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Gungo Large - Spiel mir das Lied vom Troll
Gungo Large - Spiel mir das Lied vom Troll
Gungo Large - Spiel mir das Lied vom Troll
eBook475 Seiten6 Stunden

Gungo Large - Spiel mir das Lied vom Troll

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Über dieses E-Book

Tolkien meets Leone, High-Fantasy im Wilden Westen. Ein abgedrehter, ungewöhnlicher und actionreicher Genre-Mix. Kiffende Elfen, Sombrero tragende Orks und arrogante Yankee-Magier das ist die Welt von Gungo Large, dem versoffenen, zu groß geratenen Zwerg, der für eine handvoll Mithril-Dollar jeden noch so dreckigen Job übernimmt. In dieser aberwitzigen Symbiose aus Fantasy und Western, in der blaue Bohnen ebenso aus der Hüfte abgefeuert werden wie unzählige Referenzen und Seitenhiebe auf alle Bereiche der Popkultur, muss sich der eigensinnige Revolverheld durch unzählige Abenteuer und Gefahren schießen, prügeln und lamentieren.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum9. Mai 2021
ISBN9783754118160
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    Buchvorschau

    Gungo Large - Spiel mir das Lied vom Troll - Thomas Niggenaber

    Gungo Large - Spiel mir das Lied vom Troll

    Titel

    1

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    Thomas Niggenaber

    Gungo Large Spiel mir das Lied vom Troll

    Impressum

    Texte:            © Thomas Niggenaber

    Cover:            © breakermaximus / Adobe Stock

    Verantwortlich für den Inhalt:

    Thomas Niggenaber

    Stockumer Str.12

    44225 Dortmund

    Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

    1

    »Blöde Prärie!«, knurrte der Ork. »Öde, blöde Prärie!«

    Merluzo Fuerte de la Raqueta – so der Name des grobschlächtigen, grünhäutigen Burschen – saß auf dem Gatter, welches die südlichen Weideflächen der Tolemak-Ranch begrenzte. Übellaunig und gelangweilt beobachtete er, wie langsam die Sonne hinter den Bergen weit im Westen unterging.

    Die Schönheit dieses Naturschauspiels – die wundervollen Farben, die das Abendrot in den Himmel malte und die glutrot leuchtenden Berggipfel – beeindruckte den Ork allerdings herzlich wenig. Auch die faszinierenden, vielförmigen Schatten, welche sich ganz gemächlich über die endlos weiten Grasflächen ausbreiteten, waren ihm völlig schnuppe.

    Er war halt, so wie die meisten Angehörigen seiner Rasse, weit davon entfernt, ein Schöngeist zu sein. Sein Interesse galt eher den einfachen Dingen des Lebens: Essen, Trinken, Schlafen und in besonderem Maße der exzessive Konsum von Kautabak. Nahezu ständig kaute er mit leidenschaftlichem Eifer auf dem schwarzen, in harte Riegel gepressten Kraut herum. Wenn er sich im Freien befand, war er meist schon nach wenigen Minuten von schwarzen, klebrigen Speichelflecken umgeben, die er achtlos in die Gegend gespuckt hatte. Meistens blieb dabei ein Großteil der nikotinhaltigen Masse an einem seiner beiden Hauer hängen. Wie bei all seinen männlichen Artgenossen ragten diese aus seinem weit vorgeschobenen Unterkiefer über seine Oberlippe hinaus und waren daher beim Spucken oftmals im Weg. Üblicherweise Stolz und Zierde eines jeden männlichen Orks waren seine Hauer deshalb auch eher unansehnliche, fleckige und kariöse Zahnruinen.

    Doch das störte Merluzo Fuerte nicht. Er war ohnehin nicht das attraktivste Mitglied seiner Gattung. Obendrein gehörte Zahnpflege zu den unendlich vielen Dingen, an die er in seinem Leben noch nie einen Gedanken verschwendet hatte. Nachdenken gehörte generell nicht zu seinen bevorzugten Tätigkeiten. Es strengte ihn viel zu sehr an und nach einer Weile bereitete es ihm meist üble Kopfschmerzen.

    An diesem Abend jedoch, welcher sich nun schwül-warm über das Land legte und bald schon von einem vollen, tief stehenden Mond erhellt wurde, verlangte Merluzo sich diese große Mühsal ab.

    Warum er hier Wache schieben musste, das begriff er nämlich ganz und gar nicht. Wieso durfte er nicht wie die anderen Cowboys in den Unterkünften um seinen spärlichen Lohn pokern oder sich mit billigem Whisky betrinken? Noch nie hatte es eine Nachtwache auf der Tolemak-Ranch gegeben, weshalb war sie jetzt vonnöten? Wilde Tiere, die den Rindern hätten gefährlich werden können, gab es in diesem Teil des Landes kaum und wer sonst hätte es wagen sollen, sich am Eigentum von Colonel Don Athuro zu vergreifen? Einen der vermögendsten, einflussreichsten und mächtigsten Zwerge der verbündeten Reiche zu bestehlen, auf die Idee wäre wohl kein Viehdieb gekommen, der auch nur das geringste Interesse an seinem Weiterleben hegte.

    Es gab also keinerlei Veranlassung für diese Vorsichtsmaßnahme – zumindest keine, die Merluzo mit seinen bescheidenen geistigen Fähigkeiten hätte erkennen können. Auch sein Vorarbeiter hatte ihm keine triftigen Gründe genannt, als er ihm diesen Auftrag erteilt hatte.

    »Dieser Job ist wie geschaffen für so eine hässliche Hohlbirne wie dich«, hatte er stattdessen in seiner gewohnt freundlichen Art erklärt. »Also schieb deinen grünen, runzligen Hintern hinaus und halt die Augen offen.«

    Merluzo tat fast immer, was man ihm sagte – Befehle befolgen ersparte ihm die unnötig anstrengende Denkarbeit. Deshalb saß er nun hier, ohne zu wissen warum und in Gesellschaft unzähliger Longhorn-Rinder, die hinter ihm auf der Koppel friedlich grasten, schliefen und hin und wieder ein leises Muhen von sich gaben.

    »Blöde Rinder«, knurrte der Ork. »Öde, blöde Rinder.« Beinahe schon liebevoll tätschelte er dabei seine doppelläufige Schrotflinte, die in seinem Schoß ruhte. Diese Waffe bedeutete dem Ork sehr viel, wesentlich mehr als eine Waffe seinem Besitzer normalerweise bedeutet. Schon seit Generationen befand sich diese Flinte im Besitz der de la Raquetas. Sein Urgroßvater – seinerzeit einer der besten Büchsenmacher Enchicos – hatte sie einst aus Zwergenstahl gefertigt. Er hatte sie mit einem Kolben aus weißem, echtem Drachenknochen versehen und mit zahlreichen Ornamenten verziert, die sich über die zwei Läufe bis hin zum Schaft erstreckten.

    Ein ebenso durchschlagskräftiges wie schönes Meisterstück hatte er so erschaffen, das die meisten anderen Waffen vergleichbarer Art in allen Belangen übertraf. Nach seinem Ableben hatte sein Sohn, Merluzos Großvater, die Flinte geerbt. Dieser wiederum hatte sie dann kurz vor seinem Tod Merluzos Vater vermacht.

    Merluzo letztendlich hatte sie seinem Vater schlichtweg gestohlen. Die Angst vor der Vergeltung seines Vaters hatte ihn im Anschluss an diese Tat dazu bewogen, sein Heimatland Enchico zu verlassen und ein neues Leben in den verbündeten Reichen von Avaritia zu beginnen. Dass er sich seitdem für einen kargen Lohn als Hilfsarbeiter auf einer Ranch verdingen musste, das schien ihm ein angemessener Preis für den Besitz dieser Waffe zu sein. Denn sie verlieh ihm jene Selbstsicherheit, an der es ihm aufgrund seines Aussehens und seines arg begrenzten Denkvermögens oftmals mangelte. Außerdem konnte man mit ihr so wunderbar Dinge wegballern.

    Merluzo grinste. Wegballern – dieses Wort gefiel ihm außerordentlich gut und er benutzte es bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

    Er spuckte einen weiteren Klumpen rabenschwarzen Speichels in das Präriegras. Dann erhob er seine Schrotflinte und tat so, als würde er irgendwelche Dinge wegballern. Die Schussgeräusche imitierte er dabei so voller Inbrunst, dass er das seltsame Geräusch glatt überhörte, welches sich wie das Rauschen des Windes in den Bäumen anhörte. Es gab hier im Umkreis von vielen Meilen jedoch keinen einzigen Baum. Den Schatten, der kurz darauf über ihn hinwegglitt, bemerkte er hingegen schon. Zu groß für einen Vogel und mit hoher Geschwindigkeit streifte dieser den Ork nur für den Bruchteil einer Sekunde. Das reichte jedoch schon aus, um dessen Argwohn zu erwecken.

    Verwundert legte er seine wulstige Stirn in Falten und sah nach oben. Er stellte fest, dass der bunte Sombrero auf seinem Kopf seine Sicht in diese Richtung stark einschränkte, schob selbigen deshalb in den Nacken und blickte erneut in den Himmel. Natürlich gab es dort mittlerweile nur noch die unzähligen Sterne zu sehen, die friedlich auf ihn herabschienen. Der Schatten war schon längst nach Norden in Richtung Ranchgebäude entschwunden.

    Merluzo stieg vom Zaun herab, wobei seine ledernen Chaps, die er über seiner alten, speckigen Jeans trug, ein lautes Knirschen und seine Sporen ein leises Klingeln verursachten. Ansonsten war es plötzlich völlig Still.

    Selbst die Rinder gaben keinerlei Laute mehr von sich. Sie standen wie versteinert herum, zeigten keinerlei Regung mehr und glotzten allesamt mit starrem Blick in Richtung Ranch.

    Solch ein Verhalten kannte der Ork von den Longhorns nicht. Sie schienen in eine Art Angststarre verfallen zu sein, so wie das Meerschweinchen, dem Merluzo als Kind eine Freude hatte machen wollen. Da sein kleiner, pelziger Freund einen etwas einsam Eindruck gemacht hatte, war er auf die Idee gekommen, ihm eine Schlange als Spielgefährten in den Käfig zu legen. Anstatt mit seinem neuen Freund zu spielen, hatte das undankbare Nagetier allerdings ein ähnlich merkwürdiges Gebaren gezeigt wie die Rinder. Das anschließende Verschwinden des Nagers – am nächsten Tag hatte nur noch eine träge und übersättigt wirkende Schlange im Käfig gelegen – war für Merluzo stets ein Rätsel geblieben.

    Der Ork dachte kurz darüber nach, ob seine derzeitige Aufgabe auch das Untersuchen seltsamer Schatten beinhaltete. Er verspürte nämlich keinerlei Motivation, selbiges zu tun. Doch so sehr er auch in den selten genutzten Windungen seines Gehirns danach suchte, er fand keine Ausrede dafür, diesen ungewöhnlichen Vorkommnissen nicht nachgehen zu müssen.

    Also setzte er sich widerwillig und langsam in Bewegung, in Richtung Herrenhaus, dem größten und nächstgelegenen Gebäude der Tolemak-Ranch. Er wählte dabei den kürzesten Weg nach Norden, quer über die Koppel hinweg und zwischen den erstarrten Rindern hindurch. Diese schenkten ihm keinerlei Beachtung. Selbst als er einem der Tiere kräftig am Schwanz zog, zeigte es keinerlei Reaktion.

    Merluzo Fuerte de la Raqueta war kein Feigling. Wie alle Orks verfügte auch er über ein hohes Maß an körperlicher Kraft. Außerdem fehlte es ihm schlicht an der nötigen Fantasie, sich unbekannte Gefahren ausmalen zu können. Allmählich jedoch erwachte die Furcht in ihm.

    Zu dieser gesellte sich die Verärgerung darüber, dass sich dieser Vorfall ausgerechnet während seiner Wache ereignen musste – einer Wache, die zudem niemand außer ihm jemals hatte halten müssen. Lediglich die Aussicht auf eine mögliche Gelegenheit, vielleicht mal wieder irgendwas wegballern zu können, beschwichtigte ihn etwas.

    Kurz bevor er die Ranch erreichte, drangen Stimmen, Lachen und andere Geräusche aus den nordöstlich gelegenen Unterkünften der Bediensteten zu ihm. Seine Kollegen genossen offensichtlich ihren Feierabend. Anstatt den Neid in ihm zu wecken, beruhigten ihn diese vertrauten Töne. Sie brachten etwas Normalität zurück in diesen etwas außergewöhnlichen Abend.

    Auch Don Athuros Herrenhaus, ein dreistöckiges Gebäude aus weiß gestrichenem Holz mit zwei Kaminen und einem Sockel aus roten Backsteinen, lag nun friedlich und ruhig vor ihm. Die ihm zugewandte Rückseite des beeindruckenden Hauses wirkte vergleichsweise schlicht im Gegensatz zur Front, welche von einer ausladenden, prachtvollen Veranda geschmückt wurde. Doch die hohen Sprossenfenster und das mit grauen Schindeln gedeckte Dach versprühten auch nach hinten eine Eleganz, welche offensichtlich Einfluss und Status des Hausbesitzers widerspiegeln sollte.

    Oft schon hatte Merluzo sich gewünscht, einmal das Innere dieses vornehmen Gebäudes besichtigen zu dürfen. Doch das war neben den Bewohnern nur den Hausangestellten und dem Vorarbeiter gestattet. Einem kleinen Hilfsarbeiter wie ihm, der es noch nicht einmal bis zum Viehtreiber gebracht hatte, würde diese Ehre niemals zuteil werden. Er hätte wohl auch gar nicht gewusst, wie er sich in solch einer Umgebung hätte benehmen müssen. Bei dem Gedanken daran, mit schmutzigen Stiefeln über den bestimmt überall ausliegenden, teuren Teppich zu latschen und dabei dicke Kautabakflecken auf dem erlesenen Mobiliar zu hinterlassen, musste Merluzo unwillkürlich Grinsen.

    Dieses Grinsen erstarb jedoch schnell, als ein ihm unbekanntes Geräusch an seine spitzen, ungewaschenen Ohren drang. Irgendetwas Großes hatte sich bewegt, zu seiner Linken, hinter der westlichen Ecke des Hauses.

    So leise es ihm seine grobe Motorik und die Sporen an seinen Stiefeln gestatteten, bewegte Merluzo sich dorthin. Im Westen lagen die Pferdeställe, doch dieses Geräusch hatte eindeutig nicht so geklungen, als hätte ein Pferd es verursacht. Es hatte den Ork an das Rascheln von Gefieder erinnert. Er konnte sich jedoch beim besten Willen nicht vorstellen, wie groß das Federvieh sein musste, das ein Rascheln dieser Lautstärke erzeugen konnte.

    War es etwa ein Monsterhuhn, dass hinter der Ecke lauerte? Ein Pollo Diablo, jenes Wesen aus den Ammenmärchen, mit dem man in seinem Heimatland die Kinder erschreckte und ihnen drohte, wenn sie nicht artig waren?

    Seine Hände verkrampften sich um seine Schrotflinte, so dass die Gelenke seiner Finger ein leises Knacken von sich gaben. Dann spannte er die beiden Hähne seiner Waffe mit dem Daumen, so leise und behutsam, wie es ihm möglich war. Nur noch ein Schritt trennte ihn davon, um die Hausecke spähen zu können. Er nahm all seinen Mut zusammen, atmete tief ein und wagte diesen Schritt.

    Was er dann zu sehen bekam, jagte einen kalten Schauer über seine grüne Haut. Der Schreck stimulierte spontan seinen Schluckreflex, sodass sich der Rest Kautabak, welcher noch in seinem Mund verblieben war, heftig brennend seinen Weg durch die Speiseröhre in den Magen bahnte. Dieses Ungemach registrierte er jedoch gar nicht aufgrund des Anblicks, der sich ihm bot.

    Das erste Mal in seinem Leben erblickte Merluzo einen leibhaftigen Greif. Größer als ein ausgewachsener Bisonbulle lag das Wesen da, den weiß gefiederten Kopf, der dem eines Adlers stark ähnelte, auf den Vorderpfoten ruhend. Die gewaltigen, ebenfalls weißen Schwingen hatte es angelegt. Hin und wieder zuckte einer der Flügel leicht und verursachte so eben jenes Rascheln, das Merluzo vor Kurzem vernommen hatte. Ansonsten zeigte der massige, raubkatzenartige Körper keinerlei Regung.

    Die geschlossenen Augen und das leise Schnarchen, das aus dem gebogenen, leicht geöffneten Schnabel drang, ließen Merluzo dann endlich begreifen, dass der Greif dort ein Nickerchen machte. Von der Anwesenheit des Orks hatte das beeindruckende Tier noch keinerlei Notiz genommen.

    »Wegballern!«, war natürlich das erste, was Merluzo in den Sinn kam. Er verspürte nicht das Bedürfnis, herausfinden zu wollen, was dieses Wesen mit ihm anstellen würde, sollte es ihn bemerken. Dem Greifen zwei Ladungen aus seiner Flinte in den Leib zu jagen, würde der Gesundheit des Orks wohl wesentlich zuträglicher sein. Doch dann bemerkte er das Zaumzeug und den Sattel, was den Greifen eindeutig als Reittier kenntlich machte. Dieses Vieh hatte jemanden hierher gebracht. Doch wo war dieser jemand jetzt?

    Von weiteren Überlegungen oder Handlungen hielt ihn der heftige Schlag ab, der ihn plötzlich von hinten traf. Irgendetwas knallte an seinen Hinterkopf, riss ihm den Sombrero herab und schickte ihn augenblicklich zu Boden. Vor seinen Augen erschienen Millionen schwarzer Flecken, die sich immer mehr zu einer Schwarzen Fläche verdichteten und ein dumpfer Schmerz machte sich in seinem Schädel breit. Einen so heftigen Schmerz hatte das Denken dann doch noch nie in ihm verursacht.

    Noch nicht ganz ins Land der Träume entschwunden, spürte er, wie ihm jemand seine geliebte Schrotflinte aus den Händen nahm. Es gab nichts, was er dagegen hätte unternehmen können. Dann hörte er gedämpft, so als hätte er Watte in den Ohren, Stimmen und Schritte, die sich von ihm entfernten und in Richtung des Greifen bewegten.

    Einen starken Luftzug und das Schlagen riesiger Flügel vernahm er noch, dann schwanden ihm endgültig die Sinne.

    2

    Es gibt vieles, was ich nach einer durchzechten Nacht im Saloon so ganz und gar nicht gebrauchen kann – lautes Klopfen an meiner Tür rangiert auf dieser Liste ganz weit oben.

    Ich ignorierte deshalb diese dreiste Störung meines Deliriums an jenem Morgen und zog mir meine Decke über den Kopf. Dabei versuchte ich, jede überflüssige Bewegung zu vermeiden, damit sich das Rindvieh in meinem Kopf weiterhin einigermaßen ruhig verhielt.

    Diese Kuh – ich hatte sie Elsa getauft – war in diesen alkoholreichen Tagen oft zu Gast in meinem Schädel. Sie vollzog dort meist irgendwelche wilden Tänze, deren Schritte äußerst schmerzhaft und dröhnend in meiner Hirnschale widerhallten. Nur enorm viel Schlaf und körperliche Inaktivität vermochten es, ihr Einhalt zu gebieten.

    Das zweite Klopfen weckte darum den aufrichtigen Hass gegen den Verursacher dieses Geräusches in mir. Doch Elsas erste Tanzschritte hielten mich davon ab, mich mit seinem Ableben zu beschäftigen.

    Erst das dritte Klopfen, das mir beinahe heftig genug erschien, die Tür aus den Angeln zu heben, ließ meinen Zorn über Elsa triumphieren und mich aus meinem Bett hochfahren. Jeglichen Schmerz unter meiner Schädeldecke ignorierend und lauthals fluchend stürmte ich zur Tür meines kleinen Zimmers. An den genauen Wortlaut meiner Flüche kann ich mich nicht mehr erinnern, die Worte verrecke, Arschloch und Kopf abreißen kamen aber bestimmt darin vor.

    Mit dem festen Vorsatz also, dem Störenfried unendliche Schmerzen zu bereiten, riss ich die Tür auf. Doch der Anblick meines unerwünschten Besuchs ließ mich dieses Vorhaben schnell wieder vergessen. Es wäre wohl nicht besonders ratsam gewesen, dem örtlichen Arm des Gesetzes selbigen zu brechen. Denn es war Beinir McHardy der vor mir stand, der Sheriff unserer kleinen Zwergensiedlung Copperhole.

    McHardy war offensichtlich darum bemüht, mir gegenüber sofort Autorität und Respekt auszustrahlen. Der Umstand, dass er gut einen Kopf kleiner war als ich, machte ihm dies allerdings nicht gerade einfach. Nur das Gewehr in seiner Hand und der Stern auf seiner Brust glichen dieses Manko zum Teil wieder aus.

    Natürlich hatte er auch seinen Deputy dabei, einen widerlichen Schleimbeutel von einem Zwerg namens Laurel Ombringer. Dieser bewegte sich ständig im Fahrwasser des Sheriffs und versuchte so, sein mickriges Ego aufzupolieren. Warum McHardy gerade diesen rückgratlosen Nichtskönner zum Hilfssheriff gemacht hatte, war allen Einwohnern Copperholes ein Rätsel. Physisch waren ihm nämlich viele, psychisch fast alle überlegen. Er stand ein Stück hinter McHardy und grinste dümmlich, was er eigentlich immer tat und in mir – auch immer – das dringende Bedürfnis weckte, ihm dieses Grinsen aus der Visage zu dengeln.

    »Zieh dich an, Large«, forderte McHardy mich mit Blick auf meine Unterhose, dem einzigen Kleidungsstück das ich trug, auf. »Du bist verhaftet!«

    Ich stöhnte genervt auf. »Och nöööö, nicht schon wieder. Das ist doch Ogerkacke!«

    Elsa begann diese frohe Botschaft mit einem Freudentanz in meinem Schädel zu feiern. Wieder einmal wünschte ich mir, dass irgendwann mal ein Kräuterweib, Apotheker oder Alchemist ein Mittel gegen Kopfschmerzen erfinden würde

    »Stell dich doch nicht so an«, mischte sich Ombringer ein. »Die Zelle ist doch schon so etwas wie ein zweites Zuhause für dich.«

    Ich ignorierte diesen Kriecher und begann stattdessen, mein Zimmer behäbig nach brauchbaren Kleidungsstücken zu durchsuchen. Jede Bewegung meines Kopfes quittierte Elsa dabei mit einem schwungvollen Polkaschritt. Die Gesetzeshüter folgten mir.

    »Bei allen Göttern, Large!« McHardy sah sich um und rümpfte demonstrativ die Nase. »Hier sieht es ja aus wie bei einem Kobold unter dem Sofa! Du solltest hier unbedingt mal Ordnung schaffen.«

    »Hab ich doch erst vor Kurzem«, erwiderte ich. Meiner Meinung nach sah es hier, abgesehen von ein paar Dutzend leerer Flaschen und einigen nur leicht angeschimmelten Essensresten, ganz manierlich aus. Die Kakerlaken fühlten sich hier zumindest sehr wohl und meine Vermieterin, die gute, alte Witwe Latro, hatte sich auch noch nie beschwert. Letzteres lag aber wohl daran, dass ich sie seit meinem Einzug in ihre kleine Pension erfolgreich davon abgehalten hatte, mein Zimmer zu betreten.

    »Was habe ich denn überhaupt verbrochen?«, wollte ich wissen und und angelte meine Hose unter dem Bett hervor.

    Das Grinsen inmitten Ombringers fuchsrotem Bart wurde noch breiter. »Hast dein Erinnerungsvermögen wohl auch schon versoffen, was? Du hast dich mal wieder geprügelt und dabei den halben Coppercoin-Saloon in Trümmer gelegt.«

    Ich wankte zu meinem Waschtisch und benetzte mein Gesicht mit etwas von dem Wasser, welches sich noch vom Vortag oder dem Tag davor in der Schüssel befand. Ganz langsam kehrte meine Erinnerung an die letzte Nacht zurück, wenn auch nur in Bruchstücken.

    »Stimmt, irgend so ein Arsch hat mich Halbmensch genannt.« Ich entdeckte mein Hemd, das statt eines Handtuches am Handtuchhalter hing und zog es an, nachdem ich mich damit abgetrocknet hatte. »Hab ich irgendein Möbelstück auf ihm zertrümmert?«

    »Das hast du«, antwortete McHardy. »Und nicht nur eins. Wir mussten ihn unter einem ganzen Berg aus Tischen und Stühlen hervorholen. Der Doc hatte gar nicht genug Schienen, um all seine Brüche zu versorgen.«

    Ombringer wäre nicht Ombringer gewesen, wenn er diese Gelegenheit, mich zu provozieren, ungenutzt gelassen hätte. »Dabei hatte der Typ doch nicht ganz unrecht«, spottete er. »Du bist mehr als einen Meter siebzig groß, viel zu dürr für einen Zwerg und die paar Flusen an deinem Kinn kann man wohl kaum einen Bart nennen. Würde mich nicht wundern, wenn es wirklich ein Mensch war, der da mal kurz über deine Mutter gestiegen ist.«

    Ich hatte gerade einen meiner Stiefel unter meinem Kopfkissen hervorgeholt und ihn leider schon angezogen, sodass ich ihn dem Deputy nicht mehr an den Schädel werfen konnte. Mein Vater, den ich niemals kennengelernt hatte, war ein ganz heikles Thema für mich, sozusagen mein wunder Punkt. Zwar hatte mir meine Mutter nie etwas über ihn erzählt und sowohl das Wissen über seine Herkunft als auch über seine Rasse mit ins Grab genommen, doch die Möglichkeit, dass er ein Mensch war, hatte ich seit frühester Kindheit ausgeschlossen. Welches vernunftbegabte Wesen will schon mit einem Menschen verwandt sein?

    »Dünnes Eis, Ombringer!« Ich trat nahe an den Deputy heran, sah auf ihn herab und hoffte, dass mein Blick eine gehörige Portion Verachtung ausstrahlte. »Ganz dünnes Eis, auf dem du dich da bewegst! Vor allem für jemanden, dessen Vater sämtliche Esel im Ort begattet hat.«

    Selbst jetzt erstarb das dümmliche Grinsen im Gesicht des Hilfssheriffs nicht. »Hältst du es für schlau, in deiner Situation eine solch dicke Lippe zu riskieren?«

    Noch während er diese Frage stellte, rammte er mir den Kolben seines Gewehres in den Magen. Ich klappte augenblicklich zusammen und konnte nur noch ein kurzes »Uff« von mir geben. Obendrein lief Elsa jetzt zur Höchstform auf. Ich konnte mich echt nicht entscheiden, ob nun das Hämmern unter meiner Schädeldecke oder meine schmerzende Körpermitte den Höhepunkt dieses wundervollen Morgens darstellte.

    »Lass den Scheiß!«, fuhr der Sheriff seinen Gehilfen an. »Du weißt, dass ich es nicht leiden kann, wenn man so mit unseren Kunden umgeht.«

    Er half mir auf die Beine und reichte mir meinen zweiten Stiefel. Keine Ahnung, wo er selbigen gefunden hatte. Meinen Revolvergurt, der an einem Haken an der Wand hing und als einziger Gegenstand in diesem Raum seinen festen Platz hatte, durfte ich natürlich nicht anlegen.

    Ohne diesen fühlte ich mich noch immer irgendwie nackt, als wir die Pension verließen, obwohl ich mittlerweile vollständig bekleidet war. Nur mein schöner, schwarzer Hut blieb unauffindbar und eben diesen vermisste ich schmerzhaft, als wir auf die staubige Hauptstraße Copperholes hinaustraten.

    Die Morgensonne brannte nämlich erbarmungslos auf mein noch immer vom Alkohol vernebeltes Gehirn und das helle Tageslicht stach mir in die Augen. All meine übrigen Sinne befanden sich zu dieser ungewohnt frühen Stunde noch in einer Art Dämmerzustand.

    Dennoch bemerkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte.

    Die sonst so belebten Straßen der kleinen Bergarbeitersiedlung schienen beinahe wie leergefegt. Nur hier und da konnte man einen Einwohner entdecken, der durch den Ort spazierte oder vor einem der schlichten Holzhäuser auf der Veranda saß.

    Doch wo waren all die Zwerge, die ihrem Tagewerk nachgingen? Wo waren all die Kutschen, Pferde und Reiter, die sich sonst ihren Weg über die unebenen, holprigen Straßen bahnten, über die jetzt nur ein paar Büschel vertrockneter Steppengräser rollten?

    Ich sondierte die Umgebung mit zusammengekniffenen Augen. Der Gemischtwarenhandel auf der gegenüberliegenden Straßenseite war geschlossen, ebenso Russels Drugstore und Littles Lebensmittelgeschäft daneben. Die unnatürliche Ruhe ließ mich vermuten, dass dies bei den anderen Geschäften der Stadt auch der Fall war. Selbst das laute, metallische Hämmern, mit dem der hiesige Hufschmied an normalen Tagen die Ortschaft beschallte, war nicht zu hören.

    Dass meine zwei Begleiter all dem keinerlei Beachtung schenkten, stimmte mich zusätzlich misstrauisch. Ich entschloss mich deshalb spontan dazu, diesem Mysterium auf den Grund zu gehen. Selbst unbewaffnet wollte ich mich den unbekannten Herausforderungen stellen.

    »Was ist hier los?«, wollte ich wissen. »Warum ist das Kaff wie ausgestorben?«

    »Weil es Sonntagmorgen ist, du Trottel«, enträtselte Ombringer dieses Geheimnis unerwartet schnell. »Wahrscheinlich der erste, den du nicht verpennst.«

    Mit einem Stoß in den Rücken machte er mir klar, dass ich mich endlich in Bewegung setzen sollte und so marschierten wir drei nach Norden, in Richtung Sheriffbüro, los.

    Die wenigen braven Bürger, denen wir unterwegs begegneten, bedachten mich mit abwertenden Blicken und dem Schütteln ihrer biederen, rechtschaffenen Häupter, in denen es, meiner Meinung nach, schrecklich tugendhaft und öde zugehen musste. Vermutlich erweckte mein wenig adretter Kleidungsstil und der augenscheinliche Umstand, dass ich gerade abgeführt wurde, ihre Missbilligung. Ähnliche Reaktionen auf meinen Anblick war ich allerdings schon gewohnt. Wie immer erwiderte ich diese mit einem freundlichen Ihr-könnt-mich-mal-Lächeln, das von Herzen kam.

    »Hast du schon meine neue Knarre gesehen?«, fragte der Sheriff nach einer Weile, in der wir schweigend nebeneinander hergegangen waren. Mit stolzgeschwellter Brust hielt er mir sein Gewehr unter die Nase. »Ist ein echtes iRifle von Peach – war verflucht teuer und ich musste eine Ewigkeit beim Waffenhändler dafür anstehen.«

    Mit einem kurzen Schulterzucken tat ich mein Desinteresse kund. »Muss ich nicht haben. Da bezahlt man doch nur den Namen. Andere, preiswertere Gewehre haben die gleichen Funktionen und seltener Ladehemmungen.«

    Meine Meinung enttäuschte McHardy offensichtlich.

    »Du hast doch keine Ahnung, Large!« Schmollend ließ er sein Gewehr wieder sinken. »Du warst zwar in der Army, hast aber trotzdem keine Ahnung! Ein Revolverheld der keine Ahnung von guten Gewehren hat – unglaublich!«

    Sein Deputy stieß ein verächtliches Schnaufen aus »Revolverheld? Der Suffkopp? Der hat seine Kanone doch das letzte mal im Krieg benutzt und das ist Jahre her.«

    Zu meinem großen Bedauern musste ich dem Widerling in diesem Punkt Recht geben. Seit ich aus der Army zurück in meine Heimatstadt gekommen war, hatten sich keinerlei Gelegenheiten ergeben, mir meinen Lebensunterhalt mit dem Revolver zu verdienen. In ganz Copperhole gab es keinen Bedarf an professionellen, mietbaren Schützen. Bewaffnete Auseinandersetzungen gab es kaum und weder die Kupferminen noch die Wagentrecks, welche das Kupfer aus der Stadt brachten, waren hochwertig oder bedeutend genug, um bewacht werden zu müssen.

    Meine außergewöhnliche Begabung im Umgang mit Schusswaffen blieb daher völlig ungenutzt an diesem viel zu friedvollen Ort. Dabei machte mich dieses einzigartige Talent – ohne Übertreibung – zu dem wohl besten Schützen in ganz Avaritia. Entdeckt hatte ich diese Fähigkeit erst nach meinem Eintritt in die Army, da ich nie zuvor eine Waffe in den Händen gehalten hatte. Sie ermöglichte es mir, egal mit welcher Schusswaffe, immer mein Ziel zu treffen, egal ob ich nüchtern war oder volltrunken und egal unter welchen Umständen. Mühe musste ich mir dabei keine geben, konzentrieren musste ich mich auch nicht und geübt hatte ich es erst recht noch nie. Ich musste einfach nur daran denken, etwas oder jemanden zu treffen. Fast zeitgleich mit dem Beenden dieses Gedankens war es dann auch schon passiert. All dies geschah automatisch, ohne mein Zutun und oft schon hatte ich hinterher verwundert auf meine Waffe geblickt, ohne mich daran erinnern zu können, wie ich sie gezogen und abgefeuert hatte.

    Im Krieg war mir dieses Talent natürlich sehr gelegen gekommen und es hatte mir viel Anerkennung und Bewunderung eingebracht. Aufgrund meines ausgeprägten Problems mit Autoritäten – wahrscheinlich bedingt durch das Fehlen einer Vaterfigur während meiner Kindheit...Bla Bla Bla – und meinem Unvermögen, auch mal die große Klappe zu halten, hatte ich es in der militärischen Hierarchie dennoch nicht sehr weit gebracht. Als mittelloser Ex-Private war ich bei Kriegsende nach Copperhole zurückgekehrt, mit wenig Glanz und ganz ohne Gloria.

    Meine finanzielle Situation konnte man deshalb getrost als katastrophal bezeichnen, zumal ich die paar Dollars, welche ich mir borgte, erschnorrte oder mit irgendwelchen Handlangerjobs erarbeitete, umgehend wieder in die lokale Wirtschaft oder besser gesagt den örtlichen Saloon investierte.

    »So kann es mit dir nicht weitergehen«, bemerkte McHardy, so als hätte er meine Gedanken gelesen. Ich glaubte sogar, eine gewisse Besorgnis aus seiner Stimme heraushören zu können. »Du brauchst endlich einen vernünftigen Job. Warum arbeitest du nicht in den Minen, so wie die meisten anderen Zwerge auch?«

    Eigentlich verspürte ich überhaupt keine Lust, solch eine Diskussion zu führen. Ich war voll und ganz damit beschäftigt, Elsas Tanzwut zu zügeln.

    Dennoch antwortete ich wahrheitsgemäß. »Die Stollen sind viel zu niedrig für mich. Außerdem habe ich keinen Schimmer vom Bergbau. Schnell ziehen und immer treffen – das ist es, was ich kann.«

    Der Sheriff nickte. »Und das kannst du verdammt gut. Wahrscheinlich bist du der beste Schütze, den ich je gesehen habe, doch hier wirst du damit keinen lausigen Cent verdienen. In den größeren Städten im Osten oder Süden könntest du dir mit deinen Fähigkeiten echt einen Namen als Revolverheld machen, so wie Basilisk Bill oder Doc Gargoyle. Hast du schon mal darüber nachgedacht, von hier fortzugehen?«

    Natürlich hatte ich das. Fast jeden Tag war mir dieser Gedanke mindestens fünf Mal durch den Kopf geschossen wie eine Gewehrkugel, während ich meine Zeit mit Saufen und Herumlungern verschwendet hatte. Doch zum einen fühlte ich mich in diesem Kaff trotz allem recht wohl, zum anderen hatten mir der Müßiggang und der regelmäßige Alkoholkonsum einen Großteil meiner Abenteuerlust und Entscheidungsfreudigkeit geraubt. Ich hatte ja noch nicht einmal ein Pferd und ohne die entsprechende Barschaft in die Welt hinauszuziehen, erschien mir ebenfalls nur wenig verlockend.

    Ombringer hingegen war von dieser Idee natürlich sehr angetan. »Es wäre das Beste, was dieser Stadt passieren könnte, wenn sich dieser Penner endlich verpissen würde. Zu den verkommenen Menschen im Osten würde dieses lange Elend auch hervorragend passen.«

    Ich lächelte ihn an. »Dabei würde ich dich doch so sehr vermissen! Vielleicht ist es sogar dein dämliches, debiles Grinsen, was mich hier hält.«

    An dieser Stelle mussten wir unser freundschaftliches Gespräch leider beenden, da wir unser Ziel erreicht hatten, was mir wohl einen weiteren Hieb mit dem Gewehrkolben oder eine andere Aufmerksamkeit des Deputys ersparte.

    Das Büro des Sheriffs war eines der wenigen Gebäude in Copperhole, dessen Wände aus massiven Backsteinen bestand. Angesichts der Tatsache, dass sich in ihm auch Arrestzellen befanden, war das auch durchaus sinnvoll. Ansonsten war der Flachbau völlig schmucklos, mal abgesehen von dem uralten Holzschild über der Tür, auf dem in verblichenen Buchstaben Sheriffs Office geschrieben stand.

    »Du kennst dich ja hier aus«, bemerkte McHardy, als wir seine Amtsstube betraten. Deren Einrichtung bestand lediglich aus zwei Schreibtischen mit Stühlen, ein paar Regalen und einem üppig gefüllten Waffenschrank. »Also geh schon mal vor, ich schließe gleich hinter dir ab.«

    Er entledigte sich seines Hutes und suchte in der Schublade seines Schreibtisches nach den Zellenschlüsseln. Ombringer parkte seinen dicken Hintern indes mit einem zufriedenen Seufzer auf seinem Stuhl.

    Ich schlenderte derweil quer durch das Büro in den hinteren Teil des Gebäudes, betrat die mir sehr vertraute Zelle und ließ mich auf die ebenso vertraute Pritsche darin fallen. Wie angekündigt folgte mir McHardy kurz darauf und schloss die Zellentür hinter mir ab.

    »Wie lange?«, wollte ich wissen und irgendwie ahnte ich schon, dass mir die Antwort darauf nicht gefallen würde.

    »Lange genug um deine Sucht nach Fusel vollständig zu kurieren«, lautete dann auch die erschreckende Prognose des Sheriffs. »Der Friedensrichter kommt in drei Wochen und wird dann entscheiden, was mit dir passieren soll. So lange bist du auf jeden Fall unser Gast.«

    Bei dem Gedanken daran, mindestens drei Wochen auf dem Trockenen zu sitzen, befiel mich ein leichtes Gefühl der Panik. Auch die Aussicht auf regelmäßige, kostenlose Mahlzeiten konnte dieses Gefühl nicht schmälern. Zwar ließ Sheriff McHardy manchmal mit sich reden – ganz im Gegensatz zu seinem fiesen Deputy –, doch es würde einiges an Überzeugungskraft kosten, ihm den ein oder anderen Schluck Whisky abzuschwatzen.

    Trübe Aussichten also, mit denen ich mich auf die Pritsche niederlegte, um mir und Elsa die dringend benötigte Ruhe zu gönnen. Unter gleichmäßig abnehmendem Pochen in meinen Schläfen gelang es mir dennoch, langsam in den Schlaf zu gleiten.

    Dass die seltsame, super spannende und unbedingt lesenswerte Geschichte, welche ich hier erzählen möchte, bereits in weit entfernten Teilen des Landes ihren Anfang genommen hatte, davon ahnte ich natürlich nichts.

    Um jeglicher Klugscheißerei vorzubeugen sei erwähnt, dass ich mir von den meisten Geschehnissen, bei denen ich nicht zugegen war, bis ins kleinste Detail berichten ließ, um sie hier niederschreiben zu können. Den Rest habe ich mir irgendwie zusammengereimt – der geneigte Leser wird damit schon klarkommen.

    3

    Während ich in Copperhole schnarchend und verkatert auf einer harten Pritsche lag, lag weit im Osten ein Elf auf noch wesentlich härterem Felsgestein.

    Seit Stunden schon verharrte er bäuchlings liegend am Rand eines hoch gelegenen, ausladenden Felsvorsprunges. Von hier aus beobachtete er aufmerksam das Geschehen unter sich, welches in solch großer Entfernung stattfand, dass nur die enorm scharfen Augen eines Elfen Einzelheiten und Details erspähen konnten.

    Ungeachtet der Hitze und seiner unbequemen Position würde er noch länger hier ausharren, solange bis ein anderer Elf aus seinem Dorf kommen und seinen Platz als Späher einnehmen würde. So hatte es der Häuptling befohlen und so wurde es auch gemacht.

    Die Gebirgskette inmitten der Prärie war ideal für dieses Unterfangen, denn von hier konnte man fast das ganze Gebiet des Moonytoad-Stammes überblicken. Selbiges bestand fast nur aus spärlich bewachsener, ebener Graslandschaft und erstreckte sich fast bis zum Seven-Hills-Gebirge, weit im Westen.

    Viele Generationen lang hatte es hier, außer den Moonytoads, nur Bisons, Koyoten und irgendwelche Reptilien gegeben. Doch seit einigen Wochen tummelten sich hier Wesen, die seit jeher das Misstrauen und Argwohn eines jeden Elfen weckten. Menschen und Zwerge waren es, die das Land zu Tausenden mit ihrer Anwesenheit besudelten. Mit Pferdewagen waren sie gekommen, so schwer mit Holz, Metall und Werkzeug beladen, dass ihre Räder tiefe Narben in der Erde hinterlassen hatten. Dann hatten sie ihre Lager aufgeschlagen, Unterkünfte für Arbeiter sowie Stauräume für Unmengen an Material gebaut. Um die Versorgung mit ausreichend Wasser zu gewährleisten, hatten sie tiefe Brunnen in den Boden getrieben. So war das Camp schon bald zu einer kleinen Siedlung aus Zelten, Hütten und anderen Holzkonstruktionen herangewachsen.

    Doch das war nur der Anfang ihrer Verbrechen gewesen, die sie in den Augen der Elfen an der Natur begingen. Sie malträtierten den Boden mit Spitzhacken und Schaufeln, sprengten Felsen, die ihnen im Weg waren und formten das Land rücksichtslos nach ihren Bedürfnissen. Über viele hundert Meilen hinweg verunstalteten Sie das Antlitz der Steppe mit dem, was Sie Bahnschienen nannten und all das geschah nur, damit das metallene Monstrum namens Eisenbahn in naher Zukunft durch die Prärie würde fahren und sich regelmäßig würde verspäten können.

    Dass dies ungestört im Land der Elfen geschehen durfte, war Inhalt des Friedensvertrages, welchen man den Elfen nach ihrer Niederlage im großen Krieg aufgezwungen hatte. Neben weiten Teilen ihres Landes hatte man allen Stämmen das Einverständnis abgepresst, die Eisenbahnlinie unbehelligt durch das ihnen noch verbliebene Land bauen zu dürfen. Ansonsten hätte es keinen Frieden zwischen den Elfen und der Allianz aus Zwergen und Menschen gegeben.

    Dass sich diese Wesen unbeobachtet in ihrem Gebiet bewegen durften, davon stand allerdings nichts in dem Vertrag und deshalb sandten die Moonytoads regelmäßig ihre Späher aus. Diese sollten die Bauarbeiten an den Gleisen beobachten und darüber wachen, dass die unerwünschten Eindringlinge eben jenem Gebirgszug nicht zu nahe kamen, in dessen Höhen die Späher ihren Posten bezogen hatten.

    Tief unter diesen Bergen nämlich – die Elfen nannten sie die Säulen der Unvergänglichkeit – befand sich das bedeutsamste Heiligtum der gesamten elfischen Rasse. Hinter einem magisch versiegelten Tor, in einem gigantischen Labyrinth aus Höhlen, Gängen und Tunneln, lagen hier die Grabstätten der Ältesten verborgen, den Urahnen und Gründern aller Stämme Avaritias. So was von dermaßen total uneingeschränkt absolut heilig und unantastbar waren diese Gräber, dass kein lebendes

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