Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

INSEL DER URZEIT: Roman
INSEL DER URZEIT: Roman
INSEL DER URZEIT: Roman
eBook350 Seiten4 Stunden

INSEL DER URZEIT: Roman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Während eines heftigen Sturms stürzt ein Passagierflugzeug irgendwo über der südchinesischen See ab. Als Wrackteile der Maschine auf einer noch unbekannten Insel geortet werden, wird ein Bergungsteam aus Paläontologen, Biologen, Botanikern und einem berüchtigten Großwildjäger ausgesandt. Eskortiert von einem bis an die Zähne bewaffneten Sicherheitsteam bahnt sich das Team einen Weg durch den Dschungel … und findet sich schnell in einem tödlichen Katz-und-Maus-Spiel mit urzeitlichen Raubtieren wieder. Die Zeit scheint auf dieser Insel stehengeblieben zu sein.
Auf ihrer Suche nach dem Flugschreiber der Maschine stoßen sie auf das Geheimnis der mysteriösen Insel und auf eine uralte Macht, die das Gleichgewicht auf der Insel ins Wanken bringen könnte. Denn die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen …
SpracheDeutsch
HerausgeberLuzifer-Verlag
Erscheinungsdatum28. Feb. 2021
ISBN9783958355408
INSEL DER URZEIT: Roman

Ähnlich wie INSEL DER URZEIT

Ähnliche E-Books

Action- & Abenteuerliteratur für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für INSEL DER URZEIT

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    INSEL DER URZEIT - Rick Poldark

    Teil I

    Reiz und Reaktion

    Kapitel 1

    Dr. Peter Albanese saß in komplettem akademischem Ornat an der Seite von Dr. Tracey Moran auf der Bühne und schwitzte. Die Abschlussfeier des aktuellen Doktorandenjahrgangs war in vollem Gange. Ihm war unsäglich heiß unter seiner Robe, aber das Wetter trug daran keine Schuld. Tatsächlich war es ein kühler, angenehmer Tag im Mai, und die Belüftung im Auditorium funktionierte ebenfalls.

    Das Problem war, dass Peter große Menschenansammlungen hasste. In Situationen wie dieser hatte er sich schon immer unwohl gefühlt, und obwohl er nicht der Mittelpunkt dieser großen Menge aus überstolzen Eltern und gelangweilten Geschwistern war, hatte er das Ganze stets als eine anstrengende und schweißtreibende Angelegenheit empfunden. Er war daher überaus dankbar, dass dieses Ritual nur einmal im Jahr stattfand.

    Er sah zu Tracey hinüber, die so fröhlich und freudestrahlend aussah, als wäre sie es, die gerade ihren Doktortitel erhalten würde. So lange lag das tatsächlich noch gar nicht zurück, und vermutlich rief die Zeremonie glückliche Erinnerungen in ihr wach. Peters Abschluss lag etwas weiter in der Vergangenheit, wenn es auch nicht gerade Äonen waren, und er hatte sich damals genauso unwohl gefühlt wie heute.

    Nachdem sie sich durch unzählige Reden verschiedener hoher Würdenträger der Universität gequält und dazu die üblichen Gastredner ertragen hatten (in diesem Jahr durften ein lokaler Politiker und ein Schauspieler, den er nicht kannte, ihren Senf abgeben), näherte sich die Zeremonie jetzt ihrem Ende. Gleich würde sich die Fakultät der Geowissenschaften, der Tracey und er angehörten, zusammen mit allen anderen beim Empfang unter die Feiernden mischen.

    Als der Applaus für die Absolventen verebbt und der Empfang eröffnet war, wandte sich Tracey an Peter. »Das war einfach wunderbar.«

    Peter runzelte die Stirn. »Wollen wir uns den Empfang nicht schenken?«

    Tracey boxte ihm spielerisch gegen den Arm und kicherte. »Du weißt doch, die Dekanin wäre höchst unglücklich, wenn wir einfach so verschwinden würden.«

    Peter stand auf. »Okay, dann ist es jetzt an der Zeit, sich den Eltern zu stellen.«

    Tracey stand ebenfalls auf, und gemeinsam folgten sie der Menge aus dem Auditorium. »Komm, so schlimm ist es nun auch wieder nicht.«

    Peter hob eine Augenbraue. »Nicht so schlimm? Wir sind schuld daran, dass ihre Kinder, ihr Stolz und ihre Freude, ihr allerliebstes Herzblut, bald als Doktoren der Paläontologe in die Welt hinausziehen.«

    Tracey hakte sich bei ihm unter. »Bleib einfach bei mir, dann wirst du gut klarkommen. Lass uns unsere frischgebackenen Absolventen verabschieden.«

    Peter, der bei Traceys Geste ein wenig errötet war, ließ sich von ihr mitten in die Menge führen. Sein Gesicht glühte, was zum Teil von der körperlichen Nähe zu Tracey kam, vor allem aber davon, dass er sich Schulter an Schulter und durch enge Türen hindurch vorwärts geschoben, wie Vieh fühlte, das zur Schlachtbank geführt wurde. Er fragte sich, warum es immer wieder Menschen gab, die offenbar nicht in der Lage waren, ein Deo korrekt anzuwenden.

    Es war nicht so, dass Peter nicht Lebewohl zu seinen Studenten sagen wollte. Er liebte sie, und er liebte es, sie zu unterrichten. Problematisch waren nur die Eltern, die nicht so recht wussten, was sie über ihr erwachsenes Kind sagen sollten, das es mit der eher exotischen Qualifikation als Paläontologe schwer haben würde, einen anständig bezahlten Job zu finden. Er fühlte sich dann immer beinahe schuldig. Glücklicherweise gab es in diesem Jahrgang nur vierzehn Absolventen. Angefangen hatten sie mit siebzehn, aber drei von ihnen hatten das Promotionsstudium abgebrochen; einer nach dem Ende des ersten Jahres und die anderen beiden nach dem Zwischenexamen.

    Sie betraten nun den Saal, der voller Absolventen, ihren Familien und den Dozenten von den verschiedenen Fakultäten war. Sein Plan war eigentlich gewesen, sich eine ruhige Ecke zu suchen und sich von denen, die ihn kannten, finden zu lassen, doch Tracey hatte offenbar andere Vorstellungen.

    Sie packte ihn wieder am Arm. »Na los. Lass uns sie suchen.«

    Es hatte keinen Sinn, dagegenzuhalten, also ließ sich Peter mit Lämmergeduld durch den Raum ziehen.

    Tracey zeigte nach rechts. »Schau mal, da ist Lucy. Komm, wir gratulieren ihr.«

    Lucy lächelte, als sie die beiden näherkommen sah und ging ihnen entgegen. Im Schlepptau hatte sie ihre Eltern und einen gelangweilt wirkenden jüngeren Bruder, der es irgendwie schaffte, unbeschadet mit starrem nach unten auf sein Smartphone gerichteten Blick durch den überfüllten Raum zu laufen.

    »Herzlichen Glückwunsch, Lucy!«, sagte Tracey und umarmte sie strahlend.

    Die Begegnung zauberte ein breites Lächeln auf die Gesichter der Eltern. Der Bruder im Teenageralter sah kurz nach oben und widmete sich dann sofort wieder seinem Handy. Peter trat vor. »Herzlichen Glückwunsch, Lucy.«

    Diese lächelte und öffnete ihre Arme, um ihn zu drücken, aber Peter streckte stattdessen unbeholfen seine Hand aus. Dadurch touchierte er eine ihrer Brüste.

    Seine Hand zuckte zurück, als hätte sie etwas extrem Heißes berührt. »Hoppla! Das tut mir leid.«

    Jetzt war sie es, die ihre Hand ausstreckte und seine schüttelte. Das Lächeln ihres Vaters wirkte nun etwas weniger freundlich.

    »Mom und Dad … das sind Tracey und Peter. Peter hat meine Doktorarbeit betreut.«

    Lucys Vater streckte zuerst seine Hand aus und Peter schüttelte sie, dann gab er ihrer Mutter die Hand. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. und Mrs. Gottesman.«

    Mrs. Gottesman zog ihre Schultern nach oben, während sie etwas zu sehr lächelte. Sie wirkte unsicher, und als ob sie nicht wüsste, was sie als Nächstes sagen sollte. »Lucy war für Monate wie besessen von ihrer Arbeit. Es scheint ein ziemlich anspruchsvolles und spannendes Projekt gewesen zu sein.«

    Peter nickte lächelnd. »Es war äußerst mutig von ihr, als Studienobjekt die Zahnanatomie von Theropoden zu wählen. Sie hat die Grundlage für ein leicht anwendbares System entwickelt, mit dessen Hilfe sich Fundstücke auf Basis der entsprechenden Taxonomie bezüglich der Gesamtkronenlänge, der Basenlänge und Breite, der Basisform, Apex-Position und der Größe der Kerbverzahnung einzelnen Spezies zuordnen lassen.«

    Mrs. Gottesmans Lächeln verblasste nun. Ihr Gesichtsausdruck wandelte sich zu Verlegenheit, in das sich kurz darauf möglicherweise auch ein Hauch Antipathie mischte. Sie räusperte sich und legte ihren Arm um Lucy. »Wir sind sehr stolz auf sie.«

    »Ja«, fügte Mr. Gottesman hinzu. »Jetzt hat sie beste Aussichten auf einen Job als Zahnärztin für Dinosaurier.« Sein Tonfall war eher sarkastisch als humorvoll.

    Peter gelang es, für Lucy ein Lächeln hervorzubringen. »Meinen Glückwunsch. Du hast wirklich sehr hart dafür gearbeitet.«

    Tracey umarmte Lucy noch einmal. »Glückwunsch!«

    Die Gruppe trennte sich nun und Peter und Tracey liefen hierhin und dorthin, um sich ähnlichen Interaktionen mit den anderen Absolventen und ihren Familien zu stellen. Sie standen gerade bei den Eltern von Mark Baker, als Peter bemerkte, dass Petra Vasiliev allein und ziellos durch den Raum lief.

    Er wollte seinem derzeitigen Gespräch nicht unbedingt entfliehen, denn immerhin schien Marks Vater einigermaßen interessiert an dem ganzen Thema zu sein und zeigte sich begeistert über die Abschlussarbeit seines Sohnes. Aber zu sehen, wie Petra ganz allein und sichtlich verlegen die Menge durchstreifte, berührte ihn irgendwie, denn er wusste ganz genau, wie sie sich gerade fühlte.

    Peter legte eine Hand auf Traceys Schulter, wandte sich jedoch an Mark und seine Eltern als er sagte: »Entschuldigen Sie mich bitte für einen Moment.«

    Er eilte davon und ließ Tracey das Gespräch allein weiterführen. Zielstrebig bahnte er sich einen Weg durch die Menge. Petra war groß und dünn, trug ein leichtes schwarzes Kleid und hohe Absätze und spielte nervös mit ihren rabenschwarzen Haaren. Sie schien sich äußerst unwohl in ihrer Haut zu fühlen, was ungewöhnlich für sie war.

    Als sie sah, wie Peter sich ihr näherte, schenkte sie ihm ein schelmisches Lächeln und zuckte mit den Schultern.

    »Herzlichen Glückwunsch«, brachte Peter hervor, ohne zu wissen, was er als Nächstes sagen sollte.

    »Danke.«

    Er sah sich um. »Wo sind denn deine Eltern?«

    »Sie konnten nicht kommen.«

    »Wirklich? Das tut mir leid.«

    »Kein Problem. So was passiert eben.«

    Peter hatte Mitleid mit ihr. Sie tat so, als ob es keine große Sache wäre, aber es war eine große Sache. Man bekam schließlich nicht jeden Tag eine Promotionsurkunde.

    Sie sah sich im Raum um. »Stört es dich, wenn wir für einen Moment rausgehen? Diese Masse von Menschen macht mich ganz verrückt.«

    Peter stimmte ihr absolut zu. Er sah sich über die Schulter nach Tracey um, die jedoch nicht zu sehen war. »Na klar, sicher. Lass uns rausgehen.«

    Während er Petra nach draußen folgte, fragte er sich, warum ihre Eltern nicht gekommen waren. Petra hatte nie viel von ihrer Familie erzählt. Sie war ihm ein Rätsel geblieben. Äußerlich sah sie aus wie ein Goth-Mädchen, aber unter der Oberfläche lag ein scharfer analytischer Verstand. Sie interessierte sich vor allem für das Raubtierverhalten der Tyrannosaurier, womit sie perfekt zu Peter passte – zumindest rein akademisch gesehen.

    Als sie draußen waren, holte Petra eine Zigarette hervor, die sie zwischen ihre Lippen steckte, und dann ein Feuerzeug. Sie entzündete eine Flamme, hielt sie an die Spitze ihrer Zigarette und schützte die entstehende Glut mit einer hohlen Hand, deren Fingernägel schwarz lackiert waren, vor dem Wind.

    Peter ließ seinen Blick über den Vorplatz schweifen. Er war fast leer, bis auf Einzelne, die dem Empfang offenbar frühzeitig den Rücken gekehrt hatten. Alle anderen waren noch im Saal. »Was hast du als Nächstes vor? Wirst du dir einen Job suchen?«

    »Nein, das hat noch Zeit.«

    »Was hast du dann vor?«

    »Ich weiß es noch nicht. Vielleicht reise ich nach Europa. Ich wollte immer schon nach Prag.«

    Peter fragte sich, wer die Rechnung für das Promotionsstudium und Europa bezahlte. Vielleicht waren die abwesenden Eltern ja steinreich. Das wäre zumindest eine Erklärung für Petras lockere Einstellung dem Leben im Allgemeinen und im Speziellen gegenüber. »Es gibt eine große Grabung an einem Standort in Arizona. Sie haben einige Triceratopsknochen mit Markierungen gefunden, die vermutlich von einem physischen Trauma herrühren, und sie brauchen noch gutes Personal für die Analyse.«

    Petra sah Peter mit ihren tiefblauen Augen an. »Wirklich?«

    »Ich … ich könnte meine Beziehungen spielen lassen und dafür sorgen, dass du in das Projekt aufgenommen wirst.«

    Sie lächelte. »Das würdest du für mich tun?«

    Peter lächelte zurück. »Für meine beste Schülerin? Aber natürlich.« Es klang wie ein freundliches Kompliment, aber Peter meinte es wirklich ernst. Sie war eine seiner besten Schülerinnen gewesen, wenn nicht sogar die beste.

    Petra verzog ihre Mundwinkel zu ihrem typischen Grinsen. »Ante oder post mortem?«

    »Ich glaube, Dr. Rathi sagte ante.«

    »Irgendwelche Anzeichen eines Heilungsprozesses?«

    Jetzt grinste Peter. »Vielleicht.« Er hatte auf einmal gute Laune und neckte sie deshalb ein wenig, damit sie auf andere Gedanken kam und nicht länger an die Abwesenheit ihre Eltern denken musste.

    »Wirklich? Vielleicht nehme ich dein Angebot an.«

    »Ich hoffe tatsächlich, dass du es tust.«

    Sie nahm einen Zug von ihrer Zigarette. »Was genau läuft da zwischen dir und Tracey?«

    Peter war überrascht wegen des plötzlichen Themenwechsels. »Was meinst du genau?«

    Petra grinste verschwörerisch und stieß ihn spielerisch in die Seite. »Du weißt schon, was ich meine.«

    »Wir sind nur Kollegen und Freunde.«

    »Das ist alles?«

    »Ja, wobei ich nicht wüsste, was dich das angeht.«

    Petra dachte eine Minute darüber nach. »Gut.«

    Peter war verwirrt. »Was soll das heißen?«

    Sie nahm einen weiteren Zug und richtete ihren aufmerksamen Blick dann wieder auf ihn. »Ich weiß es nicht, aber wir könnten es bei einem Drink herausfinden.«

    Peter trat sofort zurück und hob die Hände. »Petra, ich denke, du missverstehst hier etwas. Ich möchte dir nur dabei helfen, einen Job zu finden. Das ist alles.«

    Petra machte große Augen und klimperte übertrieben mit ihren Wimpern. Bei jedem anderen Mädchen hätte das unschuldig gewirkt, aber Petra war alles andere als unschuldig. Sie war ein Raubtier. »Oh, komm schon, Peter. Das ist doch keine große Sache.«

    »Ich bin dein Professor und ich habe deine Dissertation betreut.«

    Petra ließ ihre Zigarette auf den Boden fallen und trat sie aus, wobei sie ihren tätowierten Knöchel hin und herdrehte. »Aber jetzt bist du mein Ex-Professor. Ich habe meinen Abschluss nämlich in der Tasche, wenn es das ist, was dir Sorgen macht. Ich bin nicht mehr länger deine Schülerin.«

    Peter wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Rein sachlich hatte sie recht. »Wo kommt das denn auf einmal her?«

    Petra machte einen Schritt nach vorn und schloss auf diese Weise die Lücke zwischen ihnen. Sie glühte förmlich vor Selbstvertrauen. »Du hast mir schon immer gefallen.«

    Peter wich einen Schritt zurück. »Ist das so?«

    »Ja. Ich konnte es nur nicht zeigen. Schließlich warst du der Professor, der meine Dissertation betreut hat.«

    Sie spielte mit ihm und es erregte ihn. »Ich glaube dir nicht.« Seine Reaktion war mehr als nur Selbstschutz. Sie war die Verteidigung eines schüchternen Mannes, der nicht an weibliche Aufmerksamkeit gewöhnt war. Die meisten Männer mit besseren sozialen Fähigkeiten hätten die Gelegenheit sofort genutzt und die Stimmung aufgegriffen, die Petra aussendete, aber nicht Peter.

    Sein Rückzug schien Petra jedoch nur weiter zu ermutigen. »Ach ja?« Sie beugte sich vor und küsste ihn jetzt auf den Mund. Es war ein tiefer und langer Kuss, und als sich ihre Lippen wieder trennten, fühlte sich Peters Gesicht heiß an. In einem schuldbewussten Reflex sah er sich nervös um, denn er spürte jemanden hinter sich stehen und betete, dass es nicht die Dekanin war.

    Er drehte sich um und erblickte Tracey.

    Sie starrte sie beide mit einem ungläubigen Blick und weit aufgerissenem Mund an.

    »Es … es tut mir leid. Ich wollte nicht stören.«

    »Nein«, war alles, was Peter hervorbrachte, doch Tracey blieb nicht stehen, um sich eine ausgiebige Erklärung anzuhören. Hastig ging sie davon und verschwand wieder im Festsaal.

    Peter drehte sich zu Petra um. »Bitte entschuldige mich.«

    Heftig fluchend eilte er hinein und suchte wie von Sinnen die Menge nach Tracey ab, doch sie war in dem Meer von Menschen verschwunden. Seine Gedanken rasten und er bemühte sich, ihre Reaktion zu interpretieren. War sie verärgert? Wenn ja, warum? Weil sie gesehen hatte, wie er eine Studentin geküsst hatte? Warum sollte das für sie relevant sein? Petra war schließlich eine ehemalige Studentin. Oder war sie enttäuscht? Eifersüchtig?

    Als echter Analytiker begann er jetzt seine eigene Reaktion zu hinterfragen. Warum war er deshalb so verärgert? Jeder Mann hätte die Gelegenheit, bei Petra zu landen, beim Schopf ergriffen. Aber hatte er das gewollt? Was wollte er überhaupt? Wen wollte er? Hatte er vielleicht Gefühle für Tracey?

    Peter stieß jetzt gegen Nick Lyons, der ebenfalls hier lehrte und fast sein Getränk verschüttete.

    »Hey, Peter. Was für ein Menschen-Auflauf, nicht wahr?«

    »In der Tat. Nick, hast du Tracey gesehen?«

    »Ja, sie ist mit Joel gegangen.«

    »Sie ist schon gegangen? Mit Joel?«

    »Sieht ganz so aus.«

    »Wann denn?«

    »Vor ein paar Minuten. Du hast sie gerade so eben verpasst.«

    Peter zog sein Handy aus der Hosentasche und er wählte Traceys Kontakt aus. Sein Daumen schwebte über dem Wählknopf.

    Nick, der nichts von Peters Problemen ahnte, hatte sich schon wieder unter die Menge gemischt. Peter überlegte, was er jetzt tun sollte. Sollte er es wagen, sie anzurufen? Aber wie würde das aussehen? Verzweifelt? Oder schlimmer noch, schuldig? Schuldig woran? Petra hatte schließlich ihn geküsst. Aber woher sollte Tracey das wissen? Wie viel hatte sie überhaupt gesehen?

    Peter verfluchte sich innerlich.

    Noi Bai International Airport, Vietnam

    Bill Gibson verstaute sein Handgepäck in der Ablage über sich und ließ sich in den Fenstersitz über dem Flügel des Flugzeuges fallen. Er hatte eigentlich am Gang sitzen wollen, da es ihm seine Blase mittleren Alters nicht mehr erlaubte, ohne Toilettenbesuch nonstop nach Hause zu fliegen. Aber er würde sich deswegen das Triumphgefühl über seinen Sieg in Hanoi nicht nehmen lassen.

    Der Bau der neuen Fabrik würde innerhalb eines Monats beginnen, was Alan äußerst glücklich machen würde, und wenn Alan glücklich war, würde das Bills Chancen auf den Posten des Vizedirektors deutlich verbessern. Der Flurfunk besagte nämlich, dass die Firma zurzeit hausintern nach einer Neubesetzung suchte. Endlich würde er Trish die neue Küche ermöglichen können, die er ihr schon so lange versprochen hatte.

    Eine ältere, asiatisch aussehende Frau schlurfte jetzt zu dem Platz neben ihm. Sie lächelte ihn an und mühte sich dann erfolglos damit ab, ihr Handgepäck zu verstauen. Sie stöhnte, als sie es nicht schaffte, die Tasche über ihren Kopf zu heben.

    Bill stand auf und machte gebückt einen Schritt auf sie zu, um sich nicht den Kopf an den Lüftungsöffnungen zu stoßen. »Lassen Sie mich Ihnen doch helfen.«

    Die Dame nickte dankbar und wich ein Stück in den Gang zurück, um ihn herauszulassen. Bill schob ihre große schwarze Tasche vor sich her, um sich in den Gang stellen zu können. Dann packte er sie am Griff, hob sie hoch und schob sie ohne große Mühe in das Gepäckfach. Anschließend schloss er die Klappe und nickte der Dame zu.

    Sie lächelte ihn an. »Danke schön.«

    Sie sprach Englisch, das war gut. Bill erkannte eine Chance, und wenn er in einer Sache richtig gut war, dann darin, sich bietende Gelegenheiten zu nutzen. »Wäre es für Sie vielleicht in Ordnung, wenn wir die Sitze tauschen würden? Sie könnten dann am Fenster sitzen. Denn ich werde wahrscheinlich ziemlich oft zur Toilette müssen.« Er tat sein Bestes, um möglichst verlegen auszusehen.

    »Oh nein«, sagte die Dame entschieden. »Ich habe Angst vorm Fliegen. Ich schaue nicht gern aus dem Fenster, das ist mir zu gruselig.«

    Es war also an der Zeit, zu verhandeln. »Sie könnten doch die Sonnenblende herunterziehen.« Bill deutete auf das Fenster.

    Die Dame wirkte immer aufgeregter und fuchtelte mit den Händen herum. »Nein, Sir. Tut mir leid. Ich strecke meine Füße gern im Gang aus. Mein Blutkreislauf ist nämlich nicht mehr der beste.«

    Bill begriff, dass er unmöglich als Gewinner aus dieser Verhandlung hervorgehen würde. Außerdem war er ein Gentleman, also ließ er es dabei bewenden. Er kehrte zu seinem Platz am Fenster zurück und beschloss, sich seine gute Laune durch die Platzierung nicht verderben zu lassen. Es ging in seinem Leben immerhin stetig nach oben. Außerdem würde ihm die Rache so sicher sein wie das Amen in der Kirche. Er würde sie nämlich während des Fluges mehrmals bitten müssen, aufzustehen, weil seine Blase ihm das Leben schwer machen würde.

    Noi Bai war ein geschäftiger Flughafen, aber nachdem das Flugzeug ein wenig herumgerollt war, durfte es sich relativ schnell in die Warteschlange der Startbahn einreihen. Die Stimme des Piloten erklang jetzt knisternd über die Lautsprecher. Er informierte die Passagiere über die voraussichtliche Flugzeit, die Wetterbedingungen und einiges mehr. Die Flugbegleiter beeilten sich, die Sicherheitseinweisung hinter sich zu bringen, und dann spürte Bill bereits, wie die Motoren anzogen.

    Er sah aus dem Fenster. Draußen war es pechschwarz und Regenwasser lief über die Scheibe. Über den Wolken blitzte es, und zwar genau in der Richtung, in die sie flogen.

    Durch seine Arbeit war Bill ein erfahrener und abgehärteter Vielflieger. Während das Flugzeug die Startbahn entlang beschleunigte, verzog er keine Miene und blickte ruhig nach vorn. Die Dame neben ihm umklammerte ihre Armlehnen, bis ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.

    »Es ist alles in Ordnung«, versuchte Bill sie zu beruhigen. »Hier drin ist es sicherer als in einem Auto.«

    Die Dame warf ihm mit weit aufgerissenen Augen einen zweifelnden Blick zu.

    Das Flugzeug hob jetzt ab, wobei es kurz in der Luft hüpfte und schaukelte, und die Blitze in den schwarzen Wolken außerhalb von Bills Fenster kamen immer näher. Einen Moment später durchstießen sie die dunklen Wolken und erreichten innerhalb weniger Minuten die Reiseflughöhe. Gelegentlich wurde das Flugzeug durchgerüttelt, weshalb das Anschnallzeichen erleuchtet blieb, aber sie waren nun über den Wolken.

    Die Dame neben ihm schien sich etwas zu entspannen.

    »Am riskantesten beim Fliegen sind der Start und die Landung.«

    Sie lächelte ihn schief an. »Was sind Sie, ein Pilot?«

    Sie hatte einen deutlich hörbaren Akzent. Er vermutete, dass sie in Vietnam lebte und Verwandte in Australien besuchen wollte.

    Bill lächelte zurück. »Nein, aber ich bin beruflich sehr oft mit dem Flugzeug unterwegs. Mein Name ist Bill.«

    Sie lächelte nun etwas freundlicher. »Ich bin Bian. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

    »Besuchen Sie Verwandte?«

    »So ist es. Meine Tochter lebt in Melbourne.«

    »Oh. Ich bin gerade auf dem Rückweg dorthin.«

    Bian lockerte ihren Griff um die Armlehnen, schrak aber zusammen, als das Flugzeug in eine Turbulenz geriet. »Eine schöne Stadt.«

    Bill lächelte. »Ich mag Melbourne sehr.« Er sah aus dem Fenster. »Das ist aber ein echt übles Wetter da draußen.«

    Das Flugzeug erzitterte wieder und sackte plötzlich ein wenig ab, was ein unangenehmes Kitzeln in der Magengrube nach sich zog. Bian stöhnte. »Ich hasse fliegen. Besonders diese Achterbahnmomente.«

    »Stellen Sie sich die Luft einfach wie eine Straße vor. Für ein Flugzeug ist die Luft so fest wie der Asphalt für ein Auto.«

    Bian runzelte die Stirn. »Wie soll die Luft fest sein, wenn man sie nicht greifen kann?«

    Das Flugzeug sackte erneut ab. »Das sind nur Turbulenzen … wie Unebenheiten auf einer Straße.«

    »Sie klingen gar nicht so, als ob Sie aus Melbourne stammen«, sagte Bian jetzt.

    »Das liegt daran, dass ich ursprünglich aus New York komme. Ich bin erst vor ein paar Jahren für meinen Job nach Melbourne gezogen.«

    Ein weiteres Mal sackte das Flugzeug abrupt nach unten. Die Lichter flackerten. Sogar die Flugbegleiter wirkten jetzt nervös, als sie ihre Uniformen straffzogen und sich Mühe gaben, ihre übliche Körperhaltung einzunehmen.

    Bian beobachtete sie aufmerksam und sah besorgt aus. »Ich denke gerade selbst darüber nach, nach Melbourne zu ziehen, um näher bei meiner Tochter sein zu können. Haben Sie Familie?«

    Bill lächelte. »Eine Frau und zwei Jungs.«

    »Wie alt?«

    »Acht und zehn. Können ganz schön anstrengend sein, die beiden.«

    Bian kicherte, klang aber immer noch nervös. »Das war bei meiner Tochter auch so. Ist es eigentlich immer noch. Sie ist ungebunden und ich werde nicht jünger. Ich möchte endlich ein paar Enkelkinder haben, mit denen ich spielen kann.«

    Bill schnaubte. »Ich leihe ihnen gern jederzeit meine Kinder aus, vielleicht gegen einen kleinen Obolus.«

    »Sind sie denn stubenrein?«

    »Meistens.« Bill freute sich, dass Bian entspannt genug war, um mit ihm zu scherzen.

    Das Flugzeug tauchte jetzt wieder nach unten. Dieses Mal schrie eine der Flugbegleiterinnen auf.

    »Das hier ist jetzt aber nicht mehr im grünen Bereich«, sagte Bill angespannt.

    »Sagen Sie das bloß nicht«, erwiderte Bian panisch. »Sie sind hier schließlich die Stimme der Vernunft.«

    Eine Mutter streichelte beruhigend ihr kleines Kind, das sich ängstlich an sie klammerte. Die anderen Passagiere murmelten in einer Mischung aus Unzufriedenheit und Sorge.

    Vor Bills Fenster gab es jetzt ein klapperndes Geräusch, gefolgt von einem lauten Knall. Doch bevor er nach draußen schauen konnte, stürzte das Flugzeug plötzlich gefühlt wie im freien Fall und neigte sich mit der Spitze nach unten. Die Passagiere schrien voller Panik auf.

    Bill umklammerte seinen Bauch, in dem etwas nach oben schießen wollte. Der Flieger fiel so plötzlich nach unten, dass es sich anfühlte, als hinge seine Seele noch irgendwo über ihm. Bian umklammerte seinen Arm und schrie laut auf. Der Pilot war nun über die Lautsprecher zu hören. Er erteilte Anweisungen, aber der Lärm der panischen Passagiere in der Kabine und die immer lauter werdenden Fluggeräusche übertönten seine blecherne Stimme. Sauerstoffmasken fielen auf einmal von der Kabinendecke herunter.

    Bill riss die für ihn bestimmte Maske aus der Luft, platzierte sie über Mund und Nase und befestigte sie mit dem Gummiband an seinem Kopf. Dann drehte er sich nach rechts und stellte fest, dass Bian bewusstlos geworden war. Er griff nach ihrer Maske, setzte sie ihr auf und sicherte sie, so gut er konnte.

    Das Flugzeug schlingerte und torkelte in der Luft, und verlor immer weiter an Höhe. Die Flugbegleiterinnen riefen den Passagieren zu, die Schutzposition einzunehmen, und schnallten sich ebenfalls an.

    Bill beugte Bian nach vorn, bevor er sich selbst nach unten beugte und den Kopf zwischen die Arme nahm. Seine Gedanken rasten und er stellte sich die vielen furchtbaren Szenarien vor, die auf sie zukommen konnten. Wenn sie in den Ozean stürzten, würde er die

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1