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Sonnenfeuer
Sonnenfeuer
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eBook771 Seiten11 Stunden

Sonnenfeuer

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Über dieses E-Book

Der junge Soldat Daron kehrt seiner Heimat den Rücken, die nach dem Tod des letzten Königs in Chaos versinkt. Als er viele Jahre später nach Valorien reist, sieht er das Land zerrissen zwischen seinen Herzogen und Adeligen. Doch die wahren Feinde stehen außerhalb der Grenzen des Landes. Ihr Verlangen nach Macht geht weit über die Herrschaft eines einzelnen Königreiches hinaus. Die Legende einer Nachfahrin des Königs ist die einzige Hoffnung, die dem Volk bleibt. Diese, und eine große Kraft alter Tage, der sich auch Daron bemächtigt hat.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum11. Dez. 2017
ISBN9783745067989
Sonnenfeuer

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    Buchvorschau

    Sonnenfeuer - J.D. David

    Kapitel 1

    Der kalte Wind wehte ihm ins Gesicht und durchdrang selbst den dicken Stoff seiner Kutte, als er auf der kleinen Straße wanderte, die auf die Grenzgarnison zulief. Ein Nordwind, der wohl der letzte Atem des Winters war, der langsam dem Frühling wich. Mit jedem Schritt, den er dem Deich näher kam, wurde der Wind durch ein weiteres Geräusch untermauert: Das grollende Rauschen des Calas, der in der Tiefe reißend gen Westen strömte.

    Daron blieb kurz stehen und hielt inne. Er strich die Kapuze vom Kopf, um die frische Luft zu fühlen und den Wind aus Valorien einzuatmen. Er war in all den Jahren natürlich älter geworden, wirkte aber noch jünger als die gut dreißig Jahre, die er mittlerweile zählte. Seine Haare waren in der typischen Frisur der Mönche gebändigt, sein Gesicht so gut rasiert wie die Seiten seines Kopfes, und auch aus den grünlichen Augen strahlten eine jugendliche Stärke. Er schaute der Straße entlang. Der Weg war vor vielen Jahren gepflastert worden, aber offensichtlich war wenig investiert worden, um die Straße auch in einem akzeptablen Zustand zu halten. Auch die kleine Toranlage am Ende wirkte eher brüchig. Doch das würde sich ändern, wenn der kaiserliche Frieden erst über ganz Kargat gebracht war. Die Bauwerke dahinter waren nämlich umso beeindruckender. Die große Brücke war zeitlos. Es schien, als wären die Zeitalter an ihr vorbei gegangen, ohne sie zu berühren. Auch die große Festung mit dem eisernen Tor wirkte in der Realität noch imposanter, als in all den Geschichten. Denn Daron sah diese zum ersten Mal. Als er damals aus Valorien gereist war, hatten sie gemeinsam den Weg über Ostwacht gewählt.

    Fast sechzehn Jahre waren vergangen, seit er die Heimat mit Prior Cleos verlassen hatte, um ein Mönch der Laëa zu werden. Ein Weg, der länger war, als er sich damals vorgestellt hatte. Ein Weg voller Entbehrungen, Hindernisse und Lasten. Jeder Tag war sowohl strikt geregelt, als auch sehr anstrengend gewesen. Vor dem Sonnenaufgang aufstehen. Gebete im Sonnenaufgang. Ein karges Frühstück. Morgendliche Arbeiten oder Ertüchtigungen. Ein noch kargeres Mittagsmahl. Gebet und Meditation. Körperliche Anstrengungen. Ein Abendmahl. Wieder Beten. Dann spät, nachdem die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war, wieder in das harte Bett. Tag ein, Tag aus. Dennoch hatte er sein Ziel noch immer nicht erreicht. Er war ein Novize. Sein Weg war noch nicht abgeschlossen, doch durch seine Reise nach Valorien sollte dies geschehen. So hatte es ihm Cleos aufgetragen.

    Mit jedem Schritt, den er der Grenze näher kam, spürte er die geheimnisvolle Kraft seines Landes. Als sich seine Fähigkeiten langsam aufgebaut hatten, er die Kraft von Laëa immer mehr spürte, hatte ihm Cleos erzählt, wie er Valorien wahrgenommen hatte. In der ganzen Welt gab es Orte, die eine besondere Nähe zur Mutter Laëa boten. Hier war es einfacher, die Kraft der Erde unter sich zu spüren, die Macht der Natur zu befehlen. Und Valorien war ein solcher Ort. Es hatte Daron fasziniert, wie beeindruckt Cleos von seinem Heimatland gewesen war. Kein Ort, selbst Kloster Sonnfels, hätte eine stärkere Ausstrahlung auf ihn gehabt. Jetzt, da er wieder in das Land zurückkehrte, spürte er es auch. Schon von den alten Bauwerken schien diese Macht auszugehen, vom reißenden Calas, und noch viel mehr von dem Land dahinter.

    „Halt, Fremder., hörte er die harsche Stimme der Wache, als er sich dem kargatianischen Grenztor näherte. „Hier endet das Königreich Kargat. Kehre am besten um.

    Daron hielt in der Tat inne und musterte den Soldaten kurz. Es war ein junger Mann in den Farben Kargats. Rot und weiß. Kaum älter als zwanzig Jahre. Hier, im nördlichsten Winkel des Königreiches, gab es noch die Soldaten von König Magnus. Doch auch dies würde sich wohl bald ändern. 

    Daron lächelte den Soldaten an. „Vielen Dank für die Warnung, guter Mann. Allerdings liegt das Ziel meiner Reise jenseits des Flusses und wenn nichts dagegen spricht, würde ich nun gerne passieren."

    „Vor uns liegt das Königreich Valorien. Dort herrscht Krieg.", mahnte der junge Mann. Doch Daron behielt sein Lächeln bei.

    „Ohh, hinter mir liegt auch Krieg. Doch wie ein Sturm im Sommer, werden diese Kriege auch wieder vorbei gehen. Also kann ich auch dorthin reisen."

    Der Soldat wirkte irritiert. Es kam nicht oft vor, dass sich Reisende auf diese Straße verirrten. Und die meisten drehten nach einer Warnung um. Doch sein Gegenüber schien fest entschlossen, das kleine Königreich im Norden zu bereisen.

    „Wie steht es im Krieg im Süden?", fragte er den Fremden, der doch offensichtlich aus dem Süden kam. Das erste Mal schwand das Lächeln von Daron und seine Stirn legte sich in leichte Falten.

    „Das ist wohl immer eine Frage der Sicht. Jedoch hoffe ich, dass die Kämpfe bald beendet sein werden.", antwortete er ungenau. Der junge Mann wirkte ein bisschen erleichtert.

    „Sehr gut. Ich hatte schon befürchtet, auch noch in die Schlacht kommandiert zu werden. In Ordnung, dann geh weiter."

    Daron lächelte wieder und verbeugte sich leicht. „Hab Dank!" Dann ging er durch den kleinen Spalt im Tor, den der Soldat geöffnet hatte, und schritt auf die große Brücke, die die verfeindeten Königreiche verband.

    In einem leichten Trab führte Alois sein Pferd in den Burghof der Grenzfestung. Er schaute die Mauern hoch und beobachtete die Soldaten, die auf den Wehrgängen patrouillierten. Es waren mittlerweile nur noch wenige, die das Eisentor schützten. Zu viele Männer wurden benötigt, um die Kämpfe im Kernland des Königreiches auszutragen. Dennoch schien es ausreichend zu sein, denn Kargat hatte seine eigenen Probleme. So hörte er zumindest.

    „Euer Gnaden, ich hatte nicht mit Eurem Besuch gerechnet.", hörte Alois die Stimme des Kommandanten, der auf ihn zukam. Der Ritter schwang sich aus dem Sattel, so langsam und kontrolliert er konnte. Jeden Tag spürte er, wie ihm das Alter weiter zusetzte. Seine Locken, einst hellbraun und kräftig, waren fast vollständig grau, und bildeten an der Stirn schon deutliche Ecken. Sein Gesicht wirkte leicht eingefallen. Und dennoch war es nicht das fortschreitende Alter alleine, das ihn so gekennzeichnet hatte. Es waren die Sorgen um sein Königreich und die große Pflicht, die so schwer auf ihm lasteten.

    „Es war nicht von langer Hand geplant.", antwortete der Reichsverweser matt. Er hatte sich angewöhnt, seine Kräfte, und insbesondere seine Stimme, für Situationen zu schonen, wenn sie wirklich benötigt wurden. Für Diskussionen mit anderen Adeligen. Für Kommandos im Feld. Oder auch nur für eine Ansprache, um dem Volk Mut zu machen. Obwohl es aktuell in Valorien nicht viel gab, was Mut machen konnte.

    „Es ist gut dich zu sehen, Wieland. Wie steht es um Eisentor? Haben wir Neuigkeiten über die Situation in Kargat?", fragte er den jüngeren Kommandanten und schritt an dessen Seite in Richtung der imposanten Toranlage.

    „Ich hatte Euch ja bereits von den Engpässen der Garnison berichtet. Im Moment können wir die Wachen noch besetzen, aber im letzten Monat hatten wir erneut zehn Deserteure und zwei Todesfälle, die noch nicht ersetzt wurden.", begann der Kommandant über seine Sorgen zu sprechen. Nach dem Tod seines Vaters Diethard hatte Alois Wieland von Felden als den neuen Freiherrn des Freiherrentums in den Kronlanden eingesetzt. Seine Familie hatte stets treu zur Krone und den Erben St. Gilberts gestanden, selbst in den schweren Zerwürfnissen der letzten Jahre. So vertraute er, dass Wieland auch ihm als Reichsverweser Valoriens treu dienen würde. Ihm die Verantwortung der Grenzverteidigung zu übertragen war so nur konsequent gewesen.

    „Verstanden. Ich werde sehen, was ich tun kann, wenn ich wieder in Elorath bin.", antwortete Alois, während sie die Treppe auf die Mauer hochstiegen. Wieland lächelte bitter.

    „Also werde ich wieder keine neuen Männer bekommen.", konsternierte er.

    Alois nickte bedächtig. Der Mann war ein Realist. Obwohl er wie versprochen schauen würde, ob er weitere Männer nach Eisentor schicken konnte, war er sich fast sicher, dass dies ein nicht mögliches Unterfangen war.

    „Wahrscheinlich nicht., gab Alois zu, als sie die Zinnen erreichten und auf die Brücke und den reißenden Fluss schauten. „Hast du Nachrichten aus Kargat erhalten?

    Der Kommandant schüttelte den Kopf. Grundsätzlich war es schwierig, Nachrichten von jenseits des Calas zu erhalten. Seit jedoch der Krieg im Nachbarland ausgebrochen war, schienen noch weniger Männer den Weg über die Brücke nach Valorien zu finden. 

    „Nein, Euer Gnaden. Unsere letzten Informationen sind schon einige Monate alt. Demnach stand das Kaiserreich im Hügelland von Balor."

    Alois nickte, seinen Blick immer noch auf die Brücke gerichtet. „In Ordnung.", antwortete er. Im Prinzip war es alles gut so. Valorien hatte genug mit sich selbst zu tun. Wenn Kargat auch beschäftigt war, gab es immerhin aus dieser Richtung nichts zu befürchten. Andererseits erhöhte sich dadurch die Gefahr, auf dem Eisentor nachlässig zu werden. Insbesondere, wenn es sowieso schon zu wenige Männer waren.

    „Was, wenn Kargat fällt?", fragte der Kommandant den älteren Ritter. Alois legte die Stirn in Falten und überlegte. Eine gute Frage, die doch so ungeheuerlich erschien. Seit hunderten Jahren war der Konflikt zwischen Valorien und Kargat eine Konstante der Geschichte gewesen. Obwohl man auch in dem nördlichen Königreich von vielen Konflikten gehört hatte, die der südliche Nachbar um seine Grenzen führen musste, erschien eine vollständige Auslöschung des Königreiches unglaublich. Doch die Nachrichten, die sie Anfang des Jahres erreicht hatten, waren besorgniserregend. Das Kaiserreich der Sonne, das eigentlich weit im Süden lag, drängte nach Norden. Und es führte große Armeen.

    „Ich weiß es nicht. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Wenn unsere Worte des Friedens kein Gehör finden, werden wir diese Mauern mit dem Schwert in der Hand verteidigen.", sagte Alois entschlossen.

    „Wenn wir dann noch Männer auf den Mauern haben.", merkte Wieland schmerzlich an und schaute sich um. Alois nickte zustimmend. Er hatte das Eisentor noch nie so leer gesehen, wie in den letzten Monaten.

    „Du hast Recht, wir sollten Burg Eisentor wieder stärker besetzen. Ich werde nach meiner Ankunft in Elorath nach den Rittern des Reiches schicken. Denen, die noch übrig sind. Vielleicht erkennen selbst Celan in seinem Hochmut und Forgat in seinem Wahn, dass ein Fall des Eisentors gravierender ist, als jeder Kampf, den wir innerhalb Valoriens führen können."

    Wieland schaute skeptisch. War es nicht der Herzog von Tandor, der zumindest in großem Verdacht stand, schon den ersten Fall der Grenzfeste begünstigt zu haben? Dennoch wagte er es nicht dem Reichsverweser zu widersprechen. Das Wesen von Alois, das über die Zeit immer wieder zwischen strenger Entschlossenheit und naiver Vergebung gegenüber anderen schwankte, war vielleicht der Grund, wieso das Reich noch nicht vollkommen in Flammen versunken war. Ein jähzorniger Mann wie der einstige Reichsverweser Heinrich von Goldheim hätte schon längst einen großen Krieg gegen Celan geführt. Vielleicht auch gegen Forgat. Doch Alois hatte selbst in den schwersten Stunden einen Ausgleich mit den Herzögen gesucht. Selbst einigen Eroberungen Tandors stattgegeben, wenn ein Gegenangriff nicht erfolgsversprechend war. Umso entschlossener hatte er die verbleibenden Länder der Kronlande verteidigt. Vielleicht war es gerade diese Unberechenbarkeit, die Celan, den ewig strategisch Berechnenden, bisher von einem endgültigen Sieg abgehalten hatte.

    „Sieh!" Die Stimme von Alois riss Wieland aus seinen Gedanken. Er hatte dem Ritter und Reichsverweser seine Bedenken nicht mitgeteilt. Es war wohl besser so. Dann lenkte dieser aber die Aufmerksamkeit auf die Brücke. Auch Wieland erkannte, wie das Tor auf der kargatianischen Seite geöffnet wurde und ein einzelner Wanderer auf die große Brücke über den Calas trat.

    „Ein Reisender, der wie gerufen kommt., antwortete Wieland. „Womöglich bringt er Neuigkeiten aus dem Süden.

    Alois nickte. „Ja, wenn sich schon mal ein Wanderer hierher verirrt, sollten wir auf gute Nachrichten hoffen.", sagte er und ging mit Wieland den Wehrgang hinunter. Nur wusste er leider selber nicht genau, was er als gute Nachrichten erhoffte. Einen Sieg Kargats? Eine Niederlage? Oder einfach ein endloser Krieg, der das Nachbarland beherrschte, so wie die Herzöge Valoriens dieses Land in ihren Händen und im Krieg hielten. 

    „Halt. Nenn deinen Namen und dein Belangen, wenn du das Eisentor nach Valorien durchschreiten willst.", hörte Daron die feste Stimme einer Wache und legte den Kopf in den Nacken. Die Mauern ragten hoch aus dem Tal des Flusses hinaus und im Licht der Sonne konnte er die Konturen des Mannes nur erahnen, der ihn angesprochen hatte. Um ihn ein bisschen besser zu sehen, wenn er antwortete, legte er seine Hand auf die Stirn und schirmte seine Augen gegen die hellen Sonnenstrahlen ab.

    „Mein Name ist Daron. Ich bin einfacher Wanderer aus Vadenfall, einer großen Stadt im Ylonischen Bund. Ich bin auf der Reise, um alle Länder dieser Welt kennen zu lernen.", rief er entgegen. Es war am einfachsten, sich als Wanderer auszugeben. Und nicht zu sagen, dass er aus dem Kaiserreich stammte. Denn der Ruf des ehrgeizigen Kaisers und seiner schlagkräftigen Armeen eilte ihm voraus.

    „Du hast einen langen Weg hinter dir, Reisender.", hörte er die Antwort von den Zinnen. Dann tat sich erstmal nichts. Etwas unsicher stand Daron vor dem verschlossenen Tor. Die Wachen schienen nicht gewillt, ihm Einlass zu gewähren. Nun gut, im schlimmsten Fall würde sich seine Mission verzögern. Dann musste er eben nach Ostwacht weiter. Oder ein Schiff nach Lyth Valor suchen. Es gab genug Routen, um nach Valorien zu kommen, wenn man entschlossen genug war.

    Doch dann hörte er zu seiner Überraschung Rufe aus der Burg. Er konnte die Worte hinter den Mauern nicht verstehen, hörte dann aber den mechanischen Laut des Riegels, der zurückgezogen wurde. Im nächsten Moment öffnete sich einer der Flügel mit einem Quietschen, sodass ein Spalt offen stand, weit genug, um hindurchzutreten. Unsicher ging er weiter auf das Tor zu und schritt dann schließlich hindurch.

    Hinter dem schweren Eisentor standen drei Wachen mit Speeren in der Hand, die in skeptisch begutachteten. Sie trugen die dunkelblauen Wappenröcke Valoriens.

    „Ein Reisender aus dem Ylonischen Bund?, fragte einer der Männer mit hochgezogener Augenbraue und musterte Daron von Kopf bis Fuß. „Immerhin anscheinend unbewaffnet., stellte er fest, als auf einmal zwei weitere Männer hinzutraten und die Wachen respektvoll zurückwichen und sich verneigten.

    Der jüngere der beiden Männer lief einen halben Schritt hinter dem Anderen. Seine dunkelbraunen Haare waren kurz geschoren, sein Gesicht pockenvernarbt, und dennoch war es der feste Blick, der ihm die Aura eines Anführers gab. Dies wurde auch durch die aufwändige Rüstung untermauert, die ihn als einen Adeligen auswies. Dennoch schien er dem älteren Mann untergeordnet, der weniger herrschaftlich, ja fast erschöpft wirkte. Trotz all der Jahre erkannte Daron den Ritter sofort. Alois von Schöngau.

    „Verschwindet, ich übernehme das.", herrschte der Kommandant seine Wachen an, die sich sofort wieder daran machten, das Tor zu verschließen und auf ihre Posten zu gehen. 

    Daron verneigte sich leicht vor den Männern. „Habt Dank, dass Ihr mich in Euer Land gelassen habt., sprach er Alois an. „Es ist mir eine Ehre und Freude, einem wahrhaften Ritter Valoriens zu begegnen.

    Alois hob skeptisch eine Augenbraue. „Woher weißt du wer ich bin?", fragte er den Fremden. Daron ertappte sich, dass er mehr preisgegeben hatte, als vielleicht ratsam war. Natürlich, er würde das Bild des gelockten Ritters, der sich über die sterbende Ritterin von Mondschein gebeugt hatte, niemals aus den Erinnerungen verlieren. Aber er machte sich wohl in der Tat verdächtig, wenn er als Fremder die Adeligen Valoriens erkannte. Dann schaute er auf das Schwert, das Alois an seinem Gürtel trug. Eine silberne Scheide mit violetten Amethysten. Zweifellos eine meisterhafte Arbeit.

    „Das weiß ich leider nicht, mein Herr. Doch die Geschichten über die legendären Ritter Valoriens erschallen weiter über die Grenzen Eures Reiches hinaus. Mein Name ist übrigens Daron.", sagte er und verneigte sich erneut.

    Alois Züge entspannten sich und er nickte. „Wohl wahr. Ich bin Alois von Schöngau, Ritter und Reichsverweser Valoriens. Dies ist Wieland von Felden, Kommandant von Burg Eisentor. Sag, Daron, du kommst aus dem Süden, oder? Kannst du uns Neuigkeiten über Kargat bringen? Wie steht der Krieg mit dem Kaiserreich?"

    Daron senkte kurz den Kopf um zu überlegen. „Mein Herr, ich bin leider kein Stratege oder Krieger, um das beurteilen zu können., begann er zu sprechen. „Allerdings ist es deutlich, dass die Truppen unter der Sonne des Kaisers große Teile Kargats bereits besetzt halten. Ich selbst bin Soldaten aus dem Weg gegangen, aber die südlichen und östlichen Länder sind fest in der Hand der Kaiserlichen. Man sagt, es wird nicht mehr lange dauern, bis der Kaiser seine Hand auch nach weiteren Ländern ausstreckt. Die Angst, das nächste Ziel zu sein, ist in meiner Heimat, dem Ylonischen Bund, groß. Aber vielleicht richtet er seinen Blick auch nach Norden., sprach Daron wenig konkret. Natürlich wusste er es besser. Er wusste genau, wo die Soldaten standen. Aber eine Mischung aus Realität mit vagen Andeutungen sollte genug sein, um Alois von seiner Aufrichtigkeit zu überzeugen.

    Der Ritter blickte zu seinem Kommandanten, der ernst nickte. Beide schienen sich bestätigt zu fühlen, teilten ihre Gedanken aber nicht mit Daron. 

    „Danke, Daron., sagte Alois. „Noch einmal zu dir: Was suchst du in Valorien?

    Daron lächelte und seine Augen funkelten. Obwohl sein Auftrag, von Prior Cleos ausgesprochen, wohl ein anderer war, war es für ihn ein leichtes, den Grund seiner Reise zu nennen. Denn neben seinen Pflichten als Diener der Laëa war es ihm in der Tat ein großes Anliegen, das Land seiner Herkunft und dessen Helden kennen zu lernen.

    „Ich reise durch die Länder dieser Welt, um mein Wissen und meine Erfahrungen zu mehren. Und ich kam nach Valorien, um den Geschichten über die großen Ritter nachzugehen. Und jene über die Herzöge, die gemeinsam mit dem König das Land beherrschen. Sagt, Herr von Schöngau, wo befinden sich die anderen Ritter des Reiches?"

    Daron sah, wie Wieland verächtlich schnaubte. In Alois Blick hingegen sah er Enttäuschung. Und Traurigkeit. Doch es war der Kommandant, der das Wort ergriff.

    „Die Ritter des Reiches gibt es so im Moment nicht. Sie scheinen wie ein Relikt aus besseren Tagen., antwortete er enttäuscht. Alois wandte seinen Blick zu ihm. „Wieland., sagte er scharf, wusste aber auch nicht, was er erwidern sollte. Denn genau genommen hatte der Kommandant Recht. Also atmete er kurz durch und wandte sich dann wieder an den Fremden.

    „Es ist, wie Wieland sagte. In dieser Zeit gibt es nicht mehr viele Ritter, und jene, die noch existieren, bekämpfen sich gegenseitig. Als Reichsverweser habe ich stets versucht, das Reich zusammen zu halten, aber es scheint jeden Tag mehr auseinander zu gleiten. Ich bin ein Ritter, doch neben mir gibt es nur noch vier Männer, die diesen Titel tragen. Graf Valentin wacht über Ostwacht, doch seine Loyalität ist zweifelhaft. Der alte Helmbrecht von Rethas hat sich schon lange von der Krone und Elorath abgewandt, und sein Leben will nicht enden. Herzog Celan von Tandor führt einen erbitterten Kampf um das Land, der immer mal wieder aufflammt, aber in den letzten Monaten ruhig war. Und Arthur von Freital ist ein geächteter Verräter, der sich in den Wäldern Rethas verschanzt. Geron von Dämmertan verschwand vor vielen Jahren aus dem Reich, genauso wie das Schwert von Fendron. Sein eigentlicher Träger, Forgat, befindet sich in seinem Herzogtum in einem religiösen Wahn. Drei weitere Ritterschwerter befinden sich ohne Nutzen und ohne Träger im Rittersaal in Elorath. Du siehst, Daron, es steht nicht gut um das Reich, das du erkunden willst.", schloss Alois ab.

    „Es ist keine gute Zeit, um Valorien zu bereisen.", fügte Wieland hinzu. Daron senkte den Kopf, hob ihn dann aber wieder mit einem hoffnungsvollen Lächeln.

    „Jetzt bin ich ja bereits hinter dem Eisentor. Und es scheint in jedem Land Krieg zu herrschen. Ich glaube, die Hoffnung der Menschen auf Frieden ist stets größer und wird die Konflikte besiegen. Wenn Ihr erlaubt, Herr von Schöngau, würde ich gerne an meinem Plan festhalten, Euer Land zu bereisen."

    Die beiden Männer wirkten ob des Optimismus von Daron verwirrt, schauten sich kurz an. Aber dann nickte Alois und konnte sogar auch leicht lächeln.

    „Es sei dir gestattet. Wenn du willst, kannst du dich meiner Reisegruppe anschließen. Ich werde morgen wieder nach Elorath aufbrechen. Ein paar Geschichten aus fernen Landen mögen mich auf andere Gedanken bringen. Bessere jedenfalls, als die Realität meines Landes erlaubt.", bot er Daron an. 

    Der Novize lächelte und verbeugte sich erneut. „Es wäre mir eine große Freude und Ehre, Euer Gnaden."

    Kapitel 2

    Taskor rannte durch die Gänge der Festung von Härengar. Seine Schritte hallten durch die alten Mauern, und dennoch wirkte dies wie ein unwichtiges Hintergrundgeräusch. Der wahre Lärm des Momentes kam von draußen, von der Stadt.

    Da waren zuerst die Schreie. So viele Schreie. Vor Angst. Vor Schmerzen. Vor Entsetzen. Oder auch nur die Rufe der Befehle. Soldaten lagen sterbend in den Straßen. Zivilisten rannten vor dem heranrückenden Feind, um irgendwo einen Ort der Sicherheit zu finden. Doch diesen Platz gab es wohl in ganz Härengar nicht. Nicht mal in der großen Festung des Königs. Die letzten kargatianischen Truppen, die noch kämpften, versuchten eine Verteidigung zu koordinieren. Tapfere Offiziere voran. Doch Taskor glaubte nicht mehr daran, dass ihr Leben gerettet werden konnte.

    Dann war da das Krachen der Belagerungsmaschinen. Der Feind hatte Katapulte um die Stadt herum aufgebaut, die feurige Kugeln nach Härengar schleuderten, damit ein Teil der Stadt nach dem anderen in Flammen aufging. Es war die wohl effektivste Angriffsmethode gewesen, denn die Sorge um ihre Familien hatte viele Soldaten dazu gebracht, ihre Waffen niederzuwerfen und zu ihren Liebsten zu eilen, um diese aus den Flammen zu retten. Obwohl der Feind schon längst in der Stadt war, waren noch vereinzelte Brandgeschosse zu hören. Das entfernte Klacken der Katapulte. Das Surren in der Luft. Der krachende Aufprall.

    Die Flammen waren ein weiterer Klang, der an seine Ohren drang. Er hielt kurz inne, als er aus dem Augenwinkel das gelbe Flackern sah und schaute zum Fenster hinaus. Der Ostturm stand vollkommen in Flammen. Sie knisterten und das Knacken von Balken war zu hören, die von den Flammen geschwächt brachen. So wie die Geräusche der Brände lag auch schwarzer Rauch über der gesamten Stadt. Taskor rieb sich kurz die Augen, die ob des Rauches brannten. Der Ostturm war verloren. Und damit eine weitere Hoffnung Kargats. Eigentlich war dies sein Ziel gewesen, denn die beiden Zwillinge waren dort untergebracht. Tyl und Adela von Kargat, die jüngsten Kinder von Kronprinz Liam. Doch der Turm war verloren, wie auch seine Bewohner. Er könnte vielleicht noch hinein laufen, aber dadurch würde er nur sein eigenes Leben wegwerfen. Nein, das Leben der Kinder war verloren.

    Er wandte sich ab und rannte an der Abzweigung vorbei, die ihn zum Ostturm geführt hätte. Das Klirren der Klingen schien näher zu kommen. Überall in der Stadt hörte man kämpfende Männer. Stahl, der auf Stahl, Holz, oder in Knochen schlug. 

    All diese Geräusche und Wahrnehmungen waren ihm bekannt. Es schien ihm selbst, als schaute er auf hunderte Schlachten und Belagerungen zurück, in denen er all diese Eindrücke ein ums andere Mal wahrgenommen hatte. Aber in dieser Schlacht kam ein neues Geräusch hinzu, das alles zugleich untermalte als auch überlagerte. Es war ein neues Geräusch dieses Krieges. Und dieses Feindes. Dem Kaiserreich der Sonne.

    Trommeln und Flöten. Klänge, die er schon so oft auf Festen gehört hatte. Das schnelle Rattern von Trommeln, die im Takt geschlagen wurden. Die hohen Töne von Flötenmelodien, die selbst großen Lärm überlagerten konnten. Doch von nun an würde diese für ihn immer mit Schrecken belegt sein. Die Art zu kämpfen, in die Schlacht zu ziehen, hatte er so noch nie bei einem Feind gesehen. Dennoch war das Resultat mehr als beeindruckend. Es war erschreckend.

    Im Vergleich zu den Truppen Kargats schickte das Kaiserreich fast ausschließlich Fußsoldaten in eine Schlacht, die in genau gleiche Truppenteile aufgeteilt waren. Immer einhundert Mann, immer die gleiche Bewaffnung, immer die gleiche Befehlsstruktur. Von diesen Gruppen gab es Dutzende, die in monotonem Gleichschritt dem Feind entgegen marschierten. Getrieben und begleitet von dem Spiel einer Trommel und einer Flöte. Nun marschierten sie durch die Straßen von Härengar. Und er, General Taskor Graufels, konnte sein Heil und das Heil des Königreiches nur noch in der Flucht suchen. Mit dem Versuch, die letzten lebenden Mitglieder des Königsgeschlechts zu retten.

    Majestät, die Stadt ist verloren., sagte er schwer atmend, als er die Tür am Ende des Korridors aufschlug. Es gab allen Grund zur Eile und keinen Grund an den Tatsachen vorbei zu reden. Erst als er die Tür hinter sich zuschlug konnte er den Raum kurz mustern. 

    Neben ihm waren zwei Frauen und ein Soldat im Raum. Der Soldat stand in den Farben Kargats stramm an der Tür. Sein junges Gesicht war starr vor Angst und Anspannung. Die blonden Haare gaben ihm etwas Jungenhaftes. In der Tat war er wohl noch keine zwanzig Jahre alt. Doch Taskor ignorierte ihn und ging sofort auf die ältere Frau zu, die gerade aus ihrem Stuhl aufsprang, und kniete vor ihr nieder.

    „Wir sollten so schnell wie möglich versuchen, aus Härengar zu fliehen, um Euch und Eure Tochter in Sicherheit zu bringen.", fuhr Taskor fort, bevor sie antworten konnte.

    „Wieso bist du nicht bei Liams Söhnen?", fuhr ihn die Frau an, obwohl die Stimme mehr verzweifelt als wirklich wütend war. Taskor erhob sich nach einem kurzen Zeichen und musterte sie. Trotz ihres vorangeschrittenen Alters, waren ihre Haare noch immer hellbraun wie in früheren Tagen. Lediglich ihr Gesicht wirkte matter und schwächer, und dennoch erkannte man die Schönheit, die Hega von Kargat einst ausgestrahlt hatte.

    „Es war Kronprinz Magnus, der mich angewiesen hat, Euch und Eure Kinder in Sicherheit zu bringen, Majestät. Ich wollte dem nicht zustimmen, aber der Befehl war eindeutig."

    „Was ist mit ihm? Und meinem Mann? Und mit Wolf? Und wo sind die anderen Kinder von Liam? Wo sind Tyl und Adela?", fragte Hega aufgebracht.

    Taskor senkte den Kopf. Es war schwierig, solche Nachrichten zu überbringen. Besonders in einer solchen Stunde, da es keine zwei Tage her war, seit die Königin ihren Stiefsohn verloren hatte. Obwohl Kronprinz Liam nicht ihr leiblicher Sohn gewesen war, war ihr Verhältnis immer gut gewesen. Oder vielleicht genau deshalb, waren die beiden doch fast im gleichen Alter. Es waren auch die Umstände dieses Verlustes gewesen, die nicht nur die Königin, sondern ganz Kargat entsetzt hatten. Der Plan des alten Königs war sehr gut gewesen. Das heranrückende Heer von Kronprinz Liam sollte dem Feind in den Rücken fallen, der doch gerade erst damit begann, eine Belagerung um Härengar zu legen. Gleichzeitig führten dessen Söhne, Wolf und Magnus, einen Ausfall aus der Stadt, um den Feind in einer Zangenbewegung niederzuringen. Doch der Plan war gescheitert. Die Kampfkraft der kaiserlichen Truppen war überragend gewesen, vernichtend für das kargatianische Heer. Während die beiden Söhne des Kronprinzen noch den Rückzug in die Stadt befehlen konnten, war Liam verloren gewesen. So wie sein Bruder Beorn einst war er heldenhaft in der Schlacht gefallen. Es waren die Tage der schweren Nachrichten. Doch es gab keinen Grund, diese zurück zu halten.

    „Majestät, Euer Mann starb heldenhaft in der ersten Angriffswelle, die er selber zurückschlagen wollte.", sagte Taskor anerkennend. Er selbst spürte langsam die Last des Alters in seinen Knochen. König Magnus war ungleich älter, und dennoch hatte ihn sein schierer Wille erneut in die Rüstung und vor seine Männer getrieben, um seine Stadt, seine Heimat zu verteidigen. Ein ehrenhaftes Ende für einen großen König.

    Hega nickte traurig. Magnus, der große König der letzten Jahrzehnte, hatte sein eigenes, würdiges Ende gefunden. Irgendwie war sie erleichtert für ihren Mann. Doch sie konnte nichts sagen, bevor Taskor weitersprach, nun mit deutlich gesenkter Stimme.

    „Magnus der Jüngere und Wolf…, sprach der General leise und mit gesenktem Kopf, „…nachdem sie mir den Befehl gaben, Euch in Sicherheit zu bringen, konnte ich von der Mauer noch sehen, wie ihre Linien überrannt wurden. Wolf ging von mehreren Bolzen getroffen zu Boden. Magnus wurde von mehreren Soldaten umzingelt. Vielleicht ist er gefangen genommen, allerdings müssen wir davon ausgehen, dass er ebenso wie sein Bruder und sein Großvater gefallen ist.

    Taskor erkannte, wie Hega langsam schwächer wurde. Er trat vor und hielt sie am Arm, half ihr wieder Platz zu nehmen. Doch die Königin konnte nichts sagen. Brachte kein Wort des Wehklagens hervor. Und Taskor war immer noch nicht am Ende seines Berichts der Trauer.

    „Tyl und Adela. Sie… nun… ein Geschoss traf den Ostturm. Er steht in Flammen. Ich konnte nicht mehr rechtzeitig vordringen. Anscheinend hat es niemand mehr hinaus geschafft. Der Eingang ist eingestürzt. Es gibt keine Hoffnung."

    Hega schlug die Hände vor das Gesicht. Taskor hörte ein Schluchzen und dann einen leisen Satz. „Es ist alles verloren."

    Er wusste nicht wirklich, wie er mit der Situation umgehen sollte. So viele Schlachten waren vergangen, in denen er sich bewähren musste. In denen immer wieder Männer gefallen waren, deren Tod er den Familien erklären musste. Auch damals, als er König Magnus vom Tode Beorns hatte berichten müssen. Aber die Fülle der schlimmen Nachrichten, die Schutzlosigkeit der Königin, dieser Moment der Hoffnungslosigkeit. Dafür wusste Taskor keine Lösung.

    „Mutter.", sagte die andere Frau leise, als sie auf Königin Hega zuging. Sonya von Kargat hatte die gleichen, hellbraunen Haare wie ihre Mutter, die aber im Vergleich zu ihr leicht gelockt waren. Ihre tiefgrünen Augen gaben ihr etwas Mysteriöses, das doch ihre Schönheit nur hervorhob. Taskor war in diesem Moment dankbar über die beeindruckende Stärke, die die Prinzessin an den Tag legte. Immerhin waren es auch ihre Brüder und Neffen gewesen, die ihr Leben verloren hatten. dennoch wirkte sie gefasst, legte ihre Hand tröstend auf den Arm der Mutter.

    „Nein, Majestät, noch ist nicht alles verloren., sagte Taskor etwas steif. „Noch gibt es eine Nachfahrin Wulfrics, die das Königsgeschlecht weiterführen kann. Majestät, prinzliche Hoheit, wir müssen so schnell es geht aus Härengar fliehen. Die Stadt ist gefallen, aber so lange das Volk Kargats noch auf eine Königin hoffen kann, ist das Land noch nicht verloren.

    Hega schaute ungläubig auf und fixierte Taskor erneut fast wütend. Ihre Augen waren rot, Tränen rannen über ihre Wangen. Aber Hega von Kargat war immer eine starke Frau gewesen. Wut war ihr näher als Trauer. Sie schaute den General giftig an.

    „Über was für eine Hoffnung redest du, Taskor? Du hättest an der Seite meiner Enkel stehen sollen, um tapfer mit ihnen zu sterben. Wie ein Feigling bist du in die Burg geflohen, um deine eigene Haut zu retten. Und nun willst du, dass ich genauso davon laufe? Niemals. Wenn das Königshaus von Kargat zu Grunde geht, dann mit erhobenem Haupt. Hier und heute."

    „Mutter., sagte Sonya beruhigend und sofort wich die Wut Hegas ob der sanften Worte ihrer Tochter. „General Graufels hat Recht. Ich bin mir sicher, dass er mit Freuden als erstes gefallen wäre um unser Leben und das Leben der Prinzen zu schützen. Aber die Zeit lässt sich nicht zurück drehen. Lass uns fliehen, wenn wir können.

    Taskor nickte wortlos. Er hatte die Wut von Hega verdient. Und konnte über die Stärke von Sonya nur staunen. Sie hatte Recht. In jedem Moment, den sie zögerten, kamen die kaiserlichen Truppen näher. Ohne weiter auf eine Entscheidung der Frauen zu warten, drehte sich Taskor zu dem jungen Soldaten an der Tür um.

    „Du, wie ist dein Name?"

    „Be…Benno. Benno Mühlknecht.", antworte der junge Mann stotternd. Die Angst stand ihm im Gesicht.

    „Gut, Benno. Du wirst uns begleiten. Du bist für das Leben der Königin und der Prinzessin verantwortlich. Du wirst sie keine Sekunde aus den Augen lassen. So wie ich wirst du dich mit Freuden in jede Klinge stürzen, die ihnen zu nahe kommt, verstanden?", sprach der alte General in zackigem Befehlston. 

    Benno spannte den ganzen Körper an und verbeugte sich leicht. „Natürlich, mein General. Aber wie wollen wir fliehen?"

    Taskor legte die Stirn in Falten. Der Weg über den Burghof war zu gefährlich. Auch den Weg an die Anlegestelle der Festung konnten sie nicht nehmen, denn die Schiffe des Kaisers hatten den Hafen unter Belagerung genommen.

    „Es gibt einen Bediensteteneingang aus der Küche, der direkt in die Gassen von Härengar hinter der Burg führt.", sagte Sonya und wandte sich mit den Worten direkt an Taskor. Dieser nickte. Ja, das war ein guter Plan. Vielleicht der einzige Weg.

    „Ja, sehr gut. Majestät, seid Ihr bereit?"

    Man merkte, wie Hega um Fassung rang, sich dann aber aufrichtete und ihren Rücken durchstreckte. Sie strich über ihr Kleid und wirkte von einem Moment auf den anderen wieder wie eine wahre, würdevolle Königin. Sie schaute Taskor direkt in die Augen.

    „In Ordnung, General Graufels. Dann zeig mir, dass es gerechtfertigt war, dein Leben zu schonen. Bring mich und die Prinzessin aus Härengar."

    Der Rauch lag tief über der Stadt und zog auch in die kleine Gasse, in die sie aus der Burg traten. Taskor schaute sich zu allen Seiten um, bevor er die beiden Frauen hinauswinkte. Beide hatten sich unscheinbare Umhänge umgeworfen, um im besten Fall unentdeckt zu bleiben. Zögerlich folgte als letztes der junge Benno.

    „Wir versuchen einen Weg nach Norden zu finden, um dort aus der Stadt zu fliehen.", erklärte Taskor der Königin und schaute zum Himmel. Es war nicht viel zu sehen, aber zwischen den Rauchschwaden waren die Strahlen der Mittagssonne zu erahnen. Also wandte er sich in die entgegengesetzte Richtung und lief los. 

    Im Prinzip war die Lage, wie die Königin gesagt hatte, fast ausweglos. Die kaiserlichen Truppen hatten die Tore im Süden und Osten niedergerissen und marschierten durch die Straßen der Stadt, um den letzten Widerstand niederzuschlagen. Gleichzeitig hatte eine Flotte des Kaisers den Hafen erst verschlossen und setzte dann zum Angriff von See aus an. Der Belagerungsring umschloss Härengar auch im Norden, aber hier waren deutlich weniger Soldaten zu sehen gewesen. Mit ein bisschen Glück konnten sie vielleicht dort hindurch schlüpfen, um dann… ja, um dann wohin zu gehen? Doch Taskor konnte sich nur einen Gedanken auf einmal erlauben. Aktuell musste er sich nur darauf konzentrieren, aus der gefallenen Stadt zu fliehen.

    „Nicht so schnell, General Graufels.", hörte er die Stimme des jungen Soldaten Benno. Er drehte sich um und erkannte, dass er in Gedanken verloren einen zu scharfen Schritt angeschlagen hatte, dem die Frauen nicht folgen konnten. Er hielt inne und wartete, bis sie aufschlossen. Sonya stützte ihre Mutter, die immer noch schwach wirkte. Wohl ob des Rauches, genauso wie der Trauer und Angst, die sie empfand.

    „Entschuldigung, Majestät. Geht es?", fragte er dann die Königin. Hega nickte zaghaft.

    „Ja, Taskor, lass uns weitergehen."

    „Vorsicht!", hörte Taskor noch den warnenden Ruf des jungen Soldaten. Blitzartig stellte er sich schützend vor die Königin und spürte gerade noch den Bolzen der Armbrust, der wenige Finger entfernt an seinem Gesicht vorbeiflog. Er riss die Klinge aus seiner Scheide und schaute die Straße hinunter, um die Situation zu analysieren.

    Am Ende der Gasse standen sechs oder sieben Soldaten in den roten Farben des Kaiserreiches. Die Truppen schienen sich langsam aufzuteilen, um die Gassen zu durchkämmen. Zu ihrem Glück hatte nur einer der Männer eine Armbrust, die er gerade versuchte nachzuladen. Dennoch waren es sechs gegen einen, denn Taskor ging davon aus, dass der junge Benno kaum eine Hilfe war. Eine schwierige Aufgabe. Aber keine Unmögliche. Und eine Alternativlose.

    „Benno, führ die Königin und Prinzessin weiter nach Norden. Kargats Hoffnungen ruhen auf dir. Ich werde die hier aufhalten.", befahl der General dem Jungen. Hega schien noch etwas einwenden zu wollen, aber Taskor lief in seiner schwarzen Rüstung bereits auf die Feinde zu. Er mobilisierte seine letzten Kräfte.

    Krachend schlug sein Stahl auf den großen Schild des ersten Soldaten. Doch er ließ dem Feind keine Zeit zu kontern. Bevor dieser sein Schwert nach vorne stoßen konnte, führte Taskor einen seitlichen Hieb aus, der über den Rand des Schildes schliff und die Schulter des Feindes aufriss. Mit Schmerzensschreien ging der Mann zu Boden.

    Der Triumph war für Taskor allerdings von kurzer Dauer. Mit einer Bewegung nach rechts versuchte er, der Speerspitze eines Angreifers auszuweichen. Jedoch waren seine besten Tage lange her, und die eiserne Spitze schlug in die Seite seiner Rüstung und verbeulte das Metall, sodass ihm die Luft genommen wurde. Gerade noch rechtzeitig konnte er sein Schwert hochreißen, um einen Hieb eines anderen Soldaten abzuwehren. Aus dem Augenwinkel erkannte er, wie der Kaiserliche mit der Armbrust diese neu geladen auf ihn anlegte.

    Nur ein Feind. Er hatte nur einen Feind niederringen können, bevor das Ende kam. Ein erbärmliches Ende. Vielleicht hatte er Benno zumindest genug Zeit erkauft, damit dieser Hega und Sonya in Sicherheit bringen konnte. Dann hörte er das Klacken der Armbrust und einen Schrei.

    Der Bolzen schlug neben Taskor in der Mauer ein, und wie er wandten sich auch seine beiden Feinde erschreckt um. Man erkannte noch die blutige Klinge, die dem Armbrustschützen aus der Brust ragte, bevor er zu Boden fiel und den Blick auf einen stämmigen Mann freigab. Seine Arme und Schultern waren kräftig, sein Haar kurz, militärisch und grau, und sein Gesicht entstellt von mehreren Narben und einer Augenklappe. Mit einer schnellen Bewegung zog er die Klinge aus dem Leib des Mannes und baute sich vor dem nächsten Feind auf.

    Taskor nutzte den kurzen Moment der Unaufmerksamkeit seiner Feinde. Mit einem Ausfallschritt nach vorne griff er den Speerträger an, verringerte so den Abstand und machte die Waffe des Feindes nutzlos. Der Holzschaft der Waffe splitterte, als der Soldat diese zur Verteidigung in die Höhe riss, um die Klinge Taskors abzublocken. Der nächste Hieb der Klinge war tödlich.

    Aus dem Augenwinkel erkannte er eine weitere Gestalt, die in den Kampf eingriff. Sie sprang vom Dach eines kleinen Hauses, das an der Gasse lag, und setzte mit schnellen Schlägen einer feinen Waffe dem Feind zu. Die Klinge war aus dreieckigem Stahl, fein, aber anscheinend scharf und spitz. Der Mann trug Kleidung aus Stoff, die wohl einst edel gewesen war, nun aber durchgetragen wirkte. Auf dem Kopf trug er einen Hut mit einer Feder. Seine schwarzen Haare fielen lang unter diesem hervor und wurden von einem säuberlichen Spitzbart untermauert. 

    Das Blatt hatte sich gewendet. War es gerade noch ein Kampf sechs gegen eins gewesen, waren es nun drei gegen drei. Und das Überraschungsmoment auf der Seite der Kargatianer. Taskor wusste noch nicht, was er von der fremden Hilfe halten sollte, doch mit Genugtuung stellte er fest, wie sie mit gemeinsamen Kräften die restlichen Feinde innerhalb weniger Momente niedermachten.

    Als der letzte kaiserliche Soldat tot zu Boden fiel, nahm sich Taskor nur kurz Zeit durchzuschnaufen. Dann hob er sofort die Klinge und richtete diese auf die beiden Fremden. Sein Blick ging kurz die Gasse hinunter. Zu seiner Überraschung waren die beiden Damen und Benno noch immer am Ende der Gasse. Allerdings waren auch sie nicht mehr alleine. Neben Hega stand eine junge Frau, vielleicht zwanzig Jahre alt, die in dunklen Farben gekleidet war. Ihre dunkelbraunen Haare waren zusammengebunden, am Gürtel trug sie neben einem Schwert mehrere Dolche und Messer. Und eine Klinge hielt sie dem jungen Benno an den Hals. Daneben war ein Mann, der wie ein Gaukler gekleidet war, mit einer Glockenmütze auf seinen roten Haaren. Er lief etwas hektisch um die kleine Gruppe. Es war aber offensichtlich, dass die beiden Gestalten zu den beiden Kämpfern gehörten, die ihnen gerade noch geholfen hatten.

    „Im Name der Krone, senkt sofort eure Waffen ihr Lumpen., knurrte Taskor bedrohlich zu den beiden Männern, die bei ihm standen. „Und befehlt eurer Freundin das Gleiche., fügte er warnend hinzu.

    Ob nun durch seine Befehle oder nicht, die beiden Männer steckten ihre Klingen in der Tat in den Gürtel. Nur die Frau schien keine Anstalten zu machen, Benno und die Damen aus ihrer Kontrolle zu lassen.

    „Also, mein Herr., sagte der Fechter mit dem charakteristischen Bart mit einer leichten Verbeugung. „Wie mir scheint, steht Ihr nicht in der besseren Verhandlungsposition, um solch gewagte Forderungen zu formulieren. Der Wert der Krone hat in Kargat in den letzten Stunden leider rapide abgenommen.

    Taskor ging vorsichtig einige Schritte rückwärts auf die Gruppe um die Königin zu, hielt aber die beiden Kämpfer im Auge, während er antwortete. „So lange es Nachfahren von Wulfric gibt, gibt es eine wahrhafte Krone unseres Königreiches. Und du wirst dich dem beugen, Bürger."

    „Florenzo., korrigierte der Mann Taskor mit einem schelmischen Lächeln. „Man nennt mich Florenzo den Fechter. Und da ich genau genommen kein Bürger Kargats bin, erscheint mir auch die Drohung eher hinlänglich.

    Taskor musste sich auf die Zunge beißen, um nicht in Wut auszubrechen. Doch die Situation gab ein solches Verhalten nicht her. Sie hatten nicht nur zwei ausgesprochen wertvolle Geiseln in ihrer Hand, sondern waren ihm auch überlegen. Denn zumindest die beiden Männer verstanden das Handwerk des Krieges, das hatte Taskor auch in dem kurzen Moment erkennen können.

    „Wer seid ihr?, fragte er den offensichtlichen Anführer der kleinen Gruppe, „Und was wollt ihr?

    Florenzo lächelte. „Wir sind wohl das, was euer eins Abschaum nennen würde, ich würde uns als die wirklich freien Menschen des Landes bezeichnen. Eigentlich wollten wir euch nur gegen diese ungebetenen Gäste unterstützen. Aber General Graufels, den schwarzen General, erkennt man eben. Und wie erwartet scheinen wir ja eine gute Beute gemacht zu haben."

    Taskor hatte noch immer die Klinge erhoben und schnaubte. „Für eine Beute bin ich schlecht zu fangen. Aber wenn ihr gegen die Soldaten kämpft, die unser Reich in Flammen setzen, haben wir den gleichen Feind. Lasst die Frauen und den Jungen frei, und ich werde euch in Frieden und Freiheit gehen lassen."

    „Aah, ich glaube nicht. Oder…", sagte Florenzo und schien zu überlegen.

    „Ich habe ne Königin gefangen – edel, schön und hold - und willst du sie zurück erlangen – überschütte uns mit Gold.", hörte Taskor auf einmal den Gaukler, der die Zeilen in einer Art schiefen Gesangs anstimmte. Er schaute unruhig zu dem Mann, der offenbar verrückt war.

    „Entschuldigt Gilmar. Er ist manchmal etwas direkt., sprach nun wieder Florenzo. „Aber ich glaube er bringt es auf den Punkt. Was bringt es uns, euch nun laufen zu lassen?

    Euer Leben, wollte Taskor antworten. Aber erneut beherrschte er sich. Es war eigentlich recht einfach. Sie hatten nichts bei sich und er konnte nur die Zukunft versprechen. Gleichzeitig würden sich auch die vier Gestalten vor den kaiserlichen Truppen verstecken müssen. Dessen war er sich sicher. Er schaute ernst zu Florenzo.

    „Ich sage es ein letztes Mal: Lass die Frauen frei, dann können wir sprechen. Wenn ihr uns helft, aus der Stadt zu entkommen, sollt ihr gut belohnt werden. Doch im Moment haben wir nichts bei uns. Also: Wollt ihr gute Bürger Kargats sein oder durch meine Klinge sterben?", sagte er mit einer Mischung aus Drohung und ehrlichem Angebot. Seine Augen blieben auf Florenzo verhaftet, aber es war der ältere Kämpfer, der nun das Wort übernahm.

    „Es reicht, Sinja. Steck die Klinge weg. Gilmar, komm her.", sagte er mit rauer Stimme. Sofort folgten die beiden den Befehlen des Mannes und ließen von Benno, Hega und Sonya ab. Nun senkte auch Taskor die Klinge.

    „Mein Name ist Eggbert Einauge. Einst diente ich als Soldat in der kargatianischen Armee. Dies ist meine Tochter Sinja Silberhand, sowie meine Gefährten Florenzo und Gilmar Glockenkron.", sprach er mit ruhiger Stimme. Taskor ging derweilen die letzten Schritte zurück zu den Frauen und blickte dann Eggbert ins Auge.

    „Danke Eggbert, für deine kluge Entscheidung.", sagte er. Das Gefüge der vier hatte sich sehr schnell geändert. Gerade hatte er noch Florenzo als Anführer gesehen, aber Eggbert strahlte eine andere Art der Autorität aus. Dann wandte sich der General an die Königin. 

    „Majestät, geht es Euch gut?", fragte er und Hega nickte sofort wortlos. 

    „Wir müssen uns beeilen.", mahnte nun Sonya Taskor.

    „Ja, Hoheit.", gab dieser zurück und schaute dann noch wütend zu Benno, der seine Aufgabe so überhaupt nicht erfüllt hatte. Doch der Junge wich dem Blick aus und Taskor verkniff sich einen Kommentar, der ihnen nun auch nicht mehr helfen würde. Dann drehte er sich wieder zu Eggbert.

    „Mein Angebot gilt. Ihr sollt alle entlohnt werden, wenn ihr uns aus der Stadt helft. Wie ihr seht, bin ich mit dem Jungen alleine für den Schutz der Frauen verantwortlich. Und ich habe gesehen, dass ihr von Hilfe sein könnt."

    Eggbert zögerte kurz, nickte dann aber. „Wir helfen euch aus der Stadt. Es gibt Wege, die ihr nicht kennt. Und die Kaiserlichen auch nicht. Dann unterhalten wir uns über unsere Belohnung."

    „Unsere Heimat steht in Flammen, ein Zurück gibt es nicht mehr.", brachte Eggbert es auf den Punkt, als er den Blick auf Härengar hinunter warf. Sie hatten es geschafft. Es gab viele Winkel und Wege in Härengar, die Adeligen verborgen blieben. Aber Menschen wie sie, Diebe, Streuner, Herumtreiber, fanden diese Wege und Winkel. Mal um einen Schlafplatz zu finden. Mal um die Flucht vor der Obrigkeit anzutreten. Manchmal auch nur, weil einen die Neugier trieb. Der Abwasserweg hatte sie weit aus der Stadt geführt hin zu den Klippen, die nördlich von Härengar die Küste bildeten. Von dort war es noch ein Aufstieg gewesen und schon befanden sie sich auf dem kleinen Hügel, der ihnen den Blick auf die Stadt und den kaiserlichen Belagerungsring davor erlaubte.

    Florenzo nickte. „Ja, und es scheint mir, dass das Leben für unsereins unter den Augen des Kaiserreiches nicht einfacher wird. Also, was wollen wir tun?" Er schaute skeptisch zu der Gruppe hinüber, die um General Taskor stand. Ein einfacher Soldat, eine Königin und eine Prinzessin. Wahrlich nicht ihre Welt.

    „Traue keinem Adelsmann - weil er nur Adel adeln kann - auf unsereins schaut er hinab - und schlägt uns schnell die Köpfe ab." Gilmar sprach wie immer in Reimen und wirr. Dennoch war es seine Erfahrung mit der Obrigkeit, die ihn zu diesem Urteil führte. Sinja legte die Stirn in Falten und schaute zu ihrem Vater.

    „Ich glaube nicht, dass wir eine Wahl haben. Wenn wir dem General helfen, haben wir zumindest die Chance, an ein bisschen Gold zu kommen. Es gibt immer noch Teile Kargats, die nicht besetzt sind. Von hier fliehen wollen wir auch, vielleicht können die Herrschaften uns Türen öffnen, die sonst verschlossen wären."

    „In Ordnung., sagte Eggbert und schaute dann in die kleine Runde. „Seid ihr alle dabei?

    Florenzo hielt kurz inne, schien zu überlegen, aber nickte dann. „Ich bin dabei."

    „Es wird wohl sein mein Ende - wenn ich schon wieder mit euch gehe - doch wie ichs dreh und wende - keinen andern Weg ich sehe."

    „Ich bin dabei, Vater.", bestätigte auch Sinja. 

    „General Graufels., rief der Veteran laut und ging auf die anderen Flüchtenden zu. „Wir haben uns entschieden. Wenn Euer Angebot steht, uns zu entlohnen, werden wir Euch weiter begleiten und schützen. Aber wohin führt uns unser Weg?

    Taskor wandte sich zu dem Mann um und war erleichtert. Außer Benno hatte er keinen anderen Kämpfer und der Junge war, wie gesehen, keine große Hilfe. Die Reise vor ihnen, egal wie sie es angingen, würde gefährlich sein. Er wusste nicht wieso, aber er hatte das Gefühl, dass man den vier Gestalten trauen konnte. Sie waren auf den ersten Blick alles andere als vertrauenserweckend, aber aus ihnen sprach eine gewisse, bodenständige Ehrlichkeit. Eben nur ein Gefühl. Aber sie hatten ja nicht viel zu verlieren.

    „Sehr gut. Die südlichen und westlichen Teile des Königreiches sind eingenommen. Die Städte im Norden der Küste wie Tengemünde, die Zwillinge und Wulfricshafen werden sich bald ergeben. Wir sollten nach Osten fliehen, ins Landesinnere, und dort nach Unterschlupf und Verbündeten suchen." Dann drehte er sich von dem Mann weg und ging auf die Königin zu, die im Gras saß. Neben ihr hockte Sonya. 

    „Majestät, ich verstehe, wenn Ihr eine Pause braucht, aber wir sollten aufbrechen. Wir müssen heute so weit es geht vor den kaiserlichen Soldaten fliehen. Ich versprach, Eure Sicherheit und die Sicherheit Eurer Tochter zu gewährleisten."

    Hega nickte kraftlos. Es war nicht einmal die körperliche Anstrengung, die ihr alle Energie nahm. Es war die gesamte Situation. Zu viele Menschen waren gestorben. Alle ihre Stiefenkel hatten nur zwei Tage nach ihrem Stiefsohn den Tod gefunden. Ebenso ihr Mann. Nun blieb nur noch ihre Tochter als Hoffnung für Kargat. Denn sie selbst spürte, wie ihre Kräfte wichen. Außerdem war sie im Vergleich zu Sonya nicht vom Blute Wulfrics. Doch daneben waren auch so viele weitere Kargatianer gestorben. Soldaten. Bürger. Frauen. Kinder. Es würden noch viele folgen, bis der Tag sein Ende fand.

    „Majestät?", hakte Taskor nach, als Hega nicht direkt antwortete. Nur langsam drehte die Königin den Kopf zu dem älteren General und schaute dem langjährigen Vertrauten in die Augen.

    „Sag, Taskor, gibt es noch Hoffnung?" Der General streckte den Rücken wieder durch und richtete sich auf. Kurz hielt er inne, bevor er antwortete.

    „Ja, es gibt Hoffnung., sagte er mit fester Stimme, „Sonya ist die nächste Königin Kargats. In ihr fließt das Blut Wulfrics. Egal ob es Monate, Jahre, oder Jahrzehnte dauern wird, wir werden unser Land wieder zurückerobern. Jeden noch so kleinen Fleck. So lange es noch Menschen wie unsere neuen Gefährten gibt, die trotz aller Widrigkeiten unsere Flucht unterstützen wollen, gibt es Hoffnung für Kargat. Denn Kargat, das sind keine Steine und Titel, es sind die Menschen, die dieses Königreich beleben.

    Hega schaute kurz zu Boden, streckte dann aber ihre Hand zu Taskor, der ihr half, aufzustehen. „In Ordnung, General, ich glaube dir., antwortete sie und schaute dann zu ihrer Tochter. „Sonya, danke für deine Stärke. Ich werde von nun an versuchen, dir eine gute Mutter zu sein. Wir können nicht mehr ändern, was passiert ist. Aber wir können die Zukunft des Königreiches gestalten. Ich glaube an dich.

    Sonya lächelte, fast schüchtern, ob der ehrlichen Worte der Mutter. Dann senkte sie den Kopf und verbeugte sich leicht vor ihr.

    „Danke Mutter. Ich werde diese Hoffnungen nicht enttäuschen."

    „Wir sollten nun aufbrechen., mahnte Eggbert die Adeligen zur Eile. „Florenzo wird uns führen, ich werde mit Sinja die Nachhut bilden. 

    Kapitel 3

    „Du musst mir alles über Taarl erzählen, Sylvius.", forderte Lerke ihren jungen Mitreisenden auf und unterbrach so die Stille in der Kutsche. Es war der zweite Tag, seit ihrem Aufbruch aus Grünburg. Gestern war sie in Gedanken noch in ihrer Heimat gewesen. Der Hauptstadt von Rethas, die sie in ihren neunzehn Lebensjahren eigentlich nie verlassen hatte. Außer kleinen Spaziergängen und Ausritten in die umliegenden Wälder. Doch es war nun genug der Melancholie. Nun galt es für sie, nach vorne zu schauen. Denn dass ihre Zukunft in Tandor, in Taarl, lag, war nicht mehr umzukehren. Also sollte sie die Reise dahin nutzen, so viel wie möglich zu erlernen.

    Sylvius schaute sie etwas überrascht mit großen Augen an, als er so direkt angesprochen wurde. Er war seinem Vater, dem Herzog von Tandor, wie aus dem Gesicht geschnitten, hatte die gleichen schwarzen Haare, ordentlich kurz gestutzt, und durchdringenden grünen Augen. An seiner Oberlippe zeichneten sich schon erste leichte Haare ab, die den Übergang des Vierzehnjährigen hin zum Mann andeuteten.

    „Ja, in Ordnung., sagte er etwas verwirrt, räusperte sich dann aber. „Was willst du denn wissen? Lerke von Rethas galt nicht ohne Grund als eine der schönsten Jungfrauen des Reiches. Über die Jahre war die goldene Farbe ihrer Locken noch durch einen leichten Rotstich ergänzt worden, der für das Haus Rethas üblich war. Ihre strahlendblauen Augen vermochten es, jeden Mann um den Finger zu wickeln. Auch ihre Figur war attraktiv anzusehen. Kein Wunder, dass es der Sohn des wohl mächtigsten Mannes Valoriens war, der sie bald heiraten würde: Lumos von Tandor.

    „Naja, einfach so alles. Ich will wissen, wie die Stadt ist. Wie deren Bewohner sind. Wie die Burg von Taarl aussieht. Und was mich erwartet, wenn ich deinen Bruder heiraten werde. Stimmt es, dass in den Straßen viele Urben umherstreifen? Die machen mir ja immer ganz viel Angst."

    „Mmh, wo fange ich da am besten an., überlegte Sylvius kurz laut. „Wir fangen bei der Stadt an. Lass es mich mit Grünburg vergleichen. Grünburg erscheint in diesem Vergleich wie ein Baum. Die Festung ist der mächtige Stamm und all die Häuser und Straßen wachsen in alle Richtungen. Man kann den Wuchs des Baums nicht kontrollieren, und so ist auch Grünburg. Herzliche Menschen, die gemeinsam in den Tag hinein leben und sich wie ein Blatt im Wind wiegen. Taarl hingegen ist wie ein Fels. Es ist schroff und kalt, und dennoch von beeindruckender Schönheit. Die Mauern und Straßen sind klar angelegt, nichts ist dem Zufall hinterlassen. Und die Bewohner sind hart und entschlossen, ihre Stadt auf alle Ewigkeit zu verteidigen.

    Lerke merkte, dass Sylvius einiges von seinem Vater hatte, das über das Aussehen hinausging. Für einen so jungen Mann hatte er einen äußerst scharfen Verstand, der aber neben der strategischen Kälte des legendären Herzogs auch eine gewisse Kreativität barg. So war die Beschreibung zugleich lyrisch, aber auch anschaulich für sie.

    „Das hört sich ja eher unangenehm an. Und da kann man gut leben?"

    Sylvius musste leicht auflachen ob der Zweifel von Lerke. „Nein, so schlimm ist es nicht. So hart die Stadt nach außen wirkt, so warm kann sie innen sein. Die Feste meines Vaters hat viele Kamine und Feuerstellen, für kalte Winter, wenn der Wind von den Dunkelzinnen hinab bläst. Im Sommer kann man durch das ganze Umland reiten, auf den besten Pferden Valoriens. Meine Mutter wird sich sehr auf dich freuen. Und meine Schwester Cecilia bestimmt auch.", antwortete er mit einem warmen Lächeln. Auch er selbst freute sich, wieder in seine Heimat zurück zu kommen. Seit nunmehr vier Jahren war er in der Knappschaft bei Graf Valentin von Ostwacht, und hielt sich so meist in Ostwacht, am Stammsitz des Grafen oder in Grünburg auf, wo Valentin die meisten der Regierungsgeschäfte von Rethas übernommen hatte.

    „In Ordnung. Und das mit den Urben?", hakte Lerke nach.

    „Ja, es gibt einige Urben in Taarl. Aber sie sind treue Diener meines Vaters. Und wenn sie dir Angst machen, wird Dolf sie mit Sicherheit verscheuchen, nicht wahr?", wandte sich der junge Knappe an den älteren Soldaten, der den beiden gegenüber saß. Dolf Hammerstein war ein alter Veteran aus den Kriegen des Herzogs von Tandor. Obwohl er nur aus einer Handwerkerfamilie Taarls stammte, genoss er hohes Ansehen. 

    „Natürlich, Euer Gnaden.", antwortete er schroff. Dolf war in der Tat eine Person, vor der man Angst haben konnte. Die meisten Männer überragte er deutlich, seine Arme waren stark und dick, wie die eines Schmiedes, und sein Gesicht war durch den grau-braunen Vollbart untermalt stets hart und bedrohlich.

    „Siehst du. Und, glaubst du, es wird dir gefallen?", fragte Sylvius dann Lerke abschließend.

    „Ich bin bereit, es kennen zu lernen., gab sie mit einem fast frechen Grinsen zurück. „Dann muss mich nur noch dein Bruder von sich überzeugen.

    Sylvius nickte bedächtig. Das würde wohl die schwierigere Aufgabe. Lumos war nicht gerade die Person, die man als liebenswert bezeichnen konnte. Er war äußerst still, abweisend und kalt. In seiner Kindheit hatte Sylvius immer lieber Zeit mit seinem anderen älteren Bruder, Vincent, verbracht. Aber vielleicht konnte das sonnige Gemüt von Lerke ja den Erben von Tandor erwärmen.

    Auf einmal blieb die Kutsche mit einem Ruck stehen.

    „Was is…?", wollte Lerke fragen, als von draußen auf einmal Rufe zu hören waren. Schreie. Und Kampfgeräusche.

    „Haltet euch von der Tür der Kutsche fern!", befahl Dolf und zog, beengt vom Innenraum des Gefährts, seine Klinge aus dem Gürtel, um sich direkt vor der Kutschtür zu positionieren. Dann wartete er.

    Lautlos lief Arthur durch den Wald. Ihm folgten die Männer der Schwarzen Pfeile, wobei immer wieder einer stehen blieb und sich im Unterholz versteckte. Als nur noch er und Rogard übrig waren, hielt er kurz inne und schlich dann geduckt in Richtung der Straße, bis er direkt am Rand des Waldes war. Er hockte sich hinter einen Busch und lauschte. Absolute Stille. Selbst er, der wusste, dass die Männer in Stellung waren, konnte sie nicht sehen, schon gar nicht hören. Nur aus der Ferne hörte man schon die Hufschläge der Pferde und das ratternde Geräusch der fahrenden Kutsche.

    „Wir sind bereit und warten auf deinen Befehl.", flüsterte Rogard. Arthur nickte dem jungen Mann zu. Der Sohn seines Cousins Hagen hatte nach dessen Tod an einem Fieber eine wichtige Rolle bei den Schwarzen Pfeilen eingenommen und war stets an Arthurs Seite gewesen. Jedoch kam er mit seinen dunkelbraunen, lockigen Haaren mehr nach der Mutter, denn dem Vater, der doch Arthur so ähnlich gewesen war.

    „In Ordnung. Geh nach vorne zum Tau und zieh es fest wenn die Eskorte die Stelle erreicht.", befahl der Ritter dem jungen Mann. Das Seil auf der Straße war mit Blättern und Erde bedeckt und für einen unwissenden Beobachter so gut wie unsichtbar. In Spannung über der Straße würde es aber zu einem unüberwindbaren Hindernis für die Reiter aus Tandor werden.

    Dann galt es zu warten. Obwohl die Geräusche aus der Ferne schon zu hören waren, würde es noch einige Momente dauern. Am Boden kauernd atmete Arthur tief aus, um Kraft zu sammeln. Dies war ein entscheidender Tag, ein entscheidender Moment für ihren Kampf um Freital, wenn nicht gar um Rethas oder gar ganz Valorien.

    Die letzten Jahre waren mehr durch Rückschläge denn durch Siege gekennzeichnet gewesen. Nachdem sie aus Freital geflohen waren, hatte es erste Priorität gehabt, einen sicheren Unterschlupf zu finden. Zwei Jahre hatte sie in den Alrinnen verbracht, ungestört von den Häschern der Herzöge aus Grünburg oder Taarl. Doch dann hatte sich der Freiheitstrieb in Arthur wieder breitgemacht. Und der Drang nach Rache, für die Ungerechtigkeit und den Verrat von Celan. Schließlich galt es noch, die Heimat zurück zu erobern.

    Es war ein erbitterter Kampf seitdem. Auf der einen Seite die Soldaten von Herzog Celan, die unter der Zustimmung Herzog Helmbrechts in Rethas stationiert waren, um für Sicherheit zu sorgen. So zumindest die offizielle Aussage. Sie waren in den wichtigsten Burgen und Städten stationiert und patrouillierten die großen Straßen. Fast überall regierten nun de facto Adelige aus Tandor.

    Als Gegenseite hatte Arthur eine kleine Anzahl von Männern geführt, denen es wie ihm nach Freiheit und Rache gierte. Sie hatten immer wieder zugeschlagen. Transporte überfallen. Kleine Dörfer befreit. Tandorische Adelige bestraft. Anfangs hatte Arthur noch Skrupel gehabt, die brutalen Angriffe zu befehlen. Immerhin waren auch die Feinde Valoren, viele sogar wie er aus Rethas. Diese waren gewichen, als er die ersten Dörfer gesehen hatte, die von Herzog Celans Männern ausgelöscht worden waren. Die Bewohner inklusive Frauen und Kinder massakriert. Gewalt konnte man nur mit Gewalt beantworten und wenn der Feind keine Skrupel hatte, durfte man sich selbst kein Gewissen erlauben. Das war die traurige Realität des Krieges.

    Trotz der ersten Erfolge waren sie immer wieder zurückgeschlagen worden. Befreite Dörfer waren in Flammen aufgegangen. Unterschlüpfe von ihnen gefunden und ausgelöscht. Während immer wieder neue junge Männer hinzukamen, fielen die alten Weggefährten Arthurs den ständigen Scharmützeln zum Opfer. Jorgen. Hagen. Wulf. Sie alle waren nicht mehr. Oft fühlte er sich einsam, im Alter, das ihn doch so deutlich kennzeichnete. Doch dann gaben ihm die Jungen wieder Stärke

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