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Totalschaden: Das Autohasserbuch
Totalschaden: Das Autohasserbuch
Totalschaden: Das Autohasserbuch
eBook403 Seiten4 Stunden

Totalschaden: Das Autohasserbuch

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Über dieses E-Book

Die letzte Ausfahrt.

Kaum jemand wagt das Auto zu verteufeln. Aber jeder weiß: Das Auto ist Sucht und Droge zugleich. Dieses Buch nennt die Drogenbarone, die Dealer und die Junkies der Kfz-Gesellschaft. Einer mörderischen Gesellschaft, die mittlerweile die ganze Welt umspannt. Doch es gibt Lösungen.

Mobilität gilt als Grundrecht schlechthin. Wer dieses Recht in Anspruch nimmt, fährt überwiegend Auto. Und fährt es gerne. Das Auto ist Lust und Leidenschaft, ist eine Wunschmaschine, ist Sucht, Droge und Seuche zugleich. Deshalb heißt es immer, man dürfe das Auto nicht verteufeln. Schon allein deshalb nicht, weil angeblich jeder fünfte Arbeitsplatz direkt oder indirekt von der Autoherstellung abhängt. Die negativen Auswirkungen werden systematisch ausgeblendet. Klaus Gietinger liefert allerneueste Fakten und Analysen zu den Folgekosten des Autoverkehrs und nennt Ross und Reiter. Wir alle sind Täter, doch einige sind es mehr: die Drogenbarone, die Dealer und die Junkies der weltweiten Kfz-Gesellschaft. Aber es gibt Hoffnung. Und Lösungen. Die werden hier vorgeschlagen: radikal und fundiert, pointiert und kompromisslos.
Erschreckende Zahlen:
- Verkehrstote in Deutschland, Schweiz und Österreich seit Ende des Zweiten Weltkrieges: 1.200.000 (nur D: 800.000).
- Verkehrstote weltweit: täglich 3.000 - so viele Tote also wie bei zehn Jumbojetabstürzen, zwei Titanicuntergängen oder dem Angriff auf das World Trade Center.
- Seit Erfindung des Autos starben 40.000.000 Menschen durch Unfälle
- durch autobedingte Umweltverschmutzung weitere 80.000.000!
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum9. Nov. 2015
ISBN9783864896132
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    Buchvorschau

    Totalschaden - Klaus Gietinger

    Westend Verlag

    Ebook Edition

    Klaus Gietinger

    TOTALSCHADEN

    DAS AUTOHASSERBUCH

    unter Mitarbeit von Markus Schmidt
    Westend Verlag

    Dieses eBook folgt der Originalausgabe des Buchs, die erstmals 1998 im Druck erschien. Die Orthographie wurde an die neue Rechtschreibung angepasst.

    Nicht in allen Fällen konnten die Inhaber der Bildrechte ermittelt werden, wir bitten gegebenenfalls um Hinweis an den Verlag.

    Für die Hintergrundkarte auf dem Cover bedanken wir uns ganz herzlich bei Michael Böttinger vom Deutschen Klimarechenzentrum. Es zeigt eine Momentaufnahme der Wirbelhaftigkeit (Vorticity) der Luftmassen für eine Simulation mit einem hochauflösenden globalen Klimamodell (ECHAM6). Die gelblich-rötlichen Strukturen zeigen auf der Nordhalbkugel durch Tiefdruckgebiete ausgelöste lokale Luftbewegungen entgegen dem Uhrzeigersinn.

    Mehr über unsere Autoren und Bücher:

    www.westendverlag.de

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

    Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    ISBN 978-3-86489-613-2

    © Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2015

    Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Kapitel Eins Das Märchen von der friedlichen Revolution 1989

    Kapitel Zwei Das Auto verbindet Welten und Religionen und überfährt sie

    Kapitel Drei Der Gang in die Innenstadt

    Kapitel Vier Fetisch Mobilität

    Kapitel Fünf Das Tempovirus

    Die Ursache der Beschleunigung

    Die Beschleunigung der Beschleunigung

    Der Mensch liebt die Bewegung

    Die Tötung von Raum und Zeit und ihre Wiedergeburt

    Kapitel Sechs Vom Tempovirus zum Autovirus

    Das Auto als Rüstung

    Das Auto als Wohnzimmer

    Das Auto als Fetisch

    Born to be wild

    Kapitel Sieben Die Drogenkartelle

    Die Drogenbarone

    Die Dealer

    Regierungen

    Landespolitiker, Dezernenten und andere Provinzler

    Die »Autokritischen«

    Verbände und Verbandelungen

    Architekten, Verkehrsplaner und Ökoinstitute

    Die Drogenkuriere

    Die Junkies – Mama, Papa, Kind

    Kapitel Acht Die Unrechtsordnung

    »Die Verkehrsregeln« – Sachzwang der Motorisierung

    Der »Führer« befahl, und sie folgen noch immer

    Die Würde des Autos ist unantastbar

    Kapitel Neun Revolution oder Umgehungsstraße?

    Kapitel Zehn Die Verbreitung der Sucht

    Reiche und Rennen – Städter und Landeier

    Die erste Autowelt : Die USA und ihr fordistischer Motor

    Die zweite Autowelt : Europa – das Auto und sein faschistischer Motor

    Das Auto – ein frühes Mittel der Gegenrevolution

    Die Durchsetzung der hohen Geschwindigkeit als Voraussetzung der Durchsetzung des Autos

    Der Mythos von Individualität und Freiheit als Verbrechen

    Die dritte Autowelt : Ostblock, Lateinamerika, Asien

    Kapitel Elf Die Opfer der Massenvernichtungswaffe Auto

    Die hochmotorisierten Länder (HML)

    Mikrokosmos Deutschland

    Die niedrigmotorisierten Länder (NML)

    Fazit

    Kapitel Zwölf Totale Automobilmachung 2030

    Die Leichenberge, die vor uns liegen

    Umweltzerstörung

    Klimakatastrophe

    Kapitel Dreizehn Die Utopie einer autobefreiten Gesellschaft

    Entschleunigung gegen den Autowahn

    Die autobefreite Stadt

    Stadt, Land, Verkehrsfluss

    Flankierende Maßnahmen und Kosten

    Der Garten Eden

    Hitliste

    Die größten Opferzahlen pro Jahr

    Die schlimmsten Todesraten

    Die meisten Toten seit Beginn der Motorisierung

    Die dümmsten Autofilme

    Die besten Autofilme

    Prominente Verkehrstote

    Dank

    Literatur

    Fortlaufende statistische Erhebungen und Datenreihen im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung :

    Anmerkungen

    »Der Mensch ist kein Vernünftig …!«

    Unvollendeter Satz meines Deutschlehrers Eduard Sommer, 1969

    Vorwort

    1972, als Schüler, war ich in Südfrankreich. Wir fuhren mit einem roten Bahnbus dieselbe Strecke wie damals Yves Montand bei den Dreharbeiten zu Lohn der Angst. In den engen Kurven musste der Bus mehrmals zurückstoßen, so dass wir, die wir auf der letzten Bank saßen, über dem Abgrund schwebten. Es war das erste Mal, dass ich das Meer sah. Wir kamen auch durch eines der kleinsten Länder der Erde. Dort stand ich, nach dem Besuch des Ozeanografischen Instituts, vor dessen Eingang. Und plötzlich sah ich sie im Fond eines Rolls-Royce Silver Shadow an mir vorbeigleiten. Sie war eine der schönsten Frauen Hollywoods – die weiße Jungfrau in 12 Uhr mittags. Legendär ihr Kuss, mit dem sie in Das Fenster zum Hof, erst als Schatten auftauchend und dann in doppelt kopierter Zeitlupe, James Stewards Lippen mit den ihren berührt. Legendär auch ihre rasende Cabrio-Fahrt in dem Film Über den Dächern von Nizza – natürlich heute als schlechte Rückprojektion erkennbar. Auf genau dieser Straße, so das vermutlich falsche Gerücht, sei sie dann wirklich verunglückt, 27 Jahre später, als Gracia Patricia, als Fürstin von Monaco.

    Am 13. September 1982 jedenfalls kam sie mit ihrem Rover 3500 auf der Route de la Turbie in einer so genannten Haarnadelkurve von der Straße ab und stürzte, ihre Tochter Stéphanie an der Seite, 40 Meter tief ab. Im Krankenhaus fiel sie ins Koma. Am nächsten Tag starb sie mit 52 Jahren. Das Ende einer Märchenprinzessin.

    Mein erstes Wort soll nach Auskunft meiner Mutter »Auto« gewesen sein. Das verpflichtet. Mit dem Ding muss abgerechnet werden.

    Autos stehen meistens rum, überall. Wenn sie fahren, machen sie Krach und Dreck. Sie beanspruchen jede Menge Platz. Sie machen Städte und Landschaften platt. Sie fressen Öl. Sie scheißen Klimagase.

    Reicht das nicht? Dann kann ich nachlegen : Autofahren, vor allem schnelles, verursacht bei mir extreme Angst. Und die brauche ich nicht.

    Noch nicht genug? Autofahren ist tödlich. Das Auto hat mir etliche Freunde, Verwandte und Bekannte genommen. Ich habe genau ausgerechnet, wie viele Menschen das Auto umgebracht hat. Es sind unglaublich viele – vergessene Tote, verdrängt von der Kfz-Gesellschaft.

    Gern würde ich Carsten Otte beipflichten : »Nichts schadet dem Image des Autos so sehr wie der Massentod auf den Straßen.«¹ Leider ist das nicht so. Als 1970 beinahe 90 000 Menschen in der kleinen EU (15 Länder) auf deren Straßen krepierten, trug das Auto ebenso wenig Kratzer davon wie heute, wo es weltweit Millionen sind, die durch diese Killermaschine verrecken. Wer sich immer wieder da reinsetzt, will von irgendwelchen Imageschäden nichts wissen und nimmt stattdessen den Tod anderer – und auch seinen eigenen – billigend in Kauf.

    Meine Recherchen haben mir eines klargemacht : Das Auto ist die größte Massenvernichtungswaffe aller Zeiten. Diese Waff e muss bekämpft, sie muss unschädlich gemacht werden. Da sich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika nicht bereit erklären wird, General Motors, Ford und Chrysler oder Mercedes, Toyota, BMW etc. zu bombardieren, wie das sein Vorgänger mit einem anderen angeblichen Massenvernichtungswaff enproduzenten gemacht hat, da auch die NATO keine Truppen schicken wird und ich ein friedliebender Mensch bin, gänzlich ungeeignet zum Schusswaffenträger, Amokläufer oder Terroristen, müssen andere Abwehrwaffen her. Und ich kann mit keinen anderen umgehen als mit denen der Kritik. Ich will Pfade aufzeigen, die man begehen und die man befahren kann – mit Fahrrädern oder mit Bussen und Bahnen. Da der Mensch kein Vernünftig ist, gilt Goyas Satz, dass der Schlaf dieses Vernünftig Ungeheuer gebiert. Doch der Spruch kann auch anders verstanden und übersetzt werden : Der Traum des Vernünftig gebiert genauso Ungeheuer. Ein solcher Traum, ein solches Ungeheuer ist das Auto und ist vor allem der Mensch, der es fährt.

    Einer der besten Disney-Cartoons heißt Motor Mania (USA 1950)², er zeigt Goofy als braven Bürger (Mr. Walker), der zum Monster (Mr. Wheeler) wird, sobald er sein Auto besteigt, und der sich wieder in einen braven Bürger zurückverwandelt, sobald er sein Kfz verlässt.

    Versetzen Sie sich für einen Augenblick in den Körper eines Außerirdischen, von dem wir annehmen, er sei ein vernünftiges Wesen. Ihm – und also Ihnen – würde alles sehr, sehr seltsam erscheinen auf dieser Erde. Sie sähen eine Welt, die vom Auto dominiert wird, eine absonderliche Welt : Die einen, ein paar wenige, bestimmen über dessen Herstellung und Verbreitung. Die anderen kaufen es massenhaft. Und die – es werden immer mehr – irren, ähnlich dem Fliegenden Holländer, wie wahninnig herum. Wir irren motorisiert herum, weil wir das als Freiheit verstehen, aber es ist das Gegenteil davon – eine Sucht.

    Sie können natürlich einwenden : Solange ein Süchtiger andere nicht gefährdet, ist das seine Sache; und auch diese ganzen medial aufgeblasenen Pseudoseuchen wie Vogel- oder Schweinegrippe, Rinderwahn, Zecken, Kampfhunde und S-Bahn-Schläger lassen mich ziemlich kalt. Doch bei der Autosucht ist es anders, sie gefährdet Millionen. Und sie ist eine wirkliche Seuche, so wie HIV oder die Pest. Das Auto selbst ist ein Virus, das sich unaufhaltsam verbreitet und die Menschen befällt. Noch ist kein Serum dagegen gefunden und kein Gegenmittel.

    Ich rufe Ihnen allerdings zu : Wir arbeiten dran. Aber wir brauchen dringend Verstärkung. Schließen Sie sich uns an! In Deutschland kenne ich nur vier wirkliche Autokritiker : Heiner Monheim, Markus Schmidt, Dieter Teufel und Winfried Wolf. In Österreich gibt es noch einen, den kenne ich nicht persönlich, er ist aber einer der großen : Hermann Knoflacher. Dann wird’s schon mau. Denn Leute, die sich als Autokritiker ausgeben, gibt es ganz viele. Aber das sind meist falsche Fuffziger. Man erkennt sie daran, dass sie in jeder Diskussion, in der ein bißchen am Autolack gekratzt wird, den Satz einbauen : »Ich will das Auto ja nicht verteufeln, aber …«

    Ich aber sage : »Es wird endlich Zeit, das Auto zu verteufeln!« Und austreiben kann man diesen Teufel nur mit dem Beelzebub. Ein Exorzismus ist nötig!

    Schlüpfen Sie jedoch vorher wieder in die Haut unseres Außerirdischen : Das Auto, das den Menschen Freiheit zu verschaff en schien, produziert extreme Unfreiheit – es ist, um ein Reizwort zu gebrauchen, totalitär.

    Das betrifft den Fußgänger, der nur bis zur nächsten Ecke kommt und dann Spalier stehen muss für die Autos, der an Ampeln, die nur für die Autos da sind, warten muss, dessen Geschwindigkeit sich umgekehrt proportional zu dem des Pkw verändert hat. Der riesige Umwege gehen muss, überall durch herumstehende Blechhaufen behindert wird, der fast völlig rechtlos 200 karzinogene Schadstoffe einatmet, die allein das Auto hinauspustet. Das betriff t weiter den Anwohner, der schon bei geringer Pkw-Konzentration Lärmwerte ertragen muss, die keiner Fabrik zugestanden würden. Der Feinstaub einatmet und seine Kinder zur Käfighaltung verdammt und aufs Vorrecht des Autos hin konditioniert, weil er um ihr Leben fürchtet. Oder die Mutter, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fährt, um sie vor anderen Autos zu schützen. Oder den Radfahrer, der auf Radwege verbannt wird und dort gefährdeter ist als auf der Straße. Den Kleinunternehmer, den Ladenbesitzer, dem die Kunden wegbleiben, weil die Umgehungsstraße oder die Autobahn an seinem Geschäft vorbei- und nicht zu ihm hinführt. Es sind Milliarden Menschen, die dieses Sonderrecht auf Lebenszerstörung durch das Auto ertragen müssen – und es oft auch ertragen, weil sie selbst fahren, weil sie sich die Umgehungsstraßen und Autobahnen selbst gewünscht haben.

    Aber es gibt auch Hoffnung. Denn eine Menge Leute haben keinen Führerschein, in Deutschland fast 40 Prozent. Außerhalb Europas noch viel mehr. Da sind einige Babys und Kinder dabei und ein paar Greisinnen und Greise. Aber es gibt doch eine ganze Menge Menschen im berufstätigen Alter, wie das heißt, die die absurde Bedienung von Lenkrad, Brems-, Kupplungspedal und Gangschaltungsknüppel nicht beherrschen und über keinen Persilschein, keine Fahrlizenz zum Verpesten, Verletzen und Töten verfügen.

    Auch wenn wir noch vereinzelt sind : Unsere Zeit wird kommen! Wir sind die Avantgarde der Verkehrsrevolution, auch wenn wir sie nicht mehr erleben werden. Vielleicht auch deshalb, weil wir vorher – im Wortsinn – unter die Räder kommen.

    Am Anfang, vor guten hundert Jahren, waren es erst wenige Wahnsinnige, die die Menschen von ihren Straßen und Plätzen vertrieben, die Dreck und Staub verbreiteten und den Tod übers Land brachten. In der Frühzeit wurden einige dafür gelyncht. Das wollen wir natürlich nicht. Wir sind für einen fairen Prozess. Aber vor Gericht sollen sie kommen – die Drogenbarone, die Dealer, die sozialschädlich Süchtigen und alle die, die heute nicht dafür sorgen, dass diese Todesmaschine wenigstens zurückgedrängt wird.

    Die Abermillionen Toten mahnen uns. Die Unfalltoten und die, die beim Krieg ums Öl gefallen sind. Und die Milliarden Verletzten, die unzähligen Schwer- und Schwerstverletzten, die dahinsiechen, die Krüppel, die Luftverpesteten und die Hörgeschädigten. Auch deren Angehörige, die psychisch und physisch verarmen und dabei im Glauben leben, dass sie ihre Kinder, ihre Männer, ihre Eltern auf dem Altar der Moderne geopfert haben.

    Es mahnen auch die, die verhungert sind, und die, die entwurzelt und vertrieben wurden, weil das Auto alles frisst : Öl, Ölsand, Biodiesel, Gas, Wasserstoff, Strom, Raum, kurze Wege, Zeit, Ruhe, Bäume, Plätze, Flüsse, Täler, Berge, Häuser, Kommunikation, Gesellschaft und immer wieder Menschen. Weil diese Erfindung des Verderbens aus der Straße einen Todesstreifen gemacht hat, der die ganze Welt umspannt, einschnürt, fesselt und knebelt.

    Doch in jedem Auto sitzt ein Mensch, einer, der es steuert, und somit einer, der verantwortlich ist.

    Sind Autofahrer denn Mörder? Auch dieser Frage werde ich nachgehen.

    Doch zuerst eine Definition : Wenn in diesem Buch vom »Auto« die Rede ist, meine ich der Einfachheit halber nicht nur den Personenkraftwagen (Pkw) mit vier Rädern, sondern alles, was sich mit Motor fortbewegt, ob Moped, Motorrad, Traktor und Lkw, solange es nicht durch Schienen geführt wird. Also das, was hierzulande so treffend »Kraftfahrzeug« (Kfz) heißt. Ein Fahrzeug, dessen Kraft Fantasien produziert, Wünsche weckt und die niedersten Instinkte motorisiert. Kraftwagen und Kraft-durch-Freude-Wagen gehören zusammen. Sie sind zwei Seiten einer Medaille, wie Henry Ford und Adolf Hitler, Helmut Schmidt und Erich Honecker, Franz Josef Strauß und Mao Tse-tung, Jürgen Trittin und Oskar La fontaine, Porsche und Piëch, Osama und Obama.

    Alle wollen oder wollten sie die Kfz-Gesellschaft und verteidigen sie – mit ihrem Geist und, wenn sie noch leben, mit ihrer Macht – mit allen Mitteln. Auch darüber wird näher zu berichten sein. Ich nenne die Nutznießer dieses Drogenkartells, dieser Junkiegesellschaft. Ich bin der selbsternannte Anti-Drogenbeauftragte, der Tacheles redet.

    Und noch eine Unterscheidung : Wenn wir übers Auto sprechen, dann ist die Welt mindestens in zwei Teile geteilt. Die Hochmotorisierten, das sind große Teile der EU, die ganzen USA, ganz Japan und Australien plus Neuseeland sowie einige wenige Schwellenstaaten, insgesamt zirka 33 Länder. Der Rest der Welt, das sind zirka 168 Länder, ist niedrigmotorisiert und versucht dies zu ändern, rapide.

    Das Virus ist längst aus Europa, aus den USA und Japan heraus bewusst auf die Niedrigmotorisierten übertragen worden. Sie wurden infiziert und hängen jetzt auch an der Nadel der Temposucht. Wir haben sie angesteckt, wir haben sie süchtig gemacht. Ohne Erbarmen. Einzig Afrika hinkt hinterher. Aber auch hier sterben Unzählige auf der Straße – also nicht nur in den Slums, an Hunger oder an AIDS. Niedrig- und Hochmotorisierte, zwei Seiten einer Medaille und doch zwei Paar Stiefel. Während man in Europa glaubt, die Massenvernichtungswaffe im Griff zu haben, tötet sie im Rest der Erde immer mehr. Doch das Auto lässt sich nicht entschärfen. Auch nicht in Europa. Es muss verschrottet, die Massenvernichtungswaffe muss vernichtet werden.

    Und auch wenn der Mensch kein Vernünftig ist, hoff e ich doch auf den Sieg von Visionen wie die des Stadtrats Wrzlrmpft, der die Verkehrsprobleme Münchens folgendermaßen lösen wollte :

    »Der Montag ist nur für die Personenautos, der Dienstag nur für die Geschäftsautos, der Mittwoch Straßenbahn, der Donnerstag für die Omnibusse, der Freitag für die Feuerwehr, der Samstag für die Radfahrer, die Sonn- und Feiertage nur für die Fußgänger. Auf diese Weise würde nie mehr ein Mensch überfahren werden.

    Oder eine weitere Lösung : Im Januar nur Personenautos, im Februar Geschäftsautos, im März die Straßenbahnen. (…)

    Oder 1939 nur Personenautos, 1940 Geschäftsautos, 1941 Straßenbahnen, 1942 die Omnibusse, 1943 die Feuerwehr, 1944 die Radfahrer, 1945 Fußgänger usw.

    Oder im 20. Jahrhundert nur Personenautos, im 21. Jahrhundert nur Geschäftsautos, im 22. Jahrhundert … (Tumult, ›Ruhe‹-Rufe, Glocke des Vorsitzenden, ›Aufhören‹-Rufe)«.³

    Ich fordere in leichter Abwandlung : im 21. Jahrhundert nur Fußgänger, Fahrradfahrer, Omnibus, Straßenbahn, Bahn und Feuerwehr.

    Bis der Mensch ein Vernünftig wird.

    Kapitel Eins

    Das Märchen von der friedlichen Revolution 1989

    »Rahn müsste schießen, Rahn schießt und Tor, Tor, Tor!« – und : »Aus, aus, aus! Deutschland ist Fußballweltmeister!« Das sind mit die berühmtesten Worte, die in diesem unseren Lande je über Rundfunk ausgestrahlt wurden. Gesprochen hat sie ein ehemaliger Panzerkommandant im Zweiten Weltkrieg, Ritterkreuzträger und Onkel eines später berühmten grünen Anwalts und Fahrradfahrers. Es sind die Worte, die als Geburtsfanfare eines neuen Nationalgefühls gelten, der eigentliche Taufspruch der jungen Bundesrepublik Deutschland.

    Doch der Geburt folgt auch bald der Tod, jedenfalls dessen, der diese Worte in den Äther rief. Am 11. Dezember 1966 heißt es überraschend »Aus, aus, aus, das Spiel ist aus!« für Herbert Zimmermann. Auf der Fahrt nach Osnabrück kurz hinter Bassum auf gerader Straße verunglückt er tödlich mit seinem Mercedes.

    Ich war nie ein Freund der DDR.

    Zugegeben : Ein gewichtiges Argument für diesen untergegangenen Staat ist immer gewesen, dass er die Kapitalisten und die Regierungen in der BRD auf Trab gehalten hat und dass es zum Beispiel Hartz IV angesichts einer real existierenden DDR nicht gegeben hätte. Der »Unrechtsstaat« hat dem »Rechtsstaat« ganz schön auf die Beine geholfen, vor allem seinen Bürgern und ihren Arbeitskämpfen.

    Doch warum mochte ich die DDR nicht, wie einige meiner Freunde oder Bekannten, die sich zum Teil in K-Gruppen tummelten? Vielleicht einfach schon deswegen nicht, weil ich mich nicht gern von Uniformierten anbrüllen lasse. So geschehen 1979 in einem Transitzug aus Westberlin, nachdem die Abteiltür aufgerissen und ich, weil ich nur meinen Personalausweis vorweisen konnte, von einem Uniformierten barsch angeschrien wurde : »Pass, habe ich gesagt!« Einem jüngeren Menschen heute wird der Unterschied zwischen Pass und Personalausweis gar nicht bewusst sein, weil er ja in Europa mit seinem Personalausweis fast überall hinkommt. Ich jedenfalls musste extra zehn Mark zahlen, um mir von dem cholerischen Grenzsicherheitsorgan ein Visum ausstellen zu lassen, das es mir erlaubte, das Hoheitsgebiet der DDR per Eisenbahn zu durchqueren.

    Nun, die DDR-Grenzer waren so, wie eben Grenzer auf der ganzen Welt sind, nur etwas grenziger. Der westdeutsche Zoll war da aber auch nicht besser. Als so ein BRD-Uniformierter das Abteil jenes Zuges kurz nach Erreichen heimischen Bodens durchsuchte, blaffte er eine Mitreisende an, sie habe Ware nach Deutschland geschmuggelt. Da fragte ich ihn, wieso das denn strafbar sei, Ware von Deutschland nach Deutschland zu schmuggeln – vor allen Dingen, wo doch an der Autobahn-Grenze immer das schwarzrot-goldene Plakat zu lesen sei : »Vergesst nicht : Auch drüben ist Deutschland!« Wenn hier Deutschland sei und drüben auch, wie könne er als Zöllner dann behaupten, die Frau habe geschmuggelt. Der westdeutsche Uniformträger zögerte einen Moment, er schien kurzzeitig verblüfft, und es sah so aus, als würde er nachdenken. Doch dann drohte er : »Mischen Sie sich nicht in eine Amtshandlung ein, oder ich sperre Sie in ein Abteil.« Ich schwieg. Die Vorstellung, eben durch ein eingesperrtes Land gefahren zu sein, um dann im »freiesten Land, das je auf deutschem Boden existierte«, in ein rollendes temporäres Gefängnis eingesperrt zu werden, verschlug mir doch die Sprache. Und das, weil ich einer Frau zur Hilfe kommen wollte, die ich nicht kannte und die angeblich Ware von Deutschland nach Deutschland geschmuggelt hatte. Waren es Bücher gewesen oder Eierbecher oder Schnaps oder Plaste und Elaste aus Schkopau oder nur das Neue Deutschland, die Schnarchzeitung des kleinbürgerlichen DDR-Sozialismus? Ich weiß es nicht mehr.

    Etwa zehn Jahre später fiel die Mauer, und solche aufregenden neun Stunden langen Zugfahrten mit brüllenden Ost- und Westuniformierten blieben mir seitdem erspart. Die DDRler hatten ihre Fesseln abgelegt und praktizierten sofort die freie Fahrt, die freien Bürgern offensichtlich zusteht. Wieso diese Revolution dann aber friedlich gewesen sein soll, habe ich nie verstanden. Spätestens seit dem 9. November 1989 strömten unzählige Trabis in den Westen und wieder zurück. Bananen wurden gekauft und neue Autos. 40 Prozent der DDR-Bürger legten sich neue Schüsseln zu.¹ Gebrauchtwagenhandlungen schossen wie Pilze aus dem Boden. Ähnliches geschah mit den Holzkreuzen an Alleebäumen, auf Landstraßen, inner- und außerhalb von Dörfern und Städten. Die DDR-Bürger entdeckten ihre lang unterdrückte »Mobilität«, und die brachte viele bald abrupt auf Geschwindigkeit 0, was den Tod der Mobilisten zur Folge hatte. Ströme von Blut flossen. Die Zahl der tödlichen Unfälle stieg auf das Dreifache. Betrachtet man die Zahlen bis 2002 – dem Jahr, in dem die Plansollübererfüllung wieder auf 0 zurückfiel, also die Todesrate den gleichen Wert wie vorher aufwies –, dann haben etwa 14 410 Menschen diese Maueröffnungsmobilität nicht überlebt. Ein Leichenberg, der allein der »friedlichen Revolution« geschuldet ist bzw. der dadurch ungebremsten raschen zusätzlichen Motorisierung des ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaates.

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    Im Verhältnis zu den etwa 1000 an der deutsch-deutschen Grenze erschossenen Menschen ist das eine ganze Menge. Nur dass ihrer nicht gedacht und niemand dafür strafrechtlich verfolgt wird. Oder wie es Heinrich Praxenthaler, der Ex-Präsident der West-Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST), ausdrückte : »Ohne es auszusprechen sind manche der Meinung, dass bei einem historischen Aufbruch solcher Wucht auch im Verkehrsgeschehen ein hoher Preis zu zahlen ist.«²

    Wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Man kann somit die »friedliche« Revolution als die wohl blutigste Revolution auf deutschem Boden bezeichnen. Nicht einmal die Bauernkriege von 1525 oder die Revolutionen von 1848 und 1918, allesamt gescheitert, haben so vielen Menschen das Leben gekostet. Nur der Dreißigjährige Krieg führte zu einem vergleichbaren innerdeutschen Blutvergießen. Aber das war ein Krieg und eben keine Revolution.

    Es wundert daher, dass bei den ganzen Huldigungssendungen und Huldigungsartikeln an die 20 Jahre alte »friedliche« Revolution diese Toten mit keinem Wort erwähnt wurden. Absicht? Verdrängung? Oder sind die Toten auf den Straßen tabu? Eine Frage, die es zu klären gilt. Doch verfolgen wir den Weg der Ostdeutschen in die freie Fahrt etwas genauer :

    Ab Sommer 1989 die Massentrabiflucht in die Tschechoslowakei und am 9. November 1989 die erste Maueröffnung zur freien Fahrt nach dem Begrüßungsgeld. Im Jubeljahr 1990 wurde es dann ganz katastrophal. Die Anzahl der Straßenverkehrstoten in der Noch-DDR stieg von 1531 (1987) auf 3140 (1990) und im ersten Vereinigungsjahr sogar auf 3759 (1991), obwohl immer noch die vergleichsweise »harten« DDR-Verkehrsregeln galten : Tempo 100 auf der Autobahn, 80 auf der Landstraße und 0,0 Promille Alkohol am Steuer. Was war geschehen? Nun, allein die Aussicht darauf, dass die Regeln fallen würden, genügte schon, sie nicht mehr einzuhalten. Denn BRD-Verkehrsminister Zimmermann (CSU), ein knallharter Bleifußanhänger, versprach, diese Mauern gegen die Freiheit des Gaspedals sobald als möglich einzureißen.

    Hier sollten wir kurz innehalten, uns von der DDR ab- und der CSU zuwenden, weil diese Partei wie keine andere eine Sauf- und Bleifußmentalität hat, die schon einige ihrer prominenten Mitglieder in den weißblauen Autohimmel beförderte.³

    Hanns Seidel, CSU-Ministerpräsident und Namensgeber der CSU-nahen Stiftung zog sich 1958 bei einem Autounfall so schwere gesundheitliche Schäden zu, dass er erst das Ministerpräsidentenamt und dann zwei Jahre später den Löff el abgeben musste. Verteidigungsminister Franz Josef Strauß wies 1958 seinen Fahrer an, das Haltesignal eines Verkehrspolizisten namens Siegfried Hahlbohm zu missachten, wobei Straußens Dienstwagen beinahe eine voll besetzte Straßenbahn rammte. Strauß versuchte später, aus Dank, dass er überlebt hatte, der Karriere dieses Polizisten durch wochenlanges intensives Bemühen einen Knick zu verschaffen, wodurch allerdings herauskam, dass der Fahrer des Verteidigungsministers wegen verschiedenster Verkehrsdelikte bereits fünffach vorbestraft war. Die Gattin des Namensgebers des Münchner Flughafens, Marianne Strauß, beendete dagegen im Juni 1984 unter Tabletteneinfluss in einem Mercedes 230 E ihr Leben dadurch, dass sie mit ihm in einer leichten Linkskurve ausscherte, über einen Hohlweg flog und sich in die Böschung bohrte, wobei sie sich das Genick brach. Ihr wurde daraufhin posthum der bayerische Verdienstorden verliehen. Marianne Strauß hatte ein halbes Jahr zuvor ihrem Parteifreund, dem Leutnant der Reserve Otto Wiesheu, Trost zugesprochen, nachdem dieser nachts, in seinem Mercedes 380 SE, mit mindestens 1,75 Promille und nach eigenen Angaben einer Geschwindigkeit zwischen 100 und 200 km/h, auf einen polnischen Rentner und Auschwitz-Überlebenden namens Josef Rubinfeld und dessen Fiat 500 aufgefahren war, den Kleinwagen zermalmt und den Rentner vom Leben zum Tod befördert hatte (der Beifahrer des Polen überlebte schwer verletzt). Auf Wiesheus Wagen stand schon 1975, da war er noch Vorsitzender der Jungen Union Bayern, der Aufkleber : »Mir san Hund, die andern san Hund, aber mir san die größeren Hund!« Dies bewies die Partei dann dadurch, dass sie den in erster Instanz zu 13 Monaten Gefängnis Verurteilten – es wurden dann später 12 Monate Bewährung daraus, das übliche Strafmaß für das Umbringen eines Menschen mittels Alkohol und Auto – erst zum Vorsitzenden eben jener Hanns-Seidel-Stiftung und einige Jahre danach zum bayerischen Verkehrsminister machte. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Hartmut Mehdorn, berief ihn dann Ende 2005 zum hoch dotierten Vorstandsmitglied, in der Hoffnung, ihn bei der Zertrümmerung der DB, auch Börsengang genannt, gebrauchen zu können. Doch die Bahn-Verschleuderung zerschlug sich erst mal, und Mehdorns Nachfolger Rüdiger Grube gab dem CSU-Mann den Laufpass. Dass Wiesheus Strafe 1985 so stark herabgesetzt wurde, verdankte der bei der Allianz Versicherte übrigens einem epochemachenden Entlastungsgutachten des Unfallforschers und in der Allianz-Generaldirektion tätigen Prof. Max Danner, der einige Jahre später im Selbstversuch mit 2,23

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