb des Kopfes an den Fels gekettet waren. Das Gesicht ausgemergelt und bleich.

    Die Augen nur noch zwei leere Höhlen.

    Montag

    3 Detektei Rüngsdorf

    Detektivin Laura Peters trat durch das verschnörkelte, angerostete Gartentor in den Vorgarten der leicht ramponierten Jugendstilvilla in fast bester Wohnlage, bückte sich und hakte die Leine aus. Der betagte Dackel hoppelte in seinem eigentümlich schaukelnden Gang den Kiesweg entlang und verschwand im Gebüsch, aus dem im selben Augenblick die schwarze Nachbarskatze fauchend die Flucht ergriff.

    „Friedi! Bei Fuß." Aber natürlich hörte er nicht. Das tat er nie und sie erwartete es auch gar nicht mehr. Er hatte seinen eigenen Kopf und manchmal half noch nicht einmal ein Stückchen Fleischwurst, um ihn zu etwas zu überreden. Sie hatte ihn vor drei Wochen in einer Notfallaktion zu sich genommen, als ihre Nachbarin ins Krankenhaus gekommen war. Die alte Dame hatte den Herzinfarkt nicht überlebt und nun stellte sich die Frage, was aus dem Waisenhund werden sollte. Laura musste zu ihrer Überraschung feststellen, dass sie an dem kleinen Kerl hing und ihn nicht wieder hergeben wollte. Doch dem Wunsch stand der Erbe der alten Dame im Wege.

    Fest umklammerte sie den Griff des Rucksacks, tauchte unter einer Dornenranke hindurch und steuerte auf die Eingangstür zu. Es waren jetzt schon fast zwei Jahre vergangen, seit sie den Entschluss, ein neues Leben anzufangen, in die Tat umgesetzt und die Detektei Peters gegründet hatte. Und es war die richtige Entscheidung gewesen. Seitdem hatte sich viel ereignet, sie hatten vier große Fälle gelöst, bundesweit für Schlagzeilen gesorgt und sich einen Namen gemacht. Das kleine Unternehmen war am Markt etabliert und wirtschaftlich rentabel.

    Doch das war nicht nur ihr Verdienst, sondern eine Teamleistung, an der vor allem Marek, ihr erster Detektiv, seinen Anteil hatte. Es war ein Glücksfall gewesen, dass er sich damals beworben hatte, und seiner Erfahrung und Entschlossenheit hatte sie schon mehrfach ihr Leben verdankt. Was er in seinem Vorleben getrieben hatte, war immer noch ein Rätsel. Sie tippte auf einen osteuropäischen Geheimdienst oder eine Spezialeinheit der Streitkräfte und nannte ihn, wenn sie ihn aus der Reserve locken wollte, den polnischen James Bond. Doch seine einzige Reaktion war jedes Mal nur ein belustigtes Lächeln. Er gab nichts preis.

    Laura öffnete die Haustür, hinderte sie mit dem Fuß am Zufallen und drehte sich um. „Friedi! Komm! Friedi!" Es raschelte im Gebüsch, dann tauchte der Dackel auf und kam gemächlich auf sie zu. Die Botschaft, die er damit senden wollte, war klar. Er kam nur, weil er sowieso gerade ins Haus wollte.

    Nicht, weil sie gerufen hatte.

    Das Büro war wie ausgestorben, kein strahlendes Lächeln ihrer Assistentin Gilda, kein Duft von Kaffee, kein Hauch des würzigen Rasierwassers des zweiten Detektivs Drake Tomlin.

    Laura stellte die Tasche auf den Schreibtisch im Vorraum, befreite Friedi von seinem Geschirr und hängte ihre Jacke an die Garderobe.

    „Siehst du, Friedi? Keiner da. Heute frühstücken wir allein. Leider auch keine Schokocroissants, ich werde mich flüssig ernähren müssen." In der Küche befüllte sie die Kaffeemaschine, schaltete, während das verheißungsvoll duftende Gebräu in die Glaskanne lief, im Büro den Computer ein und hörte die Nachrichten ab.

    Keine Nachricht von Gilda. Nur drei Interessenten, die möglicherweise einen Auftrag für sie hatten und um Rückruf baten. Einer davon ein Mann mit sympathischer Stimme und dem Hauch eines Akzents. Laura notierte die Nummern auf einem Zettel und holte sich in der Küche einen Becher Kaffee. Wieder am Schreibtisch lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück, legte die Füße auf die Tischplatte, zog die Ärmel des dicken Wollpullis über die Hände und starrte in das triste Grau des morgendlichen Gartens hinaus.

    Assistentin Gilda hatte ihr am Freitagabend eine WhatsApp geschickt, dass sie Urlaub brauche und schon auf Reisen sei.

    Laura irritierte es, dass sie nicht vorher Bescheid gesagt, sondern sie vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Natürlich hatte das Mädchen eine Auszeit verdient. Keine Frage. Es war erst sechs Wochen her, dass sie den letzten großen Fall gelöst hatten. Gilda und eine andere junge Frau waren dabei in letzter Sekunde aus den Fängen zweier Auftragskiller befreit worden, deren Spezialität es war, ihre Opfer zuerst zu vergewaltigen, bevor sie sie umbrachten. Wie weit die Übergriffe während der Gefangenschaft gegangen waren, hatte die Assistentin nicht erzählt. Sie komme schon klar, das gehöre zum Job, war ihr lapidarer Kommentar gewesen. Und sie hatte glaubhaft gewirkt, schien unbeschwert und lustig zu sein wie immer. Aber vielleicht war das nur eine Täuschung gewesen, um sie nicht zu beunruhigen.

    Laura nahm einen Schluck Kaffee, beschloss, das Thema Gilda auf später zu verschieben, und rief im Computer die Lokalnachrichten auf.

    Folteropfer in Höhle im Siebengebirge gefunden

    Mann wurde in Höhle an die Wand gekettet

    Seit zwei Wochen vermisster Mann tot aufgefunden

    Sie klickte auf den ersten Artikel und überflog ihn: Eine Spaziergängerin hatte am Vortag in einer Höhle, die zu den sogenannten Ofenkaulen im Siebengebirge gehörte, einen Leichnam gefunden. Ob es sich bei dem Toten um den seit mehr als zwei Wochen vermissten Roman L. handelte, konnte noch nicht bestätigt werden. Laut Polizeiangaben deutete die Auffindesituation auf ein Tötungsdelikt hin und die Ermittlungen waren aufgenommen worden. Der Mann war an die Felswand gekettet gewesen.

    Laura starrte aus dem Fenster. Das wildromantische Siebengebirge war schon oft zum Schauplatz grausamer Taten geworden. Bei ihrem ersten Fall waren Mädchenleichen im Dornheckensee gefunden worden, jetzt hatte jemand einen Menschen in einer Höhle festgekettet und zu Tode gequält. Oder sonst wie getötet.

    Es lief wieder ein Mörder frei herum.

    „Ich rieche Kaffee. Lust auf Gesellschaft?"

    Laura schreckte hoch. In der Tür stand Marek, trotz der Januarkälte wie immer in Lederjacke, T-Shirt, Jeans und Bikerboots.

    „Klar. Hol dir einen Becher und setz dich zu mir."

    Kurz darauf schlenderte der Detektiv, den begeistert wedelnden Friedi dicht auf den Fersen, ins Büro zurück, ließ sich in einen Besuchersessel fallen und streckte die Beine von sich. Doch der Dackel war damit nicht zufrieden und hüpfte so lange vor ihm herum, bis er sich vorbeugte und ihn ausgiebig streichelte.

    „Konntest du am Wochenende alles klären? Bleibt Friedi bei dir? Oder musst du ihn wieder abgeben?"

    Laura verdrehte die Augen. „Ich habe den Neffen getroffen, der der Alleinerbe ist. Dennis, ein ziemlicher Widerling. Anscheinend war der Nachlass recht übersichtlich. Die alte Frau Pohl hat zwar in einer luxuriösen Wohnung gelebt, allerdings zur Miete. An Wertgegenständen war nichts vorhanden. Es gibt nur ein paar Möbel und Friedi. Der Kerl hat sich bei seiner Tante nie blicken lassen und jetzt regt er sich auf, dass kein Vermögen da ist. Wenn

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