Der Kaperkapitän: Erzählung aus "Halbblut", Band 38 der Gesammelten Werke
Von Karl May
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Über dieses E-Book
"Der Kaperkapitän" ist eine Kurzgeschichte. Sie wurde bereits in "Halbblut" (Band 38 der Gesammelten Werke) veröffentlicht.
Karl May
Karl Friedrich May (* 25. Februar 1842 in Ernstthal; † 30. März 1912 in Radebeul; eigentlich Carl Friedrich May)[1] war ein deutscher Schriftsteller. Karl May war einer der produktivsten Autoren von Abenteuerromanen. Er ist einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache und laut UNESCO einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland. (Wikipedia)
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Buchvorschau
Der Kaperkapitän - Karl May
KARL MAY
DER KAPERKAPITÄN
HISTORISCHE ERZÄHLUNG
Aus
KARL MAYS
GESAMMELTE WERKE
BAND 38
„HALBBLUT"
© Karl-May-Verlag
eISBN 978-3-7802-1319-8
Die Erzählung spielt Ende des 18. / Anfang des 19. Jahrhunderts.
KARL-MAY-VERLAG
BAMBERG • RADEBEUL
Inhalt
DER KAPERKAPITÄN
1. Vor Toulon
2. Der Blockadebrecher
3. Der Flug des Falken
4. Falke und Adler
5. In Paris
DER KAPERKAPITÄN
1. Vor Toulon
Es war am Maternustag des Jahres 1793. Wochenlang hatte man auf die gesegneten Fluren der Provence das Bibelwort anwenden können: „Der Himmel über dir soll sein wie brennendes Erz und die Erde unter dir wie glühendes Eisen". Heute früh aber hatte sich der Horizont mit dichten, kumulierenden Wolken umlagert, deren Säume sekundenlang von zuckenden Blitzen illuminiert wurden, während die krachenden Schläge des Donners die Felsen der Küste erschütterten und an den gischtumspritzten Wogenkämmen ihre Echos zu vertausendfachen schienen.
Der prasselnde Regen goss so dicht herab, dass ihm keine Kleidung zu widerstehen vermochte und wohl jedes lebende Wesen sich schon längst unter ein schützendes Obdach zurückgezogen hatte. Ein Einziger nur befand sich im freien Felde. Er schritt die Straße dahin, die durch Wein- und Olivenpflanzungen nach dem Städtchen Beausset führt. Sein Gewand war, leicht und sommerlich gearbeitet, vom Regen vollständig durchdrungen, legte sich eng wie eine Haut an seine schlanke, kräftige Gestalt; aber das schien ihn nicht im Mindesten zu stören. Sein jugendliches Gesicht lächelte vergnügt in den Gewitterguss hinein und seine federnden Schritte waren ganz diejenigen eines Spaziergängers, der nicht die geringste Veranlassung hat, sich zu beeilen.
Da tauchte vor ihm, an der Seite der Straße, ein kleines Häuschen auf. Zu beiden Seiten der Tür waren je zwei ineinandergesteckte Dreiecke angebracht, und darüber stand in halb verwaschenen Lettern zu lesen: ‚Cabaret du roussillon‘.
Er blieb trotz des strömenden Regens ganz gemütlich davor stehen, schob die Mütze ins Gesicht, stemmte die Fäuste in die Hüften und betrachtete die Inschrift genau. „Cabaret du roussillon! Ob dieser Roussillon wohl echt sein wird? Das Haus sieht nicht danach aus. Nasser werde ich nicht, wenn ich weitergehe, und ich weiß dann ganz genau, dass ich es mit reinem Gotteswasser zu tun habe. Wasser ist die herrlichste Gabe des Himmels, aber im Wein soll man es nicht finden. Ich werde also weitersegeln und erst in Beausset vor Anker gehen."
Schon wandte er sich, um seinen Weg fortzusetzen, als die Tür sich öffnete und eine Person erschien, in der man sofort den Wirt erkannte.
„Eh, mon cher, wohin wollen Sie?, erklang eine schrille, fette Weinstimme unter der blauen Nase hervor. „Ist es vielleicht Ihre Absicht, in diesem Wolkenbruch ertrinken zu wollen?
„Das weniger, antwortete der Wandersmann. „Vor diesem Wetter fürchte ich mich nicht, wohl aber vor einem Wolkenbruch aus Ihren Fässern.
„Dann kommen Sie getrost herein, denn wir haben ganz denselben Geschmack und ich bin nicht der Mann, der einen guten Bürger mit einem schlechten Wein vergiftet."
„So will ich Ihrem Wort glauben und auf fünf Minuten beidrehen. Holla, ein neuer Mann an Bord!"
Die letzten Worte sprach er, bereits in die Stube tretend, wo er sich das Wasser möglichst aus den Kleidern schüttelte, ungefähr wie es ein nasser Pudel tut, und dann auf dem Stuhl Platz nahm, den ihm der Wirt herbeigezogen hatte.
In dem kleinen Raum sah es ordentlich kriegerisch aus. Er war ganz von Soldaten des Konvents[1] erfüllt und außer dem zuletzt Eingetretenen und dem Wirt gehörte nur ein einziger Gast dem Zivil an; dies war ein Missionsprediger vom Orden des Heiligen Geistes, der im Jahre 1703 von Abbé Desplaces, Vincent le Barbier und J. H. Garnier in Paris gestiftet wurde. Dieser Priester saß still in seiner Ecke und schien sich mehr mit seinen Gedanken als mit seiner Umgebung zu beschäftigen. Er musste ein ungewöhnlicher und mit einem ganz besonderen Mut begabter Mann sein, sonst hätte er sich nicht unter diese wilde Soldateska gewagt.
Man hatte damals in Frankreich bereits alle geistlichen Orden aufgehoben und von sämtlichen Geistlichen die Ablegung des Bürgereids verlangt. Wer diesen Eid verweigerte, wurde als Rebell behandelt. Es war eine Zeit der wildesten Anarchie. Wenige Tage nach dem Beginn unserer Erzählung, nämlich am 6. Oktober 1793, schaffte man die vorherige Zeitrechnung ab; am 10. Dezember führte die Pariser Commune den ‚Dienst der Vernunft‘ ein; am 7. Mai 1794 verfügte der Nationalkonvent, dass es keinen Gott mehr gäbe, und am 24. desselben Monats befahl dieser Konvent, dass kein Bürger mehr an die Unsterblichkeit der Seele glauben dürfe. Unter diesen Umständen war es gewiss ein Beweis außerordentlichen Mutes, sich im Ordenskleid unter die halb betrunkenen Krieger der Revolution zu wagen, eine Kühnheit, die sehr leicht verhängnisvoll werden konnte.
Ein bärtiger Sergeant-Major war der Erste, der den eingetretenen Fremden anredete: „Holla, Bürger, woher des Wegs?"
„Ein wenig von der Durance herunter."
„Und wohin, he?"
„Nach Beausset hinein."
„Was willst du dort?"
„Einen Freund besuchen. Hast du vielleicht etwas dagegen?"
„Hm, vielleicht, vielleicht auch nicht."
„Aaah!"
Er stieß diesen Laut nur langsam und leise aus, aber es wäre wohl nicht möglich gewesen, eine ironische Stimmung deutlicher auszudrücken. Er legte die Beine übereinander, schlug die Arme über der Brust zusammen und blickte den Sergeant-Major mit ein Paar Augen an, in denen alles, nur keine Bewunderung zu lesen war. Dieser junge Mann konnte höchstens dreiundzwanzig Jahre zählen, aber seine hohe Stirn, seine breiten Schläfen, die dichten Brauen, der durchdringende Blick, die scharfe Adlernase, der energisch gezeichnete Mund, der sehnige, von der Sonne gebräunte und vom Hemdkragen bloßgelassene Hals, die breiten Schultern, der geschmeidige Gliederbau, das alles machte den Eindruck des Gereiften, des Achtunggebietenden, des Ungewöhnlichen.
„Was wunderst du dich da, Bürger?, fragte der Unteroffizier. „Glaubst du, dass zum Hauptquartier in Beausset ein jeder Zutritt habe, dem es beliebt?
„Das glaube ich nun freilich nicht; aber glaubst du vielleicht, Bürger Sergeant-Major, dass du es bist, den man um Erlaubnis zu fragen hat?"
„Schweig! Ein jeder Soldat hat die Pflicht, die Sicherheit des Heeres zu bewachen! Wie ist dein Name, Bürger?"
„Surcouf", antwortete der Gefragte mit einem spöttischen Zug um die Mundwinkel.
„Der Vorname?"
„Robert, Robert Surcouf."
„Was bist du?"
„Seemann."
„Ah, darum tappst du in aller Seelenruhe wie eine Ente da draußen im Wasser herum! Wer ist der Freund, den du besuchen willst?"
„Der Bürger-Grenadier Andoche Junot."
„Andoche Junot, der Advokat gewesen ist? Das ist ein guter Kamerad. Woher kennst du ihn?"
„Wir sahen uns zu Bussy le Grand, wo er geboren wurde."
„Das stimmt! Du bist legitimiert, Bürger Surcouf. Junot steht bei meiner Kompanie; ich werde dich zu ihm bringen. Vorher aber magst du mit uns trinken. Es gibt hier nur eine Sorte Roussillon, aber er ist stark und lieblich zugleich. Probiere ihn!"
Der Wirt brachte ein großes Humpenglas des berühmten Getränks und alle Hände streckten sich aus, es auf Rechnung des Fremden anzutrinken. Dieser ließ sich das lachend gefallen; er gab zu, dass man das Glas immer von Neuem zu füllen befahl und wieder austrank, und als der Wirt wegen der Bezahlung ein bedenkliches Gesicht zu machen begann, zog er eine Handvoll Assignaten[2] aus der ledernen Brieftasche und warf davon mehr als nötig auf den Tisch. Bei diesem Anblick erhob sich großer Jubel; der Wirt musste von Neuem füllen und nun wurde auch der geistliche Herr bedacht, dem man bisher noch keinen Schluck gegönnt hatte. Der Sergeant-Major trat zu ihm, hielt ihm den Humpen entgegen und forderte ihn auf:
„Steh auf, Bürger Confrère, nimm das Glas und trinke auf das Wohl des Konvents, der den Papst zum Lande hinausgeworfen hat!"
Der Priester erhob sich wirklich und ergriff das Glas; aber anstatt den geforderten Toast zu bringen, sprach er mit sanfter, jedoch fester Stimme: „Gott hat uns diese Gabe nicht zur Lästerung gegeben. Im Wein ist Wahrheit und ich will nicht eine Lüge sagen. Ich trinke auf das Wohl des Heiligen Vaters in Rom, den die Heerscharen des Himmels beschützen werden!"
Er wollte das Glas zum Munde führen, aber ein Faustschlag des Sergeant-Majors schmetterte es ihm aus der Hand, sodass es am Boden in Stücke zerschellte. „Was fällt dir ein, Bürger Confrère!, rief der Unteroffizier. „Weißt du nicht, dass in unserem schönen Frankreich der alte Saint-père abgesetzt worden ist? Wie lange wird es dauern, so wirft man euch auch selbst hinaus mit allem, was ihr uns weisgemacht habt! Ich befehle dir, deinen Toast zu widerrufen!
Da drängte sich ein anderer, ein Tambour-Major, hinzu: „Halte-là, Alter! Warum zerschlägst du ihm das Glas? Bürger Wirt, gib