Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Wahrnehmung als pädagogische Übung: Theoretische und praxisorientierte Auslotungen einer phänomenologisch orientierten Bildungsforschung
Wahrnehmung als pädagogische Übung: Theoretische und praxisorientierte Auslotungen einer phänomenologisch orientierten Bildungsforschung
Wahrnehmung als pädagogische Übung: Theoretische und praxisorientierte Auslotungen einer phänomenologisch orientierten Bildungsforschung
eBook462 Seiten4 Stunden

Wahrnehmung als pädagogische Übung: Theoretische und praxisorientierte Auslotungen einer phänomenologisch orientierten Bildungsforschung

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

"Was aber heißt das: etwas wahrzunehmen?" Diese scheinbar einfache Frage von Käte Meyer-Drawe geht diesem Buch als Inspiration voraus: Wohl alle glauben zu wissen, was es heißt, etwas zu sehen, zu riechen, zu schmecken, zu tasten, zu hören. Die Frage aber, was das nun wirklich heißt, erfordert die Überprüfung vermeintlicher Selbstverständlichkeiten und gewohnter Einordnungen. Im pädagogischen Handeln wird das Hinschauen, Hinhören, Einfühlen vielfach übersprungen zugunsten eines vorschnellen Deutens und Urteilens. Wahrnehmen als pädagogische Übung bedarf eines Innehaltens, das dem Verstehen bequeme Abkürzungen versperrt und eingespielte Sicherheiten irritiert. Erst dies erlaubt es, hinter Diagnosen, Bewertungsrastern und Begabungskategorien das konkrete Kind in seinem Lernen, den Mitmenschen in seinen Nöten und Potenzialen zu suchen.
Das vorliegende Buch diskutiert und vertieft die phänomenologisch orientierte Vignetten- und Anekdotenforschung als Methode für die Reflexion und Sensibilisierung der Wahrnehmung von Lern- und Bildungsprozessen in Schule und Gesellschaft.
SpracheDeutsch
HerausgeberStudienVerlag
Erscheinungsdatum15. Mai 2020
ISBN9783706560634
Wahrnehmung als pädagogische Übung: Theoretische und praxisorientierte Auslotungen einer phänomenologisch orientierten Bildungsforschung

Ähnlich wie Wahrnehmung als pädagogische Übung

Titel in dieser Serie (4)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Lehrmethoden & Materialien für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Wahrnehmung als pädagogische Übung

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Wahrnehmung als pädagogische Übung - StudienVerlag

    Impressum

    © 2020 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

    E-Mail: order@studienverlag.at

    Internet: www.studienverlag.at

    Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

    ISBN 978-3-7065-6063-4

    Buchgestaltung nach Entwürfen von himmel. Studio für Design und Kommunikation,

    Innsbruck/Scheffau – www.himmel.co.at

    Satz: Da-TeX Gerd Blumenstein, Leipzig

    Umschlag: himmel. Studio für Design und Kommunikation, Innsbruck / Scheffau –

    www.himmel.co.at

    Umschlagfotos: hkp

    Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at.

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Impressum

    Titel

    Hans Karl Peterlini

    Die Übung des Wahrnehmens als pädagogische Aufgabe – Einführung und Vorwort

    Leiblichkeit als Perspektive der Wahrnehmung

    Käte Meyer-Drawe

    Was aber heißt das: etwas wahrzunehmen?

    Empirie

    Wie aber über Wahrnehmungen sprechen?

    Beispiel 1

    Beispiel 2

    Beispiel 3

    Feldzüge des Geistes

    In Anspruch genommen

    Für-wahr-Nehmen

    Literatur

    Hans Karl Peterlini

    Der zweifältige Körper

    Die Leib-Körper-Differenz als diskriminierungskritische Perspektive – Vignettenforschung zu Rassismus, Sexismus und Behinderung

    Die dichotome Differenz zwischen Körper und Leib

    Vignetten als Studien über Blicke auf Leib und Körper

    Geschlechterdifferenz in der Perspektive von Körper und Leib

    Die Sprache des Sexuellen zwischen Sexismus und Tabuisierung

    Leibliches In-der-Welt-Sein als Überschreitung von Behinderung, Körperlichkeit als deren Wahrnehmung

    Der Wildfang in einer Schulklasse – oder: Was könnte daran rassistisch sein?

    Reflexive Zusammenschau: die Erzählung überschreitet den Körper und stiftet das Leibliche

    Literatur

    Methodologische Vertiefungen und methodische (Weiter-)Entwicklungen

    Johanna F. Schwarz

    Erfahrungen wahrnehmen – Wahrgenommener Erfahrung zum Ausdruck verhelfen

    Theoretische und methodische Einführung in die phänomenologisch orientierte Vignettenforschung

    Theoretische Annäherung an die phänomenologisch orientierte Grundierung der Vignettenforschung

    Wahrgenommene Erfahrung in Vignetten konkretisiert

    Ein veritabler Paradigmenwechsel

    Affizierung, affiziert werden und affiziert sein

    Beobachtungsnotiz versus Erfahrungsprotokoll

    Rekreation vs. Rekonstruktion – Prägnanz vs. Präzision

    Miterfahren von Erfahrung vs. teilnehmende Beobachtung

    Subjektiv-Objektiv versus Selbst-Andere

    Deutung – Interpretation – Analyse – Lektüre

    Abschließende Bemerkungen

    Literatur

    Anja Thielmann

    Von der Wahrnehmung zur Vignette

    Wie Vignetten leibliche Wahrnehmungen und intersubjektive Erfahrungen in Sprache ‚übersetzen‘

    Phänomenologisch orientierte Forschung in Bezug auf den Forschungsgegenstand Lernen

    Phänomenologische Forschung in der Erziehungswissenschaft

    Verortung in der qualitativen empirischen Forschung

    Vignettenbasierte Forschung

    Von der Datenerhebung zur Vignette

    Vignetten als Ausdruck leiblicher Wahrnehmung

    Design der Vignettenforschung

    Vorüberlegungen zur Datenerhebung im Feld

    Daten erheben – Protokolle gelebter Erfahrung

    Verfassen der Rohvignette

    Beispiel einer Rohvignette

    Mündliche Validierung

    Schreiben der Vignette

    Phase des ‚Blackening out‘

    Schreiben im Modus des ‚Directors cut‘

    Beispiel Vignette

    Schlussbemerkung

    Literatur

    Silvia Krenn

    Die ‚merkwürdige‘ Geschichte einer (Lern-)Erfahrung

    Über die Herausforderung, eine erzählte erinnerte Lernerfahrung in einer Anekdote als Forschungsinstrument zu gestalten

    Eine Erfahrung aus dem Erfahrungsstrom

    Transformationen gelebter Erfahrung in der Anekdote

    Anekdote „Boris – Mit anderen besser umgehen"

    Anekdoten aus der Erfahrungsgeschichte Amelkas

    Anekdote „Amelka – Lerne, lerne, lerne!"

    Anekdote: „Amelka – Panik"

    Anekdote: „Amelka – Alles in Grenzen!"

    Zum Abschluss

    Literatur

    Silvia Krenn

    Die Kunst des Anekdoten-Schreibens

    Vom Gespräch zur Anekdote – Über das Verfassen von Anekdoten als Forschungsinstrument

    Anekdote „Brigitta – Die Schnellste"

    Transkriptausschnitt

    Zum Abschluss

    Literatur

    Rahel More

    Hermeneutik und Phänomenologie – eine Ergänzung

    Am Beispiel der Interpretativen Phänomenologischen Analyse (IPA)

    Einleitung

    Der hermeneutische Ausgangspunkt des Verstehens

    Erfahrung, Erlebnis und Wahrnehmung

    Der Sinn der Erfahrung und dessen Bedeutung

    Hermeneutik und Phänomenologie – ein Widerspruch in sich?

    Antizipation und die Rolle des Vorwissens

    Forschungsansatz Interpretative Phänomenologische Analyse

    Datenerhebung orientiert an IPA

    Das Erfassen von leiblicher Erfahrung

    Datenanalyse orientiert an IPA

    Abschließende Bemerkungen

    Literatur

    Pädagogische Bezüge und Praxiserfahrungen

    Siegfried Baur

    Wahrnehmen im pädagogischen Handlungsprozess

    Überlegungen zum Wahrnehmen im erzieherischen Verhältnis im ‚lernseitigen‘ – ‚lehrseitigen Spannungsfeld‘

    Der pädagogische Bezug oder das erzieherische Verhältnis

    Was kann Wahrnehmung sein?

    Im Spannungsfeld zwischen Individualisierung und Personalisierung: Vertraut-werden lehrseits mit der Sichtweise des lernseitigen Blicks

    Heterogenität, Individualisierung und Personalisierung

    Was sieht der Blick der Lehrerin/des Lehrers oft nicht?

    Vignette 1– Der ‚lehrseitige‘ Blick des Lehrers/der Lehrerin

    Wie kann die Lehrerin/der Lehrer den ‚lernseitigen‘ Blick schärfen?

    Vignette 2 – Der ‚lernseitige‘ Blick des Lehrers/der Lehrerin

    Responsivität

    Literatur

    Evi Agostini und Stephanie Mian

    Schulentwicklung mit Vignetten

    Ein Beispiel zum Einsatz von phänomenologisch orientierten Vignetten in der Weiterbildung von Lehrpersonen

    Zum Projekt

    Ursprung

    Genese

    Ablauf

    Besonderheiten und Herausforderungen

    Kritische Reflexion und (vorläufige) Erkenntnisse

    Literatur

    Abgrenzungen – Annäherungen – Überschreitungen

    Evi Agostini

    Lernen ‚am Fall‘ versus Lernen ‚am Beispiel‘

    Oder: Zur Bedeutung der pathischen Struktur ästhetischer Wahrnehmung für die Narration von phänomenologisch orientierten Vignetten

    (Pädagogische) Kasuistik. Oder: Lernen ‚am Fall‘

    Forschungsmethod(olog)ische und didaktische Überlegungen zwischen Narration, Illustration und Rekonstruktion von (Unterrichts-)Wirklichkeit

    Prämissen, Besonderheiten und Ambivalenzen im Umgang mit „Fällen"

    Phänomenologisch orientierte Vignettenforschung. Oder: Lernen ‚am Beispiel‘

    Die Vignette als Beispiel

    Die Vignette als Beispiel

    Literatur

    Irene Cennamo, Jasmin Donlic, Hans Karl Peterlini

    Die Vignette im Forschungsdesign

    Potenziale, Grenzen und Anknüpfungspunkte einer Methodenkombination am Beispiel einer Antragstellung

    Problemstellung und Neulandbeschreitung – Eine Projekterfahrung

    Lebensweltlich und sozialräumlich orientierte Forschung zu zwischenmenschlichem Zusammenleben, Handeln und Kommunizieren

    Umrisse des Projektentwurfes – Forschungsfragen und methodische Skizze

    Der methodische Begründungszusammenhang

    Theoretischer Hintergrund und methodische Umsetzung

    Die Datenerhebung und ihre Instrumente

    Die Vignette

    Die kontextintensiven Stegreiferzählungen

    Das vertiefende narrative Interview

    Die reflektierende Fokusgruppe – das reflektierende Gruppeninterview

    Theoretischer Hintergrund und methodische Umsetzung

    Literatur

    Daniela Lehner

    Widerfahrnis Wildheit?

    Leiberfahrung und Fremdes

    Wahrnehmung und Gestalt

    Rohes Sein und Wahrnehmung

    Vignette und Vignettenlektüre: Widerfahrnis Wildheit?

    Vignette – Widerfahrnis Wildheit

    Lektüre – Leiberfahrung und Fremdes

    Gewahrsein und Lernen

    Literatur

    Autorinnen und Autoren

    Erfahrungsorientierte Bildungsforschung

    Band 7

    Im Bildungsbereich werden täglich vielfältige Aktivitäten initiiert, Prozesse in Gang gesetzt und Aufgaben bearbeitet. Wenig ist darüber bekannt, wie sie vollzogen werden. Die Reihe „Erfahrungsorientierte Bildungsforschung" erschließt einen in den Bildungswissenschaften vernachlässigten Bereich, indem sie den Erfahrungen nachspürt, die sich in Bildung und Erziehung zeigen. Die einzelnen Bände machen die Erfahrungsmomente pädagogischen Handelns versteh- und erfahrbar. Über verdichtete Beschreibungen (z.B. Vignetten, Anekdoten) werden Erfahrungsdimensionen erschlossen, welche zum Überdenken der eigenen pädagogischen Erfahrungen beitragen können.

    Herausgegeben von Evi Agostini, Markus Ammann, Siegfried Baur, Hans Karl Peterlini, Michael Schratz und Johanna F. Schwarz

    Hans Karl Peterlini/Irene Cennamo/Jasmin Donlic (Hg.)

    Wahrnehmung als pädagogische Übung

    Theoretische und praxisorientierte Auslotungen der

    phänomenologisch orientierten Bildungsforschung

    Hans Karl Peterlini

    Die Übung des Wahrnehmens als pädagogische Aufgabe – Einführung und Vorwort

    Titel und Fokus dieses Bandes verdanken sich einer Frage, die Käte Meyer-Drawe am Ende eines Workshops und am Anfang ihres Beitrages stellt: „Was aber heißt das: etwas wahrzunehmen? Es ist die Qualität und Sprengkraft scheinbar einfacher Fragen, dass sie vermeintlich Fragloses, als geklärt Vorausgesetztes mit einem Mal einer Erschütterung aussetzen. Die Frage nach der Wahrnehmung ist entwaffnend: Sie erfordert das Ablegen genau jener Instrumente, die wir für die Beantwortung bräuchten, die nun aber Gegenstand der Befragung sind und nicht Auskunft über sich selbst geben können. Wohl alle glauben zu wissen, was es heißt, etwas zu sehen, zu riechen, zu schmecken, zu tasten, zu hören, weil wir dies in einem immerwährenden Fluss tun, ohne es besonders reflektieren zu müssen. Die Frage danach, was es nun aber heißt, etwas zu sehen oder zu hören, verunsichert die vermeintliche Übereinstimmung in den möglichen Antworten. Ähnlich ist es, wenn wir wissen möchten, ob das, was wir als rot sehen, auch für die anderen rot ist; allein schon im Phänomen sogenannter Farbenblindheit erkennen wir die Bodenlosigkeit unseres Vertrauens in geteilte Erfahrungen. Selbstverständlich glauben wir zu wissen, was Rot ist, und berechtigter Weise gehen wir davon aus, dass wir in der Wahrnehmung von Rot alle dasselbe meinen. Aber haben wir Gewissheit, können wir es uns gegenseitig beweisen? Wir sind unseren Sinnen in gleichem Maße ausgesetzt, wie sie uns überhaupt erst Zugang zueinander und zur Welt verschaffen. Hinter sie gelangen zu wollen, das Wunder des Sehens, Hörens, Spüren und Fühlens entschlüsseln zu wollen, führt an Grenzen des Aussprechbaren und Denkbaren. Es verlangt die paradoxe Übung, dem zu misstrauen, worauf wir sehend und zugleich blind, hörend und zugleich taub vertrauen. Dabei ist interessant, dass wir auf manche Sinne so vertrauen, dass wir gar kein Wort dafür haben, wenn sie ausfallen: Tasten, Schmecken, Riechen. Wir müssen uns von den Entwürfen unserer Wahrnehmung distanzieren, wenn wir sie reflektieren wollen, wir müssen ihre vermeintlich sicheren Auskünfte, auf die wir uns im täglichen Leben verlassen, um überhaupt über eine Straße zu kommen oder uns mit den Nachbarn zu unterhalten, dazu einer Befremdung aussetzen. Aus einer phänomenologischen Perspektive ist Wahrnehmen weder ein nur autonomer noch ein nur passiver Akt, weder haben wir die absolute Freiheit zur Willkür, etwas als etwas zu erkennen, noch sind wir gerade in diesem Prozess, etwas als etwas wahrzunehmen, völlig fremdbestimmt von Dingen und Sinnen. Was wir wahrnehmen, hat mit uns, mit unseren Vorerfahrungen und unserem Vorwissen zu tun, mit den Wahrnehmungsmöglichkeiten unserer Sinne und Übersetzungsleistungen unserer kognitiven Anstrengungen, im Wahrnehmen konstituieren wir, was wir sehen, hören, riechen, schmecken, tasten, fühlen, was auf uns einwirkt, aber wir können dies nicht beliebig tun, wir können nicht Rot für Grün erklären, können den schrillen Ton nicht als lieblich begrüßen, den harten Schlag nicht als zärtliches Streicheln empfinden. Innerhalb dieser Gegensätze aber liegt eine Bandbreite von Empfindungsmöglichkeiten des Wahrgenommenen, liegen Schattierungen und Nuancierungen, liegen Widersprüche und Ambivalenzen, ist uns der direkte Zugang zur Wirklichkeit hinter dem Erscheinen von Dingen und Farben verwehrt. So sehen wir ein Möbelstück deshalb als rot, weil der rote Gegenstand vom weißen Licht alle anderen Facetten des Lichtspektrums verschluckt und nur jene Wellenlängen reflektiert, die für uns dann rot sind. Mit den Augen mancher Tiere würden wir mehr und andere Farben wahrnehmen, weil sie mit anderen Rezeptoren ausgestattet sind. Was die Farbe Rot „ist, können wir somit letztlich nicht sagen, wohl aber können wir – intersubjektiv – uns darüber austauschen, wie Rot in unseren Sinnen erscheint, welche Vorkommnisse von Rot wir wahrnehmen und welche Bedeutungen wir damit verbinden. Damit scheitert jede Engführung in der Begriffsbestimmung von „Rot", wohl aber tut sich ein Universum von möglichen Vorkommnissen und Deutungen von Rot in unserer Lebenswirklichkeit auf: von der Farbe der Liebe zum Stopp im Straßenverkehr, von der Farbe des Blutes bis zum Abendrot als Schönwetterbot’.

    Die Frage des Wahrnehmens tritt in pädagogischen Diskursen vielfach hinter die Frage des Verstehens zurück, sie wird oft schlicht übersprungen zugunsten eines Einordnens des Wahrgenommenen in Verständniskategorien. In einer Übung mit Studierenden, Zeichnungen über pädagogische Interaktionen zu deuten, ohne dass Hintergründe, Vorgeschichte, Kontext mitgeliefert werden, zeigt sich vielfach eine Verunsicherung, die an die eingangs verwendete Metapher der Entwaffnung erinnert. Die Instrumente, mit denen pädagogische Situationen gemeinhin eingeordnet und damit einem Verstehen zugänglich gemacht werden, werden in diesem Fall vorenthalten: Was ist die Vorgeschichte dieses Kindes und der dargestellten Situation, was ist das für eine Schule oder sonstiges Lernfeld, gibt es eine Funktionsdiagnose, Noten und Verhaltensbeschreibungen, was ist mit den Eltern? Es gibt nur eine Zeichnung, vielleicht eine Sonne und eine Wolke über zwei Menschen, die lachen oder heruntergezogene Mundwinkel haben, eine Faust, Strahlen, Blitze, ein Fluss vielleicht … Die erste Übung liegt darin, nicht zu deuten, was das sein könnte, sondern was sich im Bild zeigt: die Farben, in denen die Szene gemalt ist, dickere oder dünnere Striche, Symbole. Allmählich geht dieses Wahrnehmen in Deutungen über, in Überlegungen, was dies oder jenes bedeuten könnte. Allein durch die Hürde, die dem Deuten durch Vorenthaltung von Kontext gestellt wurde, durch die Verzögerung, dass vor dem Deuten das genaue Hinsehen eingefordert war, entstehen vielfältige Auslegungsmöglichkeiten. Wenn dann, im Anschluss an die Übung, die Person sich outet, die das Bild gemalt hat, und nun ihren Kontext, ihre Darstellung anbietet, kommt es zwar wieder zu einer Engführung, aber diese ist nun facettenreicher. Die zeichnende Person hat Deutungsangebote erhalten, die ihrer eigenen Deutung teilweise widersprechen, diese teilweise verstärken, teilweise zusätzliche Aspekte sichtbar machen, die ihr selbst entgangen waren.

    Wahrnehmen als pädagogische Übung meint genau dies – der schnellen Deutung, der Abkürzung auf dem Weg zum möglichen Sinngehalt, der sicheren Diagnose das Hinschauen, das Hinhören, das Hinfühlen, das Einfühlen, das möglichst lange offen gehaltene Wahrnehmen vorlagern. Wenn wir von einem Kind wissen, dass es die Diagnose ADHS hat, wird es schwerlich außerhalb dieses Verhaltensmodells wahrgenommen werden können. Es wird dieser Diagnosehoheit unterworfen. Dies kann hilfreich sein, um Maßnahmen für das Kind zu ergreifen; es kann aber vieles ausblenden und der Wahrnehmung entziehen, was dieses Kind sonst noch alles ist, sein kann, sein möchte. Es wird das Kind in seinen Überschüssen über die Diagnose hinaus verkannt; und es wird vieles nicht getan werden, was dem Kind helfen könnte, der eigenen Diagnose zu entkommen.

    Die phänomenologische Haltung, sich Aussagen darüber möglichst zu enthalten, was die Dinge vermeintlich sind, und sich dafür intensiver damit zu beschäftigen, wie sie uns erscheinen, was sie für uns sind und was sie aus anderer Perspektive sein könnten, ist ein Ausweg aus Engführungen im pädagogischen Urteil. Diese Einstellung öffnet Augen, Ohren und unser Mitfühlen für erweiterte Bedeutungen dessen, was uns in der pädagogischen Arbeit begegnet und herausfordert. Es weitet die Einordnungsraster, was dieses oder jenes gesellschaftliche oder personale Verhalten bedeuten mag, weil dem schnellen Urteil, der klaren und sicheren Einordnung die Übung der Wahrnehmung vorgeschaltet wird. Es ist letztlich das, was mit der phänomenologisch orientierten Vignetten- und Anekdotenforschung, von Innsbruck ausgehend und nachfolgend in Brixen (Südtirol/Italien), in Zürich, Klagenfurt, Wien repräsentiert und versucht wird: Lernprozesse, ob in der Schule oder in sozialen Räumen, dadurch zu verstehen zu versuchen, indem zunächst hingeschaut, hingehört, eingefühlt wird. Als Band 7 der Reihe „Erfahrungsorientierte Bildungsforschung" reiht sich diese Publikation somit ein in die Auseinandersetzung mit und Thematisierung von Zugängen zu phänomenologischen Fragestellungen des personalen und gesellschaftlichen Lernens. Der Band entspringt einer Forschungswerkstatt mit Käte Meyer-Drawe an der Universität Klagenfurt im Sommer 2018 zur phänomenologischen Vignetten- und Anekdotenforschung, geht aber insofern über einen Tagungs- oder Werkstattband hinaus, als mit der Frage nach der Wahrnehmung ein besonderer, unterbelichteter Aspekt pädagogischen Denkens und Handelns fokussiert wird.

    Das Buch gliedert sich in vier größere Abschnitte. Im ersten Abschnitt „Leiblichkeit als Perspektive der Wahrnehmung geht Käte Meyer-Drawe in ihrem Beitrag „Was aber heißt das: etwas wahrzunehmen? auf die hier nur angerissene Fragestellung ein – ohne Zweifel der Schlüsseltext dieses Bandes, der für das Verständnis der nachfolgenden Beiträge einen – um im Bild der Farbwahrnehmung zu bleiben – weitgespannten Regenbogen eröffnet, einen Verstehensrahmen, innerhalb dessen Vielfalt und Vieldeutigkeit möglich werden. Auf die Fragestellung, wie eine leibphänomenologisch orientierte Wahrnehmung diskriminierungsanfällige Einordnungen in Bezug auf Kultur, Rasse, Geschlecht und Behinderung durchkreuzen kann, geht der Beitrag „Der zweifältige Körper" (Hans Karl Peterlini) ein.

    Im nachfolgenden Abschnitt „Methodologische Vertiefungen und methodische (Weiter-)Entwicklungen" führt Johanna Schwarz über das Wahrnehmen von Erfahrungen in die Vignettenforschung ein. Anna Thielmann thematisiert den theoretischen Rahmen phänomenologischer Forschung in Bezug auf konkrete Einblicke in die Vignettenforschung – ein Betrag zum Theorie-Praxis-Problem. Ähnlich theoretisch explorierend und forschungspraktisch darlegend sind zwei aneinandergereihte Beiträge von Silvia Krenn zur Anekdotenforschung, in denen es – im Unterschied zur Vignette als Instrument der augenblickbezogenen Wahrnehmung – um erinnerte Erfahrungen geht. Rahel More schließt diesen methodologischen und methodischen Teil mit Überlegungen zu Hermeneutik und Phänomenologie als Ergänzung ab, was im speziellen an der Interpretativen Phänomenologischen Analyse (IPA) diskutiert wird.

    Der dritte Abschnitt stellt den Bezug von Theorie und Forschungsmethodologie zu pädagogischen Handlungsfeldern dar. Siegfried Baur reflektiert in einem sowohl ideengeschichtlichen als auch gegenwartsbezogenen Beitrag Wahrnehmen im pädagogischen Handlungsprozess. Evi Agostini und Stephanie Mian loten die Arbeit mit Vignetten im Rahmen der Weiterbildung von Lehrpersonen im Hinblick auf ihr Potenzial für Schulentwicklung aus.

    Im vierten und abschließenden Abschnitt des Bandes wird die phänomenologisch orientierte Vignetten- und Anekdotenforschung unter der Perspektive von Abgrenzungen, Annäherungen und Überschreitungen beleuchtet. Evi Agostini stellt sich der erkenntnistheoretisch und forschungspraktisch zentralen Fragestellung, ob und, wenn ja, wie sich Kasuistik (als Lernen am Fall) von einem exemplarischen Wissenschaftsansatz (als Lernen am Beispiel) abgrenzen lässt. Irene Cennamo, Jasmin Donlic und Hans Karl Peterlini untersuchen dagegen am Beispiel eines konkreten Forschungsantrags die Möglichkeit der Verknüpfung von phänomenologisch orientierter Forschung mit anderen Zugängen. Der Beitrag von Daniela Lehner bezieht die Vignettenforschung auf Momente der Widerfahrnis in einem gestalttherapeutischen Gruppenselbsterfahrungsprozess – sie überschreitet damit bisherige Anwendungsfelder zugunsten eines Erprobens auf unbetretenem Gelände. Wahrnehmung bedarf genau dieser Übung – vertraute Perspektiven zu verlassen oder, in Husserl’scher Diktion, zumindest einzuklammern, um das Gewohnte wieder neu sehen, hören, fühlen zu können.

    Leiblichkeit als Perspektive

    der Wahrnehmung

    Käte Meyer-Drawe

    Was aber heißt das: etwas wahrzunehmen?

    „Es bleibt das Problem des Überganges vom Wahrnehmungssinn zum

    sprachlichen Sinn, vom Verhalten zur Thematisierung."

    (Merleau-Ponty 2004)

    Empirie

    „Ist man wirklich objektiv gegenüber dem Menschen, wenn man glaubt, ihn als einen Gegenstand betrachten zu können, der sich durch ineinander verschlungene Prozesse von Kausalitäten erklären lässt? Ist man es nicht eher dann, wenn man durch die Beschreibung typischer Verhaltensweisen eine wirkliche Wissenschaft des menschlichen Lebens (science de la vie humaine) zu begründen versucht? Ist man objektiv, wenn man Tests auf den Menschen anwendet, die nur seine abstrakten Fähigkeiten betreffen, oder vielmehr dann, wenn man mittels anderer Tests zu erfassen versucht, wie der Mensch in Gegenwart der Welt und der anderen einen Standort zu gewinnen bestrebt ist? (Merleau-Ponty 2003, S. 48) Klammern wir einmal die Frage nach dem Testen aus und konzentrieren uns auf die Frage nach der wissenschaftlichen Geltung, so erinnern diese Worte an ein zentrales Problem der Vignettenforschung (vgl. Schratz/Schwarz/Westfall-Greiter 2012; Baur/Peterlini 2016). Sie sieht sich nämlich unter anderem dem Vorwurf ausgesetzt, sie basiere auf subjektiven Eindrücken und hielte deshalb einer intersubjektiven Überprüfung nicht stand. „Wir dürfen uns in der Wissenschaft [jedoch] nicht vormachen, mit Hilfe eines reinen und ortlosen Verstandes zu einem von jeglicher menschlichen Spur unberührten Gegenstand vorzudringen, wie Gott ihn sehen würde. Die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Forschung wird dadurch nicht im Geringsten gemindert, sondern es wird lediglich der Dogmatismus einer Wissenschaft bekämpft, die sich für ein absolutes und vollständiges Wissen hält. Dadurch wird man einfach nur allen Elementen der menschlichen Erfahrung gerecht, insbesondere unserer Sinneswahrnehmung. (Merleau-Ponty 2006, S. 17) Der menschlichen Erfahrung gerecht zu werden, ist ein zentrales Anliegen der Vignettenforschung. Ihre Empirie widmet sich hier jedoch nicht isolierten Daten, die im Nachhinein in einen Zusammenhang gestellt werden. Sie teilt vielmehr typische Aspekte alltäglicher Erfahrung, d. h. sie registriert nicht lediglich das Gegebene, sondern schult eine bestimmte Wahrnehmungssensibilität (vgl. Agostini 2016, S. 30ff; Peterlini 2016, S. 49ff und Schwarz 2018, S. 89ff). Dabei wird unterstellt, dass die Autorinnen und Autoren Unterrichtsszenen wahrnehmen und nicht nur beobachten. Während Beobachtungen eine distanzierte Weltzuwendung meinen, bleiben Wahrnehmungen situiert in ihrem Weltkontakt, verstrickt in ein Erfahrungsgewebe, das jeden Anspruch auf einen reinen Blick verdächtig macht. Dabei ist eine „gemeinsame" Welt „niemals bloßes ethos im Sinne eines gemeinsamen Aufenthaltsortes, der sich aus der Sedimentierung einer bestimmten Anzahl verflochtener Handlungen ergibt. Sie ist immer auch eine konfliktreiche Verteilung von Seinsweisen und ‚Beschäftigungen‘ in einem Möglichkeitsraum. (Rancière 2008, S. 66) Es geht um die Vernehmbarkeit in konkurrierenden Ordnungen des Sinnlichen. Diese finden sich zusammen in der Glaubensgewissheit, dass wir eine Welt haben, die sich weder an einem absoluten Wissen noch an einer unmittelbaren Gegebenheit messen lässt. Im absoluten Wissen verlören wir unsere Welt, in der Begegnung mit dem Unmittelbaren uns selbst. Den wahrnehmenden Vignettenforscherinnen und -forschern wird abverlangt, dass sie in „unausgerichteter Bereitschaft, gleichsam in „konzentrierter Passivität" (Anders 2017, S. 117) bei den Lernenden sind.

    Wie aber über Wahrnehmungen sprechen?

    „Wir fragen uns nicht, ob die Welt existiert, sondern was es für sie bedeutet […] zu existieren. (Merleau-Ponty 2004, S. 130) Deshalb haben wir im Allgemeinen keine Probleme, über unsere Wahrnehmungen zu sprechen. Wir können sie wie unsere Erfahrungen tauschen. Wir können sie im doppelten Wortsinn teilen. Das bedeutet, dass unsere sinnliche Weltzuwendung Gemeinsamkeit erzeugt, aber das Wahrgenommene auch auf- und verteilt. Diese Ordnung des Sinnlichen „macht sichtbar, [hörbar], wer, je nachdem, was er tut, und je nach Zeit und Raum, in denen er etwas tut, am Gemeinsamen teilhaben kann. Eine bestimmte Betätigung legt somit fest, wer fähig oder unfähig zum Gemeinsamen ist. (Rancière 2008, S. 26) Man kann überhört oder keines Blickes gewürdigt werden. Das Gemeinsame garantiert dagegen, dass wir einander erzählen können, was wir gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt oder ertastet haben, ohne dass wir uns fragen, ob wir wirklich dasselbe wahrnehmen. Wir sprechen über Bilder, über eindrucksvolle Landschaften, schwärmen von unserem Lieblingskonzert, freuen uns, wenn andere unser Parfum als angenehm empfinden, und laufen nicht gerne barfuß über spitze Steine, kommen zu Hilfe, weil wir den Schmerz von anderen sehen. Kalter Wind lässt uns frösteln. Die Sonne blendet uns. Die Sirenen und das Kreideschaben auf der Tafel gehen uns buchstäblich auf die Nerven. „Ich werde [zwar] niemals wissen, wie Sie Rot sehen, und Sie werden nie wissen, wie ich es sehe; aber diese Trennung der Bewusstseinsströme wird erst nach dem Scheitern der Kommunikation erkannt, und unsere erste Reaktion besteht darin, an ein Seiendes zu glauben, das zwischen uns ungeteilt ist." (Merleau-Ponty 2003, S. 36) Schwierig wird es also, wenn die Verständigung scheitert, wenn die Sprache versagt, weil es ihr nicht gelingt, unsere leibliche Resonanz auf die Welt zum Ausdruck zu bringen. Dann richtet sich die Frage darauf, was wir wirklich wahrnehmen. An drei ausgewählten Beispielen sollen die damit verbundenen Herausforderungen veranschaulicht werden.

    Beispiel 1

    Meyer-Drawe_Beispiel1_grau.png

    Abb. 1: Phänomenale Kausalität (Stadler/Seger/Raeithel 1977, S. 121)

    Dieses Phänomen wird von Massironi und Bonaiuto als „phänomenale Kausalität bezeichnet und meint den Befund, dass wir beim Betrachten obiger Darstellung den Eindruck kaum abwehren können, dass hier ein Keil ein Linienbündel zusammendrückt. Zu rechnen ist wohl kaum mit folgender Beschreibung: „Eine Schar übereinander liegender Linien, die in der Mitte, von oben begonnen, dreiecksförmige Einbuchtungen nach unten besitzen, welche, je tiefer die Linie liegt, immer stärker abgeflacht sind. Die unteren Linien sind gerade und durchgehend. Direkt über der tiefsten Stelle der Einbuchtung der oberen Linie befindet sich ein schrägschraffiertes, gleichseitiges, spitzwinkeliges, aufrecht mit dem spitzen Winkel nach unten stehendes Dreieck [genauer: Dreiecksfeld]. (Ebd., S. 121) In unserem Zusammenhang soll nicht die gestalttheoretische Diskussion dieses Phänomens weitergeführt werden, an der die Autoren interessiert sind. Die wiedergegebene ausführliche Beschreibung soll vielmehr dazu dienen, Befremdung auszulösen; denn üblicherweise sehen wir nicht nach dem Gebot geometrischer Ordnungen. Unsere Empfindungen verweigern sich in gewissem Maße dem begrifflichen Verhör. Die Anstrengung, die unternommen wurde, zu notieren, was wir nur sehen, aber nicht gleichzeitig tasten, ohne es zu deuten, wirkt anstößig, weil es unser „szenisches Gewahren (vgl. Hogrebe 2009, S. 29) ignoriert, das unserer ausdrücklichen Zuwendung zu anderen, zu uns selbst und zu unserer Lebenswelt vorausliegt. „Szenen sind das Primäre für unsere Weltwahrnehmung, nicht die Objekte der Welt oder ihr Mobiliar, […]. (Ebd., S. 50) Wahrnehmen ist nicht Inspizieren. Die Wirklichkeit wird nicht ausgefragt, sondern in bestimmten Kontexten sinnlich erfahren. Etwas weckt unsere Aufmerksamkeit, es spricht uns an, es nimmt eine Bedeutung für uns an. Darüber zu schreiben, meint nicht, Daten zu protokollieren, sondern Wahrnehmungserfahrungen zum Ausdruck zu bringen. „Das bloße Sprechen über die Erfahrung läßt diese verstummen, anstatt ihr zum Ausdruck zu verhelfen." (Waldenfels 1995, S. 107)

    Beispiel 2

    Der Handlungsreisende Matthias in Robbe-Grillets Roman Der Augenzeuge sieht seinem eigenen Handeln zu und notiert: „Mit seiner linken Hand erfaßt er dann den ersten rechteckigen Karton an seiner unteren linken Ecke und hält ihn um fünfundvierzig Grad rückwärts geneigt in Brusthöhe, wobei sich die beiden langen Seiten parallel zur Tischfläche befinden. Mit der rechten Hand erfaßt er zwischen Daumen und Zeigefinger das am oberen Teil des Kartons befestigte Schutzpapier; indem er dieses Papier an seiner rechten unteren Ecke anfaßt, hebt er es an und klappt es um den Rand, an dem es haftet, über die senkrechte Position hinaus. Dann läßt er das Papier los, das mit seinem unteren Rand oben am Karton befestigt bleibt, seine Rotationsbewegung nach hinten von selbst fortsetzt und so schließlich von neuem eine fast senkrechte Position einnimmt, die durch die natürliche Steifheit des Blattes etwas beeinträchtigt wird". (Zit. nach Bonnemann 2016, S. 9f.)¹ Matthias ist der Prototyp eines unbeteiligten Zuschauers. Er übt das reine Beobachten. Interesselos

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1