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Die Chroniken von Terra Lunae
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eBook257 Seiten3 Stunden

Die Chroniken von Terra Lunae

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Über dieses E-Book

"Was ist die Geschichte anderes, als ein Konstrukt der Gegenwart?"
Im armen Süden des Königreiches Terra Lunae hat sich eine Armee von Rebellen erhoben, in deren Mitte sich der junge Jatin unversehens wiederfindet. Während die Rebellen immer weiter in Richtung Norden ziehen, hat der junge König Federico nicht nur mit dieser Bedrohung zu kämpfen, sondern auch mit den Ambitionen seines Halbbruders Gerolamo.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum1. Dez. 2020
ISBN9783753126760
Die Chroniken von Terra Lunae

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    Buchvorschau

    Die Chroniken von Terra Lunae - Marlene Roth

    Die Chroniken von Terra Lunae

    Impressum

    Widmung

    Zitat

    Teil 1: ‚Intrigieren für Anfänger‘

    Teil 2: ‚Schicksal nimm deinen Lauf‘

    Teil 3: ‚Aufstieg und Fall‘

    Teil 4: ‚Endkampf‘

    Impressum

    Impressum

    Texte:               © Marlene Roth

    Umschlag:         © BetiBup33

    https://www.freewebstore.org/ betibup33design

    Lektorat und Korrektorat: ©  Melina Coniglio

                                                    https://melinaconiglio.de/

    Verlag:              Marlene Roth

    Geisberg 42, 66132 Saarbrücken

    info@marleneroth-gelberschmetterling.de

    Druck:              epubli - ein Service der neopubli GmbH,

    Berlin

    Widmung

    Ein weiteres Mal möchte ich dieses Buch all jenen widmen, die es auf seinem Weg begleitet haben.

    Zitat

    „Was ist Geschichte anderes als ein Konstrukt der Gegenwart?"

    – ein Chronist am Hofe Federico des I. von Terra Lunae –

    Teil 1: ‚Intrigieren für Anfänger‘

    Im fernen Königreich Terra Lunae hat sich unter dem jungen Mauritio eine Rebellenarmee gebildet, die plündernd durch den Süden des Landes zieht, mit dem Ziel, den König im weit entfernten Norden des Landes zu stürzen.

    Kapitel 1: ‚Im Lager der Rebellen‘

    „In jenem Jahr wollte der Frühling nicht dem Sommer weichen. Regen fiel unablässig vom wolkenverhangenen Himmel, und die Bauern fuhren eine solch schlechte Ernte ein wie schon seit langem nicht mehr.

    So begab es sich, dass im südlichen Teil des Landes, der seit jeher als wild und unbeherrschbar gilt und durch das große Gebirge vom restlichen Königreich getrennt wird, eine furchtbare Rebellion entbrannte.

    Die besten Geschichtsschreiber haben bereits versucht, die genauen Ursachen für jene grausamen Ereignisse festzustellen, doch sie alle fanden lediglich drei mögliche Faktoren, die das Verhalten dieser Gruppierung erklären könnten: Den schlimmen Hunger, unter welchem die Bevölkerung damals litt, den Hass auf den König und die starke Überzeugungskraft ihres Anführers, dessen Name wohl für immer in den Tiefen der Geschichte verschollen bleiben wird."

    – Erstes Kapitel der Chronik des königlichen Schreibers Scriptor am Hof Marcellos II. über den Rebellenaufstand im ersten Jahr der Regentschaft König Federicos des I. von Terra Lunae

    Jatin hatte Angst. Große Angst. Die Rebellen waren weithin dafür bekannt, mit ihren Gefangenen nicht zimperlich umzugehen. Folter, Tod durch Mangelernährung und öffentliche Hinrichtungen waren in den Lagern, welche sie auf ihrem Weg in Richtung Hauptstadt errichtet hatten, an der Tagesordnung. Zumindest, wenn man den Erzählungen der Reisenden und Geflohenen glauben konnte, von denen seit einiger Zeit immer mehr das Dorf durchquerten.

    Jatin glaubte ihnen und er wusste, dass er nicht allein mit seiner Angst und seinen Sorgen war. Er spürte die Verunsicherung und Panik der Männer, die neben ihm den Weg zum Rebellenlager beschritten. Es war ein bestens geordneter Tross, denn keiner wagte es, unter den wachsamen Augen der Wärter aus der Reihe zu tanzen. Sie waren einfache Leute: Bauern und Handwerker. Wie hätten sie mit ihren Küchenmessern und Mistgabeln, mit denen sie noch nie in ihrem Leben auf Menschen losgegangen waren, gegen die mit ihren Waffen vertrauten Rebellen bestehen sollen?

    Das eilig errichtete Lager machte einen bedrückenden Eindruck: Schmutzverkrustete Stoffzelte erstreckten sich über das ganze Feld, welches durch die Kälte des Winters kahl geworden war. Im nächsten Sommer würde hier kein Grashalm mehr wachsen, dafür hatten die Füße der zahlreichen Rebellen gesorgt.

    Eisiger Wind blies ihm ins Gesicht, während sich der Trupp der Gefangenen langsam zum Eingang des Lagers bewegte. Ein paar Schneeflocken wirbelten durch die aufgewühlte Luft, doch es waren zu wenige, um den zertrampelten Boden zu bedecken.

    Sie schienen erwartet worden zu sein. Eine junge Frau – sie konnte kaum älter sein als Jatin – stand mit verschränkten Armen da und blockierte den Pfad, der zwischen den Zelten hindurchführte.

    Mit unbewegter Miene musterte sie die Neuankömmlinge. Ihr Aussehen verriet sofort, dass sie den Rebellen angehörte. Sie trug die straßenköterblonden Haare kurz geschoren. Die wenigen Strähnen, welche ihr ins Gesicht fielen, konnten die Narbe über ihrer rechten Augenbraue nicht verbergen. Ihre fahle Haut und die viel zu weite und eigentlich für diese Jahreszeit ungeeignete Kleidung sprachen von Leid und Entbehrung. „Bringt sie auf den großen Platz und seht, ob unter ihnen einige zu Kämpfern taugen. Tötet den Rest. Unsere Nahrungsmittel sind zu knapp, als dass wir weitere Gefangene durchfüttern könnten. Und immerhin haben wir einen Ruf zu verlieren. Ach, und den da nehme ich mit."

    Jatins Herz pochte heftig in seiner Brust, als ihm klar wurde, dass die Frau ihn meinte.

    Sie macht mir Angst, dachte er. Bereits ihr Aussehen zeugte von Härte und Grausamkeit, und ihre Stimme, die er soeben zum ersten Mal vernommen hatte, verstärkte diesen Eindruck noch. Obwohl sie rau und heiser war, dröhnten die Worte laut über das Lager.

    Einer der Wärter – ein grobschlächtiger, blonder Kerl mit unangenehm anzusehenden Schweinsaugen – durchquerte die Reihen. Jatin konnte den Schweißgeruch wahrnehmen, der von ihm ausging, während der Wärter ihm die Hände fesselte.

    Sie hatten nicht genug Seile für alle Gefangenen gehabt, als die Rebellen ins Dorf gekommen waren und die kampftauglichen Männer zusammengetrieben hatten. Ihr Ruf und ihre Waffen sowie die nahe Armee in ihrem Rücken hatten ausgereicht, um sie gefügig zu machen.

    Einen Moment lang war Jatin versucht, Gegenwehr zu leisten. Doch ihm war klar, dass er damit nur sein eigenes Todesurteil unterschrieben hätte. So ließ er zu, dass der Wärter ihm einen leichten Schubs gab, und durchschritt mit ihm im Rücken die Menge.

    Die junge Frau ging voran, der Wärter folgte einige Schritte hinter Jatin. Sie schien genau zu wissen, wo sich ihr Ziel befand. Rasch bahnte sie sich ihren Weg durch die unübersichtliche Zeltstadt. Hier und da kamen sie an einer Feuerstelle vorbei. Um die meisten drängten sich viele Gestalten in dunkler, abgetragener Kleidung, die sie nicht vor den Tücken des Winters, der in diesem Teil des Landes bereits früh hereinzubrechen pflegte, zu schützen vermochte. Wahrscheinlich stammten sie weiter aus dem Süden, wo der Winter mild und der Sommer so heiß war, dass dort kaum etwas gedeihen konnte.

    Ihr Atem bildete weiße Wölkchen, die über ihren Köpfen in den grauen Himmel entschwanden, aber sie schienen die Kälte nicht einmal spüren. Das Feuer ihrer Überzeugung und der Hunger auf die Beute, welche ihnen an ihrem Ziel winkte, wärmten besser als jede von Menschenhand entzündete Flamme.

    Selbst im Inneren des Zeltes war es kaum merklich wärmer. Jatin fröstelte, obgleich er die dickste Kleidung trug, die er besaß. Es stand ein langer und kalter Winter bevor, sagten die Alten im Dorf. Und wer wusste so etwas besser als sie, die schon so viele erlebt hatten.

    Bereits im Sommer hatte die Sorge um sich gegriffen. Die Ernte war dürftig ausgefallen. Sehr dürftig. Einige von ihnen würden hungern müssen. Dieses Wissen hatte diejenigen, deren böses Blut stärker war als die durch Schicklichkeit auferlegten Grenzen, darüber rätseln lassen, wer der Kälte als Erstes zum Opfer fallen würde.

    Nun, da die Rebellen einen großen Teil der sorgsam für den Winter gehüteten Lebensmittel an sich gebracht hatten, war das ganze Dorf in Gefahr. Vor allem wenn die arbeitsfähigen Männer, welche mit ihm ins Lager gezwungen worden waren, es mit den Füßen voran wieder verließen. Wer sollte dann im Frühling die Saat aussähen, im Sommer die Äcker pflegen und im Herbst die Ernte einfahren? Natürlich waren die Frauen und Kinder bis zu einem gewissen Grad dazu in der Lage, doch es würde ihnen an Kraft mangeln, um genügend Felder zu bestellen.

    Ihre harsche Stimme unterbrach seine trüben Gedanken und brachte ihn zurück in das kärglich eingerichtete Zelt. Ein Schemel, ein Strohsack, eine hölzerne Waschschüssel – mehr war hier nicht vorhanden. Die Frau schien keinerlei persönliche Dinge mit sich zu führen und falls sie es doch tat, verbarg sie diese gut vor den neugierigen Blicken der anderen.

    „Setz dich!" Sie zeigte mit ihrem dürren Finger auf das Nachtlager.

    Er tat, wie ihm geheißen. Sie stand nur still da. Die stechenden Augen fixierten ihn.

    „Du hast nicht die geringste Ahnung, weshalb du hier bist, nicht wahr?"

    Er wusste, dass Schweigen und ein verwirrter Blick als Antwort genügten, also machte er sich nicht die Mühe, etwas zu sagen.

    ***

    „Majestät, Majestät, Ihr müsst aufstehen!" Jemand schüttelte ihn vorsichtig an der Schulter.

    Der König, noch halb in seinem Traum gefangen und ohne die geringste Lust, sich aus dem weichen, warmen Bett zu erheben, gab nur ein unwilliges Brummen von sich.

    „König Federico. Ihr wolltet doch geweckt werden, wenn der erste Schnee gesichtet wird!" Die piepsig klingenden Worte seines treuen, alten Dieners Marcello ließen ihn augenblicklich vollends erwachen.

    „Schnee, Marcello … sagtest du wirklich Schnee?" Mit einem Ruck richtete er sich auf und sah den bereits ergrauten Mann neben ihm an.

    „Aber ja, Federico. Eine junge Küchenmagd kam gerade aus dem Dorf, und in ihren Haaren funkelten die weißen Flocken nur so."

    Nun hielt den jungen König nichts mehr in seinem Bett. Rasch schlug er die Decke zur Seite und rannte, noch im dünnen Nachthemd, ans Fenster, ohne auf die Kälte zu achten, die trotz des entfachten Feuers in dem Zimmer herrschte.

    Ein unangenehmes Ratschen erklang, als er voller Elan die Gardinen zur Seite riss, damit diese den Blick auf die sicher schneebedeckten Wiesen und Felder rund ums Schloss freigaben. Und tatsächlich funkelte und blitzte im fahlen Sonnenlicht des erwachenden Tages eine leichte Schneeschicht, die, soweit seine blauen Augen reichten, alles bedeckte.

    Der alte Marcello stand ruhig da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und beobachtete seinen König, der für ihn noch immer Prinz Federico war. Er kannte ihn bereits seit seiner Geburt. Es war, als wäre es erst gestern gewesen, dass der nun junge Mann vor ihm wie ein Wirbelwind durchs Schloss gejagt war und sich bitterlich bei ihm ausgeweint hatte, weil sein Vater es ihm nicht gestattete, mit den Puppen seiner Schwester Kaffeekränzchen zu spielen, da dieser dies als ‚weibisch‘ empfand und sich ein künftiger König lieber im Schwertkampf und Bogenschießen üben solle.

    An solchen Tagen, wenn Federico zumindest für einige Augenblicke wieder ein unbeschwertes, fröhliches Kind sein konnte, wurde ihm warm ums Herz. Stets hatte er sein Bestes getan, um den kleinen Prinzen aufzuheitern, wenn dieser wieder einmal von seinem Vater zurechtgewiesen worden war, doch mehr hatte er für den Jungen nicht tun können. Weder hatte er ihn vor den Schürfwunden und blauen Flecken aus dem Schwertkampfunterricht bewahren noch vor den bösen Worten seines Vaters schützen können.

    Vielleicht, so dachte der Diener, ist es gut, dass der alte König endlich ins Reich der Toten eingegangen ist. Er war weder weise noch gerecht. Und der Norden blüht auf, seitdem Federico ihn mit Milde und Gutmütigkeit regiert. Es tut dem Land gut, einen König zu haben, der auf die Ratschläge seiner Berater hört, unter denen sich natürlich nur die klügsten Köpfe des Landes befinden.

    Nachdem Federico eine halbe Ewigkeit lang nur in seinem dünnen Nachthemd dagestanden und hinausgesehen hatte, erwachte er endlich aus seiner Trance, entließ seinen Diener, der noch auf Anweisungen gewartet hatte, und begann, sich anzukleiden. Von vielen war er dafür misstrauisch beäugt worden, als er sofort nach dem Tod seines Vaters darauf bestanden hatte, den Dienern das Leben leichter zu machen, indem sie ihm weder das Essen bringen noch ihn ankleiden oder frisieren mussten.

    Dem König wurde das Herz schwer, während er mit dem filigranen Kamm seine braunen Locken entwirrte und an die vielen Verpflichtungen dachte, denen er heute nachzugehen hatte. Ein ganzes Königreich regierte sich immerhin nicht von allein!

    Natürlich nahmen ihm seine Berater, die innerhalb kürzester Zeit unverzichtbar für den jungen König geworden waren, eine Menge Arbeit ab, und er fühlte sich gut dabei, auf ihre weisen Vorschläge zu hören. Doch letztendlich lag es immer noch an ihm, das große Ganze im Blick zu behalten und im Sinne seiner Untertanen zu handeln.

    Auch heute würden wieder wichtige Entscheidungen getroffen werden, denn es galt, über die Finanzen der Krone und die Steuern für das nächste Jahr zu urteilen. Dies würde sich äußerst schwierig gestalten, denn seitdem im Süden die Rebellion erstarkt war, floss kaum noch Geld aus diesem Teil des Landes über die großen Berge in Richtung Hauptstadt.

    Zwar waren die Steuereinnahmen aus diesen Provinzen nur gering, vor allem im Vergleich zu denen aus dem reichen Norden, wo die Städte wie Pilze aus der Erde schossen und die fruchtbaren Böden jedes Jahr aufs Neue für eine gute Ernte sorgten, doch nichtsdestotrotz machten sich die fehlenden Einnahmen langsam bemerkbar. Zumal die Armee auf Kosten der Krone hatte vergrößert werden müssen, um für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Rebellen das große Gebirge überquerten, den Norden verteidigen zu können.

    Und als wäre das alles noch nicht problematisch genug gewesen, war in diesem Jahr selbst im Norden die Ernte dürftig ausgefallen, sodass der König die Getreidespeicher, welche aufgrund des langen Winters bereits relativ leer waren, hatte öffnen lassen, um eine Hungersnot zu verhindern.

    Vermutlich werde ich auf meine Schneeballschlacht verzichten müssen, wenn ich den guten Enzo nicht vor den Kopf stoßen möchte. Immerhin habe ich ihn ausdrücklich um das Treffen heute Morgen gebeten, dachte der junge König mit einem Seufzer.

    Conte Enzo di Vaniglia gehörte zum engsten Kreis seiner Berater. Es gab wohl niemand anderen im Königreich, der sich derart gut auf Zahlen verstand wie der rotgesichtige Conte.

    Plötzlich wurden seine trüben Gedanken durch das Geräusch der sich öffnenden Tür vertrieben. Michele trat ins Zimmer, ungestüm und hektisch wie immer. Ihm rutschte die Klinke aus der Hand, sodass die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel.

    Michele, selbst nur zwei Jahre jünger als der lockenköpfige König und damit immerhin bereits stolze zwanzig Jahre alt, stand in der Thronfolge deutlich weiter hinten als Federico. Sein Vater, der Cousin des ehemaligen Königs, würde Federico auf den Thron folgen, falls dieser kinderlos blieb. Und dann waren da auch noch seine zwei größeren Brüder, die Michele stets beschützt und umsorgt hatten.

    Doch Federico hatte beschlossen, Michele in aller Heimlichkeit zu seinem Nachfolger zu erklären. Er hatte dafür gesorgt, dass im Falle seines Ablebens die richtigen Leute über seinen Plan Bescheid wissen und auch in der Lage sein würden, ihn umzusetzen. Einzig der Betroffene war nicht eingeweiht.

    „Federico, hast du den Schnee gesehen? Es ist herrlich, einfach herrlich! Draußen glänzt und funkelt alles. Sollen wir hinausgehen und einen Schneemenschen bauen?" Wenn es jemanden gab, der das gefrorene Wasser noch mehr liebte als der König, dann war es Michele. Schon als Kinder waren die beiden stets ihrer Amme ausgebüchst, sobald die ersten Flocken vom Himmel gefallen waren, und hatten so lange draußen herumgetollt, bis ihre Lippen blau und ihre Hände eiskalt gewesen waren.

    „Ach, Michele, ich würde so gern. Aber ich muss mich mit dem Conte di Vaniglia treffen. Regierungsaufgaben." Beim letzten Wort verdrehte er kurz die Augen, nur um anschließend eine Leichenbittermine aufzusetzen.

    „Na, dann lasst das Treffen doch einfach ausfallen, meine Rosaheit!"

    Federico musste lachen. Natürlich spielte Michele damit auf das rosafarbene Baumwollhemd an, das er für den heutigen Tag gewählt hatte. Es reichte ihm etwa bis zur Mitte der Oberschenkel. Darunter trug er eine warme Hose aus blau-schwarzem Samt. „Aber, Michele, der Conte wird vor Wut einer Tomate Konkurrenz machen, wenn ich zu spät zu dem Treffen erscheine."

    „Dann beeilen wir uns wohl lieber, oder? Los, los! Wo ist dein Umhang?" Suchend sah sich der Jüngere im Raum um und fand das Gesuchte sogleich: Einen alten, zerschlissenen Reiseumhang, den Federico bereits besaß, seit er denken konnte. Einst hatte er seinem Großvater gehört, der ihn ihm kurz vor seinem Tod übergeben hatte.

    ***

    „Ich habe lange nach dir gesucht. Mein halbes Leben lang." Man würde denken, in einem solchen Satz würde Freude oder zumindest Ergriffenheit mitschwingen. Nicht so bei Nera. Ihre Worte klangen kalt, gefühllos. Waren ein Ebenbild der Umgebung, in der sie sich befanden.

    Jatin wusste darauf nichts zu erwidern. Noch immer blieben ihm die Taten und Worte dieser Frau schleierhaft, deren Name er nicht einmal kannte. Wer war sie? Und viel wichtiger: Was wollte sie ausgerechnet von ihm? Aus welchem Grund war er eine solch langwierige Suche wert?

    „Der Name deines Vaters war Emilio, nicht wahr?" Eine Frage – so simpel, so einfach. Und doch erschloss sich Jatin ihr Sinn nicht.

    „Ja, so hieß er." Seine Antwort kam zögerlich. Unruhig rutschte Jatin auf dem unbequemen Strohlager hin und her.

    Eigentlich war diese Antwort nicht ganz richtig. Emilio war lediglich der Mann gewesen, bei dem er hatte aufwachsen dürfen. Sein wahrer Vater, Salvatore, hatte ihn ins Dorf gebracht und dem Einzigen anvertraut, der Willens gewesen war, den nur wenige Woche alten Säugling bei sich aufzunehmen.

    All das hatte Emilio seinem Ziehsohn erzählt, als dieser alt genug gewesen war, um es begreifen zu können.

    „Ich sehe die Lüge. Sie steht dir so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass selbst ein Narr sie lesen könnte."

    Er sah sie verwirrt an. Gelogen? Er hatte nicht gelogen! „Nun ja, im Grunde genommen war Emilio nur mein Ziehvater, aber woher …"

    „… ich um deine Lüge weiß?, beendete sie seinen Satz. „Zufällig kenne ich den Namen deines wahren Vaters. Er lautet Salvatore, wie du vermutlich ebenso gut weißt. Du ähnelst ihm. Die Haare, die Augen … Nur die Gesichtsform … Noch immer lag keinerlei Emotion in ihrer Stimme. Nur Gleichgültigkeit. Diese Frau gab Jatin wahrlich Rätsel auf.

    „Woher kanntest du meinen Vater?", fragte er und rutschte dabei abermals nervös auf dem Strohlager hin und her.

    „Weil er

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