Schutz von Kulturgut
Von Daniela Vogt
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Schutz von Kulturgut - Daniela Vogt
[9]Kulturgut schützen
Die Bilder sind noch immer allgegenwärtig: die Ruinen der im syrischen Bürgerkrieg zerstörten antiken Stätte Palmyra oder der Altstadt von Damaskus, der Einsturz der Brücke von Mostar im November 1993 und deren Wiederaufbau, ebenso wie die Zerstörungen in Mittelitalien oder Nepal durch schwere Erdbeben. Das Elbehochwasser hat in der Gemäldegalerie des Dresdner Zwingers immense Schäden verursacht. Durch Brände wie in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, wie in Notre Dame de Paris oder der Burg Shuri in Okinawa sind bedeutende Kulturgüter stark zerstört worden. Angesichts der umfangreichen Zerstörungen von Kulturgut [10]durch Terror, Krieg und illegalen Handel in Krisen- und Kriegsregionen, aber eben auch durch Naturkatastrophen und die zunehmenden Extremwetterereignisse infolge der Klimaveränderungen, erlangen der Schutz und Erhalt des kulturellen Erbes der Menschheit höhere Relevanz und Dringlichkeit.
Bild 1: Diese Kirchenruine in Mittelitalien zeigt eindrucksvoll, dass Kulturgüter, die Jahrhunderte überdauert haben, innerhalb kürzester Zeit (hier aufgrund eines Erdbebens) nahezu vollständig vernichtet werden können.Bild 1: Diese Kirchenruine in Mittelitalien zeigt eindrucksvoll, dass Kulturgüter, die Jahrhunderte überdauert haben, innerhalb kürzester Zeit (hier aufgrund eines Erdbebens) nahezu vollständig vernichtet werden können.
Die Bedeutung von Kulturgütern für die allgemeine Sicherheit wird mittlerweile international anerkannt: Im März 2017 betonte der UN-Sicherheitsrat in einer Resolution die Bedeutung des Schutzes von Kulturgütern als Pflicht für die allgemeine Sicherheit. Außerdem verkündete im Sommer des gleichen Jahres der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ein Urteil, das die Zerstörung von Kulturgut erstmals als Kriegsverbrechen ahndete. Für die Zerstörung von Weltkulturerbe im westafrikanischen Mali wurde der inhaftierte frühere Islamist Amad al-Mahdi zur Wiedergutmachung in Höhe von 2,7 Millionen Euro verurteilt, bereits im Jahr zuvor wurde er zu neun Jahren Haft verurteilt. Er hatte zugegeben, die Angriffe geleitet zu haben und persönlich an der Zerstörung von fünf Monumenten beteiligt gewesen zu sein (Al-Mahdi-Urteil; u. a. FAZ, 2016).
Was aber ist schützenswertes Kulturgut? Um etwas zu schützen, muss zunächst eine Vorstellung von dem zu schützenden Objekt bestehen. Im ersten Kapitel wird zunächst eine Annäherung an eine Definition von Kulturgut gesucht. Damit eng verbunden sind die Bedeutung von Kultur und die Problematik einer Abgrenzung von besonders wertvollem Kulturgut durch allgemein gültige Kriterien oder Merkmale. Die mit den Gütern verknüpften, tradierten Werte wirken identitätsbildend und stabilisieren Gesellschaften. Diese, von einer Gemeinschaft legitimierte, kulturelle Identität beruht im weitesten Sinne auf einem allgemeinen Konsens. Dieser wiederum bildet keine Konstante, sondern verändert sich in Zeit und Raum, mit Herrschaftssystemen und dem Zeitgeist.
Zwei Beispiele:
Die Christi-Erlöser-Kathedrale (Moskau), 1883 erbaut, wurde 1931 auf Anordnung des Sekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei gesprengt. Stalin verfolgte Pläne zur Errichtung eines über 400 Meter hohen, jedoch nie realisierten, Palastes der Sowjets. An der Stelle wurde zwischenzeitlich ein öffentliches Freibad errichtet. 1990 erhielt die russisch-orthodoxe Kirche die Erlaubnis der Regierung zum Wiederaufbau der Kathedrale. Diese wurde weitgehend originalgetreu wieder aufgebaut und 2000 geweiht (Mortsiefer/Pelzer, 2016).
Der Palast der Republik (Berlin) war der auch unter den Namen »Palazzo di Protzo« oder »Erichs Lampenladen« bekannte Sitz der Volkskammer in der DDR. Obwohl zwei Drittel der gesamtdeutschen Bevölkerung sich für [11]den Erhalt des Bauwerks aussprachen, beschloss der Deutsche Bundestag den Abriss, der ab Ende Januar 2006 bis 2008 erfolgte. An der Stelle des Palastes entsteht seit 2012 das Berliner Schloss neu, das im Zweiten Weltkrieg ausbrannte. Die Reste des Originalbestandes wurden 1950 durch einen SED-Beschluss abgerissen. Drei Seiten der barocken Original-Fassade werden für das sogenannte Humboldt-Forum rekonstruiert. Ziel: die Wiederherstellung des historischen Berliner Stadtbildes.
Kulturgutschutz bezieht sich allgemein auf jene Maßnahmen zur Bewahrung der Güter, die zugleich sicherungswert, sicherungsfähig und bedroht sind. Der folgende Abschnitt geht dann den Fragen nach: Wovor müssen Kulturgüter geschützt werden? Was bedroht bzw. beschädigt Kulturgüter?
Schutz soll Sicherheit geben – Sicherheit vor möglichen zerstörerischen Ereignissen. Um Kulturgut sichern zu können, müssen die Gefahren und Bedrohungen benannt werden, die zur Beschädigung, Zerstörung, zu Plünderung oder sonstigem Verlust führen können. Mögliche Gefahren werden aufgezeigt. Die Kenntnis der Gefahren bildet die Grundlage, um die Gefährdung einschätzen und adäquate Schutzmaßnahmen ergreifen zu können. Doch: Welche Maßnahmen sind verhältnismäßig und geeignet? Auch für Kulturgüter bietet das Risiko- und Krisenmanagement ein systematisches Vorgehen, um den Gefahren sowohl präventiv wie im Ereignisfall begegnen zu können, was in Kapitel 3.2 gezeigt wird.
Letztendlich dienen Erhalt und Sicherung immer dem übergeordneten Ziel, den allgemeinen Zugang zu unserem gemeinsamen kulturellen Erbe sicherzustellen. Neben präventiven, konservatorischen wie restauratorischen Sicherungsmaßnahmen geschieht dies über gesetzliche Bestimmungen. Im abschließenden, dritten Kapitel wird das Augenmerk auf die rechtlichen Grundlagen des Kulturgutschutzes gelegt. In chronologischer Abfolge werden zunächst die wesentlichen internationalen Abkommen in ihrer Entwicklung betrachtet. Außerdem wird die nationale, hier die deutsche, Gesetzgebung betrachtet. Den Abschluss bildet ein kurzer Blick auf die europäischen Richtlinien und Verordnungen im Bereich Kulturgut. Themenschwerpunkte des Rechts sind: der Schutz im bewaffneten Konflikt, der Erhalt über Gesetze zum Denkmalschutz sowie die Regelung des Handels mit Kulturgütern.
Dieses Buch wurde geschrieben, um einen schnellen Einstieg in die Thematik des Kulturgutschutzes – in Deutschland – zu ermöglichen. Gedacht als Handreichung, bietet es eine Zusammenstellung grundlegender Texte und Materialien. Im Vordergrund steht die Schaffung eines Problembewusstseins. Der Fokus liegt klar auf dem zivilen Bereich des Schutzes, wenngleich mit der Haager Konvention von 1954 [12]erstmals eine allgemeine Definition von Kulturgut aufkam, und das Abkommen zum Humanitären Völkerrecht zählt, behandelt es doch Mittel und Maßnahmen im Kriegsfall.
[13]1 Kultur und Kulturgut
1.1 Bedeutung von Kultur und Kulturgut
Der Begriff »Kultur« wird in verschiedenen Kontexten und von den wissenschaftlichen Disziplinen ganz unterschiedlich verwendet und auch im alltäglichen Sprachgebrauch bleibt der Begriff meist vage. Wird versucht Kultur zu definieren, ist es oft schwer, Kriterien festzulegen. Gottfried Herder prägte 1791 den allgemeinen Oberbegriff für Kultur durch die Benennung von drei wesentlichen Merkmalen: ethnische Fundierung, soziale Homogenisierung und Abgrenzung.
Ein zentraler Aspekt aller Kulturbegriffe ist jedoch die Bezeichnung für das »vom Menschen Erschaffene bzw. Gestaltete« (Herskovits, 1948) im Gegensatz zu dem von Natur aus vorhandenen (Nünning, 2009).
Kultur umfasst daher die Gesamtheit der geistigen, materiellen und sozialen Errungenschaften, die vom Menschen durch die (kultur-)technische Bearbeitung der Natur geschaffen wurden. Dieser umfassende Kulturbegriff schließt Formen sozialen Handelns, wie typische Arbeits- und Lebensformen, Denk- und Handlungsweisen, Traditionen, Überzeugungen und Wertsysteme einer Gesellschaft oder sozialen Gruppe, ein. Hierzu zählen sowohl Friedens- als auch Kriegsrituale (umfassende Definition in: Allgemeine Erklärung zur kulturellen Vielfalt, UNESCO 2002).
Da vor allem ethnisch homogene Gesellschaften ihr Überleben und ihre Entwicklung in einer übermächtigen Natur mithilfe von Kultur sichern, hat die Kultur einen hohen Stellenwert für die Identität und das Selbstverständnis einer Gemeinschaft (Wir und die anderen). Sie stellt die Grundlage für die Zugehörigkeit des Einzelnen ebenso wie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt dar und wird an die folgenden Generationen tradiert. Unterschiedliche Kulturen haben zu jeder Zeit parallel zueinander auf unterschiedlichen Ebenen existiert und sich in unterschiedlichem Maße gegenseitig beeinflusst. Im Zeitverlauf gesehen wandelt sich Kultur nicht nur durch äußere, sondern ebenfalls durch innere Einflüsse. Kultur vermittelt Bedeutungen und [14]gibt Orientierung in einer unübersichtlichen, wilden Welt – mit all ihren Chancen und Grenzen der Gestaltung (vgl. Boesch, 1980, S. 26).
Mit der Globalisierung verwischen die territorialen und sozio-ökonomischen Grenzen und damit genau jenes enge Verständnis von »Kulturen«. Das Ergebnis ist die Verschiebung von einer struktur- hin zu einer prozessorientierten Definition des Kulturbegriffs. Nicht mehr die Homogenität einer Gruppe, sondern die Vielfalt der Angehörigen von Kulturen und ihre Beziehung zueinander stehen mittlerweile im Vordergrund. Eine größere Kultur setzt sich nunmehr aus einer Vielzahl von Kollektiven zusammen, den Subkulturen. In Deutschland sind das Friesische oder Bayrische Subkulturen der deutschen Kultur. Auch Familien, Vereine oder Unternehmen haben oder bilden Subkulturen. Kultur ist demnach auch eine Frage des Blickwinkels. Je nach Perspektive werden Makrokulturen (z. B. Ethnie, Stadt) oder Mikrokulturen (z. B. Familie, Verein) sichtbar. Da jeder Mensch immer verschiedenen Makro- und Mikrokulturen angehört (Multikollektivität) und sich in ihnen selbstverständlich bewegt, entstehen Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen den Kulturen und ihren Mitgliedern. Die Kulturen sind auch hier nicht klar voneinander abgrenzbar, sondern miteinander verwoben und die Grenzen unscharf.
Kulturgüter sind manifestierter Ausdruck menschlichen Handelns – oder Ausdruck der Zivilisation gegenüber der wilden Natur. Im Gegensatz zu den Konsumgütern haben Kulturgüter für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft neben dem materiellen Wert auch einen ideellen Wert. Nicht nur materielle Güter, sondern ebenfalls immaterielle Güter wie regionale Sprachen, Tänze und Musik, traditionelle Heilkunde, Rituale, aber auch Werkzeuge und deren Gebrauch sowie regionale Bauweisen gehören zum Kulturgut. Des Weiteren werden unter Kulturgütern im Allgemeinen bewegliche wie unbewegliche Güter gefasst, z. B. Bau-, Kunst- oder geschichtliche Denkmäler und archäologische Stätten, Kunstwerke, Manuskripte oder Bücher. Die Anpassung des Menschen an die von ihm vorgefundene, ihn umgebende lokale und regionale Umwelt, an Klima, Vegetation und Topographie prägten die Besonderheit seiner Kultur und Kulturgüter, großräumig entstanden Kulturkreise. Jene Ausprägungen verstärkten die Identifizierung mit der eigenen Gruppe, zur Unterscheidung des »Wir« von den anderen. Die Entstehung, Entwick[15]lung und Verbreitung von Kulturtechniken und -gütern ist ein wichtiger Aspekt menschlichen Verhaltens. Der Respekt vor dem kulturellen Erbe der ganzen Menschheit – unabhängig von Eigentumsfragen – impliziert daher die Achtung vor der menschlichen Entwicklung und dem Leben (vgl. Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut, 1954, Präambel).
Materielle und immaterielle Kulturgüter stehen für den Zusammenhalt einer Gruppe und sind Identitätsträger. Insbesondere Kleidung, Schmuck oder Kultgegenstände symbolisieren häufig die Macht des Trägers. Durch die gewalttägige Vernichtung von Kultgegenständen und Kulturgütern beispielsweise in kriegerischen Auseinandersetzungen werden Einheit und Zusammenhalt eines Volkes geschwächt, sodass dessen Manipulation oder eine Machtübernahme durch den Gegner möglich wird. Neue Machthaber ersetzen die alten Symbole der Macht durch ihre Kultur, ihre Kultgüter – und letztendlich durch ihre Werte. Aufgrund eben dieser Bedeutung von Kulturgütern als Identitätsträger hat auch der moderne Staat Interesse am Schutz der nationalen Kulturgüter, geht es im Kern doch insbesondere um die Aufrechterhaltung der staatlichen Legitimität, der nationalen Identität und Geschichtsschreibung. Der Schutz von Kulturgütern »mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen« ist daher für die staatliche Sicherheit bedeutend.
Kulturgüter sind heute häufig einmalige Zeugnisse der Vergangenheit. Vielleicht sind sie zufällig über die Jahrhunderte oder -tausende gerettet worden, vielleicht wurden sie aufgrund ihrer einst großen, überregionalen Bedeutung (z. B. Reichsinsignien, Kirchenbücher) besonders geschützt oder vielleicht waren sie einfaches Alltagsgut und eigentlich vergessen. Doch auch die Bedeutung all dieser (unikalen) Überbleibsel vergangener Epochen verändert sich ständig in Zeit und Raum.
Zu hinterfragen bleibt: Wer bewertet welche Kulturgüter nach welchen Kriterien, mit welchem Blickwinkel und aus welchem Grund? Warum ist die Vergänglichkeit von einst bedeutenden Kulturen und Kulturgütern eigentlich ein unersetzlicher Verlust für die ganze Menschheit? Dahinter stecken unter anderem die unterschiedliche Auffassung der Kulturkreise, der Epochen – von Leben und Tod, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Oftmals zeigt sich der bleibende Wert von einzigartigen Kulturgütern erst Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte später. Die Erkenntnis, dass nicht alles tradiert wird, erhalten bleibt und geschützt werden kann, ermöglicht Konzentration auf das, was nachfolgende Generationen erben soll(t)en, um sich in einer chaotischen, wilden und sich stetig verändernden Welt heimisch und sicher zu fühlen und zurechtzufinden. Kurz: Mit Veränderung der Umwelt ändern sich Lebensweisen, Kulturformen. Nützliches wird tradiert, weniger Nützliches nicht mehr.
[16]Beispiel: Kultur als Teilsektor Kritischer Infrastrukturen
Güter und Dienstleistungen, deren Verfügbarkeit für die Bevölkerung und Wirtschaft von essentieller Bedeutung ist, werden als Kritische Infrastrukturen zusammengefasst. In der nationalen KRITIS-Strategie von 2009 zählen zu den Dienstleistungsinfrastrukturen auch Medien und Kultur; demnach werden in Deutschland Kulturgut und symbolträchtige Bauwerke zu den Kritischen Infrastrukturen