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Geoinformatik: Handbuch der Geodäsie, herausgegeben von Willi Freeden und Reiner Rummel
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Geoinformatik: Handbuch der Geodäsie, herausgegeben von Willi Freeden und Reiner Rummel
eBook511 Seiten4 Stunden

Geoinformatik: Handbuch der Geodäsie, herausgegeben von Willi Freeden und Reiner Rummel

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Über dieses E-Book

Das sechsbändige Handbuch ist ein hochwertiges Werk über die Geodäsie unserer Zeit. Neben einer guten Lesbarkeit vermittelt es dennoch den wissenschaftlichen Ansatz und richtet sich an Kollegen in Praxis und Wissenschaft, aus Nachbardisziplinen und allgemein an Studierende und Interessierte. Die in den Beiträgen behandelten Themen führen systematisch in Aufgabenstellung, Methodik und zukünftige Entwicklungen ein. Die Themen reichen von der Mathematischen und Physikalischen Geodäsie sowie der Satellitengeodäsie über die Ingenieurgeodäsie, die Bodenordnung und das Landmanagement, die Photogrammetrie und Fernerkundung bis zu Geoinformationssystemen und der Kartographie.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum22. Nov. 2019
ISBN9783662470961
Geoinformatik: Handbuch der Geodäsie, herausgegeben von Willi Freeden und Reiner Rummel

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    Buchvorschau

    Geoinformatik - Monika Sester

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019

    M. Sester (Hrsg.)GeoinformatikSpringer Reference Naturwissenschaften https://doi.org/10.1007/978-3-662-47096-1_59

    1. Atlas-Informationssysteme

    Lorenz Hurni¹   und René Sieber¹  

    (1)

    Institut für Kartografie und Geoinformation, ETH Zürich, Zürich, Schweiz

    Lorenz Hurni (Korrespondenzautor)

    Email: lhurni@ethz.ch

    René Sieber

    Email: rene.sieber@karto.baug.ethz.ch

    Zusammenfassung

    Atlas-Informationssysteme (AIS) – systematisch angelegte und kuratierte digitale Sammlungen raumbezogener Informationen – dienen dazu, mittels Karten und Multimedia-Elementen Sachverhalte und Prozesse interaktiv zu visualisieren, zu explorieren und zu analysieren. Sie ermöglichen eine raum-zeitliche und thematische Kombination der Kartendaten zur Informationsgewinnung und Entscheidungsfindung. Es werden grundlegende Konzepte von AIS und deren interaktive Funktionalität beschrieben, sowie die Palette der kartografischen 2D- und 3D-Visualisierung aufgezeigt.

    Schlüsselwörter

    Atlas-InformationssystemDigitaler AtlasGrafische BenutzerschnittstelleInteraktive KartografieAtlaskonzepteAtlasfunktionenAtlastypen

    1 Einleitung

    Die Kartografie dient dazu, raumbezogene topografische und thematische Aspekte grafisch prägnant darzustellen. Als hauptsächliches Darstellungsmedium dient die Karte; daraus entwickelten sich die Atlanten, eine Zusammenstellung von Karten, Diagrammen und Texten. Die ersten Atlanten entstanden im Mittelalter (16. Jh.) um die Erde und insbesondere unbekannte Gebiete topografisch umfassend darzustellen. Obwohl sich die Inhalts- und Darstellungskonzepte in den folgenden Jahrhunderten veränderten, blieb die gedruckte Form bis Mitte des 20. Jh. das einzige Ausgabemedium für kartografische Erzeugnisse.

    Der technologische Sprung, welche der Übergang von der analogen zur digitalen Kartografie in den 1980er-Jahren verursachte, stimulierte auch die Entwicklung von interaktiven Atlanten. Geografische Informationssysteme (GIS), Computer Aided Design (CAD) und Desktop Publishing Systeme (DTP) sowie die dabei hervorgerufenen Erzeugnisse von geometrischen und thematischen Daten waren die Katalysatoren sowohl der digitalen wie der interaktiven Kartografie. Erste sog. Elektronische Atlanten wurden in den 1990er-Jahren publiziert (Electronic Atlas of Canada, Electronic Atlas of Arkansas). Sie wiesen noch eine sehr limitierte Funktionalität auf; deren Basisfunktionen (Zoom, Suche, Layer-Wahl) sind jedoch bis heute elementar. In den folgenden Jahrzehnten entwickelten sich die interaktiven Atlanten bezüglich thematischem Inhalt, Daten und Technologie hin zu digitalen RaumInformationssystemen für ein breites Publikum Dabei spielt auch die Gestaltung der Grafischen Benutzerschnittstelle (GUI: Graphical User Interface) eine wichtige Rolle.

    Bezüglich Informationsträger wurden im digitalen Umfeld zu Beginn die Datenträger CD-ROM und DVD verwendet; ab dem 21. Jahrhundert werden Atlanten meist via Internet als App oder direkt im Web-Browser zugänglich gemacht.

    2 Atlanten und Atlas-Informationssysteme (AIS)

    2.1 Was ist ein Atlas, was ein Atlas-Informationssystem?

    Ein Atlas kann als ein Kartenwerk bezeichnet werden, welches mehr beinhaltet als die schlichte Aneinanderreihung von Karten. Das Atlas-Konzept beinhaltet eine narrative Struktur, welche entweder räumlich, zeitlich, thematisch oder maßstabsbezogen aufbereitet und zugänglich gemacht ist. Oft findet sich als didaktisches Mittel neben dieser erzählenden Struktur auch eine komparative Struktur, welche Vergleiche auf raum-zeitlicher oder thematischer Ebene ermöglicht. Umfasst, unterstützt und begleitet wird diese Strukturierung durch ein einheitliches Layout und Kartendesign. Atlanten werden oft nach Typen unterschieden, um maßgeschneidert auf das Zielpublikum einen Atlas zu erstellen und zu vermarkten. Die Kriterien der Typisierung sind: Inhalt, Nutzung, Raum/Gebiet, Publikationsform/Datenträger. Inhaltlich lassen sich die Atlanten einteilen in Topographische Atlanten, Thematische Atlanten, Statistische Atlanten, Hydrologische Atlanten, Historische Atlanten usw. Nach Nutzung kann eine Einordnung in z. B. Schul-Atlanten, Straßen-Atlanten, oder auch Blinden-Atlanten vorgenommen werden. Nach dem Gebiets-Kriterium ergibt sich eine Klassierung in Weltatlanten, Nationalatlanten, Regionalatlanten, Stadtatlanten. Wird als Kriterium die Publikationsform resp. der Datenträger gewählt, so ist eine Einteilung in gedruckte Atlanten (gebunden, gelocht/Papier, Plastik) und digitale Atlanten (CD/DVD, USB-Stick, Cloud) möglich. Die Typisierung ist indessen kein Alleinstellungsmerkmal, oft sind mehrere Typen zugleich involviert. Die Bedeutung der Typisierung von Atlanten hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen; sie wird im digitalen Bereich von nutzer-zentrierten Ansätzen wie z. B. Usability-Studien oder User Activity Tracking abgelöst.

    Ein Atlas-Informationssystem (AIS) ist eine systematisch angelegte, zielgerichtete und kuratierte Sammlung raumbezogener Informationen in digitaler Form. Dies ermöglicht eine nutzer-orientierte Exploration der Kartendaten zur Informationsgewinnung und Entscheidungsfindung, sowie die Visualisierung von sichtbaren und unsichtbaren Zuständen, Phänomenen und Prozessen Dabei spielt die Interaktion des Nutzenden mit den Karteninhalten und den Atlas-Tools eine wesentliche Rolle. Wie in konventionellen Print-Atlanten, besteht ein AIS aus der Sicht der Benutzenden hauptsächlich aus einer harmonisierten Sammlung von Karten zu verschiedenen Themen, mit einem sorgfältig abgestimmten Set an Grund-Maßstäben resp. Generalisierungs-Stufen. Die unterschiedlichen Kartentypen besitzen eine einheitliche Legende und Symbolisierung. Der Zugang zu den Karten ist durch thematische und geografische Indizes (Gazetteers) gewährleistet, welche über ein Suchfeld, ein Drop-Down-Menu oder via Karten-Miniaturen (Thumbnails) angesprochen werden können AIS verfügen über spezifische interaktive Funktionen zur räumlich-zeitlichen oder thematischen Navigation, zur Abfrage und Kartendaten-Analyse, sowie zur Visualisierung im 2D- und/oder 3D-Modus. Im Gegensatz zu geografischen Informationssystemen (GIS) werden in AIS die Daten (karto-)grafisch aufbereitet und die Funktionalität wird bewusst limitiert und eingeschränkt, um eine benutzerfreundliche Bedienung der Visualisierungs- und Analyse-Optionen zu erreichen. In AIS werden die Karten(daten) häufig situativ mit zusätzlichen multimedial präsentierten Informationen verknüpft. Als Multimedia-Information können Erläuterungstexte, Grafiken, Animationen, Videos, oder Ton-Dokumente verwendet werden, welche mit der Karte oder den geographischen Kartenelementen verbunden sind. Der Zugang zu den Daten und Funktionen wird nutzer-orientiert über eine Grafische Benutzerschnittstelle (Atlas-GUI) gewährleistet.

    Zusammengefasst besteht der Mehrwert und die Vorteile von AIS gegenüber den gedruckten Atlanten in: Interaktivität, freie Navigation und Exploration, Animationen, Nutzung der Karten als Interface, dynamisches Atlas-GUI, Integration von Multimedia-Elementen, Update-Möglichkeit, Anpassung an die Nutzergruppe [3, 14].

    2.2 Historische Entwicklung der AIS

    Der technische Entwicklungssprung, welcher die Umstellung von der analogen zur digitalen Kartografie in den 1980er-Jahren verursachte, stimulierte auch die Entwicklung von interaktiven Atlanten. GIS, CAD-Systeme, DTP-Systeme und die damit erzeugten digitalen Geodaten wirkten dabei als Katalysatoren der digitalen und interaktiven Kartografie.

    Es ist umstritten, welcher Atlas als das erste digitale AIS gilt: einige Autoren geben an, dass eine frühe Version des Electronic Atlas of Canada (Abb. 1) sei der erste digitale Atlas [13]; andere sind der Ansicht, dass dies der Electronic Atlas of Arkansas (1989) war [18]. Die ersten digitalen AIS verfügten über eine eingeschränkte Funktionalität, meist waren nur eine Suchfunktion, Zoom und Pan als räumliche Verschiebung sowie der Wechsel von Themen (Layers) möglich. Während diese (und weitere) Atlanten selbst entwickelt wurden, basierten andere (wie der Nationalatlas Schweden und der Nationalatlas Spanien) auf kommerzieller GIS-Software. In den folgenden Jahren entwickelten sich die AIS bezüglich thematischem Inhalt, Datenvolumen und Technologie. Verschiedene Länder produzierten Nationalatlanten auf CD-ROM, entweder als digitale Version eines Papieratlas (wie der Nationalatlas Deutschland, Abb. 1) oder als vollständig interaktive Version (wie der Atlas der Schweiz – interaktiv). In den späten 1990er-Jahren begannen die nationalen Vermessungsämter, ihre topografischen Kartenserien auf CD-ROM resp. DVD als Topografische Atlanten zu publizieren. Eine dritte Gruppe von Atlanten wurden als Gegenstücke zu konventionellen Schul- oder Weltatlanten konzipiert, wie z. B. der Schweizer Weltatlas – interaktiv [16]. Aus datentechnischer Sicht basierten die ersten Atlanten vollständig auf Rasterdaten, ebenso die nationalen topografischen Kartenserien. Moderne interaktive AIS verwenden Vektordaten und Statistikdaten, mit denen dynamisch symbolisierte Karten generiert werden können (wie z. B. der Tirol Atlas, der Statistische Atlas der Schweiz, oder der GenderAtlas von Österreich). Neueste Entwicklungen versuchen zudem, 3D-Atlanten mit Karten aus dreidimensionalen Höhenmodellen, Layern und Kartenobjekten zu erstellen (Atlas der Schweiz – online).

    ../images/335116_1_De_59_Chapter/335116_1_De_59_Fig1_HTML.png

    Abb. 1

    Electronic Atlas of Canada (links) und Nationalatlas Deutschland (rechts)

    3 AIS-Konzepte

    3.1 Generelle Ansätze

    Atlasinformationssysteme basieren konzeptionell auf zwei Grundgedanken: einerseits auf dem Multimedia-/Hypermedia-Konzept, andererseits auf dem GIS-Konzept.

    Das Multimedia-/Hypermedia-Konzept enthält die Idee, dass beliebige Medien miteinander kombiniert werden können: „Multimedia is any combination of text, graphic art, sound, animation, and video that is delivered by computer. When you allow the user – the viewer of the project – to control what and when these elements are delivered, it is interactive multimedia. When you provide a structure of linked elements through which the user can navigate, interactive multimedia becomes hypermedia." [22, S. 3]

    Das GIS-Konzept erweitert den oben skizzierten interaktiven Ansatz mit der geografisch-analytischen Komponente. Wie in einem GIS können heutige AIS aus einer Kombination von topografischen und thematischen Daten direkt Karten „on-the-fly" erzeugen [5]. Dabei kann entweder ein „Multimedia in GIS- oder ein „GIS in Multimedia-Ansatz [2] verfolgt werden. Bei Ersterem baut das AIS – oft mit einer eingeschränkten Benutzerfreundlichkeit – auf einem GIS auf. Ein GIS-basiertes AIS bietet den Vorteil, dass die Analysefunktionen bereits zur Verfügung stehen. Beim „GIS in Multimedia"-Ansatz werden hingegen nur ausgewählte GIS-Funktionen in ein AIS transponiert, wobei die technische und grafische Umsetzung sehr ressourcen-aufwendig sein kann. Die Vorteile hier liegen bei einer flexibleren Umsetzung und einer besseren Kommunikations-Qualität (Abb. 2). Bei beiden Ansätzen ist der Grad der Interaktivität sehr hoch, wobei ein GIS sowohl beim Thema wie auch bei der Bedienung Expertenwissen voraussetzt. In einem AIS wird die Interaktivität zielgerichtet einschränkt; damit wird die Bedienung erleichtert, ohne dass die Benutzenden dies als störend empfinden.

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    Abb. 2

    Vergleich zwischen AIS und GIS bezüglich Interaktivität, thematischer Komplexität und Kommunikations-Qualität ( [10], nach [11])

    Neben diesen beiden eher technisch orientierten Konzepten fließen weitere Prinzipien in die Konzeption ein. Moderne interaktive AIS verwenden meist einen holistischen, ganzheitlichen Ansatz. Diese Betrachtungsweise steht im Gegensatz zum atomistischen Ansatz und versucht die Information zum Thema möglichst facettenreich und umfassend anzubieten, sodass die Benutzenden schließlich ein Gesamtbild des Kartenthemas erhalten.

    Der Zugang zu dieser Information ist in AIS hingegen strukturell meist vielschichtig nach den Prinzipien der Non-Linearität und der Serendipität , oder aber nach Narration resp. Storytelling angelegt.

    Die Non-Linearität erlaubt es, eine gegebene Struktur aufzubrechen und die Abfolge der Kartenthemen wie auch die Kombination der Kartenebenen beliebig zu wählen.

    Eng verknüpft damit ist das Serendipitäts-Prinzip, welches eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem bezeichnet, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist [1, 7]. Diese Prinzipien werden durch die angebotene Interaktivität von AIS stark gefördert.

    Storytelling wird im Gegensatz dazu benutzt, um die Information adäquat aufbereitet zu den Benutzenden zu bringen, sie müssen sie anschließend nur aktivieren. Mit Hilfe narrativer Techniken wird das Thema mit Informationen zu zeitlichem Ablauf, zu Hintergründen und Zusammenhängen, sowie zu Hinweisen zu „versteckter" Information angeboten [20]. Dabei geht es darum, das Thema ganzheitlich zu erfassen und durch immersives Eintauchen in die Karte resp. Geschichte Emotionalität zu erzeugen. Storytelling kann direkt in der Karte (intrinsisch) oder mit Hilfe der Karte (extrinsisch) erfolgen. Beim intrinsischen Storytelling kommt etwa eine zeitliche Abfolge des Themas (z. B. die territoriale Entwicklung eines Landes) zum Einsatz, angereichert mit weiteren Hinweisen (z. B. Bewegungspfeile und Icons), sodass die Geschichte unmittelbar in der Karte nachvollziehbar wird. Beim extrinsischen Storytelling werden dagegen außerhalb der Karte Erzählformate (z. B. Journal, Guided Tours) und Tools (z. B. Vergrößerungsglas) bereitgestellt.

    Die Grenzen zwischen Non-Linearität, Serendipität, und Storytelling verlaufen fließend; es ist meist möglich, zwischen zufälligem Entdecken und strukturierter Narration zu wechseln.

    AIS können zudem nach den weiteren Technik-getriebenen Kriterien wie: Datentyp, Verbreitungsmedium, oder Interaktivitätsgrad charakterisiert werden (Tab. 1). Heute verwenden die meisten Atlanten Raster- und Vektordaten; es kann auch eine Verschiebung in Richtung relationaler, objektorientierter Datenbanken festgestellt werden. Bezüglich Interfaces basieren die meisten AIS auf den Input-/Output-Devices Tastatur, Maus und Desktop-Bildschirm; hier zeichnet sich ein Übergang zu Touch-Interfaces auf mobilen Geräten wie Tablets oder Smartphones ab. AIS können aufgrund ihrer Interaktivität im Umgang mit den Karten in drei Gruppen eingeteilt werden: View-only Atlanten, interaktive Atlanten und analytische Atlanten [17]. Letztere Gruppe kann noch weiter aufgeteilt werden in einfache, konstruktive und automatisch-analytische Atlastypen [9].

    Tab. 1

    Charakteristiken und Konzepte von AIS (nach [9])

    Im Weiteren erweitern das Internet und die mobilen Technologien den Grad der AIS-Verbreitung entscheidend. Betrachtet man die Client-Server-Struktur, so ergeben sich vier Szenarien, wie ein AIS aufgebaut werden kann. In Szenario 1 liegen alle Daten und die Applikation auf der Kundenseite, wie dies z. B. bei DVD-Atlanten der Fall ist/war. In Szenario 2 werden die Applikation und die Basisdaten auf der Kundenseite gespeichert, die thematische Information auf der Serverseite. In Szenario 3 liegt nur noch die Applikation auf der Kundenseite, und schließlich werden in Szenario 4 die Applikation und die Daten über ein Webinterface einfach zugänglich gemacht (Abb. 3).

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    Abb. 3

    Client-Server Szenarien für räumliche Informationssysteme

    4 Interaktive Funktionalität

    4.1 Mensch-Maschine Interaktion

    Eine der herausragenden Eigenschaften von AIS ist die Möglichkeit, mit den Karten zu interagieren. Diese interaktive Kommunikation basiert auf dem Human-Computer-Interaction-Modell, kurz HCI von [12]. Darin werden sieben Stufen in einem zirkulären System beschrieben, wie Menschen mit virtuellen Objekten interagieren: 1 Bestimmung des Ziels der Interaktion, 2 Bestimmung der Absicht, 3 Formulierung der Aktion, 4 Ausführung der Aktion, 5 Erkennung des Systemstatus, 6 Interpretation des Systemstatus, 7 Evaluierung des visuellen Ergebnisses. [19] fügt diesem Kreislauf fünf Kartenlese/erfassungs-Ziele (objectives), die Operatoren (Funktionen) und die Operanden (Kartenobjekte) hinzu, mit denen die Interaktion stattfindet. Die fünf Kartenlese-Ziele sind – mit steigendem Anspruch: Identifizieren, Vergleichen, Einordnen/Rangieren, Assoziieren und Beschreiben. Damit werden die Fertigkeiten, die im Umgang mit Atlanten erforderlich sind, umfassend beschrieben (Abb. 4).

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    Abb. 4

    Die sieben Phasen des Interaktions-Modells [12], erweitert nach [19]

    Der Grad der Interaktivität, ein wesentliches Element der Benutzerfreundlichkeit eines AIS, basiert hauptsächlich auf der Vielfältigkeit und Verfügbarkeit der kartographischen Funktionen oder Operatoren Die Operatoren, als Grundelemente der Interaktion (interaction primitives), werden nach [19] in die zwei Gruppen der „Enabling Operators und „Work Operators eingeteilt. Zur ersten Gruppe gehören die Funktionen: Import, Export, Sichern, Editieren und Kommentieren (Annotate) einer Karte. Zur zweiten Gruppe der „Work Operators" zählen: Reexpress (Wechsel zwischen mehreren Kartentypen), Arrange (Darstellung mehrerer Karten gleichzeitig), Sequence (zeitliche Abfolge), Resymbolize (Wechsel der Symbolgrößen/-typen), Overlay (Wechsel der Themen-Layer), Reproject (Wechsel der Kartenprojektion), Pan (Verschieben der Karte), Zoom (Vergrößern/Verkleinern der Karte), Filter (Eingrenzung einer Abfrage), Search (geografische Suche), Retrieve (Abfrage von Kartenelementen), Calculate (Berechnung von Distanzen, Wertdifferenzen usw.). Angewendet werden die Operatoren auf die Operanden – physische oder virtuelle Objekte –, welche als Geodaten in Beziehung zu Raum, Zeit und Attribute stehen.

    4.2 Interaktionsmöglichkeiten von AIS

    Für Atlanten kann dieses Modell spezifisch ausgeweitet und verfeinert werden. Insbesondere die Gruppe der Operatoren lässt sich nach [4] und [9] in fünf funktionelle Untergruppen gliedern: Generelle Funktionen , Navigationsfunktionen , Didaktikfunktionen , Visualisierungsfunktionen , und GIS-Funktionen Die Gruppe der Generellen Funktionen deckt sich in etwa mit den „Enabling Operators", wie aus der Tafel 2 ersichtlich ist. Die Navigationsfunktionen enthalten Operatoren zur räumlichen, zeitlichen sowie thematischen Navigation (Abb. 5). Aus der Gruppe der Didaktikfunktionen werden die Erklärungsfunktionen häufig verwendet, seltener hingegen die Funktionen zur Selbstkontrolle. Eine wichtige Gruppe bilden die Funktionen zur kartografischen Visualisierung, welche den Kartentyp und das Look-and-feel einer Karte steuern. Die GIS-Funktionen werden meist nutzerbezogen eingesetzt, d. h. dass die Tools ohne Expertenwissen bedienbar und die Ergebnisse einfach nachvollziehbar sind.

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    Abb. 5

    Navigationsfunktionen (mit Länderwahl, Zeitregler, Themenliste), in einem frühen AIS (3D Atlas, 3DO Electronic Arts 1994) und Analysefunktionen (Streu-, Stabdiagramm) im OECD-Statistikatlas Regional eXplorer (2018)

    Es bleibt anzumerken, dass in AIS oft ein zu großes Angebot an Funktionen besteht; in AIS mit online-Verbindung lässt sich die Nutzung der einzelnen Funktionen mittels User Activity Tracking detailliert verfolgen (Tab. 2).

    Tab. 2

    Hauptfunktionen eines AIS [4]

    5 kartografischen Visualisierung

    In den Anfängen der AIS erfolgte die kartografische Visualisierung hauptsächlich mittels eingescannten, sog. „View-only"-Karten. Dies sind Rasterbilder, welche teils mit einer weiteren, unsichtbar darunter liegenden Informationsschicht für Abfragen kombiniert wurden. Diese Möglichkeit wird auch heute noch angewendet, z. B. beim Einsatz von Luft- und Satellitenbildern sowie – aufgrund der Performanz – bei 3D-Atlanten.

    Interaktive Karten, wie sie heute in AIS verwendet werden, setzen sich dem gegenüber meist aus mehreren Kartenebenen zusammen. Die Karten werden „on-the-fly" aus den Kartengeometrien, den Attributen und einer Kartenbeschreibung erzeugt. Mittels des Kartenbeschreibungs-Scripts lassen sich der Kartentyp, die eingesetzten Daten, die räumliche und zeitliche Dimension, die visuellen Variablen, sowie das Verhalten der einzelnen Ebenen steuern. Grundsätzlich ist es damit nicht nur den Atlas-Autoren, sondern auch den Benutzenden möglich, diese Kartenparameter global oder einzelner Kartenelemente zu verändern. In AIS werden solche Möglichkeiten i. A. eingeschränkt angeboten, wie z. B. in Form von Klassierungstools.

    Nachfolgend werden in einer Kartengalerie ausgewählte Kartentypen und Visualisierungstechniken vorgestellt, welche in AIS als 2D-Karte (Abb. 6, 7 und 8) und/oder 3D-Darstellung eingesetzt werden (Abb. 9, 10, 11, 12 und 13). Während sich die Technik bei 2D-Karten auf die Überlagerung von Ebenen beschränkt, finden bei 3D-Darstellungen diverse Techniken wie Billboards für Punktsymbole und Beschriftung, Trajektorien für Linien, Overlay/Drape für Linien oder Flächen, sowie Extrusion und Terrain-Offset für Punkte, Linien und Flächen Anwendung. Der 3D-Modus kann zudem als freie 3D-Ansicht, Panorama oder Blockbild vermittelt werden.

    ../images/335116_1_De_59_Chapter/335116_1_De_59_Fig6_HTML.png

    Abb. 6

    Punktbezogene 2D-Visualisierungen: Piktogramme, Diagramme, Pseudo-3D-Kugeln (Atlas der Schweiz 3, 2010)

    ../images/335116_1_De_59_Chapter/335116_1_De_59_Fig7_HTML.png

    Abb. 7

    Linienbezogene 2D-Visualisierungen: Netze, Fokuskarten (Atlas der Schweiz 3, 2010)

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    Abb. 8

    Flächenbezogene 2D-Visualisierungen: Choroplethen, farbinterpolierte Grids, Grid-Zellen (Atlas der Schweiz 3, 2010)

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    Abb. 9

    Panorama-Visualisierung mit Nebeleffekt und Labeling (Atlas der Schweiz 3, 2010)

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    Abb. 10

    Punktbezogene 3D-Visualisierungen: Billboards (links), Translation von Punkten (rechts) (Atlas der Schweiz – online, ab 2016)

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    Abb. 11

    Punktbezogene 3D-Visualisierungen: Geschichtete Diagramme (Atlas der Schweiz – online, ab 2016)

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    Abb. 12

    Linienbezogene 3D-Visualisierungen: Terrain-Offset, Trajektorien (Atlas der Schweiz – online, ab 2016)

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    Abb. 13

    Flächenbezogene 3D-Visualisierungen: Drape, Extrusion (Atlas der Schweiz – online, ab 2016)

    6 Grafische Benutzeroberfläche

    Bei AIS kommt der Grafischen Benutzeroberfläche (GUI) eine wesentliche Bedeutung zu. Die Gestaltung eines benutzer-orientierten GUI ist indessen – aufgrund der inhärenten Komplexität von Atlanten und des oft heterogenen Publikums – eine große Herausforderung. Einerseits muss das GUI ästhetisch ansprechend gestaltet sein, andererseits soll die Funktionalität möglichst einfach zugänglich sein. Dies wird mit den Methoden des User Centered Design (UCD) und dessen Umsetzung nach den Ansätzen des Interaction Design (IxD) erreicht. Die Designkette folgt bei IxD einer klaren Struktur von der Investigationsphase über das Grobdesign (Abb. 14). mit Wireframe-Skizzen, Moodboards (Bestimmung des „look & feel" durch Farben, Aktionen usw.) hin zum finalen Detaildesign. UCD beschäftigt sich dabei mit dem Interaktionsprozess zwischen den Benutzenden und dem GUI [21] IxD konzentriert sich auf Planung und Design der generellen Funktionalität des GUI, auf die Festlegung der Eigenschaften und des Verhaltens der GUI-Elemente, sowie auf das grafische Design eines Atlas-GUI [8].

    ../images/335116_1_De_59_Chapter/335116_1_De_59_Fig14_HTML.png

    Abb. 14

    Wireframe-Skizze (links) und Moodboard (rechts) des Atlas der Schweiz – interaktiv (2016)

    Wie in Kap. 2 festgestellt wurde, basiert das allgemeine Verständnis sowie das Konzept von AIS darauf, dass ein Atlas verschiedenartige Themen unter einem gemeinsamen GUI vereint. Dies erzeugt Konflikte in Bezug auf die Bedienbarkeit, da unterschiedlichste Kartentypen und Karteninhalte mit einem sub-optimalen Set von Tools behandelt werden müssen. Gleichzeitig hat dieses integrierende Konzept aber auch Vorteile, z. B. beim Vergleichen und Kombinieren von Karten.

    Die Konzeption und Erstellung eines Atlas-GUI erfolgt meist nach dem sog. WIMP-Paradigma (Windows, Icons, Menus, Pointer), was zu einem relativ stark strukturierten Layout führt. Dieses Layout sollte eine einfache, klar gegliederte Struktur aufweisen (Organisations-Prinzip), die Handlungs-Effektivität mit einem minimalen Tool-Set maximieren (Ökonomie-Prinzip) und eine semantisch bedeutsame, visuelle Hierarchie enthalten (Kommunikations-Prinzip). Neuere AIS folgen dem sog. Responsive Design, wodurch sich das Layout an die Bildschirmgröße anpasst. Mittels Eye-Tracking, User Activity-Tracking [15] u. ä. Methoden kann ermittelt werden, welches GUI-Layout sich für ein AIS eignet (Abb. 15).

    ../images/335116_1_De_59_Chapter/335116_1_De_59_Fig15_HTML.png

    Abb. 15

    Studie über Desktop-Atlas GUIs: Die farbig markierten Dichtekarten zeigen konzentrierte (links) oder verstreute Klick-Muster (rechts) für dieselbe Aufgabe, abhängig vom GUI Layout [15]

    7 Anwendungsbeispiele

    7.1 Kartenbasierte Plattformen

    In Ebenen angeordnete oder mit mehr oder weniger Interaktivität angereicherte Karteninhalte werden heute auf den verschiedensten, meist webbasierten oder in Apps eingebundenen Plattformen angeboten. Meist steht dabei die Karte oder ihr topografischer Inhalt nicht im Vordergrund, sondern die Karte ist Mittel zur Visualisierung spezifischer raumbezogener Information wie Verkaufsstellen, Verbreitungsgebieten usw. Als entsprechende Standard-Applikationen gelten für 2D-Karten Google Maps und für 3D-Karten Google Earth, welche detaillierte Grundkarten und zusätzliche Services wie Routenplanung und Streetview anbieten. Technisch, funktionell und inhaltlich ist deshalb ein Konvergieren der Atlastypen zu beobachten. Es stellt sich die Frage, ob aufgrund solcher universell einsetzbarer Basisfunktionalität überhaupt noch zwischen solch unterschiedlichen Typen differenziert werden kann und soll. Da dies bei gedruckten Atlanten trotz des gleichen Mediums nach wie vor getan wird, werden in den nächsten Abschnitten einige thematische Anwendungsbeispiele vorgestellt.

    7.2 Welt- und Schulatlanten

    Interaktive Weltatlanten verwenden hauptsächlich „physische" Karten mit Such- und Index-Funktionen. Frühere spezifische interaktive Weltatlanten wie Encarta sind heute praktisch vollständig zugunsten von Online-Applikationen wie Google Maps verschwunden. Benutzergenerierte Information lässt sich einbinden; ein Qualitätskontrolle erfolgt dabei nicht.

    Schulatlanten gelten als Spezialtyp der Weltatlanten und enthalten speziell ausgewählte thematische Karten für den didaktischen Einsatz. Je nach Thematik sind die Karten global, regional oder lokal – in unterschiedlichen Maßstabsreihen – vorhanden. Ein Beispiel für einen digitalen Schulatlas ist der Schweizer Weltatlas – interaktiv, der als Begleitmedium zur Print-Ausgabe konzipiert ist.

    7.3 National- und Regionalatlanten, Stadtatlanten

    Nationale und regionale Atlanten zeigen ein Land oder eine Region anhand einer großen Vielfalt an thematischen Karten. Auch in dieser Gruppe finden sich Projekte, die neben gedruckten Atlasbänden auch über eine digitale Version verfügen, so etwa der Nationalatlas von Schweden, der GIS-basierte Nationalatlas von Spanien oder der Nationalatlas von Deutschland [6]. Funktional wird die gesamte Palette der Interaktions- und Visualisierungsmöglichkeiten (s. Kap. 4) genutzt. Als ausschließlich digitaler Atlas ist der Atlas der Schweiz – online konzipiert, in dem mittels eines virtuellen Globus die topografischen und thematischen Daten dreidimensional visualisiert und exploriert werden können (Abb. 16, rechts).

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    Abb. 16

    GenderAtlas von Österreich und Atlas der Schweiz – online (2016 ff.)

    7.4 Topografische Atlanten, Geoportale und Webservices

    Viele staatliche Kartenbehörden publizieren ihre topografischen Kartenserien auf Webportalen. Die Grundkarten sind meist im Rasterformat verfügbar; immer öfter werden aber interaktive Funktionen wie Themenkombination, Abfrage, Messen oder Export angeboten. Beispiele sind die USGS TOPO! Kartenserie auf diversen Webportalen, der 2D/3D-Kartendienst von swisstopo sowie der deutschen Bundesländer (GeoPortal.Bund, BayernAtlas, HessenViewer, SachsenAtlas usw.). Immer wichtiger werden auch Kartenplattformen, deren Inhalte zu großen Teilen durch Nutzer erzeugt werden. Prominentestes Beispiel ist OpenStreetMap, welche eine Basisfunktionalität wie Google Maps oder ESRI ArcGIS Online anbietet und bei welchem z.

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