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Der letzte Weg des Dr. Dembski: Story of a Whistleblower
Der letzte Weg des Dr. Dembski: Story of a Whistleblower
Der letzte Weg des Dr. Dembski: Story of a Whistleblower
eBook719 Seiten10 Stunden

Der letzte Weg des Dr. Dembski: Story of a Whistleblower

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Über dieses E-Book

Die NSA hat illegale Personenregister über alle amerikanischen Bürger angelegt und Dr. David Dembski, der Leiter der ethischen Kommission der CIA, bringt diese skandalöse Wahrheit mit Hilfe des jungen Computergenies Frederic Cohen an die Öffentlichkeit. Er wird zum Whistleblower und reist nach New York, um Unterstützung bei einem der letzten großen unabhängigen Internetkonzerne der USA zu suchen. Leo Abrahams, der Chef von "Independent Internet", dessen Firma kurz vor der Übernahme durch den übermächtigen Internetgiganten LOGO steht, sagt ihm seine Hilfe zu und hat plötzlich einen geheimen Zirkel korrupter und krimineller Geheimdienstfunktionäre zum Feind. Ein komplexer Machtkampf entbrennt, der zu einer politischen Krise wird und auf die höchsten Ebenen des Staates führt…

"Der letzte Weg des Dr. Dembski" verbindet Spannung und Unterhaltung mit einem bedeutenden Thema: Illegale Datensammlungen und wachsende Überwachung im digitalen Zeitalter. Wird man den Beginn der Geschichte in ihren ruhig und überschaubar verlaufenden ersten beiden Kapiteln vielleicht noch für eine reine Agentenstory halten, so wird man später durch die Vielschichtigkeit der Handlung und die zunehmende Zahl der verschiedenen Schauplätze und Figuren immer mehr überrascht werden. Im Spiel mit den Grenzen verschiedener Genres vermischen sich die Elemente eines Krimis und einer Agentenstory mit denen eines Romans und erhalten durch ihre Sprache und ihre originelle Handlungs- und Figurenführung literarische Qualitäten.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Sept. 2017
ISBN9783742775351
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    Buchvorschau

    Der letzte Weg des Dr. Dembski - Benedict Dana

    1

    Figuren und Handlung sind frei erfunden. Mögliche Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig. Das Geheimdienstgefängnis „Area Zero sowie das unterirdische Verhörzentrum „Boulderfield sind rein fiktiv.

    Die nervöse Zerstreutheit, mit der Dr. David Dembski an das Rednerpult des großen Auditoriums im CIA-Hauptquartier in Langley trat, hatte nichts mit der Schwere des Vortragsthemas oder etwa der Verantwortung zu tun, die als Vorsitzender der ethischen Kommission auf seinen Schultern lastete. Diese Kommission war nämlich aus Dembskis Sicht in Wahrheit nichts als eine moralische Fassade, ja ein Schauspiel, das man sich durch die Auszahlung üppiger Gehälter an einige angestellte „Darsteller, die man auch „Psychologen nannte, notgedrungen etwas kosten ließ.

    Wenn er früher im Auditorium vor den meistens rund 200 Zuhörern gestanden hatte, hatte er bei dieser Gelegenheit gerne etwas eitel seine Redefähigkeit und sein Auftreten als geachtete Persönlichkeit zur Schau gestellt, doch an diesem Abend war alles anders, da es seine letzte Rede war. Einschneidende Ereignisse standen bevor, da in den nächsten Monaten einige Enthüllungen zu erwarten waren, die ihn und seinen Partner zu zwei der bedeutendsten Whistleblowern der Geschichte machen könnten.

    Als ihn einer seiner Kollegen den Zuhörern ankündigte, konnten die meisten von ihnen in dem sehnigen, kleinen Mann mit dem fein gestutzten Bart und den grauen, schütteren Haaren mehr als nur einen einfachen Seelendoktor erkennen, dessen Aufgabe es war, seinen Mitarbeitern von Berufs wegen ein gutes Gewissen zu machen und neuen Mut zuzusprechen. Dembski stand nämlich große Fähigkeit in sein 64-jähriges Gesicht geschrieben und es trug bereits die Züge würdigen Alters, die dem reifen Gelehrtengesicht eines Professors nicht unähnlich waren. Durch die moralischen Grundsätze, die er als Vorsitzender der ethischen Kommission in Form von Richtlinien formuliert hatte, war er für Viele sogar zum Vorbild geworden, obwohl ihn einige hinter vorgehaltener Hand manchmal auch einen Heuchler nannten. Das Vertrauenserweckende in seinem Wesen hing mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen über die menschliche Psyche zusammen, und dies war auch einer der Gründe dafür, warum es zu einer außergewöhnlichen Verbindung zwischen ihm und einem jungen Genie namens Frederic Cohen gekommen war, das in der Abteilung der technischen Beratung bei den Kryptographen arbeitete.

    Als Dr. Dembski sein Redemanuskript aufschlug und dabei ein letztes Mal seine linke Hand in seine Jackettasche fuhr, um dort prüfend den kleinen Datenträger – einen so genannten „Delta-Core - zu berühren, musste er an den jungen Frederic denken. Er war es gewesen, der ihm während der letzten zwei Jahre insgesamt vier solcher Schlüssel geliefert hatte, die bald der ganzen Welt die so sicher verschlossen geglaubte Pforte zu einigen großen Geheimnissen aufschließen sollten. Er hatte Angst um seinen jungen Freund, da dieser sich noch sehr viel länger als er vor den schlimmsten Konsequenzen fürchten müsste. Cohen würde früher oder später aus Langley heraus müssen, weil er für sein Alter und seinen ungewöhnlichen Charakter viel zu gut in seinem Job war, um für seine Vorgesetzten auf Dauer als wirklich zuverlässig zu gelten. Jeder konnte sich ausrechnen, dass der geniale, autistisch veranlagte Junge, der von frühester Kindheit an mit Computern groß geworden war, mit seinen Fähigkeiten und Kenntnissen irgendwann in der Lage sein könnte, an Informationen zu gelangen, die intern dem so genannten „Level A entsprachen – und von diesen durfte unter keinen Umständen etwas an die Öffentlichkeit gelangen, wenn es nicht zu einem revolutionären Aufruhr kommen sollte. Natürlich war Cohen noch lange nicht bis in die tiefsten Geheimnisse des mächtigsten Staates der Erde und seiner Machtpyramide eingedrungen, aber vieles, was auf dem „Level C" einem Kreis von 10 bis 20000 höheren Geheimdienstmitarbeitern bekannt sein musste, war inzwischen auf die kleinen Datenträger gewandert, die Dr. Dembski in der Tasche seines Sakkos Stück für Stück nach draußen befördert hatte.

    Dies war nur durch die besondere Position möglich gewesen, die er innehatte, da der Eingang zum Hauptquartier durch eine Reihe hochmoderner Scanner so gut abgeschottet war, dass praktisch keine Stecknadel unbemerkt nach außen drang. Die sporadisch stattfindenden Vortragsabende boten für ihn manchmal die Möglichkeit durch ein bestimmtes Zugangstor hinaus zu gehen, das nur bei der Verabschiedung hochrangiger Gäste geöffnet wurde und aus Gründen diplomatischer Höflichkeit nicht besonders streng kontrolliert wurde. An diesem Abend war es wieder so weit und es war nur diese Tatsache, die Dembski den Schweiß auf die Stirn treten und ihn auf seinem Vortragspult ein wenig angespannt und zerstreut wirken ließ. Sein Vorgesetzter war wie so oft verhindert, weshalb es ihm aufgetragen worden war, Ian Dubois, einen hochrangigen Vertreter des kanadischen Geheimdienstes CSEC, der sich nach einem Besuch in Langley noch pro forma zwei Vorträge anhörte, zusammen mit Vertretern der internen Sicherheitsabteilung nach draußen bis zu seiner Limousine zu begleiten und ihn dort gebührend zu verabschieden. Wegen seiner tadellosen Umgangsformen und seiner Fähigkeit außergewöhnlich gut mit Menschen umzugehen wurde Dembski des Öfteren für repräsentative Aufgaben herangezogen - nicht nur deshalb wurde er auch das „menschliche Gesicht von Langley" genannt.

    Aus der Sicht echter Profis des geheimen Außendienstes, für den die CIA traditionell die bedeutendste Organisation war, müsste es schlecht durchdacht wirken, dass sich Dembskis Ehefrau Eliza an diesem Abend wie zufällig genau dort auf dem Parkplatz unweit der Stelle befinden würde, wo der hochrangige kanadische Besucher verabschiedet werden sollte. Allerdings hatte sich dieses scheinbar unprofessionelle Vorgehen bereits dreimal sehr bewährt und alles sprach dafür, dass die Übergabe des kleinen „Delta Cores" an seine Frau auch ein viertes und letztes Mal gut gehen würde.

    -

    Kurz bevor Dr. Dembski zu seinem Vortrag anhob, blickte er noch einmal durch die Reihen des Auditoriums und erkannte viele vertraute Gesichter. Einige der Anwesenden waren ihm über die Jahre zu guten Bekannten geworden, weil er sie regelmäßig psychologisch beraten hatte. Im Grunde handelte es sich um seine Abschiedsrede, auch wenn sein Ausscheiden aus dem Dienst noch nicht offiziell mitgeteilt worden war. Er hätte bei dieser Gelegenheit gerne aus der berühmten Rede zitiert, die John F. Kennedy am 27. April 1961 vor der Vereinigung der amerikanischen Zeitungsverleger im Waldorf Astoria Hotel in New York gehalten hatte und in der er so deutlich wie nie zuvor vor den Gefahren exzessiver Geheimhaltung gewarnt hatte. Aber natürlich durfte er sich in seiner besonderen Lage zu einer solchen Versuchung nicht hinreißen lassen, um nicht etwa noch in seinen letzten Tagen in Langley unnötig aufzufallen.

    Während er über das Thema eigenmächtiger Geheimdienstoperationen in rechtsfreien Räumen sprach - womit er nicht zum ersten Mal im Sinne seiner Vorgesetzten unter den Zuhörern den Eindruck erweckte, eine Vereinigung wie die CIA müsste dieses Problem durch verantwortungsvolle Spezialisten voll unter Kontrolle haben - verabschiedete er sich insgeheim nicht nur von den bekannten Gesichtern im Auditorium, sondern auch von Cohen. Dieser war vor wenigen Tagen zum letzten Mal in seinem Büro erschienen, hatte wie üblich kaum etwas gesagt und ihm bloß mit bedeutungsvoller Miene den vierten Delta-Core überreicht. Ihre letzte Begegnung außerhalb von Langley hatte sich zwei Wochen zuvor in Ocean City ergeben, wo sie bei einem Strandspaziergang Abschied voneinander genommen hatten. Der junge Superhacker hatte ihn dort zum Schluss mit der Einschätzung allein gelassen, dass sie womöglich einen der letzten großen erfolgreichen Daten-Raubzüge im alten Stil begangen hatten, da die Zukunft dem kaum noch manipulierbaren Quantum-Computing gehören würde.

    Der verschlossene, logisch denkende Cohen schien nach außen kalt und emotionslos zu sein, weshalb es trotz ihrer zweijährigen Zusammenarbeit und der Aussicht, sich aus Sicherheitsgründen vielleicht nie mehr wieder zu sehen, am Ende nur zu einem Händedruck gekommen war. Das autistische Genie konnte nicht einmal eine kurze Umarmung zulassen, wohingegen sich Dembski trotz seiner Vernunft manchmal ziemlich ungewöhnlichen Gefühlsregungen hingab. Aus diesem Grund war es auch nicht sehr erstaunlich, dass er seinem Freund in einem Café an der Strandpromenade als letztes ein paar ziemlich pathetisch klingende Worte mit auf den Weg gegeben hatte:

    „Geh’ mit Gott, Frederic! Du und ich sind ein Teil des ewigen Davids, der in dieser Welt gegen die übermächtigen Kräfte Goliaths kämpft und dabei am Ende trotzdem als Sieger dastehen wird. Ich hoffe inständig, wir sehen uns im Himmel und nicht an einem Ort wie Guantanamo wieder!"

    Dabei war zu berücksichtigen, wie tief in Dembski noch immer die Gene eines polnischstämmigen Juden steckten, der in seinem Herzen das Andenken an seine Vorfahren hochhielt, auch wenn er alle religiösen Bräuche inzwischen vollständig abgelegt hatte. Manchmal sah er in seinen Träumen das ausgeblichene Foto mit dem Gesicht eines alten, ausgemergelten Mannes im Warschauer Ghetto vor sich, der später in Auschwitz zugrunde gegangen war und seinen Kindern und Enkeln nichts als ein tiefes, immerwährendes, inneres Beben und den letzten überlieferten Satz hinterlassen hatte, die Nachfahren des Elias Dembski sollten zu seinem Andenken Zeit ihres Lebens für die Freiheit eintreten.

    Bisher konnte David Dembski nicht gerade behaupten, sein Zweig an ihrem alten Familienbaum hätte hinsichtlich dieses letzten Wunsches seines Großvaters einen würdigen Spross getrieben; genauso wenig hatte sein Vater besondere Anstrengungen für den großen Kampf um die Freiheit unternommen. Die Versicherungspolicen, die Simon Dembski lange Zeit in Baltimore verkauft hatte, hatten ihn zwar relativ wohlhabend, die Welt aber nicht unbedingt besser oder freier gemacht. Manchmal wollte Dembski tatsächlich glauben, Cohen wäre ihm von Gott gesendet worden, nur um die Erfüllung eines alten Familiengelübdes zu ermöglichen, um das sich bisher noch kein Nachfahre seines Großvaters besonders gekümmert hatte.

    Als er nun in seinem Vortrag über „geheime Operationen in rechtsfreien Räumen sprach – Operationen, die man entsprechend der Redeanweisung seines Vorgesetzen offiziell natürlich so weit wie möglich minimierte und selbstverständlich nur für höhere Zwecke im unermüdlichen Kampf gegen den großen Feind und das Böse ausführte - wurden diese in seiner eigenen Überzeugung zu einer guten Begründung, sich selber das Recht auf einen solchen „rechtsfreien Raum zuzugestehen und das eigene Handeln allein den Regeln einer höheren Ethik zu unterstellen. Wer in einem solchen Raum operierte, durfte eben nicht auffallen, egal auf welcher Seite er stand, und so musste man sowohl im Namen des Bösen wie auch des Guten besonders vorsichtig und professionell agieren, sobald man sich außerhalb des Bodens des Gesetzes befand…

    -

    Dembskis letzte Rede hatte an jenem Abend ungewöhnlich schnell geendet. Er schaute noch einmal durch die Reihen des halbkreisförmigen, leicht ansteigenden Auditoriums, das im Kern des Hauptgebäudes lag und nur durch einige große Oberlichter und ein paar Scheinwerfer beleuchtet wurde. Draußen war es noch hell und es herrschte der schönste Junisommer, was man in dem streng gesicherten Geheimdienstgebäude leicht vergessen konnte. Er konnte für seinen Vortrag nicht ernsthaft einen besonderen Beifall erwarten, aber wenigstens hatte er in einigen offenen und etwas vieldeutigen Formulierungen bewusst ein paar mögliche Ausgänge aus dem streng zensierten Redeskript geschaffen, die die Klügeren unter seinen Zuhörern dazu nutzen konnten, hinter die äußere Fassade seiner Worte zu blicken und sich um eine freiere Interpretation zu bemühen.

    Nach dem verhaltenen Applaus hoffte er nur noch darauf, dass der nächste Redner solange sprach, bis die Dämmerung hereinbrach. Erfahrungsgemäß wurden die ihn und den besonderen Gast Ian Dubois später nach draußen begleitenden Sicherheitsleute abends ein wenig nachsichtiger und würden nicht so schnell etwas Verdächtiges daran finden, wenn seine Frau Eliza um diese Zeit nach Dienstschluss auf dem Parkplatz auf ihn wartete. Er würde sie jedoch nur kurz begrüßen und ihr den Datenträger zustecken können, da er nach Dubois’ Verabschiedung zunächst wieder das Gebäude betreten musste.

    Während er dem nachfolgenden Redner zuhörte, beobachtete er immer wieder voller Spannung den Verlauf der Minuten auf seiner Armbanduhr. Wenn alles gut ging, saß er in einer Stunde neben Eliza im Wagen und würde langsam den George Washington Memorial Parkway herunterfahren, am Theodore Roosevelt Island den Potomac River überqueren, mit einem gewissen Triumphgefühl das Weiße Haus passieren, um dann später in Downtown Washington bei ihrem Lieblingsitaliener ein großes Glas Rotwein zu leeren und dabei erleichtert den Beginn eines neuen Lebens in sich zu spüren. Es war absolut nicht übertrieben von einem „neuen Leben" zu sprechen, da der kleine Delta Core, dessen Vorhandensein er immer wieder nervös mit der Hand in seiner Sakkotasche prüfte, genügend explosiven Stoff barg, um erheblich mehr als nur eine vorübergehende Welle der Empörung im Bewusstsein der Weltöffentlichkeit heraufzubeschwören. Die Preisgabe von Geheimlevel C, der die wichtigsten und mächtigsten Institutionen des gesamten Staates wie ein unsichtbares, rotes Band durchzog, würde aller Voraussicht nach zu irreparablen innen- und außenpolitischen Spannungen führen.

    In dem Moment, als einer der Sicherheitsleute unerwartet neben Dembskis Stuhl auf dem Podium des Auditoriums trat und ihn kurz an seinem Oberarm berührte, war er für eine Sekunde zutiefst erschrocken, aber beruhigte sich sofort wieder.

    „Dr. Dembski, Mr. Dubois möchte durch Ausgang IV zu seinem Wagen gehen. Mr. Dalberg hat uns gestern informiert, dass Sie heute zu seiner Verabschiedung mit uns gehen", informierte ihn Coleman, ein Schrank von Mann in einem schwarzen Anzug, dem ein Kabel aus seiner Ohrmuschel durch den Hemdskragen in seine Jacke ging.

    „Oh, ja, natürlich... Die Kanadier wollen bestimmt so schnell wie möglich aus dem verrückten Affenstall heraus, um noch irgendwo in Georgetown ein paar Gläschen heben zu gehen", spielte er daraufhin wie so oft den etwas Zerstreuten, dem gerne ein kleines Späßchen über die Lippen ging. Coleman lachte sogar ein wenig und verließ dann mit ihm den Saal, wobei Dembski ein letztes Mal um sich blickte und insgeheim Abschied von seinen Kollegen nahm. In seiner Lage gab es keinen Grund für Sentimentalitäten; er verließ seine langjährige Arbeitsstelle ganz ohne Wehmut und würde nur noch einmal hierher zurückkehren, um ein paar persönliche Dinge abzuholen. Sein offizieller Dienstaustritt sollte dann nächste Woche erfolgen.

    Im Foyer des Auditoriums traf er mit Coleman auf eine Gruppe von vier Männern, die aus dem Kanadier Dubois, dessen beiden Begleitern und einem weiteren von ihren eigenen Leuten bestand. Erfahrungsgemäß war es die beste Methode seine Aufregung durch lockere Plauderei zu überspielen, weshalb er mit Dubois auf ihrem Weg durch die verschiedenen Korridore über dessen Pläne für den Abend redete und dabei harmlose Scherze riss. Als Coleman schließlich mehrere Codes für die Öffnung einer gepanzerten Tür an der Rückseite des Gebäudes eingab, traten sie nach draußen und näherten sich einer schwarzen Limousine mit diplomatischem Kennzeichen, die am Ende einer schmalen Zufahrt stand.

    Nachdem Dembski den Kanadier und seine Begleiter mit der angemessenen, dienstlichen Freundlichkeit verabschiedet hatte, sah er nach der Abfahrt der Limousine seine Frau Eliza in kaum 100 Yards Entfernung neben ihrem alten Volvo Kombi stehen. Als er ihr zuwinkte und sich langsam in ihre Richtung bewegte, hämmerte sein Herzschlag bis in seine Schläfen hinein und er hörte, wie ihn Colemans jüngerer, penibel auf die Dienstvorschrift achtender Kollege streng ermahnte:

    „Das ist gegen die Vorschrift, das wissen Sie, ich muss das in unser Protokoll aufnehmen!"

    Er war seinem Ziel schon viel zu nahe gekommen, um wegen dieser unerwarteten Zurechtweisung noch erschrocken zu sein. Eliza war ihm eilig entgegengegangen und stand inzwischen direkt vor ihm. Er legte beide Hände an ihre schlanke Taille, ließ dabei den kleinen Datenträger in die Tasche ihres weißen Blazers gleiten und küsste sie danach mit echter Zärtlichkeit und wahrer Überzeugung. Dann flüsterte er ihr noch etwas Nettes zu, worauf sie nur sagte: „Ich warte auf dich…"

    Er begab sich wieder zu den beiden Sicherheitsleuten zurück und bemühte sich, den heiklen Moment durch einen scherzhaften Smalltalk zu zerstreuen. Nachdem es ihm gelungen war, die Wogen zu glätten und sich der Gesellschaft der Beiden zu entledigen, ging er noch einmal kurz in den zweiten Stock zu seinem Büro hinauf, um ein paar Dinge mit nach Hause zu nehmen. Während er verschiedene Gegenstände und Papiere in seiner Aktentasche verstaute, ließ er das Geschehen noch einmal Revue passieren und glaubte, dass trotz des kleinen Zwischenfalls alles gut abgelaufen war. Als ihm zufällig sein Fernglas in einer Schreibtischschublade in die Hände fiel, gab er spaßeshalber noch einmal kurz dem allgemeinen Beobachtungs- und Überwachungstrieb nach, wie er früher oder später von fast allen Angestellten in Langley Besitz ergriff. Aus dem großflächigen Fenster seines komfortablen Büros konnte er bis zu der Stelle auf dem Parkplatz hinüber sehen, wo der dunkelblaue Volvo stand. Zufrieden beobachtete er, wie seine Frau wartend im Wagen saß und sagte sich, was für eine herrliche Komplizin sie doch war. Ein solches geheimes, gemeinsames Unternehmen mussten man in einer Ehe unbedingt einmal erlebt haben, damit man einander wirklich nah und vertraut wurde.

    Er zog wegen der Juniwärme sein Sakko aus, legte es sorgfältig über seinen Unterarm und schloss langsam und nachdenklich die Tür seiner wenig geliebten Arbeitsstelle hinter sich. Immerhin hatte ihn so wohlhabend gemacht, dass er neben seinem Wohnhaus – einem hübschen Bungalow in einer grünen und beschaulichen Straße am Rande des Wheaton Regional Parks im Norden Washingtons – auch ein kleines Strandhäuschen auf dem 130 Meilen entfernten Fenwick Island besaß.

    Seine Tochter Anna, die immer Vorbehalte gegen seine Tätigkeit gehabt hatte, könnte vielleicht irgendwann stolz auf ihn sein, denn es war gar nicht einmal so unwahrscheinlich, posthum als ein bedeutender Kämpfer für die Freiheit in die Geschichte der USA einzugehen. Er würde von nun an ein freier Mann sein und in Zukunft nicht mehr für 130 000 Dollar Gehalt im Jahr indirekt an der Seite derjenigen Kräfte stehen, die die USA schleichend zu einem digitalen Überwachungsstaat verwandeln wollten und dabei auch unrechtmäßig in die Angelegenheiten anderer Nation eingriffen.

    Das feine Piepsgeräusch und das grüne Lämpchen, das ihn unten in der Halle nach dem Scannen seines Körpers und dem Auslesen seines Dienstausweises endgültig aus dem Gebäude entließ, war nach über drei Jahrzehnten ein bescheidener, aber ihm sehr lieber Abschiedsgruß.

    Er begegnete zu seiner Erleichterung niemandem mehr, den er persönlich kannte, und so konnte er sich bald mit einem tiefen, erlösenden Seufzen in das weiche Polster des Wagens sinken lassen, den seine Frau nur wenige Minuten später ruhig und wortlos über eine der namenlosen Straßen Langleys in Richtung des George Washington Memorial Parkways fuhr.

    2

    Als David einen Monat später am frühen Morgen in dem Hotel „La Maison Rouge" in Brooklyn erwachte, dauerte es nicht lang, bis das Telefon auf seinem Nachttisch klingelte. Die Art des Klangs ließ ihn sofort vermuten, dass es wahrscheinlich der Anruf seines Kontaktmannes war.

    Die Bezeichnung „Hotel war für das „Maison Rouge etwas übertrieben, da es nur ein dreistöckiges Gästehaus mit nicht mehr als 30 Zimmern und einem kleinen französischen Restaurant im Erdgeschoss war, das seinen Namen wegen seiner Farbe und den vielen typischen rötlichen Backsteinbauten im Stadtteil Williamsburg trug. Es handelte sich um keine besondere Gegend, weshalb er bei seiner Ankunft erstaunt darüber gewesen war, wie fein das Hotel im Inneren herausgeputzt war, so als hätte man bewusst ein Stück höhere französische Lebensart in eine unscheinbare Hülle nach Brooklyn verpflanzt und damit ein besonderes Experiment gewagt.

    Der Kontaktmann der „Independent Internet Incorporation" (I.I.) wollte offensichtlich keine Minute Zeit verlieren und bereits am frühen Morgen zur Sache kommen, noch bevor der Gast aus Washington sein Zimmer zum Frühstücken verlassen hatte. Der Unbekannte hegte aus natürlicher Vorsicht großes Misstrauen, was absolut nicht unbegründet war. Es war nämlich jederzeit damit zu rechnen, dass einer der Geheimdienste versuchen würde, dem unliebsamen Internet- und Telefonkonzern ein faules Ei in das Nest zu legen, weil dessen Grundprinzipien von Freiheit und Unabhängigkeit bestimmten Kreisen ein Dorn im Auge waren.

    David war noch so verschlafen, dass er sich erst im letzten Moment auf seinen Decknamen „Albert Burke" besann, bevor er an das Telefon ging.

    Hier spricht Emerson. Herzlich Willkommen in New York, Mr. Burke! Geht es Ihnen gut? Wie haben Sie geschlafen?, schlug ihm die Stimme seines Kontaktmannes sofort so nah und intim entgegen, als müsste es eine private Verbindung sein, die vom Hotel direkt in eines der Büros im Independent Internet-Tower in Manhattan ging. Dem Namen nach handelte es sich um die Person, mit der er vor drei Wochen den ersten Kontakt per Email aufgenommen hatte, allerdings glaubte er natürlich nicht, dass dieser Name echt sein könnte.

    „Fantastisch, Mr. Emerson, fantastisch. Dieses Hotel muss ein wahrer Geheimtipp sein – ich werde es in meinem Freundeskreis weiterempfehlen. Allerdings habe ich bis jetzt noch nicht das Frühstück probiert", antwortete er in einem etwas übertriebenen und blasierten Tonfall, so als müsste er ein Millionär auf Weltreisen sein, der überall immer nur den besten Komfort gewohnt war. Ihm war es lieber irgendeine Rolle zu spielen, als etwa Unsicherheit zu zeigen, wodurch er von vornherein in die unterlegene Position geriet.

    „Das freut uns, Mr. Burke. Sie sollten dieses Hotel als ein besonderes Haus betrachten, in dem nicht jeder aufgenommen wird. Sie sind sozusagen unserer Ehrengast, bis wir uns sicher sind, Ihnen absolut vertrauen zu können. Vielleicht wird sich dies schon heute Abend herausgestellt haben."

    Der Stimme war deutlich anzumerken, ernsthaft um Freundlichkeit und Kooperation bemüht zu sein, damit der „Ehrengast bei Laune blieb – schließlich hatte dieser etwas anzubieten, was sehr wertvoll war. Die Dateien, die „Mr. Burke bei sich hatte, besaßen womöglich mehr Brisanz als alle, die irgendein Whistleblower jemals zuvor in die Welt hinaus „gepfiffen" hatte.

    „Mr. Emerson, hören Sie mir jetzt bitte sehr genau zu. Ich möchte, dass Sie Ihrem Chef folgendes mitteilen, bevor es zu einer Übergabe kommt. Wenn er mich nicht persönlich anhört, werde ich einfach wieder nach Hause zurückfahren:

    Vor einem dreiviertel Jahrhundert ist ein kleiner, jüdischer Schauspieler in Auschwitz zugrunde gegangen und hat zuvor seinen Nachfahren den Auftrag gegeben, unablässig für die Freiheit zu kämpfen. Erst Jahrzehnte später konnte sich ein Nachfahre auf diesen Auftrag besinnen und dieser Nachfahre hat einen großen jüdischen Ehrgeiz daran gesetzt, ihn auf eine angemessene und würdige Art zu erfüllen."

    David wunderte sich plötzlich selber über seine Worte, die ihm - noch immer im Bett liegend - fast ganz von allein über die Lippen gekommen waren, was auch daran lag, dass der berühmte Leo Abrahams, der oberste Kopf von Independent Internet, selber Jude war. Er hatte durch die wenigen Sätze bereits ziemlich viel über sich selbst verraten, aber aus irgendeinem Grund hatte er Emersons Stimme sofort Vertrauen geschenkt. Natürlich hätte die Einladung in das „Maison Rouge" auch eine groß angelegte Täuschung sein können, die von irgendeinem der Geheimdienste eingefädelt worden war, nachdem man seine Email an Independent Internet abgefangen hatte.

    „Ich danke Ihnen sehr für diese ungewöhnliche Mitteilung, Mr. Burke. Ich versichere Ihnen, wir nehmen alles, was Sie betrifft, sehr ernst und deshalb werde ich Ihre Nachricht noch heute weiterleiten. Für den nächsten Schritt müssen Sie uns jedoch ein bisschen Zeit geben, bis wir uns über Sie etwas mehr im Klaren sind. Lassen Sie es sich solange in ihrem Hotel gut gehen – die Rechnung zahlen selbstverständlich wir!"

    Emerson redete mit einer Aussprache und Höflichkeit, die höhere Bildung durchblicken ließ, weshalb David vermutete, es mit einem leitenden Angestellten von „Independent Internet" zu tun zu haben. Er hielt es plötzlich für nötig, noch eine ernsthafte Warnung auszusprechen.

    „Falls Sie Nachforschungen über mich anstellen wollen, sollten Sie das entweder sehr, sehr vorsichtig tun oder es am besten gleich unterlassen. Ich fühle mich dazu verpflichtet Sie darüber zu informieren, dass ich ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter bin. Denken Sie bitte immer daran, Mr. Emerson, denn Sie könnten mit Ihren Nachforschungen einen schlafenden Riesen wecken. Eigentlich dürften wir nicht einmal telefonieren! Für wie sicher halten Sie diese Leitung?"

    „Eine sicherere Leitung gibt es in New York nicht. Ich halte sie für so sicher, dass das Spiel mit Decknamen eigentlich überflüssig ist. Ich fühle mich sogar frei genug Ihnen zu verraten, dass wir diese Leitung selbst installiert haben, weil das Hotel zum Firmenbesitz zählt. Diese erste, kleine Information haben Sie sich durch Ihr Vertrauen in uns bereits verdient, Mr. Burke, verriet „Emerson mit unverhohlenem Stolz.

    „Wenn Sie so sicher sind, dass man an diesem Apparat frei reden kann, möchte ich Ihnen folgendes sagen: Mich wundert ein wenig, wie sehr Sie auf Ihre interne Sicherheit vertrauen. Wie ich vor einigen Monaten in der Zeitung lesen musste, wurde ihrem größten Computerzentrum durch die NSA das Regin-Spionagesystem untergeschoben. Wenn ich mich recht entsinne, hat daraufhin Ihr Chef in aller Öffentlichkeit erwogen, seinen Firmensitz in das Ausland zu verlegen. Er muss wirklich sehr erbost gewesen sein – jeder vernünftige Mensch kann das natürlich nachvollziehen!"

    „Verfügen Sie diesbezüglich über spezielle Informationen?"

    Der anonyme Anrufer hatte plötzlich eine ungewöhnliche Schärfe in seiner Stimme und zeigte sich an dieser Frage ganz besonders interessiert.

    „Nein, nein, beruhigen Sie sich, Mr. Emerson. In dieser Sache bin ich nur der kleine Leser einer Zeitung, der wie Millionen anderer braver Bürger die Meldungen der Massenmedien als Basis seiner Informationen nehmen muss. Ich wollte nur ein passendes Beispiel dafür finden, wie schlecht es mit der Sicherheit heutzutage leider oft bestellt ist."

    Erst jetzt verließ David endgültig das Bett und ließ sich auf einem Sessel neben dem Telefon nieder, um fortzufahren:

    „Leider kann man in einer Welt, die längst von unzähligen geheimen Machenschaften unterwandert ist, absolut niemandem mehr vertrauen, und selbst die, die für die Freiheit einstehen, müssen untereinander misstrauisch sein. Es wäre doch schön, wenn wir einfach aufeinander zugehen könnten, dann bräuchte ich nicht lange in diesem Hotel zu sitzen und könnte bald wieder nach Hause fahren!"

    „Haben Sie schon einmal über das alte Wort Divide et Impera nachgedacht, Mr. Burke? Spalte und Herrsche lautet die Devise all der Kräfte auf dieser Erde, welche die Freiheit der Menschen zerstören! Meiner persönlichen Überzeugung nach ist es in der Summe nichts Anderes als die Macht Satans, die genau diese Spaltung der Menschen untereinander bewirkt und sie dadurch viel zu oft zu Feinden macht, die bereitwillig in eine Menge kleiner und großer Kriege ziehen. Wobei es natürlich Definitionssache ist, was man genau unter Satan verstehen will…

    Aber verzeihen Sie mir bitte, wenn ich bereits am frühen Vormittag etwas philosophisch werde. Es ist manchmal so meine Art."

    „Sie scheinen ein nachdenklicher Mann zu sein und Prinzipien zu haben, wunderte sich David über Emerons tiefsinnigen Ton. „Ich hoffe nur, dass sich mir Ihr Chef ebenfalls als Mann mit Prinzipien und höheren Überzeugungen erweist. Das könnte manches zwischen uns vereinfachen und wir bräuchten uns nicht so zu verhalten, als ob wir Gegner wären.

    „Mein Chef ist ein wandelndes, lebendiges Prinzip, Mr. Burke. Dieser Mann verkörpert alles an höheren Werten, was Andere, die auf diese Art groß im Geschäft sind, längst über Bord geworfen haben. Sie haben sich also genau an die richtige Adresse gewandt und natürlich glaube ich nicht, dass dies aus Zufall geschehen ist.

    Aber nun frühstücken Sie erst einmal! Heute Nachmittag werden wir Ihnen dann eine junge Dame vorbeischicken, die sich mit Ihnen ein bisschen die Zeit vertreiben wird. Vielleicht haben Sie Lust mit ihr in ein Theater am Broadway zu gehen oder sonst etwas zu tun. Sie sollen sich bei uns wohl fühlen, Mr. Burke. Diese Dame wird für ein oder zwei Tage unsere Vertreterin sein und am Ende hoffentlich der Ansicht sein, dass man Ihnen voll vertrauen kann."

    Emerson klang plötzlich aalglatt und geschäftsmäßig; es passte nicht recht zu dem, was er vorhin im Zusammenhang mit „Divide et Impera gesagt hatte. David ahnte sofort, was dieser Besuch zu bedeuten hatte: Diese „Vertreterin war wahrscheinlich eine attraktive, clevere, junge Dame, die seine Glaubwürdigkeit mit ihren eigenen Methoden überprüfen würde, während man bei Independent Internet noch solange recherchierte, bis man mindestens seine richtigen Namen herausgefunden hatte.

    „Ich werde auf keinen Fall darauf verzichten, Ihren Chef persönlich zu sehen!", insistierte er nachdrücklich auf seiner wichtigsten Bedingung.

    „Der Besuch unserer Vertreterin ist unverzichtbar für uns, das müssen Sie verstehen. Sie arbeitet übrigens als unabhängige Person, weshalb wir für ihr Tun keinerlei Verantwortung übernehmen. Sie wird heute gegen 3 Uhr in der Hotelhalle auf Sie warten und sich zu erkennen geben. Ich selber rufe Sie zur gegebenen Zeit wieder auf diesem Telefon an. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag, Mr. Burke!"

    David konnte gerade noch eine kurze Floskel zum Abschied sagen, da hatte der unbekannte Anrufer schon wieder aufgelegt. Plötzlich war alles ziemlich schnell gegangen und er war mit vielen neuen Gedanken mit sich allein.

    Nach längerem Nachdenken zog er sich an und ging hinunter in das kleine Restaurant. Als er beim Frühstück saß, reifte in ihm der Entschluss, die vier Festplatten, die sich in seinem Koffer befanden, im Safe des Hotels einschließen zu lassen. Falls ihm in New York irgendetwas zustoßen sollte, würden sie so früher oder später in die Hände von Independent Internet gelangen.

    Im Grunde hätte es genügt, danach einfach wieder nach Hause in sein Strandhaus auf Fenwick Island zu fahren, dort das Ende einer schönen Sommersaison zu genießen und nur noch eine Email an Emerson zu senden, in der er den Safe des „Maison Rouge als das Versteck seiner brisanten „Ware aus Langley verriet. Es war die Ahnung, die Hilfe eines mächtigen Verbündeten wie Leo Abrahams vielleicht irgendwann einmal nötig zu haben, die ihn davon abhielt.

    Hätte sich diese Ahnung plötzlich in einen klaren Blick in die unmittelbare Zukunft verwandelt, wäre er womöglich direkt nach dem Frühstück mit seinem Wagen zur Verrazano-Narrows-Bridge zurückgefahren und hätte seinen Koffer mitsamt des brisanten Inhalts an der Mündung des Hudson River tief in das Meer versenkt…

    -

    Die attraktive Frau, die pünktlich um 15 Uhr kerzengerade auf dem einzigen Sofa in der Hotellobby des „Maison Rouge saß, zog mit ihren langen blonden Haaren und ihrem schlichten, weißen Baumwollkostüm schon seit ein paar Minuten die bewundernden Blicke aller vorbeigehenden Männer auf sich. Sie wirkte trotz einer Spur von Vornehmheit durch ihre helle und frische Ausstrahlung für New Yorker Verhältnisse ziemlich natürlich und hatte kaum etwas von der kühlen Unnahbarkeit an sich, hinter der hübsche Frauen gern ihr wahres Wesen verbargen. Dabei schien sie so seriös zu sein, als könnte sie eine leitende Angestellte oder sogar eine wichtige Managerin bei „Independent Internet sein.

    David schätzte sie sofort als eine vielseitig begabte Persönlichkeit ein, die über erheblich mehr Qualitäten als nur ihr Aussehen verfügte, während sie wiederum gleich erkannte, mit was für einem Typ von Mann sie es bei ihm zu tun bekam, als er in seinem alten, braunen Tweedjackett langsam die Treppe hinunter schritt.

    Als er sich als „Albert Burke" vorstellte, lächelte sie mit satter Süffisanz und meinte:

    „Mein Name ist Lydia Abramovitch. Wir beide können untereinander offen sein. Ein paar hochfliegende Spatzen haben es bereits sehr laut von den Dächern Manhattans herunter gepfiffen, dass Sie Dr. David Dembski sind, noch bevor ein erster Bericht über Sie heute Morgen auf meinem Computer eingetroffen ist. Aber freuen Sie sich darüber, denn ein charmanter Doktor ist mir allemal lieber als ein gewöhnlicher Mr. Burke, der sich vielleicht nicht richtig zu benehmen weiß…"

    Bereits ihre ersten Worte hatten eine seltsame Wirkung auf ihn. Obwohl sie aus dem Mund einer Anderen etwas frech geklungen hätten, fühlte er sich durch ihr Lob irgendwie ermutigt, so als wäre er einer ihrer unzähligen Verehrer, dessen Chancen sie zu erobern um ein gutes Stück gestiegen waren. Natürlich wirkte hier bereits die angewandte, weibliche Psychologie, mit der Abramovitch seit Jahren erfolgreich operierte und schon ganz andere als ihn um den Finger gewickelt hatte.

    „Ich möchte Sie der Form halber fragen, was genau Ihr Auftrag ist. Es wäre gut das gleich jetzt von Ihnen zu erfahren, damit wir nicht etwa die ganze Zeit aneinander vorbeireden", verlegte er sich darauf sofort konkret zu werden. Er fürchtete ernsthaft in einem allzu lockeren Gespräch irgendwann die Kontrolle zu verlieren und von ganz alleine damit zu beginnen, der überaus attraktiven Frau übertriebene Komplimente zu machen.

    „Zunächst lautet der Auftrag vor allem, Sie zu begleiten und Ihnen einen vergnüglichen Tag zu bereiten. Kommen Sie! Draußen wartet ein Wagen extra nur für Sie", entgegnete sie mit entwaffnendem Charme und machte eine auffordernde Geste zum Ausgang hin.

    Aus ihrem Mund klang diese Ankündigung äußerst viel versprechend und großzügig, weshalb er ihr ohne zu zögern nach draußen folgte und mit ihr in eine der typischen langen Mietlimousinen mit Chauffeur einstieg, wie man sie in den großen, teuren Hotels bekam.

    „Um Ihnen meinen Auftrag näher auszuführen…", begann sie das Gespräch erst fortzuführen, nachdem sie eine Weile gefahren waren und sie einen Knopf betätigt hatte, durch den die Trennscheibe zum Fahrer automatisch hochfuhr, „…möchte ich Sie zunächst ein wenig über die Verhältnisse in New York aufklären, Dr. Dembski. Da Sie früher in Langley waren, können Sie nicht völlig naiv sein und trotzdem werden Sie vielleicht nicht wissen, wie sehr diese Stadt von ihren eigenen Gesetzen regiert wird. Geheimdienste, die vom Staat finanziert werden, sind eine Sache, das private Kapital und die Geschäfte kleiner und großer Fische jedoch eine ganz andere. Wie überall gibt es natürlich auch in New York die Guten und die Bösen und ich muss Ihnen sicher nicht extra sagen, dass Leo Abrahams zu den Guten zählt, die ihr Kapital auf ehrliche Art aufgebaut haben und für die Prinzipien eines freien und unabhängigen Marktes einstehen.

    Mein Auftrag lautet unter anderem den guten Ruf der Firma zu schützen, nicht zuletzt weil sie weltweit tausende Angestellte ernährt!"

    Als der vornehme, weiße Wagen die Auffahrt auf die stark befahrene Interstate 278 nahm, unterbrach sie sich eine Weile, um dann fortzufahren:

    „Der Auftrag Ihre, sagen wir, Geschenke aus Langley entgegenzunehmen und an geeignete Stellen weiterzugeben, wurde mir übertragen, da ich als selbstständige Privatperson juristisch unabhängig bin. Ich übernehme das volle Risiko und bekomme guten Lohn dafür, und nun liegt es an Ihnen, ob Sie damit einverstanden sind und alles in meine Hände legen. Man könnte sagen, ich bin die Firewall von Independent Internet, damit man sich dort nicht mit dem schlimmen Virus infiziert, den man Hochverrat nennt!"

    „Sie klingen sehr geschäftsmäßig, Miss Abramovitch. Sie möchten mit etwas Handel treiben, bei dem es für mich um höhere Ideale, um den Kampf für die Freiheit geht", wandte David voller Skepsis ein, obwohl alles, was sie sagte, plausibel klang.

    „Mein persönliches Risiko wird bald nicht mehr geringer als Ihres sein und wenn ich von einem reichen Mann dafür entsprechend belohnt werde, muss dies doch für niemanden ein Schaden sein. Wie viel haben Sie im Monat bei der CIA dafür kassiert, dass Sie bei einer Vereinigung mitgewirkt haben, die dem Kampf für die Freiheit, von dem Sie da so großspurig reden, in vielen Fällen eher entgegengewirkt hat?"

    Ihre kleine Stichelei führte zu einem angespannten Schweigen, bis sie die 495 erreicht hatten und bald darauf in den Hugh L. Carey Tunnel nach Manhattan hineingefahren waren. Das fahle Licht des Tunnels verführte ihn dazu, sich unauffällig die zarte und weiße Haut ihrer Schenkel unterhalb ihres Rocksaums anzusehen, woraufhin ihm die aufwändige Stickerei des Saums an diesem Tag so schnell nicht mehr aus dem Kopf gehen sollte.

    Als sie sich hinter dem Tunnel auf den FDR Drive einfädelten, um am rechten Rand der Halbinsel Richtung Norden zu fahren, erinnerte sie ihn daran, dass dieser Ausflug der Überprüfung seiner und nicht ihrer Glaubwürdigkeit diente.

    „Sie haben den Wunsch geäußert Leo Abrahams persönlich zu sehen, Dr. Dembski. Glauben Sie denn ernsthaft, jeder könnte einfach so in den Independent-Internet-Tower spazieren, in den 100. Stock zur Chefetage hochfahren und ihm irgendeine undurchsichtige Geschichte präsentieren? Aus Ihrem gesamten Verhalten spricht, dass Sie kein richtiger Profi sind, und das allein ist der Grund, warum wir Ihnen etwas Vertrauen schenken. Mr. Abrahams würde nämlich normalerweise niemals freiwillig mit jemandem sprechen, der in irgendeiner Weise mit der CIA zu tun hat.

    Er gehört übrigens zu den Unterzeichnern des bekannten Pamphletes, das damals das Vorgehen der Bush-Administration und der Geheimdienste seit 9/11 verurteilt hat und das von vielen Prominenten unterstützt worden ist."

    Der letzte Satz beeindruckte David, denn wenn jemand wie Abrahams ein solches Pamphlet unterschrieben hatte, war das ein öffentliches Bekenntnis, das Folgen haben konnte. Prominente Hollywood-Schauspieler nahmen einen gesellschaftlichen Sonderstatus ein und hatten politisch nicht viel zu verlieren, ein großer Geschäftsmann aber besaß viele Angriffsflächen und musste mit Schikanen wie etwa dem Regin-Spionagesystem rechnen.

    „Sobald ich mich entschlossen habe, Ihnen die Geschenke – wie Sie es nennen – zu überreichen, können Sie ihren Inhalt sofort prüfen. Sie werden schnell feststellen, wie sehr dieser für sich selber spricht und keine CIA-Finte sein kann. Mr. Abrahams bleibt von all dem völlig unberührt. Ich möchte bloß einmal dem Mann in die Augen sehen, der sich in Zukunft für die Verbreitung einiger schwerwiegender Geheimnisse verantwortlich zeigt, bevor ich mich wieder zurückziehe und alles Weitere nur noch in den Medien verfolge."

    „Wie, Sie möchten sich elegant aus der Affäre ziehen und das Risiko anderen überlassen. David?", ging sie plötzlich dazu über, ihn mit einer verführerischen Vertraulichkeit beim Vornamen zu nennen. Er ließ sich von ihrem spöttischen Lächeln nicht beirren und entgegnete:

    „Sie wissen viele Dinge nicht und sollten nicht voreilig urteilen. Haben Sie schon einmal etwas von dem GOLIATH-Computersystem der CIA gehört? Dieses System führt ständig ein gigantisches Meer von Informationen zusammen und kann eines Tages Schlüsse ziehen, die plötzlich zu einem Verhör und einer Verhaftung führen.

    Ich genieße einen gewissen Schutz, solange mein Partner noch an der Quelle sitzt und einige Manipulationen vornehmen kann. Aber die Risiken sind schon jetzt zu groß geworden, um sich noch wirklich sicher zu fühlen."

    „Wir alle tragen unsere Risiken, David."

    „Während Sie noch immer irgendwo in New York in einem komfortablen Apartment sitzen und all die Geldscheine zählen, die Ihnen Abrahams für die verschiedensten Aufträge zusteckt, könnte ich eines Tages am Fließband einer Fabrik in Area Zero stehen und jahrelang in die grauen und hoffnungslosen Gesichter namenloser Häftlinge sehen…, malte er ein düsteres Bild seiner möglichen Zukunft und spielte mit „Area Zero auf ein amerikanisches Sondergefängnis an, das sich an der Grenze zu Mexiko befand und ähnlich wie Guantanamo einer eigenen Hoheitsregelung unterlag.

    „Na, na, nun übertreiben Sie aber ein wenig, mein lieber David! So schlimm wird es schon nicht werden. Selbst wenn man Sie jemals verurteilen sollte, lässt man Sie doch eines Tages wieder frei. Noch leben wir nicht im George-Orwell-Staat! Oder gehören Sie zu den naiven Menschen, die denken, in anderen Ländern wäre es besser?"

    Sie machte eine affektierte Handbewegung, bei der der teure Silberschmuck an ihrem Handgelenk einen besonders verführerischen Kontrast zu ihrer schneeweißen Haut einging. Als sie ihm dann noch kurz sanft und tröstend über seine Schulter strich, fühlte er unter ihrer Hand eine seltsame Erregung entstehen. Sie öffnete die kleine Bar der Limousine und schenkte roten, italienischen Likör in zwei Gläser ein. Nachdem er einen Schluck genommen hatte, erklärte er über das GOLIATH-Computersystem weiter:

    „Sie können sich nicht vorstellen, was für ein Gefühl es ist, in demselben Land, ja sogar in derselben Stadt wie mit einem gigantischen Rechner zu leben, der einem jederzeit durch einen plötzlichen und unvorhersehbaren Informationszufluss zur Gefahr werden kann und Agenten wie menschliche Roboter auf einen hetzt! Bei all dem muss man allgemein auch bedenken, dass die Fähigkeiten der Computer ständig erweitert werden und exponentiell in immer kürzeren Zeiträumen steigen."

    „GOLIATH ist jedem in unseren Kreisen ein Begriff. Die Gefahr, die von ihm ausgeht, beweist nur, wie wichtig es ist, Independent Internet vor der Macht der Geheimdienste zu beschützen.

    Ich hoffe nur, Sie haben uns nicht bereits jetzt eine Menge Ärger mit nach New York gebracht! Bei Menschen wie Ihnen muss man auf der Hut sein, David, sie wissen zwar viel, verstehen aber nicht immer vorsichtig genug zu sein…"

    Was für einen Moment vorwurfsvoll klang, wurde durch einen gutmütigen und freundlichen Ton in ihrer Stimme wieder ausgeglichen, in dem unterschwellig eine sehr merkwürdige Ironie anklang. Es war eine Ironie, die er zu diesem Zeitpunkt unmöglich verstehen konnte.

    Sie waren inzwischen am UN-Hauptquartier angelangt und bogen vor dem Gebäude vom FDR Drive in die 42nd Street ab, auf der sie bald im stockenden Verkehr zum Stehen kamen. Durch den Stillstand des Wagens wirkte die Nähe zwischen ihnen plötzlich um einiges intimer und David bemerkte, wie er die ungewöhnlich attraktive Frau neben sich langsam ernsthaft zu begehren begann. Glücklicherweise dauerte die Stockung nicht allzu lang an, weshalb sich sein Gemüt durch das Beobachten der an ihnen vorbeiziehenden Gebäude, Menschen und Straßen schnell wieder abkühlen konnte. Sie bogen in die 7th Avenue ein und befanden sich irgendwann auf der Höhe des Times Square, als Lydia dem Fahrer durch eine Sprechanlage die Anweisung gab, in der Nähe eines bestimmten Gebäudes anzuhalten.

    „Ich möchte Sie in einen Club einladen, in dem man hervorragend sitzen und das Leben in den Straßen aus angemessener Distanz beobachten kann, erklärte sie ihr Vorhaben, während sie aus der Limousine stiegen. Sie führte ihn über die Straße und dann in das Foyer eines fünfzigstöckigen Wolkenkratzergebäudes hinein, dessen erste drei Etagen durch einen offenen Aufzug zu erreichen waren. Als sie schließlich im zweiten Stock vor einer Glastür standen, auf der „High Times Club zu lesen war, ahnte David, dass er in diesem Club in den exklusiven Zirkel reicher Snobs geriet. Lydia zog einen Mitgliedsausweis durch einen Scanner, woraufhin sie durch die sich automatisch öffnende Tür in eine mit Marmor ausgekleidete Vorhalle gelangten, von der ein breiter Korridor in den luxuriös eingerichteten Hauptraum führte. Die halbkreisförmig arrangierten weißen Ledersessel, auf denen sie nahe der überaus langen, im Mittelpunkt des riesigen Raumes befindlichen Bar Platz nahmen, standen direkt an einer der voll verglasten Wände, sodass man auf die zahlreichen, rund um den Times Square flanierenden Touristen von einer erhabenen Distanz wie auf einen großen menschlichen Zoo herabsah. Die wenigen Gäste, die um diese Zeit in dem Club verkehrten, verteilten sich weit verstreut im Raum und hatten scheinbar nicht viel mehr zu tun, als bereits tagsüber raffinierte Cocktails zu trinken und hin und wieder ein paar Telefongespräche zu führen.

    Nach einem Drink und etwas harmlosem Geplänkel kam Lydia bald wieder auf den eigentlichen Anlass ihrer Begegnung zu sprechen.

    „Ich möchte es Ihnen ganz direkt sagen, David: Ich habe die Anweisung erhalten, das Spiel nach unseren Regeln zu spielen oder die Sache einfach fallen zu lassen. Es liegt nun an Ihnen, ob Sie sich darauf einlassen, oder Ihre Geschenke wieder mit nach Washington nehmen. Ich rate Ihnen mir entgegenzukommen, damit Ihre Mühe nicht vollkommen umsonst gewesen ist!"

    „Ich wundere mich, dass Sie plötzlich Bedingungen stellen. Von was für Regeln reden Sie da?"

    „Eigentlich ist es nur eine einzige Regel und die ist sehr simpel: Da Mr. Abrahams zurzeit schwierige Verhandlungen wegen der Übernahme eines seiner bedeutendsten Geschäftsbereiche durch den LOGO-Konzern führt, ist es unmöglich, ihn persönlich zu treffen. Sie müssen mit mir Vorlieb nehmen, da ich in der Angelegenheit zu seiner Vertreterin erklärt worden bin."

    „Darauf lasse ich mich nicht ein. Das, was ich anzubieten habe, könnte für einen Mann wie Abrahams eines Tages einen großen Wert bekommen, weshalb man es meiner Meinung nach mit etwas mehr Freundlichkeit entgegennehmen muss", wich er von seiner Hauptbedingung um keinen Deut ab.

    „Es ist, wie ich sage und nicht zu ändern. Mr. Abrahams ist mit den Vorbereitungen für die bald beginnenden Übernahmeverhandelungen sehr beschäftigt. Wie Sie sich denken können, ist LOGO kein leichter Verhandlungspartner. Hier geht es um Milliarden und nicht um ein paar Dateien, die vielleicht nach einem kurzen Aufruhr schon bald niemanden mehr interessieren werden!"

    Die unüberhörbare Ungeduld und der Anflug einer latenten Aggressivität, die plötzlich an der schönen Abramvotich zu bemerken waren, gefiel David ganz und gar nicht. Über die Pläne von LOGO hatte er in der Zeitung gelesen; es war allgemein bekannt, dass der mächtigste aller Internetkonzerne, der nicht nur in den USA, sondern weltweit das unangreifbare Monopol anstrebte, den alten Abrahams sehr weit in die Ecke gedrängt hatte, weshalb dieser bereits vor ein paar Jahren damit begonnen hatte, einen massiven Umbau aller Geschäftsbereiche von „Independent Internet" vorzunehmen.

    „Wir haben vorhin über den treuesten Mitarbeiter der CIA, GOLIATH, gesprochen. Vielleicht haben Sie noch nie etwas über seinen Bruder BRAVEHEART gehört, der zu einem ebenso treuen Diener der NSA geworden ist.

    Wenn die Welt erfährt, was auf diesem Rechner alles gespeichert wird, können alle früheren Whistleblower wieder in die USA zurückkehren oder frei gelassen werden, da ihre Enthüllungen im Verhältnis dazu nicht mehr von Interesse sind.

    Ich bin nicht auf Mr. Abrahams angewiesen, es gibt bestimmt genügend andere Menschen, die hierüber etwas wissen wollen!"

    „Mr. Abrahams ist zurzeit sehr misstrauisch, das sollten Sie verstehen, David. Man könnte es schließlich nicht nur als einen reinen Zufall interpretieren, dass Sie ausgerechnet jetzt auf der Bildfläche erschienen sind, wo gerade die Verhandlungen mit LOGO begonnen haben. Es könnte sich um ein abgekartetes Spiel handeln, durch das ihm irgendein unvorhersehbarer Nachteil entsteht.

    Vielleicht wissen Sie nicht genug über die Gesetze der Macht, David. Sie scheint zwar naturgemäß mächtig zu sein, aber in ihrem innersten Gefüge ist sie so sensibel wie eine Feder, die in einen Windstoß gerät. Sie kann jederzeit aus den Fugen geraten und muss mit allen Mitteln beschützt werden. Denken Sie darüber nach und bringen Sie ein wenig Verständnis für Mr. Abrahams besondere Lage auf! Während Sie das tun, werde ich uns noch etwas zu trinken bestellen…"

    Als sie sich erhob und zur Bar begab, konnte er kurz darauf beobachten, wie sie in einem Kosmetikraum verschwand. In einem plötzlichen Anfall von Misstrauen begann er die Handtasche zu durchsuchen, die sie auf ihrem Sessel vergessen hatte, und fand neben allerlei bedeutungslosem Krimskrams vor allem Bargeld, einen Schlüssel und den Mitgliedsausweis darin, mit dem sie sich Eintritt in den Club verschafft hatte. Der Ausweis erwies sich als Volltreffer, da auf ihm der Name „Patricia Stratford sowie eine Mitgliedsnummer zu lesen war, die er sich schnell notierte. Zwar musste „Stratford nicht unbedingt echter als „Abramovitch" sein, doch stärkte dieser zweite Name paradoxerweise sogar sein Vertrauen, da er den ersten ohnehin für falsch gehalten hatte. Als Lydia wenige Minuten später wiederkam, unterbreitete sie ihm sofort einen Vorschlag. Sie wollte es so wirken lassen, als wären ihre Worte das Resultat intensiven Nachdenkens, aber in Wahrheit hatte sie in der Zwischenzeit mit jemandem telefoniert.

    „Wir könnten sofort nach Yonkers in ein Computerlabor fahren und eine Probe der Dateien analysieren. Danach kann Mr. Abrahams erneut entscheiden, ob er Sie sprechen will. Es ist der einzige Kompromiss, den ich Ihnen anbieten kann."

    Da er bereits vor drei Wochen eine Datenprobe zu Independent Internet geschickt hatte, schien es ihm ziemlich kleinlich zu sein, eine weitere Untersuchung durchzuführen. Er war deshalb fest entschlossen, zuerst noch einmal mit „Emerson" zu sprechen.

    Als er entgegnete, „ach, wissen Sie, Lydia, ich würde lieber noch einmal in Ruhe über alles nachdenken. Ich finde das Maison Rouge sehr gemütlich und könnte wochenlang dort bleiben", ereignete sich in kaum 50 Yards Entfernung etwas, das mit ihrem Gespräch in direktem Zusammenhang stand, von ihnen aber nicht bemerkt werden konnte:

    Der Besitzer des High Times Clubs, der halbseidene Clyde Taylor, erhielt einen Anruf von einem gewissen Walter Silverman, den er nur mit seinem einschlägigen Spitznamen „Silverboy" ansprach. Taylor wurde in seinem Büro von einer großspurig wirkenden Einrichtung aus schweren Teakmöbeln umgeben und saß an einem wuchtigen Schreibtisch mit mehreren Bildschirmen, die wechselnde Ansichten der Clubräume zeigten. Als sich Silverman meldete, war Taylor über den Anruf des Ermittlers, der in der Sicherheitsabteilung von Independent Internet angestellt war, nicht begeistert. Der dicke, unsympathische Kerl hatte ihn schon immer abgestoßen, auch wenn er an ihm regelmäßig den einen oder anderen schnellen Dollar verdienen konnte.

    „Was liegt an, Silverboy?", fragte er in dem kalten und harten Ton, den er sich in seinem halb kriminellen Geschäftsmilieu angewöhnt hatte.

    „Bei Ihnen müsste im Moment Agneschka sitzen. Ich nehme an, Sie wissen, wie sie aussieht", entgegnete Silverman scheinbar beiläufig, womit er von Anfang an aus Gründen einer geschickten Preispolitik signalisieren wollte, kein übertrieben großes Interesse an dem kleinen Auftrag zu haben, der sich durch seinen Anruf ergab.

    „Das Aussehen einer solchen Frau vergisst man nicht."

    Taylor begann sich bei dieser Feststellung bereits durch eine Reihe von Kameras zu schalten, die überall in den Clubräumen unsichtbar installiert waren. Währenddessen fuhr „Silverboy" fort:

    „Sie müsste mit einem Mann zusammensitzen, der etwa Mitte 60 ist – mehr weiß ich über ihn nicht."

    Es war eine glatte Lüge, denn er hatte bereits mehrere Aufnahmen von Dembski, die von einem seiner Mitarbeiter in der Nähe des „Maison Rouge" aufgenommen worden waren. Außerdem hatte man ihn beobachtet, als er etwas aus seinem geparkten Wagen geholt hatte, weswegen man sich bei Independent Internet mit Hilfe des Kennzeichens über seine Identität inzwischen fast sicher war. All dies war jedoch Teil seiner offiziellen Aufgabe gewesen, während es nun um etwas Anderes ging.

    Taylor hatte sich inzwischen durch die verschiedenen Kamerapositionen gescrollt und Lydia Abramovitch – alias Patricia Stratford alias Agneschka – tatsächlich bald gefunden, da es um diese Zeit in dem Club noch nicht sehr betriebsam war – es war erst etwa 17 Uhr. Er zoomte Lydia und David mit einer kleinen, beweglichen Kamera heran, die unter der Deckenverkleidung verborgen war, und meinte:

    „Falls ich Aufnahmen von dem Mann machen soll, müsste ich mich beeilen, da er offenbar gehen will. Es ist ein untersetzter Kerl mit grauem Bart und Haaren und zieht sich gerade sein Sakko an. Hat in der Art etwas von einem Professor an sich…", kommentierte er gelangweilt und war längst dabei, Davids Aufbruch aus verschiedenen Blickwinkeln aufzunehmen.

    Während Taylor weiter das kleine Schaltbrett für die Steuerung der Kameras bediente, das für ihn seit Jahren viele tausend Dollar an zusätzlichen Einnahmen generierte, war David tatsächlich dabei sich von Lydia zu verabschieden, auch wenn die ehrgeizige Privatagentin dies um keinen Preis zulassen wollte. Sie war daran gewöhnt ihre Aufträge erfolgreich zu Ende zu führen und hatte sich fest vorgenommen, die „Geschenke aus Langley" noch an diesem Tag entgegenzunehmen oder zumindest Proben davon einer genaueren Analyse zu unterziehen. Sie hatte nicht mit Davids jüdischem Dickkopf gerechnet, der sich unbedingt Leo Abrahams’ persönlicher Protektion versichern wollte. Nachdem er ihr Angebot, mit ihr in der Limousine zurück nach Brooklyn zu fahren, mehrmals abgelehnt hatte, wusste sie nicht mehr, womit sie ihn noch zurückhalten konnte.

    Als er sich von ihr mit den Worten verabschiedete, „Sie sind eine sehr bemerkenswerte Frau, Lydia, und ich hoffe, dass wir uns noch einmal unter anderen Umständen wieder sehen, stand er mitten im Visier von Taylors Kamera und wurde in einer Reihe Großaufnahmen direkt in einen Datenordner gesteckt, der wenige Minuten später den Weg durch das Internet zu einer von „Silverboys ständig wechselnden Emailadressen nahm.

    Taylor beobachtete, wie David alleine in Richtung des Ausgangs ging und informierte Silverman darüber am Telefon:

    „Dein Mann geht fort, Silverboy. Kaum zu glauben, dass er eine solche Frau einfach sitzen lässt. Vielleicht werde ich gleich selbst einmal zu ihr hinübergehen und sie zu einem Drink einladen. Ich kriege dieses Mal 1000 Dollar für das ganze Bilderpaket."

    „1000 Dollar!? Ich werde mir gut überlegen, überhaupt noch einmal anzurufen. Das letzte Mal habe ich für etwas Vergleichbares 500 bezahlt!", beschwerte sich Silverman fassungslos.

    „Da hatte ich nur eine Person auf dem Bild. Ich möchte die Aufnahmen nicht erst noch bearbeiten und Agneschka herausschneiden, erklärte Taylor ungerührt. Ihm fiel immer irgendein Grund für einen höheren Preis ein, da er für alles, was im „High Times vor sich ging, das uneingeschränkte Monopol besaß. Außerdem hatte er ein untrügliches Gespür dafür, wie groß das Interesse seines „Klienten" wirklich war, was in diesem Fall den Tarif um 100 Prozent in die Höhe schnellen ließ.

    Die sichere Intuition, mit der der erfahrene Taylor den Preis taxierte, erschrak Silverman, da er nicht nur Interesse an einer Aufnahme des Whistleblowers aus Washington, sondern auch an einer Agneschkas hatte, wie sie mit diesem beim Gespräch zusammen saß – wovon jedoch Taylor aus bestimmten Gründen nichts wissen sollte.

    „Ich brauche die Bilder nicht unbedingt. Was würde mich nur das Telefongespräch kosten, wenn ich auf sie verzichte?", versuchte er so zu tun, als ob die Aufnahmen nicht wirklich wichtig wären.

    Taylor lachte auf und für einen Moment floss eine tiefe Bosheit mit in sein Lachen ein.

    „Nur der Anruf kostet ebenfalls 1000 Dollar. Ich würde empfehlen, für den Preis die Bilder gratis dazu zu nehmen. Schließlich soll mir niemand Geiz und mangelnde Kooperation nachsagen. Bezahlung wie üblich, das Paket ist in wenigen Minuten unterwegs.

    Übrigens solltest du auf deine Kollegin Abramovitch gut achten, da sie, wie ich höre, ziemlich gerissen ist. Wenn sie darauf kommt, wie gut du im Geschäft bist, sind deine Tage bei Independent Internet gezählt."

    Silverboy ließ daraufhin nur ein kurzes, unwilliges Grunzen hören und verabschiedete sich mit falscher Höflichkeit von dem gefährlichen und mächtigen Taylor. Er hatte von vornherein mit einem übertrieben hohen Preis gerechnet und rief den geldgierigen Clubbesitzer nur noch an, wenn der Nutzen das Risiko und die hohen Kosten klar überstieg.

    -

    Hätte David Gelegenheit gehabt, sich über den „High Times Club" zu informieren, wäre ihm klar gewesen, wie sehr er sich dort in der Höhle des Löwen befunden hatte, und er hätte sich nicht mehr so sehr darüber gewundert, was in der folgenden Nacht in seinem Hotel geschah.

    Dieses Wundern setzte erst Stunden nach seinem ersten Erwachen am frühen Morgen ein, da ihm zunächst jede Orientierung fehlte. Sein Erinnerungsvermögen war vollkommen ausgeschaltet, wodurch er in einem inneren Vakuum gefangen war

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