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FREMDE HEIMAT
FREMDE HEIMAT
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eBook722 Seiten9 Stunden

FREMDE HEIMAT

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Über dieses E-Book

Die Erde ist verloren, die Menschheit nahezu vollständig ausradiert. Einzig der Leichte Schlachtkreuzer "Sydney" konnte mit seiner fünfzig Mann starken Besatzung dem Massaker entkommen.
Auf sich allein gestellt sucht die Mannschaft nach einer Möglichkeit zu überleben. Als sie auf der Suche nach Unterstützung in Kontakt mit den kriegerischen Krail-on kommen, stolpern sie in eine Intrige, deren Ausmaß erst nach und nach klar wird. Unversehens wird der junge Pilot Alan McBride durch die Ereignisse gezwungen, die Führung zu übernehmen. Dank seines Mutes findet er unter den Krail-on nicht nur Gegner. Es scheint gar, als könnten die letzten Menschen bei den Fremden eine neue Heimat finden. Doch es ist nicht leicht, Freund und Feind zu unterscheiden, denn der Feind sitzt auch in den eigenen Reihen.
SpracheDeutsch
Herausgeberp.machinery
Erscheinungsdatum28. Aug. 2020
ISBN9783957658920
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    Buchvorschau

    FREMDE HEIMAT - Petra E. Jörns

    Sydney

    1.

    Nein, durchschoss es Alan. Das war nicht real. Das konnte nicht real sein. Gleich würde er aufwachen und feststellen, dass das alles nur ein Albtraum war.

    »Die Afrika ruft uns.« Yaels Stimme schien von weit weg zu kommen, obwohl sie direkt neben ihm saß. Ihr Gesicht wirkte im roten Licht des Feindalarms wie eine Maske.

    »Ich höre«, rief Commander Delacroix.

    Ein Beben lief durch den Boden unter Alans Füßen.

    »Treffer!«, bestätigte Jäggi von der Schadenskontrolle. »Offiziersmesse.«

    Delacroix blieb ganz ruhig: »Feuer nach Belieben, Mister Fiorentino.«

    »Aye, Sir«, antwortete Dean von der taktischen Konsole sofort.

    Auf dem Displayausschnitt seines 3-D-Monitors konnte Alan den nächsten Fächer der Geschosse erkennen, die auf sie zurasten. Seine Finger tauchten in die Matrix hinein, zogen und stauchten sie. Das Displaybild änderte sich.

    »Rückzug«, krächzte eine Stimme aus dem Interkom. »Verteidigen Sie die zivilen Schiffe.«

    »Aye, Admiral Ousseni!«, erwiderte Delacroix.

    Ousseni war der Oberkommandierende der Flotte. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren! Alan wagte kaum, zu hoffen.

    »Übermitteln Rückzugsvekt…« Die Stimme des Admirals ging in einem Rauschen unter.

    Jemand wimmerte.

    »Mister Nguyen!«, blaffte Delacroix.

    Die Geschosse verfehlten sie, aber die nächsten folgten schon.

    Ausweichen. Er musste den Geschossen ausweichen, mahnte sich Alan.

    Seine Finger spielten mit der Matrix. Ein Wimpernschlag brachte ihn tiefer hinein, bewegte ihn vorwärts. Ohne dass er darüber nachdenken musste, schnippte er hier einen Vektor beiseite, holte dort einen heran. Sah Bilder, wo keine waren, ordnete neu an, ohne erklären zu können, woher er wusste, was richtig war.

    »Mister Nguyen!« Delacroix' Stimme klang zornig.

    Warum antwortete Nguyen nicht endlich, wunderte sich Alan. Er brauchte endlich diesen verdammten Rückzugsvektor, den Ousseni an Nguyens Konsole übermitteln wollte. Damit er mit seiner Hilfe den Kurs für die Sydney berechnen konnte, um der Flotte zu folgen.

    »Die … die Afrika wurde getroffen.« Yaels Stimme.

    Ganz nebenbei wich Alan einem Angriff aus. Das war knapp gewesen. Für einen Herzschlag schien die Zeit stillzustehen. Alan atmete aus, und die Matrix wich zurück.

    Da zerbrach das Echo der Afrika auf dem Display und wurde zu einem Mückenschwarm aus Trümmern. Wie viele Menschen hatten sich an Bord des Trägerschiffes befunden? Zweitausend? Dreitausend?

    Die Matrix geriet in Unordnung. Schweiß tropfte von Alans Kinn. Mit einem Wimpernschlag tauchte er wieder in die Matrix hinein, schob Vektoren von links nach rechts, tupfte den einen zusammen und zog einen anderen heraus.

    »Die Australia …« Yael wieder. »… tot.«

    Damit hatten sie noch ein Trägerschiff verloren.

    Das Rauschen des Interkoms füllte wieder die Brücke. Vage war darin Oussenis Stimme zu hören. »… Rückzug … alle Schiffe …«

    Eine andere Stimme löste Admiral Ousseni plötzlich am Interkom ab. »Decken Rückzug. Heathcote Ende.« Heathcote kommandierte die Europa.

    Alan konnte den Punkt in der Matrix identifizieren, der die Europa markierte. Die Matrix konfigurierte sich um. Neue Mückenschwärme kamen auf sie zu. Ohne nachzudenken, schob, tupfte und glättete er. Ausweichmanöver um Ausweichmanöver. Seine Hände schienen ohne sein Zutun zu arbeiten. Er wagte nicht zu blinzeln, aus Angst, den Faden zu verlieren.

    Wie lange noch? Ein Fehler nur, egal wie winzig, und sie waren alle tot. Wann antwortete Nguyen endlich? Kapierte dieser Idiot nicht, dass sie alleine zurückbleiben würden, wenn die anderen Schiffe sprangen, ehe er mithilfe des Rückzugsvektors einen Sprungkurs berechnen konnte?

    »Erde unter Beschuss.« Wieder Yael.

    Ein Geschossfächer lief an ihnen vorbei. Noch einer. Keine Zeit zum Atmen.

    »Wo bleibt der verdammte Rückzugsvektor?«, brüllte Commander Delacroix.

    »Sir, ich weiß es nicht. Oh, mein Gott. Das ist New York. Nein.« Yael keuchte. »Paris. Moskau …«

    Ein Schauer lief über Alans Rücken. Das war nicht real. Das musste ein Traum sein!

    »Kanal zur Afrika«, fauchte Delacroix.

    Yael antwortete prompt: »Kanal steht.«

    Es rauschte. Ein Beben lief durch den Brückenboden.

    »Komm ausgefallen«, krächzte Jäggi.

    Alan verbiss sich einen Fluch. Verdammt, sie hatten den Sprungvektor immer noch nicht erhalten!

    »Die Antarctica springt.« Yael.

    Die Matrix auf Alans Monitor geriet in Unordnung. Ein Punkt im Display verschwand.

    »Weg hier. Mister McBride, nehmen Sie den Sprungvektor der Antarctica!«

    »Aye, Sir«, antwortete Alan.

    Er schaffte das. Wenn jemand den Sprungvektor eines anderen Schiffes aus der Matrix herausfischen und berechnen konnte, dann er. Hatte er denn eine Wahl? Er musste ihn einfach finden. Sonst würden sie den Rest der Flotte nie wiedersehen.

    Ein weiterer Punkt verschwand, verwässerte die Daten auf dem Monitor.

    »Verdammt!«

    Fast. Er war so nah dran gewesen.

    Alan biss sich auf die Lippen. Weitere Punkte folgten dem ersten. Die Vektormatrix waberte. Die Sprungechos zerstörten jedes Bild, das im Chaos auftauchen wollte. Das war hoffnungslos.

    »Zu viele Interferenzen«, antwortete er.

    »Dann berechnen Sie einen Sprungvektor zu Delta-Neun!« Delacroix' Stimme war keine Emotion anzuhören.

    »Aye, Sir.«

    Neue Geschossfächer wanderten auf sie zu.

    Ausweichmanöver. Noch eines. Alans Finger zupften ein Fenster auf, um den Sprungvektor zu legen.

    »Mister McBride«, mahnte Delacroix.

    »Washington, Rio de Janeiro, Boston …« Yael schluchzte. »Nein, oh nein.«

    Boston.

    Mutter …

    Ein Traum, nur ein Traum.

    »Mister McBride!«

    Der Boden vibrierte einmal, zweimal.

    »Mannschaftsdeck«, schrie Jäggi.

    Die Matrix auf Alans Monitor verschwamm. Er wischte sich übers Gesicht und fühlte die Nässe. Tränen? Auf dem Monitor schälte sich der Sprungvektor aus dem Datenwust.

    »Bereit.« Alans Stimme zitterte.

    »Sprung.«

    Alan stand im Schott zur Krankenstation.

    »Raus hier«, herrschte Doktor Hayes ihn an. Die roten Locken hingen ihr ins Gesicht.

    Jemand schrie. Von anderer Stelle ertönte ein Wimmern.

    Das Neonlicht entblößte das Blut und den Ruß, zerfetzte Gliedmaßen und zerstörte Gesichter. Die Luft schmeckte nach Blut und Ozon.

    In Alans Kehle würgte es. Er wollte hier weg.

    »Ruhig, ruhig.« Marjas Stimme.

    Alan entdeckte ihre zierliche Gestalt neben einer der Behandlungsliegen. Sie beugte sich über einen Crewman, dessen Seite durchtränkt war von Blut. Das Zischen ihres Injektors beendete das Wimmern.

    Hayes ließ Alan stehen und wandte sich einem Verletzten zu. Sein Gesicht war blutig verkohlt.

    Wurde zu dem von Alans Mutter. »Alan …« Sie streckte die Hand nach ihm aus.

    Mit einem Schrei stolperte er rückwärts. Stürzte. Fiel.

    Schweißgebadet schreckte Alan hoch. Er keuchte. Dunkelheit umgab ihn, aus der sich langsam der Schein der Fotos schälte, die auf dem Klapptisch neben seiner Pritsche standen. Mit einem Ruck schwang er die Beine über den Rand des Betts und wischte sich mit zittrigen Fingern übers Gesicht.

    Schon wieder dieser verfluchte Albtraum!

    Sein Blick wanderte zu den Fotos. Mutter lachte ihn wie immer an, mit Händen voll Blumenerde, zerzausten langen Haaren und verdrecktem T-Shirt. Sie hatte ihren Garten so sehr geliebt, ihn und ihre Katzen und Vögel.

    Alan griff nach dem Foto und ließ mit einem kurzen Druck auf die Rahmenecke die Bildsequenz ablaufen, die darauf gespeichert war. Mutter ließ die Erde fallen, wischte sich über die Stirn und lachte, als ihr klar wurde, dass nun eine Schmutzspur ihr Gesicht durchzog. Ein Mann tauchte neben ihr auf, ging in die Hocke und reichte ihr einen kleinen Baum. Sie sah erst auf den Baum, dann in das Gesicht des Mannes und lächelte ihn an.

    Es war Alan.

    Ein jüngerer Alan, in Jeans und Achselhemd, die die Härte seines Körpers entblößten, ohne die Uniform eines Junior Lieutenants der Erdflotte, mit zu langen Haaren, die in goldenen Strähnen in sein Gesicht hingen.

    An dieser Stelle fror die Aufzeichnung ein und wechselte zum Anfangsbild.

    Behutsam stellte Alan das Bild zurück auf den Klapptisch, ließ den Blick über die anderen wandern, die dort noch standen: das Hochzeitsbild seiner Schwester Mhaire mit Ed, ihrem Mann, und den Eltern; Mhaire mit Linda und Jeremy an Jeremys drittem Geburtstag. Die Torte mit den drei Kerzen war gerade noch im Vordergrund zu sehen und Jeremy blies die Backen auf, um sie auszupusten. Es gab kein Bild, das seinen Vater allein zeigte.

    Sie waren tot.

    Alle.

    Die Crewmitglieder der Sydney waren die letzten Überlebenden.

    Ein Traum. Das alles war nur ein Traum.

    Tränen rannen über sein Gesicht und tropften von seinem Kinn auf den Boden. Es war kein Traum. Es war die Realität.

    Er biss sich auf die Lippen, um den Schrei hinunterzuschlucken, der in seiner Kehle nach oben drängte. Schmeckte Blut und Tränen. Bemerkte nebenbei, dass der Schrecken abgenommen hatte innerhalb der drei Monate, seit die Erde gefallen war. Oder hatte er sich nur daran gewöhnt?

    Und sie würden auch bald tot sein. Nur noch fünf oder sechs Wochen, dann würden sie nichts mehr zu essen haben. Und wenn sie den Hyperantrieb benutzten, würden sie schon vorher erfrieren oder ersticken.

    Gott, es musste eine Lösung geben. Es musste einfach so sein. Wozu hatten sie das Massaker im Solsystem überlebt, wenn sie jetzt verhungern mussten? Wo war da der Sinn?

    Und wenn es keinen Sinn gab? Wenn das alles nur ein gigantischer Scherz war, Zufall, Willkür? Was dann?

    Nein. Das akzeptierte er nicht.

    Also doch die Krail-on?

    Alan griff nach dem Notepad, das neben den Fotos lag, aktivierte es und scrollte durch die Daten.

    Zu kriegerisch, um Handelsbeziehungen aufzubauen, lautete die Kategorisierung der Erdregierung. Boldens Bericht sagte etwas anderes.

    Bushido, so hätte Katsuko es genannt.

    Katsuko …

    Katsuko war tot.

    Er sah ihr Gesicht, milchweiß und starr, umrahmt von einer Wolke schwarzer Haare in einem See aus Blut auf dem Bett in ihrer Kabine.

    Er hätte es wissen müssen. Er hätte sie retten können. Er …

    Hör auf damit, mahnte er sich. Er konnte nichts mehr daran ändern. Sie war tot, genauso tot wie Vater und Mutter und Mhaire und Ed und Jeremy und all die anderen.

    Tot, tot, tot.

    Zitternd wischte er sich mit einer Hand über das Gesicht und starrte auf sein Notepad.

    Katsuko …

    Er glaubte, ihre Stimme zu hören. Sie lachte leise. Das hatte sie immer getan, wenn er sie nicht verstand. »Bushido. Du lebst danach und du kennst es nicht. Du bist ein seltsamer Mann, Alan McBride. Hat dir dein Shojo nie davon erzählt? Leben und Tod sind eins. Was unterscheidet das Leben vom Traum? Wichtig ist am Ende doch nur, wie du gelebt hast und wie du gestorben bist. Ist es da nicht gleichgültig, wann du stirbst?«

    Sie hatte recht. Wichtig war nur, dass er alles versucht hatte, um die Crew der Sydney zu retten.

    Also die Krail-on.

    Ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.

    Der rote Alarm überraschte ihn auf dem Weg zur Brücke. Er spurtete durch die schmalen Gänge, die getränkt waren in rotes, blinkendes Licht. Der Alarm schrillte in seinen Ohren.

    Pola saß am Steuer. Mit ihr als Pilot waren sie bei einem Angriff so gut wie tot.

    »Aus dem Weg!«, schrie Alan.

    Der Crewman im Gang versuchte, zur Seite zu springen, um ihm Platz zu machen.

    Rücksichtslos stieß Alan ihn beiseite und rannte weiter. Vorbei an weiteren Mannschaftsmitgliedern, die sich an die Wand drückten, um ihm Platz zu machen.

    Das Quäken des Alarms wurde unerträglich.

    Schneller.

    Der Zugang zur Brücke tauchte am Ende des Ganges auf. Eine Frau drückte sich an die Wand, als Alan an ihr vorbeihetzte. Nach Atem ringend und schweißnass stand er vor dem Schott, bis es sich endlich öffnete und den Blick auf die Brücke freigab.

    Er stürzte hinein, auf die Pilotenkonsole zu, vor der Pola saß. Kommentarlos ließ er sich neben ihr in den Sitz des Co-Piloten fallen und schaltete mit einem Handgriff die Steuerung auf sein Pult um.

    Der Monitor füllte sich mit Daten. Aber da waren keine Angreifer.

    »Bericht«, fauchte Alan in Polas Richtung.

    Das Quäken des Alarms brach ab. Die Stille danach war ohrenbetäubend.

    »Bericht!« Das war Mabutos Stimme.

    »Sir, wir …« Polas Blick irrte von Alan zu Mabuto, der die Brücke hatte.

    Der zweite Offizier stand vor dem Kommandostuhl. In seinem ebenholzfarbenen Gesicht regte sich kein Muskel.

    »Sir?«, wandte sich Alan an ihn.

    Mabuto sah ihn an, als bemerke er erst jetzt, dass Alan auf der Brücke war. Bedächtig wandte er sich seiner Konsole zu. »Brücke an Commander. Mabuto spricht. Commander Delacroix auf die Brücke! Alphacode. Bestätige: Alphacode. Wir haben Kontakt. Eine Nachricht von der Antarctica

    Träumte er etwa schon wieder?

    Die Antarctica war vor der Sydney gesprungen. Sie konnte es geschafft haben. Himmel, das war zu schön, um wahr zu sein.

    »Mister McBride, versuchen Sie den Ursprungsort des Signals zu ermitteln!«

    Yael tippte einige Befehlssequenzen ein und ein Wust von Daten erschien auf Alans Monitor. Seine Finger krampften sich immer noch um das Notepad. Es fiel ihm schwer, die Finger zu lösen, damit er es in die Tasche stecken konnte.

    Später, mahnte er sich. Aber sie hatten Kontakt zur Antarctica. Vielleicht brauchten sie die Krail-on gar nicht mehr. Warum freute er sich dann nicht?

    Seine Finger glitten langsam aus seiner Tasche, während er die Zahlen auf dem Monitor überflog. Die Struktur, die ihnen zugrunde lag, sprang ihn nahezu an. Zwei Befehle und er hatte die Daten neu angeordnet.

    Besser. Aber das war eine bezugslose Hyperfunksendung. Wieso sagte der Zwei-O, sie hätten Kontakt? Das war Unfug. Das war nichts. Gar nichts. Nur ein Schrei ins All in der Hoffnung, dass ihn jemand hörte. Selbst wenn die Sydney mit größtmöglicher Geschwindigkeit an den Ursprungsort des Signals flog, konnte die Antarctica schon wieder ganz woanders sein, bis sie sie erreichten. Warum tat Admiral Nishimura das? Die Irhog konnten doch mithören. Warum verriet er sich ihnen? Was sollte das?

    »Wir leben noch. Ihr seid nicht allein.« Das wollte er ihnen damit sagen. Der Sydney und all den anderen, die das Massaker überlebt hatten. Nishimura riskierte sein Schiff und all die Leben darauf, um ihnen das zu sagen.

    Das war Irrsinn. Oder reine Verzweiflung. Aber Nishimura war der beste Stratege der Flotte. Es musste ein Sinn darin liegen, dieses Risiko einzugehen.

    Keine Zeit dafür. Er musste sich auf die Daten konzentrieren. Ein paar Suchalgorithmen, ein paar Permutationen und er hatte den Ursprungsort des Signals. Mit ein paar Befehlen stülpte Alan eine Sprungmatrix darüber und ermittelte die Kursvektoren.

    Der Rand des Pferdekopfnebels hinter dem Krail-on-Raum. Alan starrte auf sein Ergebnis.

    Das ergab Sinn. Der Admiral hatte die gleiche Idee wie er gehabt. Der Nebel störte die Sensoren gewaltig und machte das Aufspüren selbst dann schwierig, wenn man wusste, wo man suchen musste, und die Krail-on waren gutes Kanonenfutter, um die Irhog von der kleineren Beute abzulenken. Dort konnte man die verbliebenen Schiffe sammeln und unterwegs Proviant und Energiereserven aufnehmen, um dann das weitere Vorgehen zu planen. Und jetzt rief Nishimura seine Schäfchen zusammen.

    »Die Antarctica! Die Antarctica. Das ist unglaublich!« Dean packte Alan an den Schultern und schüttelte ihn. Außer Atem und mit erhitztem Gesicht hielt er inne. Seine Augen strahlten. »Ich könnte dich küssen!«

    Sie waren unterwegs zum Besprechungsraum, wohin der Commander alle Offiziere gebeten hatte, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Ein Crewman, der vor ihnen den Gang entlang eilte, warf einen Blick zurück, bevor er um eine Ecke verschwand.

    »Lass das!« Mit einem Ruck befreite sich Alan aus Deans Griff. Ihre Schritte hallten auf dem Stahlblech des Bodens wider.

    Dean deutete im Laufen einen Schlag gegen Alans Nieren an, doch Alan blockte ihn ab. »Ich sagte, lass das.«

    »Was ist los mit dir? Freust du dich nicht? Wir sind gerettet. Die Antarctica ist ein Trägerschiff. Die haben jede Menge Platz an Bord, Lebensmittel, Medikamente, Energiereserven …«

    »Träum weiter!« Alan blieb stehen. »Bist du so naiv oder tust du nur so?«

    »Wie meinst du das?« Das Feuer in Deans dunklen Augen erlosch.

    Er war ein Idiot! Dean konnte nichts für ihre Situation. Es war nicht fair, wenn er seine Wut an ihm ausließ. »Tut mir leid«, murmelte Alan und ging weiter.

    Aber Dean verbaute ihm den Weg. »Wie meinst du das? Los! Wenn du mehr weißt als ich, dann erklär es mir!«

    Deans Blick war nicht zu ertragen. Alan starrte an Dean vorbei den Gang entlang und dann auf den Stahlboden.

    »Alan, ich bitte dich …«

    »Du hast die Flüchtlinge vergessen. Die Trägerschiffe wurden vor dem Kampf im Solsystem damit beauftragt, so viele Menschen wie möglich aufzunehmen. Ich kenne die Daten. Die Antarctica war die Erste, die damals gesprungen ist. Wahrscheinlich konnte sie deshalb entkommen. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn die Antarctica nicht allein ist.« Bestimmt hatte Nishimura schon ein paar Schäfchen eingesammelt.

    »Und du meinst, die Flüchtlinge …«

    »Die Antarctica dürfte mit all den Flüchtlingen an Bord ihre Versorgungskapazitäten weit überschritten haben. Ich befürchte, dass sie schlimmer dastehen als wir. Nein, sie können eigentlich nur überlebt haben, wenn sie irgendwo Proviant und Energiereserven aufnehmen konnten. Da bin ich sicher.«

    »Du meinst, sie haben die Krail-on kontaktiert? So, wie du es dem Commander vorschlagen wolltest?«

    »Nein.« Alan schüttelte den Kopf. »Die Antarctica ist ein Trägerschiff. Sie hat wesentlich mehr Feuerkraft als die Sydney. Für sie dürfte es ein Leichtes gewesen sein, einen unserer Versorgungsstützpunkte von den Irhog zu erobern. Im Gegensatz zu uns. Wir können von Glück sagen, dass wir dem Hinterhalt bei Delta-Neun entkommen sind.« Die Worte schmeckten bitter.

    »Und wo ist dann das Problem? Ich meine, wenn wir uns der Antarctica anschließen, können wir doch auch von ihrer Feuerkraft profitieren und von ihren Reserven. Du sagst doch selbst, dass sie Reserven haben müssen, weil sie sonst mit den Flüchtlingen an Bord schon längst am Ende wären.«

    »Dean, der Ursprungsort des Signals lag jenseits des Pferdekopfnebels. Wenn wir dorthin fliegen, dann sind unsere Energiereserven am Ende. Dann ist es aus. Vorbei. Finito. Verstehst du?«

    »Ja, aber dann haben wir doch die Antarctica …«

    »Und wenn sie nicht mehr da ist? Glaubst du im Ernst, die warten auf uns, damit die Irhog kommen und sie eliminieren können?«

    Deans Gesicht wurde starr. »Ich verstehe«, murmelte er.

    »Es tut mir leid.« Wofür entschuldigte er sich? Etwa dafür, die Wahrheit gesagt zu haben?

    »Dann sind wir trotzdem am Arsch«, sagte Dean bitter.

    »Es gibt immer noch die andere Möglichkeit.«

    »Die Krail-on?«

    Alan nickte.

    »… Rückzug … befehle allen … sich unter … sammeln … wiederhole … allen … Erdstreitkräften und zivilen … sammeln … Gegenschlag …«

    Die ruhige Stimme schaffte es kaum, das Rauschen zu durchdringen. Aber sie gehörte unverkennbar Admiral Nishimura.

    Alan erinnerte sich an ihn: ein untersetzter Japaner mit ergrauten Schläfen und kantigem Kinn. Genauso ruhig hatte Nishimuras Stimme geklungen, als dieser ihm im Auftrag der Prüfungskommission mitgeteilt hatte, dass er von der Akademie fliegen würde. Ob es Nishimura gewesen war, der sich damals für ihn eingesetzt hatte?

    War das noch wichtig? Was war überhaupt noch wichtig angesichts dessen, dass fast hundert Prozent der Menschheit eliminiert worden waren? Wie viele Exemplare brauchte man eigentlich, damit eine Art überleben konnte? Ob fünfzig reichten? Mehr hatten sie nicht an Bord. Oder waren dafür mehrere Tausend nötig, wie an Bord der Antarctica?

    Wie konnte da irgendein vernünftiger Mensch von Gegenschlag faseln? Mussten die Überlebenden nicht vielmehr alles tun, damit es keine weiteren Verluste gab? Sie konnten es sich nicht erlauben, auch nur einen einzigen Mann zu verlieren. Wenn das jemand begriff – dann war es Nishimura.

    »Entgegen allen Gerüchten – die Nachricht ist nicht gefälscht«, begann Delacroix. Mit einem Knopfdruck fuhr er die transparente Kommandotafel vor seinem Ende des Besprechungstisches aus der Decke. Eine zweidimensionale Abbildung des bekannten Raums mit einigen Sprungvektoren erschien darauf. Es waren diejenigen, die Alan vor einer halben Stunde ermittelt hatte.

    »Wir befinden uns hier, in der Nähe von Syrakuse.« Delacroix zeigte auf einen roten Punkt. Bevor die Irhog Syrakuse erobert hatten, war er blau gewesen. Das Gleiche galt für Epsilon 5, Paradise, den Mars und die Erde. »Die Antarctica muss sich dort, am Rande des Pferdekopfnebels befinden, hinter der Grenze des Krail-on-Raums. Wir würden drei bis vier Wochen brauchen, bis wir dort sind, je nachdem welche Sprungroute wir wählen. Aber selbst wenn wir der Antarctica eine Nachricht schicken, dass wir kommen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir sie am Ursprungsort der eingegangenen Nachricht vorfinden, verschwindend gering. Denn wir können den Hyperfunk zwar auf den Ursprungsort ausrichten, aber wenn die Antarctica ihn wieder verlassen hat, kann es Wochen dauern, bis er sie erreicht. Ob die Antarctica dann zum Ursprungsort zurückkehren kann, bevor uns die Energiereserven ausgehen oder die Irhog uns finden, ist mehr als fraglich. Meinungen?« Delacroix blickte in die Runde.

    Racek, der Chief, meldete sich als Erster zu Wort. »Selbst wenn wir soviel Energie sparen, wie uns möglich ist, bleibt uns am Zielort nur eine Woche, bis die Reserven erschöpft sind. Verflucht wenig Zeit, um die Antarctica zu finden, wenn Sie mich fragen, Sir.«

    Himmel, wie konnte er das so leidenschaftslos sagen, wunderte sich Alan.

    »Wie ich schon wiederholt betonte –« White reckte sich bei den Worten, sodass ihr die schwarzen Haare ums Kinn strichen. »– sollten wir einen weiteren Versorgungsstützpunkt ansteuern. Es ist das Risiko wert. Wenn wir noch länger zögern, haben wir keine Chance. Sir.«

    White, die Giftspritze, dachte selbst jetzt noch nur daran, sich zu profilieren.

    Der Commander schien gewillt, dies zu ignorieren. Stattdessen sah er die Ärztin an.

    Hayes seufzte. »Also wenn Sie mich fragen, ist es völlig gleichgültig, was wir tun. Die Hauptsache ist, dass wir etwas tun. Wenn wir weiterhin in diesem Zustand der Apathie verharren, werden weitere Selbstmorde nicht ausbleiben. Aber das habe ich Ihnen bereits vor einer Woche gesagt.« Sie strich über die Tischplatte. »Es tut mir leid, Sir.«

    Warum hatte Hayes nicht an diese Entwicklung gedacht, bevor Katsuko …

    Delacroix fixierte die Kommandotafel.

    Bushido.

    Alan zog sein Notepad aus der Tasche. Es war schwerer, als er es in Erinnerung hatte. Seine Finger strichen über das Display. Tat er das Richtige? Oder hatte er sich da in etwas verrannt?

    »Wo ist Mister Mabuto?«

    Alan sah auf. Tatsächlich, Mabutos Stuhl zu Delacroix’ Linken war unbesetzt.

    »Doktor Hayes?«

    »Sir.« Hayes steckte eine rote Locke in den schief sitzenden Knoten an ihrem Hinterkopf. »Ich glaube nicht, dass dies der Rahmen ist, um über Mister Mabutos … Probleme zu diskutieren. Wir haben bereits darüber gesprochen. Sie kennen meine Meinung dazu.«

    »Bei allem Respekt. Sie wissen, dass ich sein Verhalten nicht länger dulden kann. Wenn Sie es ablehnen, Konsequenzen zu ziehen, dann werde ich es tun. Überlegen Sie, was besser für ihn ist.« Die Miene des Commanders wurde eisig.

    »Ja, Sir«, erwiderte Hayes und verschränkte die Arme vor der Brust.

    »Noch irgendwelche Vorschläge?« Delacroix blickte zu den Plätzen am unteren Ende des Tisches, wo Dean, Alan und Nguyen saßen, bevor er ohne Umschweife fortfuhr. »Misses White, welchen Stützpunkt schlagen Sie vor?«

    Jetzt oder nie.

    Alan räusperte sich. »Sir, mit Verlaub. Aber ich hätte noch einen Vorschlag zu machen.« Das Notepad schien Tonnen zu wiegen.

    White hob die Augenbrauen.

    Der Commander musterte Alan, bevor er ihm zunickte. »Nur zu, Lieutenant.«

    Mit einem Schnauben lehnte sich White zurück. Ihr rechter Zeigefinger klopfte mit der Schnelligkeit eines Sekundenzeigers auf den Tisch.

    »Wir sollten die Krail-on um Hilfe bitten. Wenn wir den Kursvektor B nehmen, kreuzen wir ohnehin ihren Raum. Es wäre sicherlich aussichtsreicher, als einen Versorgungsstützpunkt aufzusuchen. Die Irhog kennen vermutlich alle Standorte. Entweder sind die Stützpunkte leer oder die Irhog warten dort auf uns.«

    »Sir?« White wartete die Antwort des Commanders nicht ab. Sie fixierte Alan mit honigsüßem Lächeln, während ihr Finger zu klopfen vergaß. »Sicherlich erinnern Sie sich daran, dass der Erstkontakt scheiterte, Mister McBride. Was macht Sie so sicher, dass wir es besser können?«

    »Weil ich glaube, dass Doktor Bolden nicht gescheitert ist. Er hat von einem ihrer Anführer eine Einladung erhalten, wurde aber zurückbeordert, weil ihm die Mittel gekürzt worden waren.«

    »Oh! Dann machen Sie also die Erdregierung für Doktor Boldens Misserfolg verantwortlich.« Whites Finger fuhr fort zu tappen.

    »Misses White, bleiben Sie bei der Sache.« Delacroix hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. »Sind Sie fertig, Mister McBride?«

    »Nein, Sir.«

    Dean schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. Aber Alan ignorierte ihn geflissentlich.

    »Wir haben eine Übersetzungsdatei an Bord und alle Daten, die Doktor Bolden damals gesammelt hat. Er gibt darin klare Anweisungen, wie bei einem Kontakt mit den Krail-on zu verfahren ist. Und er schlägt sogar Handelsgüter zum Aufbau einer Beziehung vor. Schokolade, Gewürze und die Daten von Rohstoffvorkommen. Alles Dinge, die wir entbehren können.«

    »Sie wollen die Krail-on also mit Schokolade bestechen. Eine amüsante Vorstellung.« White lachte.

    Miststück!

    Alan sah die Erste Offizierin herausfordernd an. »Mit Verlaub, Ma’m. Aber es erscheint mir aussichtsreicher, als in einen Hinterhalt der Irhog zu stolpern.«

    Augenblicklich schoss White in die Höhe. »Ihr Verhalten ist impertinent, Lieutenant. Ein Versorgungsstützpunkt …«

    »Misses White!«, mahnte der Commander schneidend. Dann wandte er sich mit starrer Miene an Alan. »Geben Sie mir Ihre Daten, Mister McBride. Ich werde darüber nachdenken.«

    Alans Hand lag auf dem Bedienpanel des Schotts, das zum Bereitschaftsraum des Commanders führte. Er zögerte.

    Hatte er sich wirklich nichts zuschulden kommen lassen bei der Besprechung? Er sollte Vorschläge machen. Er hatte White nicht übergangen. Das konnte ihm niemand vorwerfen.

    Der Commander würde ihm das sicherlich nicht unterstellen. White schon. Aber White konnte ihn ohnehin nicht leiden. Immerhin, das beruhte auf Gegenseitigkeit.

    Oder wusste der Commander etwa, dass er alle Doppelschichten übernahm, anstatt Pola die Hälfte zu überlassen? Aber von wem sollte er davon erfahren haben? Mabuto hatte es bestimmt nicht bemerkt – der bemerkte ohnehin nichts mehr – und hätte White es herausbekommen, hätte sie sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Alan höchstselbst zur Schnecke zu machen.

    »Denken Sie über meine Worte nach, Mister Mabuto. Das ist Ihre letzte Chance«, hörte Alan den Commander sagen.

    Im selben Moment tauchte Mabuto in der sich öffnenden Tür auf. Er stierte an Alan vorbei ins Nichts und trat aus dem Raum, ohne von ihm Notiz zu nehmen.

    Der Commander wurde nun in der offenen Tür sichtbar. »Ah, Mister McBride. Kommen Sie herein.«

    Alan gehorchte, schloss das Schott hinter sich, strich die Haare aus seiner Stirn und nahm Haltung an. »Sir.«

    »Setzen Sie sich, Mister McBride.« Der Commander zeigte auf einen Stuhl vor dem Tisch, hinter dem er saß und auf dem mittig platziert Alans Notepad lag.

    Darum ging es also.

    Alan gehorchte.

    In der Ecke zischelte der Kaffeeautomat. Er war der einzige Gegenstand im Raum, der ihm eine persönliche Note verlieh. Alan glaubte, Kaffeeduft zu riechen.

    »Ich habe mir die Daten angesehen, die Sie zusammengestellt haben. Gute Arbeit. Wie sind Sie darauf gekommen?«

    »Ich habe einen Versorgungsstützpunkt gesucht, den die Irhog vielleicht nicht kennen …« Kein guter Anfang. Das klang, als wollte er White eine reinwürgen. »… und da stieß ich auf den Namen der Krail-on. Dann habe ich die Bordbibliothek durchsucht und bin auf Doktor Boldens Bericht gestoßen. Der Rest war einfach.«

    »Ich habe selber schon mit der Idee gespielt.« Delacroix tippte mit dem Zeigefinger an seinen Mund und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Was macht Sie so sicher, dass eine Kontaktaufnahme positiv verläuft?«

    »Nichts, Sir«, gestand Alan. »Aber wir sollten es versuchen. Wenn uns die Kontaktaufnahme gelingt, dann eröffnen sich uns vielleicht ungeahnte Möglichkeiten. Vielleicht mehr als Proviant und Energiereserven. Vielleicht sogar Verbündete gegen die Irhog … oder ein Platz, wo wir leben können.«

    Der Commander musterte ihn. Minuten schienen zu verstreichen, bis er sich endlich vorbeugte und die Hände auf die Tischplatte legte. »Halten Sie sich vor Misses White zurück. Mag sein, dass Sie glauben, dass es nicht mehr von Interesse ist, weil Sie ohnehin keine Zukunft mehr haben. Aber Sie sollten Ihre Möglichkeiten auf diesem Schiff nicht unterschätzen.«

    Wovon redete er da? Welche Möglichkeiten?

    Mabuto. Der Commander hatte von Konsequenzen gesprochen. Wollte er etwa Mabuto als Zweiten Offizier absetzen? Und er, Alan, sollte der Ersatz …

    Gott im Himmel, als ob er sich in dieser Lage für seine Karriere interessieren würde! Das meinte er nicht im Ernst.

    »Haben Sie mich verstanden, Mister McBride?«

    »Aye, Sir.«

    »Gut.« Delacroix nickte ihm zu. »Sie können gehen.«

    Alan stand auf. »Heißt das, Sie nehmen meinen Vorschlag an?«

    »Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt.« Delacroix' Miene war undeutbar. »Vergessen Sie Ihr Notepad nicht, Lieutenant.«

    »Aye, Sir.« Alan wurde flau, als er nach dem Pad griff.

    Also die Krail-on.

    Hoffentlich irrte er sich nicht.

    Ohrenbetäubender Lärm schlug Alan entgegen, als er mit Dean die Kantine betrat.

    »Hipp, hipp, hurray! Hipp, hipp, hurray! Hipp, hipp, hurray!«

    Jemand johlte. »Wooooooow!« Lachen ging in Applaus und Tellergeklapper unter.

    Seit die Offiziersmesse einem Treffer der Irhog zum Opfer gefallen war, mussten die Offiziere mit der Mannschaft essen, in einem eigens abgetrennten Bereich, aber bei der Essensausgabe gab es nur eine Schlange.

    Angesichts des Jubels prallte Alan zurück, als wäre er gegen eine Glasscheibe gelaufen.

    Die Nachricht von der Antarctica hatte sich offensichtlich schnell herumgesprochen. Wie dumm waren die Leute eigentlich?

    Ein Rempler von Dean trieb Alan in den Raum hinein. »Na, wie fühlt man sich als Liebling des Commanders?«, grinste er. Dean hatte wie immer alles als Erster erfahren.

    »Lass das!«

    »White wird kotzen.«

    »Pass auf, was du sagst, verdammt!«

    »Was gibt’s denn Leckeres?« Dean studierte den Aushang und seufzte. »Weshalb hab ich auch angenommen, es könnte heute etwas anderes sein?« Trotzdem griff er nach einem Tablett und einem Teller und reihte sich in die Schlange der Wartenden ein.

    »Du weißt, dass wir mit dem Proviant sparsam umgehen müssen.« Seinerseits mit Teller und Tablett ausgerüstet gesellte sich Alan zu Dean.

    »Ich weiß. Aber träumen wird man ja wohl noch dürfen.«

    »Ich möchte wissen, von was du träumst.«

    »Von einem Steak. Schön medium. Mit einem Berg von Bratkartoffeln.« Dean schloss schwärmerisch die Augen.

    »Idiot.«

    »Nein, wirklich.« Dean sah Alan an. »Ein riesiges Steak. Ich würde wer weiß was dafür geben, so etwas noch einmal essen zu können.«

    »Schokoladeneis«, flüsterte eine Stimme hinter ihnen.

    Als sich Alan umdrehte, entdeckte er Yael, die ihn durch einen Vorhang aus braunen Locken musterte. Ihre Augen schimmerten.

    Alan fröstelte plötzlich. »Die Krail-on werden uns bestimmt Proviant überlassen. Da bin ich sicher.«

    »Ja, nachdem sie uns massakriert haben«, tuschelte jemand. »Was denkt sich der Alte dabei? Dass die nur darauf warten, sich mit uns zu verbrüdern? Unfug sage ich.«

    Alan erstarrte. Das war offene Insubordination.

    »Halt den Mund!« Eine ängstlichere Stimme. Chinesischer Akzent.

    »Ist doch wahr!« Laut genug, damit es alle in der Schlange hörten. »Da kriegen wir ne Nachricht von der Antarctica und der Alte setzt alles aufs Spiel, indem er vorher mit diesen Krallon verhandeln will. Was, wenn die mit den Irhog unter einer Decke stecken? Wird Zeit, dass wir die da oben zur Vernunft bringen!«

    Langsam drehte sich Alan um, um den Redner ausfindig zu machen. Er entdeckte zwei Crewmen, die ihre leeren Teller zum Geschirrwagen trugen.

    »Nimm mal«, sagte Alan zu Dean und schob ihm das Tablett zu.

    »Alan.« Beschwichtigend legte Dean die Hand auf Alans Arm.

    Doch der streifte sie ab, trat auf die beiden Crewmen zu und verstellte ihnen den Weg.

    »Wie ist Ihr Name?«

    »Crewman Koh, Sir.«

    Der Chinese wollte an ihm vorbeischlüpfen, aber Alan hielt ihn fest.

    »Entschuldigen Sie bitte, Sir.« Koh zitterte spürbar. »Es soll nicht wieder vorkommen.«

    »Das will ich hoffen. Und wie ist Ihr Name?« Alan ließ Koh los.

    Der andere stellte erst sein Tablett ab, bevor er sich zu Alan umdrehte. Breitbeinig baute er sich vor ihm auf und blickte auf ihn herab. »Crewman Hancock … Sir.«

    »Ich empfehle Ihnen, künftig zuerst nachzudenken, bevor Sie Ihre Meinung verbreiten, Mister Hancock. Was wäre wohl passiert, wenn an meiner Stelle der Commander oder der Erste Offizier Sie gehört hätten?«

    »Was glauben Sie, Sir?« Hancock grinste.

    »Ich glaube, dass Sie Glück gehabt haben. Aber wenn ich noch einmal solche Reden höre, gleichgültig von wem, dann weiß ich, an wen ich mich halten muss. Haben Sie mich verstanden?«

    »Aye, Sir.«

    »Gut. Dann denken Sie das nächste Mal daran, wenn Sie essen gehen, dass wir bald nichts mehr zu essen haben werden, wenn uns die Krail-on nichts geben, Mister Hancock.«

    »Ja, Sir. Noch etwas, Sir?«

    »Nein, Sie können gehen.«

    Hancock tippte sich kurz an die Stirn, bevor er sich auf dem Absatz umdrehte und durch das Schott verschwand, Koh im Schlepptau.

    »Soll… sollten Sie ihn nicht besser melden, Sir«, wandte Yael ein.

    Überrascht warf Alan der Offiziersanwärterin einen Blick zu.

    »Ach was! Gut gebrüllt, Löwe«, meinte Dean.

    »Nein, Yael hat recht.« Alan schüttelte den Kopf und trat zu Dean in die Reihe zurück. »Das gefällt mir nicht.«

    »Mir auch nicht«, jammerte Dean mit Blick auf seinen Teller. Mit Elendsmiene begutachtete er den Gemüsebrei, den die Küchenhilfe ihm mit einem Schöpflöffel auf den Teller gegeben hatte.

    Unfreiwillig musste Alan grinsen. »Stell dir vor, es wäre ein Steak.«

    »Ich hasse dich, Alan McBride.«

    Die Krail-on wirken auf den ersten Blick in der Tat recht anthropomorph. Ihre Gesellschaftsstruktur ähnelt in einigen Zügen denen der schottischen Highlandclans, doch ihrem auf Duellen beruhenden Ehrbegriff fehlt auf der Erde jegliche Parallelität.

    Bericht über den Erstkontakt mit den Krail-on, Dr. William Bolden, Marco Polo

    2.

    Auf Alans Monitor kam Unruhe in die Zahlenkolonne.

    »Ein Schiff, Sir!« Nguyen bestätigte, was Alan schon wusste.

    Endlich. Sie krochen nun schon einen Tag im Krail-on-Raum mit Sublichtgeschwindigkeit herum. Viel länger hätte der Commander bestimmt nicht gewartet. Zwei-, dreimal waren Schiffe auf ihren Sensoren aufgetaucht, aber keines hatte Kurs auf sie gesetzt oder Kontakt mit ihnen aufgenommen. Dieses hier kam direkt vor ihnen aus dem Hyperraum. Zwei Wochen waren verstrichen, seit sie den Funkspruch der Antarctica empfangen hatten.

    Alans Finger tanzten über die Tastatur, während er, ohne den Befehl des Commanders abzuwarten, mögliche Flucht- und Abfangmanöver in die Kontrollen der Schiffsführung lud.

    Der Annäherungsalarm durchdrang die Brücke, würde bald Pola, Jäggi und Yael auf die Brücke jagen, um alle Brückenpositionen doppelt zu besetzen.

    Zu Alans Rechter sog Dean scharf die Luft ein.

    »Klassifizierung?«, fragte Delacroix.

    »Keine Irhog.« Nguyen atmete hörbar aus.

    »Klassifizierung, Mister Nguyen.«

    Alans Blick zuckte zu Nguyens Monitor, suchte die Daten dort zu lesen, die darüber wanderten.

    Niemand schien zu atmen, bis Nguyen die Stille brach. »Krail-on, Sir. Sie rufen uns.«

    »Aktivieren Sie die Übersetzungsdatei!«

    »Aye, Sir.«

    Während Alans Finger über den Kontrollen verharrten, beobachtete er, wie Nguyens Hände die Übersetzungsdatei luden. Endlich drückte der Ensign einen Knopf und ein leises Rauschen zeigte, dass er eine Aufzeichnung abrief.

    Alan wandte sich der Kommandotafel zu, die inzwischen von dem Abbild eines fremden Wesens ausgefüllt wurde. Die dunklen Haare des Fremdlings bedeckten dessen ganzes Gesicht. In seinen bis auf die Brust reichenden Zöpfen glitzerten goldene Ringe. Die Augen mit den schlitzförmigen Pupillen funkelten die Menschen aus tief liegenden Höhlen an. Die Stimme des Krail-on hallte wie Donnergrollen durch die Brücke. »Hier spricht Kass-Un Stark von Starks Klinge. Gebt uns Euren Namen!«

    In Alans Ohren klang es, als habe er Delacroix gerade zum Duell herausgefordert.

    Delacroix stand auf und legte die Hände hinter seinem Rücken ineinander. »Öffnen Sie einen Kanal, Mister Nguyen.« Als Nguyen ihm zunickte, straffte er sich und blickte direkt in Richtung des Aufnahmegeräts. »Commander … Kass-Un Jean-Pierre Delacroix vom Aufklärungskreuzer Sydney, Vereinte Nationen der Erde.«

    »Vereinte Nationen der Erde?«, wiederholte der Krail-on, als höre er die Worte zum ersten Mal. »Was ist Euer Begehr?«

    »Wir möchten Handelsbeziehungen knüpfen.«

    »Handelsbeziehungen?« Der Krail-on drehte sich um, sodass sein Gesicht den Aufnahmebereich des Aufzeichnungsgerätes verließ, und sprach mit einer Person, die hinter ihm stand. Nach einer Weile drehte er sich dem Aufzeichnungsgerät wieder zu. »Welche Handelsgüter könnt Ihr uns anbieten?«

    »Gewürze, Rohstoffvorkommen. Ich denke, dass sich sicherlich etwas finden lässt, was Ihrem Geschmack entspricht.«

    »Was wollt Ihr dafür?« Die Augen des Fremdwesens schienen zu glühen.

    Delacroix räusperte sich. »Proviant, Energiereserven. Was Sie entbehren können.«

    Wieder tauschte sich der Krail-on mit der Person außerhalb des Aufnahmebereichs aus, bevor er antwortete. »Kommt mit Eurem Stellvertreter und Eurem Nachfolger auf mein Schiff, damit wir darüber reden können.«

    »Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen gerne Proben unseres Angebots zukommen lassen.« Delacroix verlagerte sein Gewicht.

    Auf der anderen Seite der Brücke fädelte sich in diesem Moment Pola hinter einem leer stehenden Pult ein. Ein Blinken auf Alans Display zeigte ihm, dass sie sich die Navigationsdaten auf ihren Monitor lud. Hinter Pola tauchte Yael auf und besetzte den Platz zwischen Pola und Nguyen. Nur Jäggi fehlte noch.

    Die Zöpfe des Krail-on schlugen um seinen Kopf, als er sich wieder der Person hinter sich zuwandte. Nach einem kurzen Wortwechsel trat eine weiß gekleidete Gestalt neben ihn und verbeugte sich vor den Menschen mit vor der Brust zusammengelegten Händen. Dunkle Zöpfe wurden von weißen Bändern auf ihrem Kopf zusammengehalten, umrahmten ein zartes Gesicht, das aus Ebenholz geschnitten zu sein schien. Neben dem Krail-on wirkte sie wie eine Erscheinung.

    Alan hielt den Atem an.

    »Ich bin Sorai-an. Der Kass-Un bittet Euch durch mich, seine Gastfreundschaft anzunehmen.«

    In dem Moment ließ sich Jäggi mit einem Keuchen wie eine Bombe neben Dean in den letzten freien Stuhl fallen. Alan sah auf und wandte sich wieder der Kommandotafel zu.

    Delacroix legte den Kopf in den Nacken. »Ihr Angebot ehrt mich. Erlaubt, dass ich Ihnen meine Stellvertreterin schicke, um Ihnen in meinem Namen ein Angebot zu unterbreiten.«

    »Womit haben wir Euer Misstrauen verdient, Kass-Un.«

    Alans Blick zuckte zu Delacroix, suchte die Kommandotafel zu durchdringen, um in seinem Gesicht lesen zu können.

    »Wir misstrauen Ihnen nicht. Wir lassen nur die nötige Vorsicht walten«, erwiderte Delacroix kühl.

    Stark ballte die Faust, aber Sorai-an verneigte sich und antwortete an seiner Stelle. »Eure Worte sind weise, Kass-Un. Erlaubt, dass wir Euch eine Auswahl unseres Proviants zukommen lassen, damit Ihr unser Angebot prüfen könnt. Derweil kann Euer Chefingenieur Eure Energiespezifikationen schicken, damit wir Ihnen auch diesbezüglich ein Angebot machen können. Wenn Ihr erlaubt, kann Ihre Stellvertreterin währenddessen Ihre Handelsgüter auf unser Schiff bringen. Sie ist herzlich eingeladen.«

    Alan lehnte sich zurück. Gut, dass diese Sorai-an das Gespräch an sich gerissen hatte. Stark hätte dem Vorschlag des Commanders sicherlich nie zugestimmt.

    »Ich freue mich darauf, unser Gespräch fortsetzen zu können.«

    Sorai-an neigte bei Delacroix’ Worten den Kopf. »Ich ebenso.«

    Nach Sorai-ans Worten wurde die Kommandotafel wieder transparent und gab die Sicht auf den Commander frei, der sich mit den Fingern an den Mund tippte.

    »Komische Typen«, meinte Dean, als der Commander mit White und Racek im Bereitschaftsraum verschwunden war.

    »Findest du?« Alan fixierte seinen Monitor. Die Bilder in Boldens Bericht hatten die bedrohliche Präsenz, die er angesichts des Krail-on verspürt hatte, nicht vermitteln können. Sie waren ganz anders, als er erwartet hatte. Wie sie wohl rochen? Er versuchte, sich an die Funktion der Frauen in Weiß zu erinnern. Bolden hatte sie beschrieben und ihre Funktion als die einer Heilerin übersetzt. Nach dem, was er vor wenigen Minuten erlebt hatte, wagte Alan, das zu bezweifeln. Sie schienen eher eine Art Beraterin zu sein. Merkwürdig. Er sollte den Commander darauf hinweisen.

    »Wo steckt eigentlich Mabuto?«, fragte Dean.

    »Keine Ahnung. Ich glaube, der Commander hat ihn verwarnt.«

    »Kein Wunder, so seltsam, wie er sich in den letzten Wochen benommen hat.«

    Alan seufzte. »Haben wir uns nicht alle seltsam benommen in den letzten Wochen?«

    »Mag sein.« Die Antwort war für Deans Verhältnisse ungewohnt einsilbig.

    Aber Alan war das im Moment gleichgültig. Er wollte die Krail-on sehen, einem von ihnen Auge in Auge gegenüber stehen. Ohne dass ein Aufnahmegerät und ein Monitor zwischen ihnen lagen. Der Commander musste das einfach verstehen.

    Der Commander verstand es nicht. »Ich will Sie auf Ihrem Posten haben, falls es zu Komplikationen kommt«, war seine Antwort gewesen, als sich Alan freiwillig meldete, um bei der Übernahme des Proviants im Hangar zu helfen. Der Chief sollte das Geschehen überwachen, während White mit dem Shuttle und zwei Crewmen die Krail-on besuchte. Alan beneidete sie.

    Stattdessen saß er mit Delacroix und den Angehörigen der Einser- und Zweierschicht auf der Brücke und langweilte sich, während Ameisen in seinen Eingeweiden zu wohnen schienen. Der Commander rechnete also mit Komplikationen. Dass ihm daran lag, dass sich Alan deshalb auf der Brücke aufhielt, betrachtete Alan als Kompliment. Alans Hinweis auf die weiß gekleidete Frau hatte er mit einem in die Ferne gerichteten Blick und einem Kopfnicken beantwortet. Das war alles gewesen.

    Nach Stunden des Wartens ging eine Nachricht von Hayes über den internen Komm ein. »Die Lebensmittel sind einwandfrei, Sir. Weder toxikologische noch bakteriologische Befunde. Einige der Pflanzen enthalten zu viele Alkaloide für einen menschlichen Organismus, aber ich habe sie aussortieren lassen und Misses White angewiesen, sich auf die besser verdaulichen zu konzentrieren.«

    »Gute Arbeit, Doktor. Machen Sie weiter.«

    »Aye, Sir.«

    Kurz nach ihr meldete sich Racek. »Es gibt’n paar Probleme, Sir. Unsere Energiespezifikationen stimmen mit denen der Krail-on nicht überein.«

    »Dann passen Sie sie an.«

    Man hörte, wie Racek sich kratzte. »Ja, Sir. Das versuchen wir ja. Aber wir können die Symbole der Krail-on nicht umsetzen und sie nicht die unseren. Wir bräuchten einen Zahlenkünstler mit Kenntnissen der Krail-on-Sprache, damit wir vorankommen. Ich dachte mir, sie könnten mir vielleicht Mister McBride ausleihen.«

    Alan horchte auf. Er wagte nicht, sich umzudrehen, aus Angst, den Wunsch zu helfen damit zu verraten. Hoffentlich lehnte der Commander Raceks Bitte nicht ab.

    Der Moment zog sich in die Länge.

    »Spielen Sie ihm die Daten auf Monitor drei«, antwortete Delacroix endlich.

    »Aye, Sir.«

    »Mister McBride.«

    Alan drehte sich um und konnte mit Mühe ein Grinsen unterdrücken. »Ja, Sir.«

    »Sie haben gehört, was Mister Raceks Problem ist. Machen Sie sich an die Arbeit. Miss Skobzewa, Sie übernehmen solange das Ruder.«

    »Aye, Sir. Danke, Sir.« Alan glaubte, ein Zucken um Delacroix' Mundwinkel zu sehen, bevor er sich wieder seinem Monitor zuwandte. Datensalat machte sich darauf breit. Alan lud sich die Übersetzungsdatei dazu und suchte nach Übereinstimmungen. Nach einer Weile wurde er auf eine Gruppierung aufmerksam. Er isolierte sie und schrieb einen Suchalgorithmus, der sich an der Struktur der Gruppe orientierte. Als das Ergebnis sichtbar wurde, lächelte er befriedigt. Er kam der Sache näher.

    Die Zeit verstrich. Alan tauchte in die Zahlen ein, vergaß die Brücke um sich herum, die Bedrohung durch die Irhog und die Krail-on. Irgendwann wurden aus den Zahlengruppen Strukturen höherer Ordnung, die plötzlich Sinn ergaben. Es war wie das Erwachen aus einem Tagtraum. Der Traum wirkte realer als die Realität, die Zahlen waren so präsent, dass sie Alan mit ihrer Gegenwart erdrückten. Das Ergebnis schien so simpel.

    Er wollte gerade Delacroix informieren, da drang Whites Stimme durch die Brücke. »Kehre auf die Sydney zurück, Sir. Sie können Mister McBride beglückwünschen. Rohstoffe und Schokolade. Der Handel geht klar.«

    »Veranlassen Sie alles Erforderliche.«

    »Ja, Sir.«

    »Mister McBride.«

    Alan wandte sich dem Commander zu. Hitze stieg in seine Wangen. »Die Analyse ist fertig, Sir.«

    »Schicken Sie die Daten an Mister Racek. Und meinen Glückwunsch.«

    »Danke, Sir.« Mit Schwung drehte sich Alan wieder dem Monitor zu und hieb in die Tasten. Es hatte funktioniert. Sie hatten Proviant erhalten und würden ihre Energiereserven auffrischen können. Und sie lebten immer noch. Kein Krail-on hatte ihren Kopf gefordert oder ihnen den Krieg erklärt.

    »Doktor Hayes«, hörte Alan die Stimme des Commanders. »Sagen Sie dem Koch, er soll zur Feier des Tages die Fleischreserven anbrechen. Das wird die Stimmung hoffentlich etwas heben. Kümmern Sie sich darum.«

    »Mit Vergnügen, Sir.«

    Deans Ellbogen landete in Alans Seite. »Steak«, raunte er ihm zu. Seine Augen leuchteten.

    In diesem Moment meldete sich White noch einmal per Funk. »Sir, noch eine Information. Sie, Mister Racek und ich wurden zwecks Besiegelung unserer Handelsbeziehungen von Sorai-an zum Essen eingeladen. Ich habe keinen Weg gefunden, diese Einladung zu umgehen, ohne dass es unhöflich wirkte. Da war nichts zu machen, Sir.«

    »Verstanden, Misses White.«

    Damit wurde die Verbindung gekappt.

    Bevor Alan das Bedienungspanel erreichte, öffnete sich vor ihm das Schott zum Trainingsraum. Der Geruch von Schweiß und Metall schlug ihm entgegen. Ein Crewman stand vor ihm und kehrte ihm den Rücken zu. Die Neonbeleuchtung spiegelte sich in seiner Halbglatze.

    »Ich sage dir, die werden uns alle verheizen. Wir sollten etwas unternehmen, bevor es zu spät ist«, ertönte es von irgendwo her.

    Alan erkannte die Stimme sofort.

    »Ich will damit nichts zu tun haben«, rief der Glatzkopf mit dem Bauchansatz. Im gleichen Augenblick drehte er sich um und lief direkt in Alan hinein. »Sir«, stotterte er, als er Alans Rang erkannte.

    Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, stürmte Alan an ihm vorbei in den Trainingsraum. Wie er erwartet hatte, fand er dort Hancock und Koh. Ein dritter Crewman saß bei ihnen auf der Trainingsbank, den Alan unter dem Namen Jerome kannte.

    »Mister Hancock, ich hatte Sie gewarnt«, knurrte Alan.

    »Sir«, begann Koh.

    Hancock stand von der Bank auf und musterte Alan von oben herab. Neben ihm sprang Jerome auf.

    Aber Alan hatte nicht die geringste Lust, sich irgendwelche Ausreden anzuhören. »Gehen Sie zu Lieutenant Commander White. Ich werde bei ihr Meldung erstatten. Sie wird wissen, wie sie mit Ihnen zu verfahren hat. Guten Tag, meine Herren.«

    Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Alan zu einem der Schränke und kramte seine Boxhandschuhe hervor. Er hörte, wie die drei hinter ihm mit Gemurmel abzogen. Das Zischen des Schotts zeigte ihm, dass sie gegangen waren.

    Um eine Diskussion mit White zu umgehen, sprach Alan über den Schiffskomm eine kurze Mitteilung auf ihren Nachrichtenempfänger. Von White abgekanzelt zu werden, wünschte Alan nicht einmal seinem ärgsten Feind. Aber in ihrer Situation konnten sie sich solche Reden nicht leisten. Ein Funken genügte, um die Stimmung an Bord zum Kippen zu bringen.

    Vielleicht hätte er noch einmal mit ihnen reden sollen, durchzuckte es ihn. Voll Zorn schlug er gegen den Spind und genoss das Krachen. Allein sein Ärger auf White hatte ihn davon abgehalten, angemessen zu reagieren. Das zu wissen, steigerte seinen Zorn umso mehr.

    Alan begann, die Bandagen um seine Hände zu wickeln. Auf ein langes Warm-up hatte er heute keine Lust. Als er aufsah, entdeckte er den Crewman mit der Halbglatze, der immer noch neben dem Schott stand.

    »Sir?«

    »Was wollen Sie noch? Mister …?«

    »Crewman Zimmermann, Sir. Ich wollte wissen … Soll ich mich auch …«

    Alan runzelte die Stirn. »Weshalb? Sie haben sich von den anderen distanziert. Halten Sie sich künftig von ihnen fern.«

    Mit offenem Mund starrte Zimmermann ihn an.

    »Sie können gehen, Mister Zimmermann.«

    Zimmermann löste sich aus seiner Starre und klappte den Mund wieder zu. »Ja, Sir. Danke, Sir«, beeilte er sich zu sagen und eilte aus dem Trainingsraum.

    Alan blickte ihm hinterher. Zimmermann war sicherlich der Einzige der vier, der ihn nun nicht hassen würde. Dass er sich damit Feinde unter den Crewmen eingehandelt hatte, trug nicht dazu bei, seine Laune zu bessern.

    Alan drosch auf den Sandsack ein, als ginge es um sein Leben.

    »Heh, was ist los mit dir?« Dean schlang das Handtuch um seinen Hals und lümmelte sich auf eines der Trainingsgeräte. Seine Stirn zeigte nicht den Ansatz einer Schweißspur.

    »Nichts«, antwortete Alan.

    »Du hast doch alles, was du wolltest.«

    Schweiß tropfte in Alans Augen. »Ich wollte nicht, dass sie sich von den Krail-on zum Essen einladen lassen.«

    »Meinst du nicht, dass du etwas … äh … subjektiv bist, wenn es um White geht?«

    »Bin ich nicht.« Alan versetzte dem Sandsack einen Haken, dass dieser ins Trudeln geriet. Er hielt inne, wischte sich den Schweiß von der Stirn und lehnte nach Atem ringend die Stirn gegen das Leder. »Sie hat’s vermasselt. Sie hätte sie dazu bringen müssen, eine Einladung bei uns anzunehmen.«

    »Damit die Krail-on zu uns kommen?« Dean verdrehte die Augen. »Nun werd mal locker! Wo ist der Unterschied?«

    »Der Unterschied?« Alan wirbelte zu ihm herum. »Unsere drei Führungsoffiziere wollen gemeinsam das Schiff verlassen. Das ist der Unterschied.«

    »Kommst du jetzt mit den Dienstvorschriften?«

    »Diese dreimal verfluchten Dienstvorschriften haben einen Sinn, Dean.«

    »Dann sag es doch dem Commander.« Dean stand auf und bückte sich nach seinem Sweatshirt, das neben dem Sandsack auf dem Boden lag.

    »Willst du etwa schon aufhören?« Alan hielt Dean die Hände mit den Boxhandschuhen entgegen. »Ich wollte noch ein paar Sit-ups machen.«

    Dean hängte sich den Sweater um die Schultern und begann, die Schnürung von Alans Boxhandschuhen zu lösen. »Keine Lust.«

    »Du könntest es vertragen.«

    Dean grinste ihn an. »Dein Anblick demotiviert mich. Ich dusche lieber

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