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Alternativlos: Warum wir jetzt erst recht ungezügelte Finanzmärkte brauchen
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eBook369 Seiten4 Stunden

Alternativlos: Warum wir jetzt erst recht ungezügelte Finanzmärkte brauchen

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Über dieses E-Book

Ein Insider packt aus: Das Buch ist ein leidenschaftliches Plädoyer eines aus Deutschland stammenden Fondsmanagers von der New Yorker Wall Street gegen eine Überregulierung der Finanzwirtschaft. Als direkt Beteiligter räumt er dabei mit zahlreichen Mythen, Medienenten und Mißverständen über die Arbeits- und Wirkungsweise internationaler Finanzinstitute und ihrer Produkte auf. Im Mittelpunkt stehen die Ursachen der gegenwärtigen Krise, als deren Hauptschuldige er inkompetente Politiker ausmacht, die in ihrer Inkompetenz ihrer Verantwortung nicht gerecht werden können. Denn ehe man Finanzmärkte regelt, müsste man erst ihre Wirkungsweise verstehen. Zahlreiche persönliche Erfahrungen erlauben einen Blick hinter die Kulissen der großen Player an den internationalen Finanzmärkten.
SpracheDeutsch
HerausgeberTvR Medienverlag
Erscheinungsdatum1. Aug. 2016
ISBN9783940431585
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    Buchvorschau

    Alternativlos - Thomas Kirchner

    Autors.

    1

    Verursacht Devisenhandel Krisen?

    Kritiker datieren den Beginn des Finanzkapitalismus auf die Freigabe der Wechselkurse in den 70er Jahren. Damit wurde, so der Vorwurf, Spekulation auf Wechselkurse überhaupt erst möglich. In diesem Augenblick habe ein Zeitalter der Deregulierung begonnen, das in der aktuellen Krise endete. Zur Zeit des Bretton Woods -Systems, das auf feste Wechselkurse und Goldkonvertibilität aufbaute, sollen demnach paradiesische Zustände geherrscht haben, bei denen sich Währungen nie änderten, das Wachstum hoch und Krisen unbekannt waren.

    Doch die Verfechter dieser Behauptungen ignorieren einfach die wahre Geschichte von permanenter Instabilität, Krisen und häufigen Abwertungen. Denn entgegen allen Behauptungen wurden 1971 nicht primär die Wechselkurse freigegeben. Vielmehr wurde der Goldstandard abgeschafft, der seit dem Abkommen von Bretton Woods im Jahr 1945 einen Dollar als ein Fünfunddreißigstel einer Feinunze Gold definierte. Oder umgekehrt formuliert: Eine Feinunze Gold sollte 35 Dollar kosten. Die Konvertibilität des Dollars war natürlich nicht für jedermann zu haben. Nur Zentralbanken konnten ihre Dollarreserven in Gold wechseln lassen.³

    Alle anderen Währungen koppelten sich freiwillig an den Dollar und mussten entweder durch Gold besichert sein, oder durch Dollar, und damit indirekt ebenfalls durch Gold. Der große Nachteil jedes Systems fester Wechselkurse ist die Unmöglichkeit einer autonomen Geldpolitik. Die Geldpolitik der Zentralbanken richtete sich nicht nach den Erfordernissen ihrer jeweiligen Volkswirtschaft, sondern nach der Stabilität des Wechselkurses zum Dollar. Grundsätzlich gilt, dass feste Währungen nur in Wirtschaftsräumen sinnvoll sind, deren Zyklen eng beieinander liegen. Das System von Bretton Woods zwängte die ganze Welt in einen einheitlichen Wirtschaftsraum. Dies führte zwangsweise zu erheblichen Spannungen.

    Zur Zeit des Wiederaufbaus bis in die 60er Jahre hinein litt Europa unter akuter Kapitalknappheit. Im Laufe der 60er Jahre änderte sich dies jedoch und die Vereinigten Staaten bauten ein doppeltes Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit auf. Nun litt die Welt nicht mehr an Kapitalknappheit, sondern an einem Überschuss von Dollar. Die Situation wurde als sogenanntes Triffin-Dilemma⁴ bezeichnet: alle Länder brauchten Dollar, um miteinander handeln zu können. Dollar konnten sie aber nur durch Handelsüberschüsse mit den USA bekommen. Also mussten die Vereinigten Staaten entweder unter einem permanenten Handelsdefizit leiden, oder die Weltwirtschaft wäre zusammengebrochen. Doch ein permanentes Handelsdefizit ist ebenfalls äußerst instabil. Folglich war das gesamte System fester Wechselkurse auf einem instabilen Fundament aufgebaut.

    Als der in vielerlei Hinsicht glücklose Präsident Nixon die Konvertibilität des Dollar in Gold aufhob, wurde aus dem Goldstandard ein Dollarstandard. Somit bestand natürlich kein Grund mehr, die anderen Währungen fest an einen Dollar zu koppeln, der nicht mehr durch Gold gesichert ist. Innerhalb weniger Jahre standen fast alle Währungen in flexiblen Wechselkursen zueinander. Das Ende der Goldkonvertibilität war keineswegs ein Akt amerikanischer Deregulierungswut, wie heute manchmal behauptet wird, sondern war eine Flucht aus dem Korsett der festen Wechselkurse.

    Es war übrigens auch die Konsequenz einer europäischen Anti-Dollar Politik. Da der Dollar Leitwährung war, hatten Zentralbanken weltweit jahrelang Dollar gesammelt, und zwar weit mehr Dollar, als durch Goldreserven gedeckt waren. Ein durch feste Wechselkurse überbewerteter Dollar verhinderte die Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Exporte, so dass der Handel mit Gütern nicht den Rückfluss der angehäuften Dollar erzielen konnte. Daher kam es zu einem Leistungsbilanzdefizit der USA. Das wiederum führte dazu, dass Zentralbanken auf unablässig steigenden Dollarreserven saßen.

    Das Problem dabei war, dass diese Dollar durch Gold hätten gedeckt sein sollen. Die Geldmenge konnte nur wachsen, wenn mehr Gold zur Verfügung stand. Das Wirtschaftswachstum war also in gewissem Umfang von der Goldförderung abhängig, und ein großer Teil der weltweiten Goldminen liegt ausgerechnet in der Sowjetunion, die im kalten Krieg nicht gerade an der Förderung des Wachstums klassenfeindlicher Volkswirtschaften interessiert war.

    Die einzige Lösung während des starken Wachstums der 50er und 60er Jahre war also die Ausgabe von mehr Geld, als durch Gold gedeckt werden konnte. Da der Dollar die Ankerwährung des Systems war, bedeutete dies, dass mehr Dollar existieren mussten, als durch Gold gedeckt waren. Die Schere zwischen Dollar und Gold ging so weit auseinander, dass 1970 nur noch 55 Prozent der von ausländischen Zentralbanken angehäuften Dollarreserven durch Gold gedeckt werden konnten, ein Jahr später aufgrund der starken Goldabflüsse aus den USA sogar nur noch 22 Prozent.

    Die bei weitem größte Schwäche war jedoch nicht der Goldstandard selbst, sondern die grundsätzlichen Fehlkonstruktion eines jeden Systems fester Wechselkurse. Sie funktionieren nur, wenn all Staaten die exakt gleiche Inflationsrate haben.

    Bei der Planung des Systems von Bretton Woods war diese Voraussetzung einfach als ein immerwährender Zustand angenommen worden. In der Realität gingen die Inflationsraten gegen Ende der 60er Jahre in der Welt aber immer weiter auseinander. Steigende Inflationsraten waren übrigens politisch durchaus gewollt, sowohl in den USA als auch in Europa.

    In den 60er Jahren setzte sich die Idee der sogenannten Phillipskurve durch.⁵ Diese Theorie besagt, dass man die Arbeitslosigkeit senken kann, wenn man ein bisschen Inflation schafft. Eine solche schleichende Inflation wird übrigens auch heute wieder von Paul Krugman und anderen Keynesianern gefordert. Durch die Theorie der Phillipskurve wurde Inflation salonfähig, zumindest in einigen Ländern. Die Bundesbank war eine der wenigen Ausnahmen und hielt an ihrer antiinflationären Geldpolitik fest. Sie sollte Recht behalten, denn in den 70er Jahren ging die Welt dann durch eine Ära der Stagflation – also Inflation in Kombination mit wirtschaftlicher Stagnation und hoher Arbeitslosigkeit. Das sollte in der Theorie der Phillipskurve eigentlich nicht vorkommen.

    Nach diesen Erfahrungen glauben heute nur noch wenige Unverbesserliche an die Phillipskurve.

    Tabelle 1: Währungskrisen in führenden Industrienationen in der Zeit fester Wechselkurse im Jahrzehnt von 1960 bis 1971; Quelle: Samuel Katz, Devaluation-Bias and the Bretton Woods System. Discussion Paper No 2, Board of Governors of the Federal Reserve, Washington D.C., 1971.

    Mit steigenden Inflationsraten wurden die Spannungen im System fester Wechselkurse immer offensichtlicher. Je länger das System existierte, desto häufiger wurden Anpassungen der Wechselkurse. Verteidiger des Bretton Woods-Systems hätten dies auch genauso formuliert, als Anpassung der Wechselkurse. Dahinter verbirgt sich allerdings nichts anderes als eine Währungskrise, wie sie sich gegen Ende der 60er Jahre häuften. Tabelle 1 zeigt diese Anpassungen für die größeren europäischen Staaten nach 1960.

    Jede dieser sogenannten Anpassungen war jedoch in Wirklichkeit eine kleine Krise, wie von heutigen Anhängern fester Wechselkurse gerne übersehen wird. Die Entscheidung über eine Auf- oder Abwertung schafft immer Gewinner und Verlierer und ist damit hochpolitisch. Regierungen neigen dazu, erst dann auf- oder abzuwerten, wenn es nicht mehr anders geht. Genau das ist die Definition einer Währungskrise, wie es sie aber nach Meinung vieler Kapitalismuskritiker damals gar nicht gab.

    Für weniger entwickelte Staaten waren Auf- und Abwertungen in der Zeit von Bretton Woods ein weit häufigeres Vorkommnis. Tabelle 2 zeigt insgesamt 48 Währungskrisen in Entwicklungsländern und auch weniger entwickelten Staaten Europas, bei denen die Wechselkurse um mindestens 14 Prozent stiegen oder fielen. Abwertungen um geringere Beträge sind nicht aufgelistet. Das bedeutet, es gab in dem Vierteljahrhundert des Bretton Woods Systems im Schnitt rund zwei Währungskrisen pro Jahr.

    Die Behauptung, Währungskrisen wären das Produkt flexibler Wechselkurse oder gar des Devisenhandels, ist entweder ein Zeichen von Ignoranz, oder reine Propaganda.

    Tabelle 2: Währungskrisen mit mindestens 14 Prozent Kursänderung in weniger entwickelten Ländern zur Zeit der festen Wechselkurse des Bretton Woods-Systems. Nach: Sebastian Edwards, Julio Santaella: Devaluation Controversies in the Developing Countries: Lessons from the Bretton Woods Era. In: A Retrospective on the Bretton Woods System: Lessons for International Monetary Reform. University of Chicago Press, Chicago 1993

    Obwohl nach den Regeln des Systems von Bretton Woods der offizielle Kurs des Dollars zu Gold bei 35 Dollar pro Feinunze lag, wurde Gold in Europa zu Preisen von bis zu 40 Dollar ge- und verkauft, also weit über der Parität. Wenn Amerikanern der private Besitz von Gold nicht verboten gewesen wäre, hätte sich der Goldpreis zweifellos auch auf der anderen Seite des Atlantiks ähnlich entwickelt. Die Käufer ahnten offenbar, dass die Tage von Bretton Woods gezählt waren und zahlten freiwillig einen höheren Preis, um im Fall eines Zusammenbruchs des Systems Gold als Sicherheit zu besitzen.

    Zentralbanken versuchten in konzertierten Aktionen, durch Verkäufe ihrer Goldreserven den Goldpreis auf 35 Dollar zu drücken. Diese Verkäufe ermöglichten Zentralbanken ein lukratives Geschäft: sie konnten Gold auf dem Markt für bis zu 40 Dollar an Privatpersonen verkaufen und anschließend 35 der so erworbenen Dollar bei der amerikanischen Zentralbank in Gold umtauschen. Die Differenz von bis zu fünf Dollar war ihr Gewinn und gleichzeitig für die amerikanische Zentralbank ein Verlust.

    Insbesondere die französische Regierung machte von dieser Möglichkeit im großen Stil Gebrauch, wodurch die amerikanischen Goldreserven bedrohlich schrumpften. Es ist nicht verwunderlich, dass sich die amerikanische Regierung diese französischen Tricksereien nicht lange bieten lassen wollte. Man sieht: Es waren keine finsteren Finanzspekulanten, die das System missbrauchten, sondern Regierungen.

    Es war also nur eine Frage der Zeit, bis das System fester Wechselkurse, das auf Gold beruhte, zusammenbrechen würde. Es war klar, dass Gold gegenüber dem Dollar zu billig war. Und da der Dollar und alle anderen Währungen fest aneinander gekoppelt waren, war Gold in allen Währungen zu billig. Eine Abwertung des britischen Pfunds im Jahr 1967 um 14,3 Prozent hatte aller Welt verdeutlicht, dass feste Wechselkurse nicht auf alle Ewigkeit fest sein würden. Briten, die rechtzeitig Gold gekauft hatten, konnten dadurch einen Verlust ihrer Ersparnisse um 14,3 Prozent verhindern. Wer konnte, sparte von nun an in Gold statt Geld.

    Die Abwertung des Pfunds von 1967 war bei weitem nicht die erste Abwertung im System der doch eigentlich festen Wechselkurse. In den Jahren vorher hatten bereits viele andere Staaten abgewertet und Deutschland aufgewertet. Die Höhe der Abwertung durch ein so großes Land wie Großbritannien war jedoch ein Schock. Sie hatte Signalwirkung und zeigte, dass die Tage weltweit fester Wechselkurse gezählt waren.

    Auch in Deutschland führten feste Wechselkurse zu wirtschaftlichen Spannungen, die heute längst vergessen sind und deshalb ignoriert werden. Deutsche Exportüberschüsse und niedrigere Inflation als im Rest der Welt sorgten für Aufwertungen der D-Mark in den Jahren 1961 (5 Prozent) und 1969 (9,3 Prozent).

    Beide Aufwertungen geschahen nicht in einem Vakuum, sondern waren lange erwartet. Die Politik zögerte jedes Mal, denn jede Aufund Abwertung hat Gewinner und Verlierer. In Erwartung der Aufwertungen erlebte Deutschland starke Kapitalzuflüsse in den Monaten vor den Aufwertungen. Die damaligen Regierungen ergriffen die gleichen Maßnahmen, die auch heute noch von Staaten angewandt werden, die verzweifelt Währungen auf unrealistischem Niveau zu halten versuchen. Die Devisenmärkte wurden für mehrere Tage geschlossen, Diskontsätze und Mindestreserven erhöht oder gesenkt. Dazu kamen Durchhalteparolen der Politik. Regierungssprecher Conrad Ahlers erklärte 1969 zum Gelächter der anwesenden Journalisten, die D-Mark würde endgültig, eindeutig und ewig nicht aufgewertet. Am Tag nach der Wahl endete diese Ewigkeit und Deutschland gab zeitweise die Wechselkurse frei.

    Trotz der eigentlich festgesetzten Wechselkurse konnte nun der Markt den Wert der D-Mark ermitteln. Als sich der Wert um 3,70 Mark pro Dollar stabilisierte, entschied die Bundesregierung, zu festen Wechselkursen bei 3,66 Mark pro Dollar zurückzukehren. Dies entsprach einer Aufwertung um 9,3 Prozent. Bemerkenswert ist, dass der neue feste Wechselkurs also vom freien Markt bestimmt worden war. Wenn man also den Devisenmarkt braucht, um das jeweilige Niveau der Wechselkurse zu bestimmen, auf dem sie dann festgesetzt werden, dann können Devisenmärkte genauso gut kontinuierlich das Niveau festlegen. So lassen sich die Folgen einer plötzlichen krassen Abwertung mindern.

    Am 5. August 1971 war es dann endgültig soweit. Präsident Nixon erklärte, dass der Dollar nicht mehr in Gold gewechselt werden könne. In seiner Rede machte er für diese Entscheidung natürlich nicht das unhaltbare System fester Wechselkurse und Goldkonvertibilität verantwortlich. Er fand andere Schuldige:

    In den letzten Wochen haben Spekulanten einen Krieg mit allen Mitteln gegen den Dollar geführt.

    Richard M. Nixon, 15. August 1971

    Von Defiziten, Inflation, den Tricksereien der französischen Zentralbank oder den grundsätzlichen Problemen fester Wechselkurse sprach er dabei natürlich nicht. Dass die sogenannten Spekulanten letztlich europäische Zentralbanken waren, war Nixon dann doch zu heiß. Trotzdem wussten alle, wovon er sprach.

    Nixons Entscheidung wird von Kritikern als der Anfang einer langen Phase von Deregulierung in den angelsächsischen Ländern gesehen, sogar von der Grundwertekommission der SPD. Doch hatte Bretton Woods keineswegs ein Finanzparadies von dauerhafter Stabilität geschaffen, wie es manch einer mit Scheuklappen im Rückblick zu sehen glaubt. Spannungen im System waren vorprogrammiert und wurden durch Abwertungen oder Aufwertungen bereinigt, sobald der Status Quo nicht mehr zu verteidigen war.

    Die Rolle der Kosten des Vietnamkriegs beim Zusammenbruch des Systems wird manchmal übertrieben; trotz der hohen Kriegskosten konnten die USA ihren Schuldenstand⁷ bis 1973 auf ein Rekordtief senken. Weder Deregulierungswut noch Kriegskosten sind also letztlich für das Scheitern des Bretton Woods-Systems verantwortlich. Vielmehr waren es die Spannungen, die sich aus den festen Kursen ergaben und auf die gesamte Wirtschaft auswirken.

    Es wird auch gerne vergessen, dass Nixon eigentlich nur ein Nachzügler war. Deutschland und die Niederlande hatte bereits im Mai 1971, also drei Monate vor Nixon, das System von Bretton Woods verlassen und die Mark beziehungsweise Gulden zum freien Handel freigegeben. Also müssten Gegner freier Märkte eigentlich die von ihnen beklagten angelsächsischen Deregulierungen als Made in Germany verteufeln. Noch dazu als von der damaligen SPD-Regierung ausgelöst. Doch eignet sich der damalige Helden-Kanzler Willy Brandt (Mehr Demokratie wagen!) anscheinend nicht als Urheber einer drei Jahrzehnte dauernden neoliberalen Deregulierung – also muss Nixon (rechter Republikaner!) herhalten.

    Anfang der 70er Jahre stand die Niedrigzinspolitik der Vereinigten Staaten im Widerspruch zu der von der Bundesbank betriebenen Geldpolitik, die auf Preisstabilität abzielte. Die Inflation stieg 1970 und 1971 jeweils auf knapp 8 Prozent, nicht zuletzt, weil der günstige Wechselkurs der Mark Einkäufe in Deutschland billiger machte. Damit importierte Deutschland die Inflation anderer Staaten und erhielt gleichzeitig mehr und mehr Dollar von den Exporteuren.

    Eine Zinserhöhung hätte die Inflation zwar theoretisch gebremst. In der Praxis wäre Deutschland dann mit Dollar überflutet worden, die aufgrund der höheren Zinsen in Mark gewechselt worden wären. So kam dann 1973 das endgültige Ende des Systems von Bretton Woods. Die Wechselkurse wurden freigegeben.

    Bei diesem kurzen Ausflug in die Geschichte der Nachkriegszeit lernt man, dass feste Wechselkurse keineswegs optimal sind und dass Wechselkurse nur zeitweise fest waren. Sobald sich genug Spannungen aufgestaut hatten, wurden die Kurse plötzlich und abrupt neu festgelegt. Wer die steigenden Spannungen nicht erkannte, erlag einer Illusion von Stabilität. Andere hingegen erkannten die Risiken plötzlicher Währungsänderungen und hatten größte Schwierigkeiten, in einem solchen Umfeld langfristig zu planen. Die Illusion von Stabilität wurde auf Kosten noch stärkerer, aber relativ seltener Krisen erkauft. Statistiker bezeichnen diesen Effekt als Reduzierung der Volatilität zugunsten häufig auftretender Extremwerte.

    Währungsspekulationen rentieren sich gerade bei festen Wechselkursen, denn durch die kurzfristige Kursstabilität ist das Risiko bei einer Spekulation viel geringer, als wenn kurzfristige Schwankungen an der Tagesordnung sind. Bei frei schwankenden Währungen geht ein Spekulant ein höheres Risiko ein. Beispielsweise kann er bei einer Spekulation auf eine Abwertung aufgrund von kurzfristigen Kursschwankungen einen Verlust erleiden, wenn die Währung zeitweise aufwertet. Bei festen Wechselkursen gibt es derartige Schwankungen nicht, und Spekulationen sind deshalb weniger riskant.

    Trotzdem behaupten Kritiker immer wieder, Währungskrisen und -spekulation wären erst durch den erweiterten Devisenhandel mit dem Ende von Bretton Woods entstanden. Diesem Trugschluss liegen zwei Irrtümer zugrunde. Die Annahme, es hätte in der Zeit von Bretton Woods keinen Devisenhandel gegeben, ist falsch. Wie ich gezeigt habe ist es auch falsch, zu behaupten, dass es damals keine Währungsspekulationen gab.

    Bemerkenswert ist jedenfalls, dass Währungskrisen nach Meinung der Kritiker ein Merkmal des Finanzkapitalismus sind. Die wahrscheinlichste Erklärung für diese Fehleinschätzung liegt in der Wahrnehmung der Kapitalismuskritiker. In der Zeit von Bretton Woods und bis in die 80er Jahre hinein beschäftigten sie sich hauptsächlich mit Theorien über Neokolonialismus. Währungskrisen spielen in dieser Gedankenwelt bestenfalls eine Nebenrolle.

    Theorien über den Finanzkapitalismus entstanden erst in den 90er Jahren, also zeitgleich mit den in der Presse ausführlich berichteten Krisen in den Jahren 1992, als das Pfund das Europäische Währungssystem verließ, und 1998, als zahlreiche asiatische Währungen abgewertet wurden. Die Krisen der 60er Jahre waren zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr in der Erinnerung vieler Zeitgenossen. Und die Theoretiker des Finanzkapitalismus hatten kein Interesse daran, die Erinnerung zu wecken, denn das hätte die Schlüssigkeit ihres gesamten Gedankengerüsts erschüttert.

    Könnte eine Rückkehr zu stabilen Wechselkursen heute Devisenspekulationen ein für allemal beenden? Im Gegenteil. Solange Wechselkurse stabil sind, geht ein Spekulant bei einer Wette gegen eine Währung kein Kursrisiko ein. Er verkauft die Währung an die Zentralbank, deren Währungsreserven daraufhin sinken. Wenn dann die Abwertung kommt, kauft der Spekulant die Währung zum billigeren Kurs zurück. Die Zentralbank verbucht einen Verlust. Feste Wechselkurse sind ideal zur Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Verlusten.

    ³ Darin unterscheidet sich das System von Bretton Woods vom klassischen Goldstandard, der bis zum Ersten Weltkrieg herrschte.

    ⁴ Benannt nach dem belgisch-amerikanischen Ökonomen Robert Triffin, der es zuerst formulierte.

    ⁵ Insbesondere durch Arbeiten von Paul Samuelson und Robert Solow, später von James Tobin.

    ⁶ Auslöser der Aufwertung war übrigens die französische Lohnpolitik, die nach den Unruhen von 1968 Lohnerhöhungen von 25 Prozent durchsetzte. Die dadurch in Frankreich entstandene Inflation wurde durch den festen Kurs des Franc zur Mark nach Deutschland exportiert – dies ist noch ein unangenehmer Nebeneffekt fester Wechselkurse. Die Bundesbank war aufgrund ihrer stabilitätsorientierten Geldpolitik zur Aufwertung der D-Mark gezwungen.

    ⁷ Ausgedrückt in Prozent des Bruttosozialprodukts.

    2

    Wurde die Asienkrise durch Währungsspekulanten ausgelöst?

    Kapitalismuskritiker schieben die Krise der asiatischen Tigerstaaten der Jahre 1997 bis 1998 gerne Währungsspekulanten in die Schuhe. Rückendeckung für diese Theorie bekommen sie von Politikern der betroffenen Länder wie dem damaligen malaysischen Premier Mahatir. Der wetterte bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit gegen ausländische Spekulanten, die angeblich nichts Besseres zu tun hatten, als Währungen und ganze Volkswirtschaften zu zerstören. Mahatirs Ausfälle überraschen nicht, insbesondere nicht, dass er die Schuld bei Ausländern sucht. Denn der Politiker attackiert immer wieder Ausländer und Minderheiten, beispielsweise als er 2001 ankündigte, homosexuelle ausländische Diplomaten oder Minister auf der Stelle auszuweisen.

    Erstaunlich ist hingegen, wie erfolgreich er den Ton der kapitalismuskritischen Debatte zur Asienkrise vorgab. Bis heute sind viele Menschen davon überzeugt, dass Spekulanten die Währungen der asiatischen Tigerstaaten zerstörten. Mahatir brachte immer wieder George Soros in die Debatte und behauptete, Beweise für dessen Aktivitäten zu haben. Soros selbst war allerdings von den plötzlichen Abwertungen überrascht worden. Die angeblichen Beweise hat Mahatir bis heute nicht vorgelegt.

    Die Hintergründe der Asienkrise sind weit komplexer, als Gegner freier Märkte wahrhaben wollen. Die Krise war von einheimischen Akteuren und leichtfertigen politischen Entscheidungen ausgelöst worden und nicht durch ausländische Spekulanten. In den 80er und 90er Jahren hatten sich die sogenannten asiatischen Tigerstaaten (Thailand, Singapur, Hong Kong, Malaysia, Taiwan und Indonesien) rapide entwickelt und dadurch ihren Beitrag zum Ende der Theorien des Neokolonialismus geleistet. Das hohe Wirtschaftswachstum führte zu relativ hohen Zinsen in den heimischen Währungen.

    Doch anstatt die Währungen freizugeben und die Wechselkurse von den Märkten bestimmen zu lassen machten die Regierungen der Tigerstaaten den Fehler, ihre Währungen fest an den Dollar zu koppeln. Höhere Zinsen in den Tigerstaaten als im Dollar hätten eigentlich zu einer Aufwertung dieser Währungen führen müssen. Doch die Regierungen hielten die Währungen niedrig, um ihre Exportwirtschaft zu fördern.

    Hohes Wachstum trotz hoher Zinsen hatte zunächst positive Auswirkungen. Der Lebensstandard in den Tigerstaaten stieg unablässig. Regierungen nahmen umfangreiche Infrastrukturprojekte in Angriff, bei denen es erheblichen Nachholbedarf gab. Zur Finanzierung des Wachstums konnten diese Länder angesichts hoher Zinsen und stabiler Wechselkurse ausländische Investitionen anziehen. Deren Kapitalbedarf war zu groß, um trotz hoher Sparquoten allein durch einheimisches Kapital gedeckt werden zu können. Nur durch Kapitalzuflüsse aus dem Ausland konnte der Bedarf gedeckt werden.

    Investoren sahen hohe Wachstumsraten, gut ausgebildete Arbeitskräfte und Märkte mit noch viel Wachstumspotential. Anfang der 90er Jahre gehörten die Tigerstaaten zu den beliebtesten Zielen für Kapitalanlagen. Nicht nur wohlhabende Menschen investierten – auch die Masse europäischer und amerikanischer Kleinanleger konnte ihre Ersparnisse durch Investmentfonds in diesen Nationen investieren. Antoine van Agtmael hatte schon in den 80er Jahren den Begriff Emerging Markets für solche Schwellenländer geprägt, deren Einkommen rapide stiegen und im internationalen Vergleich im Mittelfeld lagen.

    Die Tigerstaaten lagen am oberen Ende der Emerging Markets und hatten sich nun auch begrifflich von der Dritten Welt und Entwicklungsländern abgesetzt. Sie wurden zu respektablen Empfängern von Kapital. Insgesamt waren die Kapitalmärkte der Tigerstaaten allerdings noch relativ unterentwickelt. Ein Großteil der Finanzierungen war deshalb in Bankkrediten konzentriert und lief nicht über Anleihen oder Aktien, die an Märkten breit gestreut werden konnten. Die Wirtschaft befand sich deshalb in einer hohen Abhängigkeit vom Bankensystem. Finanzmärkte steckten noch in Kinderschuhen, obwohl angesichts der Menge des Kapitalbedarfs eine weite Streuung der Finanzierungsquellen notwendig gewesen wäre, wie sie nur in einem flexiblen System von Kapitalmärkten erreicht werden kann, aber nicht durch staatlich gelenkte Bankkredite.

    Vor lauter Euphorie übersahen alle Beteiligten kritische Spannungen, die sich in der Wirtschaft der Tigerstaaten zusammenbrauten. Es waren nicht nur Finanzhaie und Bankiers, die diesem Irrtum aufsaßen, wie manch finanzkritischer Leser denken mag. Unternehmer, Politiker, Akademiker, Journalisten – vor lauter Wachstum sah niemand die Schwächen des Systems. Zum einen führte das Wirtschaftswachstum zu einem Investitionsboom, insbesondere in Industrieanlagen und Immobilien. Steigende Immobilienpreise führten, wie zu erwarten, zu einer Immobilienblase mit den dafür typischen Bauprojekten, die in Erwartung einer stetig steigenden Nachfrage konzipiert wurden. Investitionen nahmen so stark zu, dass diese Länder aufgrund der Importe von Investitionsgütern 1995 Handelsdefizite hatten.⁸ Und das, obwohl die Wirtschaft dieser Länder eigentlich exportorientiert aufgebaut war, also Überschüsse hätte generieren müssen.

    Zum anderen ermutigten die festen Wechselkurse Unternehmer, Darlehen in Dollar anstatt

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