Klimaspuren der Bäume: Strahlungsschwankungen der Sonne als Impulsgeber
Von Burghart Schmidt und Wolfgang Gruhle
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Klimaspuren der Bäume - Burghart Schmidt
Jahre.
EINLEITUNG: AUF DER SUCHE NACH VERLÄSSLICHEN ZEITMARKEN
Ohne ein Raster mit zeitlichen Fixpunkten können wir uns heute unser Leben kaum vorstellen; historische Wissenschaften beispielsweise könnten sich nicht entwickeln. Daher sind die Archäologen, insbesondere die Prähistoriker, bestrebt, Funde und Befunde in eine chronologische Abfolge zu bringen, um beispielsweise Entwicklung und Ausbreitung von Kulturen erforschen zu können. Anhand von charakteristischen Steinartefakten, Keramikfunden unterschiedlicher Form und Verzierung oder typischen Metallobjekten gelingt es, Kulturen voneinander abzugrenzen – so beispielsweise die ältere, mittlere und jüngere Jungsteinzeit von den nachfolgenden Perioden der Bronze- und Eisenzeit. Die archäologischen Funde der römischen Kaiserzeit, des gesamten Mittelalters bis hin zur Frühen Neuzeit sind bisweilen schwer oder nur annähernd datierbar. Aus diesen frühgeschichtlichen Perioden liegen nur zum Teil Schriftquellen oder auch Münzfunde vor, die dem Archäologen Hilfe bei der Datierung bieten.
Da für die urgeschichtliche Zeit solche datierenden Hilfsmittel gänzlich fehlen, versuchen Prähistoriker und Archäologen mit Hilfe naturwissenschaftlicher Datierungsmethoden, beispielsweise der ¹⁴C-Methode oder der Dendrochronologie, möglichst genaue ‚Zeitmarken‘ zu gewinnen. Feinchronologische Einordnungen, wie sie sich durch die ¹⁴C Methode und vor allem durch die Dendrochronologie erzielen lassen, sind auch für die jüngeren Perioden von hohem Wert.
Jahrringe als Studienobjekt
Ein wissenschaftliches Interesse an den jährlich unterschiedlich breiten Zuwachsschichten von Bäumen lässt sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Leonardo da Vinci erkannte bereits in der Abfolge breiterer und schmalerer Jahrringe eine Abhängigkeit von den jeweiligen Niederschlagsmengen während der Vegetationsperiode (Stallings 1937). Die Entwicklung des Mikroskops im 17. Jahrhundert führte zu neuen holzanatomischen Erkenntnissen. Im 19. Jahrhundert kannte man bereits Einflussfaktoren, die für die Breitenunterschiede der Jahrringe verantwortlich sein konnten, wie beispielsweise die jährlich unterschiedliche Witterung, aber auch Hagel-, Frost- oder Insektenschäden oder eine Vielzahl unterschiedlicher Standortfaktoren (Schweingruber 1983).
Die Dendrochronologie als neues Datierungsverfahren
Der amerikanische Astronom Andrew E. Douglass untersuchte Anfang des 20. Jahrhunderts die Strahlungsschwankungen der Sonne, insbesondere den 11-jährigen Sonnenfleckenzyklus, um mögliche Auswirkungen auf das Erdklima zu prüfen. Da ihm in seinem Untersuchungsgebiet, dem Südwesten der USA, keine langjährigen Witterungsaufzeichnungen zur Verfügung standen, suchte er in den Jahrringen der Bäume nach Spuren solarer Zyklen. Seine Untersuchungen führten nicht zu dem erhofften Ergebnis. Sie verhalfen ihm aber zu einer ganz anderen Entdeckung: Er fand heraus, dass die Abfolge der unterschiedlichen Jahrringbreiten zeitgleicher Bäume aufgrund der jährlich unterschiedlichen Witterung so deutlich übereinstimmen, dass diese Breitenschwankungen – in Form einer Jahrringkurve aufgezeichnet – sich jahrgenau zur Deckung bringen lassen.
An den Bohrkernen noch lebender Bäume vermerkte er bei jedem Jahrring das entsprechende Kalenderjahr. Durch eine Synchronisierung zwischen diesen noch lebenden Bäumen und solchen, die einige Jahre zuvor gefällt worden waren, konnte Douglass durch einfaches Abzählen der fehlenden Jahrringe das letzte Wuchsjahr (= Fälljahr) jahrgenau ermitteln. Aus dieser Beobachtung schloss Douglass (1914), dass die Jahrringanalyse als Datierungsmethode genutzt werden könne. In den folgenden Jahren fügte er auf diese Weise Jahrringkurven einer Baumgeneration mit der nächst älteren aneinander, unter der strengen Maßgabe, dass sie sich zweifelsfrei und jahrgenau synchronisieren ließen. Er erlangte so immer weiter in der Vergangenheit liegende Daten und erreichte schließlich den Anschluss an die Jahrringmuster historischer Hölzer des 14. Jahrhunderts aus präkolumbianischen Siedlungen, darunter auch die berühmte Felsensiedlung Mesa Verde. Mit der gefundenen Synchronisierung gelang ihm eine absolutchronologische Einordnung dieser historischen Hölzer und somit auch die Datierung der Siedlungen. Die Archäologie hatte eine neue Datierungsmethode (Douglass 1935).
Forschungsarbeiten in Europa
Die frühen dendrochronologischen Studien in Europa durch Bruno Huber im Jahr 1937 und seine Analysen zur Anwendbarkeit dieser Methode in der gemäßigten Zone Mitteleuropas (Huber 1941, 1943), weckten das Interesse an diesem Datierungsverfahren in der Archäologie (Schwantes 1939). Bereits zu dieser Zeit wurden bei den Ausgrabungen von Hans Reinerth (1940) am Dümmer und auf Veranlassung von Herbert Jankuhn bei den Ausgrabungen in Haithabu in den Jahren 1940/41 (Jankuhn 1976) Hölzer für jahrringanalytische Untersuchungen entnommen (z. B. Schwabedissen 1949; Speck 1955).
Diese ersten gemeinsamen Arbeiten von Archäologie und Dendrochronologie am Dümmer sind im Labor für Dendrochronologie durch Briefe, Messprotokolle von Jahrringbreiten und auch erste dendrochronologische Ergebnisaufzeichnungen dokumentiert. Rainer Kossian stellte diese inzwischen bereits historischen Berichte zur Verfügung für eine Prüfung, ob anhand der inzwischen 70 Jahre alten Messprotokolle die damals ergrabenen Hölzer des neolithischen Fundplatzes „Huntedorf 1" am Dümmer nun absolutchronologisch datierbar seien.
Als Huber (1963, 1967) mit der Untersuchung neolithischer Pfahlbauten aus den Schweizer Seeufersiedlungen Thayngen-Weier und Burgäschisee-Süd und -West eine relativ chronologische Einordnung gelang, war man von einer absoluten Dendrodatierung für das Neolithikum noch weit entfernt. Denn es galt zunächst, die Jahrringchronologien für die jüngeren Zeitabschnitte, Neuzeit bis Frühmittelalter, auszubauen.
Für den westdeutschen Raum hatte Ernst Hollstein in Trier eine lückenlose Eichenchronologie bis in das Jahr 822 zurück verlängern können (Hollstein 1965).
Huber und seine Mitarbeiter erstellten unter Berücksichtigung regionaler Klimaunterschiede Eichenchronologien für Hessen und Süddeutschland (Huber, v. Jazewitsch, John u. Wellenhofer 1949; Huber, Giertz-Siebenlist u. Niess 1964).
Untersuchungen an rezenten Eichen verschiedener Standorte Norddeutschlands (Weitland 1960) führten zunächst zu keiner ausreichenden Kurvenübereinstimmung. Weitere Analysen mit größerem Probenmaterial deuteten schließlich darauf hin, dass auch in diesem Gebiet die Jahrringanalyse erfolgreich zur Anwendung kommen könne (Bauch, Liese u. Eckstein 1967).
Durch Gründung weiterer dendrochronologischer Laboratorien beschleunigt, wurden in den Folgejahren weitere Jahrringchronologien erstellt, so für Nordirland (Baillie 1977), Südengland (Hillam 1980), Süddänemark (Bartholin 1973), Mecklenburg (Jährig 1972), das Weserbergland (Delorme 1972) und die Nordschweiz (Schweingruber u. Ruoff 1979).
Eine dringliche Aufgabe sahen die Jahrringforscher im weiteren Auf- und Ausbau regionaler Jahrringchronologien auch für das Frühmittelalter und die Spätantike.
So konnte beispielsweise Dieter Eckstein im Jahr 1976 nach Fertigstellung eines lückenlosen ‚Eichenkalenders‘ für Norddeutschland bis in das Jahr 436 zurück, schließlich auch die wikingerzeitliche Siedlung Haithabu absolutchronologisch einordnen (Eckstein 1976).
Fehler im westdeutschen Jahrringkalender
Die Verlängerung der Jahrringchronologien bis in die römische Zeit erwies sich als schwierig. Grund dafür war ein Mangel an Hölzern aus der Völkerwanderungszeit.
1980 gelang es schließlich doch, für diese fundarme Phase hinreichend archäologische Hölzer zu finden, damit die Lücke im Jahrringkalender geschlossen werden konnte (Hollstein 1980).
Mit Eichenhölzern aus archäologischen Fundstellen Süddeutschlands und aus den Flussschottern von Main und Donau konnte Bernd Becker (1981) dann den Jahrringkalender für den süddeutschen Raum über diese kritische Periode hinaus bis zum Jahr 370 v. Chr. verlängern. Die Abgleichung beider Jahrringkalender ergab eine jahrgenaue Übereinstimmung im Jahrringbild, so dass die Dendro-Kalender für West- und Süddeutschland nachweislich von der Gegenwart bis 370 v. Chr. fehlerfrei waren.
Für das 5. Jahrhundert v. Chr. – wiederum eine an Holzfunden arme Zeit – war Hollstein mit den Hölzern von Kirnsulzbach eine Fehldatierung unterlaufen (Hollstein 1980); da sowohl im süddeutschen Raum (Labor Stuttgart-Hohenheim) als auch im nord- und westdeutschen Raum (Labor Köln) kaum Hölzer zur Kontrolle vorlagen, fiel sie zunächst nicht auf. Lediglich Mike Baillie (Labor Belfast) hatte inzwischen ausreichende Holzfunde aus den irischen Mooren analysiert, so dass mit seiner Hilfe die Schwachstelle in den deutschen Dendro-Chronologien gefunden und sicher überbrückt werden konnte. Damit reichte der Dendro-Kalender lückenlos bis in das 1. vorchristliche Jahrtausend.
Neue Forschungsergebnisse des Göttinger Labors durch Hubertus Leuschner an Eichenfunden in Nordwestdeutschland ermöglichten einen Jahrringkalender für das gesamte 5. Jahrhundert v. Chr. Durch diese ‚Kontrollchronologie‘ ließ sich nachweisen, dass die vorgenommene Überbrückung mit den irischen Eichen jahrgenau, d. h. fehlerfrei, erfolgt war.
Auf diesen westeuropäischen Chronologie-Abschnitten aufbauend, konnte in den folgenden drei Jahren der Dendro-Kalender für Westeuropa bis in das Jahr 5289 v. Chr. erarbeitet werden (Pilcher, Baillie, Schmidt u. Becker 1984). Zahlreiche neolithische Seeufersiedlungen aus der Schweiz und Süddeutschland waren nun jahrgenau datierbar (Becker, Billamboz, Egger, Gassmann, Orcel u. Ruoff 1985). Die Zahl der archäologischen Hölzer und Fundstellen, die mit Hilfe der neuen Eichenjahrringkalender datierbar waren, stieg in der Folgezeit rasant an, einhergehend mit Verfeinerungen der archäologischen Chronologien.
Mit diesem Ergebnis war die Dendrochronologie ihrem Ziel, einen zusammenhängenden Eichenjahrringkalender für das Holozän zu erstellen, einen großen Schritt näher gekommen. Rückblickend kann dieser Erfolg auf zwei Umstände zurückgeführt werden:
1. In mehreren Laboratorien sah man den „Kalenderaufbau" als gemeinsame und vorrangige Aufgabe an.
2. Die einzelnen Laboratorien betrieben den Aufbau von Eichenchronologien für verschiedene Regionen – beispielsweise für Nordirland, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Westdeutschland und Süddeutschland – unabhängig voneinander. Dies erschien aus methodischen Gründen zwingend, um möglichst mehrere Chronologien für den gleichen Zeitraum für Prüf- und Kontrollzwecke nutzen zu können.
Dadurch war es möglich, zum einen die Regionalchronologien auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und zum anderen wechselseitig Verlängerungen der Jahrringkalender zu erreichen.
Die Bedeutung der Regionalchronologien als Bestandteile des holozänen Eichenjahrringkalenders für Westeuropa wird nachfolgend am Beispiel einiger Standortchronologien aus dem Wesergebiet und aus Schleswig-Holstein (4706–3574 v. Chr.) dargestellt. Die Eichenchronologie Süddeutschlands hatte beispielsweise im Zeitabschnitt um 4000 v. Chr. mangels Holzfunden noch eine Lücke, die aber mit Jahrringkurven von Bäumen aus dem Wesergebiet und aus Schleswig-Holstein jahrgenau geschlossen werden konnte. So konnte eine noch „zeitlich schwimmende" süddeutsche Chronologie jahrgenau synchronisiert werden, so dass nun der Jahrringkalender für Deutschland bis in das Jahr 7337 v. Chr. zurückreichte (Becker u. Schmidt 1990).
Zuverlässigkeit dendrochronologischer Zeitmarken
Während einer Tagung der European Science Foundation 1982 in Hamburg zum Thema „Dendrochronology and Archaeology" wurde von archäologischer Seite mehrfach die Frage nach der Zuverlässigkeit dendrochronologischer Datierungen gestellt.
Es muss nicht weiter ausgeführt werden, dass die Dendrochronologie sowohl beim Kalenderaufbau als auch bei der täglichen Datierungsarbeit in hohem Maße statistische Verfahren zum Auffinden von Synchronlagen einsetzt. Es liegt in der Struktur dieser Verfahren, dass Datierungen auch einer Irrtumswahrscheinlichkeit unterliegen, seien sie auch noch so klein. Die Angaben zur Datierungssicherheit (Wahrscheinlichkeit von 99 %, 99,9 % oder 99,99 %) werden sowohl von dendrochronologischer als auch von archäologischer Seite kaum diskutiert. Die Dendrochronologie kann sich bei ihren Datierungen festlegen, weil sie weitere, zusätzliche Kriterien für eine „sichere Datierung" heranzieht wie zum Beispiel den optischen Verlauf der Kurven zwischen Kalender und Probe oder die jahrgenaue Bestätigung durch zusätzliche Hölzer desselben Fundkomplexes. Darüber hinaus werden diese Datierungen bisweilen durch ¹⁴C-Datierungen zusätzlich untermauert.
Zur Beurteilung einer sicheren Datierung verhilft besonders der Vergleich der Jahrringfolge einer Probe mit dem Kalender schrittweise über die gesamte Zeitspanne, bei dem alle Vergleichswerte des gesamten Zeitraums erfasst werden.
Bei allen im Folgenden vorgestellten archäologischen Funden und Befunden wird auf die Datierungssicherheit durch dendrochronologische Analysen eingegangen, wobei die Werte einer solchen „Langzeitstudie exemplarisch vorgestellt werden. Damit soll transparent werden, wie „treffsicher
Jahrringdatierungen sind. Zur Veranschaulichung der Datierungssicherheit wurde der bis 4089 v. Chr. reichende, lückenlose süddeutsche Eichenjahrringkalender von Becker als Vergleichskurve genutzt.
Bei den im Kölner Labor behandelten archäologischen Befunden waren die Holzfunde zahlreich, so dass es möglich war, von den meisten Fundplätzen gut belegte eigenständige Jahrringmittelkurven aufzubauen. Es stellte sich heraus, dass sich alle diese Mittelkurven auch mit der süddeutschen Eichenchronologie datieren ließen. Dabei kam es weniger darauf an, den Geltungsbereich, d. h. die Reichweite der süddeutschen Eichenchronologie zu testen, es bestand vielmehr Interesse, die ca. 6000 Jahre umfassende süddeutsche Eichenchronologie (4089 v. Chr. bis heute) für den Vergleich von Jahrringkurven der verschiedenen archäologischen Funde und Befunde an anderen Orten zu nutzen. Ungeachtet der archäologischen Zeitstellung oder der ¹⁴C-Datierungen wurde die Übereinstimmung der zu datierenden Kurve mit der süddeutschen Eichenchronologie von heute bis 4089 v. Chr. durch ein schrittweises Verschieben um jeweils 1 Jahr geprüft und der Ähnlichkeitsgrad sowohl tabellarisch als auch graphisch umgesetzt. Vergleiche mit dem Jahrringkalender lassen erkennen, wie deutlich sich „die Synchronlage von 5999 Nichtsynchronlagen, d. h. „Zufallslagen
, abgrenzen lässt.
Bohlenwege als „Fundgrube" für die Dendrochronologie
Für das Kölner Labor hatten die Bohlenwege Nordwestdeutschlands eine hohe Bedeutung beim Kalenderaufbau. Unter der Leitung von Hajo Hayen waren zahlreiche Wege aus einem Zeitraum vom Spätneolithikum bis in die Römische Kaiserzeit ausgegraben worden. Man fand besonders günstige Untersuchungsbedingungen vor. Sofern das Moor noch nicht ausgetrocknet, abgetorft oder durch den Tiefpflug umgebrochen war, waren die Hölzer nämlich sehr gut erhalten. Da der Bau von Bohlenwegen arbeits- und materialintensiv ist, errichtete man die Wege verständlicherweise häufiger an Engstellen (Moorpässen) als in breiteren Moorflächen. Doch auch an schmalen Moorübergängen mussten oft Strecken von einem bis zu mehreren km überbrückt werden. Daher steht bei Ausgrabungen solcher Wege der Dendrochronologie eine sehr große Anzahl von Bohlen zur Verfügung. Diese Situation – große Zahl von Hölzern bei guter Erhaltung – führte in der Dendrochronologie zu gut abgesicherten Mittelwertkurven, die als wichtige Referenzkurven zur Datierung weiterer Holzfunde dieses Gebietes dienten.
Archäologische Befunde für verlässliche Zeitmarken
Es ist vielfach nicht möglich, die jahrgenauen dendrochronologischen Datierungen durch archäologische Befunde zu überprüfen. Eine Ausnahme bildet das römische Militärlager Oberaden mit zahlreichen Holz- und Münzfunden, das von Dietwulf Baatz (1977) untersucht wurde. Denn durch den Vergleich der archäologischen und der dendrochronologischen Befunde konnte ein Fehler im damals noch nicht absolut, sondern nur relativ datierten Jahrringkalender für die römische Zeit festgestellt werden; er wurde wenige Jahre später von dendrochronologischer Seite bereinigt (Hollstein 1979, 1980; Becker 1981).
Auf der Suche nach verlässlichen Zeitmarken verzeichnete die Geschichtsforschung in den vergangenen Jahrzehnten gewaltige Fortschritte. Die Epoche der ‚rheinischen Bandkeramik‘ beispielsweise wurde nach archäologisch-typologischen Kriterien ehemals um ca. 3000 v. Chr. angesetzt. Als die in den 1950er Jahren entwickelte ¹⁴C-Methode für die Archäologie genutzt wurde, ergab sich für die ‚bandkeramische Zeit‘ eine um ca. 1000 Jahre frühere Zeiteinordnung. Die archäologische Chronologie wurde daraufhin entsprechend angepasst. In den 1970er Jahren, als Hans Suess die an Bäumen geeichte ¹⁴C-Kurve während eines Kolloquiums im Kölner Institut für Ur- und Frühgeschichte vorstellte, nahmen die Archäologen diese neuen Ergebnisse noch mit Skepsis auf. Wenige Jahre später aber hatten sich die kalibrierten ¹⁴C-Daten durchgesetzt, mit der Folge, dass die ‚bandkeramische Zeit‘ um weitere 800 Jahre in die Vergangenheit zurück datiert werden musste. Inzwischen hatte durch großflächige Ausgrabungen in der rheinischen Lößbörde (Braunkohletagebaugebiet) die Dichte bandkeramischer Befunde derart zugenommen, dass man nun von 15 Stilphasen für die etwa 300 Jahre umfassende ‚bandkeramische Periode‘ (5300–5000 v. Chr.) ausgeht.
Als das Kölner Labor im Jahr 1990 eine erste Bohle des ‚bandkeramischen‘ Brunnens von Erkelenz-Kückhoven dendrochronologisch untersuchte, zeichneten sich zwei signifikante Lagen zum Jahrringkalender für die Jahre 5303 und 5090 v. Chr. ab. Eine Datierung dieser Eichenbohle war aus methodischen Gründen daher nicht möglich.
Von den Archäologen kam dann der Hinweis, das Jahr 5303 v. Chr. sei als zu alt auszuschließen. Nach Messungen weiterer Eichenbohlen von überwiegend guter Holzqualität und auch durch gleichzeitige Verbesserung des süddeutschen Kalenders wurde schließlich deutlich, dass das Jahr 5303 auch dendrochronologisch auszuschließen ist: Und das Jahr 5090 v. Chr. kristallisierte sich als zweifelsfreie Datierung heraus. Ein bemerkenswerter Fortschritt in der Verfeinerung der ‚bandkeramischen‘ Chronologie Westdeutschlands war durch das Zusammenwirken von ¹⁴C-Methode, Dendrochronologie und Archäologie erreicht!
Schwerpunkte verschiedener Laboratorien
Die Dendrochronologie ist seit langem eine anerkannte Wissenschaft, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte rasant weiterentwickelt hat und mit verschiedenen Disziplinen vernetzt ist, wie beispielsweise der Bauforschung, Archäologie, Kunstgeschichte, Geologie (Flussgeschichte), Klimageschichte sowie Bereichen der Ökologie und nicht zuletzt der Isotopenforschung. Bedingt durch die Vielfalt dieser Forschungsrichtungen ist es verständlich, dass sich in den einzelnen Labors Schwerpunkte herausgebildet haben. Hier sei beispielhaft auf einige wenige Laboratorien mit unterschiedlicher Ausrichtung verwiesen.
Norddeutschland mit einer vermutlich regional-klimatisch kleinräumigen Struktur
Das Hamburger Labor arbeitet seit Mitte der 1960er Jahre am Aufbau einer bzw. mehrerer norddeutscher Jahrringchronologien. Erste Erfahrungen hatten gezeigt, dass dieser geographische Raum aufgrund seiner vermutlich regional-klimatischen Kleinräumigkeit mit einer eigenen Jahrringchronologie, besser noch mit mehreren regionalen Chronologien erschlossen werden musste. Im Mittelpunkt stand die wikingerzeitliche Siedlung Haithabu bei Schleswig und somit folgerichtig das Gebiet nördlich der Elbe bis nach Dänemark hinein. Diese Landschaft birgt zahlreiche hölzerne Hinterlassenschaften und zeichnet sich aufgrund ihrer überwiegend tiefen Lage durch eine gute Holzerhaltung aus. Als Zwischenergebnis konnte eine mehrhundertfach belegte Jahrringchronologie zurück bis in das