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Sekandert - Falscher Schatten: Band 2
Sekandert - Falscher Schatten: Band 2
Sekandert - Falscher Schatten: Band 2
eBook836 Seiten11 Stunden

Sekandert - Falscher Schatten: Band 2

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Über dieses E-Book

„Sind wir denn so ungewöhnlich?“
„Ihr beiden seid sogar so ungewöhnlich, dass ihr fast offiziell zu einer Gefahr für ganz Andvel erklärt wurdet.“

Gemeinsam machen sich Ally und Donnie auf die Suche nach den letzten Zauberern. Unterdessen versucht Adrale verzweifelt, aus der Gefangenschaft ihrer Feinde zu entfliehen, und Kralle begibt sich auf den gefährlichen Weg zum Spiegelsee, um die argolischen Rebellen vor einer herannahenden Armee zu warnen.
Während sie alle sowohl äußere Gefahren als auch ihre inneren Dämonen bekämpfen müssen, entdecken sie, dass die Welt nicht so ist, wie sie scheint. Und ein bedrohliches Unheil naht ...
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum26. Okt. 2023
ISBN9783910761018
Sekandert - Falscher Schatten: Band 2

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    Buchvorschau

    Sekandert - Falscher Schatten - Finja Stoldt

    Finja Stoldt

    Sekandert

    Falscher Schatten

    Soundguru-Print Verlag

    September 2023

    1. Auflage

    © 2023 Finja Stoldt

    © 2023 Soundguru-Print GbR,

    Holtwisch 4, 25524 Oelixdorf

    Lekorat: Emilia Laforge

    Korrektorat: Soundguru-Print Verlag

    Umschlaggestaltung: Mathias Kentrup

    Karte: Finja Stoldt

    ISBN: 978-3-910761-01-8

    Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb des

    Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und wird

    strafrechtlich verfolgt.

    Bibliografsche Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

    Nationalbibliografe, detaillierte bibliografsche Daten sind im Internet über

    https://dnb.de abrufbar.

    www.soundguru-print.de

    www.sekandert.de

    E-Book Distribution: XinXii

    www.xinxii.com

    logo_xinxii

    Über das Buch

    „Sind wir denn so ungewöhnlich?"

    „Ihr beiden seid sogar so ungewöhnlich, dass ihr fast offiziell zu einer Gefahr für ganz Andvel erklärt wurdet."

    Gemeinsam machen sich Ally und Donnie auf die Suche nach den letzten Zauberern. Unterdessen versucht Adrale verzweifelt, aus der Gefangenschaft ihrer Feinde zu entfliehen, und Kralle begibt sich auf den gefährlichen Weg zum Spiegelsee, um die argolischen Rebellen vor einer herannahenden Armee zu warnen.

    Während sie alle sowohl äußere Gefahren als auch ihre inneren Dämonen bekämpfen müssen, entdecken sie, dass die Welt nicht so ist, wie sie scheint. Und ein bedrohliches Unheil naht ...

    1. Die Grenze

    Kralle

    Kralle konnte nicht mehr atmen. Rasselnd saugte er Luft ein, aber sein Hals fühlte sich eingeschnürt an, als drückte eine Galgenschlinge fest zu.

    Du hast es fast geschafft!

    Kurz blieb er stehen und stützte sich mit den Händen auf seinen Oberschenkeln ab.

    Einatmen, ausatmen. Geh einfach weiter.

    Allmählich strömte die Luft leichter in seine schmerzenden Lungen. Er richtete sich auf und taumelte vorwärts. Der kaum bewölkte Himmel über den Tannen färbte sich rot und gelb. Hinter den Bäumen tönte das leise Plätschern des Ostweststromes, an dessen Ufer er sich stets weiter gen Osten bewegte. All seine Sinne schärften sich, je näher er dem Waldrand kam. Seine Nackenhaare stellten sich auf, seine Nasenflügel bebten. Lautlos trat er aus dem Gebüsch hinaus.

    Früher war er der König der Straßen gewesen. Die Unterstadtbewohner hatten ihn den besten Dieb der Stadt genannt. Aber heute war er ein Verräter. Seine Straßen gab es nicht mehr. Die Leute, die er zu schützen versucht hatte, waren tot oder vertrieben. Seit Verlassen der Unterstadt schlief er kaum noch. Nur in Momenten der völligen Erschöpfung brach er am Wegrand zusammen und fiel in eine Art Ohnmacht, aus der er nach kurzer Zeit wieder aufschreckte. Eine derartige Schwäche durfte er sich nicht erlauben! Seinetwegen würde etwas Furchtbares geschehen, und er musste absolut alles dafür geben, die nahende Katastrophe abzuwenden.

    Mit vor Müdigkeit schmerzenden Augen sah er sich um. Vor ihm ragte eine riesige Mauer in den Himmel auf, mindestens drei Mannslängen hoch. Dagegen glichen die noch stabilen Teile der Stadtmauer von Scola einem Gartenzaun. Kralle schaute an ihr hinauf in den dunkler werdenden Himmel. Angeblich wurde die Grenze von Revell zum Neuen Reich von allen des Königreichs am besten bewacht, also wimmelte es hier sicher nur so von Grenzpatrouillen.

    Mit gestrafften Schultern verließ er seine Deckung. Hastig trat er an das gewaltige Bauwerk heran und berührte die rauen Steine. Ganz in der Nähe spürte er die Anwesenheit von Menschen und zuckte zurück. Sie schienen sich auf der anderen Seite zu befinden.

    Schritte näherten sich. Zwischen den Zweigen und Blättern, die teilweise fast bis zur Mauer reichten, bewegte sich etwas. Sicher Grenzsoldaten. Wenn sie ihn hier entdeckten, hielten sie ihn bestimmt für einen Flüchtling aus dem Neuen Reich. Angeblich wurden argolische Flüchtlinge in Lager gesteckt und wie Gefangene bewacht. Er hechtete zurück ins Unterholz. Kauernd spähte er durch die Blätter.

    Eine Patrouille von sechs Männern näherte sich. Mit ausdruckslosen Gesichtern und im Gleichschritt marschierten sie an der Grenze entlang. Sie trugen kein Schwarz. Kralle kniff die Augen zusammen. Der Schlafentzug musste zu einer Sinnestäuschung führen! Diese Soldaten trugen Rot. Ein letzter Sonnenstrahl schien auf die Brust eines Mannes. Ein goldener Fuchs blitzte auf. Die Patrouille verschwand hinter den Bäumen.

    Kralle sprang auf und rannte in die entgegengesetzte Richtung davon. Blätter und Zweige peitschten in sein Gesicht. Dornenranken rissen an seinen Beinen.

    Das konnte nicht sein! Was taten die Feinde im Königreich? Was taten Livons Soldaten hier? Wenn sie ihn hier fanden, brachten sie ihn sicher nicht in ein Lager. Sie würden ihn einfach erschießen. Schwer atmend presste er beide Hände in seine schmerzenden Seiten. Ruhe bewahren. Keine Panik!

    Abermals vernahm er Schritte. Hastig versteckte er sich hinter einer Tanne und blickte auf einen schmalen Waldweg, nur wenige Mannslängen von seinem Versteck entfernt. Vier Soldaten in Rot näherten sich, stapften an ihm vorüber und verschwanden hinter den Blättern.

    Kralle schlich weiter. Immer wieder zuckte er zusammen und fuhr herum. Das leiseste Knacken ließ seine Alarmglocken läuten.

    Zwischen den Bäumen erblickte er zahlreiche Gestalten auf einer gepflasterten Straße. Die Auren der vielen Menschen vermischten sich und ließen sich kaum voneinander unterscheiden. Im Schatten der Tannen blieb er stehen und beobachtete das Treiben. Ein eisernes Tor in der Mauer stand weit geöffnet. Wie Ameisen strömten die Soldaten aus dem Neuen Reich in das Königreich. Er entdeckte keinen einzigen Mann in schwarzen Farben. Ihm lief es eiskalt den Rücken hinunter.

    Das Neue Reich hat den Krieg gewonnen. Das Königreich ist besiegt. Und alle Argols, die hier leben, sind verloren!

    Zitternd atmete er tief durch. Nein, was er dort sah, konnte alles Mögliche bedeuten. Es musste einen Kampf gegeben haben, den die Menschen des Geeinten Königreichs verloren hatten. Doch bestimmt waren bereits Truppen im Anmarsch, die die Soldaten des Neuen Reichs zurück auf ihre Seite der Grenze treiben würden. Es musste einfach so sein! Etwas anderes mochte er sich kaum ausmalen.

    Instinktiv umfasste er den Schaft des Messers an seinem Gürtel. Aus der Unterstadt besaß er nichts mehr außer der Kleidung an seinem Leib – noch immer trug er das Hemd, das von Visache zerrissen worden war, um seinen Rücken auszupeitschen, außerdem den dunkelblauen Umhang der Hexe, die ihn geheilt hatte – und ein Gewehr mit nur einer Patrone.

    Das Messer stammte von einem Bauern, dem Kralle auf einem Feld begegnet war. Der Mensch hatte es nur kurz abgelegt und gar nicht bemerkt, dass es schon wenige Sekunden später verschwunden war. Am Griff bildete sich bereits Rost, und mit der stumpfen Klinge ließ sich kaum etwas ausrichten. Missmutig drehte Kralle es hin und her. Es eignete sich vielleicht zum Rübenschälen, aber als richtige Waffe taugte es nichts. Trotzdem diente es ihm zusammen mit seinem Gewehr als einzige Verteidigungsmöglichkeit.

    Die Sonne verschwand hinter den Bäumen, und die Schatten wurden lang und schwarz. Regungslos harrte Kralle in seinem Versteck aus. Mit der Zeit ebbte der beidseitige Strom von Soldaten ab, doch sechs blieben neben dem Tor stehen. Sicher standen auf der anderen Seite der Mauer genauso viele oder mehr. Keiner verließ seinen Posten. Noch dazu zündeten sie Fackeln und Öllampen an. Den Plan, sich dort irgendwie unbemerkt durchzuschleichen, konnte er vergessen.

    Angestrengt starrte er in die Dunkelheit des Waldes und grübelte hin und her. Vielleicht konnte er einen der Männer von den anderen weglocken, ihm eine Falle stellen und seine Uniform stehlen …

    In seinen Augenwinkeln flirrten zwei grüne Glühwürmchen durch die Luft. Kralles Blick blieb an ihnen hängen. Langsam, im absoluten Gleichtakt und immer mit demselben Abstand zueinander, flogen sie auf ihn zu. Ausgesprochen seltsame Glühwürmchen …

    Das sind keine Käfer. Sondern Augen. Fast entwischte ihm ein Schrei. Im letzten Moment schlug er sich die Hand vor den Mund. Der Schatten verschmolz beinahe vollständig mit der Dunkelheit. Nur seine schneckenförmig gebogene Hörner schimmerten im Licht der entfernten Fackeln. Seit Tagen klammerte sich Kralle so verbissen an den Gedanken, so schnell wie möglich die Grenze von Revell zu erreichen, dass er seinen dämonischen Begleiter fast vergessen hatte. Aber nur fast. Obwohl er den Schatten sonst nie sah, beschlich ihn oft das Gefühl, nicht allein zu sein. Dass stets jemand jeden seiner Schritte beobachtete.

    »Komm in meine Welt.« Die dröhnende dunkle Stimme kam von überall und nirgendwo.

    Kralle wagte kaum zu atmen und warf einen kurzen Blick auf die Soldaten auf der Straße. Sie schienen die Stimme nicht wahrzunehmen.

    »Du weißt, dass das der einzige Weg ist«, donnerte die dunkle Gestalt.

    Schon einmal war es Kralle so vorgekommen, hinter die Fassade des Monsters blicken zu können und etwas ganz anderes zu erkennen – jemand anderen. Einen Menschen. Oder zumindest die Seele eines Menschen. Wieder beschlich ihn dieses Gefühl.

    »Ich kann es nicht«, formte er mit den Lippen, ohne einen Laut zu verursachen.

    »Doch, du kannst es. Du warst schon bei mir, hast du das vergessen? Zweimal. In der Kaserne. Und als du vor deinem Peiniger Toin Visache fliehen konntest.«

    Die Schattenwelt.

    Natürlich hatte er das nicht vergessen. Er erinnerte sich an diese Schattenwesen, wie sie mit ihren Rauchfingern nach ihm griffen, als wollten sie ihn für immer festhalten. Wenn er einmal zu tief in diese Welt eintauchte, kam er vielleicht nie wieder hinaus.

    Aber was sollte er sonst tun? Es gab keinen anderen Weg über die Grenze. Er musste vor den Menschen da sein. Und all die Argols am Spiegelsee warnen. Eine Armee kam.

    Mit geschlossenen Augen atmete er tief ein und aus und lehnte sich gegen den rauen Stamm in seinem Rücken. Wie in alles in der Welt sollte er bloß bewusst in die Schattenwelt gelangen? Die letzten beiden Male war das einfach so passiert. Er blinzelte und vergewisserte sich, dass die Menschen noch auf ihren Posten standen. Abermals schloss er die Augen.

    Du schaffst es. Du musst es schaffen!

    Tief atmete er ein.

    Aus.

    Ein.

    Sein Körper wurde leicht, schien zu schweben. Langsam öffnete er die Augen. Dunkler, weicher Nebel verhüllte die Welt. Unwirkliches, fahles Licht umgab ihn, dessen Quelle er nicht ausmachen konnte. Die Baumstämme wirkten wie Säulen aus Qualm und ihre Kronen schienen in unsichtbaren Flammen zu stehen; Rauchfäden schlängelten sich weit gen Himmel. Den Boden bedeckten dunkle, neblige Wirbel, die wie turbulentes Wasser ineinanderflossen. Kralle schwindelte, wenn er zu lange hinsah. Seine Füße, die aus der gleichen schwarzen und durchdringenden Substanz bestanden, flimmerten, als würden sie schnell hintereinander die Gestalt wechseln. Sie schienen mit dem Boden zu verschmelzen. Kein Geräusch durchbrach die Dickflüssigkeit der Schattenwelt.

    Langsam drehte er sich um. Hinter ihm stand ein junger Mann. Seine schwarzen und grauen Umrisse verschwammen mit der Umgebung. Dennoch erschien es Kralle, als habe er niemals jemanden deutlicher vor sich gesehen. Der Mensch lächelte leicht. Seine Iriden leuchteten grünlich. Fast musste Kralle blinzeln; eine derart grelle Farbe in einer ergrauten Welt schmerzte in seinen Augen. Die Haare des Mannes reichten ihm bis zu den Schultern. Er streckte seine rechte Hand aus. Aus Reflex schlug Kralle ein und zuckte zusammen, als er unter dem schwarzen Rauch einen Widerstand spürte. Warme, raue Haut.

    »Ich bin Camoro.« Die Stimme klang nicht mehr donnernd und übermächtig, sondern leise und seltsam dumpf, als befänden sie sich in einem kleinen Raum ohne Fenster. »Weißt du das noch?«

    Kralle konnte nur atemlos nicken. Ja, irgendwoher kannte er diesen Namen. Er kannte auch diesen Mann, aber er konnte ihn nicht mit dem Monster zusammenbringen, das er zu sein schien.

    »Warum machst du so ein Theater?« Auch Kralles Stimme klang seltsam trocken, als spräche er gegen einen dicken Wandteppich.

    Camoro blinzelte. »Was?« Er schüttelte den Kopf. »Stell nicht so dumme Fragen. Ich dachte, du willst ins Neue Reich. Dann komm endlich.«

    Das hatte Kralle mit seiner Frage nicht gemeint, er wollte wissen, warum er sich hinter der Gestalt dieses Monsters versteckte. Doch Camoro drehte sich bereits um und zog ihn hinter sich her. Sie traten aus den schützenden, wenn auch jetzt kaum zu erkennenden Bäumen hervor. Instinktiv verkrampfte sich Kralle, obwohl er wusste, dass die Wachen ihn hier nicht sehen konnten. Camoro führte ihn auf die Straße und steuerte direkt auf den Grenzübergang zu. Die Mauer türmte sich als übermächtige, tiefschwarze Wand vor ihnen auf. Die Soldaten bestanden aus denselben Schatten wie alles um sie herum, aber Kralle sah unter dem Rauch, der jeden von ihnen umgab, ein helles, fast weißes Schimmern.

    Während Camoro Kralle zur Mauer zog, drehte sich keiner zu ihnen um. Wie ein Windhauch huschten sie an ihnen vorbei. Dunkelheit umgab sie, als sie durch das Tor schritten.

    Camoros Hand in seiner löste sich auf. Kralle griff ins Leere. Die Schatten um ihn herum verschwanden. Wind fegte über seine Haut. Das Gewicht seines Körpers drückte ihn schwer zu Boden. Er stand mitten im Tor. Nicht mehr in der Schattenwelt. Gebrüll drang an sein Ohr. Mehrere Männer liefen auf ihn zu.

    Er rannte los. Es knallte. Kralle stolperte weiter, ohne sich umzudrehen.

    »Bleib stehen!«, bellte eine harsche Stimme.

    Foedynac, hilf mir!

    Abermals ertönte ein Schuss. Vor ihm erschien ein dunkler Schemen in der Nacht. Ein Wald. Wieder ein Knall, neben seinem linken Fuß spritzten Sand und Kieselsteine auf.

    Ein heftiger Ruck fuhr durch seinen Hals. Jemand riss ihn von den Füßen. Keuchend strampelte er mit den Beinen und grapschte nach seinem Kragen.

    Luft!

    Die Hände an seinem Schlafittchen ließen nicht los.

    Luft!

    Das Blut pochte in seinen Ohren. Vor ihm tauchte das ausdruckslose Gesicht eines Mannes auf. Kralle starrte in ein kleines schwarzes Loch.

    Nein!

    Ein Schatten verdunkelte seinen Blick. Jemand packte seinen linken Arm. Abermals wurde er herumgerissen und so schnell vorwärts gezogen, dass er fast stolperte. Doch er spürte den Aufprall seiner Füße nicht. Es fühlte sich an, als würde er durch die Luft laufen. Schweben. Vom plötzlichen Fehlen aller Geräusche – die Stimmen der Soldaten, das Rauschen der umliegenden Bäume, seine eigenen Schritte, der gelegentliche Schrei eines Kauzes – wurde ihm übel. Undeutlich sah er die dunkle Gestalt Camoros vor sich. Sie erreichten den Wald. Er kam Kralle vor wie eine einzige schwarze Masse. Camoro schien den Baumstämmen und dem Gebüsch nicht auszuweichen. Achtlos lief er durch alles hindurch wie durch Nebelschwaden. Kralle folgte ihm und spürte keinen Widerstand.

    »Du hast es aber spannend gemacht«, murmelte Camoro und ließ seine Hand endlich los. »Das üben wir noch mal was? Ausgerechnet an der heikelsten Stelle bist du aus der Schattenwelt rausgerutscht.«

    Schwindel ergriff Kralle. Die Schatten um ihn herum lösten sich auf. Wieder spürte er die Schwere seines eigenen Körpers, die Konturen der dunklen Bäume schärften sich, und der Geruch von Harz und Moder stieg ihm in die Nase. Der einsetzende Wind ließ ihn frösteln. An Camoros Stelle befand sich nun der kaum von der Dunkelheit zu unterscheidender Umriss einer Gestalt mit leuchtend grünen Augen und schneckenförmig gebogenen Hörnern.

    »Wie hast du das gemacht?«, fragte Kralle und sah sich um. Er konnte keine Menschen entdecken und erfühlen, nur das Rauschen des Windes durchbrach die Stille der Nacht.

    »Wie hast du mich gerettet? Du hast mich irgendwie wieder in die Schattenwelt gezogen.«

    Camoro schüttelte seinen riesenhaften Kopf. »Ich weiß es nicht.« Seine Stimme klang unwirklich. Tiefer als eben und verzerrt, als spräche er durch ein langes Rohr, und am anderen Ende hörte man nur das Echo. »Ich habe nicht darüber nachgedacht.«

    Es kam Kralle plötzlich so seltsam vor, mit dieser Kreatur zu sprechen, wenn doch jemand ganz anderes dahintersteckte.

    »Kannst du … denn überhaupt denken?«

    »Das ist alles, was ich kann. Was bin ich denn sonst, außer ein Bewusstsein ohne Körper? Ich bin nichts als ein Geist.«

    Kralle ließ sich auf den Hintern fallen. Natürlich, er musste sofort von hier verschwinden, aber im Moment konnte er nur hier sitzen. Sein ganzer Körper zitterte, sein Herz klopfte immer noch wie wild. Was war da gerade passiert? Befand er sich wirklich im Neuen Reich?

    Nach einer Weile wurde er ruhiger. Er stand auf und ging Richtung Osten weiter. Camoros Schatten entdeckte er nirgendwo. Einerseits wollte Kralle ihm so viele Fragen stellen, andererseits fühlte er sich so unendlich erschöpft und konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen.

    Nach einer Weile lichtete sich der Wald. Er stapfte über sumpfige Wiesen weiter. Zu seiner Rechten plätscherte der Ostweststrom gemächlich dahin. Am Himmel leuchteten die Sterne, und der Mond warf ein glitzerndes Lichtspiel auf die Wellen des Wassers. Um ihn herum zirpten Grillen. Frösche quakten am Ufer des Flusses. Er bekam nasse Füße. Es hätte ihn nicht gekümmert, wäre diese Nacht nicht so bitterkalt gewesen. Fest wickelte er den Umhang um seinen Körper und schlang die Arme um seine Brust. Zitternd marschierte er weiter über den matschigen Boden. Niemand folgte ihm.

    Als die Sonne aufging, erblickte er in der Ferne eine kleine Ansammlung von Hütten. Er konnte kaum noch seine Augen offenhalten und sein Magen knurrte seit Stunden. Schon im Geeinten Königreich sahen Menschen Argols nicht gern in ihren Siedlungen, aber immerhin verscheuchten sie sie dort nur, jedenfalls meistens. Und hier? Würden sie gleich versuchen, ihn zu töten, wenn sie ihn sahen?

    Auf einer Anhöhe setzte er sich ins feuchte Gras und beobachtete das Treiben. Es gab einen Anleger, ein verhältnismäßig großes Schiff ankerte dort. Dorfbewohner sowie Schiffsarbeiter wuselten hin und her und schleppten Kisten über die Planke in den Bauch des Schiffes.

    »Es ist wohl ein Fischerdorf.«

    Kralle fuhr herum. In der frühen Sonne erkannte er Camoros rauchige Gestalt kaum. Fast erschien er wie ein Teil des Morgennebels.

    »Sie verladen Fisch«, fuhr Camoro fort. »Das Schiff wird sicher nicht nach Westen fahren, dort gibt es nur die Grenze.«

    »Ich weiß.«

    »Wie willst du es machen?«

    Kralle schnaubte. »Bevor ich im falschen Moment wieder aus dieser Schattenwelt hinausrutsche, mache ich es lieber auf meine Art.« Er stand auf und wischte sich die feuchten Hände an der Hose ab. Langsam setzte er sich in Bewegung und zog sich die Kapuze über den Kopf, um seine verräterischen Argolaugen zu verstecken.

    Das Dorf besaß weder Schutzmauer noch Wachen. Alle Bewohner schienen auf den Straßen zu sein und einige warfen ihm neugierige Blicke zu, als er durch die Häuser hindurch zum Anleger schlenderte, aber heute war er nicht der einzige Fremde. Wenn sein Plan aufging, hielten die Dorfbewohner ihn für einen der Schiffsarbeiter. Und die wiederum hielten ihn für einen Dorfbewohner. Solange niemand fragte und ihm nicht allzu genau ins Gesicht sah, fiel er nicht weiter auf. Nur das Gewehr auf seinem Rücken, das sich vermutlich unter dem Umhang abzeichnete, passte nicht zu seiner Tarnung.

    Wie selbstverständlich wuchtete er eine Kiste hoch. Sie stank entsetzlich nach Fisch. Keiner hielt ihn davon ab, die Planke zu überqueren. Auf dem Schiff folgte er den anderen Menschen und reichte die Kiste einem Arbeiter, der auf einer hölzernen Treppe zum Frachtraum stand. Wortlos nahm dieser sie an und verstaute sie. Fünfmal lief Kralle hin und her. Bald keuchte und schwitzte er. Die Kisten waren schwer, vor allem für einen Ausgehungerten mit Schlafmangel. Außerdem musste er penibel darauf achten, seinen Kopf gesenkt zu halten, damit der Schatten seiner Kapuze auf seine Augen fiel.

    Als die letzte Kiste im Frachtraum stand und die Händler mit den Fischern das Geschäftliche regelten, wartete Kralle auf dem Schiff in der Nähe der Treppe. Die Stimmen wurden laut und hitzig, als sich zwei Männer über irgendetwas zu streiten schienen und einen Moment lang lag die Aufmerksamkeit aller Anwesenden bei den beiden. Schnell und lautlos stieg Kralle die Treppe hinab. Nur durch die Ritzen zwischen den Dielen und durch die geöffnete Luke fiel ein wenig Licht und zeichnete Linien auf den Boden. Der Geruch nach Fisch ließ ihn schwindeln. Er kletterte über einige Kisten und hockte sich in eine kleine dunkle Ecke an der Wand. Und wartete.

    Irgendwann polterte ein Arbeiter die Treppe hinunter und sah sich um. Kralle kauerte sich zusammen und rückte weiter in die Ecke. Der Mann stapfte wieder nach oben und schloss die Luke hinter sich. Rattern, Ruckeln und Dröhnen durchfuhren das Schiff. Kralle klammerte sich an die Kiste. Nach einer Weile gab er die Hoffnung auf, dass der ohrenbetäubende Lärm wieder aufhörte, und wagte sich aus seinem Versteck hinaus. Er öffnete eine der Kisten und verschlang vier gesalzene Fische. Leichte Übelkeit überkam ihn und das beständige Schwanken machte es nicht gerade besser. Langsam streckte er sich auf den blanken Dielen aus. Wehmütig berührte er Muschels rotes Halstuch. Ihr lachendes Gesicht erschien vor seinem inneren Auge. Und die seiner Freunde. Sand, Eyra, Ratte, Stock, Henry und die kleine Ivette. Er würde sie nie wieder sehen.

    2. Das gute Zeug aus dem Westen

    Adrale

    Jemand riss die Tür auf. Gleißendes Licht ergoss sich in den Wagon und offenbarte ausgezehrte, blasse Leiber, die sich auf den Boden kauerten. Die Geräusche schwerer Stiefel und Männergelächter durchbrachen die dröhnende, ratternde Stille des Zuges. Ihre Schatten erschienen im Lichtkegel. Sechs Soldaten in roten Uniformen traten in den dunklen Raum. Sie lachten über etwas und bewegten sich derb und schwerfällig.

    »Die sind betrunken«, wisperte Henry. »Versteck dich hinter mir.« Er rückte weiter in die Ecke neben der Tür.

    Unauffällig kroch Adrale hinter ihn. Fest klammerte sie sich an sein Hemd und betete zu Eiwe oder allen anderen Göttern, dass der Schatten sie verbergen möge, dass die Menschen wieder verschwinden würden. Sie presste ihre Stirn an Henrys angespannten Rücken und kniff die Augen zu.

    Abermals lachten die Männer. Die Gefangenen blieben stumm. Kleidung raschelte, Stiefel scharrten auf den Dielen. Einige amüsierte Sätze und unverständlich gemurmelte Worte ertönten. Gelegentlich das Husten des Argols, der schon seit Tagen krank war.

    Henrys ohnehin gespannten Muskeln verkrampften sich. Adrale klammerte sich fester in sein Hemd.

    »Wen versteckst du denn da?« Eine fremde Stimme.

    Henry antwortete nicht.

    »Ich meine dich da. Na, nun sieh mich doch mal an.«

    Langsam blickte Adrale auf. Vor ihnen stand ein hochgewachsener Mensch mit blonden, kurzgeschorenen Haaren und jugendlichen Zügen. Sie schätzte ihn auf Anfang zwanzig.

    Lächelnd schaute er zu ihnen herunter und hielt ihr eine Hand hin. »Warum stehst du nicht auf?«

    Adrale rührte sich nicht.

    »Hau ab!«, zischte Henry.

    Der Soldat hob die Augenbrauen und grinste. »Du kannst sie doch bestimmt für einen Augenblick entbehren. Keine Sorge, ihr passiert schon nichts.«

    Henry stand auf und baute sich zu seiner vollen Größe auf. Aber er reichte dem Menschen nur bis zur Nase und wirkte viel zu ausgehungert und geschwächt, um ernsthaft etwas gegen ihn ausrichten zu können. Er stieß ihm gegen die Brust, drückte ihn weg. »Ich hab gesagt, du sollst verschwinden!«

    Mit zusammengekniffenen Augen kam der Mann wieder näher und starrte zu ihm herunter.

    »Hau ab!« Krachend landete Henrys Faust im Gesicht des Soldaten.

    Keuchend taumelte dieser nach hinten. Wutentbrannt verzerrte sich seine Miene. Er holte aus. Und schlug zu. Henry strauchelte. Adrale sprang hoch und fing ihn auf, bevor er stürzte. Stöhnend stützte er sich an der Wand ab. Blut quoll aus seiner Lippe.

    Die Hand des Menschen huschte zu seinem Gürtel. Etwas blitzte auf – er packte Henry am Kragen und hielt ein Messer an seine Kehle.

    »Nein!«, rief Adrale.

    Henry schien die Klinge an seinem Hals kaum zu bemerken. Die scharfe Schneide hinterließ einen dünnen, roten Strich in seiner Haut. Ein Blutstropfen rann hinunter, färbte den Kragen seines Hemdes rot. Er zuckte nicht einmal zusammen.

    »Nein!«, rief Adrale wieder.

    Der Soldat hob den Kopf. Er drehte die Schneide ein Stück von Henrys Hals weg. Warum packte Henry das Messer nicht? War er zu benebelt von dem Schlag?

    Das Blitzen in den zusammengekniffenen Augen des Menschen verschwand. Seine Mundwinkel hoben sich. »Ach, Kleine, er war doch sehr dumm, meinst du nicht auch?«

    Adrale wagte nicht zu atmen.

    Ruckartig hob Henry die Arme und packte das Handgelenk des Mannes. Dieser entwand sich seinem Griff in einer schnellen Bewegung. Seine Faust schmettere gegen Henrys Wange. Haltlos kippte er rückwärts, krachte polternd auf die Dielen und blieb keuchend liegen.

    Der Soldat seufzte und steckte sein Messer weg. Er schaute zu Adrale. »Mach dir keine Sorgen. Ich tu ihm nicht noch mehr, wenn du nicht willst.«

    Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Versuchte, die Tränen in ihren Augen wegzublinzeln. Trotzdem liefen sie ihr Gesicht hinunter. Lächelnd kam der Mensch näher. Adrale wich zurück, aber die Wand hielt sie auf.

    Er hob eine Hand und wischte mit seinem schwieligen Daumen die Träne von ihrer Wange.

    »Das ist ja furchtbar. Hast du etwa so eine Angst?« Er seufzte. »Vor mir musst du doch keine Angst haben. Ich tu dir nichts.«

    Sie schob seine Hand weg und sah zu Henry hinunter. Mit geweiteten Augen erwiderte er ihren Blick, offenbar unfähig, aufzustehen.

    Der Mann kam noch näher und legte einen Arm um ihre Schultern. Adrale verkrampfte sich. Der scharfe Geruch von Schnaps drang an ihre Nase. Sie hielt den Atem an.

    »Na komm, ich zeig dir mal einen hübscheren Ort als diesen.« Langsam schob er sie vorwärts, hinein in das Licht, zu der Tür. »Da, wo wir hinfahren, wird gar nichts mehr hübsch sein, also sei froh, dass du mich hast. Das wird lustig.«

    Adrale setzte einen Fuß vor den anderen und blinzelte die Tränen weg. Sie drehte sich zu Henry um. Er stand auf, eine Hand an der Wand, die andere nach ihr ausgestreckt. Kraftlos ließ er sie wieder sinken.

    Die restlichen Soldaten waren nicht mehr hier und auch einige andere Mädchen fehlten. Die Gefangenen starrten Adrale aus den Augenwinkeln an. Sie richtete ihren Blick auf ihre Füße. Das Licht blendete sie.

    Der Mensch schob sie durch die Tür und zückte einen Schlüssel. Donnernd fiel die schwere Tür des Gefängnisses zu. Er schloss ab.

    Hektisch sah Adrale sich um. Auch hier sah sie kein Tageslicht. Wie spät es wohl war? Wie lange fuhren sie schon? Tage, Wochen? Das Licht stammte von einer Öllampe über ihnen. Sie schwankte hin und her und warf sich bewegende Schatten auf bis zur Decke gestapelte Kisten und Körbe auf beiden Seiten des Wagons. Nur in der Mitte gab es einen schmalen Durchgang. Unter ihr dröhnten die Räder auf den Gleisen. Das beständige Rattern hörte sie kaum noch.

    Hände legten sich auf ihre Schultern. Sie zuckte zusammen. Langsam schob der Soldat sie durch die Kisten hindurch. Sträubend stemmte sie die Hacken in den Boden, aber er drückte sie unbarmherzig weiter. Auf der anderen Seite des Wagons gab es eine Tür aus demselben schweren Eisen wie die Gefängnistür.

    »Mach sie auf.«

    Zögernd umfasste sie die kühle Klinge und drückte, aber sie gab nicht nach. Mit ihrem vollen Gewicht lehnte sie sich gegen das Eisen. Die Tür schwang auf. Adrale stolperte nach vorn, der Mensch packte ihre Schultern fester.

    »Pass auf.« Er lachte auf.

    Eiskalte Luft schlug ihr entgegen. Tiefste Dunkelheit. Links und rechts rasten undeutliche Schemen vorbei. Vor ihnen befand sich ein eiserner Steg mit beidseitigem Geländer, dahinter ragte der nächste Wagon auf.

    Der Soldat schob sie hinaus. Der Fahrtwind verwirbelte ihre Haare. Sofort kroch die Kälte durch ihren Mantel. In der Mitte blieb sie stehen und spähte über das Geländer. Sie konnte einfach springen …

    »Lass es«, sagte der Mann, als habe er ihre Gedanken gelesen und packte ihre Hand so fest, dass sie sich ohnehin nicht losreißen konnte.

    »Du wirst dir alle Knochen brechen. Was glaubst du, wie viele das schon versucht haben? Auch Kameraden. Ich kenne einen, der danach wochenlang im Lazarett gelegen hat. Und selbst wenn du dich irgendwie geschickter anstellen solltest – du würdest hier draußen sterben. Hier ist nichts außer verdammter Kälte. Du willst doch nicht sterben? Dann denk einfach nicht daran.«

    Adrale öffnete die Tür zum nächsten Wagon. Warme, schwüle Luft und gelbes Licht. Hinter ihnen schlug der Soldat die Tür zu. Schmale Stockbetten standen an beiden Wänden und es saßen Menschen darauf – Männer in roten Uniformen. Keiner schien älter als fünfundzwanzig zu sein. Einer von ihnen saß auf einem der oberen Betten und zupfte die Saiten einer Gitarre und sang eine schräge Melodie. Das Gelächter und Gegröle der anderen übertönten ihn beinahe. Die meisten hielten Gläser mit einer hellen, bernsteinfarbenen Flüssigkeit in den Händen.

    Adrale entdeckte drei der Mädchen aus ihrem Gefängnis. Sie saßen zwischen den Menschen auf den Betten und tranken dasselbe, vermutlich irgendeinen Schnaps. Eines von ihnen, ein Mensch, zog die Schultern hoch und starrte mit kalkweißem Gesicht auf ihre angezogenen Knie. In einem Zug schüttete sie den Inhalt des Glases herunter. Lachend schenkte ihr ein Mann nach.

    Eine Argola mit dunklen, krausen Locken saß im Schneidersitz zwischen zwei Männern und fuchtelte wild mit den Händen, während sie etwas sagte, das Adrale nicht verstand. Die Soldaten um sie herum schienen ihr aufmerksam zu folgen und lachten laut auf. Manchmal unterbrach die Argola ihren Redefluss, um einen Schluck aus ihrem Glas zu trinken. Ungerührt saß sie da, als seien das hier ihre Freunde, als sei sie auf irgendeiner ausgelassenen Feier.

    Der Soldat hinter ihr stupste sie an. Grinsend ließ er sich auf eines der unteren Betten fallen. Auffordernd klopfte er neben sich auf die Matratze.

    Adrale blieb stehen und sah zur Tür. Ob sie es dorthin schaffte? Vielleicht gelang ihr der Sprung aus dem Zug ohne schwere Verletzungen?

    Der Mann richtete sich wieder auf und schnappte sich eines ihrer Handgelenke. »Na komm schon.«

    Adrale stolperte nach vorn und landete neben ihm auf der Matratze. Kerzengerade setzte sie sich hin, stellte die Füße auf den Boden und kniff die Knie zusammen.

    »Hast du auch einen Namen, Hübsche?«

    Sie starrte geradeaus und heftete ihren Blick auf diese Argola, die ihre Schuhe auszog. Der Soldat legte eine Hand auf ihre Schulter. Sie hielt den Atem an.

    »Lass uns doch einfach ein bisschen Spaß haben, ja? Was ist daran so schlimm? Du solltest dich besser freuen!«

    Rückwärts krabbelte sie von ihm weg. Hinter dem Kopfkissen des Bettes hielt sie ein Brett auf. Zitternd blieb sie sitzen und zog die Knie an. Mit ihren Händen krallte sie sich in ihre Oberschenkel und zog ihre Beine dicht an ihren Körper.

    Der Mann seufzte. »Ach, ich glaube, du brauchst einfach ein bisschen was zum Entspannen.« Zwinkernd kramte er in der Brusttasche seiner Uniform und holte eine kleine Metallschachtel hervor. Er öffnete sie und zog einen länglichen, in gelblichem Papier eingewickelten Stängel heraus. Es schien eine Art Zigarette zu sein. Er kam näher und hielt sie dicht vor Adrales Gesicht. Sie presste die Lippen zusammen und drehte ihren Kopf weg.

    Aber … vielleicht hatte er ja recht. Vielleicht konnte ihr im Augenblick wirklich nichts Besseres passieren. Ein kleines Stück öffnete sie ihren Mund. Der Soldat klemmte die Zigarette zwischen ihre Lippen, zog eine Streichholzschachtel heraus, entzündete eines und steckte sie an. Scharfer Qualm stach in Adrales Nase. Sie inhalierte den Rauch, so tief sie konnte. Er kratzte in ihrem Hals. Husten überkam sie. Und Schwindel. Die Welt drehte sich erst langsam, dann immer schneller. Ihre Arme fielen schlaff hinunter, ihre Muskeln lockerten sich. Sie legte den Kopf in den Nacken, schloss die Augen, atmete aus und streckte ihre Beine aus. Die Geräusche um sie herum klangen gedämpfter.

    Langsam sah sie auf. Ein Schleier lag über allem, der die Konturen verschwimmen ließ und die Farben deutlicher hervorzuheben schien. Sie nahm die Zigarette aus ihrem Mund und betrachtete sie, aber sie verschwamm immer wieder vor ihren Augen.

    »Was ist das denn?«, murmelte sie.

    Der Mann lachte. »Na, siehst du. Viel besser, nicht wahr?« Er nahm ihr die Zigarette weg und zog selbst daran. Qualm entwich seinem Mund und seinen Nasenlöchern. Halb schloss er die Augen. Seine Gesichtszüge erschlafften. »Was das ist? Gutes Zeug aus dem Westen!«

    »Oh.« Sie setzte sich etwas bequemer hin. Nur undeutlich erkannte sie, wie der Mann näher rutschte.

    »Verrätst du mir jetzt deinen Namen?«

    »A… äh …« Irgendetwas in ihrem Kopf pochte mit überraschender Eindringlichkeit gegen die Innenseite ihres Schädels und brüllte: »Nein! Sag es nicht!«

    »Warte mal. Äh, …« Was tat sie hier noch gleich? Wo war sie überhaupt? Sie rieb sich über den Kopf. Ihre Finger kribbelten. Dieser Kerl sah sie immer noch an. Blinzelnd ließ sie ihre Hand sinken. Es fiel ihr immer schwerer, die Augen offenzuhalten. In seinem Blick lag eine Frage. Hatte er sie etwas gefragt?

    Ach ja, richtig.

    »Ich heiße …« Sie fummelte an den Ärmeln ihres Mantels herum. Das hier war doch ganz falsch. Sie sollte gar nicht hier sein. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht mit den ganzen Männern in diesem seltsamen, rumpelnden Zimmer.

    Eine Eisenbahn. Adrale, konzentriere dich! Du bist in einer verdammten Eisenbahn und sprichst gerade mit einem Soldaten, der dich wahrscheinlich töten wird, wenn du nicht machst, was er will!

    Das Licht erschien so seltsam grell. Das Gemurmel und Gelächter dieser ganzen Leute klangen wie das Plätschern von Wasser. Sie versuchte Sätze und Wörter aus dem Lärm herauszuhören, doch es gelang ihr nicht.

    »Youlah«, stieß sie aus. »Mein Name ist Youlah.«

    Lächelnd nickte der Mann. »Wie schön. Mein Name ist Havo.«

    Angenehme Wärme durchfloss ihren Körper. Sie wehrte sich nicht länger gegen die Schwäche, die ihre Glieder so schwer werden ließ und schloss die Augen.

    »Hast du etwa noch nie geraucht, Youlah?«

    Sie schüttelte den Kopf und spürte, wie sich ihr Mund zu einem Grinsen verzog.

    »Na, dann ist deine Reaktion ja kein Wunder!« Havos Stimme klang weit weg. »He, Youlah, schläfst du etwa ein?«

    »Ich …« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

    Leise lachte er. »Wir wollen feiern, nicht schlafen!«

    Doch der herannahende Traum ließ sich nicht mehr aufhalten.

    Prinz Rhagon stand in der Gruft unter dem Schloss und starrte auf das steinerne Grab seines älteren Bruders. Nikan war nur siebzehn Jahre alt geworden. Verstohlen wischte er sich eine Träne aus den Augen, aber seinen Vater ärgerte es sicher nicht, dass er weinte. König Odon Revell weinte selbst. Verdammte Tollwut. Nikan hatte das Jagen geliebt. Und dann hatte ihn ein angeschossener Katzenfuchs in seinem Todeskampf gebissen.

    »Warum er?«, murmelte Rhagon.

    »Vielleicht ist das meine Strafe«, flüsterte sein Vater so leise, dass Rhagon ihn kaum verstand. »Vielleicht ist das Eiwes Strafe.«

    Rhagon kannte seinen Vater nur als starken, standhaften Mann. Ihn so gebrochen zu sehen, schmerzte fast noch mehr als Nikans Name auf der Grabplatte.

    König Odon straffte die Schultern und wischte sich über das Gesicht. »Aber wir können die Zeit nicht zurückdrehen.«

    »Nein …«, antwortete Rhagon. Er hatte Nikan immer gern gemocht, trotz der seltenen Besuche. Und jetzt? Jetzt gab es ihn nicht mehr. Er kam nie wieder zurück. Wäre Rhagon doch nur öfters hier gewesen. Hätte er Nikan nur vom Jagen abgehalten …

    »Ich wollte eigentlich nicht heute mit dir reden, aber …«, fing sein Vater an. Rhagon verkrampfte sich.

    »… wir müssen kein Geheimnis daraus machen, nicht wahr?«

    »Ich weiß schon. Ich bin jetzt dein Erbe.«

    »Ja. Ich brauche dich jetzt hier. Es wird Zeit für dich, nach Hause zu kommen. Dauerhaft.«

    »Aber was ist mit Mirella? Kommt sie dann auch her?« Sein trotziger Tonfall klang wie der eines Kindes. Es kümmerte ihn nicht.

    Sein Vater zögerte. »Du bist doch hier und sie ist noch dort und es geht dir gut. Ich glaube nicht, dass sie sich hier wohlfühlen würde. Es ist besser, wenn sie in Grüntal bleibt. Du kannst sie besuchen.«

    Rhagon wusste, dass sein Vater versuchte, ihn zu verstehen und ihn zu akzeptieren. Aber Mirella war ihm schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Früher nicht so sehr wie heute. Früher hatte er die Beziehung seines Sohnes zu Mirella als Freundschaft unter Kindern abgetan, doch jetzt war Rhagon schon sechzehn und Mirella stand mit ihren vierzehn Jahren ebenfalls an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Dabei erklärte Rhagon seinem Vater so oft, dass er sie zwar liebte, aber nicht in sie verliebt war.

    »Das geht nicht«, rief er. »Sie ist mein Skymmon! Sie muss herkommen oder ich gehe wieder zurück. Ich werde nicht getrennt von ihr leben.«

    Mit zusammengezogenen Augenbrauen schüttelte König Odon den Kopf. »Du würdest sie unglücklich machen. Was glaubst du wohl, wie sie sich hier fühlen wird? Zwischen all den Menschen, von denen längst nicht alle Argols so friedlich gesinnt sind wie wir? Sie wird immer ein Außenseiter sein und es wäre egoistisch von dir, wenn sie deinetwegen so ein Leben führen müsste.«

    »Es müsste ja keiner wissen, dass sie hier ist …«

    »Das wäre noch viel schlimmer. Du würdest sie einsperren! Nein, das kann ich nicht erlauben!«

    »Aber ich kann sie da nicht allein lassen! Sie macht nämlich immer so viel Unsinn und …« Er brach ab. Auf der Stirn des Königs bildeten sich kleine Falten, wie es immer geschah, wenn er ungeduldig wurde.

    »Vater«, flehte Rhagon. »Ich weiß, was du von mir verlangst, aber ich kann das nicht! Nikan war viel besser in all dem und von Politik habe ich keine Ahnung. Ich kann mir nicht mal die Namen aller Fürsten Andvels merken. Ich muss zurück, ich kann hier nicht bleiben.«

    »Du bleibst hier!« König Odons Hand schnellte hervor. Er packte Rhagon am Oberarm. »Du musst dich jetzt zusammenreißen! Das müssen wir alle. Jetzt bist du erwachsen und wirst Verantwortung übernehmen. Ich erlaube dir, deine Freundin regelmäßig zu besuchen, aber mehr werde ich dir nicht anbieten.« Seine Gesichtszüge glätteten sich und er lockerte seinen Griff. »Mach dir keine Sorgen, mein Sohn. Es wird alles wieder gut. Du wirst viel Zeit zum Lernen haben. Du hast mich und deine Mutter und deine Schwester. Wir sind für dich da und unterstützen dich, wo wir können.«

    Langsam streifte Rhagon die Hand seines Vaters ab und erwiderte seinen Blick. »Ja, aber Mirella habe ich jetzt nicht mehr.«

    In seinem Zimmer, das sich nicht anfühlte wie seines, setzte er sich an einen Sekretär und zog Papier und Füllhalter hervor. Er schrieb:

    Liebe Mirella,

    mein Vater sagt, dass ich hierbleiben muss. Ich muss jetzt lernen, wie man Politik macht und mit alten, langweiligen Männern redet. »König Rhagon Revell« – so könnte ich irgendwann mal genannt werden. Klingt das in deinen Ohren nicht auch völlig falsch?

    Ich komme erst mal nicht zurück. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt wieder zurückkomme. So wie es jetzt aussieht, wirst du eines Tages viel besser mit den Geistern flüstern können als ich, denn ich mache jetzt nur noch ödes Zeug, während du all das lernst, was Spaß macht.

    Ich komme dich besuchen, sobald ich kann.

    Ich vermisse dich schon.

    Dein Rhagon

    Sorgfältig faltete er den Brief zusammen und steckte ihn in einen Umschlag. Er warf sich auf das viel zu große Bett und starrte gegen die Decke. Nie wieder würde er gut schlafen können. Ein unsichtbares Seil schien um seine Brust geknotet, das an ihm zerrte. Daran würde er sich gewöhnen müssen, wenn Mirella jetzt nicht mehr in seiner Nähe lebte.

    Adrale blinzelte und schloss die Augen wieder. Das Licht blendete sie. Warum war überhaupt mitten in der Nacht so grelles Licht an? Leises Gemurmel und die Töne einer Gitarre drangen an ihr Ohr.

    »He du.« Eine Frauenstimme. Adrales Lider fühlten sich bleischwer an, es erschien ihr zu anstrengend, ihre Augen zu öffnen.

    Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, die sie sachte rüttelte. »Bist du … äh, tot oder so? Nun wach schon auf.«

    Widerwillig sah Adrale auf und blickte in das Gesicht einer Argola mit honigfarbenen Augen. Die Mundwinkel der jungen Frau hoben sich. Ihr krausen, schwarzen Haare standen in alle Richtungen ab.

    »Da bist du ja wieder.«

    Dieser Havo saß dicht vor Adrale auf der Bettkante, den Rücken ihr zugewandt. Das stetige Rattern des Zuges brachte sie allmählich zurück in die Wirklichkeit.

    »Du hast wohl vorher noch nie was geraucht?«, fragte die Argola grinsend. »Hast es wohl etwas übertrieben. Du warst ziemlich weggetreten.«

    Adrale richtete sich auf. Eine Stoffdecke rutschte von ihren Schultern. Waren das hier nicht ihre Feinde? Warum hatten die sie dann zugedeckt?

    »Wie geht es dir?«, fragte die Argola.

    Langsam schaute Adrale sich um. Die anderen Mädchen entdeckte sie nirgendwo. Einige Soldaten schliefen schon, aber der Mann mit der Gitarre spielte immer noch. Die junge Frau vor ihr trug keine Schuhe. Die Knöpfe ihres Kleides schienen etwas zu weit geöffnet. Havo hielt ein Glas mit Schnaps in der Hand und redete laut mit einem seiner Kameraden auf dem gegenüberliegenden Bett.

    »He! Geht es dir gut?«, fragte die Frau abermals.

    »Ich … weiß nicht genau. Was ist passiert?« Ihr Kopf brummte und ihre Glieder kribbelten. Träumte sie all das nur?

    »Wir sind wirklich schon lange hier! Und du weißt nichts mehr? Du hast einfach die ganze Zeit geschlafen?« Die Argola lachte auf.

    Havo unterbrach sein Gespräch und drehte sich zu ihnen um. »He Hübsche. Ausgeschlafen?« Von hinten umfasste er ihren Bauch und legte seinen Kopf auf ihre Schulter. Ihr fiel das Atmen schwer. All ihre Muskeln verkrampften sich.

    »Nein«, murmelte sie wahrheitsgemäß.

    Die Frau rümpfte die Nase. »So, wie du gerade geschlafen hast, hast du vermutlich von uns allen die beste Nacht seit langem gehabt.«

    Leise lachte Havo. »Sie hat einen sehr tiefen Schlaf. Ich glaube, sie kriegt das Zeug nicht mehr. Das haut sie völlig um.«

    »Ich habe etwas Seltsames geträumt. Ich habe geträumt, dass …« Sie stockte. Sie hatte die Erinnerungen eines anderen Menschen geträumt. Die Erinnerungen von König Rhagon Revell. Irgendetwas stimmte hier nicht. »Ähm, hab ich vergessen.«

    »Du kannst ja ruhig weiterschlafen«, brummte Havo und klopfte auf die Matratze.

    »Ich bin auch ganz müde geworden«, rief die Argola, bevor Adrale antworten konnte. »Ich möchte jetzt auch schlafen.«

    »Tu das doch«, antwortete Havo und umschlang Adrale fester. Sie bewegte sich nicht.

    Atmen! Ganz ruhig. Ist doch alles gar nicht schlimm. Atme einfach ein und aus. Ein, aus, ein, aus …

    Lächelnd schüttelte die Frau den Kopf. »Ich bevorzuge meinesgleichen. Hier ist mir noch zu viel Trubel. Wäre das möglich?« Kokett blinzelte sie.

    »Wie du willst.« Endlich ließ Havo Adrale los und sah sie an. »Und du?«

    »Sie kommt mit mir«, antwortete die Frau sofort.

    Wieder zuckte er mit den Schultern und hob die Arme. »Tja, ihr habt die Wahl. Richtige Betten oder schmutzigen Fußboden? Wirklich, bleibt ruhig hier.«

    »Schmutzigen Fußboden bitte«, entgegnete die Frau. »Wir sind Argols, schon vergessen? Wir mögen den Dreck.«

    Grinsend stand er auf. »Na gut.«

    Eilig erhob Adrale sich, wobei sie ein leichter Schwindel ergriff, und folgte den beiden aus dem Schlafraum. Der kalte Wind auf dem Steg klärte ihre Gedanken etwas.

    Vor der Tür zu ihrem Gefängnis blieb die Frau stehen und sah den Soldaten an. »Aber vielleicht … können wir euch ja noch einmal besuchen.«

    Lächelnd nickte er. »Vielleicht schon, ja. Wir sind noch eine Weile unterwegs und haben noch eine Menge Schnaps.«

    »Hast du dieses andere Mädchen gesehen?«, raunte die Argola.

    Die meisten Gefangenen schliefen oder taten zumindest so. Henry lag zusammengekauert in einer Ecke, sein Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig.

    »Welches denn?«

    »Na, die blonde Argola. Sie ist in den anderen Wagon gebracht worden und noch nicht wieder hier. Meinst du, sie ist noch bei denen?«

    Adrale zuckte nur mit den Schultern.

    »Kannst du dich wirklich nicht erinnern, was passiert ist?« Die Frau legte den Kopf schief.

    »Nein … ähm … ist denn … irgendwas passiert?«

    »Nein. Mach dir keine Sorgen. Es ist alles gut.« Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen.

    Tief atmete Adrale ein. »Aber … was ist überhaupt gerade passiert? Warum haben sie uns nicht getötet? Ich dachte, diese Männer wären unsere Feinde.«

    Die Argola winkte ab. »Diese Jungs wollten einfach ihren Spaß haben, die wollen uns nicht töten.«

    Adrale nickte, ohne recht zu verstehen.

    »Ich glaube nicht, dass sie schlechte Kerle sind. Wirklich nicht«, fuhr die Argola fort. »Ich schätze, mindestens die Hälfte von ihnen will genauso wenig hier sein wie wir. Sie wurden eingezogen. Sie müssen eben ihren Wehrdienst ableisten. Ich weiß nicht, was für Erfahrungen du bisher mit Menschen gemacht hast, aber ich glaube, sie unterscheiden sich gar nicht so sehr von uns. Natürlich, es gibt viele Bastarde und Schweine unter ihnen. Aber nicht alle sind so. Die hier haben doch alle Schiss. Hast du es nicht gespürt? Die fühlen sich alle nicht besser an als wir.« Sie wies auf die schlafenden Gefangenen. »Diese Menschen zittern alle vor Angst. Es ist ja auch nicht gerade lustig, im Krieg an vorderster Front zu stehen. Also wollen sie sich ein bisschen auf andere Gedanken bringen. Ein bisschen Freude haben. Mit uns. Weißt du, was das bedeutet?« Sie riss die Augen auf.

    Adrale schüttelte den Kopf. Sie wollte nur schlafen, diese Frau redete viel zu viel.

    »Na, das bedeutet, dass wir dafür sorgen können, dass sie uns mögen.«

    »Sie können uns nicht wirklich mögen. Sie sind unsere Feinde! Und … sie töten Argols.« Adrale konnte und wollte sich einfach nicht daran gewöhnen, dass sie seit dieser Veränderung ihrer Augen ebenfalls als argolisch wahrgenommen wurde.

    »Ach was, hast du mir nicht zugehört? Die meisten, ja. Die meisten sind Schweine. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass diese Männer uns töten wollen.« Sie hob die Augenbrauen. »Du verstehst mich immer noch nicht! Du willst doch nicht in die Minen, oder? Wenn du da erst einmal bist, dann wirst du da auch sterben und es wird ein grauenhafter, schmerzhafter Tod sein. Du wirst bis zum Umfallen arbeiten müssen und bekommst nicht genug zu essen und zu trinken und an Schlaf ist sowieso nicht zu denken – und wenn Sklaven vor Erschöpfung verreckten, dann entsorgen die Menschen sie einfach, verfüttern sie an ihre Tiere oder so, und holen sich neue. Ich will da jedenfalls nicht hin!«

    Heftig schüttelte Adrale den Kopf. »Natürlich nicht!«

    »Na also. Dann sorg dafür, dass es nicht so weit kommt. Wir beide, wir haben eine Chance. Wir können hier rauskommen, wenn wir es richtig anstellen. Mach, dass Havo dich mag! Er scheint dich ja schon zu mögen. Und er scheint anständig zu sein. Er kann dich hier rausholen. Er wird dich nicht in die Minen schicken, wenn du ihm etwas bedeutest.«

    »Aber das sind unsere Feinde, die können uns nicht mögen.«

    »Das sind Männer! Und«, die Argola taxierte sie von oben bis unten. Ein spitzes Lächeln zuckte über ihre Lippen, »hübsch genug bist du allemal.«

    Adrale sah zu Henry herüber. »Was ist mit ihm?«

    »Ist das dein Liebster?«

    »Was? Nein!«

    »Dann vergiss ihn. Er wird in die Minen gehen. Finde dich damit ab.«

    Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Sie sehnte sich nach mehr von diesem Rauch, der ihre Gedanken derartig benebelte, dass sie nichts mehr sorgte.

    Die Argola streckte Adrale ihre Hand hin. »Ich bin übrigens Maja.«

    »Youlah.« Sie schlug ein und schlurfte zwischen den schlafenden Gefangenen hindurch. Neben Henry setze sie sich hin und lehnte sich gegen die Wand. Er zuckte zusammen und starrte sie mit aufgerissenen Augen an. »Geht es dir gut?«

    »Alles in Ordnung. Schlaf weiter, Henry.« Leise fügte sie hinzu: »Wir kommen hier schon raus!«

    In der Dunkelheit tastete sie auf dem Boden herum. Ihre Finger erfühlten weichen Stoff. Sie legte sich auf die harten Holzdielen, schloss die Augen und drückte die selbstgemachte Puppe ihrer Schwester Geraja gegen ihre Brust.

    3. Eine kleine Sensation

    Donnie

    So ein widerlich schöner Abend. Die tiefstehende Sonne färbte sich orange und tauchte die wenigen Wolken am Himmel in rosafarbene und gelbe Töne. Donnie stand auf einer Anhöhe, von der er weit über die Landschaft blicken konnte. Unter ihm schmiegte sich ein kleines Dorf an den Fuß einer Hügelkette, umgeben von Wiesen mit hellgrünem Gras und weißen Blumen. Auf den Hängen dahinter wuchsen die gleichen Nadelbäume wie die, die ihn umgaben. Er schloss die Augen und lauschte dem Summen der Insekten und dem leiser werdenden Zwitschern der Vögel. Die Luft roch nach Baumharz und trockenem Gras.

    Der Abend war schön … aber etwas fehlte noch. Kurzerhand öffnete er den blauen Beutel und fischte eine rote, verschrumpelte Beere heraus. Nur eine. Er wollte keinen Vollrausch, sondern sich ganz auf die Idylle des Abends einlassen. Und er musste sparsam sein. Er schluckte sie herunter und blinzelte in den Himmel. Warmer Wind strich über sein Gesicht und wehte seine vorderen Haarsträhnen nach hinten. Es kam ihm so einfach vor, sich der Illusion hinzugeben, es wäre nichts passiert. Einfach alles Geschehende vergessen und nur diesen Wind genießen. Aber er hatte den König umgebracht. Jetzt war er der meistgesuchte Mann im ganzen Königreich. Es dauerte sicher nicht mehr lang, bis sie ihn fanden.

    Langsam öffnete er die Augen. Die letzten Sonnenstrahlen blitzten hinter den Baumkronen. Er wandte sich ab und kletterte den Felsen hinunter. In dessen Schatten warteten seine Weggefährten. Arlung, Skorbin und Ally beugten sich über einen kleinen Haufen Münzen, der zwischen ihnen im Gras lag. Der Packesel kaute auf ein paar Grasstängeln herum und scharrte gelegentlich in der Erde.

    Nachdenklich rieb sich Arlung das bartlose Kinn. Ebenso wie Argols sprossen männlichen Yllecks keine Haare im Gesicht, dafür aber verdickte Strähnen aus dem Kopf, ähnlich wie die Stacheln eines Igels, nur weicher und länger. Donnie wuchsen auch kaum Haare am Kinn. Im Gegensatz zu seinem Bruder hatte sein Bartwuchs erst mit achtzehn eingesetzt und mehr als mickrige Stoppeln schienen ihm immer noch nicht vergönnt. Vermutlich änderte sich das auch nicht mehr. Einen tarnenden Vollbart konnte er also vergessen.

    Dennoch wirkte Arlung regelrecht hoheitsvoll mit seiner großen, schlanken Statur und dem samtigen, tiefblauen Mantel mit silbernen Knöpfen. Neben ihm hockte sein Gefährte Skorbin, dessen äußere Erscheinung Donnie immer noch irritierte. Detris waren die hässlichsten Geschöpfe Sekanderts. Ihre Hässlichkeit übertraf selbst die von Wildschweinen. Sein Schädel wirkte überdimensional groß und sein kleiner Körper schien zusammengestaucht und in die Breite gewachsen, als hätte ihm jemand mit einem Hammer fest auf den Kopf geschlagen. Nie zuvor hatte Donnie solche kräftigen Waden gesehen. Skorbins rotblonden Kopfhaare und Koteletten wucherten in alle Richtungen und sein mit Goldfäden bestickter, dunkelblauer Rock mit den zu langen, umgekrempelten Ärmeln wirkte an seinem Körper völlig fehl am Platz. Er betrachtete die Münzen.

    »Verdammt. Das reicht nicht.«

    Arlung nickte langsam. »Ich hatte auch gedacht, dass du noch mehr hättest. Sonst hätte ich das Zelt nicht gekauft.«

    »Das Zelt«, brummte Ally, »wäre sowieso nicht nötig gewesen. Wir gehen doch in den Westen. Da scheint immer die Sonne. Jedenfalls war das früher immer so, als ich mit Othar und Rela da war.« Sie strich sich eine der verknoteten, dunkelbraunen Locken aus dem Gesicht und kratzte an ihrer Nase. Ihr viel zu großes, dunkelgrünes Hemd flatterte um ihre schmale Gestalt herum wie das Segel eines gekaperten Schiffes. Sie sah aus, als sei sie aus Dreck und Erde auferstanden. Ihre Bewegungen wirkten tölpelhaft. Hätte Donnie nicht gewusst, wozu sie fähig sein konnte, hätte er sie für einen ungeschickten Waldtroll und nicht für eine Argola gehalten.

    Vorsichtig strich er über die Wunde in seinem Bauch, die von ihrem Messer stammte. Bisher hatte sie nicht wieder geblutet, Emmas guter Näharbeit sei Dank. In ein paar Tagen konnte er die Fäden entfernen. Aber der Schnitt tat immer noch verdammt weh. Er hockte sich auf den Boden und betrachtete die Münzen. Ein Gayon und fünf Frences. Kümmerlich.

    »Noch sind wir aber nicht im Westen«, gab Skorbin spitz zurück, »und bisher war es im Zelt doch wesentlich angenehmer zu schlafen als draußen in der Schweinekälte. Nicht wahr, Donnie?«

    Dieser hob eine Augenbraue. »Ich bevorzuge einfach frische Luft. Hab keine Lust, in deinem Schweißgeruch zu schlafen, Skorbin.« In besagtes Zelt passten niemals vier Leute, also hatten Skorbin und Arlung beschlossen, dass der Reihe nach jeweils einer die Nacht im Freien verbrachte.

    »Es ist sowieso sicherer, wenn einer Wache hält«, hatte Arlung gesagt. »Schließlich werden wir verfolgt.« Von diesen angeblichen Zaubererjägern, von denen Donnie bisher weder etwas sah noch hörte. Und von den Männern des Königs. Seinem Bruder. Die erschienen ihm als viel größere Gefahr.

    Die bisherigen drei Nächte ihrer gemeinsamen Reise hatte Donnie sich freiwillig für die Wache gemeldet. Zwar sank er gelegentlich minutenlang, manchmal stundenlang in den Schlaf, aber die meiste Zeit saß er mit gespannten Gliedern am Feuer, eine Hand am Griff seines Säbels. Doch bisher blieb alles ruhig.

    Skorbin öffnete den Mund, aber Ally kam ihm zuvor. »Donnie lügt, das spüre ich. Er hat fast gar nicht geschlafen in den letzten Nächten. Nicht wahr?« Sie reckte das Kinn und musterte ihn über die Nasenspitze. »Sieh dich doch mal an. Du hast die schwärzesten Augenringe, die ich jemals gesehen habe.«

    Donnie zuckte mit den Schultern. »Das ist mein normales Gesicht. Kann ich nicht ändern.«

    »Schon mal Puder ausprobiert?«

    Er verdrehte die Augen.

    Sie holte tief Luft. »Jedenfalls wollen Arlung und Skorbin die Nacht in diesem Dorf da unten verbringen. Es gibt da wohl ein Gasthaus. Aber das Geld reicht nicht, falls du also einen Beutel mit Gold vor uns versteckst, wäre das der perfekte Zeitpunkt …« Sie riss die Augen auf, als Donnie in die Innentasche seines Mantels griff und eine Goldmünze zu dem kleinen Haufen auf dem Boden warf. »Das sollte reichen.«

    »Oh. Hast du … hast du noch mehr davon?«

    »Ein paar.«

    Ally wechselte einen Blick mit Arlung und Skorbin, die weniger verwundert aussahen. Wahrscheinlich, weil sie wussten, woher dieser Reichtum stammte. Schließlich kannten sie seine wahre Herkunft. Ally hingegen ahnte nichts. Sie mochte sein Skymmon sein und er würde sie nicht so schnell loswerden, falls Arlungs und Skorbins Gerede stimmen sollte. Doch sein altes Leben war vorbei, also brauchte sie es nie zu erfahren. Donavan Revell gab es schon lange nicht mehr. Er war nur irgendein Mann. Der Mörder seines eigenen Vaters. Dass sein Vater der König des Geeinten Königreichs gewesen war, spielte keine Rolle.

    »Ist es geklaut oder ist es deines?« Ally zog die Augenbrauen hoch. In ihren Blick spiegelte sich echte Neugierde.

    »Hab ich vergessen, tut mir leid.«

    Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie öffnete den Mund, doch Arlung klatschte in die Hände. »Dann können wir ja los.« Er löste den Strick des Esels vom Ast.

    Noch immer funkelte Ally ihn an. Mit ihren strichartigen Pupillen sah sie fast animalisch dabei aus. Ausdruckslos erwiderte Donnie den Blick. Kopfschüttelnd winkte sie ab und erhob sich. Sie schulterte ihren Rucksack und folgte Arlung und Skorbin den Hang hinunter. Donnie trottete hinterher.

    Am Fuß des Hügels traten sie in ein Wäldchen ein. Um die Baumstämme waberte ein schwach leuchtender Nebel in bläulichen und rötlichen Farben, der allmählich heller wurde.

    Die Geister.

    Donnie fühlte sich endlich ein bisschen leichter.

    Die Dorfbewohner kamen sogar vor die Haustür, um die seltsame Truppe zu begaffen. Detris und Yllecks sah man so selten, dass sie als exotisch galten. Arlung und Skorbin gaben eine kleine Sensation ab, über die die Leute sicher noch wochenlang reden würden.

    Ally ließ ihre Haare ins Gesicht fallen, um ihre verräterischen Argolaugen zu verdecken. Vielleicht reagierten die Menschen hier feindselig auf Argols, und es erschien ihnen sicherer, unauffällig zu bleiben, falls davon die Rede sein konnte. Doch obwohl die Dorfbewohner Ally hoffentlich für einen Menschen hielten, zog auch sie viele Blicke auf sich mit dem Schwert, das an ihrer Hüfte baumelte, und ihrem verwegenen, fast katzenhaften Gang. Hinter vorgehaltener Hand tuschelten die Menschen. Donnie verübelte es ihnen nicht. Wann kam schon ein Mädchen in ihr kleines Dorf, das ein Männerhemd trug und ein Schwert besaß?

    Vermutlich flüsterten diese Leute auch über ihn, aber darum kümmerte er sich nicht. Lieber achtete er auf die Lichter zwischen den Häusern und auf den Hügeln hinter dem Dorf. Wie Rauch und Nebelschwaden hüllten sie die Welt in Farben. Mit einer weiteren Beere erschienen sie sicher noch intensiver … und vielleicht verschwand dann auch der letzte Rest Schwere, der noch auf seinen Schultern lastete.

    Nein, vergiss es. Du musst sparsam sein. Wer weiß, wann du wieder an was rankommst.

    Arlung und Skorbin blieben vor einem maroden Holzhaus stehen.

    »Wartet hier«, sagte Skorbin, während sein Gefährte den bepackten Esel an einen Zaun band. Die beiden betraten das Haus durch eine windschiefe Tür. Nur ein kleines, von der Sonne gebleichtes und kaum mehr lesbares Schild offenbarte das Gebäude als Schenke und Nachtstube. Donnie ließ seinen Rucksack fallen und setzte sich im Schneidersitz auf den festgetretenen Sand.

    »Seit wann machst du das eigentlich schon?« Ally hockte sich hin und sah ihm ins Gesicht. Sie wies auf seine Augen.

    »Seit ich vierzehn bin.« Lieber dachte er nicht an diese Zeit zurück. Die Erinnerungen daran wollte er nur vergessen.

    »So lange? Dann ist dir nicht mehr zu helfen.« Sie rümpfte die Nase.

    »Kleine, ich brauche deine Hilfe auch nicht.«

    Ally setzte sich und streckte die Beine aus. Wie immer trug sie keine Schuhe. Sie bewegte die staubigen Zehen und warf ihm einen hochmütigen Blick zu. »Ich habe gar nicht vor, dir zu helfen.« Kurz sah sie sich um. »Wenn Arlung und Skorbin recht haben und wir …«, sie senkte ihre Stimme, »… Skymmons sind und wir unser ganzes Leben aneinandergebunden sind, wird sich für uns trotzdem nicht viel ändern. Nur dem anderen darf eben nichts zustoßen. Es ist mir also egal, was du tust, aber wenn du irgendwelche Dummheiten machen willst, werde ich dich daran hindern.« Sie reckte das Kinn. »Ich werde dafür sorgen, dass du nicht stirbst.«

    Donnie lachte auf. »Eine Beschützerin. Das habe ich mir schon immer gewünscht.«

    »Mach dich nicht darüber lustig! Ich meine es ernst.«

    »Schon gut.«

    Während Ally die Dorfbewohner beobachtete, die immer noch in kleinen Gruppen zusammenstanden und miteinander tuschelten, musterte er sie verstohlen. In seinen Träumen hatte sie ganz anders ausgesehen. Fast noch wie ein Kind, mit einem reinen und strahlenden Gesicht, gekämmten, manchmal sogar geflochtenen Haaren und weißen, sauberen Blusen. Vielleicht wollte sie so aussehen, gäbe es die schmerzliche Realität nicht. Aber sie hatte zu viel gesehen, zu viel getan, um ein hübsches Mädchen zu sein. Sie war schon lange kein Kind mehr.

    Neben seinem linken Arm schlängelte sich eine Säule bläuliches Licht in den Himmel. Er streckte seine Hand danach aus. Träge wichen die Geister seinen Fingern aus und bewegten sich langsam um seinen Arm herum, als wären sie ein Tier, das neugierig und skeptisch an ihm schnupperte.

    »Wer weiß, ob das alles überhaupt stimmt«, murmelte Ally. »Glaubst du, dass sie tatsächlich noch irgendwo sind? Die anderen Zauberer, meine ich.«

    Mit zusammengekniffenen Augen starrte Donnie in den Himmel. »Das finden wir doch gerade heraus.«

    »Ja …« Ally grub ihre Zehen in den sandigen Boden. »Aber vielleicht werden sie uns verjagen, wenn wir dort ankommen. Vielleicht wollen sie mit uns nichts zu tun haben. Oder sie werden uns angreifen!«

    Donnie grinste. »Würdest du dir das so einfach gefallen lassen?«

    Überrascht sah sie ihn an. Auch sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Nein, vermutlich nicht.«

    Die Tür des Gasthauses öffnete sich und Skorbin trat heraus. »Wir haben die einzigen vier Zimmer bekommen. Es passiert ungefähr alle zehn Jahre mal, dass hier jemand übernachtet.« Lächelnd fügte er hinzu: »Ein Federbett wird meinen geschundenen Knochen guttun. Immer nur harter Boden ist auf Dauer nichts.«

    Donnie stand auf und folgte Skorbin und Ally hinein. An mehreren Tischen saßen Männer über ihr Bier gebeugt und warfen ihnen finstere Blicke zu. Eilig stieg Donnie die Treppe hinauf und öffnete wahllos eine der Türen. Er ließ sein Gepäck auf das Bett fallen und huschte wieder hinunter. Es gefiel ihm nicht in diesem Haus. Die Decke erschien ihm zu tief, die Wände zu nah. Die suppendicke Luft stank nach Staub und altem Rauch. Das Atmen fiel ihm schwer. Wahrscheinlich hatte er sich bereits zu sehr an freien Himmel und frische Luft gewöhnt.

    Er ignorierte die Blicke der Gäste und des Wirts und trat wieder hinaus auf den Platz. Tief durchatmend lehnte er sich gegen die Hauswand. Der Himmel färbte sich dunkelblau und die ersten Sterne glitzerten am Firmament. Aus den Fenstern der umstehenden Häuser strahlte Licht. Einige Dorfbewohner zeigten auf ihn, als sie ihn erblickten. Eine Ziege meckerte und vor einem Hauseingang

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