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Barrow's Boys: Eine unglaubliche Geschichte von wahrem Heldenmut und bravourösem Scheitern
Barrow's Boys: Eine unglaubliche Geschichte von wahrem Heldenmut und bravourösem Scheitern
Barrow's Boys: Eine unglaubliche Geschichte von wahrem Heldenmut und bravourösem Scheitern
eBook726 Seiten9 Stunden

Barrow's Boys: Eine unglaubliche Geschichte von wahrem Heldenmut und bravourösem Scheitern

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Über dieses E-Book

Nach dem Triumph bei Trafalgar hat sich in der Royal Navy Langeweile breit gemacht. Die Offiziere warten ungeduldig auf eine Chance zu neuen Heldentaten. John Barrow, in der Admiralität zuständig für die Flotteneinsätze, gibt sie ihnen. In der Morgendämmerung der Industrialisierung lässt er Heizrohre in seinen Schiffen installieren und schickt sie ins ewige Eis. Eine Expedition nach der anderen endet im Desaster: Barrows Boys erfrieren, ertrinken, sterben an Skorbut, Schwarz- oder Gelbfieber, werden von Eingeborenen ermordet oder essen sich vor Hunger gegenseitig auf.
Doch allen Strapazen zum Trotz bleiben die exzentrischen Entdecker bar aller Selbstzweifel. Auf dem schmalen Grat zwischen heldenhaftem Wagemut und schierem Wahnsinn feiern die Entdecker im Packeis den Geburtstag ihres Königs, der schon vor Monaten gestorben ist. Andere durchqueren die Sahara in voller Uniform – und stimmen angesichts feindlicher Tuareg ein beherztes "Rule Britannia" an.
Am Ende sind es nicht mehr neue Kontinente, sondern die verschollenen Männer aus vorangegangenen Expeditionen, die zu finden Barrows Leute sich aufmachen. Noch nie hat ein einzelner Beamter so viel Energie und Geld investiert – und absolut nichts erreicht. Sein Handeln ist nicht nur Exempel für die Selbstüberschätzung des Menschen angesichts der Unbezwingbarkeit der Natur, sondern auch eine unglaubliche Geschichte von absurden Reisen und haarsträubenden Abenteurern, die Fergus Fleming mit schwärzestem Humor erzählt.
SpracheDeutsch
Herausgebermareverlag
Erscheinungsdatum8. Okt. 2019
ISBN9783866483774
Barrow's Boys: Eine unglaubliche Geschichte von wahrem Heldenmut und bravourösem Scheitern

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    4/5
    I was excited to finally read Barrow's Boys as Fergus promised a plethora of primary sources - the best kind when reading about adventure that involves exploration, danger, and cannibalism! [Although, I have to admit it was not easy to read about the starvation, desperation, and death.] In times of peace, what better use of the navy than to go exploring? The burning question of the day was where did the river Niger go? When that expedition initially failed John Barrow started a second expedition, setting his sights on the Northwest Passage and Antarctica. What was out there? As Second Secretary to the Admiralty in 1816 Barrow was aware of these unanswered questions. Using elite naval officers Barrow put together a string of ambitious expeditions that spanned the world.
  • Bewertung: 5 von 5 Sternen
    5/5
    This is a book about English explorers and their dangerous adventures in African, Arctic, and Antarctic regions during the 1800s. I really enjoyed this book for the most part and learned quite a bit. Once in a while I got a little bored, but there were so many exciting parts. It is hard to believe what these explorers endured.
  • Bewertung: 5 von 5 Sternen
    5/5
    This is a companion book to the author's Ninety Degrees North, which focuses exclusively on Arctic exploration in the latter 19th and early 20th centuries. This book covers exploration in the Arctic, Antarctic and Africa in the first half of the 19th century, centred around those explorations sent out by the Second Secretary to the Admiralty, the very wilful and determined Sir John Barrow. These expeditions were largely to the Arctic, which I found the most interesting destination, and indeed the digressions to Africa rather jarred for me, though they petered out half way through the book (they would no doubt have fitted much better in a book devoted to the important topic of African exploration). The early visits to the then almost entirely unknown Antarctic were very intriguing and one can share their wonder at perceiving for the first time the massive Ross Ice Shelf and the volcano Erebus. Overall, what struck me in particular was the sheer amateurishness of so many of the early efforts, carried out in a death or glory frame of mind, sometimes ignoring the fact that the explorer in question might have had no previous marine experience, have a dislike for cold weather (or hot weather in the case of going to Africa), or a lack of leadership skills. This even applied to explorers who became very prominent such as Sir John Franklin, the mysterious disappearance of whose last expedition in the 1840s, and the numerous attempts at rescue, offer an eerie few chapters near the end of the book. Another feature that is prominent throughout is the sheer brutal length and misery of the Arctic winter that appears to last from about September to July, and the fact that many crews overwintered for a number of years in succession and might move very little distance in the interim. They had tremendous courage and stamina, whatever else one might say about some of mistakes and casual attitudes towards life and health that form prominent features of this fascinating saga.

Buchvorschau

Barrow's Boys - Fergus Fleming

Die Suche nach der Nordwestpassage 1818–1827

Die Victory-Expedition 1829–1833

McClure und Collinson 1850–1855

Die Suche nach Timbuktu und dem Niger 1822–1831

Barrow’s Boys

Fergus Fleming

Eine unglaubliche Geschichte von wahrem Heldenmut und bravourösem Scheitern

Aus dem Englischen von Henning Ahrens

Die englische Originalausgabe erschien 1998

unter dem Titel Barrow’s Boys bei Granta Books, London.

Copyright © 1998 by Fergus Fleming

© 2002, © 2019 by mareverlag, Hamburg

Covergestaltung Nadja Zobel, Petra Koßmann, mareverlag

Abbildung Interfoto / National Maritime Museum, London

Typografie (Hardcover) Farnschläder & Mahlstedt, Hamburg

Datenkonvertierung E-Book Bookwire

ISBN E-Book: 978-3-86648-377-4

ISBN Hardcover-Ausgabe: 978-3-86648-617-1

www.mare.de

Inhalt

Vorwort und Dank

Chronologie der wichtigsten Expeditionen

1.Der Mann bei der Admiralität

2.Tod auf dem Kongo

3.Das Trugbild vom Lancaster-Sund

4.Buchans Rückzug

5.Der westlichste Punkt

6.Winter auf der Melville-Insel

7.Die Vizekonsuln von Murzouk

8.Fehlschlag am Foxe-Becken

9.Der Mann, der seine Stiefel aß

10.Lyons Abreise

11.Kabbelei in der Sahara

12.Der Verrückte von Timbuktu

13.Die Straße von Badagry

14.Parry zum Pol

15.Ross’ Wiederauferstehung

16.Das Rätsel des Niger

17.Ein zweites Singapur

18.Die Prüfung der Victory

19.«Jedes Tier taugt zum Löwen»

20.Unterwegs über Land

21.Das untere Ende der Welt

22.«Sehen Sie, wie unsere Hände zittern?»

23.Der letzte Posten

24.Erebus und Terror

25.Der Arktische Rat

26.Investigator

27.Franklins Schicksal

28.Den Globus reiten

Epilog

Quellennachweis und Literaturverzeichnis

Bibliographie

Register

Vorwort und Dank

Die englischen Entdeckungsreisen des neunzehnten Jahrhunderts sind gut dokumentiert. Es gibt Bücher über die Entdecker, und es gibt Bücher über die Gegenden, die sie bereist haben, doch ein Buch, das beides zugleich behandelt, gibt es meines Wissens nicht. Dass ich diesem Mangel abzuhelfen versuche, liegt an John Barrow, einer geisterhaften Gestalt, die immer wieder in den Bibliographien jener Epoche auftaucht. Damals galt er als Vater der Entdeckungsreisen, eine Tatsache, die allmählich in Vergessenheit geraten ist. Mit diesem Buch, das weniger Biographie als Erzählung ist, will ich versuchen, ihn dem Vergessen zu entreißen, wobei sich nicht vermeiden lässt, dass er häufig hinter seine Entdeckungsreisenden zurücktritt. Trotzdem war er die treibende Kraft hinter den Fahrten seiner Günstlinge, und indem ich ihre Abenteuer neu erzähle, hoffe ich, ihm zu einem Rang verhelfen zu können, der ihm gebührt, auch wenn dies nicht immer unumstritten sein dürfte.

Um Barrow und seine Männer wieder zum Leben zu erwecken, habe ich nach Möglichkeit auf die in Hülle und Fülle vorhandenen Primärquellen zurückgegriffen. Alle Entdecker haben ein Journal geführt, und viele haben ihre Memoiren geschrieben. Außerdem gibt es Tausende von Briefen, Tagebüchern, Erinnerungen und ähnlichen Dokumenten, die in englischen, schottischen, irischen, amerikanischen, kanadischen und australischen Archiven liegen. Es wäre eine Sisyphusarbeit, sich durch diese Papierberge zu wühlen, aber zum Glück haben andere Autoren Vorarbeit geleistet, und in dieser Hinsicht bin ich Pierre Berton (dessen Arctic Grail Pflichtlektüre für jeden Polarfan ist), Ernest Dodge, Kathleen Fitzpatrick, G.F. Lamb, Christopher Lloyd, Mercedes Mackay und Ann Parry zu Dank verpflichtet sowie Francis Woodward, dessen Biographie von Lady Franklin angesichts der schwer zu entziffernden Quellen eine Meisterleistung darstellt. Dank schulde ich überdies A.G.E. Jones für seine Arbeiten über John und James Ross, die viel benutzt worden sind, ohne dass man sie entsprechend gewürdigt hätte – dies jedenfalls geht aus einer etwas verärgerten Notiz hervor, die in den Archiven der Royal Geographical Society aufbewahrt wird. Und nicht zuletzt gilt mein Dank A. Adu Boahen, dessen mit reichlich Fußnoten versehene Studie über die Kolonialgeschichte der Sahara jeder mit sich führen sollte, der das Dickicht der Mikrofilme im Kolonialministerium durchforsten möchte.

Im Falle von Zitaten aus Originalbriefen habe ich die Eigenheiten von Rechtschreibung und Zeichensetzung beibehalten. Sie sorgen für zusätzliches Flair und illustrieren die Persönlichkeiten der Verfasser. Ich sehe auch durchaus ein, dass die Inuit eigentlich nicht als Eskimos bezeichnet werden dürfen, aber da Barrows Forschungsreisende sie stets Eskimos nannten – oder auch Esquimaux, das manch einer auf «roh» reimte –, habe ich mich an die damals übliche Bezeichnung gehalten. Im Falle afrikanischer Ortsnamen, die auf viele verschiedene Arten geschrieben wurden, habe ich mich, zumal manche der Orte längst nicht mehr existieren oder, wenn sie noch existieren, inzwischen einen ganz anderen Namen tragen, lediglich um Stringenz bemüht.

Übergangen wird in diesem Buch die zentrale Rolle Amerikas bei der Suche nach Franklin – als Folge von Barrows letztem, in einer Katastrophe endendem Versuch, die Nordwestpassage zu finden. Henry Grinnell, ein Philanthrop aus New York, war einer der wichtigsten Geldgeber. Er investierte circa 100.000 Dollar, um Schiffe für die Arktis auszurüsten. Seine Männer hatten mit denselben Widrigkeiten zu kämpfen wie die Briten und sind genauso interessant. Aber sie wurden nicht von Barrow ausgesandt, und deshalb werden sie in diesem Buch nur gestreift. Im Übrigen ging es ihnen weniger um die Suche nach Franklin als vielmehr um die Erreichung des Nordpols – und das wäre Stoff für ein ganz anderes Buch. Den folgenden Institutionen möchte ich für ihre Unterstützung sowie die Druckerlaubnis für in ihrem Besitz befindliches Material danken: der Bodleian Library, Oxford; der British Library, London; der Colindale Newspaper Library, London; dem Derbyshire Record Office, Matlock; dem Dumfries Archive Centre; der Kensington and Chelsea Library, London; der London Library; dem Museum of the History of Science, Oxford; dem National Maritime Museum, Greenwich; der National Portrait Gallery, London; der National Portrait Gallery of Scotland, Edinburgh; dem National Record of Archives, London; dem Natural History Museum, London; der Plymouth Central Library; dem Public Records Office, Kew; dem Public Records Office of Northern Ireland, Belfast; dem Royal Botanic Gardens Library and Archive, Kew; der Royal Geographical Society, London; der Royal Society, London; dem Scott Polar Research Institute, Cambridge; und dem Somerset Archive and Record Service, Taunton.

Des Weiteren danke ich meinem Agenten Gillon Aitken und seiner Assistentin Emma Parry; meinem Lektor Neil Belton; John und Phoebe Fortescue; Becky Hardie und Isobel Rorison von Granta; Andrew Tatham, der mir Zugang zu den Archiven der Royal Geographical Society verschafft hat; Rachel Rowe und Janet Turner, ebenfalls von der RGS, die eine unendliche Zahl von Wälzern aus der hinteren Galerie herbeigeschleppt haben; Robert Headland und Philippa Smith vom Scott Polar Research Institute; und Hugo Vickers. Nicht zu vergessen Claudia Broadhead, Elizabeth Burzacott, Rachel Keating, Sam Lebus und Matilda Simpson.

Schließlich möchte ich Elizabeth Hodgson – um ein paar zeitgenössische Wendungen zu benutzen – für ihr zähes Durchhaltevermögen, ihren unerschütterlichen Gleichmut und ihre engelsgleiche Geduld danken. Ihr ist dieses Buch gewidmet.

Chronologie der wichtigsten Expeditionen

1816

James Tuckey segelt zum Kongo. Keiner seiner Offiziere kehrt zurück, die Besatzung ist stark dezimiert.

1818

John Ross segelt zur Baffin-Bai. Beim Lancaster-Sund kehrt er um, ohne einen Eingang zur Nordwestpassage gefunden zu haben.

1818

David Buchan scheitert beim Versuch, über Spitzbergen eine Route zum Nordpol zu finden.

1818‒1820

George Lyon und Joseph Ritchie versuchen vergeblich, den Niger zu finden, indem sie die Sahara in südlicher Richtung durchqueren. Nach Ritchies Tod sieht sich Lyon zur Umkehr gezwungen. Er hat kaum etwas erreicht.

1819‒1820

William Edward Parry segelt zum Lancaster-Sund und überwintert auf der Melville-Insel.

1819‒1822

John Franklin führt eine Überlandexpedition zur Nordküste Kanadas, um Parrys Schiffe zu erreichen. Mehr als die Hälfte seiner Männer verhungert.

1821‒1823

Parrys zweiter Anlauf, die Nordwestpassage zu finden, kommt bei der Fury-und-Hecla-Straße ins Stocken.

1822‒1824

Hugh Clapperton, Dixon Denham und Walter Oudney durchqueren die Sahara. Die Stimmung ist gereizt.

Sie entdecken den Tschad-See, finden den Niger aber nicht.

1824

Lyon führt eine ergebnislose Expedition zur Repulse-Bucht.

1824‒1825

Parrys letzter Versuch, die Nordwestpassage zu finden, endet mit dem Schiffbruch und der Aufgabe der Fury im Prince Regent Inlet.

1825‒1826

Gordon Laing reist nach Timbuktu und betritt die Stadt als erster Europäer. Bevor er zurückkehren kann, wird er ermordet.

1825‒1827

Franklin führt eine weitere Überlandexpedition an und kartiert mehr als tausend Meilen neuer Küste.

1825‒1828

Clapperton geht den Niger von Süden aus an. Er und seine drei Offiziere kommen dabei ums Leben. Nur Clappertons Diener, Richard Lander, überlebt.

1827

Parry unternimmt einen aussichtslosen Versuch, den Nordpol auf dem Weg über das Polareis zu erreichen. Bei 82 Grad 45 Minuten wird er zur Umkehr gezwungen.

1829‒1833

Mit einem kleinen Dampfboot fährt John Ross in den Prince Regent Inlet und sitzt vier Winter fest. 1831 entdeckt sein Neffe James den magnetischen Nordpol.

1830‒1831

Richard Lander und sein Bruder John folgen dem Niger erfolgreich bis zu dessen Mündung.

1833‒1835

Bei dem vergeblichen Versuch, John Ross zu retten, fährt George Back den Großen Fischfluss hinauf.

1836‒1837

Back segelt zur Wager-Bucht. Die Reise endet mit einer Katastrophe.

1837‒1839

Peter Dease und Thomas Simpson von der Hudson Bay Company kartieren weite Teile von Kanadas arktischer Küste, die sie auf dem Landweg erreicht haben.

1839‒1843

James Ross segelt mit der Erebus und der Terror in die Antarktis. Er kartiert weite Strecken bis dahin unbekannter Küstenlinie und entdeckt den aktiven Vulkan Mount Erebus.

1845‒1847

John Franklin macht sich mit der Erebus und der Terror auf die Suche nach der Nordwestpassage. Die gesamte Expedition geht zugrunde.

1848‒1849

Mit zwei Schiffen begibt sich James Ross auf die Suche nach Franklin. Er kehrt erfolglos zurück.

1848‒1851

John Richardson und John Rae machen sich über Land auf die Suche nach Franklin. Auch sie scheitern.

1850‒1851

Horatio Austin führt eine Rettungsmission mit vier Schiffen zur östlichen Arktis. Begleitet wird er von William Penny, dessen zwei Schiffe Lady Franklin finanziert, von John Ross mit seiner eigenen Yacht und zwei amerikanischen Schiffen, die der New Yorker Philanthrop Henry Grinnell ausgerüstet hat.

1850‒1854

Robert McClure geht die Arktis an Bord seiner Investigator von Westen an. Vom Eis eingeschlossen, muss er sein Schiff aufgeben. Indem er nach Osten marschiert, um Belchers Expedition zu treffen (s. u.), wird er zum ersten Menschen, der eine Nordwestpassage schafft.

1850‒1855

Richard Collinson dringt durch die Bering-Straße vor und kommt bis auf wenige Meilen an Franklins Expedition heran.

1851‒1852

William Kennedy und Joseph-René Bellot leiten Lady Franklins zweite, private Expedition zur Suche nach ihrem Mann.

1852‒1854

Edward Belcher führt fünf Schiffe zum Lancaster-Sund. Mit einem kehrt er zurück.

1853‒1854

John Rae entdeckt Überreste von Franklins Expedition und hört Berichte über ihr Ende.

1857‒1859

Leopold McClintock findet Raes Bericht bestätigt, als er auf drei Leichname sowie andere Überreste von Franklins Expedition stößt. Eine in einem Steinhaufen zurückgelassene Notiz bestätigt den Tod Franklins und vieler seiner Männer. Die Todesursachen bleiben unbekannt.

1.

Der Mann bei der Admiralität

Gibt es – zu jeder Zeit, vor allem aber in Friedenszeiten – eine ehrenhaftere Aufgabe für Teile unserer Seestreitkräfte als die, jene Lücken in den Wissenschaften der Geographie und Hydrographie zu schließen, deren Umrisse von Cook, Vancouver, Flinders und anderen unserer Landsleute auf so bravouröse Art vorgezeichnet worden sind?»¹

Diese Worte schrieb John Barrow, Zweiter Sekretär der Admiralität, 1816 in seinem Vorwort zu Kapitän James Kingsleys Bericht über dessen Kongoexpedition desselben Jahres. Sie fanden nur wenige Leser, aber ihre Schwerter-zu-Pflugscharen-Gesinnung wurde von vielen, zumal von den Offizieren der Königlichen Marine, geteilt.

Die Königliche Marine, während der Napoleonischen Kriege so stark angeschwollen, dass sie hundert Jahre lang keinen ebenbürtigen Gegner haben sollte, sah sich mit massiver Abrüstung konfrontiert. Unter dem Strich war das ein einfacher Vorgang: Die Schiffe wurden außer Dienst gestellt und die Matrosen wieder auf jene Straßen geworfen, auf denen sie oft genug zum Dienst gepresst worden waren. Anders die Offiziere. Sie wollten Karriere machen, sie hatten politischen Einfluss, und man konnte sie nicht einfach entlassen. Tatsächlich wuchs ihre Zahl so stark an, dass, nachdem die Marine von 130.000 auf 23.000 Mann reduziert worden war, ein Offizier auf vier Männer kam. Doch neunzig Prozent dieser Offiziere waren überflüssig. Bei halbiertem Gehalt zur Untätigkeit verdammt, sehnten sie sich nach irgendetwas – ein Krieg wäre genau das Richtige gewesen –, um wieder Dienst tun zu können. Doch ein Krieg war nicht in Sicht, und auf Beförderung konnten sie nur hoffen, wenn ein ranghöherer Offizier verstarb. Leider Gottes waren solche Todesfälle in Friedenszeiten selten. Die Folgen der Napoleonischen Kriege blieben noch dreißig Jahre danach spürbar: Das Durchschnittsalter der Admiräle lag bei sechsundsiebzig Jahren, und Hunderte ergrauter und in tiefer Melancholie versunkener Kapitäne fristeten ihr Dasein bei halbiertem Gehalt. Im Jahr 1846 taten nur 172 von 1.151 Offizieren vollen Dienst.

Ein halbes Gehalt war keine besonders erfreuliche Aussicht, zumal es gerade eben den Lebensunterhalt sicherte. Und als Barrow die Frage nach einer «ehrenhaften Aufgabe» stellte, war die Reaktion entsprechend begeistert. Welche Aufgabe? Genau das war der Punkt.

Kapitän James Kingston Tuckey hätte es ihnen verraten können. Aber leider war er tot.

Der Sitzungssaal des Rates der Admiralität im ersten Stock des Admiralty House, Whitehall, war das Nervenzentrum der größten und mächtigsten Flotte der Welt. An einer Wand hing, über zwei Globen und zwischen Bücherregalen, eine grau-blaue Uhr, deren Pendel über einer Windrose hin- und herschwang. An einer anderen Wand waren Karten aufgerollt, immer neun hintereinander, auf denen jede Küste der damals bekannten Welt verzeichnet war. In der Mitte des Raumes übten die Lords der Admiralität, flankiert von Kohlefeuern, ihre Macht an einem Mahagonitisch aus. Dieser Tisch war im Sheraton-Stil gearbeitet, hatte Beine mit kannelierten Pilastern sowie eine mit hellgrünem Leder bespannte Platte und bot Platz für zehn Männer.

In diesem Raum trat John Barrow 1804 sein Amt als Zweiter Sekretär der Admiralität an. Mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung zwischen 1806 und 1807 sollte er es unter diversen Whig- und Tory-Regierungen einundvierzig Jahre lang innehaben. Der Zweite Sekretär, nur vordergründig eine Nebenfigur, hatte erheblichen Einfluss. Im Unterschied zur Marineverwaltung, die für Fragen der Versorgung und Administration zuständig war, entschied der Rat der Admiralität, der aus sieben Lords und zwei Sekretären bestand, über die Flotteneinsätze. Die Lords waren in ihr Amt berufen worden und weder gründlich mit dem Flottenwesen vertraut noch besonders daran interessiert. Trotzdem standen sie an der Spitze, und im Falle von Entscheidungen berieten sie sich mit ihren Sekretären. Der Erste Sekretär war wie die Lords Mitglied des Parlaments. Er hatte sich um alle politischen Aspekte der Marine zu kümmern. Der Zweite Sekretär hingegen, kein Politiker, sondern ein Beamter, hatte die Aufgabe, die Entscheidungen seiner Vorgesetzten in die Tat umzusetzen und dafür zu sorgen, dass der Verwaltungsapparat reibungslos funktionierte.

Ein Außenstehender, der das, was am grünen Tisch vor sich ging, hätte beobachten können, wäre rasch überzeugt gewesen zu wissen, wer die Macht besaß. Die Lords – insbesondere der Erste Lord – repräsentierten sie schon mit ihrer feinen Kleidung, ihrer Aura der Langeweile und ihren festen politischen Überzeugungen. Der Erste Sekretär dürfte mitgeredet haben, wenn auch ehrerbietig. Und der Zweite Sekretär? Er schwieg und schrieb Protokoll. Das Gehalt der Männer jedoch besagte etwas anderes. Die einfachen Lords erhielten tausend Pfund pro Jahr. Der Erste Sekretär erhielt das Vierfache dieser Summe, und das Gehalt des Zweiten Sekretärs entsprach mit zweitausend Pfund pro Jahr dem des Ersten Lords. Der Erste und der Zweite Sekretär dürften also die mächtigsten Männer bei der Admiralität gewesen sein.

Als Barrow, ein vierzigjähriger Mann mit dunklem Haar und rundem Gesicht, zu dieser illustren Runde stieß, war er im wahrsten Sinne des Wortes ein zweiter Sekretär. 1764 in der Stadt Ulverston im nördlichen Lancashire geboren, floss kein einziger Tropfen blauen Blutes in seinen Adern. Seine Eltern lebten in einem kleinen Cottage, von dem aus sein Vater, der in sozialer und ökonomischer Hinsicht nur knapp über einem Landarbeiter stand, zwei Felder bewirtschaftete. Doch John Barrow erwies sich als sehr intelligentes Kind. Er besuchte die Tower Bank School in Ulverston, beherrschte mit dreizehn Jahren Lateinisch und Griechisch und kannte sich mit Shakespeares Werken aus. Eine Weile arbeitete er als Privatlehrer eines Seekadetten, der älter war als er selbst. Dies stärkte sein Selbstvertrauen und verschaffte ihm Grundkenntnisse in der Navigation. Barrow war überaus wissenshungrig und stürzte sich in die Arbeit. Selbst «in diesem frühen Lebensabschnitt», schrieb er später, «hasste ich den Müßiggang aus vollem Herzen».² Eine eher selbstgefällige Aussage. Aber zum Zeitpunkt, als er sie tat, hatte er durchaus Anlass zur Selbstgefälligkeit.

In rascher Folge vertiefte Barrow sich, angeleitet durch einen einsiedlerischen «weisen Mann», in die Mathematik und die Astronomie, führte Buch für eine lokale Metallgießerei, fuhr einen Sommer auf Walfang vor Spitzbergen, besuchte das Königliche Observatorium in Greenwich und wurde mit zwanzig Jahren Hauslehrer von Thomas Staunton, einem Wunderkind, das fünf Sprachen beherrschte und ihm Chinesisch beibrachte.

Barrow war zweifellos intelligent. Aber durch Intelligenz allein brachte es im England des achtzehnten Jahrhunderts kaum jemand zu etwas. Entscheidend war die Patronage. Zu Barrows Glück war der Vater des Wunderkindes ein Baron. Dieser Baron genoss das Vertrauen Lord Macartneys, der wiederum das Vertrauen diverser Herzöge und Fürsten genoss. Als man Macartney 1795 als Botschafter für die Chinamission Englands vorschlug, lief die Patronage-Maschinerie an. Die Herzöge und Fürsten fragten Macartney, ob er Chinesisch beherrsche. Er beherrschte es nicht und fragte den Baron, ob dieser jemanden kennte. Der Baron schlug John Barrow vor, der auf diese Weise zum offiziellen Dolmetscher der Mission von Lord Macartney ernannt wurde.

Diese Mission war ein grandioses Debakel. Macartney, der mit allen Wundern der westlichen Welt beladen in Peking eintraf – mit Kanonen und Teleskopen, einem Vierspänner sowie einem Heißluftballon samt Pilot –, wurde mit widerwilliger Höflichkeit aufgenommen und am Ende mit formvollendeter Verachtung vor die Tür gesetzt. Der chinesische Kaiser befand, die Anwesenheit eines britischen Botschafters «steht nicht im Einklang mit den Gesetzen des Himmlischen Reiches, und zudem sind Wir der Ansicht, dass sie Eurem Land zu keinem Nutzen dient». Außerdem «haben Wir künstliche Gegenstände nie sehr geschätzt und nicht den geringsten Bedarf an den Produkten Eures Landes». Und um einen endgültigen Strich unter die ganze Angelegenheit zu setzen, fügte er hinzu: «Dies ist ein Sondererlass!»³

Als Übersetzer dürfte Barrow also häufig den Hiobsboten gespielt haben, aber irgendwie gelang es ihm während der aussichtslosen Mission, Macartneys Gunst zu gewinnen. Als dieser, nur wenige Monate nach seiner Rückkehr aus China, zum Gouverneur der Kap-Kolonie in Südafrika ernannt wurde, durfte Barrow ihn begleiten.

Der Bauernsohn, der Chinesisch beherrschte, übertraf sich selbst. Er führte die erste Volkszählung in der Kap-Kolonie durch, kartierte das Landesinnere bis zum Oranje, einem Fluss in Namibia, führte, obgleich Amateur auf diesem Gebiet, einige geologische Untersuchungen durch und erlangte sogar eine Audienz bei Shaka, dem König der Zulus, dessen Impis das südliche Afrika kurz darauf in Aufruhr versetzen sollten. (Ein Mann «mit Sinn und Verstand»⁴, wie Barrow ein wenig zu voreilig notierte.) 1798 heiratete der Dreiunddreißigjährige die Tochter eines Richters aus Stellenbosch und ließ sich in einem am Fuß des Tafelberges gelegenen Haus nieder, um vier Jahre später nach England zurückzukehren.

Während seiner Zeit in Afrika konnte Barrow einen weiteren Förderer gewinnen. General Francis Dundas, der das Gouverneursamt 1798 von Macartney übernahm, gehörte zum weit verzweigten und einflussreichen Dundas-Clan, dessen Mitglieder Ämter und Posten in Marine, Heer und Parlament bekleideten. Sein Onkel war Lord Melville, ein gnadenloser Realpolitiker, der im Mai 1803 zum Ersten Lord der Admiralität ernannt wurde. Einen Tag nach seiner Ernennung bestellte Melville Barrow auf Anraten Macartneys und Dundas’ zur Admiralität und teilte ihm mit, dass man ihn zum Zweiten Sekretär ernennen wolle.

Melville hatte eine kluge Wahl getroffen. Das Amt verlangte einen Bürokraten, der wusste, was er tat, und die Hierarchie respektierte. Barrow erfüllte diese Kriterien. Er war das Musterbeispiel eines Bürokraten und imstande, 40.000 Briefe pro Jahr zu lesen und zu beantworten. Er hatte, wenn auch nur flüchtig, das Leben an Bord eines Schiffes kennen gelernt, war in internationalen Angelegenheiten erfahren und hatte zwei mit Wohlwollen aufgenommene Bücher über China und Südafrika geschrieben. Vor allem aber war er ein Bauernsohn aus Lancashire, der das System bewunderte, das ihn so weit gebracht hatte.

Der Erste Lord, dessen «Gewandtheit und freundliche Güte, mit der seine Lordschaft sämtliche Marineoffiziere empfing, seine unerschütterlich gute Laune, vor allem aber seine Unvoreingenommenheit»⁵ Barrow pflichtschuldig pries, wurde jedoch zwei Jahre später wegen Vetternwirtschaft, Veruntreuung von Geldern und des Missbrauchs öffentlicher Mittel seines Amtes enthoben. Sein Sturz erregte so viel Aufsehen, dass selbst Napoleon aufhorchte.

Doch Barrow überstand die Affäre. Seine Stellung war zu untergeordnet, als dass er in derartige Machenschaften hätte verwickelt sein können. Außerdem, so argumentierte er, habe er eine Arbeit zu tun, und er tue sie unter jeder Regierung. Es wäre dumm gewesen, das einmal erreichte Amt aufs Spiel zu setzen, und er blieb, ganz gleich ob Whigs oder Tories an der Macht waren, bis zum Alter von einundachtzig Jahren bei der Admiralität. Auf diese Weise wurde er zum ersten wahren Beamten Großbritanniens.

Oberflächlich betrachtet war Barrow ein bescheidener, unauffälliger Mann. Er hielt stets Maß, ob beim Essen oder beim Trinken – einfache Gerichte und hin und wieder ein Glas Portwein –, und trieb selten Sport. Jeden Sommer spannte er einen Monat auf dem Land aus. Ins Ausland reiste er nie, «von zwei, drei Ausflügen auf den Kontinent abgesehen»⁶. Er wurde nie krank, nahm nie Medizin – 1846 ließ er sich zum ersten Mal in dreiundfünfzig Jahren den Puls fühlen – und wog stets zwischen fünfundsechzig und siebzig Kilo. Seinen eigenen Worten nach lag dies vor allem «an einem regelmäßigen und geordneten Leben sowie der Vermeidung übermäßigen Essens und Trinkens»⁷. Sein Tagesablauf war immer derselbe. Er arbeitete, kam nach Hause, aß mit seiner Familie zu Abend und arbeitete danach noch ein bisschen weiter. Mit seinem Schreibtisch in der Admiralität war er so verwachsen, dass man ihm das Möbelstück schenkte, als er in Ruhestand ging. Alles in allem wirkte er wie die personifizierte Langeweile.

Hin und wieder aber wagte Barrow sich vor. Er hielt nicht damit hinter dem Berg, dass er der letzte Vertreter der Admiralität gewesen war, der Nelson vor dessen Tod bei Trafalgar gesehen hatte – und die Ausmaße des Kultes um Nelson sowie das Prestige, das jeder gewann, der jemanden kannte, der den Admiral gekannt hatte, können heute nur noch erahnt werden –, und er war es, der 1816 St. Helena als Exil für Napoleon vorschlug. Im Grunde aber wollte er mit den politischen Rankünen der Admiralität nichts zu tun haben. Hätte er sich zu sehr eingemischt, wäre er Gefahr gelaufen, womöglich Partei ergreifen zu müssen, und das hätte ihm Nachteile eingebracht. Deshalb war er mit seiner Rolle als Protokollführer durchaus zufrieden.

Hinter der Fassade der Bescheidenheit aber verbarg sich ein ehrgeiziger und intelligenter Mann, der stets mit Feuereifer bei der Sache war. Barrow gefährdete seine Stellung nicht, indem er sich in Entscheidungsprozesse einmischte, aber er war entschlossen, sich einen Namen zu machen. Und dafür suchte er sich das Gebiet der Entdeckungsreisen aus. Seine Leistungen in Südafrika waren hoch gelobt worden: «Ich glaube, dass kein Mensch, weder Einheimischer noch Fremder, so viel von diesem Land – und dies so gut und mit so reicher Ausbeute – erkundet hat wie er», schrieb Lord Macartney. «Ich bin der Ansicht, dass seine Reisen von großem Nutzen für die Welt sind. Seine Karte ist gewiss besonders wertvoll, denn sie ist die einzige, auf die man sich verlassen kann.»⁸ Barrow war stolz auf dieses Lob und beschloss, darauf aufzubauen.

Während sich die Napoleonischen Kriege dahinschleppten, eroberte sich Barrow eine Nische als Geograph. Seine Bücher über Südafrika und China – insgesamt vier Bände – hatten ein wenig mehr Licht auf diese geheimnisvollen Weltgegenden geworfen, waren mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen und in mindestens eine Fremdsprache übersetzt worden. Dadurch ermutigt, fiel es ihm nicht schwer, als Rezensent geographischer Fachliteratur bei der Quarterly Review tätig zu werden, einer Zeitschrift, die als Gegenpart zur eher linksgerichteten Edinburgh Review gegründet worden war. Als ihr Gründer William Gifford 1809 zum ersten Mal bei Barrow anfragte, zögerte dieser noch, seine «flüchtigen Betrachtungen» dem Auge der Öffentlichkeit zu unterbreiten – vor allem deshalb, weil man verlangt hatte, dass er sich mit dem Thema, worüber er schrieb, genau auskennen müsse. Doch nachdem er sich mit einigen Artikeln über China abgemüht hatte, kam er langsam in Schwung. Er achtete darauf, in kein Fettnäpfchen zu treten: «In sämtlichen meiner kritischen Schriften habe ich versucht, das Politische zu umgehen, und ich meine, dass mir dies fast immer gelungen ist.»⁹ Aber auch ohne die Politik hatte er genug Themen. Er schrieb über China, Afrika und Amerika, über Holz für den Schiffbau, «Wurzeldoktoren und Quacksalberei im Allgemeinen»¹⁰, über Dampfkraft, Kanäle und Eisenbahnen. Er untersuchte die Geographie, Geschichte und Sitten von Ländern, «die kaum oder gar nicht bekannt sind», bis es, nach seinen eigenen Worten, «so gut wie keinen Winkel auf dieser Erde mehr gab, in den ich mich nicht vertieft hätte»¹¹. Sein größtes Interesse aber galt den Entdeckungsreisen.

Entdeckungsreisen waren das ideale Thema für Barrow. Ihn interessierte das Unbekannte, worüber man naturgemäß nichts Genaues wissen konnte. Man brauchte nur Scharfsinn und Neugierde und konnte so provokant und spitz schreiben, wie man wollte, ohne viel Widerspruch befürchten zu müssen. Barrows Selbstvertrauen wuchs, und er steuerte immer mehr Artikel bei. Zum Glück waren die Menschen zu jener Zeit hungrig auf Neuigkeiten über das Unbekannte, und bald schon war Barrow der gefragteste Autor der Quarterly. Bei allem Ruhm blieb er bescheiden. Die Kritiken «wurden nebenbei zum eigenen Vergnügen verfasst»,¹² schrieb er. «Es war eine Entspannung nach dem Abendessen und eine Erholung nach dem ermüdenden Tagewerk.»¹³ Tatsache war, dass ein Artikel von Barrow der Quarterly tausend neue Subskribenten gewinnen konnte, eine Steigerung der Leserschaft um acht Prozent. Sein Ruf wuchs so gewaltig, dass man ihn bald um Beiträge für die Encyclopædia Britannica bat.

Herausgeber der Quarterly Review war John Murray, ein junger Mann, den Walter Scott als jemanden beschrieb, «der mehr Anstand und Witz an den Tag legte als die meisten seiner Zunft»¹⁴. Barrow verstand sich gut mit Murray, und die beiden Männer verband eine lebenslange enge Freundschaft. Barrow sorgte dafür, dass Murray zum offiziellen Verleger der Admiralität gekürt wurde, und veröffentlichte in späteren Jahren seine eigenen Werke bei ihm, darunter fünf Biographien – über Anson, Howe, Bligh, Macartney und Peter den Großen – sowie drei Bände zu geographischen Themen. Bedenkt man seine langen Arbeitszeiten bei der Admiralität, erscheint das als eine ungeheure Leistung, und Barrow selbst war erstaunt, als er gegen Ende seines Lebens «ein Päckchen von Mr. Murray bekam, das elf dicke, in rotes Juchtenleder gebundene Oktavbände mit allen Beiträgen enthielt, die ich bis dato [für die Quarterly Review] verfasst hatte»¹⁵. 195 Besprechungen von seiner Hand waren zusammengekommen.

Um sich einen Ruf auf dem von ihm erwählten Gebiet zu machen, benötigte er allerdings offizielle Anerkennung, und so wurde er 1806 zum Mitglied der Royal Society gewählt. Eigentlich hatte man die Royal Society zu wissenschaftlichen Zwecken gegründet, tatsächlich aber waren nur ein Drittel der Mitglieder echte Wissenschaftler. Alle anderen wurden – sehr euphemistisch – als «Naturphilosophen» bezeichnet. Barrow, der aufgrund seiner Bücher gewählt wurde, gehörte der letzteren Kategorie an. (Selbst wenn er ausschließlich über Geographie geschrieben hätte, wäre er ein Laienmitglied gewesen, denn die Royal Society erkannte die Geographie nicht als Wissenschaft an.) Die allwöchentlichen Treffen der Royal Society waren todlangweilig, aber es gab den Royal Society Club, der jeden Donnerstag ein Abendessen veranstaltete (1 Shilling, 6 Pence, Wein extra), und bei diesen Essen waren so illustre Gäste wie Sir Humphrey Davy, Nevil Maskeleyne, John Rennie und Young anwesend, über den Davy schrieb: «Er wusste so viel, dass man nicht wusste, was er nicht wusste.»¹⁶ Und jeden Sonntagabend fand Barrow in 32 Soho Square, dem Haus des Präsidenten der Royal Society, Sir Joseph Banks, eine anregende Gesellschaft vor. Dort wurden wichtige naturphilosophische Fragen diskutiert, etwa jene, wer das außergewöhnlichste Tier gegessen hatte. (Barrow gewann mit Flusspferd.)

Joseph Banks hatte einen prägenden Einfluss auf Barrow. Er war einer der nachdrücklichsten und lautstärksten Befürworter von Entdeckungsreisen gewesen, hatte gemeinsam mit Captain Cook die Welt umsegelt, sich einen Ruf als Entdecker und Botaniker erworben und die Royal Society seit 1778 mit despotischer Güte regiert. Zum Zeitpunkt von Barrows Wahl war er ein hochbetagter, von der Gicht geplagter und an den Rollstuhl gefesselter Greis, der kaum noch die Kraft hatte, sich nach London zu begeben. Doch trotz seines Alters und seiner Behinderungen war mit ihm immer noch zu rechnen. Er war wohlhabend, einflussreich und hatte in der stärker wissenschaftlich geprägten Zeit vor den Wirren der Napoleonischen Kriege reiche Erfahrungen gesammelt. Dieser Mann war ein Nationaldenkmal, das im Grunde nicht in die Wirtschaftswelt des neunzehnten Jahrhunderts passte, die sich allmählich zu entfalten begann. Trotzdem war er da. Und wenn er etwas zu sagen hatte, hörte man zu.

Barrow hörte besser zu als die meisten. Laut Davy war Banks «stets bereit, die Vorhaben von Wissenschaftlern zu fördern, verlangte aber, als Gönner behandelt zu werden, und schluckte selbst die plattesten Schmeicheleien».¹⁷ Mit Gönnern kannte sich Barrow bestens aus, doch statt Banks für sein eigenes Fortkommen zu nutzen, war er überwältigt vom Erfahrungsschatz des alten Mannes. Banks war ein hochbegabter Mann, der einen unschätzbaren Beitrag zur Naturwissenschaft geleistet hatte, zugleich aber starrsinnig, schulmeisterlich und im Alter häufig in Irrtümern befangen war. Trotzdem empfand Barrow den Wunsch, ihm nachzueifern. Und je mehr er ihm nacheiferte, desto stärker kristallisierte sich jene Mischung fundierter Thesen und haltloser Spekulationen heraus, die seine Amtszeit als Zweiter Sekretär prägen sollte. Die beiden breiteten die Landkarten vor sich aus. Es gab noch so viele weiße Flecken. Wo befand sich der Nordpol? Existierte Antarktika? Gab es eine Nordwestpassage? Wo lag Timbuktu? Was befand sich im Herzen Afrikas? Barrow verfügte nicht über sonderlich viel Phantasie. Während seines Besuches im sagenumwobenen Sommerpalast des Kaisers von China hatte ihn vor allem eines beeindruckt: die Steinsetzung einer Gartenmauer. Aber er konnte träumen, und sein Traum bestand darin, die weißen Flecken zu füllen.

Dabei half ihm – vor allem, indem er ihm keine Steine in den Weg legte – der Erste Sekretär (1809–1830), der allseits unbeliebte John Wilson Croker. Croker war ein begabter, aber intriganter Karrierehengst, bis aufs Blut gehasst von seinen Feinden und von seinen Unterstützern furchtsam respektiert. Offiziell galt er als bester Redner im Parlament. Inoffiziell galt er als geschmacklos, schamlos, boshaft und skrupellos, als ein Mann, «der hundert Meilen durch Graupel und Schnee stapfen würde, nur um anhand eines Kirchenbuches zu beweisen, dass ein Mann unehelich geboren oder eine Frau älter war, als sie angegeben hatte»¹⁸. Der Schriftsteller Thomas Macaulay tat kund, er verabscheue ihn mehr «als kaltes, gekochtes Kalbfleisch»¹⁹. Worauf Croker hochnäsig erwiderte: «Ich habe ihn vom ersten Blick an nicht gemocht, noch bevor er den Mund aufgetan hat. Seine ganze Erscheinung war mir unangenehm.»²⁰ Gerüchten zufolge war Croker das Vorbild des Rigsby in Benjamin Disraelis Coningsby, eines Mannes, «der eine ungewöhnlich ausgeprägte und stets rege Begabung für die schlimmsten Gemeinheiten besaß»²¹. Disraeli widersprach nicht – zur Freude Macaulays, der das Gerücht in die Welt gesetzt hatte.

Nach eigenem Bekunden war Croker ein Vollblutpolitiker, der sein Amt bei der Admiralität nur als Sprosse auf seiner parlamentarischen Karriereleiter betrachtete. Das war ein Glück, denn wenn er sich entschlossen hätte, sein Amt mit ganzer Kraft zu versehen, hätte er nicht nur Barrows Pläne, sondern die ganze hydrographische Abteilung der Marine zum Kentern gebracht. Seiner häufig geäußerten Ansicht nach – die seinem tief sitzenden Abscheu gegen alles Moderne, etwa die Demokratie, entsprach – war England mit den alten Karten gut gefahren, warum also neue anfertigen? Er tat alles, was in seiner Macht stand, um die Kartierung zu behindern, und es ist einigen wenigen Hartnäckigen zu verdanken, dass in dieser Hinsicht überhaupt etwas erreicht wurde. Unter ihnen Kapitän Francis Beaufort, der aufgrund seines Ruhms fast unantastbar war. Eigentlich hätten Croker und Barrow also Streit miteinander bekommen müssen. Aber Barrow war jemand, dem es stets gelang, Streit mit seinen Vorgesetzten zu vermeiden. Zudem war er mit Croker verwandt, weil sein ältester Sohn George Crokers Adoptivtochter Nony geheiratet hatte. Eine Zeit lang lebten die beiden Familien sogar gemeinsam in einem Haus.

Beide Männer benutzten die Quarterly Review, um in eigener Sache die Trommel zu rühren. Und beide Männer hatten konservative Wertvorstellungen, wenngleich Barrows Angst vor dem Neuen nicht so allumfassend war wie jene Crokers und sich hauptsächlich in vehementen Angriffen gegen die von ihm so genannten «Projektemacher» erschöpfte, welche die Admiralität unentwegt mit den «absurdesten» Vorschlägen bombardierten. Einer dieser Vorschläge, der ihn zur Weißglut getrieben zu haben scheint, war die Ersetzung sämtlicher Segelschiffe der Flotte durch Dampfboote. Am Ende seines Lebens, als sich genau diese Entwicklung anbahnte, sprach er immer noch verächtlich von «einer Flotte stählerner Dampfschiffe, die als Kriegsschiffe völlig unbrauchbar sind»²².

Barrow ist als Vater der Arktisforschung bezeichnet worden. Tatsächlich war er, was nie gebührend gewürdigt worden ist, der Vater weltumspannender Erkundungen. Nicht zuletzt aber war er selbst ein geographischer «Projektemacher» der schlimmsten Sorte. Er hatte keine eigenen Ideen, sondern wurde stets von anderen angeregt – in den meisten Fällen von Banks –, war aufgrund seiner Position aber imstande, diese Ideen in die Tat umzusetzen. Und genau wie jeder andere «Projektemacher» war er ein Fanatiker. Von außen betrachtet hatten seine «Projekte» keine Erfolgschancen. Die Nachkriegszeit war von Entbehrungen geprägt, und Entdeckungsreisen standen ganz unten auf der Prioritätenliste der Admiralität. Das Budget war beschränkt, und es gab wenig Spielraum für Kinkerlitzchen. Zur Not war man bereit, die genaue Kartierung strategisch wichtiger Küsten zu finanzieren, etwa jener des Mittelmeeres, mehr aber nicht. Am Unbekannten war man genau deshalb nicht interessiert, weil es unbekannt war. Doch Barrow boxte seine Projekte durch. Entdeckungsreisen, argumentierte er, förderten die Wissenschaften und den Handel des Landes, vor allem aber wäre es ein schwerer Schlag für den Nationalstolz, wenn andere Länder neue Routen und Kontinente auf einer Welt entdeckten, die unangefochten von Großbritannien beherrscht wurde. Barrows Argumente waren eher schwach, doch sein letztes bestach. Dazu kam, dass er ein so ernsthafter, vernünftiger, unauffälliger und ehrerbietiger Mann war. Wie konnte er etwas vorschlagen, das der Admiralität zum Schaden gereichte? Außerdem genoss er die Unterstützung von Sir Joseph Banks. Und vor allem war er sehr überzeugend.

Zögernd, aber ohne ihr Zögern erklären zu können, ließen die Lords der Admiralität Barrow gewähren, woraufhin der Zweite Sekretär zwischen 1816 und 1845 eine Expedition nach der anderen zu jenen weißen Flecken auf der Weltkarte entsandte, die gerade seine Neugier erregten – ein Schiff, zwei Schiffe, ein Mann, drei Männer, eine pro Jahr, keine pro Jahr und manchmal vier pro Jahr. Die ganze Zeit über behielt Barrow einen kühlen Kopf. Er übernahm sich kein einziges Mal. Unglücklicherweise aber lag er, all seinen nüchternen Analysen zum Trotz, nie ganz richtig. Hatte er eine Meinung über ein geographisches Problem, dann war sie mit schöner Regelmäßigkeit falsch. Hatte er keine eigene Meinung, dann mixte er sich eine aus den wildesten Spekulationen anderer zusammen. Hin und wieder gelang ihm ein Volltreffer, in den meisten Fällen aber ging es daneben. Immer saß ihm das Schatzamt im Nacken. Bei vielen Expeditionen übertrafen die Berichte der Buchprüfer jene der Entdecker bei weitem an Länge. Selbst die Lords der Admiralität wurden gelegentlich aus ihrem sanften Schlummer geweckt und fragten nach dem Sinn des Ganzen.

Barrow hielt der Kritik mit jener zähen Entschlossenheit stand, mit der er alle seine Vorhaben in Angriff nahm. Er wollte das Unbekannte auf Karten bannen, und er wusste genau, dass er die Öffentlichkeit auf seiner Seite hatte. Es war das Zeitalter der Romantik, in dem Klüfte im Eis, stürmische Meere und Stämme bis dahin unentdeckter Wilder spannender waren als alles, was die verstaubte Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts verkündet hatte. Wenn die Journale der Expeditionen von John Murrays Druckerpressen ausgespuckt wurden, um sofort von einer hungrigen Leserschaft verschlungen zu werden, wusste sich Barrow im Einklang mit seiner Zeit. Es war also nur recht und billig, dass das Vorhaben, dessen er sich als Erstes annahm, die nachfolgenden an Popularität und wilder Romantik ausstach: die Suche nach dem Niger.

2.

Tod auf dem Kongo

Wo mündete der Niger? Jedem, der im Jahr 1806 die wenigen vorhandenen Afrikakarten studierte, brannte diese Frage auf den Nägeln. Erste Hinweise auf die Existenz des Flusses hatten Phönizier geliefert, die im sechsten vorchristlichen Jahrhundert Afrika umsegelt hatten. Hundert Jahre später wurden ihre Angaben von Reisenden bestätigt, die von Ägypten aus über Land aufgebrochen waren. Diese sprachen von einem roten, schlammigen und mehr als eine Meile breiten Fluss, der in östlicher Richtung auf den Nil zuströmte. Er sei voll mit angeschwemmtem Gold, und die größte Stadt an seinen Ufern sei ein Ort namens Timbuktu. Die Macht der ägyptischen Zivilisation war so groß, dass ein afrikanischer Herrscher nur wenige Jahrhunderte später verkündete, das westliche Gegenstück des Nil fließe unterirdisch und münde an einer noch unentdeckten Stelle in diesen. Jener Herrscher gab dem Fluss einen Namen: «N’ger-ngereo», Fluss der Flüsse, oder, wie wir ihn kennen: «Niger».

Im zweiten Jahrhundert nach Christus bestätigte der Geograph Ptolemäus die Existenz des Niger, mochte sich aber nicht der Behauptung anschließen, dieser münde in den Nil. Tausend Jahre später fand der arabische Historiker Edusi einen Kompromiss, indem er behauptete, sowohl der Nil als auch der Niger entsprängen einem in Zentralafrika gelegenen See. Dem jedoch widersprachen die Berichte des Entdeckers Leo Africanus, der im sechzehnten Jahrhundert tatsächlich am Ufer des Flusses gestanden und der Welt verkündet hatte, er fließe nach Westen.

Diese Diskussion, hauptsächlich durch den Traum von Gold beflügelt, währte Jahrhunderte. 1412 schickte König Johann I. von Portugal eine Expedition nach Westafrika, die umkehrte, weil ihre Mitglieder befürchteten, nach der Überschreitung des Äquators bei lebendigem Leibe gekocht zu werden – ein Gerücht, das die alten Griechen in die Welt gesetzt hatten. Doch Heinrich der Seefahrer, König Johanns unbeirrbarer Sohn, schickte weitere Schiffe aus, deren Besatzungen ungekocht zurückkehrten, und sie berichteten von einem Land, das unermesslich viel Gold, zumindest aber unermesslich viele Sklaven bot.

Westafrika war schon seit langem der Jagdgrund muslimischer Sklavenhändler aus dem Norden und Osten gewesen. Nun traten ihre europäischen Kollegen mit auf den Plan. Während sich der Sklavenhandel im Dreieck von Europa, Afrika und Amerika in seinen ganzen leidvollen Dimensionen entfaltete, wurden an der westafrikanischen Küste große Steinforts errichtet, versehen mit Verliesen und bemannt mit jedem, der willens war, dort Dienst zu tun. Man baute riesige Baracken, um die menschliche Ware unterzubringen, und man baute sie für die Ewigkeit – noch in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wurden sie als Wohnraum genutzt.

Die Gerüchte über Gold aber verstummten nicht. Und es waren auch keine bloßen Gerüchte. Es gab tatsächlich viel Gold in Westafrika. Als der Kaiser von Mali, Mansa Musa, 1324 auf seinem Weg nach Mekka in Kairo Station machte, gab er so viel Gold aus, dass Wirtschaft und Währung noch Jahre später kriselten. Und obwohl die Goldminen Ghanas bereits im sechzehnten Jahrhundert von Portugal ausgebeutet wurden, hielt sich hartnäckig der Verdacht, dass es anderswo noch viel mehr gab. Dass irgendwo Timbuktu lag.

Im neunzehnten Jahrhundert stellte sich die Öffentlichkeit das in Wahrheit elende Timbuktu als Sitz von Macht und Gelehrsamkeit vor, wo selbst die Dachziegel aus Gold waren, und verwandelte es so in einen Gral der Begehrlichkeit. 1809 veröffentlichte James G. Jackson, ein in Marokko lebender englischer Kaufmann, An Accurate and Interesting Account of Timbuctoo, the Great Emporium of Central Africa, in dem die Stadt nicht nur als Hort des Reichtums, sondern auch als Traum eines jeden heißblütigen Abenteurers erschien. Sein Herrscher «besitzt eine unvorstellbare Menge Goldes (…). Es heißt, dass sowohl die schweren Bolzen als auch sämtliche Küchengeräte seiner unzähligen Paläste aus Gold sind.»¹ Hier konnten sich die Triebe ungezügelt austoben. «Es heißt, dass das Klima in Timbuktu außerordentlich heilsam und belebend ist, zumal es für beide Geschlechter undenkbar ist, nicht zu heiraten. Auch heißt es, dass jeder Mann im Alter von achtzehn Jahren seine Frauen und Konkubinen habe, (…) und dass es eine Schande für einen geschlechtsreifen Mann sei, unverheiratet zu bleiben.»² Was die Handelsmöglichkeiten betreffe, so seien die Bewohner nicht nur für ihre Eleganz und Höflichkeit bekannt, nein, beide Ufer des Niger – den Jackson als Nil bezeichnete – «sind so dicht bevölkert wie jeder Fluss in China»³. Dies war die Stimme einer lüsternen Variante des Kapitalismus. Sie machte Jacksons Buch zu einem Bestseller, der innerhalb von zehn Jahren zwei Neuauflagen erlebte.

Doch Timbuktu stand schon vor dem Erscheinen von Jacksons Buch auf der Liste von Sir Joseph Banks. In Großbritannien war die Sklaverei 1797 abgeschafft worden, obgleich es weitere acht Jahre dauern sollte, bis auch der Sklavenhandel für ungesetzlich erklärt wurde (in England regte sich zwar lautstarker Protest, aber obwohl häufig das Gegenteil behauptet worden ist, ging der Kreuzzug gegen den Handel nicht von hier aus. 1802 verbot Dänemark als erstes Land den Sklavenhandel, 1808 folgten Großbritannien und Amerika, Schweden 1813, ein Jahr später Holland, Frankreich 1818, Spanien 1820 und Portugal 1836. In Süd- und Nordamerika wurde der verdeckte Sklavenhandel allerdings bis weit in die fünfziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts hinein fortgesetzt). Banks hatte ein Auge auf die Reichtümer Westafrikas geworfen. Er glaubte fest daran, dass es das Gold und auch Timbuktu gab. Und da er praktisch dachte, wollte er wissen, wie man das Gold aus Afrika fortschaffen konnte. Die Antwort lautete: auf dem Niger.

Am 8. Juni 1799 schrieb Banks einem Freund im Parlament einen Brief, in dem er vorschlug, dass man die Kontrolle über das Gebiet erlangen sollte.

Bitte empfehlen Sie dem Kabinett:

Da der Warenhandel mit den Negern seit langer Zeit schon fest etabliert ist und das Gold, an dem uns am meisten liegt, in allen Flüssen, welche in den [Niger] münden, überreichlich vorhanden ist, bin ich weitgehend vom Erfolg des Vorhabens überzeugt, vorausgesetzt, man unternimmt einen ernsthaften Versuch (…). Bisher hat sich die Wissenschaft kaum Gedanken darüber gemacht, wie jenes Gold zu gewinnen ist, das die Strömung der Flüsse mit sich trägt (…).

Sollte man sich zu diesem Unterfangen entschließen, dann bestünde der erste Schritt der britischen Regierung darin, die gesamte Küste Afrikas von Arguin bis Sierra Leone entweder durch vertragliche Regelung oder durch Krieg der Krone einzuverleiben, zumindest jedoch die Abtretung des Senegal-Flusses zu erreichen, da jede andere Nation, die die Länder am Ufer des [Niger] zu überfallen trachtet, über diesen Fluss leicht Zugang findet.

Sollte das Experiment gewagt werden, so habe ich kaum einen Zweifel daran, dass innerhalb weniger Jahre die Gründung einer Handelsgesellschaft vollzogen werden könnte, welche unter direkter Kontrolle der Regierung stünde, für alle Kosten des Vorhabens aufkäme, die Neger ungleich milder regierte und ungleich glücklicher machte, als sie es zum jetzigen Zeitpunkt unter der Herrschaft ihrer despotischen Fürsten sind, sich in der Heimat beliebt machte, indem sie sie zum Christentum bekehrte und ihr ungeschlachtes Wesen mit jener Sanftmütigkeit bekannt machte, welche die Grundlage unseres Glaubens bildet, und zu guter Letzt die Versklavung der Menschheit, soweit in praktischer Hinsicht durchführbar, aufgrund der Prinzipien natürlicher Gerechtigkeit sowie handelspolitischer Vorteilhaftigkeit verringerte.

Banks’ Vorschlag, der ungehört verhallte, fasst das Verhältnis Großbritanniens zu Afrika im neunzehnten Jahrhundert gut zusammen.

Banks hatte schon als Präsident der African Association eine Reihe von Expeditionen zum Niger organisiert. Etwa jene des Amerikaners John Ledyard, des Iren Daniel Houghton sowie des «Mohren» Ben Ali. Die ersten beiden kamen ums Leben, bevor sie irgendetwas hatten erreichen können, und der Dritte tauchte in London unter, ohne je aufgebrochen zu sein. Der Nächste war Mungo Park, ein dickschädeliger Schotte, der zu einer Legende in den Annalen der Expeditionen avancieren sollte. Er machte sich zweimal auf den Weg, erst 1795, dann 1805. Seine erste Reise fand im Auftrag der African Association statt und war dementsprechend ausgestattet: Er erhielt Vorräte für zwei Tage. Wunderbarerweise schaffte er es trotzdem, den Niger nach vielen Widrigkeiten zu erreichen, und seine Belohnung war der Anblick des Flusses, der «im Morgenlicht glitzerte, so breit wie die Themse bei Westminster war und langsam ostwärts floss»⁵. Auf seiner zweiten Expedition, die von der Regierung finanziert wurde – man stellte ihm 60.000 Pfund zur Verfügung –, suchte er an der Spitze einer Schar von vierundvierzig Rotröcken nach dem Rest des Flusses. Ein Soldat nach dem anderen starb. Zum Zeitpunkt, als Park bei der Stadt Bussa den Niger erreichte, lebten noch fünf Mitglieder des ursprünglichen Kontingents. Irgendwann im Jahr 1805 wurde er schließlich auf dem Fluss angegriffen, und die ganze Expedition wurde ausgelöscht. Sobald das Unglück bekannt geworden war, begann man Park als Helden zu verehren. Wo war sein Journal geblieben? Wo befand sich seine Ausrüstung? Was hatte er entdeckt? Und wo verlief der Niger?

Das war der Stand der Dinge, als Barrow 1816 mitzumischen begann. Der Plan zur Kolonialisierung Afrikas war vorerst auf Eis gelegt worden. Dafür hatten die Napoleonischen Kriege gesorgt. Trotzdem blieb die Frage: Wo verlief der Niger?

Spekulationen gab es genug. Einige meinten, er verlaufe westwärts und vereinige sich mit den Flüssen Gambia oder Senegal. Andere behaupteten, er verliere sich in einem riesigen Sumpf namens Wangara. Wieder andere beharrten darauf, dass er in den Nil münde. Park selbst – der beim Versuch, das Rätsel zu lösen, umgekommen war – war der Meinung gewesen, er münde in den Kongo. Und einige Außenseiter waren der Ansicht, dass er nirgendwo münde, sondern einfach in der heißen Sonne Afrikas verdampfe. Es gab auch manchen, der richtig lag, doch laut Barrow «verdienen die Hypothesen Mr. Reichards, eines deutschen Geographen beträchtlichen Ansehens, welcher behauptet, der Niger ergieße seine Wasser in den Golf von Benin, nur sehr wenig Aufmerksamkeit»⁶. Barrow war auf den Kongo fixiert. Und so geschah es, dass Kapitän James Kingston Tuckey 1816 von Großbritannien aufbrach, um den Kongo zu erkunden.

Über James Kingston Tuckey ist kaum etwas bekannt. Er hatte die erste Kartierung des Hafens von Sydney geleitet, war danach von den Franzosen gefangen genommen worden und hatte während seiner Haft in Verdun vier dicke Bände über Meeresgeographie verfasst. Während der ersten Umseglung Australiens war er im Kielwasser von Kapitän Matthew Flinders gefahren – und genau wie dieser auf Grund gelaufen und gefangen genommen worden. In körperlicher Hinsicht war er eher diensttauglich denn fit. «Gesundheitlich wirkte er angeschlagen», schrieb Barrow, «aber er war so felsenfest davon überzeugt, dass die Reise sowie das warme Klima seiner Gesundheit förderlich wären (…), dass die Lords der Admiralität ihm den Auftrag übergaben.»⁷ Ohne Frage ein fähiger und kompetenter Offizier, hatte er gewiss nicht das Zeug zur Legende. Man fragt sich, weshalb Barrow ausgerechnet ihn aussuchte. Sicher, er hatte Erfahrungen im Kartieren, aber da war er nicht der Einzige. Barrow hätte sich ebenso gut für Kapitän Francis Beaufort entscheiden können, der gerade von einer Kartierungsfahrt auf dem östlichen Mittelmeer zurückgekehrt war.

Beaufort, ein außerordentlich fähiger Offizier, ist heute vor allem durch die Erfindung der Beaufort-Skala zur Windstärkenmessung in Erinnerung. In Seefahrerkreisen aber ist er als einer der besten Hydrographen aller Zeiten berühmt. Seine Karten der Türkei, angefertigt 1816, waren noch 160 Jahre später die besten, die es gab. Das Journal seiner Kartierungsreise bezeichnete Barrow als «allen anderen seiner Art, ganz gleich in welcher Sprache, überlegen»⁸, und der Zweite Sekretär war stolz darauf, Beaufort «aus der gesamten Mittelmeerflotte»⁹ für die Aufgabe ausgewählt zu haben. Warum wurde er also nicht Leiter der Kongoexpedition? Die Antwort war, dass sich Beaufort bei Croker, dem Ersten Sekretär, unbeliebt gemacht hatte. Und ein einziges Mal traf Croker keine Schuld. Der Streit begann mit Unstimmigkeiten über den Lohn. Beaufort glaubte irrigerweise, dass andere Offiziere fast 2.000 Pfund mehr erhalten hätten als er. Croker war versöhnlich. Beaufort war gereizt. Je weiter Croker auf Beauforts Forderungen einging, umso mehr zog sich dieser zurück. Schließlich wollte er gar nichts mehr. Angesichts seines Charakters und seiner Ansicht, das Kartieren sei reine Zeitverschwendung, erstaunt es, dass Croker Beaufort 1816 den Auftrag anbot, die Küste Irlands zu kartieren. Doch Beaufort lehnte ab, teils weil er beleidigt war, teils aus beruflichen Gründen.

Obwohl Barrow mit Croker befreundet war, wusste er, dass es bei diesem eine Grenze gab, die man nicht überschreiten durfte. Beaufort hatte sie überschritten, und deshalb kam er für den Job nicht infrage. Aber vielleicht gab es für Barrow noch einen Grund, sich für Tuckey zu entscheiden: Er war mit Flinders gesegelt. Und obwohl dies, für sich genommen, keine Qualifikation darstellte, mag es für Barrow eine Verbindung zu den ruhmreichen Entdeckertagen Banks’ hergestellt haben.

Die Expedition war ein Mischmasch aus surrealer Romantik, großen Hoffnungen und noch größerer Dummheit. Da war zunächst einmal das Ziel selbst – «fast ein weißer Fleck auf unseren Karten»¹⁰, wie Barrow betonte. Sodann die Eignung der Expeditionsteilnehmer: Zweifellos war die Königliche Marine die erfahrenste und geübteste der Welt, und ihre Männer waren auf ideale Weise für ein solches Unterfangen geeignet. «Ich bin bereit, den Kenntnissen und Fertigkeiten der Seeleute, die mit der Durchführung betraut sind, mein vollstes Vertrauen zu schenken»,¹¹ schrieb Banks. Und schließlich der Landstrich, in dem man sich bewegen würde, ein Landstrich, in dem es von gefährlichen Krankheiten nur so wimmelte: von Flussblindheit und Malaria bis zu Bilharziose und Denguefieber. Aber dies wurde mit keinem Wort erwähnt.

Banks, der die Expedition ursprünglich abgesegnet hatte, war einer der wenigen, die begriffen, welche Gefahren die Sache barg. Je weiter Barrows Pläne gediehen, desto mehr distanzierte er sich davon. Er teilte Barrow mit, dass er mit der Angelegenheit nichts mehr zu tun haben wolle, und beschränkte sich darauf, einen geeigneten Naturkundler zu finden. Barrow tat die Bedenken ab, und Banks, von der Unerfahrenheit seines Zöglings irritiert, griff zur Feder. «Sehr geehrter Herr, als ich fünfundzwanzig Jahre alt war …»,¹² begann er seine ausführliche, etwas herablassende Antwort. Doch Barrow ließ sich nicht beeindrucken, und schließlich gab Banks nach.

In einem unerwarteten Anfall von Begeisterung für die neue Technik beschloss die Admiralität, dass Tuckeys Expedition mit einem Dampfschiff reisen sollte. Die traditionell konservative Marine hatte noch nie ein Dampfschiff in Auftrag gegeben, in diesem Fall aber sprachen gute Gründe dafür. Dampfschiffe hatten weniger Tiefgang als Segelschiffe, sie waren unabhängig von günstigen Winden und deshalb, wie sich bereits in Amerika gezeigt hatte, bestens für die Flussschiffahrt geeignet. Trotz Barrows Protesten wurde bei Boulton und Watt ein dreißig Tonnen schwerer und zwanzig PS starker Motor bestellt, welcher, zusammen mit den dazugehörigen Schaufelrädern, in einem kleinen, hundert Tonnen schweren Kanonenboot namens Congo installiert werden sollte. Insgesamt beliefen sich die Kosten auf 1.700 Pfund, inklusive der Dienste zweier Maschinisten.

Der Stapellauf der Congo fand am 11. Januar 1816 in Deptford statt, und das Schiff stand sofort im Kreuzfeuer der Kritik. Der Erste Maschinist, ein Schotte namens Murdoch, wies darauf hin, dass die Congo zu tief im Wasser liege, wodurch die Räder nicht richtig funktionierten. Um den Fehler zu beheben, löschte man umgehend einen Teil der Ladung. Aber selbst danach kam die Congo nur auf drei Knoten, recht wenig im Vergleich mit den acht, die amerikanische Dampfschiffe schafften. Das Schiff gefiel niemandem, weder Murdoch noch Tuckey, ja nicht einmal dem Hersteller des Motors, James Watt jr., der dem Urteil zustimmte, die Congo sei im Grunde nicht seetauglich. Selbst Konteradmiral Sir Home Popham, ein begeisterter Naturwissenschaftler, der für Neuerungen wie die Congreve-Rakete und den Torpedo verantwortlich war, gestand, das Schiff könne «leicht kentern, und auch auf den

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