Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Blutzoll: Der Tod riecht nach Diesel und Schwefel
Blutzoll: Der Tod riecht nach Diesel und Schwefel
Blutzoll: Der Tod riecht nach Diesel und Schwefel
eBook512 Seiten6 Stunden

Blutzoll: Der Tod riecht nach Diesel und Schwefel

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Die verstörende Geschichte eines Söldners, der die zu jagen beginnt, die ihn einst beauftragten. Selbst zur Zielscheibe von Polizei, Verbrechern und Medien geworden, zieht er eine Spur der Verwüstung durchs Land.

Alexander Wohnhaas – der Sänger von MEGAHERZ – legt mit Blutzoll einen absolut bösen Thriller vor, der unserer Gesellschaft erbarmungslos den Spiegel vorhällt.





Die edle Erstauflage in der SPECIAL EDITION erscheint Ende Dezember/Anfang Januar:

• Edles Hardcover im Maxi-Format, 320 Seiten
• eingeschlagen in rotes Iris-Leinen, mit aufwendiger Prägung
• farbiger Vor- und Nachsatz
• Hochwertiger Schutzumschlag, vollfarbig bedruckt
• Limitierte Erstauflage
SpracheDeutsch
HerausgeberUBOOKS
Erscheinungsdatum19. Feb. 2016
ISBN9783944154411
Blutzoll: Der Tod riecht nach Diesel und Schwefel

Ähnlich wie Blutzoll

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Blutzoll

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Blutzoll - Alexander Wohnhass

    1. Auflage Dezember 2015

    ©opyright 2015 by Alexander Wohnhaas

    Cover By Agnieszka Szuba, www.tbwcreative.com

    Satz: nimatypografik

    ISBN: 978-3-944154-41-1

    Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder

    eine andere Verwertung ist nur mit schriftlicher

    Genehmigung des Verlags gestattet.

    Möchtest Du über unsere Neuheiten auf dem Laufenden bleiben?

    Oder möchtest Du uns sagen, wie Dir das Buch gefallen hat?

    Sende uns eine Email an info@u-line-verlag.de. Wir freuen uns!

    U-line UG (haftungsbeschränkt)

    Neudorf 6 | 64756 Mossautal

    www.u-line-verlag.de

    Inhalt

    Vorwort

    Bruchstücke einer Erinnerung, Afghanistan

    Etwa ein Jahr später

    1

    2

    3

    4

    5

    6

    7

    8

    9

    10

    11

    12

    13

    14

    15

    16

    17

    18

    19

    20

    21

    22

    23

    24

    25

    26

    27

    28

    29

    30

    31

    32

    33

    34

    35

    36

    37

    38

    39

    40

    41

    42

    43

    44

    45

    46

    47

    48

    49

    50

    51

    52

    53

    54

    55

    56

    57

    58

    59

    60

    61

    62

    63

    64

    65

    66

    67

    68

    69

    EpilogNachspiel

    1

    2

    Schlusswort

    Ein besonderes Dankeschön!

    Gewidmet allen Opfern

    kriegerischer Auseinandersetzungen und denjenigen,

    die unter Terror und Verfolgung leiden.

    Vorwort

    Hallo und herzlich willkommen in meinem neuen Roman Blutzoll – Der Tod riecht nach Diesel und Schwefel.

    Die Arbeit von über 3 Jahren Recherche, Ideen sammeln, unzähligen Gesprächen, welche die Vielfalt meiner Charaktere bereichert haben und mir halfen, diese Geschichte so authentisch wie möglich zu gestalten, hat nun ein Ende und ich darf Dir, lieber Leser, endlich meinen neuen Roman anvertrauen. Er beinhaltet viele aktuelle Themen, die ich gewissenhaft recherchiert und über die ich mir viele Gedanken gemacht habe, bevor ich sie in meine Geschichte einfließen ließ. Dennoch ist und bleibt es eine fiktive Geschichte. Alle Personen und Örtlichkeiten, die ich darin beschreibe, sind erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen oder existierenden Orten ist zufällig. Der Name der Stadt wird nicht genannt und auch Bärlachsfeld, das Viertel, in dem der Großteil der Rahmenhandlung passiert, ist ebenso meiner Fantasie entsprungen. Dennoch glaube ich, dass diese Geschichte in vielen deutschen oder auch europäischen Städten so oder so ähnlich passieren könnte.

    Wer an Hintergründen interessiert ist, was mich zu dieser Geschichte bewegte, auf welchen Grundlagen ich das Ganze aufgebaut habe usw., den verweise ich auf das Schlusswort, das ich absichtlich ans Ende dieser Geschichte gesetzt habe.

    In diesem Sinne wünsche ich Dir, lieber Leser, hiermit ein anregendes und hoffentlich kurzweiliges Lesevergnügen.

    Bruchstücke einer Erinnerung,

    Afghanistan

    Die Sonne knallt wie ein wütendes Versprechen auf die felsige Landschaft. Ich begleite eine amerikanische Einheit in den Süden Kandahars. Die Amerikaner haben mich schon öfter angeheuert. Ich kenne mich hier aus, doch was heißt das schon in dieser gottverlassenen Gegend?

    Das Dorf liegt vor uns. Drei gepanzerte Transporter, vollbesetzt mit etwa fünfzig Mann, brettern über die löchrige Piste. Es gibt nur einen Weg und der tiefe Graben daneben lauert wie eine tödliche Schlangengrube. Kundschafter haben uns berichtet, dass das Dorf sicher sei. Die Taliban wären abgezogen, weiter südlich in die Berge. Kundschafter, die auf meiner Gehaltsliste stehen. Doch kann ich ihnen trauen? Kann ich irgendjemandem in diesem Land trauen, dessen Loyalität gerade so weit reicht, wie man spucken kann? An einem Tag wird man gastfreundlich bewirtet, von jedermann mit offenherzigen Worten begrüßt und am nächsten schlitzen die gleichen Männer einem die Kehle auf. Nichts, was ich woanders nicht auch schon erlebt hätte. Doch dieses Land und ihre Leute sind unerbittlich. So störrisch wie ein Esel, so wild wie Broncos und so rachsüchtig wie Sizilianer.

    Kein angenehmer Ort, doch das ist es ja nie.

    Als wir das Dorf erreichen und die Kolonne eine enge Straßenmündung passiert, springt plötzlich aus einer Seitengasse ein Junge auf die Straße. Er rennt einem roten Fußball hinterher der über die Straße kullert. Die heran donnernden Fahrzeuge scheint er nicht zu bemerken oder er glaubt, seinen Ball noch retten zu können, bevor wir darüber fahren und ihn platt walzen.

    Der Beifahrer lacht grimmig und brüllt:

    «Gib Gas! Fahr ihn zu Brei!»

    Der Krieg macht aus jedem Menschen etwas anderes.

    Der Fahrer hingegen wirkt unsicher. Er ist noch jung, vermutlich erst wenige Tage oder Wochen im Einsatz. Er wird langsamer.

    «Mann, gib Gas!» motzt der Beifahrer. «Wir dürfen hier nicht stehenbleiben!»

    Der Ball rollt direkt auf unser Fahrzeug zu. Der Junge achtet gar nicht auf uns. Er sieht nur den Ball, als wären wir Luft. Das Ganze sieht so komisch aus, dass man es für einen Witz hätte halten können, doch ich weiß es besser.

    Der Fahrer steigt in die Eisen, der Beifahrer schreit entsetzt und ich ducke mich und gehe in Deckung. In dem Moment fliegt auch schon die erste Sprengladung in die Luft. Bumm!

    Etwa ein Jahr später

    1

    «Es gibt mehr als nur eine Hölle, an der man zugrunde gehen kann. Im Altersheim zwischen demenzkranken Schwachsinnigen, im Rinnstein liegend durch einen goldenen Schuss, der einen direkt zu den Sternen katapultiert, oder mit einem Riesenknall, mit Pauken und Trompeten, im heißen Feuer explodierender Napalmbomben.

    Ja, das wäre ein Ende nach meinem Geschmack.

    Am allerschlimmsten ist jedoch die Hölle, die man sich selber schafft. Die einen auffrisst, von innen heraus. Wie ein Wurm, der einen Apfel aushöhlt, oder eine eingefangene Kugel, die sich allmählich durch die Eingeweide frisst, bis man qualvoll und elendig an der eigenen Scheiße krepiert.

    Ich habe sie alle schon erlebt. Jegliche erdenkliche Art der Erniedrigung, Vergiftung, Zerstörung menschlichen Daseins.

    Ich bin ein Söldner. Einer, der für Geld Krieg spielt.

    Wenn man nichts anderes gelernt hat, außer zu töten und anderen das Leben zur Hölle zu machen, gar kein so übler Job. Gut bezahlt und, wie gesagt, ein Ende mit Pauken und Trompeten fast schon inklusive.

    Außerdem kommt man viel rum. Irgendwie fühlt man sich sogar wie ein Tourist. Nur dass man statt der schönsten die schlimmsten Orte auf Erden besucht. Dort, wo es keine Regeln gibt, außer der einen, die über allem steht. Sei schneller und cleverer als der Dummkopf, den du gerade ins Jenseits befördern willst.

    Ideale, irgendwelche Ambitionen oder so einen Schwachsinn überließ ich stets meinen Auftraggebern.

    Mich interessierte nur Bares und die Action.

    Schnell rein, viel Krach machen und im Blut der anderen waten.

    Unzählige Jahre habe ich das ausgehalten. Wie eine Maschine gelebt.

    Es gab keinen Krieg, der mir zu schmutzig war, keinen Auftrag, der zu große Risiken barg, und kein Geld, das zu sehr stank.

    Wenn man sieht, wie kleine Kinder im Granathagel einer Splitterbombe zerfetzt werden oder Soldaten wie Tiere über Frauen herfallen und ihnen nicht nur ihr Ding unten reinstecken, sondern auch mal eine Pistole oder den Lauf ihres Gewehrs – in Afrika erledigen sie das manchmal auch nur mit Macheten. Es gibt Tage, da denke ich, die ganze Welt ist ein einziges, verrücktes Schlachthaus. Ja, wenn man das alles und noch viel gemeinere Dinge gesehen hat, dann stumpft man mit der Zeit einfach ab oder schießt sich selbst eine Kugel in den Kopf, nur um diese Bilder wieder loszuwerden.

    Letztere bringen sowieso nicht die richtige Einstellung für diesen Beruf mit sich.

    Ich habe versucht, mich aus derlei Schweinereien immer so gut es ging herauszuhalten. Aber Gewalt gehört nun mal dazu. Jeder weiß das. Der Tod ist unser Geschäft und das Sterben gehört zum Krieg wie all die anderen Dinge, die ich Ihnen erzählt habe.

    Hören Sie genau zu. Ich will ja, dass Sie meine Situation richtig beurteilen.

    Krieg, das sind nicht diese High-Tech-Szenen, die man aus dem Fernsehen kennt und die mehr an Videospiele erinnern, als an die tatsächliche Hölle, die in dem Moment losbricht, wenn die Bombe einschlägt, die Panzer ihre Granaten abfeuern und wir hineingehen. Mann gegen Mann. Mit Gewehren, Messern und manchmal sogar mit bloßen Fäusten. Zerrissene Körper, verbrannte Leichen, abgetrennte Gliedmaßen, die man kotzend, blutend im Dreck eines Hinterwäldlerdschungels zusammensucht, während man selbst am Verbluten ist. Mancher Pechvogel kommt nur noch scheibchenweise aus dieser Scheiße heraus.

    Das sind alles Bilder, die keiner gerne im Fernsehen sieht, nicht wahr? Dort zeigt man lieber Generäle in adretter Uniform oder Ziele, die wie in einem Ego-Shooter aus weiter Entfernung terminiert werden, in Rauch aufgelöst, wie ein bösartiges Geschwür, das man mit einem Skalpell sauber herausoperieren kann. Damit sind dann alle Probleme beseitigt. Die Menschen, die armen Schweine, die dabei draufgehen, die zeigt man nicht. Wozu auch? Das würde den Zuschauern nur das Abendessen versauen. Ach, ich weiß gar nicht, warum ich mich deswegen überhaupt so aufrege.

    Im Krieg sterben Menschen. So ist das eben. Aber kennen Sie die Gesichter dazu? Haben Sie ihnen gegenübergestanden, als sie gestorben sind? Männer, Frauen, Kinder, Zivilisten, Guerilleros oder Gotteskrieger, die meinen, dafür ins Paradies zu kommen. Verfluchte Irre, sag’ ich Ihnen! Haben Sie sie gesehen? Keiner kennt ihre Gesichter. Nicht einmal ich kann mich an sie erinnern. Sie sind tot und damit Geschichte.

    Klingt vermutlich ein wenig herzlos, aber anders überlebt man diese Hölle nicht. Ich weiß es. Ich war nämlich dort. So viele, verdammte Jahre lang.

    Doch dann … ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen davon erzählen soll. Sie halten mich sowieso für verrückt. Alle tun das. Verdammt, sogar ich kann es kaum glauben!

    Doch dann … dann kamen sie.

    Oh ja, sie!

    Ha, wer sie sind?

    Wollen Sie mich verarschen? Wollen Sie, dass ich mich hier um Kopf und Kragen rede?

    Ja, das tue ich!

    Ich bin fertig! Durchgeknallt! Verstehen Sie? Nur noch ein Schatten meiner selbst! Verdammt, sehen Sie mich an!

    Ich zittere nachts, wenn ich allein bin. Und glauben Sie mir, das kommt nicht von meinen Erinnerungen. Ich scheiß auf die Kriege, die Leichen, das Blut, das an meinen Händen klebt! Es war meine Entscheidung! Mein Beruf!

    Sie machen doch auch ihren Job. Kriegen Sie Gewissensbisse, wenn Sie einen ins Irrenhaus stecken, weil er Ihrer Meinung nach ein gottverdammter Spinner ist?

    Ich glaube, Sie schlafen ganz gut.

    Das konnte ich auch! Bis sie kamen!

    Sie tauchen auf, wie es ihnen passt. Manchmal ist es mein Nachbar, dann irgendein Kind, das auf der Straße spielt. Manchmal ein alter Mann, der eben noch schlafend die Nachmittagssonne auf einer Parkbank sitzend genießt.

    Ihre Augen sind voller Blut und sie starren mich an! Sie starren mich an, Doktor!

    Glauben Sie mir, ich habe jedes scheiß Grauen auf Erden gesehen und ihm ins Gesicht gespuckt, aber diese Augen ertrage ich nicht!

    Ich habe aufgehört. Bin raus aus dem Geschäft. Schon seit einem Jahr habe ich keine Waffe mehr angerührt. Ich habe die Kriege hinter mir gelassen. Ein für alle Mal!

    Doch sie kommen immer wieder! Sie lassen mich nicht in Ruhe! Weil sie es wissen. Weil sie wissen, was ich getan habe!

    Doktor, ich war schon bei einem Priester. Der hat mir Ihre Nummer gegeben. Sie sind meine letzte Hoffnung. Ich möchte, dass sie verschwinden!

    Ganz egal. Wenn ich verrückt bin, bin ich es eben. Sie verschreiben mir einfach irgendwelche Pillen und mein Leben geht ganz normal weiter. Als wäre nichts geschehen, verstehen Sie? Als hätten sie nie existiert!»

    2

    «Eine wirklich interessante Geschichte, Herr Rabe. Rabe? Das ist doch Ihr richtiger Name, oder?»

    Ich sitze in einem bequemen Sessel. Mein Gegenüber ist ein Doktor. Aber er trägt keinen weißen Kittel. Er ist kein Arzt, der mit irgendwelchem Metzgerwerkzeug Hand an mich legt, obwohl mir das jetzt bei weitem lieber wäre. Ich weiß nicht, wie viele Wunden ich schon davon getragen habe, wie oft ich mich selbst verarztet oder mein Leben irgendeinem Kurpfuscher anvertraut habe. Dieser hier ist ein gemütlicher Mann mittleren Alters mit kleinem Speckring um die Hüften. Er trägt einen weiten, karierten Pullover, dessen modische Blütezeit wohl weit in die 70er Jahre zurückreicht. Seine hohe Stirn und sein blankes Haupt sind von einem recht unordentlichen, angegrauten Haarkrank umstellt. Dazu noch eine dicke Hornbrille und ein etwas gelangweilt wirkender Gesichtsausdruck. Ich habe mir den perfekten Eierkopf ausgesucht, um über meine Zukunft zu entscheiden.

    «Manche Namen wählt das Schicksal», antworte ich. Er kann ja nicht ahnen, dass ich tatsächlich so heiße.

    Der Mann lächelt kurz. Ein erster Gemütsausdruck, der ihn fast ein wenig menschlich wirken lässt. Jedenfalls ganz kurz.

    «Schon gut. Ich verstehe», sagt er.

    Er wartet einen Augenblick, als würde er nach den richtigen Worten suchen. Ich frage mich, ob es für das, was ich durchmache, überhaupt richtige Worte gibt.

    «Diese … äh … wie nannten Sie ‹sie› gleich?»

    «Sie haben keine Namen. Jedenfalls haben sie sich noch nie bei mir vorgestellt. Bitte, Doktor, das ist nicht gerade leicht für mich!»

    «Das kann ich verstehen. Das kann ich durchaus verstehen.»

    Seine Stimme klingt, als hätte er diesen Satz schon millionenmal gesagt. Die müden Augen, die hinter den dicken Gläsern seiner Brille wie Monsteraugen aussehen, mustern mich wie ein exotisches Tier und er macht den Anschein, als denke er ernsthaft über mein Problem nach. Dann nimmt er einen Füller und schreibt etwas in ein kleines Buch, das vor ihm auf seinem Schreibtisch liegt.

    «Nun, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie nicht gerade das Leben eines Heiligen geführt. Das, was Sie mir soeben beschrieben haben, würde bei manchem Menschen schon genügen, um schwere Traumata auszulösen. Kriegserlebnisse, in all ihrer grausamen Konsequenz, sind ebenso wie schlimme Kindheitserfahrungen Schocksituationen, die sich tief in unser Gedächtnis prägen. Ein Gehirn kann sich zwar abhärten, das Erlebte verdrängen, ebenso die Schuldgefühle unterdrücken, manche von uns können das besser andere weniger, aber es vergisst nicht. Irgendwo müssen ja die ganzen Bilder und Eindrücke, die Sie die Jahre über angesammelt haben, hin, nicht wahr? Es wäre schön, wenn unser Gehirn einen großen Abfalleimer besäße, in dem wir gemütlich unseren emotionalen Sondermüll entsorgen könnten.» Er lacht mechanisch, als hätte er soeben einen Witz gerissen, über den sich jeder totlachen müsse, doch als er merkt, dass ich so gar nicht darauf anspringe, setzt er seine unverbindliche, humorlose Maske wieder auf. «Ähm», er räuspert sich verlegen, «ich meine … also … normalerweise verarbeiten wir das Erlebte unterbewusst in unseren Träumen. Haben Sie denn Träume? Schlafen Sie nachts, Herr Rabe?»

    Ich schlucke.

    Es ist gefährlich, sich auf einen Seelenklempner einzulassen. Diese Menschen haben geradezu einen Riecher dafür, unangenehme Fragen zu stellen.

    «Ich schlafe nicht sehr viel.»

    «Nehmen Sie Schlafmittel?»

    Ich schweige einen Augenblick. Soll ich dem Doc wirklich erzählen, dass ich nachts schweißgebadet im Bett liege und Angst davor habe, einzuschlafen? Nicht wegen meiner Erinnerungen. Ich hatte schon früher Träume mit Toten, mit Menschen, die ich auf dem Gewissen habe. Das hatte mir alles nichts ausgemacht.

    Ich erinnere mich an Rudy. Eine Katze, die mir irgendwann einmal zugelaufen war und regelmäßig meine Wohnung auseinandernahm, während ich die Welt gerade mal wieder in Brand steckte. Ich erinnere mich an ihre Augen. Blutende Katzenaugen. Sie weckte mich eines Nachts, leckte mir die Wange und ihr Blut tropfte mir direkt ins Gesicht. Ich schmeckte es auf meinen Lippen.

    Vor Schreck habe ich das arme Vieh an die Wand geknallt und das halbe Magazin meines Revolvers darauf abgefeuert.

    Seitdem halte ich mir keine Haustiere mehr.

    «Nein», antworte ich, «ich kann einfach nicht schlafen.»

    Der Mann macht ein leicht brummiges Geräusch, das wie ein langgezogenes ‹Hmmmmm› klingt.

    «Gibt es sonst irgendwelche Pharmazeutika, die Sie zurzeit einnehmen?»

    Wie er dieses Wort ‹Pharmazeutika› betont, gefällt mir nicht. Er glaubt wohl, ich wäre ein Junkie, ein durchgeknallter Drogensüchtiger. Scheiße, wenn es eine Droge gäbe, die mir diese Halluzinationen erspart, wäre ich schon längst süchtig danach.

    «Nein, ich bin clean.»

    Wenn man mal den Alkohol außer Acht lässt. Der ist quasi eine Berufs­krankheit.

    «Also schön, wie sehen ‹sie› denn überhaupt aus? Beschreiben Sie mir diese Erscheinungen.»

    «Das kann ich nicht. Sie sehen jedes Mal anders aus. Nur ihre Augen sind stets die gleichen. Sie bluten. Kullern wie dicke Tränen aus ihnen heraus. Rote, blutige Tränen! Und manchmal ist da noch dieses Feuer. Das sieht wirklich gruselig aus. Das müssen Sie mir glauben! Als stünden ihre Augen in Flammen. Blut und Feuer! Was hat das zu bedeuten?»

    Wieder ertönt dieses langgezogene ‹Hmmmmmm›, dann nimmt er seinen Füller und kritzelt erneut etwas in das Büchlein.

    «Was schreiben Sie da?»

    «Nichts», sagt er und rückt seine Hornbrille zurecht. Sein übergroßer Kopf wackelt dabei komisch.

    «Dieses Blut hört einfach nicht auf», erzähle ich weiter. «Es fließt über ihre Gesichter, bis sie komplett damit besudelt sind. Manchmal denke ich, ob sie wohl tot sind? Aber dann reden sie, tun ganz normale Dinge. Als ob es normal wäre, mit blutenden Augen ein Eis zu kaufen oder jemanden einen ‹Guten Tag› zu wünschen. Sie bluten! Unaufhörlich. Und es ist echtes Blut. Ich kann es ­riechen! Diesen Geruch vergisst man nicht so schnell, wissen Sie.»

    «Scheint fast so», meint der Doc plötzlich, in die Aufzeichnungen seines Buchs vertieft, «als würden sie ihren eigenen Dämonen begegnen.»

    «Wie bitte?»

    «Verzeihen Sie, das war wohl etwas zu salopp ausgedrückt.» Er hört mit seinen Kritzeleien auf und hält stattdessen den Füller jetzt wie eine Waffe, mit der er dolchartig in meine Richtung sticht, jedes Mal, wenn er irgendetwas betonen will. «Sehen Sie, unser Gehirn verfügt normalerweise über eine Filterfunktion, welches die unwichtigen von den wichtigen Informationen trennt. Bei traumatischen Erlebnissen, wie bei Ihnen, kann diese Filterfunktion jedoch aussetzen oder sogar ganz wegfallen. Dann kommt es zu Reizüberflutungen. Das Gehirn kann nicht mehr unterscheiden, welche von den unzähligen Informationen relevant oder irrelevant sind. Das kann sogar so weit führen, dass selbst Zeitlinien verschwimmen und sich plötzlich Bilder aus ihrer Vergangenheit mit Ereignissen aus der Gegenwart vermischen und somit ganz neue Sinnzusammenhänge in ihrem Kopf entstehen. Das nennt man auch ‹Flashbacks›. Darunter leiden sehr viele Kriegsveteranen.»

    Ich starre den Doc offenbar ein wenig hilflos an.

    «Das, was Sie sehen, ist nicht real. Es existiert nur in ihrem Kopf. Ihr Gehirn gaukelt Ihnen das alles nur vor, weil es sich momentan nicht anders zu helfen weiß, wie es mit der Flut an Informationen fertig werden soll.»

    «Sie glauben also, ich bilde mir das alles nur ein?»

    «Genau genommen … ja.»

    «He, hören Sie, ich rieche dieses Blut! Haben Sie schon mal diesen Geruch in der Nase gehabt? Wissen Sie, wie Leichen stinken, wenn sie ein paar Tage alt sind? Ich schon! Außerdem reden sie mit mir.» Ich stocke einen Moment, denn das scheint selbst mir ein wenig zu verrückt zu klingen. «Nicht immer», relativiere ich sofort. «Es sind Stimmen, die ich noch nie gehört habe. Das können jedenfalls unmöglich alles nur Einbildungen sein!»

    «Nun, Gerüche sind nichts anderes als Informationen, die unser Gehirn definiert und zuordnet. Gerüche, Geschmack, Geräusche, Bilder, das sind alles Informationen, die bei Ihnen gerade verrücktspielen. Normalerweise entscheidet unser Gehirn im Bruchteil von Sekunden darüber, ob wir uns etwas merken oder nicht. Wie ein Computer, der eigenständig Dateien abspeichert oder eben nicht. Sehen Sie zum Beispiel diese Blumen.» Er zeigt auf einen kleinen Strauß roter Tulpen, die in einer geschmackvollen Vase auf dem Fenstersims stehen. «Ein Geschenk meiner Frau», bemerkt er beiläufig. «Im Normalfall würden Sie, wenn ich nicht wie jetzt Ihre Aufmerksamkeit darauf lenke, so gut wie keine Notiz davon nehmen. Sie würden sogar aus diesem Zimmer gehen und nicht einmal wissen, ob da überhaupt Blumen waren. Außer Sie sind Liebhaber von roten Tulpen, dann würden Sie sie wahrscheinlich sofort bemerken und sich auch daran erinnern. Doch wir nehmen mal an, Sie interessieren sich nicht für Blumen. Ein Gehirn mit normaler Filterfunktion würde diese Information als unwichtig abtun und Sie würden sie nicht bewusst wahrnehmen. Aber ein Gehirn ohne Filterfunktion nimmt einfach alles an Informationen auf und würde vielleicht ganz willkürlich diesen roten Tulpen eine übergeordnete Priorität einräumen und plötzlich sehen Sie nur noch diese Tulpen. Sie können sich weder auf das Gespräch mit mir konzentrieren noch auf irgendetwas anderes in diesem Raum. Das Rot dieser Tulpen wird übermächtig, erstrahlt in feurigem Glanz. Und weil diese Tulpen plötzlich so wichtig für Sie sind, kann Ihr Gehirn sogar ganz andere Bilder damit assoziieren. Feuer ist ein gutes Beispiel. Feuer bedeutet Gefahr. Wenn Ihr Gehirn diese Tulpen nun als Gefahr definiert, könnte es gut möglich sein, dass diese Tulpen in Ihren Augen auf einmal zu brennen beginnen. All dies wäre für Sie real, was Sie sehen, hören oder schmecken, aber das ist es nicht. Glauben Sie mir, das, was Sie durchmachen, sind altbekannte Phänomene. Vietnam, der Golfkrieg, Afghanistan. Jeder Kriegsschauplatz hinterlässt Narben in der Psyche.»

    Ich ertappe mich, wie ich äußerst misstrauisch die Tulpen begutachte. Sie gehen Gott sei Dank nicht in Flammen auf, wie es mir der Doc in so eindrucksvollen Worten geschildert hat.

    «Was ich da so höre», kommt dieser hochgelehrte Quacksalber allmählich zu seinem Schlussplädoyer, «klingt mir das alles nach einer wirklich interessanten Psychose, die bei Ihnen offenbar in Realitätsverlust und Wahnvorstellungen mündet. Seit wann sind Ihnen diese Symptome aufgefallen?»

    Ich mache eine Pause und fühle, wie unsichtbare Hände nach mir greifen. Jetzt ist es also amtlich. Ich bin verrückt.

    «Vor etwa einem Jahr», antworte ich.

    «Befanden Sie sich da in einem Einsatz?»

    Ich schweige und nicke bloß.

    Wieder kritzelt der Doc etwas in seine Unterlagen.

    «Verstehe.» Er macht ebenfalls eine kurze Pause, schließt die Akte, die er anscheinend schon über mich angefertigt hat, und holt einen Rezeptblock aus einer Schublade seines Schreibtisches. «Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Das, was Ihnen widerfährt, sind Phänomene, die wir an vielen Kriegsveteranen beobachten. Es gibt mehrere Gründe dafür und die Therapien sind meist langwierig und kompliziert. Aber vorerst verschreibe ich Ihnen etwas, dass sie wieder ruhiger schlafen lässt. Ein Neuroleptikum. Das ist ein Mittel, das die Konzentration der Neurotransmitter in Ihrem Gehirn heruntersetzt. Nehmen Sie davon jeweils eine Pille morgens und abends und immer dann, wenn Sie wieder diese ... äh … Bilder plagen.»

    «Und mit dieser Pille verschwinden die blutenden Augen?»

    Das Gesicht des Docs ist wie die Maske einer Sphinx zu keiner Gefühlsregung fähig.

    «Mit der Zeit. Vermutlich. Sie müssen schon ein wenig Geduld haben.»

    Das ist das Problem, denke ich mir. Mit meiner Geduld bin ich am Ende. Ich brauche Lösungen. Klare und schnelle Lösungen.

    Unschlüssig darüber, was ich davon halten soll, stecke ich das Rezept in eine meiner Taschen.

    «War das alles?»

    «Ja», nickt der Mann in stoischer Ruhe. «Fürs erste. Um Ihre Probleme wirksam aufzuarbeiten, brauchen wir natürlich noch weitere Sitzungen. Sagen wir nächste Woche um dieselbe Zeit? Ach ja, und vergessen Sie nicht, Ihre Versichertenkarte an der Rezeption abzugeben. Ich hoffe, Sie sind privat versichert. Bei den Gesetzlichen kann es sein, dass Sie für die Behandlung etwas zuzahlen müssen.»

    Ich nicke, obwohl es mir ehrlich gesagt schnurzpiepegal ist, ob der Doc sein Geld bekommt. Ich habe, was ich brauche. Ein paar Pillen gegen diesen ganzen Schwachsinn.

    Das hoffe ich jedenfalls.

    3

    «Der Chef hat nach dir gefragt.»

    Kaum habe ich eingestempelt, kommt auch schon Mike auf mich zu. Ein Mann Mitte dreißig, der so aussieht, als hätte er das Beste von seinem Leben schon hinter sich. Dreitagebart, Bierwampe, kleine, streitlustige Augen und eine Stimme wie aufgewärmtes Chili. Sehr scharf und direkt. Er ist mein Schicht­leiter und damit der Aufseher meines neu gewählten Sklavendaseins.

    «Was will er denn?»

    «Na, kannst du dir das nicht denken?»

    «Nein. Wieso auch? War irgendwas?»

    Mike schüttelt verständnislos den Kopf und deutet mürrisch zur Treppe, welche zu den Büroräumen führt.

    «Geh besser gleich zu ihm rauf. Er wartet nicht gerne.»

    «Na, toll! Bestell ihm, er kann mich …»

    «Das sagst du ihm besser selbst!» bürstet er mich ab und entschwindet in die Lagerhalle.

    Schon wieder diese Wutgefühle. Doch ich würge sie runter wie kalten Kaffee.

    Ich sollte tatsächlich nicht wegen jeder Kleinigkeit gleich die Wände hochgehen. Seltsamerweise scheinen die Worte des Docs doch Spuren bei mir hinterlassen zu haben. Ja, gehen wir die ganze Sache mit mehr Gelassenheit an. Probier’s mal mit Gemütlichkeit. War das nicht aus irgendeinem Walt Disney Streifen?

    Gott, wie ich diese Zeichentrickfilme hasse! Dieser naive Kitsch. Das ist doch nicht das Leben. Natürlich nicht. Wer will auch schon das Leben in knallbunten Farben sehen? Ich habe es gesehen und das Leben ist rot. So rot wie Blut, wie Napalm, wie der blühende Mohn, der Stoff aus dem die Träume sind und die Währung für fast jeden zweiten Krieg, an dem ich beteiligt war.

    Ich wende mich ab und gehe ein Stockwerk höher.

    Wie erniedrigend. Das, was ich momentan tue, um irgendwie wenigstens ein paar Kröten zu verdienen, kann ich wohl kaum als eine Tätigkeit bezeichnen, mit der ich sinnvoll mein Tageswerk verrichte. Ich bin Hilfsarbeiter in einem Lager. Schubse irgendwelche Paletten von Ort A nach B, packe irgendwelche Kisten von Ort C nach D und muss dazu noch den Anweisungen von Hohlköpfen folgen, die ich innerhalb einer Sekunde ins Jenseits befördern könnte. So gesehen bin ich wirklich ganz unten angekommen. Ein gutes Beispiel für die stoischen Packesel, auf deren Rücken dieses Land zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt aufgestiegen ist. Mir wird geradezu schlecht, wenn ich daran denke.

    Ich kenne zwar Disziplin, Pflichtgefühl und Leistungsbereitschaft, all die Tugenden, die jeder brave Deutsche schon mit der Muttermilch aufgesogen hat, aber bisher habe ich mich immer außerhalb dieses Systems gesehen. Ich war nie einer dieser übereifrigen Musterschüler, für die die Arbeit der Lebensinhalt ist, die mit zwanzig schon verheiratet sind und über einen Bausparvertrag ihr Eigenheim finanzieren. Aber selbst die sterben inzwischen aus. Wir sind nur noch eine graue Masse. Austauschbar. Hauptsache wir laufen von Ort A nach B, wenn man es uns befiehlt.

    Ich muss plötzlich schmunzeln. Das Ganze erinnert mich fast an meine Ausbildung beim Militär. Doch das war eine ganz andere Geschichte.

    Die Armee versucht aus jedem Einzelnen das Teil eines Ganzen zu formen. Dafür zerstört man das Individuum, um aus der Asche den Geist der Einheit zu beschwören. Das ist schon beinahe so simpel wie perfide. Und diese Einheit, dieser Chorgeist, wenn man so will, ist keine Gleichschaltung, keine Gehirnwäsche. Es ist viel mehr stumpfsinniges Vergessen. Ritualisieren bestimmter Handlungen, exerzieren fest vorgefertigter Übungen, ob sie einem nun sinnvoll erscheinen oder strunzdumm. Ordnung, Struktur, Instruktionen, Ordnung, Struktur … Bis man letztlich jeden eigenständigen Gedanken verliert und man zu funktionieren beginnt. Auf Knopfdruck. Das ist der Moment, an dem sie einen füttern. Mit allem, was für die Mission wichtig ist. Manchmal hübscht man es noch mit moralisch einwandfreien Argumenten auf. Verteidigen Sie die Demokratie. Befreien Sie ein unterdrücktes Volk von ihrem Tyrannen. Blablabla. Ich habe dort einfach nur zu töten gelernt. Alles Andere hat mich nie interessiert. Diese Einheit erfüllte weder mein Herz, noch war ich je ein Teil davon, und mein erster Einsatz war eine Katastrophe. Meine militärische Laufbahn jedenfalls war schneller beendet, als sie vertraglich vorgesehen war. Wahrscheinlich gibt es heute noch einige Männer mit Orden an der Brust, die mein Gesicht am liebsten im Dreck sehen würden. Was soll’s. Als Söldner war es einfacher. Man war nur für sich selbst verantwortlich. Und die Bezahlung war auch besser.

    Und jetzt? Was ist aus mir geworden?

    Gleich muss ich einem Bürohengst gegenübertreten, der sich eindeutig für etwas Besseres hält. Dabei ist er nur der Leiter eines Lagers von einer Kaufhauskette, die versucht, Billigfernseher an den Mann zu bringen. Im Prinzip ist er ein Hanswurst, ein kleiner Fisch in der großen Nahrungskette des Kapitalismus. Aber in seinem winzigen Refugium hält er sich für den lieben Gott höchstpersönlich. Und dabei klebt er nur an einem Posten, der für ihn zur Sackgasse geworden ist und der ihn jeden Tag daran erinnert, wie es hätte sein können, wenn er nur ein weniger smarter, klüger und gerissener wäre, als das missmutige Spiegelbild, das ihm jeden Morgen den Tag versaut.

    Ich kenne Staatsmänner, die sich mit allen Mitteln ihren Platz an die Spitze erkämpft haben. Ich bin Mördern gegenübergestanden, die mich ans Messer liefern wollten, sehr vielen sogar. Ich habe Idealisten große Reden schwingen hören und einige von ihnen gingen für ihre Sache tatsächlich durchs Feuer. All diese Menschen hatten es. Karma. Die Kraft, etwas bewegen zu können. Seinen Worten Taten folgen zu lassen. Letztendlich kommt es nur darauf an. Doch welches Karma besitzt dieser Bürohengst? Mit welcher Berechtigung lässt er mich jetzt hier einfach so antanzen? Ich könnte ihn umbringen. Ganz leicht. Es wäre nur ein kurzer Handgriff. Es würde kaum Krach machen und wahrscheinlich würde ihn sogar kaum jemand vermissen. Ja, das könnte ich. Warum tue ich es nicht?

    Ich hole tief Luft und versuche alle Gewaltfantasien aus meinem Gedächtnis zu streichen. Kein Griff zu meiner Waffe, die ich sowieso nicht bei mir trage. Kein befreiender Amoklauf, bei dem ich alle Waschlappen von der Oberfläche dieses Planeten tilge.

    Denk an die Worte des Docs! Wie lange ist das schon her? Hast du heute überhaupt schon deine Pille genommen?

    Ich weiß es nicht mehr.

    Die meisten Dinge, die ich in letzter Zeit tue, geschehen mechanisch, ohne ­darüber nachzudenken, als wäre ich ein seelenloser Zombie oder so. Der selbstbestimmte, freie Mann, der ich einmal gewesen bin, ist einem Sklaven gewichen. Nur noch eine Hülle, ein Schatten meiner selbst. Erbärmlich!

    Ich bin genauso ein Nichts, ein Niemand.

    Hätte ich noch genug Mumm in den Knochen, ich würde die Waffe, mit der ich so viele Menschen gerichtet habe, gegen mich selbst richten.

    Ich stehe vor dem Büro und trete ein. Ohne zu klopfen. Schon aus Prinzip.

    4

    Der Bürohengst räkelt sich gelangweilt in einem viel zu großen Chefsessel. Er ist ein schmaler, ziemlich farbloser Typ. Ein Standardgesicht mit Standardklamotten zu einem Standardleben. Das Büro ist steril, ohne Esprit und persönliche Note. Das Bild einer hässlichen Frau und zweier hässlicher Kinder neben dem klobigen PC-Monitor ist der einzige, private Moment in dieser scheußlichen Zelle, in die sich dieser Mann selbst eingesperrt hat.

    Etwas besorgt prüfe ich, ob vielleicht rote Tulpen auf dem Fenstersims ­stehen. Aber nein. Nichts Rotes reizt meine Augen. Kein Blut, kein Feuer. Alles gut.

    «Sie wollten mich sprechen», komme ich ohne Umschweife zur Sache.

    Der Chef, der soeben noch gemütlich die Hände über dem Bauch gefaltet hatte und dabei abwesend dem mechanischen Kreisen seiner Daumen gefolgt war, hechtet erschrocken vor und haut sinnlos auf die Tastatur seines PCs herum. Als er mich erkennt, atmet er jedoch einen Moment auf, um dann mit hochrotem Kopf seinem Stress und seiner Wut Platz zu machen.

    «Was fällt Ihnen ein? Können Sie nicht anklopfen wie jeder normale Mensch?»

    Ich zucke die Achseln und lächle mitleidig.

    «Ich dachte, es sei dringend. Ich kann auch später wiederkommen.»

    Sein Kopf, der irgendwie vogelartig aussieht, zuckt zusammen. Die Nase zu lang, die Augen enganliegend, die Wangen ausgemergelt, dazu ein dünner Hals und herabhängende Schultern, die ihm etwas Geierhaftes verleihen. Nein, eine Augenweide ist er nicht. Muss er aber auch nicht sein. Schließlich ist er ja der Chef. Seine Gesichtszüge entspannen sich wieder und er winkt mich herein.

    «Nein. Nein. Kommen Sie herein. Und machen Sie die Tür hinter sich zu.»

    Ich folge seinen Anweisungen und baue mich vor seinem Schreibtisch auf. Nervös blickt er zu mir hoch. Er ist wie ein Schaf, das den Wolf erblickt und sich einbildet, der Hirtenhund zu sein.

    «Wollen Sie sich nicht setzen?»

    «Dauert es denn lange?»

    Die angespannten Schultern verhärten sich wieder.

    «Gut, wie Sie wollen. Sie wissen, weshalb Sie hier sind?»

    Wieder zucke ich die Achseln.

    «Ehrlich gesagt, nein. Der Schichtleiter wollte nichts sagen. Schätze, er will Ihnen die Pointe nicht versauen.»

    Jetzt habe ich ihn wütend gemacht. Demonstrativ laut hackt er auf die Plastikblöcke der armen Tastatur ein, die gar nichts dafür kann.

    «Ah, hier haben wir Sie ja. Edgar Rabe. Schweißer, Gabelstapelfahrer mit LKW-Führerschein, den er jedoch wegen eines Arbeitsunfalls unter Alkoholeinfluss wieder verloren hat. Seit etwa acht Wochen bei uns, beschäftigt über die Zeitarbeitsfirma Work Resolution. Kommt dauernd zu spät zur Arbeit, pöbelt seine Mitarbeiter und seine Vorgesetzten an, schafft dabei nicht annähernd sein Pensum, von Ihrer Fehlerquote beim Kommissionieren ganz zu schweigen, und was Ihre Umgangsformen betrifft, nun ja, davon konnte ich mir ja soeben selbst ein Bild machen.»

    Der Bürohengst beschreibt haargenau meinen jämmerlichen Versuch, im normalen, bürgerlichen Leben wieder Fuß zu fassen.

    «Ehrlich gesagt, von dem, was mir Ihre Vorgesetzten sagen und dem, was hier in Ihrer Akte steht», er legt tatsächlich Akten über seine Mitarbeiter an, denke ich einen Moment ungläubig, «gibt es eigentlich keinen Grund, der für eine Weiterbeschäftigung spricht. Hören Sie, ich weiß nicht, für wen Sie sich halten. Vielleicht glauben Sie ja, für etwas Besseres geboren zu sein. Mir imponieren Sie jedenfalls damit kein bisschen. Kein bisschen, sag’ ich Ihnen! Kommen hier rein, als könne nichts und niemand Sie anfeinden. Glauben Sie etwa, die Welt wartet nur auf Sie? Anstand! Das ist es, was Ihnen fehlt. Genau das ist auch das Problem, dass ihre Kollegen mit Ihnen haben.»

    «Hat sich denn jemand wegen mir beschwert?»

    «Beschwert? Ja, hören Sie mir denn gar nicht zu? Sie fügen sich nicht ein, werden nicht Teil des Teams, verstehen Sie? Ein Unternehmen kann nur dann funktionieren, wenn …»

    Er redet weiter, doch ich achte nicht mehr darauf. Ich kann einfach nicht. Seine Backen plustern sich auf und er macht dabei Geräusche, die an ein schnaufendes Walross erinnern. Sein hochroter Kopf ist wie ein Kochtopf, dessen Deckel scheppert und hüpft, da der Dampf darunter endlich entweichen möchte. Ich bilde mir ein, ein Pfeifen zu hören und stelle mir vor, wie heiße Luft aus seinen Ohren drückt. Wie in einem Cartoon oder einem schlechten Sketch. Seine Augen sind große Kulleraugen, die wild hin und her rollen, und sein Mund, der aufgeregt auf und zu gehend eine Schnappatmung simuliert, klappert dabei wie der Schnabel eines Papageis. Ich beherrsche mich, nicht laut loszulachen.

    Nein, lieber lasse ich meine Gedanken treiben und begebe mich an einen anderen Ort. Weit weg von hier, zu einer anderen Zeit.

    Vor meinen Augen erscheint plötzlich der karge Staub einer weitläufigen, versandeten Steppe. Ein Dorf. Ich habe dieses Dorf schon einmal gesehen. Afgha­nistan, letzten Sommer.

    Bumm!

    Ich spüre noch immer die Detonation in meinen Knochen. Für mehrere Sekunden höre ich nur ein monotones Fiepen. Ich bin wie betäubt. Schreie dringen nur gedämpft zu mir vor. Der Fahrer ist tot. Der Beifahrer liegt mit offenem Bauch neben mir. Sein Gesicht eine Fratze aus Wut und Schmerzen. Ich blicke an mir herab. Wie

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1