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Johanna
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eBook188 Seiten2 Stunden

Johanna

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Über dieses E-Book

Johanna hat es von Beginn an nicht leicht im Leben. Die Tochter einer armen Taglöhner-Familie wird früh zur Waise und zum billigsten Tarif einer Pflegemutter übergeben. Zunächst kümmert sich die alte Frau um das Kind, doch dann verfällt sie der Trunksucht und stirbt. Das Haus brennt nieder und Johanna muss selbst sehen, wo sie bleibt. Sie wird Magd am Bauernhof des Bürgermeisters, später Haushaltshilfe bei reichen Leuten in der Stadt, erfährt Misshandlungen und Demütigungen von allen Seiten. Die wenigen lichten Momente versucht Johanna auszukosten, immer mit der Hoffnung, dass ihr Leben doch noch eine glückliche Wendung nimmt.
Ein eindringlicher und realitätsnaher Roman über die ärmste und schwächste soziale Schicht der Zwanzigerjahre und ein Frauenschicksal.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Atelier
Erscheinungsdatum26. Feb. 2020
ISBN9783990650349
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    Buchvorschau

    Johanna - Fritz Rosenfeld

    Literatur

    I.

    Über den Himmel jagen Wolkenfetzen, grelle Blitze zucken durch die Nacht, der Regen peitscht die aufgeweichte Straße, der Sturm heult wilde Gesänge in den Tannenwipfeln, aus dem Walde dröhnt das Fallen gebrochener Bäume, hie und da kreischt ein Tierlaut auf, hallt als endlos gezogener Schrei durch das Dunkel.

    Ein Wagen schiebt sich mühsam durch den anschwellenden Kot, der Gaul trottet müde dahin, der Mann auf dem Kutschbock verkriecht sich in seinen Mantel, läßt die Peitsche über den Rücken des Pferdes knallen. Seine Laterne ist längst erloschen. Wenn der Wind ihm einen Regenschwaden ins Gesicht wirft, stößt er einen dumpfen Fluch aus.

    Stunde um Stunde rollt dahin, das Wetter rast mit wachsendem Ungestüm. Die Straße gleicht einem Strom, Wasser spritzt auf, wo der Huf des Pferdes den Boden berührt. Der Mann läßt die Peitsche sinken. Wozu das Pferd quälen – es kann kaum mehr weiter.

    Schießt eine Blitzfurche über den Himmel, so werden die Gipfel der Berge sichtbar. Unheimlich starr schimmern sie, nackte Felsen, ohnmächtig aufgereckt gegen das Firmament.

    Nach und nach wird das Gewitter schwächer. Die Wolkendecke teilt sich wie ein Schwarm, der auseinandereilt, aus den geborstenen dunklen Ballen tropft Regen, trommelt gleichmäßig auf die Blachen, die den Wagen überspannen.

    Der Mann wendet sich ins Wageninnere.

    »Es hört auf, Johanna. Hab’ keine Angst mehr. Es ist vorüber. Bald wird es Tag. Die Sonne geht auf – dann wird es warm. Und dann sind wir im Dorf. Zieh’ die Decke fest zusammen, Kind – so, und schlaf noch ein bißchen. Wenn du erwachst, ist es hell und warm.«

    Das Kind im Wagen bohrt sich unter die schwere Decke, der Mann greift zur Peitsche. Schneller rollt der Wagen. Der Regen singt eine betäubende Melodie. Der einförmige Rhythmus seines Fallens zwingt die Augen zu.

    Am Horizont tasten sich zaghaft die ersten Lichtstrahlen herauf.

    Das Dorf erwacht. Die Menschen kriechen aus den Häusern, eilen auf die Felder, um zu sehen, was das Gewitter ihnen zerschlug. Mägde kommen aus den Ställen, die Milch dampft in den Eimern, sie füllen große Wannen an, Knechte beladen die Wagen. Geduldige Pferde schleppen die Wagen der Stadt zu, Tag für Tag denselben Weg.

    Am Ende der Dorfstraße begegnen die Wagen einander. Der Mann auf dem Bock ruft die andern an:

    »Heda – ihr, wo wohnt euer Bürgermeister?«

    Die Wagen halten. Einer weist den Weg. Die Peitschen knallen – und die Räder rasseln weiter.

    Der Bürgermeister reibt sich den Schlaf aus den Augen. Er ist spät ins Bett gekommen. Der Blitz hat in eine Scheune eingeschlagen – da hieß es löschen helfen. Er ist mißmutig. Das Getreide steht schlecht, und der Himmel schickt Wetter auf Wetter. Ein Glück, daß die Scheune leer war, die in der Nacht niederbrannte.

    Es klopft an die Tür. Die Magd tritt ein.

    »Bauer – draußen ist einer, der euch sprechen will.«

    »Wer ist es denn – in aller Früh – will wieder betteln – wahrscheinlich.«

    »Weiß es nicht. Er kommt mit einem Kind.«

    »Laß ihn herein. Kaum hat man die Augen aufgeschlagen, geht der Ärger an.«

    Der Mann tritt ins Zimmer, macht eine demütige Verbeugung, zerknittert seinen Hut in der Hand, ist verlegen. Das Kind an seiner Seite wagt nicht aufzublicken, klammert sich an seinen Rock.

    »Was wollt Ihr?«

    »Ihr seid der Bürgermeister?«

    »Der bin ich.«

    »Dann bin ich am richtigen Ort.«

    Der Mann schielt nach dem Tisch, als warte er darauf, zum Sitzen aufgefordert zu werden. Mit einer gnädigen Handbewegung lädt ihn der Bürgermeister ein. Beide setzen sich, das Kind schmiegt sich scheu an den Begleiter.

    »Nun sprecht – was führt Euch her?«

    »Es geht um die Kleine da. Ich komme von drüben – überm Gebirge. Die Gemeinde schickt mich. Das ist nämlich so, das Mädele da ist die Tochter eines Taglöhners, der aus eurem Dorf stammt. Wie er hieß, weiß ich nicht. Den Taglöhner-Franz haben wir ihn genannt. War ein kratzbürstiger, unfreundlicher Geselle – aber das tut nichts zur Sache. Er war hier gebürtig, auch sein Weib war von hier. Erinnert ihr euch?«

    Der Bürgermeister denkt eine Weile nach.

    »So ein Kleiner wars – ein armseliger Kerl – und das Weib war sommersproßig –«

    »Ja, die waren es. Und die sind nämlich gestorben. Nicht gleichzeitig. Er ist im vorigen Jahr bei einem Bergrutsch umgekommen. Wie das geschehen ist, weiß bis heute niemand. Eines Tages rollte unten beim Bach ein Felsen ab – unter dem Felsen fanden wir den Taglöhner-Franz. Kein Knochen war ganz mehr. Das Weib hat geweint und gejammert – aber dann hat sie sich halt um Arbeit umgesehen. Hat sich recht und schlecht durchgefrettet mit dem Kind, ist aushelfen gegangen, wo man jemanden gebraucht hat, hat Kräuter gesammelt – und ab und zu haben wir ihr was geschenkt – wie das so ist. Hat oft genug Nägel beißen müssen, das arme Weib. Dann ist sie krank worden – war kein Wunder – bei der Schinderei und dem Essen. Einen Monat ist sie gelegen – und vor einer Woche gestorben. Das Kind ist zurückgeblieben. Verwandte sind keine – da hat man mich hergeschickt, Ihr müßt es übernehmen. Es gehört zu Euch. Was die Eltern gehabt haben, liegt draußen im Wagen. Viel ist es nicht. Sind halt recht arme Teufel gewesen.«

    Der Bürgermeister war aufgestanden und ging mit großen Schritten durchs Zimmer. Er kannte diese Geschichten. Kinder in die Welt setzen und sie dann der Gemeinde auf den Hals laden.

    »Das geht uns gar nichts an. Die Leute haben bei Euch gewohnt und sind bei Euch gestorben und begraben. Ihr müßt für das Kind sorgen.«

    »Sie sind bei Euch geboren – und gehören zu Eurer Gemeinde. Auch das Kind ist hier zur Welt gekommen. Wir haben gar keine Pflichten gegen sie.«

    Der Widerstand bringt den Bürgermeister in Zorn. Er fährt los wie ein Wilder:

    »Macht mit dem Kind, was Ihr wollt. Von mir aus ertränkt es im Bach. Lebenslang hat man die Bettler zu erhalten, und dann soll man noch die Kinder füttern. Wenn man das tut, wird das Gesindel nur frech. Hätten das Kind mitnehmen sollen – wer braucht es denn. Laufen genug Rangen im Dorf herum. Noch ein Balg mehr – nein. Jetzt soll man es aushalten – und wenn es groß ist und arbeiten kann, dann läuft es davon. Dann gehört es nicht mehr zur Gemeinde. Nein, nein, macht mit dem Kind, was Ihr wollt.«

    »Aber wir können doch das Kind nicht verhungern lassen.«

    »Wenn du so weichherzig bist, nimm es dir, es wird dir keiner streitig machen.«

    »Hab’ selbst genug – mehr als ich Brot hab’.«

    »Dann soll es Eure Gemeinde erhalten. Die unserige ist arm und hat nichts übrig für fremde Kinder. Heut nacht ist einem die Scheune abgebrannt – dem müssen die Anderen unter die Arme greifen – hat nichts zum beißen –«

    »Wir sind auch nicht reich. Wir können es nicht erhalten. Uns ist es ein Fremdes. Streit’ nicht, Bürgermeister, du weißt, es gehört Euch. Du weißt, es ist Eure Pflicht, für das Kleine zu sorgen.«

    »Pflicht hin, Pflicht her. Ich will nicht, und das ist wichtiger.«

    »So – – du willst nicht. Nun gut. Meinetwegen. Ich laß das Kind da. Geh, Hannerl, wir holen deine Sachen.«

    Das Kind hat von dem Auftritt nichts verstanden, es weiß nicht, worum es geht. Gehorsam läuft es auf die Straße, hilft die Kleiderbündel und Taschen ins Zimmer tragen. Der Bürgermeister steht dabei, die geballten Fäuste in den Hosentaschen vergraben, und sieht ohnmächtig zu. So sehr er zürnt, so heiß die Wut in ihm kocht, weiß er doch ganz genau, daß er nichts machen kann, weil er zur Erhaltung des Kindes verpflichtet ist.

    »So, da sind die Sachen. Mehr war es nicht. Ihr könnt drüben nachfragen, wenn Ihr mir mißtraut.«

    Nochmals flammt der Zorn des Bürgermeisters auf.

    »Und ich sag – daß ich es nicht leide – ich will nicht –«

    »Das macht untereinander aus. Ich selber kann nichts dafür. Wir haben kein Geld.«

    Der Mann wendet sich zum Kind.

    »Bleib recht brav, Hannerl, ich besuch’ dich bald – ja – gut sein zum neuen Onkel – recht folgsam sein – ja –«

    Er bietet dem Bürgermeister die Hand, die dieser widerwillig nimmt. Das Kind blickt dem Manne unverständig nach. Es begreift dunkel, daß er sich von ihm trennt und fängt darum zu weinen an. Als es auf die Straße läuft, ist der Wagen bereits fort. Es geht in die Stube zurück, sieht zu dem großen, finsteren Mann auf, und als dieser sich abwendet, schleppt es seine Habe in den Winkel, wirft sich darauf und weint wieder.

    Der Bürgermeister rief die Bauern zusammen. Sie wetterten und tobten, weil sie einen unnützen Esser ernähren sollten. Aber da sie sich nicht helfen konnten, fügten sie sich darein und suchten so billig wie möglich davonzukommen. Sie schrieben eine Art Versteigerung aus und bemühten sich, das Kind um ein möglichst geringes Kostgeld unterzubringen. Es wurde um ein paar Groschen gefeilscht. Niemand wollte das Kind nehmen, denn soviel, daß man daran verdienen konnte, gab die Gemeinde nicht, und umsonst wollte niemand das Kind erhalten. Wenn nur die Kosten gedeckt waren, dann blieben Zeit und Mühe unbezahlt. Hätte man es kaufen können – sich ein Anrecht auf die werdende Arbeitskraft sichern – das wäre eine gut verzinste Kapitalanlage gewesen. Das Kind billig großzufüttern, um dann ein williges Arbeitstier zu haben. Aber das ging nicht an.

    Im hohen Rat der Gemeinde wußte man nicht aus noch ein. Witzbolde sagten, wenn sich niemand findet, muß der Bürgermeister das Kind behalten. Wäre es zu irgendeiner Arbeit zu brauchen gewesen, hätte er das auch gerne getan. Aber es war erst vier Jahre alt.

    Endlich erinnerte man sich einer alten Häuslerin, die an der äußersten Grenze des Dorfes, wo der Wald begann, wohnte, und nichts zu beißen hatte. Die war für einen Groschen zu allem zu haben. Sie ließ das Kind hungern, aber das kümmerte niemanden, und wenn es bei ihr zugrunde geht, ist die Gemeinde von der Last befreit. Der Bürgermeister übernahm es selbst, das Kind hinzuführen. Und da nicht anzunehmen war, daß die Alte das Geschäft zurückweisen werde, galt die Sache für erledigt.

    Die Hütte der Alten stand am Waldrand, war ehemals von Köhlern bewohnt gewesen, dann verfallen, eine Zeit lang hatten Zigeuner darin gehaust; als das Haus der Alten einmal niedergebrannt war, wies man ihr die Hütte an. Der Tischler vernagelte die eingebrochenen Fenster, zimmerte einige rohe Möbel, und damit war genug getan. Niemand dachte an das alte Weib, man sah es selten auf dem Stück Acker, das man ihm geschenkt hatte, traf es noch seltener im Dorf. Es suchte keinen und wurde von keinem gesucht.

    Darum verwunderte sich die Alte sehr, als der Bürgermeister eines Tages daherkam – sie war vor Aufregung außer sich, lief in dem engen Raum umher, wußte nicht, was sie beginnen sollte.

    »Aber die Ehre – der Herr Bürgermeister.«

    Der Bürgermeister, der Eile hatte, beschwichtigte sie. Sie ließ es sich aber nicht nehmen, de Stühle abzuräumen, warf allerlei Plunder kurzerhand in den Winkel, holte aus einer Truhe eine Flasche Branntwein, um den Bürgermeister zu bewirten. Da ihm daran lag, sich mit der Alten zu vertragen, trank er einen Schluck. Nun wandte sich die Alte zu dem Kinde.

    »Ja – was bringt ihr mir da für eine liebliche Prinzessin?«

    »Das Kind soll bei Euch bleiben. Hört zu.«

    Mit wenigen Worten klärte der Bürgermeister die Häuslerin über das Wichtigste auf. Die Alte war sofort einverstanden. Als sie das Geld für den ersten Monat sah, kannte ihre Freude keine Grenzen. Ihre brennenden Augen gierten aus fahlen Höhlen nach den Münzen. Der Bürgermeister beobachtete sie scharf.

    »Du haftest selbstverständlich für das Kind.«

    »Selbstverständlich – das süße Kleine – wird es gut bei mir haben. – Ich hab ja Kinder gern. Herr Bürgermeister – Sie wissen es gar nicht – so gern. Und dann – bin ich nicht mehr so einsam. Es ist manchmal recht unheimlich – da heraußen.«

    Und ihre Blicke strichen neugierig nach dem Bündel, das die Kleine trug.

    »Das sind ihre Kleider. Einiges ist noch von der toten Mutter. Das kannst du für dich verwenden.«

    »Tausend Dank – Herr Bürgermeister – tausend Dank. Werde meine Sache schon gut machen.«

    »Ich schaue mal wieder her. – Wenn dem Kind etwas zustößt, meldest du’s sofort – verstanden?«

    »Es wird ihm nichts zustoßen bei mir – ich werde es gut halten.«

    Ohne auf das Kind zu blicken, ging der Bürgermeister davon.

    Kaum war die Tür hinter ihm zugefallen, da stürzte sich die Alte auf das Bündel, riß es auf, wühlte in den Kleidern, suchte die buntesten Stücke, hielt sie sich selbstgefällig vor den Leib. Das Kind sah zu, wußte nicht, wie ihm war. Eine tiefe Leere gähnte in seinem Innern.

    Es ging gegen Mittag. In dem kleinen Ofen flackerte Feuer, die Alte kochte Kartoffeln, das Kind

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