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Schule sind WIR: Bessermachen statt Schlechtreden
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Schule sind WIR: Bessermachen statt Schlechtreden
eBook307 Seiten3 Stunden

Schule sind WIR: Bessermachen statt Schlechtreden

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Über dieses E-Book

Schluss mit dem Schlechtreden: Schule geht uns alle an!

Schule braucht nicht Besserwisserei von außen, sondern Reform durch Mitgestaltung von innen: SchülerInnen wollen in Augenhöhe lernen; Eltern sind unbezahlte, doch unbezahlbare Mitverantwortliche; LehrerInnen brauchen Wertschätzung für ihren Beruf als Berufung.

Aus seiner langjährigen Praxis als Pädagoge und innovativer Schulentwickler zeigt Erwin Rauscher, wie Leben und Lernen in und aus der Schule funktionieren können:

Wie sich Lernkultur gestalten lässt - schülernah, vielgestaltig, anspruchsvoll.
Wie die Fächer neu gedacht und neu gemacht werden können.
Wie Schulautonomie durch Mitverantwortung gelebt und erlebt werden kann.
Wie Schuldemokratie durch Vereinbarungskultur wirksam wird.
Was es bedeutet, gut leben zu lernen statt nur viel haben zu wollen.
Warum Kinder darin gleich sind, verschieden zu sein.
Wie Lerngesundheit als Gewaltprävention wirkt.
Warum wir kein Entweder-oder von Gesamtschule oder Gymnasium brauchen, sondern zwei Schienen für einen gemeinsamen Weg der Vielfalt.
Wie neue Lehrerbildung zum Orientierungsrahmen für Schulreform werden kann.

So wird Schule vom Ort, in den man geht, zum Ereignis, das man schafft.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum14. Aug. 2012
ISBN9783701742943
Schule sind WIR: Bessermachen statt Schlechtreden

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    Buchvorschau

    Schule sind WIR - Erwin Rauscher

    Erwin Rauscher

    Schule sind WIR

    Bessermachen

    statt Schlechtreden

    Für Franz B. und alle jene LehrerInnen, die ich achte und wertschätze. Und für die kleine B., die nichts lieber als in seine Klasse und in eine »normale« Schule gegangen wäre.

    Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:

    Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der

    Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

    Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    www.residenzverlag.at

    © 2012 Residenz Verlag

    im Niederösterreichischen Pressehaus

    Druck- und Verlagsgesellschaft mbH

    St. Pölten – Salzburg – Wien

    Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.

    Keine unerlaubte Vervielfältigung!

    ISBN ePub:

    978-3-7017-4294-3

    ISBN Printausgabe:

    978-3-7017-3278-4

    Inhalt

    ZU DIESEM BUCH

    1 WIR – UND UNSER LERNEN

    1.1 Lernen – Abkehr vom Spaß und Rückkehr der Freude

    1.2 L@rnen – die großen Chancen des kleinen e

    1.3 Forschen lernen durch forschendes Lernen

    1.4 Welche Schulleistungen wollen wir (uns leisten)?

    1.5 Muss jede Stunde 50 Minuten dauern?

    2 WIR – UND UNSERE FÄCHER

    2.1 Mathematik – und wie Natur Wissen schafft

    2.2 Lesen lehrt Schreiben lehrt Sprechen lehrt Sprachen

    2.3 Noten in anderer Bedeutung

    2.4 Wer sich bewegt, bewegt

    3 WIR – UND UNSERE SCHULE(N)

    3.1 Autonomie als Verantwortung

    3.2 Schuldemokratie als Vereinbarungskultur

    3.3 Lerngesundheit als Prävention gegen Gewalt in der Schule

    3.4 Gut leben lernen statt viel haben wollen

    3.5 Inklusion – weil Kinder darin gleich sind, verschieden zu sein

    3.6 Zwei Schienen, ein Weg für die Sekundarstufe I

    3.7 Lehrerbildung, quo vadis?

    4 WIR – UND UNSERE KINDER

    4.1 Schülersein ist Kindsein als Menschsein

    4.2 Eltern – die unverzichtbaren Schulpartner

    4.3 Lehrersein – wo Lehren und Lernen zur Begegnung wird

    EPILOG: BILDUNG ZUR FREIHEIT

    ANMERKUNGEN

    REGISTER

    Zu diesem Buch

    Noch ein Buch über die Schule? Nein. Eines für die Schule. Eines gegen das kollektive Raunzen über die Schule. Eines für die wichtigste Ursache von Bildung, das Lernen. Denn Schule sind WIR: Schule geht uns alle an. Sie wird nicht besser durch Strukturreform, nicht durch Polemisieren und Polarisieren, nicht durch Volksbegehren, nicht durch Teacher Bashing. Sie wird besser, indem wir ihr Wert zuschreiben, uns für sie mitverantwortlich fühlen. Ich glaube an die Schule als einen Ort der Bildung für jene Menschen, auf die wir hoffen.

    BILDUNG BEGEHRT, WER BILDUNG VEREHRT

    Das Ergebnis des österreichischen Bildungsvolksbegehrens¹ ruft weder nach Schadenfreude noch nach Strukturreform. Vielmehr fordert es eine Reform des Bewusstseins und der Akzeptanz für Bildung in einer Schule ein, die Übungsfeld für Mitmenschlichkeit und für Wahrscheinlichkeitsrechnung ist. Die aber auch Ort sozialer Chancengleichheit und begabungsorientierter Chancengerechtigkeit sein muss. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, den Erziehenden Mitverantwortung zu gewähren, die Lernenden neugierig zu machen auf Wissen und Werte und den Lehrenden jene Wertschätzung zu bezeugen, die sie für ihr Tätigsein heute brauchen. Schule ist nicht nur ein Ort des Lernens und Lebens, vielmehr auch ein Geschehen, in dem Menschen einander bestärken, die Welt zu begreifen, um sie besser zu machen. Dazu braucht es Stimulation, Ethos, Motivation, Geist, »Pädagogische Liebe«.

    WIE GEHEN WIR MITEINANDER UM?

    Im ersten Abschnitt dieses Buches will ich über Leben und Lernen in der Schule schreiben: Sie ist nicht nur ein Ort, in den man geht, sondern ein Ereignis, das man schafft: In seinem UNESCO-Bericht zur Bildung für das 21. Jahrhundert hat Jacques Delors, wohl einer der politisch einflussreichsten Gründungsväter des modernen Europa, die Lernfähigkeit als unseren größten verborgenen Schatz und Reichtum benannt.² Erziehen und Bilden heißt, junge Menschen mündig zu machen für ein Leben innerhalb der Gesellschaft und ihrer Normen, gleichzeitig für ein positives Einflussnehmen auf den Ist-Zustand gesellschaftlicher Verhältnisse mit dem Ziel, diese zu verbessern, also das überlieferte Wissen der Welt kennen und wertschätzen zu lernen und es zum Guten weiterzuführen. Schule hat den Auftrag, diese Freiheit aktiv zu »entbergen« durch Erkennen von Tradition und Schaffen von Innovation, um den Schatz dieses Weltwissens zu hüten und zu vermehren.

    WIE, WO, WAS, WOFÜR UND WANN LERNEN WIR?

    »Wo lernen wir«?, fragt Erich Fried, »Wo lernen wir leben | und wo lernen wir lernen | und wo vergessen | um nicht nur Erlerntes zu leben«?³ Niemand lernt umsonst, niemand lernt etwas umsonst. Manche aber tun es falsch, auch abseits psychologischer Lernhilfen. Lernte man früher für das Leben, so ist heute das ganze Leben ein ständiges Lernen geworden, das seinerseits gelernt sein will. Wurde noch dem »alten Fritz« das Wort in den Mund gelegt: »Lernen sie zuviel, so laufen sie in die Städte und wollen Sekretäre und so’n Zeugs werden. Der Sohn eines Spritzenmeisters soll nicht studieren, sondern spritzen!«⁴, so wissen wir heute, dass Lernfähigkeit eine hohe Gabe darstellt und Lernwilligkeit zu einer großen Aufgabe geworden ist, die es im Geschehen der Schule zu vermitteln und zu erwerben gilt. Lehren und Lernen heißt, Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln und anzueignen, um sie anzuwenden zum Sinn und zum Nutzen des Lebens und Tuns. Schule »entbirgt« diese Freiheit durch variable und dialogische Formen einer neuen Lernkultur, um den Schatz unserer österreichischen Kultur und der Kulturen der Welt zu erwerben und zu vergrößern.

    »Wo lernen wir klug genug sein | die Fragen zu meiden | die unsere Liebe nicht einträchtig machen | und wo lernen wir ehrlich genug sein | trotz unserer Liebe | und unserer Liebe zuliebe | die Fragen nicht zu meiden?«⁵, setzt Fried fort. Lernen heute will digital, es soll politisch und es muss sozial sein. Denn Lernen ist das Einatmen von Bildung. Jenes, das nicht nur Vorgekautes ins Gedächtnis prägt, vielmehr vorrangig Fragen stellt, und das in systematischer Form, ist forschendes Lernen: Es ist zur neuen, alten, großen Aufgabe der Schule geworden. Lernleistungen zu beurteilen ist »pädagogische Aufgabe und gesellschaftlicher Auftrag«⁶ zugleich. Diesem zeitgemäß, ideologieunabhängig und aufgabenorientiert gerecht zu werden, ist zu einem vieldiskutierten Konflikt- und Entwicklungsfeld von Schule geworden, ebenso wie die Organisation von Unterricht insgesamt. Denn die klassische Segmentierung in einstündige Lernzeiten kann heutigen Anforderungen an die Schule längst nicht mehr ausreichend gerecht werden und dient doch nicht selten zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Vergleichbarkeit. Denn Unterrichtsorganisation ist ein wesentlicher Faktor dafür, wie sich Lernkultur gestalten lässt.

    FÄCHER NEU DENKEN UND LENKEN

    Schulisches Lernen findet im gefächerten Unterricht statt, implizit auch schon in der Volksschule. Im zweiten Abschnitt des Buches stelle ich exemplarisch aktuelle Herausforderungen und Fragestellungen vor und will Anregungen für die schulische Praxis anbieten. Den immer wieder benannten Basiskompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen werden der Musik- und Sportunterricht nicht gegenübergestellt, denn auch die fachliche Bildung braucht und kennt kein Entweder-oder, vielmehr ein Sowohl-als-auch. Unterricht, heute methodisch vielgestaltig geworden, intellektuell anspruchsvoll und schülernahe zugleich, löst solche Gegensätze auf: Sind doch die Fächer nichts weniger und mehr als Denksysteme, die Ordnung schaffen wollen im Wahrnehmen des Ganzen von Bildung. Sie sowohl systemisch zu trennen als auch vernetzend zu verbinden, ist ein Kennzeichen modernen Unterrichtens.

    SOWOHL-ALS-AUCH STATT IMMER NUR ENTWEDER-ODER

    Im dritten Abschnitt meines Buches stelle ich mich ausgewählten aktuellen Fragen des Schullebens und Lernens, denn Schule ist der gesellschaftliche Arbeitsplatz junger Menschen. Immer wieder wird versucht, »von außen« Einfluss zu nehmen auf schulische Entwicklungen: Die Gesellschaft fordert Auseinandersetzung mit Konsumentenschutz, Lerngesundheit, ethischer Bildung, Migration und Integration, zeitgemäßem Lernen, sie fordert bestens ausgebildete Lehrkräfte. Man spricht und schreibt vieles und viel übereinander, wenig miteinander, man vergisst auf den Dialog im Ganzen, ja oft auf das Gespräch im Einzelnen. Doch wo der Weg des Dialogs verloren gegangen oder gar nicht erst gesucht worden ist, gibt es nur noch den Umweg über die Macht.

    Zwei besonders aktuelle Themen scheinen in der gesellschaftlichen Diskussion ebenso emotional diskutiert zu werden wie unlösbar zu sein: die Entwicklung der Sekundarstufe I sowie jene einer neuen, gemeinsamen, differenzierten Lehrerbildung. Hierfür versuche ich neue Lösungswege aufzuzeigen, die frei von gesellschaftlicher Ideologie und institutionell präferierendem Denken dem Entweder-oder einen Weg der Mitte entgegenstellen – in den Worten Erich Frieds: »Wo lernen wir uns gegen die Wirklichkeit wehren | die uns um unsere Freiheit betrügen will | und wo lernen wir träumen | und wach sein für unsere Träume | damit etwas von ihnen unsere Wirklichkeit wird?«

    DIE MENSCHEN HINTER UND VOR DEN DINGEN

    Gute Schulorganisation herrscht nicht, und sie herrscht nicht vor. Denn Schule ist nicht nur ein Haus, in das man geht, sondern ein Geschehen zwischen Menschen, die dasselbe Ziel haben und sich für dieses wechselseitig Aufgaben stellen. Schule gestaltet sich als Lern- und Erfahrungsraum von Gemeinschaft. Und Schule geschieht, indem Unterricht stattfindet. Im vierten Abschnitt frage ich deshalb nach den Menschen hinter diesem »Geschehen Schule« – in ihren Rollen und Funktionen als Lernende, als Lehrende und als Begleitende. Denn ein Entweder-oder von (Mit-)Menschlichkeit und Sachlichkeit ist eine bis heute ebenso weit verbreitete wie falsche Antinomie der Schule.⁸ Wie also gestaltet sich heute das Kindsein als Schülersein, welche Antworten kann und muss die Schule finden auf die jugendliche Neugierde für die Fragen und Rätsel des Lebens? Welche Rolle nehmen die Eltern ein in diesem Schulgeschehen, und wie gelingt Begegnung im schulischen Raum? Und schließlich: Wie wird man heute zur »guten« Lehrperson in gelebter Schulpraxis, diesseits der Kompetenzkataloge aktueller pädagogischer Literatur?

    SCHULE ALS LEBENSLERNRAUM VON GESELLSCHAFT

    Schon Senecas Kritik an den Schulen seiner römischen Zeit – Non vitae, sed scholae discimus⁹ – hat zur heute zum geflügelten Wort gewordenen Umkehrung geführt – »Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir« – und damit die Schule zur Kinderstube der Gesellschaft degradiert. Doch die emanzipatorische Sehnsucht nach Mündigkeit, Geltung und Mitverantwortung hat die Schule längst weniger zum Schonraum für das Leben danach als vielmehr zum Einübungsraum für das Leben jetzt gemacht. Davon zeugen nicht nur die benötigten Konsequenzen im Unterricht für den Umgang mit Heterogenität, die geübte Vielfältigkeit der Methoden, die eingeforderte und eingeübte Lebensnähe, sondern vor allem die mediale Kritik am Schulgeschehen. »Das ist klarste Kritik der Welt, | Wenn neben das, was ihm missfällt, | Einer was Eigenes, Besseres stellt«¹⁰ – in meinem Buch will ich dazu anregen, die von SchülerInnen eingeforderte Mitverantwortlichkeit zu teilen und der Schule wieder jenen Platz im bürgerlichen Leben zu geben, der ihr zusteht: von uns allen mitverantworteter Lebenslernraum zu sein für menschliche Gemeinschaft.

    Baden, im Juli 2012

    1

    WIR – und unser Lernen

    1.1 Lernen – Abkehr vom Spaß und Rückkehr der Freude

    Lernen stillt die Neugierde auf Leben mit der Milch der Erkenntnis von dessen Zusammenhängen.

    Freudestrahlend sprang Claudia über den Gartenzaun und rannte ihrer Mutter entgegen. »Mutti, Mutti, stell dir vor, einen Einser habe ich geschrieben, die zweitbeste Arbeit der ganzen Klasse!«, rief sie schon von Weitem. Viel weniger erfreut schlich ihr Zwillingsbruder Michael nach Hause. Erst auf die Frage der Mutter, wie es ihm bei seiner Schularbeit ergangen sei, antwortete er ein wenig unwirsch: »Er hat mir einen Fünfer gegeben, und insgesamt ist sie auch schlecht ausgefallen.«

    Ursache und Wirkung wecken recht unterschiedliche Assoziationen, wenn es ums Lernen geht: Ist die Schule zum Lernen fürs Leben oder gar zum Lernen des lebenslangen Lernens da, oder mündet sie heute allzu gern in der Verwöhnungsfalle der reinen Spaßpädagogik¹¹? Wenn es darum geht, leichter zu lernen, zu »lernen wie ein Weltmeister«, eigene Lernstrategien zu entwickeln, so fehlt es nicht an Ratgebern, von der Psychologie des Lernens¹² bis zur Neurodidaktik¹³. Gerade die aktuelle Hirnforschung von Henning Scheich bis Manfred Spitzer weist darauf hin, dass erfolgreiches Lernen am besten durch einen Mix aus Fordern und Fördern als Anforderung und Anregung, aus Motivieren und Stimulieren durch Erfolg und Neugier auf neue Herausforderungen gelingt. Durch sie können sowohl Aggressivität als auch Passivität vermieden werden. Darüber hinaus findet sich in jeder Buchhandlung ein Bilderbogen an Lerntipps und Rezepten, die wie Wäscheklammern den Lernstoff festhalten wollen – auf dass Lernen so gelingt, wie wir uns das alle für unsere Kinder wünschen, wenn nur an der richtigen Stelle der richtige Tipp oder Trick angewandt wird. So wird »Lernen lernen« zur Technik wie Tennisspielen oder Autofahren, oder bei Kindern eben das Gehen und Laufen, das Ballspielen und Singen und schließlich sinnerfassendes Lesen, interpretierendes Rechnen und stilbewusstes Schreiben.

    In der Schule selbst wie auch im Elternhaus ist es freilich nicht allein getan mit psychologischen Rezepten, vorgeschriebenen Regeln und eingeübten Tricks für den Bau eines Lebenslernschiffes. Wie bei Saint-Exupérys Metapher von der Sehnsucht der Matrosen nach dem weiten endlosen Meer¹⁴ gilt es, Sehnsucht zu wecken nach der Freude, die Lernen machen kann – wenn man es richtig tut, gerne und gemeinsam, mit verteilten Rollen, als Mutter und Vater, als LehrerIn und als SchülerIn: vor allem aber mit dem Ziel, viele Dinge und Geschehnisse der Welt besser zu durchschauen und sich in der Welt erfolgreich zu behaupten, auch indem man den Anspruch erhebt, sie besser machen zu wollen.

    WENN DER STAAT ZUM RIVALEN DER ELTERN WIRD

    Mit dem ersten Schultag scheint sich in die Liebesbeziehung zwischen Eltern und Kindern der Staat als dritte Partei und mächtiger Rivale einzumischen. Wird dieser ob seiner Versorgungsaufgaben geschätzt, so wird er dort abgelehnt, wo er es wagt, Forderungen zu stellen. Auch in der Schule zeigt sich sein böses Gesicht: Er verlangt Leistung! Gute Noten gibt es nicht umsonst, sie verlangen Anstrengung. Diese Tatsache halten manche für eine Unverschämtheit, gegen die es gesellschaftlichen Widerstand zu mobilisieren gilt. Wie kann Lernen mit Entbehrung, mit Leistung, mit Anstrengung zu tun haben, schon im zarten Alter ab sechs Jahren? Da werden Kinder in die Turnhalle der Nachbarschule gehetzt, dort herumgetrieben, und dann sollen sie sich nachher auch noch schnell umziehen, wo doch jeder weiß, wie wichtig es in diesem Alter ist, dass man Zeit zum Spielen hat. Und die Kinder selbst? Sie haben immer öfter keine Geschwister, mit denen sie wie Pech und Schwefel zusammenhalten oder auch ganz gefahrlos streiten können. Sportvereine und Ministrantengruppen beklagen den Nachwuchsmangel. Aber Kinder, von denen Sportärzte befürchten, sie hätten so viele Haltungsschäden wie noch nie, üben sich im Mountainbiking, Trekking, Snowboarding, Surfing, Climbing, Inline-Skating und Jogging. Walking freilich ist out, und die Automobilisierung der Gesellschaft in immer dichter verbauten Siedlungsgebieten hat die Kinderspiele von der Straße vertrieben.

    Kinder werden heute mitunter als Wunscherfüllungshoffnungen der elterlichen Biographien angesehen: Für sie ist die beste Schulbildung gerade gut genug, und sie sollen auch Spaß haben daran. Sie sollen die Träume der Eltern verwirklichen, deshalb dürfen sie als kleine Prinzessinnen und Prinzen auf keinen Fall zu kurz kommen. In der Schule aber ist jedes Kind eines unter anderen oder gar vielen. Es hat gleiche Rechte, aber auch Pflichten, wie die vielen anderen auch. Womöglich zieht die Lehrerin auch noch ein anderes Kind dem eigenen scheinbar vor. Und unweigerlich kommt der Tag, an dem das erste Diktat geschrieben werden muss, egal wie gut das Frühstück geschmeckt hat. Allein das kann bereits die Eifersucht auf die Schule des Staates und auf ihre LehrerInnen schüren, zumal man die eigene Rechtschreibschwäche noch in banger Erinnerung hat – und das noch mit der alten Rechtschreibung.

    Auch das andere Extrem ist bekannt: Eltern, denen keine Leistungsanforderung hoch genug sein kann, die darum bitten, das eigene Kind besonders oft dranzunehmen. Soziales Lernen ist für sie nachrangig bis uninteressant, dazu brauchen sie die Schule nicht. Hauptsache, das eigene Kind hat etwas davon. »Und bitte, Frau Lehrerin, erzählen Sie uns alles über unser Kind, damit wir eingreifen können, wenn es Not tut.«

    So kann es auch vorkommen, dass der erste Schultag für solchermaßen beglückte und verwöhnte Einzelkinder als eine kleine Befreiung erlebt wird: Sie sind ausgerechnet unter der Obhut des Staates zum ersten Mal unbeobachtet im großen Pausenhof; Streit kann ausgetragen werden, er wird nicht sofort von den herbei eilenden Kindergartenpädagoginnen oder Großeltern im Keim erstickt. Zum ersten Mal erleben Kinder Siege und Niederlagen: Sie lernen dazu!

    WARUM LEISTUNGSWILLE AUCH ETWAS GUTES HAT UND IST

    Lernen kann und braucht nicht nur lustig sein. Nicht Jugendliche der Erlebnisgesellschaft, sondern die »Kapitalisten« der Bildung werden die Zukunft der Wissensgesellschaft maßgeblich beeinflussen. Berufsvorbereitung, soziale Fairness, persönlicher Lebensstil und auch Sparsamkeit sind Tugenden, die sich junge Menschen als neue Ziele setzen. Darauf reagiert die Schule. Denn in der Primarstufe wird grundgelegt, in der Sekundarstufe wird ausgeweitet und vertieft, was viel später greift: die Freude daran, etwas zu lernen. Leistung schafft Freude! Wenn Schulkinder etwas leisten und dazu veranlasst werden, Leistung zu erbringen, haben sie Freude daran. Nicht nur das Lob lässt die Augen leuchten, sondern die Freude über das selbst Getane.

    Während die Welt der Erwachsenen bereits zweigeteilt ist in eine der Arbeit und eine der Freizeit, in eine der Pflicht und eine der Freiwilligkeit, in eine der Beanspruchung und eine der Muße, ist die Welt des Kindes ungeteilt. Sein Leisten entspringt nicht aus der Pflicht gegenüber der Lehrkraft, es entspringt aus der eigenen Freude daran: Die erste Schultasche kann nicht schwer genug sein; die Federschachtel kann nicht genug Buntstifte beinhalten. Kaum ist die ältere Schwester in der Schule, übt sich ihr kleiner Bruder, der noch in den Kindergarten geht, zuhause im Schule-Spielen. Es ist eine Erziehungsaufgabe, die Freude an ihrer Leistungsbereitschaft nicht dadurch zu stören, dass Lehrkräfte und Eltern die Welt ihrer Kinder und SchülerInnen allzu früh trennen in eine Pflicht-Welt des schulischen Abverlangens und eine Freude-Welt der privaten so benannten Vergnügungen.

    Der Stolz von Kindern auf die eigene Leistung ist eine ihrer besten Energiequellen; ihr Leistungswille und ihre Leistungsbereitschaft sind ein unverzichtbarer Aspekt ihrer Selbstgestaltung. Sie wollen gefordert sein, nicht durch Druck und Angst, sondern durch Zuwendung und Förderung, vor allem aber durch Rückmeldung und Bestätigung ihres Tuns vonseiten ihrer Bezugspersonen, Eltern wie LehrerInnen und FreundInnen. Und was Erwachsene mitunter als Druck empfinden, das spüren Kinder gar nicht selten als Selbstbeanspruchung, aus der sie zwar vielleicht körperlich und geistig müde, aber seelisch und mental gestärkt hervorgehen.

    LEISTUNGSSCHULE STATT BLOSSER AUFBEWAHRUNGSSCHULE

    Die Schule als Ort des Lernens, nicht bloß des Aufbewahrens, hat nicht die Aufgabe, Kinder in einem Schonraum zu schützen vor den rauen Winden der Arbeits- und Berufswelt. Wer um die Bildungsforderung einen weiten Bogen macht, setzt eine naive und spendable Gesellschaft voraus, die jeden mitträgt, ein falsches Paradies, das allzu rasch eingeholt wird von der Wirklichkeit. Wer Arbeits- und Lernwelt trennt von der Freizeitwelt wie das Böse vom Guten, missachtet die Wirklichkeit der objektiven Leistungsforderung, welche in unserer Gesellschaft herrscht. Gewähren wir deshalb unseren Kindern jene Leistungsfreude, welche sie zur Selbstbestätigung und Weltgestaltung brauchen. Sie wollen Zustimmung für ihr Tun, nicht nur Beifall, und Anleitung, nicht bloße Begleitung. Sie wollen das Bessere tun, nicht nur das Gleiche, wollen, dass ihr Tun gelingt, nicht, dass es bloß geschieht. Sie wollen Anerkennung, nicht nur Kenntnisnahme, Forderung, nicht bloßes Gewähren-Lassen. Sie suchen Ziele, nicht bloßen Zeitvertreib. Und sie brauchen Förderung, nicht nur Aufsicht. Sie ersehnen Achtung und Wertschätzung, nicht bloße Beachtung. Durch unser Zutrauen entsteht ihr Leistungsvermögen, durch unsere Wertschätzung entwickelt sich ihr Leistungseifer. Sie wollen

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