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Lebendige Seelsorge 1/2020: Muße
Lebendige Seelsorge 1/2020: Muße
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eBook159 Seiten1 Stunde

Lebendige Seelsorge 1/2020: Muße

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Über dieses E-Book

Viel Freude am ersten Heft des Jahres 2020 und ein herzliches Willkommen allen bisherigen Leser*innen der Zeitschrift "Lebendiges Zeugnis". Die"Lebendige Seelsorge" will Ihnen eine neue Heimat bieten, nicht nur durch die Rubrik "Seelsorge und Diaspora: Bonifatiuswerk", die Sie in jedem Heft finden werden. Sie verwöhnt Sie auch mit anregenden Themen.
Warum aber ein Themenheft "Muße" in kirchlich und gesellschaftlich aufregenden Zeiten? Was ist mit den brennenden Themen "Synodaler Weg", "Frauen (in) der Kirche", "Kirche und Geld" oder der immer angemahnten "Gotteskrise"? Diese Themen werden Sie in den nächsten Heften behandelt finden. Aber das Thema "Muße" ist kein harmloses Thema. Es stellt vor die Frage: Beute ich mich oder andere aus in meiner Arbeit, kommt meine Arbeit aus einer Ruhe und Gelassenheit mit dem Blick aufs Notwendige oder führt sie mich und andere in die Erschöpfung?
Der Philosoph Günter Figal lädt dazu ein, die Arbeit von der Muße her zu definieren, nicht umgekehrt, Christoph Gellner empfiehlt das Lesen als Freiraum jenseits von Nutzenskalkülen, der Historiker Peter Hersche macht uns mit dem Mußekonzept der Barockzeit vertraut, die Leiterin des Seelsorgeamtes Osnabrück Daniela Engelhard berichtet vom Experiment des Aufatmens in ihrem Bistum und den bleibenden Früchten und der Architekt Jörn Köppler begreift das Bauen nicht nur technisch, sondern als poetisches Phänomen.
Vier Pastoraltheolog*innen, zugleich Mitglieder der Schriftleitung dieser Zeitschrift, buchstabieren Muße biografisch und geben somit Einblicke in Persönliches. Der Exeget Christian Schramm erläutert den Unterschied zwischen Muße und Sabbat und lädt ein zu einer sabbatlichen Kultur: die Ruhe ist die Krönung der Schöpfung, nicht der Mensch, schon gar nicht die Arbeit. Mit diesem Heft beginnt Andreas Feige seine Tätigkeit als neuer Redakteur. Der bisherigen Redakteurin Elisabeth Hasch gilt für ihre vorzügliche Arbeit der Dank des Verlags und der Schriftleitung.
SpracheDeutsch
HerausgeberEchter Verlag
Erscheinungsdatum21. Feb. 2020
ISBN9783429064716
Lebendige Seelsorge 1/2020: Muße
Autor

Erich Garhammer

Dr. Erich Garhammer ist Professor für Pastoraltheologie an der Universität Würzburg.

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    Buchvorschau

    Lebendige Seelsorge 1/2020 - Erich Garhammer

    Zeit der Arbeit – Raum der Muße

    Sobald man etwas tut, bei dem man die Zeit unwichtig findet oder gar vergisst, also etwas ‚in Muße‘ tut, kann deutlich werden, was einem bei der Arbeit entgeht. Vielleicht wird man so auch lernen, die Arbeit von der Muße her zu fassen, statt umgekehrt die Muße von der Arbeit her als ‚Freizeit‘ misszuverstehen. Günter Figal

    Das Wort ‚Muße‘ klingt etwas altmodisch, als wäre es aus der Zeit gefallen. Wenn man das Wort hört, denkt man vielleicht an biedermeierliche Gartenidyllen – eine Familie im Baumschatten am Teetisch – oder, sofern man der Wortgeschichte nachgegangen ist, an noch weiter zurückliegende Phänomene. Als Übersetzung des griechischen ‚σχολή‘ und des lateinischen ‚otium‘ bezeichnet das Wort eine Lebensweise, die der Betrachtung gewidmet und so dem aktiven Leben entgegengesetzt ist. Zur vita contemplativa gehört Muße, während diese der vita activa fehlt – bezeichnenderweise ist das lateinische Wort für eine öffentliche, dienstliche oder geschäftliche Tätigkeit ‚negotium‘, was ‚Unmüßigkeit‘ heißt. Betrachtend ist das Leben von Philosophen in ihren Akademien, von Gelehrten und Literaten, die unbehelligt von Tagesgeschäften ihren Gedanken nachgehen. Die Muße, in der ein solches Leben geführt wird, ist keine Freizeit, auch keine ‚Auszeit‘. Beide Wörter bezeichnen eine Ausnahme, der gegenüber etwas anderes, nämlich die Arbeit, der Normalfall wäre. Wer hingegen in Muße lebt, muss an Arbeit gar nicht denken, ohne deshalb untätig zu sein. Philosophische oder allgemein gelehrte Studien, die Lektüre und das Schreiben von Gedichten sind Tätigkeiten, aber offenbar keine Arbeit im Sinne der ‚Unmüßigkeit‘. Was aber dann?

    WIE BIN ICH TÄTIG?

    Mit dieser Frage könnte das Nachdenken über Muße jenseits historischer Reminiszenzen interessant werden. Offenbar gibt es verschiedene Arten des Tätigseins, die man miteinander vergleichen und so klären kann. Dabei mag einem bewusst werden, wie man selbst tätig ist, und das wiederum könnte ein Anlass für die Frage sein, ob man so tätig sein möchte. Sinnvoll ist die Frage nur, wenn es Alternativen gibt. Ist die Muße, ehemals das Vorrecht von Philosophen, Gelehrten und Literaten, allgemein eine solche Alternative?

    Ein Vergleich des Tuns in Muße mit der Arbeit mag dazu beitragen, das zu entscheiden. Unter Arbeit versteht man im Allgemeinen eine Tätigkeit, die in einer bestimmten Zeit zu einem bestimmten Ergebnis führen soll. Arbeitszeit ist begrenzt, aber in dieser Zeit ist eine bestimmte Leistung zu erbringen. Außerdem wird meist erwartet, dass die Arbeit innerhalb einer vorher festgelegten Zeit zu einem Ergebnis führt, nicht selten auch, dass zu einer festgelegten Zeit gearbeitet wird. Arbeit, derart verstanden, ist also zeitgebundene Tätigkeit; sie vollzieht sich nach einer zeitlichen Ordnung, in der gemessenen Zeit, und sie unterliegt zeitlich bestimmten Erwartungen. Diese Bestimmung der Arbeit ist so formal, dass sie auf sehr verschiedene Tätigkeiten zutrifft. Es ist die Zeitgebundenheit, die Tätigkeiten, so verschieden sie sein mögen, zur Arbeit macht.

    Günter Figal

    Dr. phil. habil., Prof. em. für Philosophie an der Universität Freiburg; freier Autor.

    Ginkaku-ji, Kyoto, Tee- und Dichterhaus von Ashikaga Yoshimasa

    Fotografie: Günter Figal

    Wenn das Tun in Muße sich im Kontrast zur Arbeit bestimmen lässt, müsste es demnach ohne Zeitgebundenheit sein, und so lässt sich dieses andere Tun, das Tun von Gelehrten oder Dichtern, in der Tat beschreiben. Wer in Muße seinen Studien nachgeht oder Gedichte schreibt, möchte zwar etwas erreichen oder auch zustande bringen. Aber es ist dabei unwichtig, ob man in einer bestimmten Zeit zu Einsichten kommt oder Gedichte innerhalb einer bestimmten Frist fertig werden – sich derart unter Druck zu setzen dürfte sogar hinderlich sein. Zu Tätigkeiten wie den genannten gehört im Gegenteil, dass man sie nicht forciert; sie müssen sich entwickeln können und entsprechend gehört zu ihnen auch das Nichtstun – das Innehalten, bei dem man Texte, die man gelesen hat, wirken lässt oder Texten, die man schreibt, Gelegenheit gibt, wie von selbst zu entstehen; wenn man bei literarischen Texten, Gedichten vor allem, den Eindruck hat, dass sie ‚gemacht‘ sind, ist das von Nachteil. Nachdenken, Studieren und Dichten braucht Muße, es lässt sich nicht zielgerichtet erledigen. Vielleicht tut man zwischendurch sogar etwas, das in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Sache steht, die einen beschäftigt. Man schaut ein Buch oder ein Bild an, räumt auf oder geht spazieren. Vielleicht fällt einem gerade dabei etwas zu einer Frage ein, der man nachgeht, oder zu dem Text, an dem man schreibt.

    James-Simon-Galerie, Museumsinsel Berlin (David Chipperfield Architects) Fotografie: Günter Figal

    TÄTIGSEIN IN MUSSE

    Tätigkeiten in Muße sind demnach solche, bei denen die Zeit keine Rolle spielt. Zwar läuft die Uhr weiter, es wird Mittag und Abend, es können auch Wochen, sogar Monate vergehen. Aber der Zeitlauf strukturiert diese Tätigkeiten nicht. Deshalb sind sie meist auch nicht durchgeplant und ohne jede Zielstrebigkeit. Sie kommen ohne zeitliche Ordnung, also ohne Zeit, aus und sind in diesem Sinne ‚zeitlos‘.

    Möglicherweise hat man deshalb bei Tätigkeiten in Muße auch nicht das Gefühl, besonders aktiv zu sein. Man tut etwas, gewiss, aber dieses Tun ist eigentümlich gelassen. Es gehört in den Zusammenhang anderer möglicher Tätigkeiten und vor allem gehört es mit dem Nichttun zusammen, mit dem Innehalten und Verweilen. Statt auf eine besondere Tätigkeit konzentriert zu sein, erlebt man so eher eine Situation und mit dieser einen Freiraum, in dem Tun wie Lassen möglich ist und in dem man vor allem einfach sein kann, auch ohne sich für ein bestimmtes Tun oder zwischen Tun und Lassen entscheiden zu müssen.

    Sollte dieses einfache Seinkönnen in einem Freiraum die Muße sein? Dann wäre Muße kein besonderer Modus des Tuns – derart, dass man dasselbe ‚in Muße‘ tun könnte oder auch nicht – sondern vielmehr die Möglichkeit eines Freiraums, auf den man sich einlassen kann. Muße wäre raumhaft, und dazu passt, dass das Wort ursprünglich einen Frei- oder Spielraum bezeichnet, einen Raum, der Möglichkeiten gibt und als die Offenheit dieser Möglichkeiten erfahren werden kann. Entsprechend könnte ein Tun in Muße darin gelassen sein, dass es in ein Ensemble von Möglichkeiten zurückgenommen ist und dass es weniger auf das Tun ankommt, als darauf, dieses Ensemble in seiner Offenheit zu leben.

    MUSSE ALS FREI- UND SPIELRAUM

    Der Raumcharakter der Muße wird dadurch bestätigt, dass es besondere Mußeräume gibt, Räume also, die das Seinkönnen in einem Freiraum auf je besondere Weise möglich machen. Die philosophischen Akademien waren solche Räume, Bibliotheken können es sein, auch Museen oder Gärten wie zum Beispiel der Wandelgarten des Tempels Ginkaku-ji, den sich Ashikaga Yoshimasa am nordöstlichen Rand von Kyoto anlegte, nachdem er 1482 sein Amt als Shōgun aufgegeben hatte, um sich dem Nachdenken, dem Lesen und Schreiben von Gedichten zu widmen – wodurch übrigens eine lang andauernde literarische Kultur begründet wurde.

    Auch Hotels können Mußeorte sein oder Bäder, die keine Unterhaltungseinrichtungen sind, sondern zur Ruhe kommen und in Ruhe sein lassen wie zum Beispiel Peter Zumthors Therme in Vals in Graubünden. Und es gibt Mußeräume, die eher für einen kurzen Aufenthalt gedacht sind, für eine Weile, in der man vielleicht Eindrücke und Erfahrungen nachklingen lässt. So ist der von David Chipperfield Architects gebaute Säulenhof zwischen dem Neuen Museum und dem Pergamonmuseum in Berlin, ein ebenso weitläufiger wie intimer Raum, einzig von einem flachen Steinbrunnen akzentuiert, dessen murmelndes Wasser man hört, während man im Schatten auf einer Bank sitzt und dem Licht zwischen den Säulen zuschaut.

    Mußeräume wie die beschriebenen haben gemeinsam, dass sie keine Richtungen vorgeben und also auch nicht in einer Richtung durchquert werden müssen. Sie sind vielmehr dezentral und lassen in ihrer Dezentralität frei, wie man die Möglichkeiten, die sie bieten, wahrnimmt. An japanischen Wandelgärten wie dem des Ginkaku-ji ist das besonders sinnfällig zu erfahren. Solche Gärten bieten viel Raum auf gar nicht so großer Fläche. Man überschaut sie eigentlich nie, und jeder Weg, jeder Ort zum Innehalten gibt eine neue Perspektive, die immer eine auf denselben Garten ist, sodass man an jedem Ort im Garten ist, dort, wo man sein will ‚einfach hier‘, in diesem Garten. Auch Museen können derart sein, und so ist das ‚Museum des 21. Jahrhunderts‘ in Kanasawa in Japan. Der Bau des Architektenbüros SANAA ist nicht nur Kunstausstellung, sondern vor allem Aufenthaltsort,

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