GegenStandpunkt 3-20: Politische Vierteljahreszeitschrift
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Über dieses E-Book
Die öffentliche Debatte um die Frage „Wer oder was ist systemrelevant?“ angesichts von Lock-down-Verfügungen samt Ausnahmen, Sonderschichten samt eventuellen Extravergütungen und einer Runde gratis Wertschätzung für Pflegekräfte etc. war zwar an verlogener Moral nicht zu überbieten. Aber alle wirklichen Schäden und die praktischen Maßnahmen der Obrigkeit machen umso deutlicher: ‚Relevant‘ oder nicht – das entscheidet sich an der Logik marktwirtschaftlicher Normalität. Und die ist nun einmal eine der kapitalistischen Ausbeutung, entsprechender Reichtumsvermehrung auf der einen, einer massenhaften, teils nützlichen, teils bloß unnützen Armut auf der anderen Seite. Daran ändert sich auch in Zeiten der Seuche nichts.
Auch um die Normalität des deutschen Schulbetriebs gibt es seit Corona viele Sorgen. Die drehen sich um regelgerechte Prüfungen, mangelnde Gleichheit und Vergleichbarkeit von home schooling, fehlende Sozialkontakte und zeugen allesamt von einem: von Zweck und Funktionsprinzipien der Schule der Konkurrenz als Vorbereitungs- und Ausleseanstalt für die marktwirtschaftliche Berufshierarchie. Das Wichtigste, was jeder aus der schulischen Konkurrenz, egal wie weit er es in ihr bringt, fürs Leben mitnimmt, ist die Einübung von Konkurrenztugenden samt allen verlogenen Moralismen einer nationalen Werte- und Verantwortungsgemeinschaft.
Ganz normal geht auch der Rassismus in den USA seinen Gang. Leider ist auch der werweißwievielte von US-Polizisten zu Tode gebrachte Afroamerikaner samt den folgenden Unruhen und der militärischen Antwort des Staates für die deutsche Öffentlichkeit nur Gelegenheit, das Ideal eines rassismusfreien Amerika zu beschwören, um die rassistische Realität Trump anzulasten. Dabei beweist der umgekehrt mit seinem ganzen Auftritt, wie systemisch der Rassismus einer freien, egalitären Staatsgewalt zum amerikanischen Freiheitsstall gehört.
Gar nicht normal findet der französische Patriot und gute Europäer Macron den Zustand von Europa, weil und solange das nicht so ausgreifend und systematisch als Militär- und Kriegsmacht agiert, wie es das seiner atomwaffengestützten Meinung nach gefälligst tun sollte. Mit seiner Parole Die NATO ist „hirntot“ – es lebe die sicherheitspolitische Autonomie Europas unter Frankreichs Führung! irritiert er die deutsche Politik und Öffentlichkeit; die sehen darin den Angriff auf ihre Vision imperialistischer Weltgeltung Europas – unter deutscher Führung nämlich.
Der § 18 der Abhandlung über die Konkurrenz der Kapitalisten, der die geistigen Verrenkungen erklärt, mit denen diese Gesellschaft die Konkurrenz der Unternehmen um überlegene Produktivität zum unaufhaltsamen Fortschritt verklärt und an dessen ‚Schattenseiten‘ so unsachlich wie möglich herumproblematisiert.
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Buchvorschau
GegenStandpunkt 3-20 - GegenStandpunkt Verlag München
Inhaltsverzeichnis
Schule der Konkurrenz
I. Lehren, um zu unterscheiden – lernen, um zu konkurrieren
1. Wer verdient wie viel Bildung?
2. Der/die Fächer der geistigen Anstrengung
3. Eine intellektuelle Tüchtigkeit eigener Art
4. Moralität als Lernerfolg
a) Erfolgsmoral – oder: Die Macht der Gewohnheit
b) Anstand – oder: Alles eine Frage der Gerechtigkeit
II. Demokratische Werteerziehung: Moral als Schulfach
1. Das Fach Deutsch
2. Das Fach Geschichte
Fazit
Z.B. George Floyd
Vom Rassismus einer freiheitlichen, egalitären Staatsgewalt
I. Eine großartige Ordnung und ihr innerer Feind: kriminelle Charaktere
II. Ein großartiges Volk und sein farbiges Gegenbild
1.
2.
3.
4.
III. Eine neue antirassistische Protestbewegung und ihre Resonanz
1.
2.
Die Konkurrenz der Kapitalisten
Kapitel III
§ 18 Das Nebeneinander von Erfolg & Scheitern, der Standpunkt von wirklichen und imaginierten Opfern & Nutznießern als meinungsbildende Produktivkraft
1. „Missmanagement" ist populäre BWL
2. „Raffendes vs. „schaffendes
Kapital ist nicht totzukriegendes Kulturgut
3. Was der Staat alles zulässt, gar unterstützt, darf gefragt werden
4. Dass die Arbeitsplätze woanders landen, ist zu beklagen
5. Ebenso zu beklagen: der Gesundheitszustand der Umwelt, deren Rettung aber erstens mit der Ökonomie kompatibel ist, zweitens mit der Technik, deren Fortschritt keiner aufhalten will
Unterm Strich: Ethik des Kapitalismus
Macrons Ansage:
Die NATO ist „hirntot" – es lebe die sicherheitspolitische Autonomie Europas unter Frankreichs Führung!
I. Macrons NATO-Kritik: ein Dokument der imperialistischen Ambitionen Frankreichs
1. Die NATO als Erfüllungsgehilfe der amerikanischen Kriegsplanung gegen Russland: ein Angriff auf die sicherheitspolitische Souveränität Frankreichs und Europas
a)
b)
c)
2. Die NATO heute: nutzlos bis hinderlich für Frankreichs Auftritt in seinem weitläufig definierten Hinterhof
II. Frankreich definiert und lenkt den Aufbruch Europas zu einer militärischen Weltmacht
1. Frankreich treibt die europäische Rüstungskooperation voran
2. Die Force de Frappe: Frankreich stellt die letzte Garantie seiner militärischen Durchsetzungsfähigkeit als Schutzschirm für Europa in Aussicht
Der kriegsstrategische Zweck der Force de Frappe
Die weltpolitische Bedeutung der Force de Frappe
Die europapolitische „Komponente" der Force de Frappe
3. Frankreich agiert weltweit als Subjekt europäischer Sicherheitsinteressen – und bietet Europa seine Beteiligung daran an
In Afrika und im Mare Nostrum
An der Ostfront
Im Indopazifik
Das hat dem Kosovo gerade noch gefehlt:
Trump bestellt Frieden auf dem Balkan
I.
II.
III.
IV. Und die EU?
Das EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der 1,8-Billionen-Euro-Deal
Von der Kunst, die Widersprüche eines supranationalen Kreditgelds bis zum Gehtnichtmehr auszureizen und fortzuschreiben
I. Fall: Das EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts
II. Fall: Der 1,8-Billionen-Euro-Deal
Was Deutschland bewegt
Söder kann Kanzler
Wie man sich für Höheres qualifiziert
Scholz will Kanzler
Der Überraschungskandidat
Chronik der Corona-Pandemie
MAI
Pandemie XI.
Das Virus provoziert eine Klärung des Verhältnisses von Glaube, Wissen und Macht in der Demokratie
Bild übt sich in Wissenschaftskritik
Das gediegene Feuilleton bricht eine Lanze für die Autorität der Wissenschaft
Die demokratische Staatsmacht rechtfertigt sich vor dem Volk, nicht vor dem Verstand!
JUNI
Pandemie XII.
Bleibende Lehren aus der Corona-Krise: Wer oder was ist systemrelevant?
1.
2.
3.
4.
5.
Pandemie XIII.
Der Fleischskandal
Die seuchenbedingte Neuauflage eines alten Skandals …
… und was aus ihm wird
1. Eine Herausforderung für die Sachwalter der Volksgesundheit
2. Eine Glanzstunde für die Betreuer des gesunden Volksempfindens
3. Eine Lerneinheit über die Logik von Sozialpolitik
4. Eine Runde Muh im Kuhstall
5. Klassengesellschaftlicher Alltag eben
JULI
Pandemie XIV.
Die elende Sehnsucht nach ‚Normalität‘
Schule
der Konkurrenz
Zahllose Bildungs- und Lehrplanreformen hin, PISA-Testate und Schulevaluierungen her, so richtig zufrieden ist die ‚Wissensgesellschaft‘ mit ihrem hochgeschätzten Schulwesen darüber nicht geworden – im Gegenteil. Die Schule ist, gerade weil man den von ihr eröffneten „Bildungschancen" enorme Wichtigkeit zuschreibt, permanent Gegenstand von Klagen über und enttäuschten Erwartungen an sie.
Karrierewillige Abiturienten greifen sich z.B. an den Kopf, dass sie Gedichtinterpretationen in mehreren Sprachen verfassen müssen. Unternehmerverbände sind mit dem ‚praxisfremden‘ Output der Bildungsanstalten, den sie in ihren Betrieben nicht brauchen könnten, notorisch unzufrieden. Diesen Vorwurf wollen wiederum die Anhänger einer soliden ‚Allgemeinbildung‘ und einer Erziehung des ‚ganzen‘ Menschen nicht auf der Schule sitzen lassen, die sich von der Unternehmerlobby schon viel zu viel von ihrem Auftrag habe abkaufen lassen. Den einen ist die Schule immer ‚viel zu rückständig‘, um den akuten Erfordernissen der Gesellschaft zu genügen, den anderen läuft die Schule allzu oft ‚jedem Trend‘ hinterher. Für die einen lernen Schüler ‚immer weniger‘, für die anderen viel zu viel ‚unnötigen Wissensballast‘. Mitfühlende Pädagogen und Eltern monieren, dass Schule ‚krank macht‘, weil ihre Kinder zu hohem ‚Leistungsdruck‘ und ‚Notenstress‘ ausgesetzt werden, andere sehen eigentlich nur eine ‚Inflation guter Noten‘, die das gute, alte Abitur entwertet. Chronisch der Vorwurf, dass die Schule Bildungschancen ‚ungerecht‘ vergibt, weil der schulische Erfolg viel zu sehr am sozialen Status der Eltern hängt. Und auch der staatliche Dienstherr selbst zeigt sich unzufrieden, wenn die Schule entweder zu lange oder zu kurz dauert oder sie im internationalen Vergleich nur die mittleren Tabellenplätze belegt.
So verschieden und kontrovers die Beschwerden über das staatliche Ausbildungssystem sind – eines eint die Beschwerdeführer: Ihre Kritik entspringt einem Standpunkt zur Schule, einem privaten oder gesellschaftlich-politischen Interesse oder Ideal, was Schule und Unterricht eigentlich leisten sollten – und in der Realität immerzu schuldig blieben. Irgendwie macht es die Schule keinem recht. Auf einem ganz anderen Blatt steht, was die Schule in ihrem stinknormalen Alltag tatsächlich macht. Daraus geht ihr wirklicher Zweck klar genug hervor.
I. Lehren, um zu unterscheiden – lernen, um zu konkurrieren
1. Wer verdient wie viel Bildung?
Der moderne Staat macht mit seiner Schulpflicht für alle seine angehenden nützlichen Mitglieder die Aneignung von Kenntnissen, theoretische Bildung, gleichermaßen verbindlich. Es geht ihm um Volksbildung, und ein privates Schulwesen duldet er nur in Unterordnung unter sein Schema. Mit seiner Schulpflicht stellt der Staat klar, dass die Vermittlung von Wissen nach Inhalt, Art und Umfang eine gesellschaftliche Angelegenheit und keine Privatsache ist. Für seine und der Wirtschaft Zwecke ist ein Volk heutzutage nur dann für nützlich zu erachten, wenn es mit Wissen ausgestattet ist. Für die demokratische Klassengesellschaft steht fest, dass sie ein konkurrenztüchtig ausgebildetes Volk braucht und anwendet. Nicht fest steht jedoch, für wen wie viel Wissen notwendig ist.
Wenn Wissen und Können der Jugend nahegebracht werden, sind sie zugleich der Prüfstein dafür, wie sich der Lernende bei seiner Aneignung bewährt. Zu diesem Zweck werden all die Wissensinhalte jeweils als das Quantum Lernstoff festgelegt, als das Pensum, das in entsprechend vorgegebenen Zeitintervallen zu unterrichten und abzuprüfen bzw. aufzunehmen und zu präsentieren ist. Diese Zumessung des Wissens erstreckt sich über die gesamte Zeitschiene der Beschulung, gliedert sich also in Jahresstufen, diese in thematische Abschnitte, die meist mit den Prüfintervallen zusammenfallen.
Über die Konfrontation mit dem Lernstoff werden die Schüler auf ihre Lernfortschritte hin gemustert, über die einerseits ein sachliches Urteil zu fällen ist, nämlich als Abgleich des vorgewiesenen Wissens mit dem Soll. Dieses Urteil bildet andererseits die Grundlage dafür, es in eine Bewertung in der behördlich festgelegten Form der Notengebung zu übersetzen. Diese Bewertung quantifiziert den Lernerfolg, dokumentiert, wie viel vom Lernstoff gewusst ist, wobei für den Erwerb wie für die Präsentation des Wissens Zeitlimits gesetzt sind: Es gilt, den Stoff innerhalb einer vorgegebenen Frist zu erlernen und in der für die Prüfung abgesteckten Zeit zu beweisen, in welchem Umfang man ihn – schon oder noch – beherrscht. Somit fasst die Benotung die Wissensaneignung als Lernleistung, als geistige Anstrengung pro Zeit. Nur als solche sind die diversen Inhalte und Arten der Geistestätigkeit kommensurabel, sind sie messbare Leistung und in Notenstufen zu differenzieren. Konsequent ist, dass die bewerteten Wissensinhalte in der Notenziffer selbst verschwinden, woran auch deren Verbalisierungen von „sehr gut bis „ungenügend
nichts ändern.
Der zeitliche Rahmen tut, weil immer eng bemessen, das Seine zum konstanten Leistungsdruck: Nach der Probe ist vor der Probe, mit der Einforderung mündlicher Leistungsnachweise ist in jeder Schulstunde zu rechnen. Die Lerndauer ist zwar der Qualität der geistigen Aktivität an sich so äußerlich wie die Notenziffer – was heißt es für das Wissen schon, ob man es sich schneller oder langsamer angeeignet hat? Darauf kommt es in der Schule aber sehr an. Das Lerntempo ist ein entscheidendes Kriterium, die Erpressung mit der Zeitknappheit ein maßgeblicher Hebel, die Lernenden im Sinne der schulischen Leistungsbereitschaft zu disziplinieren.
Anhand der gemessenen Lernleistung werden die Schüler miteinander verglichen. Die diversen Mängel und Lücken des Wissens, die sich auftun, wenn alle Lernenden über den Leisten des terminierten Lehrplans geschlagen werden, sind für den Lehrer und Prüfer die Materie, an der er die Bewertung der Leistungsunterschiede festmacht. Bemühungen seitens der Lehranstalt, die Lücken zu schließen, arbeiten, soweit sie – wiederum im Rahmen des zeitlichen Korsetts – stattfinden, diesem Zweck zu: Einer fundierten Leistungsmessung hat die eine oder andere insistierende Mühe des Beibringens, mitunter nach Leistungsstand differenzierten Einübens vorauszugehen, die Wissensvermittlung ist schließlich die eine Seite des Geschäfts. Aber am Ende jeder Konfrontation mit dem Stoff, spätestens im Jahres- und ganz zuletzt im Abschlusszeugnis, wird eben abgerechnet. Wo sich ergibt, dass die Bemühungen der Schule um den Lernerfolg beim Schüler nicht gefruchtet haben, kommt die Bildungsanstalt zu dem Urteil, dass die Wissenslücken, die sie produziert, den lernenden Subjekten als Defizite ihrer Leistungstauglichkeit anzulasten sind. ¹)
Dieses Urteil fällt die Schule praktisch, wenn sie ihre Entscheidungen trifft und die bekannten Konsequenzen aus vergleichsweise „mangelhaften oder „ungenügenden
Leistungen zieht: Der Schüler hat das Jahr zu wiederholen, die nächsthöhere Stufe des Lernens ist ihm aufs Erste verwehrt; im wiederholten Fall des Scheiterns wird er „abgeschult, so das Fachwort dafür, ihn in die niedrigere Schulform zurückzusetzen. Wegweisend schlägt das Prinzip dieser Auslese mit der Weichenstellung nach vier Jahren Elementarstufe, mit dem heute so genannten „Grundschulabitur
zu: Während die einen an einer Schule verbleiben, wo – höflich gesagt – kein wesentlicher Zugewinn an Wissen mehr stattfindet, steht den anderen derselbe zu. Die Volksbildung stellt somit einen Katalog der Allgemeinbildung auf, um diejenigen zu ermitteln, die einen weiterreichenden Durchgang durch diesen Katalog verdienen. Von daher ist es in diesem Bildungswesen nicht paradox, sondern nur folgerichtig, dass die Schüler, die die größeren Wissensdefizite vorweisen, genau die sind, denen man weitere Bildung „erspart".
So organisiert dieses Schulsystem mit Noten und Zeugnissen die einer „Leistungsgesellschaft" verpflichtete Lernkonkurrenz und entscheidet, für wen wie viel Wissen nötig ist, indem es alle dem selektiven Zirkel unterzieht, dass Leistung zu mehr Leistung berechtigt, umgekehrt umgekehrt. Das so mit der Hierarchie von Schulabschlüssen erzeugte Resultat macht offensichtlich, dass die Schule zwar unterschiedslos für alle Pflicht ist, aber eine Volksbildung im Programm hat, die man mit der Herstellung eines gebildeten Volkes nicht verwechseln sollte.
2. Der/die Fächer der geistigen Anstrengung
Die „gebildete Persönlichkeit", auf die die Schule hinarbeitet, ist Objekt einer Leistungsmessung, die die Betätigung des Geistes im Kanon aller Schulfächer erfasst und quantifiziert. Der Lernstoff will aufgenommen und reproduziert sein, verlangt dem Schüler aber auch eigene Schlussfolgerungen und Urteile ab. Er muss sich dabei immer der doppelten Herausforderung stellen, nämlich sich auf die spezifischen Anforderungen an den Geist einlassen, wie sie im jeweiligen Fach im Vordergrund stehen, und das unter den stets sehr gleichen Bedingungen der Lernleistungskonkurrenz. Für Art und Umfang des verabreichten Wissens bleibt das nicht folgenlos:
Da sind etwa im Rechnen zuerst mechanische Fertigkeiten verlangt, es sind Automatismen zu erlernen, die helfen, Sicherheit im gleichförmigen Umgang mit dem Zahlenmaterial zu gewinnen, die Anwendung der Regeln will geübt sein. Diese Geübtheit hat allerdings nicht nur ihre sachgemäße Seite; vielmehr schlägt gerade an ihr das Kriterium Aufgabe pro Zeit zu, kaum dass man sich mit den Grundlagen der Materie vertraut macht. Wer in diesen geistigen Operationen der mechanischen Art zu langsam, d.h. langsamer als der Durchschnitt der Klassenkameraden ist, schließt sich, sollte er über dieses Fach in die Haupt-/Mittelschule hinaussortiert werden, schon an den Grundlagen des Rechnens vom weiteren Wissen über sie aus, braucht also mit der Mathematik gar nicht erst Bekanntschaft zu machen. Dass auch er im Alltag auf die Finger als Zählhilfe verzichten kann, darf die Schule sich als nachhaltig vermittelte „Voraussetzung für die Bewältigung lebensweltlicher Fragestellungen" (Lehrplan Grundschule Mathematik) gutschreiben.
Fächer wie Biologie, Chemie oder Physik führen laut Lehrplan in „Erkenntnisse ein, die „maßgeblich die Gestaltung der modernen Lebenswelt prägen und für die technische und wirtschaftliche Entwicklung von grundlegender Bedeutung sind
. Auch an solcher Materie differenziert sich im Schulbetrieb schnell, wie weit die theoretische Durchdringung reichen muss: Führt die rudimentäre Bekanntschaft mit dem Naturwissen bei einigen kaum über die aufgeklärte Ahnung hinaus, dass in der Natur Gesetze obwalten, so behilft sich der Schüler aus dem Mittelfeld jener Normalverteilung mit der Merkleistung von „Beispielen, ohne genau durchblicken zu müssen, wofür sie stehen. Wählt er die betreffenden Fächer rechtzeitig ab, braucht er sich mit dem Naturwissen gar nicht weiter zu „belasten
. Man kann es also auch in höhere Schulstufen, ja bis zum Abitur schaffen, ohne nennenswerte Naturgesetze begriffen zu haben. Letzteres schaffen wiederum wenige und erleichtern sich so den Lernerfolg.
In den Fremdsprachen sind vorderhand Anstrengungen des Gedächtnisses und die Disziplin eines zähen Übungseifers gefragt, um Vokabeln in zunehmender Menge und grammatische Formen auf Abruf zu haben und zu halten, das verlangt die Sache. In der Schule freilich liefert das Eintrichtern z.B. unregelmäßiger lateinischer Verben einen Prüfstoff der – wie dafür gemacht – selektionsträchtigen Art, was einem „Durchfall-Fach" seinen gefürchteten Ruf beschert. Um bis zu idiomatischen Feinheiten der diversen Sprachen vorzudringen, darf einer wiederum nicht an den Hürden der gemessenen Paukleistungen hängen geblieben sein.
Die Schule hat also alle möglichen, fächerrelevanten Anstrengungen des Geistes im Programm und fordert sie heraus, aber der Fortgang zu vertiefenden Geistesleistungen ist, soweit er einer aufbauenden Systematik folgt, gekoppelt an die ausschließende Hierarchie des schulischen Leistungsbetriebs selbst und ist somit weitgehend den höheren Schularten vorbehalten. Auch auf dieser Bildungsstufe bleibt die Schule ihrem Prinzip treu: Sie eicht das Interesse des Lernenden darauf, es so zu dosieren, wie er sich das vorgegebene Quantum in der vorgegebenen Frist eintrichtern will und kann. Entwickelt er darüber hinaus oder getrennt davon ein Interesse am Lerngegenstand selbst, wird es in der Bildungsanstalt vereinnahmt – oder als wenig zielführend ausgeschieden. Jedenfalls ist es kein Zufall, dass die Schule so manchem, den sie mit dem Leistungslernen auf den jeweiligen Stufen drangsaliert, den Spaß, den das Begreifen machen kann, nachhaltig austreibt.
3. Eine intellektuelle Tüchtigkeit eigener Art
Das schulische „Leistungsprinzip" schlägt im Nebeneinander und in der Gesamtschau der Fächer erst so richtig zu: Wie die Benotung bereits in jedem Fach sachlich inkommensurable Wissenselemente als Bestandteile der Lernleistung quantifiziert und so zu einer Bewertung verrechnet, bringt die Aufrechnung unterschiedlicher Fachnoten zu einem Notendurchschnitt diese Abstraktion konsequent auf den Punkt, wobei sie nicht nur disparateste stoffliche Kenntnisse, sondern auch die verschiedenen Arten geistiger Anstrengung zu einem Gesamtbefund zusammenwirft: zu einem Konglomerat aus Konzentrationsvermögen, Übungseifer, Gedächtnis, Kombinationsfähigkeit, Schlussfolgern, Urteilen usw.
Die Schule ist nämlich nicht zufrieden damit, dass der in den einzelnen Fächern herausgeforderte Verstand die den Inhalten jeweils angemessene Aktivität entfaltet, hier mehr memoriert, dort mehr kombiniert usw.: Weil sie scharf darauf ist, aus all den sachbezogenen Leistungen des Intellekts so etwas wie eine intellektuelle Leistungsfähigkeit zu extrahieren, konstruiert sie sich diese Fähigkeit aus jenem Aggregat geistiger Potenzen, die der Schüler an bestimmten Gegenständen und vermittels derselben erwirbt und vorzuweisen hat.
So konstruiert diese intellektuelle Tüchtigkeit eigener Art ist, so real macht die schulische Leistungsschau diese Abstraktion in ihrem Bildungsladen, und zwar nicht erst mit den Zeugnisnoten. Die Schule organisiert den Lernbetrieb selbst als Dauertest auf diese von konkretem Können abgehobene Befähigung. Die darf sich schon am „Sachzwang" des Schultags trainieren, im Dreiviertelstundentakt die Fächer zu wechseln. Gefragt ist die Flexibilität, zwischen disparaten Geistesübungen je nach Vorgabe zu switchen, so etwas wie eine Schultauglichkeit für sich, die den Schüler darauf trimmt, Interesse und Aufmerksamkeit für den Gegenstand genau so einzuteilen, wie Stundentafel und Stundentakt es erfordern.
Zudem operationalisiert die Schule den Lernbetrieb für das Gesamturteil, auf das alles zulaufen soll, indem sie es den Lehrkräften zur Vorschrift macht, stets – also schon in jedem Fach, möglichst in jeder Prüfung für sich – so etwas wie einen Querschnitt aus diversen Anstrengungen des Geistes einzufordern. Diese „Aufgabendifferenzierung, die der Lehrer in seiner Praxis als „Einser- und Sechser-Bremse
handhabt, d.h. als bewährtes Instrument kennt, den Notenschnitt im üblichen Rahmen zu halten, soll im Sinne der Auflage ein