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Minik: Der Eskimo von New York
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Minik: Der Eskimo von New York
eBook512 Seiten5 Stunden

Minik: Der Eskimo von New York

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Über dieses E-Book

Als der amerikanische Polarforscher Robert Peary im August 1897 von einer Expedition nach Nordgrönland zurückkehrt, hat er eine ungewöhnliche Ladung an Bord: Er bringt sechs Eskimos mit in die Vereinigten Staaten, angefordert vom New Yorker American Museum of Natural History als Forschungs- und Präsentationsobjekte. Hier, im Kellergeschoß des Museums, sind die Polareskimos der wissenschaftlichen Neugier der Ethnologen und der sensationshungrigen Schaulust der Museumsbesucher hilflos ausgeliefert. Schon wenige Wochen nach ihrer Ankunft im fremden Land sind alle Eskimos schwer erkrankt. Nur das jüngste Familienmitglied überlebt und bleibt als Waisenkind allein in der Großstadt zurück - Minik, der Eskimo von New York. Zerrissen zwischen zwei Kulturen, sucht der Heranwachsende nach seiner Identität und nach der verlorenen Kultur seines Volkes. Von den ehrgeizigen Wissenschaftlern und Forschern aus seiner unmittelbaren Umgebung kann er dabei keine Hilfe erfahren - im Gegenteil, sie betrügen ihn sogar um die Gebeine seines in New York verstorbenen Vaters. Eine lange Odyssee beginnt.
Kenn Harper enthüllt in diesem Buch erstmals die wahre Lebensgeschichte von Minik Wallace, um die sich zahllose Legenden ranken. Auf die richtige Spur führten ihn erst seine umfangreichen Recherchen in den Archiven von Kopenhagen, Washington, New York und Philadelphia sowie seine Besuche in Cobleskill, Lawyersville und Pittsburg.
Nach der Veröffentlichung von Kenn Harpers Dokumentation Ende der 80er Jahre sah sich das American Museum of Natural History schließlich dazu veranlaßt, die Gebeine der rund 100 Jahre zuvor in New York verstorbenen Eskimos nach Grönland überführen zu lassen, wo sie 1993 ihre letzte Ruhestätte fanden.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Temmen
Erscheinungsdatum27. Nov. 2015
ISBN9783837880397
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    A fascinating story.
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    The tragic tale of a young boy who was taken from his home in Greenland and brought to New York City as a living artifact of his culture. Harper uses sources that have been buried by the New York Museum of Natural History for nearly a century to uncover the sad and shameful tale, and the museum's role in it. Very well-written, gives one a lot of food for thought.
  • Bewertung: 5 von 5 Sternen
    5/5
    Harper presents a disturbing side to America's fascination with the Arctic. The Inuit Minik's story is well-told, shedding light on the often dehumanizing actions of explorers and anthropologists.

Buchvorschau

Minik - Kenn Harper

Minik in Lawyersville, N. Y.

(Bildquelle: American Museum of Natural History, New York)

Kenn Harper

Minik

Der Eskimo von New York

Einführung von Jutta Steffen-Schrade

Übersetzung von Fee Engemann

Mit 127 Abbildungen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Hinweis zur Übersetzung: Gegenüber der englischen Originalfassung haben wir auf einen Einzelnachweis der Zitate aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichtet. Alle Quellen sind jedoch benannt und einzeln aufgeführt.

Die Vignetten sind teilweise entnommen aus dem Buch: Knud Rasmussen: Die Gabe des Adlers, Frankfurt 1937

Redaktion und Lektorat: Wiebke Skalicky

© Englische Ausgabe:

Kenn Harper: Give me my father’s body — The Life of Minik, The New York Eskimo. Iqaluit, Canada, 4. Auflage

© Deutsche Übersetzung und Ausgabe 2000

Edition Temmen

Hohenlohestraße 21

28209 Bremen

ISBN 978-3-86108-743-4

© E-Book der Deutschen Übersetzung und Ausgabe 2015

Edition Temmen

Hohenlohestraße 21

28209 Bremen

Tel. 0421-34843-0

Fax 0421-348094

info@edition-temmen.de

www.edition-temmen.de

Alle Rechte vorbehalten

Herstellung: Edition Temmen

E-Book ISBN 978-3-8378-8039-7

Die Welt der Polareskimos

Einführung

Im Mittelpunkt dieses Buches steht die außergewöhnliche Lebensgeschichte eines Menschen, der als Kind seine Heimat Nordgrönland verläßt und in New York heranwächst. Geschildert wird das individuelle Schicksal und damit das persönliche Erleben von Minik. Doch zugleich geht es hier um zeitgenössische Einstellungen wie auch Traditionen der Wahrnehmung fremder Kulturen, die nur aus dem historischen Kontext heraus zu verstehen sind.

Eisberge vor Grönland, Darstellung in einer Illustrierten Zeitung um 1870

(Bildquelle: Deutsches Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven)

In Europa hielten die Jahre 1566/1567 eine »exotische« Attraktion besonderer Art bereit. Illustrierte Flugblätter hatten das bevorstehende Ereignis, die Schaustellung einer »wilden Frawen mit ire Töchterlein«, angekündigt. Von Entdeckungsreisenden oder Walfängern in »Terra Nova« (vermutlich Labrador) gefangengenommen und nach Europa verschleppt, wurden sie in Antwerpen, Gent und wahrscheinlich auch noch in anderen Städten gegen Geld gezeigt. Für viele der in Europa Verbliebenen bot sich nun die Gelegenheit, mit eigenen Augen zu sehen und zu bestaunen, wovon andere seit geraumer Zeit berichtet hatten: in Fellgewänder gekleidete Gestalten, die an Kinn, Wangen und Stirn mit seltsamen schwarz-blauen Strichen versehen und verziert waren. Ein zusätzlicher Text unterhalb des Porträts von Mutter und Tochter stimmte mit einer Mischung aus Tatsächlichem und Unwahrem die Besucher auf die Zurschaugestellten ein, die – so stand zu lesen – in ungezügelter Wildheit, Menschenfresserei, Hurerei und Heidentum ihr Leben im hohen Norden fristeten. Neugierige und Schaulustige fanden sich ein, drängten sich um Frau und Kind, alle begierig, mehr als nur einen flüchtigen Blick zu erhaschen. Es war ein besonderes Spektakel und weitere sollten folgen.

Diese Schaustellung von Frau und Kind aus Labrador war keinesfalls die erste, die Menschen fremder Kulturen in Europa zeigte. Seit Christoph Kolumbus mit Indianern nach Europa zurückgekehrt war, hatten auch andere Entdeckungsreisende immer wieder Bewohner neuentdeckter Gebiete nach Europa verschleppt und ihren Herrschern und Fürsten präsentiert. Im folgenden Jahrhundert rückten die arktische See und die Regionen des ewigen Eises mehr und mehr in den Mittelpunkt europäischer Interessen. Ein reger Verkehr herrschte in den Gewässern der Arktis, wobei die Gründe hierfür vielfältig sind. Unzählige Flotten suchten die reichen Fischgründe Labradors und Neufundlands auf. Walfänger stellten den Meeressäugern im hohen Norden nach und Entdeckungsreisende suchten einen nördlichen Seeweg zu den Reichtümern im Orient. Seit die Spanier mit Hilfe Ferdinand Magellans die Südwestpassage nach Indien, die Portugiesen die Südostpassage gesichert hatten, richtete man die gesamte Aufmerksamkeit auf eine nördliche Durchfahrt, die viel kürzer war als die Route um Afrika oder Südamerika herum. Die Hoffnung auf ungeahnten Reichtum und unsterblichen Ruhm trieb viele Entdeckungsreisende an, die Nordwestpassage durch das unberechenbare Eis zu finden, ja, kurze Zeit dachte man sogar an eine an Eurasien vorbeiführende Nordostpassage. Mit dem Mut und Unternehmungsgeist eines Piraten ausgestattet, schien Martin Frobisher genau der richtige Mann zu sein, um die Suche nach der Nordwestpassage für die englische Krone zu leiten. Unter den »Souvenirs«, die seine Leute von der ersten Reise im Jahre 1576 mitbrachten, befand sich ein Eskimo von Baffinland, der ihm als »Beweisstück« seines Vordringens in nördliche und unbekannte Breiten diente. Desweiteren erregte ein mitgebrachter Stein besondere Aufmerksamkeit, da man überzeugt war, daß er Gold enthielt. So fanden sich schnell Geldgeber bereit, eine zweite und dritte Expedition zu finanzieren. Im Jahr 1577 kehrte Martin Frobisher mit zweihundert Tonnen Gestein von seiner zweiten Expedition zurück, das sich später als wertloses Pyroxenit und Amphibolit herausstellen sollte. Auch auf dieser Fahrt brachte Martin Frobisher abermals einen Mann und später eine Frau mit ihrem zwölfmonatigen Kind in seine Gewalt. Der Mann hieß Kalicho, die Frau Arnaq und das Baby Nutaaq. Im Oktober 1577 erreichten sie die englische Stadt Bristol, wo die Gefangenen großes Aufsehen erregten. Insbesondere Kalicho beeindruckte die Einwohner der Stadt, als er mit seinem Kajak den Avon auf und ab fuhr und mit seinem »Speer« zwei Enten erlegte. Anschließend spazierte Kalicho mit seinem Kajak auf dem Rücken durch Bristol. Einen Monat darauf waren Kalicho, Arnaaq und nur kurze Zeit später auch Nutaaq tot. Kalicho erlag den Verletzungen, die er bei seiner Gefangennahme davongetragen hatte, Arnaq und Nutaaq starben an den Folgen einer Infektion. Auch später war den Eskimo in Europa selten ein langes Leben beschieden. Die ungewohnte Ernährung und das ungewohnte Klima, aber auch Depressivität, Heimweh und in einigen Fällen die schlechte Behandlung setzten ihrem Leben ein allzu rasches Ende.

Dreißig Jahre nach Kalichos Kajakvorführungen in England waren Männer in Lübeck damit beschäftigt, einen grönländischen Kajak im Haus der Schiffergesellschaft aufzuhängen. Er hatte einem der Grönländer gehört, die im Zuge dänischer Grönlandexpeditionen in den Jahren 1605 oder 1606 nach Dänemark verschleppt und am dänischen Hof gezeigt worden waren. Wenngleich man alles für ihr Wohlergehen tat, half doch kein Mittel gegen ein Leiden, das Heimweh hieß. In ihrer Verzweiflung und Ausweglosigkeit griffen einige der Gefangenen zu ihren Kajaks und versuchten, in ihre Heimat zurückzukehren. Der Fluchtversuch scheiterte. Im darauffolgenden Jahr wagten zwei, die schon einmal geflüchtet waren, einen erneuten Versuch. Einer wurde von dänischen Bauern gefangen und nach Kopenhagen gebracht, von dem anderen fehlte jede Spur. Er wurde vermutlich von Lübecker Schiffern entdeckt und geborgen, als er zu Tode erschöpft oder bereits tot auf dem Meer trieb. Seither erinnern eine hölzerne Eskimofigur und der mit Spruchbändern verzierte Kajak an den unglücklichen Grönländer.

(Bildquelle: Jutta Steffen-Schrade, Frankfurt)

Mehr und mehr Schiffe kehrten von Reisen aus dem Norden zurück und brachten Felle, Walbarten oder Narwalzähne, aber auch Kajaks, Bogen und Pfeile sowie Kleider mit. Und oft genug auch Menschen. Seit dem 16. Jahrhundert wurden die Kontakte zwischen Europäern und Bewohnern der östlichen Arktis (Labrador, Baffinland und Grönland) immer häufiger. Doch verliefen diese Begegnungen selten friedlich. Plünderungen, Vergewaltigungen und Entführungen, die übrigens erst im 18. Jahrhundert verboten wurden, führten immer wieder zu Scharmützeln und kriegerischen Auseinandersetzungen. Was die Entführung von Grönländern betraf, so handelten nicht alle Seeleute in ihrem Tun eigenmächtig. Vielmehr waren sie von offizieller Seite dazu angehalten, Grönländer nach Dänemark mitzubringen. Man wollte diese in Sprache und Glaube unterrichten, damit sie »zivilisiert« in ihre Heimat zurückkehrten, um Handel, Mission und Kolonialisierung des Landes voranzutreiben. Diesem Auftrag kamen die Seeleute nach, falls nötig mit List und Gewalt.

So geschehen im Jahre 1654: Kapitän David Dannel lag erst kurze Zeit mit seinem Schiff vor der westgrönländischen Küste vor Anker, da erschienen zahlreiche Männer und Frauen in ihren Booten, um Tauschhandel zu treiben. Nach anfänglichem Zögern kamen einige von ihnen der Aufforderung der Schiffsmannschaft nach, an Bord des Schiffes zu kommen. Fuchs-, Robben- und Bärenfelle, dazu weitere Produkte des Landes tauschten die Grönländer gegen europäische Haken, Messer, Nähnadeln und anderes mehr. Für die Seeleute war der Tauschhandel lukrativ. Schließlich verlangten die Grönländer im Tausch gegen die Schätze ihres Landes weder Gold noch Silber, sondern begnügten sich mit billigem Tand aus Metall. Diese Gegenstände schätzten sie jedoch so sehr, daß sie dafür alles anboten, was zu entbehren war – und manchmal auch mehr. Als Cabelou, eine junge Westgrönländerin, ein Fell gegen ein europäisches Messer eintauschen wollte, zeigte sich der Seemann mit dem Handel erst einverstanden, als sie ihren Körper als Bezahlung anbot. Der Mann geleitete sie unter Deck. Plötzlich wurde die Luke geschlossen und die Segel gesetzt. Unfreiwillig trat sie mit drei weiteren Gefangenen – dem Mann Ihiob, der Frau Gunnelle und dem Mädchen Sigjo – ihre Reise nach Dänemark an. Während Ihiob bereits auf der Fahrt von Bergen nach Kopenhagen starb, lebten Cabelou, Gunnelle sowie Sigjo noch einige Jahre in Kopenhagen. In Dänemark wurden sie zu Gelehrten geschickt, die ihre Zähne, Haut und Haare, ihren Knochenbau, ihre Kleider und ihre Sprache studierten. Auch der Gelehrte und Gottorfer Hofbibliothekar, Adam Olearius, nutzte die sich ihm bietende Gelegenheit zu ausführlichen Beobachtungen und Befragungen von Cabe­lou, Gunnelle und Sigjo. Er widmete ihnen ein eigenes Kapitel in seinem viel beachteten Werk »Beschreibung der Mus­cowitischen und Persischen Reyse« (1656). Mit einem ersten, 100 Wörter umfassenden Glossar der Eskimosprache und wertvollen Informationen zu Land und Leuten erweiterte er wesentlich das Wissen der damaligen Zeit. Trotz seiner unbestrittenen Verdienste für die Wissenschaft bedarf es auch nach so langer Zeit nicht allzu ausschweifender Phantasie, sich vorzustellen, wie er zu der Erkenntnis gelangte, daß die Grönländerinnen eine »gar weiche Haut, welche als Seide an­zugreiffen« haben, »am Leibe viel schwärtzer als am An­gesichte« sind oder, »ob sie schon noch keine Kinder gezeuget / haben die Brüste lang herunter han­gen mit langen Kohl­schwartzen Wart­zen.«

Eskimos auf der Weltausstellung in Chicago 1893

(Bildquelle: Kenn Harper, Iqaluit)

Im 18. und 19. Jahrhundert reisten zahlreiche Grönländer nach Europa, und viele von ihnen freiwillig. Einige Besuche standen in Zusammenhang mit der Tätigkeit christlicher Missionare, die seit 1721 in Grönland wirkten. Mit der Unterstützung der dänisch-norwegischen Krone und einer Handelskompanie hatte Hans Egede mit der Missionierung der Bewohner begonnen. Zwölf Jahre später folgten ihm Herrnhuter Missionare, die 1771 ihre Arbeit auf Labrador ausweiteten. Einige Grönländer besuchten ihre europäischen Glaubensbrüder und warben für die Mission in ihrem Land. Andere wurden von Entdeckungsreisenden und Unternehmern nach Europa gebracht, um als Dolmetscher ausgebildet oder zur Schau gestellt zu werden. Völkerschauen waren im Unterhaltungsgeschäft des 19. Jahrhunderts in Amerika und Europa gang und gäbe. So waren Eskimo mit ihren sensationellen und typischen Darbietungen auf der Weltausstellung in Chicago (1893), der Wintersonnwendmesse in San Francisco (1894) oder auf der Panamerikanischen Ausstellung in Buffalo (1901) zu sehen. In Deutschland sind Völkerschauen eng mit dem Namen Carl Hagenbeck verbunden, der nach einer Flaute im Tiergeschäft seine zoologischen Schaustellungen von Menschen aus den gleichen Regionen begleiten ließ. Werber und Impresarios lockten mit vielversprechenden Angeboten, stellten den Teilnehmern reichen materiellen und finanziellen Gewinn sowie die baldige Rückkehr in ihre Heimat in Aussicht. Von 1874 bis 1932 wurden aus allen Teilen der Welt Völkerschau-Truppen für Hagenbeck verpflichtet, die vor den Augen des europäischen Publikums ihren Alltag oder in einer Art Theateraufführung »typische« Szenen ihrer Heimat darboten. Johan Adrian Jacobsen, Werber und Impresario in Diensten der Firma Hagenbeck, hatte drei Männer, eine Frau und zwei kleine Mädchen aus Jacobshafen (Grönland) für eine entsprechende Schau engagiert. 1877/78 gastierten sie in Paris, Brüssel und in mehreren Städten Deutschlands. Mit ihren Hunden und Schlitten, Booten und Geräten präsentierten sie sich in traditioneller Kleidung vor ihrer Hütte, gaben besondere Vorstellungen, und für einen Moment glaubte sich der Besucher nach Grönland versetzt. Die Völkerschau übte eine große Anziehungskraft auf Jung und Alt aus. Allein in Hamburg strömten 44.000 Besucher zu Ostern in den Tierpark. Was lag da näher, als eine zweite Grönland-Schau zu organisieren?

Eskimofrau mit Kindern auf der Weltausstellung in St. Louis 1904

(Bildquelle: Kenn Harper, Iqaluit)

1880 reiste Jacobsen ein zweites Mal nach Grönland, aber dieses Mal ohne Erfolg. Zwar hatten sich viele Grönländer zur Mitreise bereit erklärt, doch scheiterte ihre Verpflichtung am Widerstand der dänischen Kolonialregierung. Jacobsen mußte seine Teilnehmer aus anderen Teilen der Arktis rekrutieren, was ihm in Labrador gelang. Die zum christlichen Glauben bekehrte Familie Abrahams und der alleinstehende Tobias entschlossen sich zu einer solchen Völkerschau-Teilnahme. Ihre Gründe sind nur allzu verständlich. Die vergangenen Winter waren hart gewesen und ständig begleiteten Not und Hunger die Bewohner Labradors. Jacobsen versprach den Eskimo eine gute Bezahlung, die ihnen zukünftig ein besseres und angenehmeres Leben ermöglichen würde. Auch dürfte der Reiz des Neuen und Unbekannten eine Rolle gespielt haben. Zudem bot sich ihnen die Gelegenheit, in Europa ihre Glaubensbrüder zu besuchen. Letzteres Motiv schied für die Familie Tiggianiaks aus, die sich ebenfalls zur Mitreise bereitfand, jedoch allen Bekehrungsversuchen zum Trotz heidnisch geblieben war. Auf ihrer einjährigen Tournee durch Europa besuchten sie Hamburg, Berlin, Prag, Frankfurt, Darmstadt, Krefeld und Paris, wo die Völkerschau ein jähes Ende fand. Innerhalb eines Jahres waren alle Teilnehmer gestorben, da man vergessen hatte, sie vor der Abreise impfen zu lassen.

Eskimofrau mit Kindern auf der Weltausstellung in St. Louis 1904

(Bildquelle: Kenn Harper, Iqaluit)

In Berlin wurden sie den Mitgliedern der Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte vorgeführt. Mit den Labrador-Eskimo ließen sich die Ergebnisse der untersuchten Grönländer aus dem Jahr 1878 überprüfen und vergleichen. Dabei schenkte man der zweiten Eskimo-Familie besondere Aufmerksamkeit, die noch heidnisch war »und in der That mit Eigenschaften ausgestattet, welche in hohem Maasse geeignet sind, die primitive Beschaffenheit dieser Bevölkerung kennen zu lernen«, wie der berühmte Rudolf Virchow die Begegnung kommentierte. Die Völkerschau-Teilnehmer wurden vermessen, ihre körperlichen und geistigen Eigenschaften beschrieben und kaum ein Körperteil ausgelassen. Oftmals wurden Gipsabgüsse von bestimmten Körperpartien angefertigt. Mit sichtlichem Bedauern fügte Rudolf Virchow seinen Ausführungen hinzu, daß er seine Messungen unterbrechen mußte, weil Tiggianiaks Frau einen »Anfall« erlitt. Die Untersuchungen und Körpermessungen waren ihr unangenehm, der »Anfall« Ausdruck ihrer Wut und ihres Zorns. Auch ihr Mann und ihre Tochter verweigerten die Messungen, die ihnen entwürdigend und unverständlich erschienen.

In dieser Zeit diente die Erfassung von physischen und kulturellen Merkmalen der Bestimmung von Ethnien und der allumfassenden Erforschung der Menschheit. Dieses Ziel verfolgten Physische Anthropologie und Ethnologie, die in Deutschland bis ins 20. Jahrhundert eng miteinander verbunden waren. Die Ethnologie als Wissenschaft vom Menschen unter besonderer Berücksichtigung der Kulturen schriftloser Völker steckte noch in den Kinderschuhen. Ab 1869 wurden erste wissenschaftliche Gesellschaften, darunter die bereits erwähnte Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte in Berlin, und Völkerkundemuseen gegründet. Das vorliegende Datenmaterial war gering und die Wissenschaftler waren begierig, es zu vermehren. In ihrem Bemühen wurden sie von den Organisatoren der Völkerschauen und von Forschungsreisenden gleichermaßen unterstützt. Auf ihren Reisen trugen diese Kunst-, Kult- und Gebrauchsgegenstände zusammen, die sie teils in Europa verschenkten, überwiegend jedoch gewinnbringend an Museen verkauften. Auch Grabbeigaben, Schädel und Gebeine jüngst oder vor langer Zeit Verstorbener wurden aus den bereisten Gebieten mitgebracht, mit oder ohne Einverständnis der dortigen Bevölkerung. Daneben gelangten in die Museumsbestände Kleidung, Waffen und andere Objekte, die zunächst der Ausstattung der Völkerschau-Truppen gedient hatten und nach deren Rückkehr in die Heimat verschenkt oder verkauft wurden. Von Seiten des Museums nutzte man die Anwesenheit der Völkerschau-Teilnehmer, um mehr über die Herstellung, die Verwendung und Bedeutung von Objekten zu erfahren. Darüber hinaus bot sich eine gute Gelegenheit, Menschen fremder Kulturen zu studieren und anthropologisch zu vermessen. Die meisten Vertreter des Fachs standen Völkerschauen positiv gegenüber und wiesen auf den wissenschaftlichen Wert solcher Veranstaltungen hin, wie beispielsweise Rudolf Virchow: »Ja, in der That, diese Menschenvorstellungen sind sehr interessant für Jeden, der sich einigermaassen klar werden will über die Stellung, welche der Mensch überhaupt in der Natur einnimmt, und über die Entwickelung, welche das Menschengeschlecht durchmessen hat.« Die in diesen Zeilen zum Ausdruck kommende Auffassung geht von der damaligen Annahme aus, daß menschliche Kulturen unterschiedliche Entwicklungsstufen durchlaufen, die als tiefer- bzw. höherstehend zu klassifizieren sind. Hiernach waren Eskimo Europäern nicht ebenbürtig, sondern erheblich »primitiver«. Ihre Kultur wurde mit der europäischen Steinzeit verglichen und die begleitende ethnographische Sammlung der vorgenannten Labrador-Eskimo mit einem »kleinen prähistorischen Museum« gleichgesetzt. Vor allem Polar-Eskimo galten als rückständig, hatten sie doch einzelne Errungenschaften der eskimoischen Kultur, wie den Kajak, im Laufe der Zeit aufgegeben. Ein entschiedener Gegner dieser Evolutionstheorie war Franz Boas, der 1883/1884 selbst Feldforschung bei den Baffinland-Eskimo betrieb. Er befürwortete eine detailliertere Forschung und das Sammeln von ethnographischem Material und wandte sich gegen voreilige Generalisierungen. Als er mit der Bitte an Robert Peary herantrat, einen Eskimo von Nordgrönland mitzubringen, geschah dies, um Beweise und Informationen zu sammeln, die diese Evolutionstheorie widerlegen sollten. Franz Boas vertrat die Auffassung, daß die verschiedenartigen menschlichen Kulturen nicht als minder- oder höherwertig, sondern als gleichwertig anzusehen sind. Auch war Franz Boas keinesfalls der erste, der einen Arktisforscher ermunterte, Eskimo als Informanten von ihren Reisen mitzubringen. Wie selbstverständlich heißt es in den Anweisungen zur Deutschen Nordpol-Expedition im Jahre 1868: »Vor Allem aber sollen, wenn irgend möglich, zwei Eskimo, Mann und Frau, mitgebracht werden, um Gelegenheit zu geben, diesen in jenen hohen Breiten ganz isolirt lebenden merkwürdigen Menschenstamm näher zu studiren, und dadurch die Eskimo-Sprache Kundigen in Deutschland ihre Geschichte kennen zu lernen«. Desweiteren werden Vorsichtsmaßnahmen geschildert, die zu beachten sind, »damit sie nicht, z.B. durch Abfeuern der Gewehre in ihrer Nähe, scheu und furchtsam werden und davon laufen.«

Eskimomann aus Labrador in zeitgenössischer Darstellung

(Bildquelle: Deutsches Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven)

Eskimofrau aus Westgrönland in zeitgenössischer Darstellung

(Bildquelle: Deutsches Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven)

Gerätschaften, die üblicherweise zur Ausrüstung einer Polar-Expedition gehörten: 1: Bogen, Pfeile und Harpunen, 2: Medikamente und Verbandsmaterial, 3: Reisesack, 4: Kochapparat, 5: Pulverflasche, 6: Kompaß, 7: Gebetbuch, 8: Nähmaterial (Ersatzknöpfe), 9: Messer

(Bildquelle: Deutsches Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven)

Vor diesem Hintergrund ist die Geschichte von Minik, seinem Vater Qisuk und der Familie Nuktaqs in New York zu sehen. Franz Boas hatte um einen Eskimo gebeten, Robert Edwin Peary kam der Aufforderung nach und brachte sechs Personen mit. Um 1897 war das Mitbringen und die Schaustellung von Menschen fremder Kulturen weder in Amerika noch in Europa ungewöhnlich. Sie fanden den Beifall von Besuchern, die zu Tausenden zu den Ausstellungsorten strömten, um »Exoten« mit eigenen Augen zu sehen. Auch Wissenschaftler verschiedener Disziplinen besuchten regelmäßig diese Veranstaltungen. In Zeiten, in denen die Wenigsten die Möglichkeit hatten, in ferne Länder zu reisen, und weder Film noch Fernsehen die fremde Welt in europäische Stuben brachten, dienten derartige Schaustellungen der Unterhaltung und Volksbildung, aber auch der Forschung und Lehre. Sie entsprachen dem Zeitgeist der Menschen – und Wissenschaftler bildeten hier keine Ausnahme. Vielbeachtete Werke entstanden in dieser Zeit, die wesentlich zum Verständnis fremder Völker beitrugen, doch nur vereinzelt finden sich Hinweise auf die freiwilligen und unfreiwilligen Helfer. Zahlreiche Schaustellungen und Völkerschauen befriedigten Sensations- und Schaulust, Neugier und Interesse, doch mit keinem Wort werden sie in Nachschlagewerken und fachspezifischen Wörterbüchern erwähnt. Unzählige sakrale und profane Gegenstände, Schädel und Gebeine werden rechtmäßig und/oder unrechtmäßig in Museen aufbewahrt. Doch Widerstand regt sich. Mehr und mehr kolonialisierte Völker und Ethnien erheben Forderungen nach Rückgabe ihrer Kulturgüter, Schädel und Gebeine. Einige der Museen kommen dem inzwischen nach. Die Geschichte Miniks wirft zahlreiche Fragen auf, vor allem ethische. Minik ist kein Einzelfall, sondern steht für viele. Ihre genaue Zahl und ihre Namen sind unbekannt.

Jutta Steffen-Schrade

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Historische Ethnologie,

Frankfurt a.M.

Einleitung

Keine Eskimogruppe ist gründlicher erforscht worden als die kleine Gruppe von Polareskimos im Nordwesten Grönlands, die nördlichsten Bewohner der Erde. Sie sind von Polarforschern beschrieben, von Anthropologen untersucht, von Schriftstellern idealisiert und seit ihrer Vertreibung aus ihrem Lieblingsfjord durch die US-amerikanischen Streitkräfte 1953 von Journalisten zu Helden stilisiert worden. Zahlreiche Abenteurer und Gelehrte, deren internationaler Ruf sich auf ihre Arbeit bei den Polareskimos gründet, haben ihre Geschichten erzählt, gesammelt und analysiert.

In diesem Buch wird eine Geschichte erzählt, die sie ausgelassen haben – Freuchen, Rasmussen, Malaurie und alle anderen, die über die Polareskimos so ausführlich geschrieben haben. Freuchen hat ihr einige Seiten, Malaurie ein paar Zeilen gewidmet. Rasmussen erwähnt sie überhaupt nicht.

Ich hörte von dem dramatischen Schicksal des Eskimojungen Minik Wallace und seiner Familie zuerst in Qaanaaq, einem kleinen Städtchen am Rande des ewigen Eises in Nordwestgrönland. In den langen Jahren, in denen ich dort gelebt und gearbeitet habe, spielte Minik in den Erzählungen der dort ansässigen Eskimos – auch bei den Verwandten meiner Familie – immer eine große Rolle. Die Enthüllung seiner wahren Lebensgeschichte führte mich jedoch fort von Qaanaaq nach Kopenhagen in die Königliche Bibliothek, nach Washington in die United States National Archives, nach New York in das American Museum of Natural History, in die New York Historical Society, die New York Public Library und den Explorers Club sowie in die Bibliothek der American Philosophical Society in Philadelphia. Sie führte mich auch in die Kleinstädte Cobleskill und Lawyersville im Norden des Bundesstaates New York und nach Pittsburg in den Bergen des nördlichen New Hampshire.

Dies ist kein Buch über Robert Peary und Frederick Cook, die großen Entdecker und Forscher der Arktis, obwohl beide in der Geschichte eine wichtige Rolle spielen, Peary eine bedeutendere als Cook. In diesem Buch geht es nicht um die Kontroverse über die Entdeckung des Nordpols. Sie wird zwar erwähnt, doch habe ich versucht, eine Parteinahme zu vermeiden.

Das erste bekannte Foto von Minik, in der Parka-Kapuze seiner Mutter Mannik, Juni 1892

(Bildquelle: Ed. Stafford/National Geographic Society)

Dies ist die tragische Geschichte von Minik Wallace, dem Eskimo von New York, einem jungen Mann, der als kleines Kind mit seinem Vater sowie vier anderen Eskimos unter falschen Versprechungen nach Amerika verschleppt wurde, um dort in einem Museum ausgestellt und von Anthropologen studiert zu werden. Odyssee und Schicksal des Heranwachsenden – betrogen von den Wissenschaftlern und innerlich zerrissen zwischen den beiden Kulturen nach dem baldigen Tod seines Vaters und den anderen im fremden New York – sind bei den Eskimos zur Legende geworden. Diese Legende scheint unglaublich, die Wahrheit klingt noch unwahrscheinlicher – sie ist aber wahr.

Ich bin mir der Tatsache bewußt, daß einige Eskimos heute lieber als »Inuit« bezeichnet werden möchten. Dennoch habe ich in diesem Buch das Wort »Eskimo« benutzt, zumal diese Bezeichnung auch in den verwendeten und zitierten Quellen gebraucht wird.

Ich habe die Schreibweise der Namen der Eskimos in diesem Buch vereinheitlicht. In zeitgenössischen amerikanischen Quellen wird Miniks Name meist »Mene« geschrieben, in wissenschaftlichen Quellen hingegen durchgehend »Minik«. In sämtlichen grönländischen und dänischen Quellen steht in Übereinstimmung mit der offiziellen grönländischen Rechtschreibung »Minik«. Ich benutze diese Rechtschreibung für den Namen Minik und alle anderen Eskimonamen im Text. Aus Gründen der Einheitlichkeit habe ich in direkten Zitaten die Schreibweise von Eskimonamen angeglichen. Im Anhang sind die im Buch vorkommenden eskimoischen Wörter und Namen zusammen mit den alternativen Schreibweisen aufgeführt, wie sie in den Büchern von Peary, MacMillan und anderen zu finden sind.

Die Fremden kommen

Qisuk und Nuktaq waren bereits am Cape York, als das Schiff in Sicht kam. Sie erkannten es schon aus der Ferne: es war die Hope, derselbe gecharterte neufundländische Robbenfänger, der auch im vergangenen Jahr gekommen war. Sie warteten, bis Kapitän John Bartlett die Hope vorsichtig durch die letzten Meilen Treibeis manövriert hatte und an diesem beliebten Treffpunkt von Walfängern, Forschern und Eskimos an der Nordküste der Melville Bay vor Anker gegangen war. Dann ertönte der bekannte Ruf.

»Tikeqihunga!« rief eine beeindruckende Gestalt auf dem Deck. »Da bin ich!« Der Mann, den sie als »Piuli« kannten, war wieder zurückgekommen.

Rechts im Bild die Hope, ein vertrauter Anblick in arktischen Gewässern

(Bildquelle: Deutsches Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven)

Dies war im August 1897. Es war Robert Pearys vierte Expedition in den Nordwesten Grönlands, die Heimat der Polareskimos. Wie schon im vergangenen Jahr, sollte auch dies ein kurzer Besuch sein. Der Forscher hatte auf dieser Sommerexkursion nur ein einziges Ziel: Er wollte einen großen Meteoriten bergen, der sich auf einer Insel 35 Meilen östlich von Cape York befand, und ihn nach New York verfrachten.

1891 war Peary zum ersten Mal in der Region aufgetaucht und hatte sein Hauptquartier in der McCormick Bay aufgeschlagen. Er hatte mit jener Expedition große Pläne verfolgt. Unter anderem wollte er die Nordgrenze Grönlands bestimmen, an den Eskimos ethnologische Untersuchungen vornehmen und eine gangbare Route zum Nordpol entdecken, dem bislang noch unerreichten »Ziel des Jahrhunderts«.

Auf jener Expedition war Peary zum ersten Mal auf die sagenhaften Polareskimos gestoßen. Diese waren ganz andere Menschen als die Grönländer, die er fünf Jahre zuvor in der Disko Bay kennengelernt hatte. Die Grönländer hatten seit mehr als hundert Jahren Kontakt mit der dänischen Kolonialverwaltung und hatten sich an die Lebensweise des weißen Mannes gewöhnt. Die Eskimos der Disko Bay hatten phantastische Geschichten über die wilden Eskimos im Norden erzählt, die noch immer fast so wie ihre eigenen Vorfahren in der Arktis lebten. 1891 bekam Peary endlich diese wilde Urbevölkerung zu Gesicht. Ihm gefiel, was er sah. Für die nächsten achtzehn Jahre sollten sie »seine« Eskimos sein.

Westgrönländer in zeitg. Darstellung

(Bildquelle: Deutsches Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven)

Die Polareskimos hatten natürlich schon vorher weiße Männer gesehen, doch nie jemanden wie Robert Peary. Seine Gestalt war äußerst beeindruckend. Er war 1,85 Meter groß, so daß fast alle Eskimos neben ihm wie Zwerge erschienen. Er war schlank, und sein muskulöser Körper funktionierte wie ein Präzisionsinstrument. Er war überaus dynamisch. Wie es sich für einen Karriereabenteurer gehört, wirkte er streng und attraktiv zugleich. Sein Haar war rotblond, und sein langer, buschiger Bart verlieh ihm den Ausdruck von gewollter Arroganz. Aber das auffallendste an ihm waren seine Augen. Von stählernem Graublau, vermittelten sie den Eindruck, durch einen Menschen hindurchzusehen statt ihn anzublicken. Sie straften sein allzu schnelles Lächeln Lügen. Es war eigentlich kein Lächeln, sondern eine Public-Relations-Miene: der Mund lächelte, aber die Augen blickten völlig gefühllos.

Robert Edwin Peary (1856–1920). Seit 1886 erforschte er Grönland und stellte 1901 durch Um­­fahrung im Norden dessen Inselnatur fest. Er unternahm mehrere Anläufe, zum Nordpol vorzudringen – ob er ihn am 6.4.1909 tatsächlich erreicht hat, bleibt bis heute umstritten. Sein größter Konkurrent, Frederick A. Cook, behauptete überdies, den »Kampf um den Pol« bereits am 21.4.1908 für sich entschieden zu haben…

(Bildquelle: Library of Congress, Washington D.C.)

Die Eskimos erkannten bald, daß er reizbar war. Er geriet schnell in Wut und war äußerst nachtragend. Er steckte sich selbst hohe

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