Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Das große Notzeichen: Ein Freimaurer-Krimi
Das große Notzeichen: Ein Freimaurer-Krimi
Das große Notzeichen: Ein Freimaurer-Krimi
eBook264 Seiten2 Stunden

Das große Notzeichen: Ein Freimaurer-Krimi

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Kriminalhauptkommissar Sören Madsen und sein Team der Itze­hoer Mordkommission ermitteln in einem seltsamen Fall von ›Schienensuizid‹. Kriminalhauptkommissar Motti Wunderlich hat bereits bei einem vergleichbaren Fall mitgewirkt und trägt mit seinem Hintergrundwissen als Freimaurer entscheidend zur Aufschlüsselung der triftigen Indizien bei. Sie führen Polizisten, Leserinnen und Leser in einen obskuren Kosmos von Raubkunst und Sadismus. Die Vereitelung der Rückerstattung von Raubkunst an deren legitime Besitzer lässt ein makabres Gespinst gegenwärtiger Niederträchtigkeiten erkennen. Die beiden Co-Autoren haben einen Restitutionskrimi erarbeitet, der ein winziges Licht in Deutschlands dunkelste Zeit wirft.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum20. Dez. 2021
ISBN9783969405758
Das große Notzeichen: Ein Freimaurer-Krimi

Ähnlich wie Das große Notzeichen

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Das große Notzeichen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Das große Notzeichen - Jens Rusch

    1. AUFTAKT

    Der echte Norden hatte im Laufe der Zeit wesentlich zu seiner Gemüts-Genesung beigetragen. Heute liebt er wieder die Nachtfahrten und ganz besonders jene auf der Strecke von Hamburg-Altona nach Sylt. Inzwischen genießt er besonders den Streckenabschnitt auf dem Hindenburgdamm, wenn das dunkle Watt zwischen Husum und Morsum die Lichterkette des Zuges wie einen rasenden Tausendfüßler widerspiegelt. Seine Zelte hat er provisorisch in Glückstadt aufgeschlagen, da seine Ehefrau bedauerlicherweise immer noch in Stuttgart weilt. Die Wohnungssuche in der Hansemetropole, auf die sie für ihren endgültigen Umzug immer noch so hartnäckig besteht, gestaltet sich behäbiger als er befürchtet hatte. Nicht nur die exorbitanten Mietpreise sind ihm stets hinderlich, viele Vermieter blicken ungnädig auf die Berufsbezeichnung, die er in der Selbstauskunft vermerkt hat. Die Erinnerung an die äußerst lästigen und wiederholten Streiks sowie die erwiesene Sturheit seiner Gewerkschaftsbosse waren eben noch nicht verblasst.

    Nur noch gelegentlich schreckt Lokführer Norbert Breitenbacher aus dem Schlaf hoch und immer seltener hört er in seinen unruhigen Träumen das Geräusch berstender Melonen.

    Die herbeigeeilten Spurensicherer hatten die auf dem Gleisbett weit verstreuten Leichenteile akribisch eingesammelt und zu ihrer ›Puzzle-Session‹, wie sie sie nannten, durch ein Bestattungsunternehmen abtransportieren lassen. Anscheinend war der offenbarte Sarkasmus des hinzugezogenen Beamtenteams vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg überhaupt die einzige Möglichkeit, diese grausame Aufgabe zu bewältigen. Breitenbacher hatte sich am Rande des Bahndamms übergeben müssen. Es ist ihm immer wieder unangenehm, wenn er sich daran erinnern muss.

    Mit der Psychotherapeutin der Bahn hatte er damals, während der vielen folgenden PTBS-Sitzungen, tiefschürfende Gespräche über den unseligen Unfall geführt, wobei sie sich unisono darüber empörten, dass die DB immer noch von ihren Lokführern verlange, das betroffene Fahrgestell nach solchen Ereignissen selbst zu reinigen. Immerhin beschränkt sich diese widerliche Tätigkeit im Wesentlichen auf den Einsatz eines Hochdruckwasserstrahls, um die blutbefleckten Überbleibsel zu beseitigen.

    Seltsam, dass seine damalige Therapeutin nichts vom guten alten ›Totmannschalter‹ wusste, der auch heute immer noch bei Schienenfahrzeugen gebräuchlich ist. Triebfahrzeugführer müssen in regelmäßigen Abständen einen Taster betätigen, um zu bestätigen, dass sie noch wach sind. Bleibt dies aus, weil er oder sie nicht mehr handlungsfähig sind, wird die automatische Zwangsbremsung eingeleitet. Nein, übermüdet war er damals absolut nicht gewesen.

    Er hatte jedoch die Behandlungsgelegenheit genutzt, um seiner hübschen Betreuerin eine CD mit dem Titel ›Dead Man’s Handle‹ von Steve Strauß zu schenken. Die wiederholten Termine hatten sie mit der Zeit menschlich nähergebracht und in der Schlussphase ihre Gespräche sogar flirtähnliche Züge angenommen.

    Manchmal – aber nur noch dann und wann – hat er noch kurz aufflackernde Visionen. Meistens liegt es an den stroboskopartigen Lichtern am Bahndamm, wenn sie hell erleuchtete Ortschaften passieren. Aber das ist dann immer schnell vorüber und die Nachtlandschaft nimmt erneut ihre Aufgabe als Beruhigungsfaktor in seinem Lokführerdasein ein.

    Während Breitenbacher noch seinen Gedanken nachhängt, bemerkt er erschrocken den Schornsteinfeger, der plötzlich wie aus dem Nichts vor ihm mit hoch erhobenen Armen auf den Gleisen steht. Instinktiv betätigt seine verkrampfte Hand in Sekundenschnelle die Nothalttaste. Die Straßenlaternen auf der Brücke im Rücken der seltsamen Erscheinung lassen diese nur schemenhaft erkennen. Mit ihrem merkwürdigen Zylinder ähnelt die Person auf den Gleisen jenem Scherenschnitt, den er seiner Frau auf dem Stuttgarter Weihnachtsmarkt gekauft hatte.

    Schrilles Getöse, das ohrenbetäubende Kreischen der Reibung von Stahl auf Stahl, die sprühenden Funken und der ungeheuerlich einsetzende Widerstand gegen die Schubkraft des Zuges, können jedoch das unweigerliche eintretende Unheil nicht verhindern.

    Da ist es wieder: das Melonen-Geräusch. Als würde man sie aus dem zweiten Stock auf das Straßenpflaster fallen lassen.

    Er weiß, dass seine posttraumatischen Gedankenflüsse völlig naiv und ungefiltert daherkommen, aber er denkt wieder genau dasselbe wie damals: »Das gehört nicht hierher, das gehört einfach nicht hierher!«

    2. DER KOFFER

    Der stehende Zug und seine Umgebung sind nur spärlich von Scheinwerfern erhellt und erinnern an ein Filmszenario. Dunkle Schattenfiguren und in weißen Tywek-Anzügen vermummte Gestalten huschen umher. Auf dem hochgelegenen Bahndamm vor einer dunklen Waldkulisse, stehen die unvermeidlichen Gaffer hinter der polizeilichen Absperrung mit ihren Smartphones im Anschlag. Ab und zu zuckt ein bläulicher Blitz durch die Dunkelheit und erhellt kurzzeitig das Geschehen. Ein betont männlich und fit wirkender Vierzigjähriger in gepflegtem Anzug leitet hier die Ermittlungen.

    Kriminalhauptkommissar Sören Madsen schreitet im Stelzgang über Erbrochenes hinweg. Im Hintergrund werden bereits die entsetzten Fahrgäste zu einem Bereitschaftsbus der Bahn gelotst. Viele sind es zu dieser späten Stunde nicht und für fast jeden von ihnen steht ein helfender Sanitäter parat. »Na, wenigstens darin hat die Bahn Routine«, murmelt Sören verbissen vor sich hin.

    Der abwesend wirkende Lokführer sitzt in einem VW-Bus der Bahnpolizei und brabbelt unverständliches Zeug vor sich hin. Seine Hände zittern, der Blick ist in die weite Ferne gerichtet. Auf etwas, was die anderen nicht sehen können. Madsen hat bei Gesprächen mit Menschen unter Schock immer den Mimen Gustav Gründgens vor Augen, der seinen Blick in der Rolle als Mephistopheles so meisterhaft nach innen richten konnte. Ganz so, als gäbe es dort drinnen mehr zu sehen als vor ihren Augen.

    »Ist er ansprechbar?«, fragt der Ermittlungsleiter von der geöffneten Seitentür aus. Der daneben sitzende Notarzt schüttelt bedauernd den Kopf. »Er steht offensichtlich unter Schock und hat ein starkes Sedativum erhalten. Wir mussten erst einmal seinen Kreislauf stabilisieren. Ich denke, was immer er Ihnen jetzt vorstammeln würde, könnten Sie später ohnehin nicht verwerten.« Außer »Ein Schornsteinfeger!«, habe er bisher sowieso nichts Eindeutigeres verlauten lassen, bedeutet der Notarzt Madsen und schlussendlich, dass deren einziger Zeuge momentan nicht kontaktfähig sei. »Medikamente dieses Kalibers – doch wohl nur bei Schock oder Trauma. Aber er ist doch überhaupt nicht verletzt?«, sinniert Madsen enttäuscht. Von einer verletzten Psyche mögen Hardliner wie er ungern etwas hören. Ein Sanitäter hakt wenig später den Lokführer unter, um ihn im Halbdunkel stolpernd zum Rettungswagen zu geleiten.

    Einer von Madsens Teammitgliedern, von den Kollegen Hannes Lennon genannt, reicht ihm einen Asservatenbeutel, in dem ein blutgetränkter, weißer Handschuh steckt. »Seit wann tragen Schornsteinfeger denn weiße Handschuhe?«, fragt dabei verwundert der jüngere, hagere Kriminaloberkommissar in rotem Sweatshirt und Jeans mit der aufgesetzten runden John Lennon-Brille. Auf ein deutliches Kopfnicken seines Vorgesetzten holt er dann einen abgetrennten Finger mit einer Pinzette aus dem handähnlichen Gemetzel hervor. Daran ist deutlich der Ring mit einem markanten Symbol zu erkennen. Es erinnert ihn an ein altes Handwerkerzeichen, das er einmal über einem Zimmerer-Betrieb gesehen hat. Madsen gräbt in seiner Erinnerung und nickt kurz darauf mehrmals, als glaube er, einen vagen Hinweis gefunden zu haben.

    Lennon bemerkt nebenbei: »Übrigens habe ich bei einem Gespräch zwischen zwei Bahnbeamten gehört, dass dieses bereits der zweite ›Schienensuizid‹ für unseren Unglücksraben sei.«

    Madsen zweifelnd: »Na, ob das ein Suizid war, steht doch noch überhaupt nicht fest. Allerdings fallen mir im Augenblick dazu auch noch keine Alternativen ein. Was haben SpuSi und der Doc denn bislang zusammentragen können?« Lennon hält sich eine Hand vor den Mund und rülpst: »Eine Hälfte des Schädels lag verkeilt unter dem Triebwagen. Nach der anderen sowie weiteren Körperteilen wird noch in der Dunkelheit gesucht. Die Kieler Gerichtsmediziner haben dann einiges zu tun, um das ganze wieder zusammenzusetzen. Ich befürchte, sie werden wohl dazu ‘ne Menge kreativer Fantasie aufbringen müssen!«

    »Lass das mal deren Sorge sein, Lennon. Da sie tagtäglich damit beschäftigt sind, Leichen zu zerlegen, werden sie auch sicherlich genau wissen, wohin jedes der gefundenen Teilchen gehört!«

    Madsen blickt vergrellt, als er erneut das Brummen einer winzigen Drohne vernimmt, die mit einem erstaunlich lichtstarken LED-Strahler den Tatort überfliegt, um über ihre Köpfe hinweg den blutverschmierten Triebwagen zu filmen. »Könnt Ihr bitte mal den Pressefuzzis hinter der Absperrung mitteilen, dass wir befugt sind, ihre Spielzeuge für Schießübungen zu nutzen?«, brüllt er in die Nacht hinaus. Das stimmt zwar nicht, aber in der Regel reicht eine solche Warnung für deren geordneten Rückzug. Manchmal wünschte er sich, seine Itzehoer MoKo würde auch über solche nützlichen Helfer verfügen.

    In der Zwischenzeit hat man eine fahrtüchtige Rangierlok aus Pinneberg herangeschafft und rückwärts bis kurz vor den blutverschmierten Unglückstriebwagen bugsiert. »Dies ist die Hauptstrecke Hamburg – Westerland und auf Sylt ist morgen Bettenwechsel. Da ist Massenandrang in beiden Richtungen angesagt und es hängen Existenzen in der Luft. Die ganze Insel lebt doch vom Tourismus«, bemerkt der besorgte Streckenleiter der DB. »Was denken Sie, wie lange wir die Bahnstrecke noch sperren müssen?«

    »Sorry, bester Mann! Das müssen Sie eher die Kollegen der Spurensicherung fragen. Allerdings befürchte ich, dass bei dieser kleinteiligen Sucherei das Ganze noch einige Stunden in Anspruch nehmen dürfte, bis die Leichendocs alles im Kasten beziehungsweise im Sarg haben. Letzte Teile werden sie ganz sicher erst bei Tageslicht finden. Kunstlicht verzerrt die Wahrnehmung doch erheblich. Tut mir leid, aber wir haben hier einen Tatort und müssen uns zunächst um jenen kümmern, der da so zerfetzt unter Ihrer Lok liegt. Bitte, entschuldigen Sie mich jetzt, ich muss!« Madsen eilt davon. Er hat einfach das Bedürfnis, irgendwo in Ruhe nachdenken zu können.

    KOK Hannes Lennons kurze Meldung: »Die SpuSi hat dies soeben gefunden« – unterbricht abrupt seine Gedanken. Aufgeschreckt blickt Madsen auf den schwarzen Aktenkoffer, der ihm hingehalten wird. »Wo war der denn?«, will er wissen. »Am Rande des Bahndamms, in der Nähe der Stelle, an der jener Schornsteinfeger beim Aufprall gestanden haben muss.«

    Oberhalb des Bahndamms, in der Dunkelheit des Waldrandes, entfernt sich eine kleinwüchsige Gestalt von der gaffenden Schar und greift zum Smartphone. Sie wählt einen Anschluss, dann spricht sie leise in das Mikro: »Er hat’s gemacht!« Ein merkwürdiger Unterton zwischen freudigem Entsetzen und Ergriffenheit begleitet seine Vollzugsmeldung.

    Die weißen Latex-Handschuhe, die Lennon übergestreift hatte, um den schmalen Lederkoffer zu öffnen, erinnern Madsen schlagartig an den eigenartigen Ring im Fingerhackfleisch. Der Oberkommissar legt das Ohr ans Schloss, während er konzentriert an den Rädchen der Zahlenkombination herumdreht. Mit leisem Klick springt es plötzlich auf. »Bingo!« Lennon setzt ein triumphierendes Lächeln auf: »Das sollte man unbedingt schon vor dem ersten Semester auf der Polizeiakademie draufhaben, sonst muss man locker den Kollegen fast jede Runde in der Kantine bezahlen«. Beide blicken neugierig auf den Kofferinhalt. Verblüfft bemerkt Lennon: »Das ist ja ‘ne richtige Wundertüte für ermittelnde Untersuchungs-Absolventen. Was haben wir denn da? Seltsame Abzeichen und Orden. Dazu ein Schlüsselbund. Fahrzeugpapiere, Personalausweis und zwei große Umschläge.«

    Madsen stutzt: »Was kann man darauf lesen? Lassen Sie mich mal ans Licht! ›Neocorus-Loge‹« liest er dann laut vor.

    Lennon ulkt: »Na, meinetwegen! Hört sich nach einer Studentenverbindung an. Ich geh’ aber mal davon aus, dass sich Mensurschmisse oder andere Gesichtsnarben nicht mehr feststellen lassen. Soll ich die Umschläge öffnen?«

    Madsen kontert energisch: »Nix da, Finger weg! Die öffnen wir lieber morgen im Büro.«

    Er schaut vergrellt in den schwarzen Himmel. Es hat zu nieseln begonnen. Nun, die meisten Spuren unter dem Triebwagen und den Fahrgastwaggons dürften kaum etwas davon abbekommen. Er hasst es zutiefst, wenn ihre Arbeit durch norddeutschen Regen in Stress ausartet, weil womöglich dadurch etwas fortgespült oder Spuren unkenntlich werden. Wobei ihm ein ordentlicher Regen, der das umständliche Aufbauen von provisorischen SpuSi-Zelten rechtfertigt, fast lieber ist als dieses ›hinterhältige Nassmachen unbescholtener Bürger‹, wie er es nennt. Er gähnt: »Hier ist für uns jetzt Feierabend. Was wir nicht von der Spurensicherung erfahren, wird sich uns hier am Bahndamm heute Nacht auch nicht unbedingt erschließen.«

    Er ist genau so müde wie sein Kollege. Sie verabschieden sich vom leitenden Polizeibeamten, der sie zum Ort des Geschehens hinzugerufen hatte und machen sich auf den Heimweg.

    *

    Einsamer Gutshof in Rellingen

    »Reich mir mal den Elektropick!«. Die dünne nadelähnliche Sonde am handlichen Gerät vibriert wenige Augenblicke im Schlosszylinder der Tür am alten Gutshof, dann lässt sich diese mühelos öffnen. Die vier schwarzgekleideten Eindringlinge tragen Latexhandschuhe und Skimasken. »Sucht Euch die Trittleitern, eine müsste im Atelier sein, die zweite ist im Hauswirtschaftsraum!« Obwohl sie niemals zuvor in diesem Haus gewesen sind, scheinen sie sich offensichtlich hier bestens auszukennen. »Nehmt Eure Masken erst ab, wenn alle Kameras demontiert sind. Sofortige Meldung an mich, sobald Ihr den Festplatten-Recorder gefunden habt. Und denkt daran, die Spachtelmasse mit dem Föhn zu trocknen!«

    Sein Handy vibriert. Mit einem fiesen Lächeln vernimmt er die geflüsterte Nachricht: »Er hat’s gemacht!«

    Es scheint ein guter Tag für seinen Auftraggeber zu werden. Und nun der zweite Erfolg in kurzem Abstand. Wenn sie jetzt auch noch den Festplatten-Recorder finden würden!

    Nachdem sie sämtliche Kameras im Atelier, der Diele und im Büro abgebaut und deren Befestigungslöcher zugespachtelt haben, hört man das leise Summen eines Akku-Föhns unter den hohen Decken. Danach pinseln sie etwas vom Umgebungsstaub über die kleinen weißen Punkte an der Decke. »Keine Kabel, kein Recorder«, meldet einer der Männer, die jetzt alle ihre Vermummung abgesetzt haben. »Aber das hier.«

    Im Büro zeigt er auf das kleine Gerät auf dem Arbeitstisch neben dem Laptop. »Sieht aus wie eine Fritz-Box, diente aber als Empfänger für die Funk-Kameras. Ich fürchte, wir müssen doch an den Laptop ran. Anscheinend hat er die Kamera-Daten in einer Cloud gespeichert.«

    »Auf gar keinen Fall! Um den Laptop kümmern sich dann unsere Schweizer Freunde, die haben das voll im Griff. Dürfte für sie ein Kinderspiel sein, den Zugriff auf die Daten in der Cloud zu erhalten. Aber das sollte umgehend geschehen. Morgen wird es hier von Bullen nur so wimmeln.« Er geht noch einmal durch alle Räume und überprüft die Stellen, an denen die Kameras befestigt waren. Nichts weist mehr darauf hin, dass sich in diesem Haus überhaupt einmal ein Überwachungssystem befunden hat. Und somit könne auch niemand mehr feststellen, wer den Zugang zu diesem System gehabt hatte. Wenig später steigen die vier Gestalten in ihren Mercedes Vito Kastenwagen und fahren direkt zur Autobahn 23 in Richtung Süden.

    *

    Trautes Heim

    Madsens Frau hat stets einen leichten Schlaf, wenn er sich im Einsatz befindet. Sonst schläft sie tief und fest. Obwohl er sich bemüht, ihr gemeinsames Zuhause in Bönningstedt besonders leise zu betreten, sitzt sie aufrecht im Bett und erwartet von ihm zumindest eine kurze Schilderung. Während er sich auszieht, erhält Emily eine summarische Kurzfassung. Dann wirft er Hemd und Unterwäsche in den Korb in der Waschküche, hängt den Anzug auf einen Bügel und diesen hinaus auf die Leine in der Loggia. Jetzt erst beschleicht ihn eine bittere Übelkeit und er geht kurz ins Badezimmer. Während er mit seiner elektrischen Zahnbürste hantiert, blickt er immer wieder verstohlen in den Spiegel. Die Bilder des halben Kopfes würden ihn in seine Träume begleiten.

    Nur gut, dass sich üblicherweise beim Frühstück am nächsten Morgen sein emotionaler Aufruhr bereits gelegt hat. Auch das gehört zur Berufsroutine, sonst könnte er kaum diesen Job ausüben.

    »Weshalb nennst Du ihn eigentlich immer ›Lennon?‹ Meines Wissens heißt er doch Johann Leonhard«, fragt Emily ihren Gatten, während sie ihm die zweite Tasse Kaffee einschenkt. Er bewundert seine adrette, hübsche und immer noch so jugendlich wirkende Ehefrau, in die er nach wie vor verliebt ist.

    »Na, dann solltest Du mal in seinem ehrenwerten Triumph-Oldie mitfahren, wenn er eine seiner Beatles-CDs einlegt und laut mitsingt. Aber er kann immer nur die Stimmlage von John Lennon nachahmen, die anderen schafft er nicht!«, lächelt er verschmitzt. »Wahrscheinlich auch, weil er dessen Brillenmodell trägt.«

    Sören weiß genau, dass diese kurzen Augenblicke von Frühstücksvertrautheit mit seiner Frau die einzigen sparsamen Lichtblicke in seinem düsteren Berufsalltag darstellen. Deshalb vermeidet er möglichst, sie mit seinen oft erdrückenden Erlebnisberichten zu belasten. Aber er beantwortet dennoch gewissenhaft ihre Fragen, auch jene bezüglich der laufenden Ermittlungen.

    »Was meinst Du Sören, glaubst Du echt daran, dass es Selbstmord

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1