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Erfahrungen verstehen – (Nicht-)Verstehen erfahren: Potential und Grenzen der Vignetten- und Anekdotenforschung in Annäherung an das Phänomen Verstehen
Erfahrungen verstehen – (Nicht-)Verstehen erfahren: Potential und Grenzen der Vignetten- und Anekdotenforschung in Annäherung an das Phänomen Verstehen
Erfahrungen verstehen – (Nicht-)Verstehen erfahren: Potential und Grenzen der Vignetten- und Anekdotenforschung in Annäherung an das Phänomen Verstehen
eBook625 Seiten5 Stunden

Erfahrungen verstehen – (Nicht-)Verstehen erfahren: Potential und Grenzen der Vignetten- und Anekdotenforschung in Annäherung an das Phänomen Verstehen

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Über dieses E-Book

Die Schwierigkeit, Phänomene des (Nicht-)Verstehens (empirisch) angemessen zu erfassen, wird in diesem Band aus einer breiten (inter-)nationalen und (inter-)disziplinären Perspektive erläutert. Wir alle kennen Erfahrungen des Verstehens und Nicht-Verstehens und wir erfahren diese teilweise als schmerzhaft, beunruhigend oder schwierig. Die Herausforderung, (Nicht-)Verstehen verstehen zu lernen, ist eine respektable. In diesem Band finden sich Grundsatztexte zu unterschiedlichen theoretischen Verständnissen der komplexen Phänomene des Verstehens und Nichtverstehens, forschungsmethodologische Erörterungen angemessener Zugänge zu ihrem empirischen Erfassen sowie praktische Beiträge zur genuin pädagogischen Aufgabe, (fachliche und fachdidaktische) Verstehensprozesse in Unterricht, Schule, Lehrer*innenbildung und Universität zu fördern.
Die internationalen Beiträge aus der Schweiz, aus Deutschland, Südafrika und Griechenland helfen in besonderer Weise, Verstehensprozesse und -erfahrungen in Kontexten über Österreich hinausgehend zu diskutieren. Dass der in Innsbruck entwickelte und in Forschungsgruppen in Brixen, Klagenfurt, Wien und Zürich weiterentwickelte Ansatz der phänomenologischen Vignetten- und Anekdotenforschung für Bildungskontexte über spezifischen Kulturen oder Kontexte hinaus attraktiv ist, ist bemerkenswert. Potential und Grenzen dieses Zugangs werden in vielen Beiträgen nicht nur thematisiert und in unterschiedlichsten theoretischen Ansätzen diskutiert, sondern auch in verschiedensten Bildungskontexten auf seine Wirkmächtigkeit hin erprobt.
SpracheDeutsch
HerausgeberStudienVerlag
Erscheinungsdatum16. Dez. 2020
ISBN9783706561136
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    Buchvorschau

    Erfahrungen verstehen – (Nicht-)Verstehen erfahren - StudienVerlag

    Erfahrungsorientierte Bildungsforschung

    Band 8

    Im Bildungsbereich werden täglich vielfältige Aktivitäten initiiert, Prozesse in Gang gesetzt und Aufgaben bearbeitet. Wenig ist darüber bekannt, wie sie vollzogen werden. Die Reihe „Erfahrungsorientierte Bildungsforschung" erschließt einen in den Bildungswissenschaften vernachlässigten Bereich, indem sie den Erfahrungen

    nachspürt, die sich in Bildung und Erziehung zeigen. Die einzelnen Bände machen die Erfahrungsmomente pädagogischen Handelns versteh- und erfahrbar. Über verdichtete Beschreibungen (z. B. Vignetten, Anekdoten) werden Erfahrungsdimensionen erschlossen, welche zum Überdenken der eigenen pädagogischen Erfahrungen

    beitragen können.

    Herausgegeben von Evi Agostini, Markus Ammann, Siegfried Baur, Hans Karl Peterlini, Michael Schratz und Johanna F. Schwarz

    Impressum

    © 2021 by Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

    E-Mail: order@studienverlag.at

    Internet: www.studienverlag.at

    Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

    ISBN 978-3-7065-6113-6

    Satz: Studienverlag/Da-TeX Gerd Blumenstein, Leipzig

    Umschlag: Maria Strobl – www.gestro.at

    Umschlagfotos: Silke Pfeifer

    Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at.

    Vasileios Symeonidis /Johanna F. Schwarz (Hg.)r

    Erfahrungen verstehen – (Nicht-)Verstehen erfahren

    Potential und Grenzen der Vignetten- und Anekdotenforschung in Annäherung an das Phänomen Verstehen

    Inhaltsverzeichnis

    Cover

    Impressum

    Titel

    Dem Phänomen Verstehen auf der Spur Einführung und Vorwort

    Vasileios Symeonidis, Johanna F. Schwarz

    Literaturverzeichnis

    1. Grundlagen

    Szenisches Verstehen

    Käte Meyer-Drawe

    1. Einfall und Motivation

    2. Szenisches Verstehen

    3. Eine andere Empirie

    Literaturverzeichnis

    Verstehen und Beschreiben.

    Zur phänomenologischen Deskription in der qualitativen Empirie

    Malte Brinkmann

    1. Verschiebungen: Verstehen in der qualitativen Sozial- und Bildungsforschung

    2. Hermeneutische Theorien des Verstehens: Schleiermacher, Dilthey, Gadamer, Buck

    3. Probleme des hermeneutischen Verstehens

    4. Ausgang, Zugang, Durchgang: Das Phänomen zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit

    5. Sagbares und Unsagbares: Signifikative Differenz

    6. Phänomenologische Deskription: mit der Sprache gegen ihre Grammatik

    7. Phänomenologische Reduktion

    8. Variation von Perspektiven – Einlegen von Sinn

    9. Geteiltes Verstehen als Antworten

    10. Schluss

    Literaturverzeichnis

    Schule als Erfahrungsraum für pädagogisches Verstehen

    Sondierungen lernseits von Unterricht

    Michael Schratz

    1. Den Sinn von Schule im Unterricht erfahren

    2. Die Wirkmacht der Tiefenstrukturen von Unterricht

    3. „Welches Lernen wollen wir eigentlich?"

    4. Erfahrungen wirken, aber wie!?

    5. Ausblick

    Literaturverzeichnis

    2. Methodologische Annäherungen an Phänomene des Verstehens

    Anders wahrnehmen und anderes verstehen am Beispiel der Vignettenforschung ‚Nah am Werk‘

    Evi Agostini, Agnes Bube

    1. Kunstvermittlung ‚Nah am Werk‘ und Vignettenforschung

    2. Projektbeginn: Forschung im Sprengel Museum Hannover

    2. 1. Vignette und Vignetten-Lektüre zum Aufforderungscharakter von Ding, Welt und Anderen

    Beispielvignette: What Could Make Me Feel That Way A von Richard Deacon

    2. 2. Durch Kunst anders wahrnehmen und anderes verstehen

    3. Projektfortführung: Praxisforschung an der Universität Wien

    3. 1. Forschungsbezogen lehren – wahrnehmungsorientiert lernen

    3. 2. Über Lernen, Lehren und Forschen neu und anders wahrnehmen hin zu einer professionellen pädagogischen Wahrnehmung

    Beispielvignette: Maraika und Der Pfau von Natalija Gontscharowa

    Vignette: Sanela und der erste Schnee

    Vignette: Beni und der erste Schnee

    4. Fazit: Anders wahrnehmen und anderes verstehen

    Literaturverzeichnis

    Szenisches Mitfühlen als Sprache des Unterdrückten

    Auslotung performativer Verstehensmöglichkeiten am Beispiel einer Vignette – ein Versuch

    Daniela Lehner, Hans Karl Peterlini

    1. Theoretische Begründung: Verstehen und (Nicht-)Verstehen

    2. Szenisches Verstehen und performative Phänomenologie

    3. Vignette und Vignettenlektüre: Kaputte Städte oder Schöne Städte

    3. 1. Vignette – Kaputte Städte oder Schöne Städte

    3. 2. Nachstellen der Vignette im Workshop

    3. 3. Nachgängige Gedanken der Teilnehmenden des Symposiums

    3. 4. Lektüre und Deutungen der Vignette

    4. Abschlussgedanken

    Literaturverzeichnis

    Miterfahrung als Schlüssel zum Verstehen.

    Vom Potential der phänomenologischen Vignetten- und Anekdotenforschung zur Annäherung an ein komplexes Phänomen

    Gabriele Rathgeb, Johanna F. Schwarz

    1. Verstehen als Assimilation und Zerstörung des Fremden

    2. Verstehen und Verständigung

    3. Phänomenologische Vignetten- und Anekdotenforschung

    3. 1. Vignetten – Instrumente zur Erfassung von Erfahrungsdimensionen von Bildungsphänomenen in medias res und in statu nascendi

    3. 2. Anekdoten – Instrumente zum Erfassen erzählter und erinnerter Erfahrung in Bildungskontexten

    4. Abschließende Bemerkungen: Zugang zu fremden Erfahrungen durch Vignetten und Anekdoten

    Literaturverzeichnis

    Words of wellbeing: Using vignettes to capture meaningful moments in an African context

    Irma Eloff

    1. Introduction

    2. Background to the project

    3. Capturing vignettes on student wellbeing

    Vignette 1

    Vignette 2

    4. The questions

    How much of what the researcher observes is because of his or her own professional background?

    Should a vignette researcher focus on one individual only?

    Is it best to capture observation notes in the mother language of the researcher, or in the language in which the vignette will be written?

    5. Conclusion

    References

    Erinnerte Erfahrung reflektieren

    Anekdote und Erinnerungsbild als Reflexionsinstrumente in der Lehrer*innenbildung

    Silvia Krenn

    1. Über das Reflektieren für den Lehrberuf

    2. Theoretische Annäherung an das Reflektieren

    Handelt es sich bei der Reflexion um ein Werk des Verstandes?

    Richtet sich die Reflexion auf Vergangenes?

    Beinhaltet Reflexion Kritik und eine Bewertung in richtig und falsch, gut oder schlecht?

    3. Trennung von Ereigniserzählung und reflexiver Auslegung

    4. Erinnerungsbild und Anekdote – Erzählungen erinnerter Ereignisse

    4. 1. Das Erinnerungsbild

    Beispiel eines Erinnerungsbildes

    4. 2. Die Anekdote

    Beispiel Anekdote

    5. Die Lektüre – reflexive Zugriffe auf erzählte Ereignisse

    5. 1. Lektüre des Erinnerungsbildes – Fokus: Bildende Erfahrung

    6. Abschließende Bemerkungen

    Literaturverzeichnis

    3. Phänomene des Verstehens in der Lehrer*innenbildung

    Blickwechsel. Wahrnehmen – Beobachten – Verstehen.

    Ein Ausstellungskonzept im Workshop-Format

    Silke Pfeifer

    1. Das Wissen auf die Bühne bringen

    2. Staging Knowledge im schulischen Unterricht und in der Lehrer*innenbildung

    3. Arbeit mit Bildern und sprachliche Verknüpfung

    4. Workshop Blickwechsel. Wahrnehmen – Beobachten – Verstehen

    5. Workshop-Ergebnisse

    6. Resümee und Ausblick

    Literaturverzeichnis

    Bildnachweis

    Keine Ahnung! – Ein Werkstück verstehen lernen

    Ein Lehrbeispiel für die Lehrer*innenbildung in der Berufsbildung

    Anja Thielmann

    1. Einleitung

    2. Verstehenszugänge

    3. Vom Üben und Verstehen

    4. Phänomenologisch orientierte Vignettenforschung

    Vignette – Rocco

    Vignettenlektüre als Deutungszugang

    Verstehensorientierte Vignettenlektüre

    5. Implikationen für Lernen und Lehren

    6. Abschließende Bemerkungen

    Literaturverzeichnis

    Kritische Ereignisse in Schulpraktika: Über die Anstrengung, pädagogische und didaktische Dimensionen im Schulkontext zu verstehen

    Vassiliki Papadopoulou, Vasileios Symeonidis

    1. Einführung

    2. Forschungsergebnisse aus der Lehrer*innenbildung

    3. Das Schulpraktikum an der Universität von West-Mazedonien

    4. Kritische Ereignisse aus den Praktikumstagebüchern angehender Lehrer*innen an der Universität von West-Mazedonien

    5. Ergebnisse und Diskussion

    6. Vom Verhältnis von CIT zur in Österreich entwickelten phänomenologischen Vignetten- und Anekdotenforschung

    7. Schlussfolgerungen

    Literaturverzeichnis

    Lernseitsorientierte Fallstudien als Instrument zur Sichtbarmachung studentischen (Nicht-)Verstehens im Lehramtsstudium

    Mishela Ivanova

    1. Einleitung

    2. Beschreibung, Erfassung und Förderung pädagogischer Kompetenzen

    3. Lernseitsorientierte Fallstudien im Rahmen der Lehrer*innen-Bildung an der Universität Innsbruck

    4. Überlegungen zum Untersuchungsdesign

    5. Darstellung der Ergebnisse

    Rollenwechsel von Schüler*in zu*r Lehrer*in

    Überidentifikation mit der Lehrer*innenrolle bei gleichzeitiger Ausblendung der Schüler*innenperspektive

    Konstruktion eines Rollenverständnisses, das Lehrpersonen als unfehlbar und unantastbar proklamiert

    Tendenz zur lehrseitigen Betrachtung des Unterrichts

    Verortung von Unterrichtsstörungen und ihrer Ursachen ausschließlich auf Seiten der Schüler*innen

    Externe Attribuierung

    Negative Menschenbildannahmen und transmissive Überzeugungen

    6. Fazit

    Literaturverzeichnis

    4. Interdisziplinäre Perspektiven auf Phänomene des Verstehens

    Embodied Cognition, Affekt und Verstehen

    Zur Herleitung eines (literaturbezogenen) Verstehensmodells aus der Philosophie der Verkörperung

    Johannes Odendahl

    1. Einleitung

    2. Verstehen als mentaler Modellbau: Zu einer kognitionspsychologischen Konzeption des Textverstehens

    3. Verstehen als körpergebundenes Phänomen: Ansätze der Embodied Cognition

    4. Fortspinnungen von Johnsons ‚verkörpertem‘ Kognitionsbegriff: Zur Rolle von Subjektivität, Affekt und Emotion für das Verstehen

    5. Eine modellhafte Veranschaulichung

    6. Didaktische Folgerungen

    6. 1. Zum Verhältnis von (,pragmatischem‘) Handlungs- und (,referentiellem‘) Sprachverstehen

    6. 2. Affektives Verstehen als Richtungsgeber für Bildungsprozesse

    7. Resümee und Ausblick

    Literaturverzeichnis

    Verstehende Diagnostik

    Pädagogische Erfahrungen mit Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Erkrankungen im Kontext von Schule und Behinderung

    Thomas Hoffmann

    1. Intellektuelle Behinderung und psychische Erkrankung

    2. Deprofessionalisierungsfallen

    3. Methodische und methodologische Grundsätze

    3. 1. Pädagogisches Handeln

    3. 2. Außensicht

    3. 3. Innensicht

    3. 4. Theoretische Rekonstruktion

    4. Zusammenfassung und Schluss

    Literaturverzeichnis

    Führen als responsives Geschehen

    Dem Phänomen ‚Führen‘ auf der Spur

    Niels Anderegg

    1. Führung und Lernen

    2. Netzwerktheorie von Harrison White

    3. Führen phänomenologisch betrachtet

    Vignette

    4. Führen als responsives Geschehen

    5. Abschließende Bemerkungen

    Literaturverzeichnis

    Potenziale und Grenzen von „Oral History" im Kontext biographischer Rekonstruktionen

    Ein theoretischer und empirischer Beitrag zu den Phänomenen des (Nicht-)Verstehens von Einflüssen religiöser Aspekte auf die Lebensgestaltung

    Alina Knoflach

    1. Einleitende Problemstellung

    2. Forschungsstand

    3. Auswahl der Methode: Oral History

    3. 1. Grenzen und Potenzial der Oral History

    3. 2. Oral History als Methode um Erfahrungen zu verstehen, oder das (Nicht-)Verstehen zu erfahren

    4. Auswahl der Kategorien und Interviewpartner*innen

    4. 1. Mehrdimensionale Verstehensebene als forschungsmethodologisches Spezifikum

    5. Geographische Kategorie

    6. Wechselwirkung: soziale und religiöse Kategorie

    7. Religiosität als sinngebender und identitätsstiftender Lebensaspekt

    8. Religion als ritualisierter Einflussfaktor auf die Lebensgestaltung

    9. Religion als Abbild individueller und historischer Entwicklungen

    10. Gemeinsamkeiten in der Lebensgestaltung der fünf Interviewten unter dem Einflussfaktor der Religionen

    11. Fazit

    Literaturverzeichnis

    Erfahrungsdimensionen des Phänomens häuslicher Gewalt verstehen lernen

    Julia Ganterer

    1. Häusliche Gewalt – Annäherung an einen schillernden Begriff

    2. Zugang zum Phänomen

    3. Schlussbetrachtung: Vignetten- und Anekdotenforschung als Medium zur Annäherung an ein schillerndes Phänomen

    Literaturverzeichnis

    Autorenspiegel

    In memoriam

    Prof. Vasiliki Karavakou.

    In der gemeinsamen Zeit und in anregenden Gesprächen im

    Rahmen des 4. Internationalen Symposiums der phänomenologischen

    Vignetten- und Anekdotenforschung

    „Erfahrungen verstehen – (Nicht-)Verstehen erfahren"

    im August 2019 durften wir dich als ausgezeichnete Forscherin,

    geschätzte Kollegin und liebe Freundin kennenlernen.

    Wir werden dir ein würdigendes Andenken bewahren.

    Dem Phänomen Verstehen auf der Spur

    Einführung und Vorwort

    Vasileios Symeonidis, Johanna F. Schwarz

    „Was aber heißt das: etwas zu verstehen?" – diese Anspielung auf den titelgebenden Beitrag von Käte Meyer-Drawe zum Phänomen Wahrnehmung (vgl. 2020a, S. 13 ff) eröffnet die folgenden Überlegungen. Diese Frage thematisiert die Schwierigkeit, das Verstehen eindeutig bestimmen zu können und deutet die Vielschichtigkeit der Antwortmöglichkeiten an. Verstehen und Wahrnehmen sind eng miteinander verknüpft und das Verstehen beginnt im Bereich der Wahrnehmung: Indem wir mit unseren Sinnen und mit unserem Leib, Andere und Anderes auffassen und einen Bezug mit der uns umgebenden Welt herstellen, beginnen wir zu verstehen. Die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten für das Verstehen sind allerdings begrenzt; so sind es gerade leibliche, zeitliche, räumliche und relationale Artikulationsweisen von Verstehens- oder (Nicht-)Verstehenserfahrungen, die weitere Ausdrucksmöglichkeiten eröffnen.

    Die phänomenologische Vignetten- und Anekdotenforschung ist in der Zuwendung zu Erfahrungsdimensionen von Bildungsphänomenen genuin geeignet, den sozusagen noch stummen (Verstehens-)Erfahrungen zum Ausdruck zu verhelfen, in den Grenzen, in denen sie sich zeigen und damit zugänglich werden für eine (wissenschaftliche) Betrachtung (vgl. Husserl zit. nach Waldenfels 2019, S. 9; Merleau-Ponty 1966). Inwiefern ist eine Aufmerksamkeit auf Erfahrung im Vorhaben, sich dem Phänomen Verstehen nähern zu wollen? Verstehen, wie Lernen, Wahrnehmen oder Vertrauen, sind komplexe Phänomen, die nur zugänglich werden in konkreter menschlicher Erfahrung. In dem, was uns an Verstehen gelingt und wie dieses misslingt, in dem was uns dabei widerfährt, was uns irritiert, herausfordert oder befremdet, zeigen sich wichtige Facetten, die ein so komplexes Phänomen bestimmen helfen. Es ist ein wenig so wie die hundert Bezeichnungen für Schnee, die den Inuit zugeschrieben werden. Die Vielfalt der Erscheinungsformen von Schnee sind nicht in einen Begriff zu fassen; die Benennung der subtilen Schattierungen von Schnee zusammengenommen ergeben ein vollständigeres Bild. In diesem Sinne tragen die Anstrengungen der Beitragenden in diesem Band aus den unterschiedlichen Arbeits-, und Forschungskontexten bei, vielfältige Bestimmungen dieses Phänomens zu erreichen.

    Der Anspruch, etwas verstehen zu wollen, kommt überhaupt erst mit dem Eintritt des Anderen als dem Fremden ins Spiel. Das Verstehen des Anderen ist in Ansätzen wahrnehmbar, weil wir es auf gewisse Weise bezeugen können. Wenn wir von Szenen ausgehen und das tun wir, wenn wir (Mit-)Erfahrung in Anekdoten und Vignetten verdichten, braucht es eine angemessene Sicht- und Deutungsweise, um dem Gehalt dieser Szenen näher zu kommen; sie gleichsam zu verstehen. Verstehen ist im Miterfahren von Erfahrungen ein weitreichender Aneignungsprozess. Dabei steht das pathische Moment – als Brüchigkeiten, Widerfahrnisse oder sinnliche Einschlüsse – im Vordergrund, weil das Affiziertwerden von etwas (Un-)Verstehbarem immer auch ein Ausgeliefertsein bedeutet. Der Umstand, dass ein Verstehen-Wollen oft einem Verfügen-Wollen gleichkommt, das gewaltsame Züge annehmen kann, und dass der Andere nicht verstehbar ist, erhöht die Komplexität dieses Phänomens. Erfahren, Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Handeln sind Vollzüge, die nicht mit sich selbst beginnen, sondern immer schon verspätet sind. Für menschliches Verstehen gilt diese paradoxe Verspätung ebenso. Wenn wir uns unserem Verstehen ausdrücklich zuwenden, hat es bereits begonnen.

    Käte Meyer-Drawe folgend wird im vorliegenden Band dem Szenischen Verstehen besondere Aufmerksamkeit zuteil. Schon das 4. Internationale Symposium der phänomenologischen Vignetten- und Anekdotenforschung „Erfahrungen verstehen – (Nicht-)Verstehen erfahren" im August 2019 an der Universität Innsbruck stand im Zeichen des Szenischen Verstehens, weil sich dieses in besonderer Weise mit dem trächtigen Erfahrungsgehalt der Szenen in Vignetten und Anekdoten verbinden lässt. Szenisches Verstehen ist ein Begriff, den Alfred Lorenzer aus psychoanalytischer Sicht geprägt und Wolfram Hogrebe philosophisch vertieft hat (vgl. Meyer-Drawe 2020b, S. 20). Dass wir uns nach vollständigem Verstehen oder Verstanden-Werden sehnen ist verständlich, aber szenisches Verstehen macht deutlich, dass sich dieses eher als Erahntes oder Vermutetes zeigt, denn als gesicherte Erkenntnis (ebd.). Es handelt sich um eine Art Schwelle zwischen Verstehen und (Nicht-)Verstehen, zwischen Verstanden-Werden und der Grenze des Verstehbaren (vgl. Peterlini 2020).

    Hogrebe, so Meyer-Drawe, erinnert an die Herausforderung, (Verstehens-)Erfahrungen sprachlich adäquat zu artikulieren (vgl. 2020). Vignetten- und Anekdotenschreibende finden sich bei der Suche nach Sprachbildern, welche sinnliche Erfahrungen nicht in eindeutigen Begriffen aufgehen lassen, vor ähnliche Herausforderungen gestellt, wenn sie dem leiblich Wahrgenommenen zum Ausdruck verhelfen wollen. In der Einbeziehung von Blicken, Stimmlagen, Sprechmelodie, Sprechtempo, Sprechpausen, Gebärden, Gesten oder Mimik werden vielschichtige Erfahrungs- und Verstehensmöglichkeiten sichtbar. In den Szenen der Vignetten und Anekdoten werden verschiedenste Beziehungsgefüge deutlich; dies ist ein Verweis darauf, dass wir als leibliche Wesen in soziale Kontexte verstrickt sind, die unser Verständnis für uns selbst und andere maßgeblich bestimmen.

    Dieser Band der Reihe Erfahrungsorientierte Bildungsforschung gliedert sich in vier Abschnitte. Im Abschnitt Grundlagen schafft Käte Meyer-Drawe mit ihrem Beitrag Szenisches Verstehen nicht nur ein zentrales Verständnis für die weiteren Beiträge, sie stellt auch einen deutlichen Konnex zur phänomenologischen Vignetten- und Anekdotenforschung her. Malte Brinkmann untersucht in einer grundlagentheoretischen und methodologischen Perspektive das Verhältnis von Verstehen und Beschreiben, wobei er hermeneutische und phänomenologische Zugänge dazu unterscheidet. Michael Schratz diskutiert Schule als Erfahrungsraum für pädagogisches Verstehen und betont die Bedeutung von bildenden Erfahrungen für das Verstehen schulischer Tiefenstrukturen.

    Im zweiten Abschnitt des Buches – Methodologische Annäherungen an Phänomene des Verstehens – zeigen Evi Agostini und Agnes Bube am Beispiel eines Projektes im Bereich von Universität und Museum, wie die phänomenologische Vignettenforschung dazu beitragen kann, anders wahrzunehmen und anderes zu verstehen. Daniela Lehner und Hans Karl Peterlini schreiben von der Ermöglichung eines leiblichen Ausdrucks unausdrücklicher Erfahrungen (von Unterdrückung) durch performatives, szenisches Nachspielen einer Vignettenszene. Gabriele Rathgeb und Johanna F. Schwarz erörtern die Bedeutung der Miterfahrung in der Vignetten- und Anekdotenforschung als Schlüssel für die Annäherung an das Phänomen Verstehen. Irma Eloff erörtert methodologische Fragen beim Einsatz der Vignettenforschung zur Erfassung psychologischer Erfahrungen zu student wellbeing in Südafrika. Silvia Krenns Beitrag zu Erinnerungsbild und Anekdote als Instrumente zur produktiven Reflexion in der Lehrer*innenbildung leitet über zum dritten Teildes Bandes.

    Im Abschnitt Phänomene des Verstehens in der Lehrer*innenbildung stellt Silke Pfeifer das Ausstellungs- und Vermittlungsformat Staging Knowledge in seiner Wirkmächtigkeit für die Anwendung in der Lehrer*innenbildung vor. Anja Thielmann erörtert Potential und Grenzen der Vignetten- und Anekdotenforschung für Erfahrungen des Verstehens oder Nicht-Verstehens im Bereich der Berufsbildung. Zur Untersuchung pädagogischer und didaktischer Phänomene an der Universität von West-Mazedonien verknüpfen Vassiliki Papadopoulou und Vasileios Symeonidis die Critical Incident Technique (CIT) mit der phänomenologischen Vignettenforschung. Mishela Ivanova untersucht die Wirkmächtigkeit lernseits orientierter Fallstudien für die Annäherung an studentische Verstehensprozesse.

    Der vierte und abschließende Teil des Buches stellt Interdisziplinäre Perspektiven auf Phänomene des Verstehens vor. Johannes Odendahl zeigt die Grenzen eines kognitionspsychologischen Verstehensmodells auf, wie es derzeit die deutschdidaktische Theoriebildung bestimmt, und skizziert am Leitfaden der Embodied Cognition einen leib- und emotionsbezogenen Verstehensbegriff mitsamt einigen didaktischen Konsequenzen. Thomas Hoffmann entwirft ein Rahmenmodell Verstehender Diagnostik und votiert für einen pädagogisch produktiven Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Erkrankungen. Niels Anderegg nähert sich dem Phänomen Führung aus phänomenologischer und netzwerktheoretischer Sicht. Alina Knoflach erörtert anhand des forschungsmethodologischen Zugangs der Oral History Phänomene des (Nicht-)Verstehens in Bezug auf religiöse Lebensführung. Julia Ganterer widmet sich dem Thema häusliche Gewalt und fokussiert dabei unterschiedliche Erfahrungsdimensionen.

    Was aber heißt das: etwas zu verstehen? Genau lässt sich das immer noch nicht sagen, aber die Beiträge dieses Bandes werfen wesentliche Schlaglichter auf unterschiedlichste Facetten dieses rätselhaften Phänomens aus den verschiedensten Bildungs- und Forschungskontexten. Sollten Sie, geschätzte Leser*in, angeregt sein, die Fragestellungen weiterzudenken, ist die Übung gelungen.

    Literaturverzeichnis

    Merleau-Ponty, Maurice. Phenomenology of Perception. Trans. by Colin Smith. London, New York 1966.

    Meyer-Drawe, Käte. Was aber heißt das: etwas wahrzunehmen? In: Hans Karl Peterlini/Irene Cennamo/Jasmin Donlic (Hg.). Wahrnehmung als pädagogische Übung. Theoretische und praxisorientierte Auslotungen einer phänomenologisch orientierten Bildungsforschung. Erfahrungsorientierte Bildungsforschung, Bd. 7. Innsbruck, Wien 2020a, S. 7–24.

    Meyer-Drawe, Käte. Szenisches Verstehen. In: Vasileios Symeonidis/Johanna F. Schwarz (Hg.). Erfahrungen verstehen – (Nicht-)Verstehen erfahren. Potential und Grenzen der phänomenologischen Vignetten- und Anekdotenforschung in Annäherung an das Phänomen Verstehen. Erfahrungsorientierte Bildungsforschung, Bd. 8. Innsbruck, Wien 2020b, S. 17–27.

    Peterlini, Hans Karl. Der zweifältige Körper. Die Leib-Körper-Differenz als diskriminierungskritische Perspektive – Vignettenforschung zu Rassissmuns, Sexismus und Behinderung. In: Hans Karl Peterlini/Irene Cennamo/Jasmin Donlic (Hg.). Wahrnehmung als pädagogische Übung. Theoretische und praxisorientierte Auslotungen einer phänomenologisch orientierten Bildungsforschung. Erfahrungsorientierte Bildungsforschung, Bd. 7. Innsbruck, Wien 2020, S. 25–45.

    Waldenfels, Bernhard. Erfahrung, die zur Sprache drängt. Studien zur Psychoanalyse und Psychotherapie aus phänomenologischer Sicht. Frankfurt am Main 2019.

    1. Grundlagen

    Szenisches Verstehen

    Käte Meyer-Drawe

    „Eine Erfahrung, gegen die man sich nicht gewehrt hat, ist keine Erfahrung. Eine Einsicht, die man nicht wahrhaben will, ist keine Einsicht.

    Ein Schmerz, den man vergißt, ist kein Schmerz."

    (Canetti 1999, S. 31)

    „Auf Erfahrungen kann man sich nur beziehen, nicht berufen."

    (Benyoëtz 1990, S. 84)

    In den folgenden Überlegungen sollen einige Vermutungen zur Besonderheit der Vignettenforschung Innsbrucker, Brixener und Klagenfurter Provenienz zur Diskussion gestellt werden. In einem ersten Schritt wird erläutert, woher der Einfall und die Motivation stammen, über szenisches Verstehen im Zusammenhang mit der Vignettenforschung nachzudenken. Im zweiten Teil soll das Konzept szenischen Verstehens dargelegt werden, um schließlich im dritten Abschnitt den Gedankengang mit einigen Überlegungen zu einer anderen Empirie zu schließen.

    1. Einfall und Motivation

    Der Einfall, über szenisches Verstehen nachzudenken, ist Hans Karl Peterlini zu verdanken, der sich unter anderem der szenischen Theaterarbeit als einer performativen Möglichkeit phänomenologischer Lernforschung zuwendet. Er schreibt: „Das performative In-Szene-Setzen einer Vignette, einer Mikrohandlung daraus, erlaubt es, Erkenntnisse über die Vignette hinaus im Raum entstehen zu lassen und nachfühlbar zu machen, die Komplexität einer solchen Dynamik auf immer neue Facetten und Feinprozesse zu untersuchen – nicht als Ausdeutung des Geschehenen, sondern als Erweiterung der eigenen Verstehens- und Handlungsmöglichkeiten. (Peterlini 2017, S. 53) Es leuchtet sofort ein, dass in solchen Inszenierungen der Sinnlichkeit des Erfahrens ein besonderes Gewicht zukommt. Nun kann man wirklich die Faust heben, am Saum des Pullovers zupfen, das Haar hinters Ohr streichen, die Augen zusammenkneifen, die Stimme erheben, Scham oder Zorn ausdrücken, mit dem Blick die Tischplatte durchbohren, gähnen, grinsen, schlendern, auf etwas oder jemanden zusteuern, ihn oder sie berühren, sanft oder heftig, räuspern und weiteres mehr. Dabei ist es beispielsweise etwas anderes, wenn ich gestisch kommentierend hüstele, oder meine Erkältung diese Geräusche verursacht. Diese Nuancen sind allein sprachlich nur sehr schwer einzufangen. Die Expressivität des Leibes ist hier überlegen. Zwischenleibliche Konfigurationen, etwa eine „betroffene Stille, besänftigende oder abwehrende Berührungen oder Blicke, die sich kreuzen, können jedoch aus eigener Erfahrung nachempfunden werden. Akteur*innen konstituieren sich selbst, „indem sie auf die Situationen antworten, in die sie zugleich verstrickt sind" (ebd.). Das Wörtchen indem ist wichtig, weil es uns hilft, bornierte Alternativen außer Kraft zu setzen, etwa jene von aktiv und passiv oder von Subjekt und Objekt. Keine der Alternativen rangiert in konkreten Kontexten vor den anderen. Sie realisieren sich durcheinander.

    Solche Schauspiele sinnlicher Reinszenierungen setzen voraus, dass Vignetten selbst szenischen Charakter haben. Das wird von Forscher*innen mitunter intuitiv bemerkt. So spricht Johanna F. Schwarz von „Vignettenszenen und liest Vignetten im Hinblick auf heikle Stationen, die wie etwa Begrüßungsszenen (vgl. Schwarz 2018, S. 133 ff.) kritische Momente der Begegnung bedeuten, in der Zuschreibungen eine besonders große Rolle spielen und oft langfristige Folgen haben. Auch Horst Rumpf spricht bei seinen Vignettenlektüren von „Szenarien (Rumpf 2012, S. 93). Diesem szenischen Charakter der Vignetten muss durch ein besonderes Verstehen, von dem im zweiten Teil die Rede sein soll, Rechnung getragen werden.

    Motiviert sind die Darlegungen durch die Beobachtung, dass Vignettenforscher*innen nicht selten im Vergleich zu anderen qualitativ empirisch Forschenden eine eher defensive Haltung einnehmen. Sie beugen sich damit einem Maßstab, der nicht selbstverständlich ist, nämlich dem Vorrang der Objektivität von Erkenntnissen, die sich in Aussagen überführen und damit als wahr oder falsch beurteilen lassen, vor Erfahrungen, die erzählt werden. Vielleicht mitunter unbemerkt schleichen sich dabei Hierarchien ein, deren Gültigkeit zweifelhaft ist. So herrscht etwa die Überzeugung, dass operationalisierbare und quantifizierbare Datenerhebungen eher wissenschaftliche Anerkennung verdienen als die Kunst des Erzählens, wie sie in Vignetten ihren Ort findet.¹ Es stimmt: Daten sollen grundsätzlich unabhängig von denjenigen sein, die sie gesammelt haben. Aber: „Der Mensch, auch der Empiriker, muß ‚seine‘ Welt schon haben, wenn ihm ‚die‘ Welt gesprächig werden soll. (Blumenberg 1998, S. 39, Anm.) Vignetten würdigen diese Welthabe, diese Fusion mit der Welt und werden angesichts der Verankerung in unserer Lebenswelt geschrieben und gelesen. Deshalb bewahren sie die Spuren der nichttheoretischen situativen Bedingungen sowie die habituellen Investitionen der Schreiber*innen, auch wenn sie sich strikt auf die Deskription konzentrieren. Sie blicken nicht „hinter die Situationen, sondern auf sie. Sie vertiefen sich in die Oberfläche. (Vgl. Buchholz 2019, S. 420) Um es mit Gaston Bachelard zu formulieren: Sie schauen auf die Blume und erklären diese nicht aus dem Dünger. (Vgl. Bachelard 1994, S. 20) Im Wahrnehmen selbst sind Verstehensbereitschaften am Werk, die sich nicht isolieren lassen und von Ordnungen des Sehens, Hörens, Riechens, Schmeckens und Tastens in Beschlag genommen werden. Diese Konstellationen veranlassen, was überhaupt bemerkt wird und was unbeachtet bleibt. Vignettenschreiber*innen sind aus dieser Perspektive bewegt von einem szenischen Verstehen, das in ganz bestimmte Beziehungen eingebettet ist und dem eine letzte Gestalt versagt bleibt.

    2. Szenisches Verstehen

    Szenisches Verstehen ist ein Begriff, den Alfred Lorenzer aus psychoanalytischer Sicht geprägt hat, der aber insbesondere durch die Analysen von Wolfram Hogrebe eine erhebliche philosophische Vertiefung erfahren hat, und zwar nicht nur für die Philosophie selbst, sondern auch für solche praktischen Wissenschaften wie die Medizin, die Jurisprudenz, aber eben auch die Erziehungswissenschaft, die er als „szenisch verankerte Bemühungen" (Hogrebe 2009, S. 99) charakterisiert. In diesen Disziplinen spielt die Urteilskraft, die nicht zu automatisieren und nicht zu delegieren ist, eine entscheidende Rolle. Sie bleibt an die konkrete Situation gebunden. Ihre spezifische Leistung besteht darin, das Besondere unter der Hinsicht eines Allgemeinen zu fassen. Kant unterscheidet zwischen dem bestimmenden und dem reflektierenden Aspekt der Urteilskraft. Im ersten Fall ist die Anwendung von Regeln des Verstandes auf die Situation gemeint, im zweiten wird die komplizierte Lage angesprochen, dass das Allgemeine noch nicht gegeben und allererst aufzuspüren ist. Es wird im Suchen gefunden. Diese Urteilskraft oder dieses Taktgefühl sind nicht unter Regeln zu bringen. Sie zeichnen sich durch ihre Empfänglichkeit für die Fülle der Lebenswirklichkeit aus. Es ist ihnen eigentümlich, dass sie einen Zwischenraum zwischen Sinnlichkeit und Begrifflichkeit ausfüllen. Hogrebe erinnert immer wieder daran, dass dieses Zwischenreich eine enorme Herausforderung an eine adäquate sprachliche Artikulation bedeutet und dass es ohne Sprachbilder, die sich zwischen Begriffen und sinnlichen Erfahrungen ansiedeln, nicht zu einem angemessenen Ausdruck kommt. Er gibt sogleich in Anlehnung an Stefan George ein eindrucksvolles Beispiel für diesen Umstand: „Zwischen Fußsohle und Boden sorgt das Szenische für eine Differenz, die der Teppich des Lebens ist." (Ebd., S. 100)

    Vignettenschreiber*innen sind sich in diesem Punkt einig. Stellvertretend lasse ich Evi Agostini zu Wort kommen: „Damit sind Vignetten das eindringliche Dokument eines Ringens mit der Sprache, einer manchmal widerborstigen und knotigen Sprache, immer auf der Suche nach einem reicheren und treffenderen Ausdruck, um Lernen in seiner Verwicklung mit der Welt und in seinen vielfältigen Erscheinungsformen zu beschreiben." (Agostini 2017, S. 27) Hier gleichsam reflexhaft den Verdacht des Subjektivismus vorzubringen, ist voreilig und bleibt in überlieferte Alternativen verstrickt, die im szenischen Verstehen gerade überwunden werden sollen. Mit der Beachtung des szenischen Charakters jeden Verstehens wird wie mit der Rückeroberung des Medialen, das weder nur aktiv noch nur passiv ist, der Versuch unternommen, die Tyrannei dualer Gewohnheiten zu durchbrechen. Es geht nicht um subjektiv oder objektiv, um aktiv oder passiv, um wahr oder falsch. Die Griechen der Klassik kannten in ihrer Grammatik das Medium. Wahrnehmen etwa, das Verb aisthanomai, ist ein Medium, d. h. es liegt zwischen dem bloß Aktiven und dem lediglich Passiven. Damit das Wahrnehmen ein Nehmen vollziehen kann, muss sich ihm etwas geben. Es bezeichnet damit einen Vorgang, bei dem das Subjekt etwas vollbringt, „was sich an ihm vollzieht" (Benveniste 1974, S. 194). Erwachen ist ein solcher Vollzug, in den jemand involviert ist, ohne die Initiative zu ergreifen. Erwachen ist eine szenische Zuwendung zur Welt, die jeder ausdrücklichen Thematisierung vorausliegt. „Wir finden uns in eine unbestimmte Weltstellung hineingeboren, die dennoch andeutende Kraft hat. (Hogrebe 2009, S. 29) Andeutungen sind auf dem Wege zu Bedeutungen. Diese Weise der Weltzuwendung ist deshalb nicht frei von jedem Verstehen, sondern ein Ahnen, Mutmaßen und Fühlen, frei von Begriffen und doch nicht ohne Sinn. „Was immer Menschen sind, sie sind in ihren Kontexten so verankert, daß sie sich weitgehend aus eben diesen verstehen. Da diese Verankerung in geteilten Lebenswirklichkeiten zumindest partiell auch außen sichtbar ist, werden Menschen von ihresgleichen auch aus diesen Kontexten verstanden. (Ebd., S. 18) Damit ist ein wesentlicher Grundzug von Vignetten genannt. Nicht-Wissen bedeutet für sie keine Unkenntnis, „sondern die schwierige Leistung des Überwindens der Kenntnis (Bachelard 1994, S. 22). Was man zu kennen meint, will man nicht kennen lernen. Jacqueline Baum und Ruth Kurz, die in ihren Untersuchungen den kleinen Lou vom 13. bis zum 18. Monat beim Kritzeln auf einem Tafelfeld, das auf dem Boden liegt, begleiten und in Videoaufnahmen festhalten, markieren die zentrale Schwierigkeit der Transkription von konkreten Wahrnehmungssituationen: „Das verlangt eine Haltung, die nicht von vornherein verstehen will, sondern sich dem überlässt, was sichtbar wird. (Baum/Kunz 2007, S. 20) Diese Erfahrung können Vignettenschreiber*innen vermutlich teilen. Um sich vom anderen überraschen lassen zu können, muss man die eigenen Wahrnehmungsneigungen und -erwartungen unter Verdacht stellen, vor allem den Versuch unternehmen, darauf zu verzichten, von sich auf andere zu schließen. Wir neigen nämlich im Alltäglichen dazu, unsere Sicht der Dinge normativ zu verallgemeinern. Dadurch geraten wir in die Gefahr, blind zu werden für die Abweichungen. Diese zeigen sich in den Handlungskontexten, wenn man situationssensibel die kleinen Zeichen wahrnimmt: die Choreografie der Blicke, die unreflektierten Berührungen, das Spiel der Hände, den Umgang mit den Dingen, Kontaktaufnahmen und -verweigerungen, Tonlagen, Stimmungen. Vignettenforscher*innen setzen sich damit Bedingungen aus, die niemals vollständig auf den Begriff zu bringen sind. Sie stellen sich „einer mit Händen zu greifenden Wucht des Gegebenen" (Gehring 2011, S. 31). Im Hinblick auf sinnliche Wahrnehmungen bedeutet das: Etwas wird in dem Sinne empfunden, zu dem das Bemerkte herausfordert. Etwas kann uns abstoßen, ansprechen, fesseln, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Wir sind eingenommen, ohne unbedingt voreingenommen zu sein. Mit dieser Entmachtung eines bloß objektivierenden Zugriffs ist nicht ausgeschlossen, dass aufgrund von unerwarteten Widerfahrnissen das Ziel des Weges nicht erreicht wird. Damit ist eine Möglichkeit offengehalten, auch die pathische Struktur mitzuberücksichtigen, die vornehmlich darin besteht, etwas zu vollbringen, was man nicht selbst in Gang gesetzt hat. Im Pathos wird man von einem Widerfahrnis getroffen, das jedem spontanen Akt zuvorkommt. Hier meldet sich eine gewisse Auslieferung des Menschen an seine Welt, die auch ein Erleiden meint (vgl. Busch 2017, S. 52), das er nicht ohne Rest in Beherrschung umwandeln kann. Diese Auslieferung bedeutet nur im Grenzfall vollständige Ohnmacht oder Besessenheit. Denn während wir das, dem wir ausgesetzt sind, nicht erfinden können, bleibt unserer Antwort auf diesen Anspruch ein gewisser Spielraum. (Vgl. Waldenfels 2008, S. 81) Auch die vielgerühmte Rationalität des Menschen nährt sich aus Energien, die von ihr selbst nicht durchschaut werden. Szenisches Verstehen ist nicht ohne Widerfahrnisse möglich. Empfindungen haben dabei eine „situationsaufschließende" (Hogrebe 2009, S. 30) Funktion. Vignetten können für diese Dimensionen des menschlichen Lernens sensibilisieren, die sich nicht operationalisieren lassen. In ihnen wird dem Umstand Rechnung getragen, dass mit jedem Lernen mitgelernt wird, wie gelehrt wurde. Wer beispielsweise insbesondere im behavioristischen Stil unterrichtet wird, lernt vor allem zu gehorchen.

    „Szenen sind das Primäre für unsere Weltwahrnehmung, nicht die Objekte der Welt oder ihr Mobiliar, […]." (Ebd., S. 50) Als Szenen appellieren Vignetten auch an unsere soziale Empfindsamkeit. Schreiber*innen von Vignetten streben keine Tatsachenfeststellungen an. Sie wollen überhaupt nichts feststellen. Sie wollen erzählen und auch das in einem besonderen Sinn; denn sie referieren oder berichten nicht, sondern sie bringen ihre situativ gebundenen Erfahrungen zum Ausdruck und wollen diejenigen, die später die Vignetten lesen, miterfahren lassen. Erzählungen „verausgaben sich nicht" (Benjamin 1980, S. 437). Sie können immer wieder und weiter erzählt werden, ohne sich genau zu wiederholen. Davon lebt die Nachbearbeitung der Rohvignetten und zehren die Lektüren. Vignetten erinnern an bestimmte Erlebnisse. Sie wecken und enttäuschen Erwartungen. Sie erklären nicht. Sie muten an. Im szenischen Verstehen geht es um einen bestimmten Umgang mit unseren Erfahrungen, in denen sich Gegebenheiten noch nicht zu Gegenständen versteift und Gewahrungsweisen sich noch nicht zu Erkenntnissen verhärtet haben.

    Maurice Merleau-Ponty behandelt die hier fungierende Unbestimmtheit als ein positives Phänomen. Daraus folgt, dass propositionale Aussagen, die nach wahr und falsch beurteilt werden können, hier an ihre Grenze stoßen und schwache Formen des Wissens in den Vordergrund treten. Es gibt, um es mit Wolfgang Wieland zu sagen, ein „emotionales Apriori des Verstehens (vgl. Hogrebe 2009, S. 90), das in der Vignettenforschung nicht zugunsten objektiver Erkenntnisse ausgeklammert wird. Aus dieser Perspektive stellen die Vignetten kein defizitäres Forschungsprogramm dar, sondern sie vertreten vielmehr einen sehr anspruchsvollen Versuch, mit größter Prägnanz sinnliche Wahrnehmungen und eine expressive Leiblichkeit sprachlich wiederzugeben in dem kritischen Wissen, dass Sprache hier andere Ergebnisse als wahrheitsfähige Aussagen zu suchen hat und damit an Poesie rührt, was geradezu unvermeidlich den Verdacht an Unwissenschaftlichkeit hervorruft. Das musste auch Merleau-Ponty erfahren. Émile Bréhier wirft ihm etwa vor: „Ich sehe, dass Ihre Vorstellungen sich eher durch den Roman oder die Malerei als durch die Philosophie ausdrücken lassen. Ihre Philosophie führt zum Roman. (Merleau-Ponty 2003, S. 59 f.) Dieser Vorwurf verunsichert Merleau-Ponty indessen nicht, im Gegenteil: Nach ihm ist Philosophie wie die Kunst: „nicht Reflex einer vorgängigen Wahrheit, sondern […] Realisierung von Wahrheit (Merleau-Ponty 1966, S. 17). Zu fragen wäre deshalb, ob eine Konzeption, die sich gegen die „intellektuelle Besitznahme wehrt, gegen die Verwandlung der gelebten Welt in eine gedachte, nicht eine andere Sprache braucht mit einer eigenen Art von Genauigkeit, nämlich einer „ästhetischen Prägnanz", die Gottfried Gabriel von der logischen Präzision unterscheidet. (Vgl. Gabriel 2019, S. 11 ff.) Sprachbilder stellen in dieser Hinsicht Erkenntnisformen dar, die sich von wahrheitsfähigen Aussagen unterscheiden. Propositionales Wissen lässt sich von nicht-propositionalem in drei Punkten differenzieren: 1. handelt es sich um ein Wissen, das in Aussagen festzuhalten und zu prüfen ist. 2. ist es loszulösen von den Trägerinnen und Trägern des Wissens, und 3. ist es schließlich bipolar organisiert, d. h. die Aussagen sind entweder wahr oder falsch. Das nicht-propositionale Wissen meint dagegen Erfahrungen par excellence. Wie für die Erfahrung gibt es für das nicht-propositionale Wissen keine Stellvertretung. Erfahrungen sind nicht wahr oder falsch. (Vgl. Wieland 1982, S. 224 ff.) Schließlich ist nicht-propositionales Wissen nicht unabhängig von den Inhaber*innen. All diese Merkmale des nicht-propositionalen Wissens begründen nicht,

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