Krimi Doppelband 113 - Zwei spannende Thriller in einem Band!
Von Thomas West und Pete Hackett
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Der Tod kennt keine offenen Rechnungen (Thomas West)
Trevellian und der neue Terror (Pete Hackett)
Immobilien sind ein Millionengeschäft. Und um ein großes Projekt zu verwirklichen, müssen manchmal auch Vorbesitzer von Grundstücken aus dem Weg geräumt werden. Wo es jedoch in Terror und Mord übergeht, greifen die FBI-Agenten Trevellian und Tucker ein. Aber die Hintermänner sind nur schwer auszumachen, und sie gehen buchstäblich über Leichen.
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Krimi Doppelband 113 - Zwei spannende Thriller in einem Band! - Thomas West
Thomas West, Pete Hackett
Krimi Doppelband 113 - Zwei spannende Thriller in einem Band!
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Inhaltsverzeichnis
Krimi Doppelband 113 - Zwei spannende Thriller in einem Band!
Der Tod kennt keine offenen Rechnungen
Copyright
Prolog
1
2
3
4
5
6
7
8
Trevellian und der neue Terror
Krimi Doppelband 113 - Zwei spannende Thriller in einem Band!
Thomas West, Pete Hackett
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Der Tod kennt keine offenen Rechnungen (Thomas West)
Trevellian und der neue Terror (Pete Hackett)
Immobilien sind ein Millionengeschäft. Und um ein großes Projekt zu verwirklichen, müssen manchmal auch Vorbesitzer von Grundstücken aus dem Weg geräumt werden. Wo es jedoch in Terror und Mord übergeht, greifen die FBI-Agenten Trevellian und Tucker ein. Aber die Hintermänner sind nur schwer auszumachen, und sie gehen buchstäblich über Leichen.
Der Tod kennt keine offenen Rechnungen
Thriller von Thomas West
Der Umfang dieses Buchs entspricht 217 Taschenbuchseiten.
Fünf Freunde, die sich seit der Studienzeit kennen, brechen mit dem Shoshone-Indianer Joseph Watonga zu einem Survivaltraining in die Rocky Mountains auf. Auch die beiden FBI-Agenten Jesse Trevellian und Milo Tucker haben sich von ihrem Kollegen überreden lassen mitzumachen. Sie alle ahnen nicht, dass in den unendlichen Wäldern der Tod auf sie lauert. Was als unterhaltsames Abenteuer begann, entwickelt sich zu einem wahren Alptraum. Gejagt von einem Mörder - und geplagt von ihren eigenen Schuldgefühlen über eine Tat, die über zehn Jahre zurückliegt, kämpfen sie ums nackte Überleben.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, ALFREDBOOKS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author /COVER FIRUZ ASKIN
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
postmaster@alfredbekker.de
Prolog
Bridger-Teton National Forest, Wyoming, Mitte September 1998
Die Schatten der Baumstämme huschten an mir vorbei. Mein Atem flog, meine Lungen stachen. Wieder ein Schuss. Ich blieb stehen und lauschte in die mondlose Nacht. Das Echo des Schusses brach sich in den Steilhängen und hallte durch den Wald wie ein Paukenschlag.
Weiter. Ich hastete zwischen den Bäumen hindurch, bohrte mich durch brusthohes Gestrüpp und sprang über entwurzelte Stämme. Mein Fuß stieß gegen etwas Hartes. Bäuchlings schlug ich im Unterholz auf. Stachlige Zweige scheuerten über mein schweißnasses Gesicht.
Ich blieb liegen. Laub raschelte, Schritte trommelten über den Waldboden. Nicht weit von mir. Milo? Ich versuchte meinen keuchenden Atem zu beruhigen.
Tief Luft holen, Jesse, tief einatmen, ganz ruhig ... wenn sie dich hören bist du erledigt ...
Hinter meinen Schläfen dröhnte mein Pulsschlag. Meine Glieder schmerzten, in meinen Füßen und Fingerspitzen kribbelte es. Ich wischte mir einen Schleier aus Schweiß von den Augen.
Die Schritte näherten sich. Ob es Milo war? Ich hatte ihn seit zwei Tagen nicht mehr gesehen.
Leise robbte ich durch das Unterholz. Bis an den Rand eines Abhangs. Eine Bodenspalte gähnte unter mir. Ein Bachlauf plätscherte. Keine Ahnung wie tief unter mir er sich durch den Waldboden schlängelte. Meine Augen versuchten, die Dunkelheit zu durchdringen.
Auf der anderen Seite des Bachlaufes stieg das Gelände wieder steil an. Umrisse von Büschen und Baumstämmen schälten sich aus der dunklen Wand gegenüber. Die Schritte kamen von dort. Deutlich hörte ich jetzt den keuchenden Atem eines Menschen.
Gott, Milo - bist du das ...?
Dann dröhnte wieder ein Schuss durch die Nacht. Das Geräusch der Schritte brach jäh ab. Jemand stöhnte auf. Ich hielt den Atem an.
Milo ... Himmel noch mal ... hätte ich bloß eine Waffe ...
Ein Schatten brach durch die Büsche, schwankte und stürzte in die Bodenspalte des Bachlaufes. Ich hörte einen schweren Körper durch das Ufergestrüpp schliddern. Etwas schlug im Wasser auf.
Milo ...!
Mein Hirn war wie leergefegt. Nur noch der eine Gedanke: Milo ... Ich stieß mich ab und ließ mich die Böschung hinunterrollen. Wahnsinn, schrie etwas in mir, sie sind ihm auf den Fersen, du bist unbewaffnet, sie werden jede Sekunde hier auftauchen ...
Meine Jacke sog sich mit eiskaltem Wasser voll. Ich kroch aus dem Bach und lauschte. Jemand stöhnte ein paar Schritte entfernt von mir. Ein Schatten bewegte sich im Wasser. Ich kroch darauf zu. Meine Hand tastete Haar - menschliches Haar. Es war nass. Aber nicht von kaltem Gebirgswasser. Warm und klebrig fühlte es sich an.
O nein ...
, stöhnte ich. Finger berührten mein Gesicht.
Jesse ...?
, flüsterte eine schwache Stimme. Es war nicht Milos Stimme. Es war die Stimme eines der anderen Männer, mit denen Milo und ich seit über einer Woche durch die Wildnis streiften.
Ich schob mich näher an die Gestalt heran. So nahe, dass ich den warmen Atem des Mannes auf meiner Stirn spüren konnte. Ja
, flüsterte ich. Ich bin's, Jesse ...
Ich konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen. Nicht mal meine eigene Hand auf seinem Kopf konnte ich sehen.
Sein Flüstern war jetzt so schwach, dass ich ihn kaum noch verstehen konnte. Ich robbte noch näher heran und beugte mein linkes Ohr an seine Lippen. Seine Bartstoppeln berührten meine Ohrmuschel. Der metallene Geruch frischen Blutes umgab ihn.
Hast du eine Waffe dabei ...?
Nein.
Dann verschwinde ...
Seine Stimme war nur noch ein Hauchen.
Ich lauschte in die Dunkelheit. Stumm und schwarz stand die Mauer aus Büschen und Baumstämmen oberhalb der Böschung. Die Wipfel der Douglasien schlossen sich über mir wie das Gewölbe eines finsteren Kerkers.
Hörst du ... hörst du, was ich sage …, Jesse ...
Irgendwo hinter der schwarzen Wand dort oben raschelte es. Jemand schlich durch das Unterholz. Und näherte sich dem Bachlauf.
Die Hand des Verletzten schloss sich um meinen Nacken und zog meinen Kopf auf seine Brust. Lauf ... lauf, Jesse ...
Er hustete. Und würgte. Etwas gurgelte feucht aus seinem Mund und ergoss sich über mein Gesicht. Blut. Lauf so schnell du kannst ...
Ich wischte mir das Blut mit dem Jackenärmel von der Wange. Du kannst ihn nicht allein lassen, sagte eine Stimme in mir, wenn du leben willst, musst du ihn allein lassen, schrie eine andere ...
Ich tastete nach dem Adamsapfel des Mannes. Und dann nach seiner Halsschlagader daneben. Sie fühlte sich an wie ein nasser Faden, den man unter Strom gesetzt hatte. Die Pulsschläge waren kaum noch zu unterscheiden.
So viel Blutverlust in so kurzer Zeit ...?
Er musste aus einer großen Wunde bluten. Kein Zweifel - er war lebensgefährlich verletzt.
Noch einmal glitten seine Finger über meinen Hals, tasteten sich hinunter zu meinem Jackenärmel und krallten sich in dem Stoff fest. Ich verfluchte den Augenblick, in dem ich meine Waffe verloren hatte.
Er zerrte an meinem Jackenärmel. Wieder beugte ich mich zu seinen zitternden Lippen herunter.
Jesse ...
, krächzte er. Wenn du jemals ... wenn du jemals hier rauskommst ...
Er atmete nicht mehr, er hechelte nur noch.
Was ist dann?
, flüsterte ich.
Dann ... dann geh ... dann geh zu ... meiner Frau ... und ... und sag ihr ...
Ich erfuhr nicht mehr, was ich seiner Frau sagen sollte. Er bäumte sich auf. Drei, vier Mal - als würde sein sterbender Körper mit aller noch verbleibenden Kraft um den letzten Atemzug kämpfen.
Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, ich konnte nur die schnappenden Geräusche seines Munde hören. Seine Zähne schlugen aufeinander, seine Lippen schlossen und öffneten sich schmatzend. Einmal, zweimal, dreimal - und dann nichts mehr. Sein Körper erschlaffte. Ich war allein.
Über mir brach ein Ast im Unterholz. Ich blickte auf. Die dunkle Wand am Rande der Böschung bewegte sich. Die Gestalt eines Menschen schob sich aus dem Gebüsch. Reglos verharrte sie über mir vor der Erdspalte des Bachlaufes. Als würde sie lauern ...
Es war zu spät, um irgendetwas zu bereuen. Kein Weg führte mehr hinaus aus der verhängnisvollen Geschichte. Ich war mitten drin. Ob ich wollte oder nicht. Und Milo genauso. Falls er überhaupt noch lebte.
Bis zum bitteren Ende würde die tödliche Geschichte ihren Lauf nehmen. Eine Geschichte, die im Grunde schon lange vor diesem Herbst begonnen hatte. Vierzehn Jahre zuvor ...
*
Sieh dich an - du bist ein kränkelndes Großstadtgewächs. Eine Autopanne auf dem Highway ist schon die größte anzunehmende Katastrophe für dich. Oder ein Stromausfall, oder eine drohende Kündigung, oder die Tatsache, dass deine Zigarettenschachtel leer und kein Laden mehr geöffnet ist.
Ich werde dich in die Wildnis führen. Damit du die wirklichen Katastrophen kennenlernst. Damit du dich selbst kennenlernst - deinen brennenden Wunsch zu leben, deine verschütteten Kraftreserven, und deine Fähigkeit zu kämpfen.
Ich zieh dir das Netz unter dem Seil weg. Das Netz aus Luxus, trägen Gewohnheiten, Sozialversicherung und Einfamilienheim. Ich setze dich dem Zwang zu überleben aus. Damit du lernst, dass du ein Sieger bist.
Oder wie der Weise sagt: >Im Hafen ist das Schiff sicher - aber Schiffe werden nicht gebaut, um im Hafen vor Anker zu liegen ...<
Joseph Watonga, Survival-Trainer, in seinem Buch >Überleben<
1
Cascade Mountains, Kanada, Herbst 1984
Er fröstelte. Mondlicht sickerte durch die Birkenkronen und ließ die Stämme weiß aufscheinen. Mondlicht von zwei milchigen Scheiben. Über den Konturen der Birkenwipfel verschwammen sie miteinander. Chester Hayes schüttelte sich. Er kniff die Augen zusammen und riss sie wieder auf. Immer noch zwei Monde im tiefen Blau des Nachthimmels.
Sein Schädel schmerzte. Und fühlte sich kalt und feucht an. Stachliges Gestrüpp bohrte sich in seine Nackenhaut. Etwas krabbelte über seine linke Wange. Eine Ameise. Chester wischte sie mit dem Handrücken aus dem Gesicht.
Sein Rucksack erschien undeutlich auf seiner inneren Bühne. Ein heißer Schreck durchzuckte ihn. Mein Geld ... Augenblicklich war er hellwach. Er stemmte die Hände in den feuchten Waldboden und richtete sich auf.
Viel zu schnell. Der weiche Boden unter ihm schwankte. Gestrüpp, Büsche und Stämme bewegten sich kreisend. Übelkeit quoll ihm aus dem Gedärm in die Kehle.
Er stöhnte und versuchte den Brechreiz abzuschütteln. Vergeblich. Sein Magen schien sich in seine Speiseröhre zu schieben. Bitter kroch es ihm auf die Zunge. Er warf sich zur Seite ins Laub und erbrach sich.
Keuchend und würgend verharrte er über seiner Kotze. Sie stank säuerlich. Und sie stank nach Bohneneintopf. Und nach Whisky.
Bullshit, verfluchter ...
Er starrte in den nächtlichen Wald hinein. Schmale Säulen ragten dicht an dicht aus dem abfallenden Waldboden in das Laubdach hinauf. Schlanke Birkenstämme. An manchen Stellen ließ das Mondlicht ihre herbstlichen Kronen gelb aufschimmern. Wieso bin ich nicht mehr in der Hütte ...?
Saurer Speichel sammelte sich in seinem Mund. Er spuckte ihn aus. "Wie zum Teufel komm ich hierher ...?
Bruchstücke von Bildern blitzten in seinem Hirn auf. Whiskyflaschen, lachende Gesichter, der Gemeinschaftsraum der Blockhütte, Kaminfeuer, ein blondes Mädchen, Musik. Erinnerungen an die letzten Stunden, die er bei halbwegs klarem Bewusstsein erlebt hatte. Wie lange lagen sie zurück?
Langsam richtete er sich auf. Seine Glieder waren steif. Rücken, Gesäß und Beine vollgesogen mit der feuchten Kühle des Waldbodens. Noch immer drückte Übelkeit seinen Magen zusammen. Noch immer hatte er das Gefühl, einen schweren Helm zu tragen, dessen schwarzes Futter ihm tief ins Hirn hineinwucherte. Der dunkle Saal des Waldes flimmerte vor seinen Augen.
Er hatte zu viel getrunken. Viel zu viel. Niemals hätte er sich auf ein Besäufnis mit diesen Jungfüchsen einlassen dürfen. Was bist du für ein Idiot gewesen ...
Aber diese Frau ... Wie sie ihren Schenkel gegen seinen gedrückt hatte. Unter dem groben Tisch im Gemeinschaftsraum. Niemand hatte es bemerkt. Näher und näher war sie gerückt. Chester meinte, die Wärme ihres Körpers noch auf seiner rechten Seite zu spüren. Gott im Himmel - war er scharf gewesen ...!
Rascheln drang aus dem Wald. Irgendwo unterhalb des Hangs brach ein Ast. Er lauschte. Ein Vogel tschilpte. Flügelschlag zwischen den Kronen der Birken. Dann nichts mehr. Nur das Plätschern eines Baches.
Warum bin ich hier im Wald und nicht in der Hütte ...?
Er legte den Kopf in den schmerzende Nacken. Wie das Herbstlaub im Mondlicht schimmerte ... Jetzt sah er nur eine Mondscheibe. Aber ihre Ränder erschienen Chester fließend und zerfasert. Der Alkohol peinigte noch immer seinen Sehnerv.
Verdammter Idiot! So viel zu saufen! In deiner Situation ...
War der Vollmond gestern nicht erst nach Mitternacht aufgegangen? Chester riss das linke Handgelenk hoch und knipste die Beleuchtung seiner Armbanduhr an. Zehn nach vier. Als er das letzte Mal bewusst auf die Uhr geschaut hatte, war es kurz vor elf Uhr am Abend gewesen.
Lieg ich schon so lange hier draußen? Über fünf Stunden ...?! Wo zum Teufel ist mein Gepäck ...
Er blickte sich um. Überall die schmalen Säulen der Birkenstämme - unter ihm, über ihm und rechts und links von ihm. Und dazwischen dunkle Wälle aus Büschen und Gestrüpp. Nirgendwo Licht, nirgendwo ein erleuchtetes Fenster ...
Ihr Sauhunde ...!
Die Wut schoss ihm heiß aus dem Bauch. Ihr Wichser ...!
Sie hatten ihn in den Wald hinausgebracht, einfach in der Wildnis des Bergwaldes in das Unterholz geworfen ...!
Warum, warum ...? Ich bring euch um ... ich bring euch alle um ...
Er hatte versucht, die Frau zu küssen, natürlich ... er hatte seine Hand unter ihren Pullover geschoben - genau: So war es gewesen! Und einer dieser Klugscheißer hatte ihn am Kragen gepackt und über den Tisch gezogen. Und dann ...
Dann nichts mehr. Irgendwie musste dann der Film gerissen sein. Hatte ihn der Kerl bewusstlos geschlagen? Chester tastete seinen Schädel ab. Keine Wunde, keine schmerzende Stelle. Sollte er tatsächlich so viel Whisky geschluckt haben, dass er von allein einen Abgang gemacht hatte? Er, Chester Hayes? Ehemali ger Marine und trinkfestester Unteroffizier seiner Einheit? Unmöglich! Oder ...?
Wieder brach ein Ast irgendwo unter ihm im Hang. Er lauschte in die Dunkelheit. Laub raschelte. Irgendjemand bewegte sich durch den Wald. Jemand, der versuchte, so wenig Geräusche wie möglich zu verursachen. Chesters Gesicht verzog sich zu einem grimmigen Feixen.
Keine Ahnung, wie man sich anschleicht ... verdammte Klugscheißer ... kommt nur, ihr Wichser - plagt euch das schlechte Gewissen, he? Kommt nur - ich werd' euch was zeigen, was man auf keinem College lernt ...
Sein Blick fiel auf eine dunkle Wölbung zwischen den Stämmen. Etwa zwanzig Schritte rechts von ihm hügelaufwärts. Ein Kuppelzelt. Sein Kuppelzelt.
Konnte das wahr sein? Sie hatten ihn nicht nur hier draußen im Wald abgelegt - sie hatten auch sein Zelt hierhergebracht! Und aufgebaut! Und seinen Rucksack? Sein Geld?!
Fluchend stand Chester auf, um zum Zelt zu gehen. Kaum tat er den ersten Schritt, stolperte er und schlug lang im Unterholz hin. Da war etwas zwischen seinen Füßen. Ein Widerstand. Er tastete seine Bergstiefel ab. Die langen Schnürsenkel des Stiefelpaares waren zusammengeknotet.
Schweinehunde! Ich bring euch um ...
Er versuchte den Knoten zu lösen. Die Schnürsenkel waren feucht, der Knoten fest, und Chester konnte nichts sehen. Wie die Karnickel schieß ich euch ab ...!
Die Wut machte ihn rasend. Seine Hände zitterten. Keine Chance die Stiefel zu entknoten.
Warum haben sie das getan ... warum ...?
Auf allen vieren robbte er durch das Unterholz auf sein Zelt zu. Seine Hand stieß gegen etwas Metallenes. Verwundert tastete er es ab. Ein kleiner Aluminiumkochtopf. Er roch nach Bohneneintopf. Chester hob ihn hoch. Er war halbvoll. Ein Rest des Mittagessens vom vergangenen Tag.
Wieso stellen die Wichser den Topf ins Gestrüpp ... Jedes Kind weiß, wie gefährlich das ist ... Klugscheißer ..."
Weiter. Zum Zelt. Er fand ein offenes Marmeladenglas, ein paar Brotscheiben und kurz vor dem Zelt ein Stück rohes Fleisch. Das Licht des Vollmonds spiegelte sich in der roten, feuchten Oberfläche des Fleischstücks. Es roch streng und ranzig. Schaffleisch.
Ein Gedanke kroch langsam aus den Tiefen seines Hirns. Ein schrecklicher Gedanke. Ein Gedanke, mit dem Chester nichts zu tun haben wollte. Doch erbarmungslos beschlagnahmte der Gedanke sein Bewusstsein. Und Chester begriff: Sie wollten ihn töten.
Wie weggeblasen die Wut. Hinter seinem Brustbein schien plötzlich eine offene Wunde zu brennen. Atemlos spähte er zwischen den Silhouetten der Birkenstämme hindurch den Hang hinunter. Das Rascheln ...
Ihr Schweine
, flüsterte er. Ihr wollt mich an Old Ephraim verfüttern …
, zischte er.
Er hatte keinen Schimmer, warum sie so etwas taten. Sie hatten ihn wie selbstverständlich in ihre Gruppe aufgenommen. Hatten Whisky und Proviant mit ihm geteilt. Nicht die Spur von Feindseligkeit hatte es gegeben. Außer eben, als er sich an die Frau herangemacht hatte.
Er besann sich auf das, was er bei der Army gelernt hatte. Fast lautlos bewegte er sich weiter durch Farnsträucher und über Moos. Meter um Meter auf das Zelt zu. Ihr verdammten Schweine - ihr wollt ihn anlocken ...
Er wusste genau, dass er sich besser zuerst um seine zusammengeknoteten Stiefel kümmern sollte. Doch das Zelt zog ihn magisch an. Oder eigentlich sein Rucksack, den er darin zu finden hoffte. Oder nein - der Inhalt seines Rucksacks, der zog ihn an. Er musste wissen, ob das Geld noch da war ...
Drei Schritte vor dem Zelt griff er in eine klebrige Masse. Honig. Das Glas lag ein Stück weiter im Moos. Ohne Deckel. Sie hatten Honig über das Gestrüpp und aufs Moos gekippt! Ihr wollt mich umbringen ... ihr wollt ihn anlocken ...
Er wischte die Hand am Hosenbein ab. Das Zelt war offen. Er kroch hinein. Sein Rucksack lag direkt hinter dem Eingang. Chester sah sofort, dass er nur halbvoll war. Schweine
, zischte er. Er riss die Schnüre auseinander und griff hinein. Mich linken ...
Hastig zerrte er seine Kleider aus dem Rucksack. Mich, Chester Hayes ...!
Keine Spur seines Geldes, nicht eine einzige Banknote.
Sein Oberkörper sank über seine Knie. Er heulte vor Wut. Seine Stirn bohrte sich in den Stoff des leeren Rucksacks. Ich bring euch um, ich schieß euch alle über den Haufen ...
Seine Hand tastete etwas Hartes zwischen den am Zeltboden verstreuten Kleidern. Seinen .38er. Den hatten sie ihm gelassen. Ich bring euch um ... ich schwör's - ich bring euch um ...
Er steckte die Waffe in den Hosenbund. Fluchend setzte er sich in den offenen Zelteingang und beschäftigte sich mit seinen zusammengeknoteten Schnürsenkeln. Spärliches Mondlicht bestreute Farn und Moos, sodass er wenigstens Ösen und Schnüre seiner Stiefel erkennen konnte. Und die dicke Quaste aus vielen Knoten zwischen seinen Unterschenkeln. Mit den Fingernägeln versuchte er sie auseinanderzudröseln.
Ohnmächtige Wut tobte in seinem Brustkorb. In Gedanken streifte er schon durch den Wald und suchte den Weg zur Hütte. Notfalls würde er barfuß den Berghang hinaufsteigen. Bis ans Ende der Welt würde er laufen, um die jungen Leute zu töten. Und um sein Geld wiederzukriegen. Die Gier nach Rache hielt ihn in ihren heißen Klauen umklammert. Er stellte sich vor, wie er die Frau vergewaltigte. Du linke Schlampe ... du gerissenes Biest ...
Wieder raschelte es unterhalb des Zeltes im Hang. Chester horchte auf und lauschte. Das Rascheln kam ihm lauter vor, als vorhin noch. Viel lauter.
Jetzt ein schleifendes Geräusch, als würde ein Ast an einem Körper vorbeistreifen. Dann knackte ein Ast. Chester hörte ein Schnüffeln. >Old Ephraim< ohne Zweifel - sein Zwerchfell schien zu gefrieren. Für Sekunden war er nicht in der Lage, Atem zu holen. Stocksteif hockte er da und starrte in das Halbdunkel zwischen den Birkenstämmen.
Plötzlich Schritte oberhalb des Zeltes. Sie entfernten sich rasch hangaufwärts. Jemand floh. Ein Tier? Ein Mensch? Chester wagte nicht, sich aus dem Zelt herauszubeugen und nach oben zu sehen. Das Rascheln und Schnüffeln von unten kam näher und näher.
Chesters zitternde Finger nestelten verzweifelt an dem dicken Knoten zwischen seinen Stiefeln herum. Bitte lass es ein Stachelschwein sein ... Die feuchten Schnürsenkel ließ sich nicht entwirren. … ein Stachelschwein, bitte, lieber Gott, bitte, bitte ...
Die Schritte hinter dem Zelt waren längst nicht mehr zu hören. Dafür das Schnüffeln und Rascheln umso deutlicher. Chesters Blicke flogen zwischen seinen zitternden Händen und den Konturen der Büsche hangabwärts hin und her.
Es ist ein Stachelschwein ... ich bin ganz sicher ... hör dir doch das Schnüffeln an ... Old Ephraim macht ganz andere Geräusche ...
Er gab es auf. Keine Chance den verdammten Knoten aufzuziehen. Chester hob den Fuß, um den gestrafften Schnürsenkel zu entspannen. Raus aus den Hakenösen, und dann so weit aufziehen, bis sich der Stiefel abstreifen ließ ...
Ein Schatten schob sich durch das Gebüsch. Etwa zwanzig Schritte unterhalb des Zeltes. Chester erstarrte. Der Schatten schaukelte ins Unterholz bis zu der Stelle, an der Chester wieder zu sich gekommen war, und sich erbrochen hatte. Es war kein Stachelschwein. Stachelschweine waren nicht halb so hoch. Stachelschweine knurrten nicht. Stachelschweine hatten auch keinen Nackenhöcker.
Es war ein Bär. Es war >Old Ephraim< - so nannten Leute den Grizzly, der hier in den Rockies zu Hause war.
Chester war in den Rockies zu Hause. Zwar viel weiter südlich, in Montana, wo es noch weniger Grizzlys gab, als hier oben in den kanadischen Rockies - aber trotzdem hatte er x-mal gehört und gelesen, wie man sich zu verhalten hatte, wenn man die Begegnung mit >Old Ephraim< halbwegs lebendig überstehen wollte.
Sein Pulsschlag trommelte gegen Kehle und Schläfen, seine Beinmuskulatur schrie nach Flucht - doch Chester zwang sich zu ein paar tiefen Atemzügen und blieb sitzen, wo er saß.
Schmatzen drang aus dem Unterholz. Der Grizzly schien seine Kotze aufzuschlabbern. So leise wie nur irgend möglich lockerte Chester seinen rechten Stiefel und versuchte ihn auszuziehen. Wenigstens beweglich wollte er sein, falls der Bär angreifen sollte. Rascheln und schwere Schritte näherten sich. Chester hörte Krallen über Aluminium scharren. Old Ephraim hatte die Bohnen entdeckt.
Endlich rutschte Chesters Fuß aus dem rechten Stiefel. Jetzt der Linke ...
Der Bär stapfte schnüffelnd weiter durchs Unterholz. Direkt auf das Zelt zu. Chesters Hände zitterten derart, dass er nicht einmal mehr die Schnürsenkel aus den Hakenösen des Stiefels lösen konnte. Deutlich zeichnete sich die Gestalt des massigen Tieres jetzt im Halbdunkel des Waldes ab. Nicht einmal zehn Schritte links von sich sah Chester die lange Schnauze, den massigen Schädel, die kleinen runden Ohren, den Höcker hinter dem Nacken. Silbrig schimmerte der Pelz im Licht des Vollmondes.
Der Bär blieb stehen. Sein Kopf verschwand im Gestrüpp. Chester hörte es schmatzen. Der Grizzly hatte den Honig entdeckt. Hinlegen, sagte Chesters Verstand, tot stellen, Beine anziehen und Arme über Nacken und Hinterkopf verschränken ...
Chester stützte sich mit beiden Händen ab, um noch ein Stück weiter ins Zelt hinein zu rutschen und sich dort hinzulegen und sich tot zu stellen. Mit dem linken Fuß schleifte er den schon ausgezogenen Stiefel hinter sich her. Der verkeilte sich im Gestrüpp vor dem Zelt, bog einen Ast um und ließ in schließlich zurückschnellen.
Das von ihm selbst verursachte Geräusch ging Chester durch Mark und Bein. Reglos verharrte er und starrte zu dem Bären hinüber.
Das Schmatzen hatte schlagartig aufgehört. Der Grizzly hob seinen Schädel. Sekundenlang verharrte auch er reglos. Chester hörte ihn schnüffeln. Und dann hörte er die Unterkiefer des Bären aufeinanderschlagen. Eine eindeutige Drohgebärde - Old Ephraim hatte seine Witterung aufgenommen.
Lass ihn den Honig aufessen, bitte, lieber Gott ... lass ihn das Fleisch finden ... schick ihn zurück in den Wald ...
Blitzartig fiel das Tier aus vollkommener Bewegungslosigkeit in rasenden Galopp. Nicht mal zwei Sekunden später stand es vor dem Zelt. Ruhig wieder und schnüffelnd. Es fletschte die Zähne, und Chester sah, wie es die Ohren anlegte. Ein sicheres Zeichen, dass es angreifen würde.
Chesters Magen pulsierte, Übelkeit und Brechreiz stiegen ihm in die Kehle, sein Herzschlag trommelte gegen seine Schläfen. Er hatte nur noch eine Chance - seine Treffsicherheit. Die Schießkünste, die er sich bei der Army angeeignet hatte.
Langsam, ganz langsam fuhr seine Hand zum Hosenbund. Langsam, ganz langsam zog er den .38er heraus. Das Klicken ließ sich nicht vermeiden, als er den Hahn spannte.
Chester wusste, dass der Grizzly zuschlagen würde, sobald er den Arm ausstreckte, um zu zielen. Und er wusste, dass selbst ein Grizzly mit einer Trommel voller Geschosse im Pelz noch gefährlich war. Gefährlicher sogar als ein unverletzter Bär.
Er musste genau treffen. Haargenau. So genau, wie er bei der Army zu treffen pflegte. So genau, wie er bei seinen privaten Schießübungen in den vergangenen Wochen