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Frau Morgenstern und der Verrat: Kriminalroman
Frau Morgenstern und der Verrat: Kriminalroman
Frau Morgenstern und der Verrat: Kriminalroman
eBook399 Seiten5 Stunden

Frau Morgenstern und der Verrat: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Bissiger Humor, abgedrehte Charaktere, aberwitzige Twists – Marcel Huwyler in Hochform

Violetta Morgenstern hat eine ganz eigene Vorstellung von Gut und Böse – und die kann sie in ihrem Job als Auftragsmörderin im Namen des Staates ungestraft in die Tat umsetzen. Ihr neuester Auftrag ist jedoch ungewöhnlich: Gemeinsam mit Ex-Söldner Miguel Schlunegger soll Violetta den Anschlag auf eine beliebte Politikerin aufklären. Felicitas Saminada wurde vor laufender Kamera angeschossen – ein Querschläger tötete ihre kleine Tochter. Das Ermittlerduo kommt einer Verschwörung auf die Spur, die die nationale Sicherheit gefährdet. Mysteriöse Beweise tauchen auf, Mitwisser sterben, neue Anschläge geschehen. Während Schlunegger selbst ins Schussfeld des Komplotts gerät, erfährt Morgenstern ein Familiengeheimnis, das sie fast um den Verstand bringt.
SpracheDeutsch
HerausgeberGrafit Verlag
Erscheinungsdatum24. Sept. 2020
ISBN9783894257576
Frau Morgenstern und der Verrat: Kriminalroman
Autor

Marcel Huwyler

Marcel Huwyler wurde 1968 in Merenschwand/Schweiz geboren. Als Journalist und Autor schreibt er Reportagen über seine Heimat und Geschichten aus der ganzen Welt. Er lebt in der Zentralschweiz. www.marcelhuwyler.com

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    Buchvorschau

    Frau Morgenstern und der Verrat - Marcel Huwyler

    Marcel Huwyler

    Frau Morgenstern

    und der Verrat

    Kriminalroman

    Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © 2020 by GRAFIT in der Emons Verlag GmbH

    Cäcilienstraße 48, D-50667 Köln

    Internet: http://www.grafit.de

    E-Mail: info@grafit.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Dieses Werk wurde vermittelt von der Verlagsagentur Lianne Kolf, München.

    Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/OSTILL is Franck Campi (Mann mit Pistole), Dmitriip (Schattenriss zwei Männer), Clash_Gene (Frau)

    Lektorat: Lothar Strüh

    eBook-Produktion: CPI books GmbH, Leck

    eISBN 978-3-89425-757-6

    Marcel Huwyler wurde 1968 in Merenschwand/Schweiz geboren. Als Journalist und Autor schreibt er Reportagen über seine Heimat und Geschichten aus der ganzen Welt. Er lebt in der Zentralschweiz.

    www.marcelhuwyler.com

    Für den Winter und das Kamel

    Prolog

    Bei einem Nervenzusammenbruch beginnt die betroffene Person zu zittern, wird von Weinkrämpfen geschüttelt, hat Herzrasen, ist desorientiert und muss sich übergeben. Erleidet die Person den psychischen Schock in dünner Bergluft, auf über dreieinhalbtausend Metern Höhe, sind die Symptome noch viel ausgeprägter. Manche beginnen dann zu hyperventilieren oder kollabieren gar.

    Cathy Wood würde schreien. Schon bald. Schreien wie von Sinnen.

    Der Bergführer ließ das Seil lockerer, verkündete eine Teepause und sein Gast plumpste augenblicklich in den graupeligen Firnschnee. Cathy Wood atmete schwer und wischte sich mit dem Ärmel ihrer Fleecejacke, die sie gestern zusammen mit der anderen Alpinausrüstung in einem Bergsportshop gemietet hatte, den mit Sonnencreme vermischten Schweiß aus dem Gesicht. Die gebuchte Gletschertour hatte sie sich einfacher vorgestellt. Weniger anstrengend. Less stress, more fun.

    Cathy Wood, einunddreißig Jahre alt, aus Baltimore USA, sehr blond, sehr sommersprossig, etwas überspannt und leicht übergewichtig, frisch getrennt, aber noch verheiratet, von Beruf Social-Media-Managerin bei einer US-Großfirma für Autopflegemittel, war vor zwei Tagen in Zermatt eingetroffen und im Hotel Gneisserhof Wellness & Spa abgestiegen. Der Schweizer Nobelbergort war eines der elf Ziele ihrer fünfwöchigen Sommerreise durch Europa, deren Verlauf sie mehrmals täglich auf Instagram dokumentierte. Vier Tage gedachte Cathy in Zermatt zu bleiben. Das mit dem Everest-Filter aufgepeppte Foto ihres gestrigen Hubschrauberfluges um das Matterhorn herum hatte ihr einen neuen Like-Rekord auf Instagram beschert und den Markusplatz Venedig von letzter Woche auf Platz zwei verwiesen. Nebst dem Ausflug mit dem Helikopter hatte Cathy Wood im Zermatt Tourist Office den Besuch einer Schafmilchkäserei gebucht, die Besichtigung des Bergsteigerfriedhofs und einen Raclette-Abend.

    Und als Höhepunkt die heutige Tour auf den Nollengletscher.

    Ihr Bergführer hieß Fridolin Vögeli – »Salü, call me Fredy« – und er hatte die weißhäutige Augenpartie und den bleichen Nasensteg eines Mannes, der sein Leben lang Sonnenbrillen mit höchstem UV-Schutz trug. Er war ein Einheimischer in den Sechzigern, der nicht mehr die Kraft und den Nerv aufbrachte, überambitionierte Gipfelstürmer zu führen, die alle sowieso nur das Matterhorn besiegen wollten (nicht besteigen, sondern besiegen), egal, ob sie das Zeug dazu hatten oder nicht. Darum bot Fredy lediglich noch Tageswanderungen an – forcierte Spaziergänge, wie seine jüngeren Kollegen spotteten – oder einfache Gletschertouren, die im Touristenprospekt als hochalpines Erlebnis für Flachländler beworben wurden.

    Fredy Vögeli und Cathy Wood, sein einziger Gast heute, hatten morgens Punkt sieben Uhr die erste Zahnradbahn auf den Gornergrat genommen und waren dann von der Bergstation aus losmarschiert. Am Neun-Millimeter-Seil gesichert, mit Steigeisen, Pickel und Helm ausgerüstet. Es war ein wolkenloser, windstiller Tag im Juli und selbst in großer Höhe und auf dem kühlen Gletscherfeld angenehm mild. Trotzdem war die Amerikanerin schnell müde geworden, hatte zu keuchen begonnen und war zweimal gestrauchelt, sodass Fredy nach weniger als einer Stunde die erste Pause einlegte.

    Er bot seinem Gast Lindenblütentee aus seiner Thermosflasche an und einen Riegel Schokolade, um die abgekämpfte und dampfende Cathy etwas aufzupäppeln und abzukühlen. Im Innern des Gletschers knackte und knarzte es, kleine Bächlein zerklüfteten seinen Eispanzer und an den Seitenmoränen konnte man ablesen, wie hoch und weit das ewige Eis noch vor wenigen Jahren gereicht hatte. Ein paar Bergdohlen kreisten über ihnen und Fredy hob Cathys Moral mit seinem seit vierzig Jahren bewährten Bergführer-Spruch für ausgepowerte Gäste: »Nur ja keine Schwäche zeigen, da oben schnabulieren bereits die Geier.«

    Nach zehn Minuten hatte sich die Amerikanerin so weit erholt, um an ihre Instagram-Pflicht zu denken. Sie rappelte sich auf und schaute sich nach einem fotogenen, möglichst Likes generierenden Standort um. Schließlich entdeckte sie den Ast eines Baumes, kaum zwanzig Meter vom Rastplatz entfernt, der schräg aus dem Eis ragte. »Arve oder Föhre«, werweißte Fredy mit halb zugekniffenen Augen. Das sei doch eher erstaunlich in dieser Höhe – und er gab seinem Gast noch mehr Seil, damit die Frau vor dem Ast ihr Selfie schießen konnte.

    Cathy zückte ihr Smartphone, kniete sich vor den Ast, posierte, machte Schmollmündchen, wählte den Nordpol-Fotofilter und kontrollierte auf dem Display den Bildausschnitt. Dann stutzte sie, zog ihre gezupften Brauen nach oben, drehte sich um und betrachtete den Ast genauer.

    Die kleinen Zweige am Astende entpuppten sich als fünf verschrumpelte, krallenartig gekrümmte Finger, die in Farbe und Aussehen Hundesnacks aus getrockneten Pferdesehnen glichen.

    Der vermeintliche Ast, der aus dem Gletscherfirn ragte, war ein mumifizierter menschlicher Arm.

    »O my god! O MY GOD!«

    Cathy Wood aus Baltimore ließ ihr Smartphone fallen und die Hände flattern, japste nach Sauerstoff und erbrach Pausentee, Fredys Schokoladenriegel und das Siebenkornmüsli vom Frühstücksbuffet des Hotels Gneisserhof Wellness & Spa. Dann schrie sie.

    Schrie wie von Sinnen.

    1

    Sie hatte gerufen und alle waren gekommen.

    Felicitas Saminada stieg aus dem Fond der schwarzen Limousine und wurde augenblicklich von Kameras, Mikrofonen und Handys im Diktiermodus belagert. Reflexartig machte sie den Journalisten gegenüber eine anmutige Geste, als würde sie einem heranstürmenden Hund »Platz!« befehlen. Sehr bestimmt, keine Widerrede duldend, aber mit einem warmen Lächeln serviert. Kurzes Geraune der Meute, doch keiner rebellierte.

    Die Medien mochten Felicitas Saminada. Sie wertete den Inlandsteil der Tageszeitungen auf, bereicherte jeden TV-Talk und war auf dem Cover smarter Frauenzeitschriften ein Verkaufsgarant. Von ihr bekam man alleweil ein kurzes, knackiges und dennoch intelligentes Zitat, das schlagzeilentauglich war, in der Politwelt Staub aufwirbelte und sich tagelang medial bewirtschaften ließ. Manch einem Journalisten hatte sie heimlich und exklusiv Storys aus der Parteienlandschaft, dem Parlament oder gar Interna aus Bundesbern zugesteckt und dafür als Gegenleistung mediale Präsenz und wohlwollende Berichterstattung erhalten.

    Saminada war eine der populärsten Berufspolitikerinnen des Landes. Beliebt wie umstritten – aber prominent und höchst erfolgreich. Und eine der Jüngsten. Sie war eben vierunddreißig geworden. Sie hatte Schneid, Witz und Verstand und sah auf ihre eigene Weise gut aus. Die kleine, zierliche Statur, die Staunaugen, der gebräunte Teint und ihr wuscheliger pfefferbrauner Bob, der stets hauchfeucht schimmerte, als käme sie direkt von einem Nachmittag am Strand, verliehen ihr etwas Mädchenhaftes. Sie wirkte zerbrechlich. Man wollte sie instinktiv beschützen.

    Mann sowieso.

    Doch hinter der zarten Fassade verbarg sie ihren furiosen Kampfgeist. So mancher männliche Kollege im nationalen Parlament war schon in ihre Falle getappt, hatte sie unterschätzt, war während einer Debatte zu zaghaft vorgegangen und prompt und gnadenlos von Saminada abgetrocknet worden.

    Dank ihrer leutseligen Art und dem kantigen Dialekt aus ihrer Heimat Graubünden, der stets ein wenig Skiferien-Stimmung versprühte, verhielt sich ein Großteil der Journalisten ihr gegenüber nicht ganz so neutral und kritisch, wie es deren Berufsethos eigentlich verlangte.

    Saminada schaute in die Runde der Medienschaffenden, ohne dabei den Anschein zu erwecken, als suche sie jemanden. Mehr wie eine Feldherrin. Im Geiste hakte sie ihre Liste der wichtigsten Medien ab, machte Freunde aus, ein paar Feinde auch. Aber alle anwesend, die Relevantesten und die Populärsten waren vor Ort. Auch das jetzt in ihr kurz aufflammende Gefühl von Einfluss und Machtfülle ließ sie sich nicht anmerken.

    Sie würde heute Großes verkünden.

    Sie war sich sicher, dass ihr Auftritt die Top-Story der TV-Abendnachrichten sein würde. Und ihr Gesicht wäre morgen auf der Titelseite jeder Zeitung. Im Verlaufe der Woche kämen dann vertiefende Interviews in den renommiertesten Blättern dazu, TV-Talkrunden zur besten Sendezeit und erste Porträts in Familienmagazinen. Die Menschen im Land liebten Felicitas Saminada. Bald würden sie sie verehren.

    Und sie würde ihre Anführerin sein.

    So war der Plan.

    Noch immer stand sie vor der hinteren, halb offenen Tür der Limousine. Es war ein heißer, klebriger Julitag. Auf Schweizerdeutsch tüppig. Keine Wolke, keine Brise, kein Schatten. Keine Gnade. Saminada trug einen Hosenanzug aus lindengrünem Leinen, der mit ihrer dezent mediterranen Ausstrahlung, dieser Italianità der Südbündner, hervorragend kontrastierte. Die ersten Fragen prasselten auf sie ein, Kameraleuchten gingen an, das Gerangel begann erneut.

    An Saminadas Stelle sprach Benedict Engel, ihr persönlicher Berater und langjähriger Weggefährte. Er war auf der abgewandten Seite der Limousine ausgestiegen und baute sich jetzt vor den Medienmenschen auf. Kinn nach vorn, die Lippen ein dünner Strich, Brust raus, als posiere er für ein Managermagazin oder stehe vor einem Erschießungskommando.

    »Später, meine Damen und Herren, später. Sie bekommen Ihre Interviews und Fotos schon noch. Frau Nationalrätin Saminada wird sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht äußern. Warten Sie ihre Rede ab. Und bleiben Sie bis zum Schluss. Es wird sich für Sie lohnen, glauben Sie mir.« Er bedachte die Presse mit einem eigenartigen Grinsen, etwas zwischen gönnerhaft und geringschätzig wie ein Römerkaiser, der den Gladiatoren Glück wünschte. Die Medienleute lachten konditioniert zurück. Wollte man etwas von Saminada, kam man an ihrem Engel nicht vorbei.

    Was würde die Politikerin heute verkünden? Es herrschte eine erwartungsfrohe Stimmung wie bei einer Preisverleihung. Natürlich gab es Gerüchte. Eines davon lautete, Saminada gebe heute bekannt, sie wolle das Präsidium ihrer angeschlagenen Partei übernehmen. Ein anderes besagte, sie setze sich für eine Fusion mit den Gründemokraten ein. Oder hatte es am Ende gar – was doch sehr verwegen von ihr wäre – etwas mit dem frei werdenden Ministerposten zu tun? Einer der sieben Bundesräte, ein ergrauter, ernüchterter Parteikollege Saminadas, hatte unlängst bekannt gegeben, er werde sich im Herbst aus der Landesregierung zurückziehen.

    Wollte Saminada ihn beerben? Und dies heute verkünden? Besaß sie die Impertinenz, sich selbst für dieses hohe Amt zu empfehlen? Das allerdings käme bei der Schweizer Bevölkerung gar nicht gut an. Zu viel Selbstsicherheit wurde einem hierzulande schnell als Arroganz ausgelegt und mutiges Vorpreschen als Hochmut. Was im Endeffekt politischen Selbstmord bedeutete. Wer seine Wahlchancen steigern wollte, zelebrierte Bescheidenheit, selbst wenn diese geheuchelt war.

    Zugegeben, die Frau hatte einen beeindruckenden Lebenslauf und strebte in der Politik stets nach noch Höherem. Was jedoch mit einer Partei im Rücken, die kontinuierlich Wähleranteile verlor und damit auch die Legitimation mitzuregieren, nicht einfach werden dürfte.

    Und dann war da noch das größte Hindernis.

    Saminadas Alter.

    Vierunddreißig. Geradezu respektlos jung für so ein Würdenamt. Wie ein Professor mit Akne. Ein Weihbischof mit Zahnspange. In den späten neunziger Jahren hatte die Schweiz eine Fünfunddreißigjährige als Bundesrätin bekommen, die dann, nach nur vier Jahren, aus ihrem Amt gefegt worden war. Seither ließ man in Bundesbern die Finger von jungen, flotten Ehrgeizlern.

    Offiziell ging es beim heutigen Anlass um die Eröffnung einer Straßenbrücke, die zwei Stadtteile miteinander verband. Eines der zahlreichen Projekte, das Saminada als Politikerin vorangetrieben und dessen Finanzierung sie mit Staatsgeldern sowie Sponsoren aus der Privatwirtschaft abgesichert hatte. Einer ihrer vielen Erfolge. Greifbar, bodenständig, nachvollziehbar für den Wähler und Steuerzahler. Solche Politiker wurden geschätzt. Und wiedergewählt.

    In der Einladung zum Brückenfest wurde kryptisch angedeutet, Frau Nationalrätin Saminada werde zudem eine wichtige Ankündigung in einer persönlichen Angelegenheit machen. Also waren sie alle gekommen. Um ihre Schlagzeilen abzuholen. Und ein erstes Appetithäppchen wurde dem Medientross schon mal zugeworfen.

    Felicitas Saminada hatte ihre Tochter mitgebracht.

    Das hatte sie noch nie zuvor getan. Zwar war bekannt, dass die Politikerin alleinerziehend war, ihr Kind hatte sie bisher aber stets vor der Öffentlichkeit abgeschirmt.

    »Komm, mein Schatz, steig aus. Und keine Angst vor all diesen reizenden Menschen, die machen nur Fotos von uns beiden.«

    Die Kleine – in einem knöchellangen blauen Kleidchen mit Schmetterlingsmuster und mit einem grünen Seidenband im langen pechschwarzen Wuschelhaar – schien einer Jane-Austen-Verfilmung zu entstammen oder tatsächlich der viktorianischen Zeit. Etwas tapsig kletterte sie aus dem Fond des Wagens.

    Saminada nahm sie an der Hand und augenblicklich ging ein Blitzlichtgewitter los. Das Kind machte doch tatsächlich andeutungsweise einen Knicks und senkte schamhaft den Kopf. Es hatte die exotische Bündner-Erscheinung seiner Mutter geerbt. Und deren Talent, die ganze Welt zu bezirzen. Die Medienleute waren hingerissen.

    »Darf ich vorstellen: Das ist meine Tochter Zalina. Sie wird bald neun.« Augenblicklich wurde es still, als Saminada zu sprechen begann, sogar die Fotografen hielten inne, nur die TV-Kameras drehten weiter.

    »Wenn Sie mich kennen, wissen Sie, dass es nicht meine Art ist, Politik und Privatleben zu vermischen. Aber was ich heute bekannt geben werde, betrifft auch meine Familie, mein Kind ganz besonders. Darum ist es nur richtig, wenn Zalina jetzt an meiner Seite ist. Ich danke Ihnen.«

    Die Augenbrauen der Journalisten schossen hoch. Also doch die Kandidatur zur Bundesrätin? Die anwesenden Onlinemedien tickerten schon mal los. Vage andeutend. Hinter jede Schlagzeile ein Fragezeichen setzend. Hauptsache, die Ersten sein.

    Online first.

    Später würde man die News immer noch korrigieren können. Oder relativieren. Oder löschen.

    Online worst.

    Saminada schritt mit ihrer Tochter davon. Die Kleine an ihrer Hand machte übermütige Hüpfer, als spiele sie auf dem Schulhof Himmel und Hölle. Mutter und Kind in ihren luftigen Roben schienen über das heiße Straßenpflaster zu schweben, erhaben und gelassen wie Elfen. Weder Gluthitze noch Schwüle noch der penetrant stechende Bitumengeruch der erst vor Kurzem fertig asphaltierten Brückenstraße schienen ihnen etwas anhaben zu können. Der Pressetross trottete schwitzend hinterher. Benedict Engel diktierte einigen Reportern, wie man den Namen Zalina richtig buchstabierte. Sie löcherten ihn, was das denn für ein fremdländisch klingender Mädchenname sei! Woher er stamme. Was er bedeute. Engel reagierte unerwartet aggressiv und stauchte die Fragesteller zusammen. »Wer ist hier der Journalist? Sie oder ich? Recherchieren Sie gefälligst! Machen Sie Ihren Job.«

    Die neue Straßenbrücke war eineinhalb Kilometer lang und stand in dreißig Metern Höhe. Darunter lagen Grünflächen, Häuserzeilen und ein renaturierter Fluss. Das Bauwerk aus Spannbeton und Stahlseilen verband zwei Stadtteile miteinander, brachte sieben Quartiere und dreißigtausend Menschen näher zusammen.

    In der Mitte der Brücke war eine große, flache Bühne aufgebaut mit einem Rednerpult und mehreren Stuhlreihen dahinter für die Ehrengäste. Im Halbkreis darum herum stand eine Tribüne, auf der dreihundert Zuschauer Platz fanden. Diese begannen jetzt, beim Eintreffen der Ehrengäste, zu applaudieren. Eine Blaskapelle in Uniform spielte einen Marsch. Die Stadtpräsidentin begrüßte Saminada mit einer herzlichen Umarmung und drei Wangenküsschen. Weitere Offizielle der Stadt und ein paar den Event schmückende Promis – eine Ex-Miss Sowieso, ein Ex-Skirennfahrer und Olympiasieger und ein national bekannter Musical-Star mit neuer Kurzhaarfrisur – wurden einander vorgestellt. Händeschütteln, Nettigkeiten, wolkige Konversation, gehobenes Geschwafel, Small Talk. Alles routiniert, bewährt, aber steif und bemüht festlich. Eine Brückeneinweihung halt. Wenig Spektakel. Die Journalisten warteten auf Saminadas Knalleffekt.

    Der sollte kommen.

    Aber anders.

    ***

    »Ich halte dieses Herumhocken nicht länger aus. Der Kerl soll endlich kommen, damit wir ihn erledigen können.«

    Violetta Morgenstern rutschte auf dem Beifahrersitz hin und her. Das beige Kunstleder knarzte unter ihren Bewegungen und der Wagen schaukelte leicht. Sie entlastete ihre linke Hüfte, dann die rechte, machte Dehnübungen mit den Armen, spielte Luftklavier mit den Fingern und ließ den Kopf kreisen, bis die Halswirbel knackten.

    »Jetzt zappel doch nicht so herum, Morgenstern. Ihr Greise seid es doch gewohnt, stundenlang bewegungslos in der Altersheim-Cafeteria zu hocken und auf euer Ende zu warten.« Eine steile Ironiefurche erschien über Miguel Schluneggers Nasenwurzel, während er den Bildschirm des Notebooks, das er auf seinen Knien balancierte, keine Sekunde aus den Augen ließ.

    Violetta war zu sehr in andere Gedanken versunken, um sich einen schnellen Frotzelkonter für ihr Gegenüber auszudenken. Das Warten unmittelbar vor einer Vollstreckung war am schlimmsten. Minuten-, manchmal stundenlanges Verharren unter größter Anspannung. Der Adrenalinspiegel konstant auf Hochwasserlevel, galoppierender Herzschlag, pulsierende Fingerkuppen, ameiselnder Magen, zuckende Augenwinkel.

    Als fahre man nonstop Achterbahn.

    Morgenstern und Schlunegger hatten einen Auftrag. Eine staatlich verfügte Tötung. Angeordnet von ihrem Arbeitgeber, dem geheimen Schweizer Killer-Ministerium namens Tell.

    Ihre Zielperson hieß Oliver Seltenhammer, einundfünfzig Jahre alt, gebürtiger Liechtensteiner, seit achtzehn Jahren wohnhaft in der Schweiz. Das Tell-Einsatzdossier ging nicht explizit auf die Gründe der Vollstreckung ein, Seltenhammers beruflicher Hintergrund machte jedoch klar, dass sein Todesurteil mit großer Wahrscheinlichkeit etwas mit seiner Arbeit zu tun hatte. Besser gesagt: mit deren Missbrauch. Er war Ingenieur im Kernkraftwerk Kolbenstadt und verantwortete dort die Abteilung für Urananreicherung.

    Sein Schwachpunkt war sein Privatleben.

    Seltenhammer hatte eine teure Scheidung hinter sich, den Buckel voller Schulden und verheimlichte dem Arbeitgeber sein zunehmend größer werdendes Alkoholproblem.

    Der Klassiker. Das perfekte Erpressungsopfer.

    Die finsteren Männer aus dem bösen Ausland mit dem vielen Geld und dem großen Interesse an angereichertem Uran hatten relativ schnell bei Seltenhammer angeklopft und ihn mit Geld und Gewalt gefügig gemacht.

    Violetta Morgenstern blätterte im Einsatzdossier. Mehr aus Langeweile. Sämtliche Details über Oliver Seltenhammer kannte sie längst auswendig, bereits seit der ersten Durchsicht, vor Wochen schon. Einmal gesehen und gelesen, für immer eingeprägt. Violettas Erinnerungsvermögen arbeitete wie eine Hochleistungssoftware. Schon als sie noch Grundschullehrerin war, hatte sie die Prüfungsnoten sämtlicher Kinder in allen Schulfächern stets präsent gehabt. Rückwirkend auf zehn Unterrichtsjahre.

    »Oliver Seltenhammer. Hm, Oliver … ich hatte in meiner Zeit als Lehrerin drei Olivers in der Klasse.«

    Miguels Schweigen samt einer hochgezogenen Braue war seine Art, skeptisch nachzufragen.

    »Alle drei waren unaufrichtig und pomadig. Olivers sind immer Lügner und haben keinen Biss.«

    »Ach komm, das kann man doch nicht so pauschal sagen.«

    »Doch. Kann man, ich jedenfalls kann es. Als Lehrerin wusste ich bei neuen Schülern in meiner Klasse allein aufgrund ihres Vornamens, was mit ihnen los war, noch bevor ich sie zum ersten Mal sah. Kinder, die Jérôme, Chantal oder Marlon hießen, meldete ich prophylaktisch beim Schulpsychologischen Dienst an. Bei Uschi, Yannick und Enrico stellte ich beim Rektor im Voraus Antrag auf Nachhilfestunden. Und im Falle von Leroy, Hugo oder Leonie unterschrieb ich das Formular für ›Freiwilliges Wiederholen der Klasse‹, noch bevor das neue Schuljahr überhaupt begonnen hatte.«

    Miguel blies geräuschvoll Luft durch die Nase, seinen Blick nach wie vor konzentriert auf das Notebook gerichtet. »Morgenstern, manchmal machst du mir Angst. Das ist doch Namensrassismus.«

    »Ist es nicht. Ich hab’s Hunderte Male erlebt. Meine Theorie ist wasserfest und funktioniert übrigens auch mit Erwachsenen. Sage mir deinen Namen, und ich sage dir, was dein Problem ist.«

    »Ach so? Ja, dann sag mir … was ist mit den Martins dieser Welt?«

    »Intelligent, aber verklemmt.«

    »Thomas?«

    »Gutmütig im Kern, Hang zur Naivität, letztendlich aber vertrottelt.«

    »Tina?«

    »Hat ausdrucksstarke Augen, eine schöne Stimme und zerstört Ehen.«

    »Nina?«

    »Klug, clever, aber schlampig.«

    »Peter?«

    »Vergessliche Supertypen.«

    »Violetta?«

    »Netter Versuch, weiter!«

    »Ronny?«

    »Trägt als Kind Vokuhila-Frisur, dealt als Jugendlicher mit Marihuana, bricht Mädchenherzen und seine Berufslehre ab. Lebt von der Fürsorge.«

    »Und was ist mit … Miguel?«

    »Nein, den Gefallen tue ich dir nicht.«

    »Doch, komm, nicht kneifen. Ich will das jetzt wissen. Miguel?«

    »Du bist der erste Miguel in meinem Leben. Und um dich zu schubladisieren, kenne ich dich noch zu wenig gut.«

    »Zu wenig gut? Wir haben zusammen gemordet und wurden letzten Herbst auf Gozo beinahe selbst umgebracht. Das sollte doch wohl genügen.«

    »Gib uns beiden noch ein paar Morde, Miguel, dann sehen wir weiter.«

    Er lachte lautlos und mit bebendem Oberkörper. Violetta wandte sich wieder dem Dossier zu, legte es aufgeschlagen auf ihre Oberschenkel und schaute sich Fotos von Seltenhammer an. Porträt- wie Ganzkörperaufnahmen, das vorteilhafteste stammte aus dem Jahresbericht des Kernkraftwerks. Ein freundlich lächelnder, Kompetenz ausstrahlender Vorzeigemitarbeiter mit Krawatte und weißer Schürze. Die heimlich von einem Tell-Beschatter gemachten Fotos zeigten dann allerdings einen ganz anderen Seltenhammer.

    Weniger schöngeföhnt. Mehr Realismus. Ein abgestürzter Mann.

    Seltenhammer beim Verlassen des Werkareals, beim Autofahren mit einem Flachmann in der Hand, in einem Billigshop beim Einkaufen von Tiefkühlkost, vor seiner Wohnung beim Heraustragen von Müllsäcken (in denen das Tell-Team elf Wodkaflaschen fand), angetrunken auf einer Parkbank sitzend, stockbesoffen an einen Bartresen gelehnt, in einem Hinterhof im Gespräch mit einem Lederjackentypen, im Gerangel mit ebendiesem Lederjackentypen, am Boden liegend, nachdem ihn der Lederjackentyp zusammengeschlagen hatte.

    Violetta kniff die Augen zusammen und berührte mit ihrer Nasenspitze beinahe die Bilder. »Ein schlechter Mensch, unser Seltenhammer. Das sieht man auf den Fotos deutlich. Seine Schuhe verraten ihn.«

    Miguel gab einen fragenden Brummton von sich.

    »Ist eine alte Weisheit: Schmutzige Schuhe und schmierige Wohnungsfenster zeugen von miesem Charakter.«

    »Sagt welcher alte Weise?«

    »Sag ich.«

    »Du? Alt – ja, auf jeden Fall, bist ja mittlerweile in den greisen Sechzigern. Weise – na, ich weiß nicht.« Miguel widerstand dem Drang, mit einem Blick in den Fußraum des Wagens seine Schuhe zu kontrollieren. Den Triumph wollte er ihr nicht gönnen. Und er dachte für einen kurzen Augenblick an seine Wohnzimmerfenster.

    »Noch immer nichts von ihm zu sehen?«, fragte Violetta.

    Miguel schüttelte den Kopf. Dann schaute er auf seine Armbanduhr, ein Monstrum aus Edelstahl mit allerhand Rädchen, Zeigern, Skalen und sonstigem Schnickschnack – eine Uhr, für die man sich viel Zeit nehmen musste. »Nur die Ruhe, er wird schon kommen. Sobald Seltenhammer über die Passstraße fährt, registrieren wir das und legen los.«

    »So langsam wird mir kalt. Sauwetter. Und das im Juli.« Violetta zog den Reißverschluss ihrer Daunenjacke bis unters Kinn. »Nicht zu glauben, dass zur gleichen Zeit im Mittelland unten eine Gluthitze herrscht. Und wir haben hier in den Bergen nahezu Winter.«

    Sie hatten wochenlang auf perfektes Wetter warten müssen. Bis dann vorgestern der telleigene Meteorologe ganz überraschend grünes Licht gegeben hatte.

    Sie brauchten Nebel.

    Und zwar so dicht, dass man keine fünfzehn Meter weit sehen konnte. Ohne Nebel keine Vollstreckung. So eine richtig graue, undurchsichtige Suppe war im Sommer in den Bergen in Lagen über zweitausend Metern zwar eher selten, kam aber doch schon mal vor. War ein Problem für die Bergsteiger und hatte in exponierten Nordhängen schon zum Absturz ganzer Seilschaften geführt.

    Und heute voraussichtlich zum Ableben von Oliver Seltenhammer.

    Miguel und Violetta saßen bereits seit über drei Stunden in ihrem Einsatzfahrzeug. Einem extra für diesen Job ausgewählten weißen Kombi aus dem Wagenpark von Tell, der buchstäblich mit dem Nebel verschmolz.

    Sie hatten Seltenhammer gestern von der Tell-Zentrale aus anonym per Telefon kontaktiert, hatten sich als »besorgte Freunde, die Ihnen helfen wollen« bezeichnet und ihm mit der Nennung einiger brisanter Details zu verstehen gegeben, dass sie über seine Machenschaften Bescheid wussten. Der Deal, den sie ihm vorflunkerten, lautete: ein Teil seines Geldes gegen ihr Schweigen.

    Sie hatten sich vorzustellen versucht, wie er reagieren würde. Panisch, verwirrt, ohne sich Zeit zu nehmen, gründlich nachzudenken. Und unterwürfig. Sofort bereit, alles zu tun, um seinen Hintern zu retten.

    Kein Arsch in der Hose, kein Mumm in den Knochen, hatte Violetta kommentiert.

    Er biss denn auch tatsächlich sofort an. Angst und Verzweiflung waren stärker als Vorsicht und Skepsis. Was typisch war für einen Mann mit null Erfahrung in diesem Drecksgeschäft und frisch gerissenen Nerven.

    Sie hatten ihm als Treffpunkt eine einsame und abgelegene Alphütte in den Obwaldner Bergen genannt. Ein Naturweg führte dort hinauf, kaum besser als ein ausgetrocknetes Bachbett, mit einem Wagen mit Allradantrieb aber zu meistern. Seltenhammer wurde angewiesen, aus Sicherheitsgründen sein eigenes Auto in der Garage stehen zu lassen und stattdessen einen Mietwagen zu nehmen. Einen mit Navigationsgerät. Er bekam die Koordinaten der Hütte, geografische Länge und Breite, Winkelminuten, Winkelsekunden und den Befehl, die Daten in sein Navi einzutippen.

    Um elf Uhr Mittag hätte Seltenhammer beim Übergabeort eintreffen sollen. Jetzt war es nach zwölf.

    »Und wenn er nicht kommt?« Violetta zupfte ein graues Härchen von ihrer Nasenspitze, wobei sie die Nägel von Daumen und Mittelfinger als Pinzette benutzte.

    »Er kommt bestimmt.« Miguel stellte den Kragen seiner braunen Bomberjacke hoch und rückte seinen schwarz-weiß karierten Palästinenserschal zurecht.

    »Und wenn nicht?«

    »Er kommt. Weil er weiß, dass sein Leben sonst vorbei ist.«

    »Ist es ja so oder so.«

    »Vom zweiten ›So‹ weiß er aber nichts.«

    Violetta lachte laut auf, zuckte im nächsten Augenblick zusammen und presste mit schmerzverzerrtem Gesicht die flache Hand auf ihren Bauch.

    »Schmerzen? Noch immer … die Narbe?« Miguel schaute besorgt.

    Sie nickte kurz. »Es geht schon, geht vorbei. Dauert immer nur wenige Sekunden, ist nicht schlimm.« Sie versuchte zu lächeln, ein kümmerlicher Versuch, Miguel zu beruhigen.

    »Du würdest es mir doch augenblicklich sagen, Morgenstern, wenn wir abbrechen müssen. Ich brauche dich hier zu hundert Prozent einsatzfähig. Wenn du schwächelst, gefährdest du unsere Mission.« Er versuchte, wie ein knallharter Vorgesetzter zu klingen, der nur an den Auftrag dachte. Doch ihr war der fürsorgliche Unterton in seiner Stimme nicht entgangen.

    »Es geht mir gut, ich bin bereit. Ich leide nicht mehr – und kann den Bösen wieder professionell Leid zufügen.«

    Auf ihren Wortspott reagierte Miguel mit höhnischem Schnauben.

    Violetta steckte die Hand unter Daunenjacke, Pullover und Unterhemd, bis sie nackte Haut spürte. Und die Narbe. Vorsichtig befühlte sie mit den Fingerkuppen das Wundmal. Das Mahnmal. Wo das Fleischermesser gesteckt hatte. Rechts vom Bauchnabel, ein sieben Zentimeter langer, waagerechter Hautwulst, dünn und geriffelt wie ein vertrockneter Regenwurm. Die Ärzte im Spital hatten Violettas »gutes Heilfleisch« gelobt. Der Faden, mit dem die Schnittränder zusammengenäht worden waren, hatte keinerlei Spuren hinterlassen, keine »Hühnerleitern«, wie der Chefarzt ihr bildhaft erklärt hatte.

    Seit dem Mordanschlag auf Violetta Morgenstern waren zehn Monate vergangen. Hätte Miguel sie damals nicht zufällig in ihrem Hausflur gefunden, sie wäre verblutet. Violetta hatte schwere innere Verletzungen erlitten. Bauchorgane und Blutgefäße hatten Schaden genommen. Nach drei Tagen war sie aus dem Koma erwacht, sieben Wochen später hatte sie das Krankenhaus verlassen dürfen. Danach hatte sie vier Monate Reha in einer Bergklinik verbracht und war schließlich für nochmals vier Monate zu Hause geblieben, krankgeschrieben. Wo Körper und Geist langsam wieder gesund wurden. Und sie sich fürchterlich langweilte.

    Violetta zog ihre Hand wieder unter der Jacke hervor und schaute Miguel mit einem versöhnlichen Lächeln an. »Doch, glaub mir. Es geht mir gut, ich bin voll einsatzfähig. Etwas nervös vielleicht, aber dies ist ja auch mein erster Einsatz nach der Zwangspause.«

    »Die neuen Bewegungssensoren, die IT-Gerry und sein Team überall in deinem Haus montiert haben, sollen ja das Raffinierteste sein, was es auf dem Sicherheitsmarkt derzeit gibt«, sagte Miguel, merklich bemüht um einen Themenwechsel.

    »Ach, ich weiß nicht so recht. An manchen Tagen fühle ich

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