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Cyntos: Im Schein der Perfektion
Cyntos: Im Schein der Perfektion
Cyntos: Im Schein der Perfektion
eBook763 Seiten11 Stunden

Cyntos: Im Schein der Perfektion

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Über dieses E-Book

`Hör auf zu suchen, du machst alles nur noch schlimmer! Vergiss was du denkst zu wissen, Elisabeth Hope, das ist sicherer für alle Beteiligten.´

Elisabeth Hope Miller, Bürgerin 9677544:

geb. 19. Januar 998 - gest. 04. August 1.016

Tochter von Stephanie and Christian Miller, CEOs der MCCT
Musterschülerin der Spring School - Erfolgsorientiert, intelligent, innovativ, willensstark
Ärztlicher Hinweis: Patient weist starke Immunreaktionen zu sämtlichen Medikamenten auf.
Bürgerin tendiert zu Skepsis und unorthodoxen Nachforschungen mit Fokus auf die Alte Zeit.
Verhalten wird zunehmend unvorhersehbar. Persönlicher Observator empfohlen.
Kontakt mit Knights bestätigt - Gedächtnisänderung fehlgeschlagen, Kooperation verweigert

Eliminierung der Bürgerin aus dem System

Lis führt ein perfektes Leben in der perfekten Stadt mit der perfekten Zukunft als Erbin einer Milliardenfirma, die hinter der Entwicklung der ID-Chips steht. Jeder Bürger in Cyntos besitzt dieses Implantat - das Ticket zu Wohlstand und Komfort, von Teleportation über Gesundheitschecks zu Erscheinungsänderung. Sie selbst allerdings hat einen ungern gesehenen Makel: Interesse an der Vergangenheit.
Als Lis bei einer ihrer geheimen Recherchen verstörende Bilder in die Hände fallen, beginnt ihr Bild der Perfektion Risse zu bekommen. Handelt es sich um einen kranken Scherz oder verbirgt sich ein dunkles Geheimnis hinter dem strahlenden Luxus?
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum1. Okt. 2019
ISBN9783748127826
Cyntos: Im Schein der Perfektion
Autor

Kira Storm

Kaum konnte sie Buchstaben zu Worten verbinden hat Kira angefangen, Geschichten zu schreiben. Mit den Jahren wurden sie immer länger, bis sie anfing Romane zu verfassen. Nach dem Abitur und einem Auslandsjahr hat sie sich schließlich hingesetzt und eines der Manuskripte verlagsfertig gemacht, um ihre Leidenschaft mit der Welt zu teilen.

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    Buchvorschau

    Cyntos - Kira Storm

    Welt.

    1. Kapitel

    „Das menschliche Wesen ist von Natur aus unvollkommen.

    Deshalb muss das Ziel eines jeden Lebens

    in dem Bestreben nach größtmöglicher Perfektion liegen.

    Perfektion ist das einzig Gute,

    nur durch sie ist es möglich ein glückliches Leben zu führen."

    – aus: Die Weisheiten des Retters, 947. Auflage –

    Freitag, 13. Juli 1.016 (nach der Flucht)

    Es ist Freitag, Freitag der 13.. Ich meine mich zu erinnern, dass es irgendeine Bedeutung hat, irgendein Aberglaube aus der Alten Zeit, den Tagen vor dem Allvater, in dessen Stadt wir leben. In einer Geschichte muss es erwähnt worden sein, die ich kürzlich gelesen habe, denn beim Anblick des Datums auf dem Bildschirm kommt mir die Bedeutung in den Sinn: Unglück. Was für ein ausgemachter Unsinn. Das Datum kann keinerlei Einfluss auf das Geschehen des Tages nehmen! Dennoch faszinieren mich die Sitten aus der Alten Zeit, von der kaum noch etwas bekannt ist. Vielleicht ist es gerade das, was mich daran so reizt.

    „Lis!", zischt jemand neben mir und ein Ellenbogen trifft mich unsanft in die Seite. Erschrocken fahre ich aus meinen Gedanken hoch und schaue direkt in das strenge Gesicht von Mrs. Dolton, meiner Chemielehrerin, die erwartungsvoll eine ihrer violetten Augenbrauen hochgezogen hatte, die perfekt zu ihren lila Haaren, Fingernägeln und Augen passen. Eigentlich ist so ziemlich alles an Mrs. Dolton lila, bis auf ihre Haut, die in einem seichten Rosa getönt ist. Das Tragen der gleichen Farbe am ganzen Körper scheint momentan echt in Mode zu sein.

    „Wie war noch gleich die Frage?", stammele ich, denn offenbar erwartet Mrs. Dolton eine Antwort von mir. Missbilligend verzieht sich ihr violetter Mund zu einem schmalen Strich und verlegen senke ich den Blick, froh dass man mir dank meiner schokobraunen Haut das peinliche Erröten nicht ansehen kann. Es ist so gar nicht meine Art während des Unterrichts nicht aufzupassen, doch in letzter Zeit schweifen meine Gedanken andauernd ab.

    Auf meinem PCmKIfSz, auch kurz Kifs (ausgeschrieben bedeutet es „Personal Computer mit künstlicher Intelligenz für Studienzwecke aber das ist eine so lange Bezeichnung, dass selbst die Abkürzung einer Abkürzung bedarf) erscheint plötzlich eine Nachricht: „Wasser! Entsteht bei allen organischen Reaktionen. P.S.: Hab dir schon wieder deinen süßen Arsch gerettet, was´n los bei dir?

    Rasch blicke ich wieder hoch und begegne dem immer noch gereizten Gesichtsausdruck meiner Lehrerin. „Entschuldigung, Wasser ist das Reaktionsprodukt bei organischen Reaktionen. „Eines der Produkte! Aber ja, die Antwort ist korrekt. Als ich dann endlich aus dem prüfenden Blick von Mrs. Dolton entlassen werde, schicke ich schnell einen Dank an Casandra, meine Sitznachbarin und absolut beste Freundin, die mir, um es mit ihren Worten auszudrücken, meinen „süßen Arsch gerettet hat. Das „Süß bezieht sie auf meine Hautfarbe, die der Farbe geschmolzener Vollmilchschokolade mit einem Hauch Zartbitter ähnelt. Unterm Tisch versetzt sie mir einen freundschaftlichen Tritt, der weit sanfter ausfällt, als der Ellenbogenstoß von vorhin.

    Den Rest der Stunde widme ich mich voll und ganz dem Unterricht und versuche das Malheur vom Stundenanfang wieder Wett zu machen. Ich kann mir so kurz vor den Prüfungen keine Unachtsamkeit leisten, besonders nicht in Chemie, da ich in diese Richtung später studieren möchte.

    Punkt 15:00 Uhr erlöschen alle Kifs´ auf den Schülerpulten und ein kollektiver erleichterter Seufzer begleitet den Gong, der das Ende des Schultages verkündet. Sogleich springen alle 25 Schülerinnen des Chemie-Leistungskurses auf und strömen zur Tür, raus aus dem Raum, raus aus der Schule und ab in die Freizeit.

    Casandra packt mich am Arm und zieht mich im Flur beiseite, ihre azurblauen Locken, die sie zum „Double-C-Day" (Der Geburtstag des Retters Charlos Cyntos) von ihrem Vater geschenkt bekommen hat, wippten fröhlich um ihr engelgleiches Gesicht, das jedoch von einer steilen falte zwischen ihren dunklen Augenbrauen etwas in Mitleidenschaft gezogen wird. So sieht sie immer aus, wenn sie sich Sorgen macht.

    „Elisabeth Hope Miller, Meinen vollen Namen gebraucht sie nur selten, sonst nennt sie mich bloß immer nur Lis, was mir persönlich auch weitaus besser gefällt. Es klingt irgendwie flotter und weniger gestelzt. „was bei allem unter der Kuppel stimmt mit dir nicht? Tja, was soll ich darauf antworten, war mir der Grund doch ebenso schleierhaft wie ihr.

    „Ich war bloß in Gedanken. Ich sehe ihrem Gesicht an, dass die Antwort sie nicht im Mindesten zufrieden stellt. Die Falte auf ihrer Stirn vertieft sich weiter. „Ich muss dir doch nicht sagen, dass wir in zwei Wochen Prüfungen haben, oder? „Ja, ja das weiß ich Cassie. „Dann versteh ich nicht, warum du den halben Tag vor dich hin träumst. Willst du mich allein auf die UNI gehen lassen? Oder stimmt was mit deinem Chip nicht und deine aSk ist defekt? Oder…

    Seufzend streiche ich mir eine weinrote Haarsträhne hinters Ohr, muss dann aber trotzdem lächeln. Die Besorgnis und vor allem der Einfallsreichtum an möglichen Gründen für mein Verhalten von meiner Freundin sind echt bewundernswert.

    „Ich hab´s!, stößt sie plötzlich aus, ihre Stimme schießt eine Oktave nach oben und sie wird ganz hibbelig vor Aufregung. „Ach ja?, frage ich verwundert. Was weiß Casandra über mich, was ich selbst nicht weiß? „Du bist verknallt!, ruft sie triumphierend und packt mich an beiden Schultern, sodass ich direkt in ihre funkelnden grünen Augen schaue, die sich kurz darauf verdunkeln. „Warum hast du mir das nicht erzählt? Sie klingt derart erschüttert, dass ich ein Lachen nicht unterdrücken kann. „Wie kommst du denn darauf? Und denkst du wirklich, dass ich dir so etwas verschweigen würde? Cassie lässt mich los und tritt einen Schritt zurück. „Hm. Stimmt auch wieder. Es hätte aber so gut gepasst, wenn man bedenkt, dass dich alle aus dem Jungentrakt anhimmeln und du noch keinen einzigen festen Freund gehabt hast. Ich meine, du wirst bald 18! Bist du dir eigentlich bewusst wie sehr du die armen Kerle quälst? Hättest du einen Freund, würden sie sich nicht ständig unnötige Hoffnungen machen.

    Mit ihren in die Hüften gestemmten Händen und dem vorwurfsvollen Blick, erinnert sie mich augenblicklich an Mrs. Dolton, wie sie die armen Schülerinnen, die ihre Hausaufgaben vergessen haben, zusammenstaucht. „Was kann ich denn dafür, dass es alles ausnahmslos aufgeblasene Angeber sind, die nichts im Kopf haben außer einen Klumpen zermatschten Hirns vom vielen Fernsehen und Zocken?", erwidere ich und werfe einen Blick über die Schulter in den weißen Flur, der allmählich richtig leer wird.

    Ich will eigentlich auch nur noch nach Hause und das Wochenende genießen. Meine Eltern sind nicht da, auf irgendeinem Kongress am anderen Ende der Stadt, und ich werde die ganze Wohnung für mich haben! „Lis, hallooo?! Ungeduldig wedelt Cassie vor meinem Gesicht mit der Hand hin und her. „Hm?, mache ich und wende mich ihr wieder zu. „Also wirklich! So geht das nicht weiter. Ich glaube du brauchst eine Kur, am besten eine Spezial-Casandra Meyer-Shoppingkur! Morgen, 10:00 Uhr in der Walleystreet und kein Aber, ich bestehe darauf! Ärztliche Anweisung. Mahnend hebt Casandra einen Finger und sieht mich streng an. „Und dass du mir ja pünktlich bist.

    Ich lache. Später will Casandra einmal Ärztin werden, also nicht direkt Ärztin, eher Forscherin und Entwicklerin neuer Medizin. Wer weiß, vielleicht wird es eines Tages wirklich eine „Casandra Meyer-Shoppingkur gegen Gedankenabschweifen geben… „Geht klar, Frau Doktor. Jetzt strahlt auch sie und hakt sich schwungvoll bei mir ein. Auf dem Weg zum Haupteingang überlegt sie laut, wie sie ihrem Vater ein paar Credits abschwatzen könnte und ich beteilige mich mit eher mittelmäßigen Ideen, wie er habe ihr Taschengelderhöhung versprochen, die Cassie sofort in den Wind schießt.

    „Ich glaube ich werde ihm so lange von dem neuen Kleid, das ich gesehen habe, vorschwärmen, bis er mir Geld gibt, bloß damit ich ihn in Ruhe lasse." Wir haben die Eingangshalle erreicht, die hell von in den Wänden und der Decke verborgenen Lampen beleuchtet wird. Die Halle ist ein riesiger runder Raum, an dessen Wand entlang 165 Teleportationsplattformen eingebaut sind. Ich habe sie eigenhändig nachgezählt als ich neu an der Schule war.

    „Also bis morgen, und vergiss unsere Verabredung nicht.", flötet Cassie munter, winkt mir kurz zu und steigt auf eine der ebenfalls runden Plattformen. Eine Lichtsäule, die vom Boden bis zur hohen Decke reicht, leuchtet auf und erlischt genauso rasch wieder. Von Cassie ist nichts mehr zu sehen. Bevor ich ihr folgen und endlich in mein Wochenende verschwinden kann, stellt sich ein Junge auf die Plattform. Im Vergleich zu den meisten in Cyntos sieht er relativ unspektakulär aus. Seine Haut ist leicht bronzen, die kurzen Haare rabenschwarz und die Augen haselnussbraun.

    Verwundert ziehe ich meine Augenbrauen zusammen, denn ich bin mir sicher, dass ich alle Jungen meines Jahrgangs kenne, ihn jedoch habe ich noch nie zuvor gesehen. Ohne mich zu beachten hält er seinen rechten Arm gegen den Ausleser an der Wand, der durch den implantierten Chip den Wohnort und Tagesplan erfasst. Dann leuchtet der Teleporter auf und der Fremde ist verschwunden.

    Starr stehe ich noch an derselben Stelle wie zuvor, unfähig mich zu rühren, als hätte ich einen Geist gesehen. Irgendetwas ist seltsam an dem Kerl gewesen, so als würde er nicht hierher gehören, was schlichtweg unmöglich ist, denn ohne entsprechenden Tagesplan kommt man nicht ins Schulgebäude.

    Zwei Mädchen aus den unteren Jahrgängen schieben sich an mir vorbei und verschwinden, ehe ich mich aufraffen kann und mich auf den Teleporter stelle. Mit ihrem Gerede über Jungs hat Cassie mir den Kopf ganz wuschig gemacht. Soviel dazu, dass mich alle Jungen anhimmeln. Der hat mich keines Blickes gewürdigt. Sicher ist er aus einem anderen Stadtteil hergezogen oder sitzengeblieben oder…, ach was weiß ich, ist auch egal.

    Beiläufig halte ich mein Handgelenk an das Auslesefeld und schon nach wenigen Sekunden verspüre ich das gewohnte ziehen in der Magengegend, das jede Teleportation begleitet.

    Als das Licht verblasst und den Blick auf den Teleportraum unserer vierstöckigen Wohnung freigibt - ich selber bewohne eine ganze Etage alleine - werde ich sogleich von einer mechanischen Stimme begrüßt: „Willkommen daheim, Herrin. Hatten sie einen lehrreichen Tag? Wenige Schritte vor mir steht Steve, mein persönlicher Androide und schaut mich aus seinen Glasaugen freundlich an, soweit Glasaugen das vermögen. „Ja, wie immer halt., erwidere ich und drücke Steve meine Schuhe in die Hände.

    Während er sie in einem Wandschrank verstaut, gehe ich in mein Schlafzimmer, lasse mich auf mein riesiges Doppelbett fallen und starre an die schneeweiße Decke. Diese ganzen Vergleiche, von wegen rabenschwarz, schneeweiß und dergleichen, habe ich auch aus einer meiner Recherchen über die Alte Zeit. Sie sind wunderlich, haben einen faszinierenden Klang, würden aber von keinem wirklich verstanden werden. Ich weiß, dass sie eine Farbe beschreiben, doch was „Raben und „Schnee sind… keine Ahnung.

    „Hey Ane, irgendwelche Anrufe oder Nachrichten? Ane, so habe ich die KI des Computers für meine Etage genannt. Es kommt mir höflicher vor, als sie bloß „Computer zu nennen, wenn man bedenkt, dass sie ja intelligent ist. „Ihre Eltern haben vor einer Stunde eine Nachricht hinterlassen und Ihre Hausaufgaben fürs Wochenende sind vor wenigen Minuten von der Spring-School eingetroffen." Die Stimme von Ane habe ich so eingestellt, dass sie regelrecht menschlich klingt. Ein unbeabsichtigter Nebeneffekt war jedoch, dass sie nun meiner Mutter auf unheimliche Weise ähnelt. Bis heute war es mir noch nicht gelungen dies zu beheben.

    „Wollen Sie die Nachricht Ihrer Eltern zuerst hören?, erkundigt sich Ane. „Ja, ja, spuck´s aus. Auffordernd wedle ich mit einer Hand und lasse sie dann wieder auf die weiche Matratze sinken. Gleich darauf trillert meine Mutter auch schon los: „Tachchen Schatzi! Wir werden wohl noch etwas länger bleiben müssen als geplant. Es sieht so aus, als würde der Kongress noch die ganze kommende Woche in Anspruch nehmen. Doktor Hilton hat eine außerordentliche Entdeckung gemacht, die weltbewegend sein könnte. Tut uns echt leid, aber du hast ja noch Steve. Küsschen und bis nächste Woche!" Eine „weltbewegende Entdeckung", das war typisch meine Mom. Sie neigt echt zur Übertreibung.

    Meine Eltern sind Vorsitzende einer Laborfirma, die irgendetwas mit den Chips zu tun hat, genaueres haben sie mir nie erzählt, denn es „unterliegt strengster Geheimhaltung". Das gilt auch für die regelmäßigen Kongresse, zu denen sie immer gehen, was weiß ich was die dauernd so Wichtiges zu besprechen haben. Das was zählt ist, dass ich eine ganze Woche sturmfreie Bude habe!

    Ich hatte mich auf die Ellenbogen hochgestemmt und langsam breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Wenn meine Eltern nicht daheim sind, dann kann ich mir mit Ane unbemerkt mal Vaters Computer „ausborgen" und vielleicht gelingt es mir einen Blick in das große Regierungsarchiv zu werfen! Ein Wochenende wäre zu kurz gewesen, um die Spuren wieder zu verwischen, aber eine ganze Woche! …ist auf jeden Fall genug.

    Mein ungewöhnliches Interesse für die Vergangenheit finden meine Eltern mehr als unangebracht. Sie haben mir verboten weitere Nachforschungen anzustellen und gesagt, ich solle mich ganz der Schule widmen. Was sie jedoch nicht wissen, kümmert sie auch nicht. Diese ganzen Verbote, die Vertuscherei und die Gleichgültigkeit gegenüber der Alten Zeit, all das reizt mich, mehr darüber zu erfahren.

    Allerdings ist meine Suche bis jetzt noch nicht sehr erfolgreich gewesen. Ein paar Gedichte, Erzählungen und Geschichten, in denen seltsame Begriffe fallen, mehr nicht. Es gibt keine Bilder von vor dem Jahr 0 in der öffentlichen Bibliothek, fast als gäbe es kein Davor, so wie alle es glauben wollen. Aber wer hat die Stadt dann erbaut?

    In der Heiligen Schrift heißt es, dass Charlos Cyntos der Erschaffer war, aber ein Einziger kann doch kaum eine Millionenstadt errichten! Allein schon dieser Gedanke kommt Ketzerei gleich, doch ich kann nicht anders. Immer wieder stelle ich mir Fragen, auf die es nur ausweichende Antworten zu geben scheint, wenn überhaupt. „Stell nicht so viele Fragen, das ist schlecht für die Gesundheit.", hat Mom einmal gesagt. Seitdem habe ich aufgehört zu fragen und suche stattdessen selbst nach Antworten.

    „Wollen Sie nicht noch Ihre Hausaufgaben wissen?", fragt Ane verwundert als ich Anstalten mache das Zimmer Richtung Computerraum zu verlassen. Ach ja, stimmt! Dann werde ich meine Nachforschungen auf morgen verschieben müssen... Bei dem Gedanken an Morgen fällt mir siedend heiß meine Verabredung mit Cassie ein.

    „Ane, könntest du einen Eintrag in meinen Kalender machen? Morgen, 10:00 Uhr mit Cassie Shoppen. „Wird gemacht. Bei der Gelegenheit möchte ich Sie darauf hinweisen, dass Ihr Vater Ihr Taschengeld auf 2.000 Credits erhöht hat. Sie sollen sich damit eine schöne Woche machen.

    Ich nicke, zum Zeichen, dass ich verstanden habe und setzte meinen Weg ins Nachbarzimmer fort. Dort lasse ich mich in einen bequemen Sessel plumpsen. Augenblicklich öffnet sich vor mir ein Bildschirm und ich blicke auf den Homescreen meines PCs. Es ist ein Foto von Cassie und mir, das wir beim „Double C Day" vor einem Jahr geschossen haben. Arm in Arm stehen wir vor dem gigantischen Regentenpalast im Stadtzentrum und grinsen um die Wette.

    „Also gut Ane, was brummen die Herren Lehrmeister mir denn heute auf?" Mit einer kleinen Geste öffne ich ein neues Fenster für Notizen und unter meinen Fingern erscheint eine bläulich leuchtende Hologrammtastatur. Ein drittes Fenster, links vom Homescreen erscheint und eine lange Liste ist zu sehen. Beim Anblick der erdrückenden Menge an zeitraubenden Aufgaben stöhne ich innerlich auf. Ich werde kostbare Stunden verlieren, doch ich lasse mir nichts anmerken, damit Ane nicht mit einer ihrer Predigten über Pflichterfüllung beginnt.

    Also mache ich mich an den Essay für Englisch und danach an die Rechenaufgaben in Mathematik. Während ich über einer der endloslangen Kopfrechenaufgaben brüte, kommt Steve mit einem Becher auf einem silbernen Tablett herein. Lautlos stellt er ihn auf den Beistelltisch neben meinem Sessel und ich greife blind danach, ohne von meiner Gleichung aufzuschauen.

    Heute schmeckt der Drink nach gebratener Banane mit Eis, eine meiner Lieblingssorten. Die Drinks beinhalten alle Nährstoffe, die der Körper braucht und sie werden nach den individuellen Bedürfnissen eines jeden Bürgers hergestellt. Es ist eine weitaus bequemere Art einer Mahlzeit, als Brot oder ähnliches festes Essen.

    Nur Angehörigen der Oberschicht steht dieses Privileg zu. Die Millionen Angestellte und weniger gut Verdienende können sich das nicht leisten. Natürlich essen wir auch richtige Mahlzeiten, doch für zwischendurch sind diese Drinks göttlich!

    Gegen 19:00 Uhr bin ich endlich fertig und lasse mir von Steve ein Kalbsfilet mit Rahmsoße und Kartoffeln servieren. Fleisch ist ebenso eine Kostbarkeit wie die Drinks, denn der Tierbestand muss immer auf einem ausgeglichenen Level gehalten werden und der Fleischbedarf von Cyntos ist enorm. Beim Essen surfe ich etwas durch das Intranet und suche dabei nach nichts bestimmten. Es ist einfach eine Angewohnheit von mir.

    Erst schaue ich mir einige Musikvideos an, ehe ich Ane nach einer Biografie von Charlos Cyntos suchen lasse. Das Standartwerk ist Pflichtlektüre in jeder Schule und ich kenne es beinahe auswendig, doch ich habe nicht vor es erneut zu lesen. Ich suche nach Interpretationen des Werkes.

    Die erste Seite, die ich aufrufe, ist eigentlich nicht mehr als eine bloße Wiederholung der Zusammenfassung, die ich irgendwo schon einmal gelesen habe. Auch die nächsten Links ergeben nichts Neues, alles Lobpreisungen des Retters, der die Menschen in die Heilige Stadt geführt und vor dem Verderben bewahrt hat, das „mit eisigem Atem alles dahinraffte". Diese Zeile hat mich schon früher zum Grübeln gebracht. Was war es, wovor die Menschen hatten gerettet werden müssen und woher kamen sie? Von wo sind sie hierher geflüchtet? Leider gibt keine Seite darüber Auskunft.

    Ich gehe zurück zur Auswahl der Links und scrolle eine Ewigkeit nach unten, ohne auf die bunte Schrift zu achten, die über den Screen huscht. An einem wahllosen Punkt halte ich an und überfliege die Links. Plötzlich werde ich stutzig. Der unterste Link passt so gar nicht zu den anderen. Das Thema ist dasselbe, aber wie es beschrieben wird ist so… so ganz und gar… ungewöhnlich!

    „Willst du die ganze Wahrheit über Charlos Cyntos´ Vermächtnis wissen?" Starr blicke ich auf die blauen Buchstaben, ganz so, als müssen sie jeden Augenblick verschwinden. Sie vermitteln den Eindruck als würden sie auf keinen Fall dahin passen.

    Das gleiche Gefühl hatte ich heute Nachmittag auch schon gehabt, nachdem der seltsame Junge sich, ohne mich eines Blickes zu würdigen, vor mich gedrängelt und den Teleporter betreten hatte. Meine Neugier ist geweckt und ich klicke den Link an. Kurz darauf wird der gesamte Bildschirm schwarz bis auf einen kleinen, senkrechten weißen Strich, der in der linken oberen Ecke blinkt, fast wie bei einem Eingabefeld. Probehalber tippe ich auf der Tastatur herum und drücke Enter.

    „Hallo? In weißer Schrift erscheint das Wort, das ich eben eingetippt habe. Allerdings war es das dann auch schon. Ich schneide mir ein Stück Fleisch ab und esse weiter. Auch diese Seite ist also ein Fehlschlag. Ich blicke auf, um die Seite wieder zu verlassen, da antwortet jemand: „Hallo.

    Meine Hand mit der Gabel verharrt auf halben Weg zum Mund. Ungläubig betrachte ich das Wort und noch bevor ich denken kann, dass es irgendein Programm sein muss, das vorgefertigte Antworten schickt, kommt der nächste Satz, der mich erschrocken auffahren lässt: „Du bist ganz schön mutig mit unverschlüsselter IP diese Seite aufzurufen, oder einfach nur dämlich, Elisabeth Hope Miller."

    Überrumpelt glotze ich meinen Namen an, der eindeutig weiß auf schwarz dasteht. Woher weiß er oder sie meinen Namen? Wer ist es, der dort schreibt? In Ermangelung einer besseren Idee schreibe ich genau das. „Wer bist du? Gespannt warte ich auf eine Antwort, die nicht lange auf sich warten lässt. „Das kann ich dir nicht sagen. Es ist schlimm genug, dass ich deinen Namen kenne. Wenn ich das tue, dann tun Sie das auch.

    „Sie? Wen meinst du? Beim Schreiben runzle ich konzentriert die Stirn und versuche mir einen Reim aus alledem zu machen. „Ich habe keine Zeit für Erklärungen. Jetzt wo du die Seite aufgerufen hast werden Sie sie in den nächsten Minuten löschen. Deshalb brauche ich eine schnelle Antwort von dir: Willst du wirklich die Wahrheit wissen?

    Beim Lesen setzt mein Herz einen Schlag aus. Kann es sein, dass dieser Jemand auf der anderen Seite Antworten für mich hat? Antworten nach denen ich schon so lange auf der Suche bin? Vor Aufregung werden meine Hände schwitzig und ich wische sie an meinem Rock ab. Ich trage noch immer die Schuluniform der Spring-School, eine weiße Bluse darüber eine schwarze Jacke mit Silberborte und dem Wappen zweier ineinander verschlungener S´s dazu einen Knielangen grün-schwarz karierten Rock. Sie ist alles in allem nicht gerade der Hingucker aber wenigstens bequem.

    Fieberhaft denke ich nach, was ich dem Unbekannten antworten soll. Irgendwie ist mir das alles unheimlich. Dennoch, eine bessere Möglichkeit auf Antworten werde ich wohl so schnell nicht wieder bekommen. Wenn der Typ Recht hat, dann wird die Seite in wenigen Augenblicken von irgendwem gelöscht werden.

    Hastig tippe ich „Ja! und starre, gespannt was jetzt passieren würde, auf den Bildschirm. Die Antwort kommt prompt: „Gut. Mehr nicht. Ich warte darauf, dass noch etwas geschieht, doch im nächsten Moment schließt sich das Fenster und mich lachen zwei 16-jährige Mädchen vor einem prunkvollen Gebäude an.

    „Verdammt!, fluche ich und schlage mit solcher Kraft auf die Armlehne des Sessels, dass mir ein stechender Schmerz den Arm emporfährt, was erneute Flüche zur Folge hat. „Wenn ich Sie kurz unterbrechen dürfte…, fällt Ane in meine Tirade ein, „… soeben wurde der Download beendet, die Dateien können nun von Ihnen eingesehen werden."

    Abrupt halte ich inne. Welche Dateien? Ist es möglich, dass sie von… „Dateien öffnen.", sage ich und beuge mich etwas vor. Kann es sein? Ein Fenster öffnet sich und mehrere mit den Zahlen 1; 2; 3 und 4 beschriftete Ordner tauchen auf. „Jeder Ordner enthält ein Bild. Wollen Sie Ordner „1 öffnen?

    Als Antwort bekomme ich nur ein Nicken zustande. Ane öffnet den ersten Ordner und schaltet das Bild auf Vollbild. Erschrocken fahre ich hoch und schnappe nach Luft. Das ist unmöglich echt, das kann es doch nicht geben, nicht in Cyntos!

    „Zeig mir die anderen Bilder!", fordere ich Ane barsch auf, die stumm meiner Anweisung nachkommt. Doch es wird nicht besser. Als alle vier Bilder geöffnet sind, sinke ich in den Sessel zurück. Von einem Moment auf den anderen verweigern mir meine Beine den Dienst. Mir kommen meine Gedanken von heute Vormittag wieder in den Sinn… Freitag der 13. ist wirklich ein beunruhigender Tag.

    2. Kapitel

    „Um die vollkommene Gesellschaft zu erschaffen,

    ist eine übergeordnete Kontrollinstanz notwendig.

    Die Identität eines jeden Bürgers

    muss zu jedem Zeitpunkt nachweisbar sein.

    Eine Einheitliche Erfassung der Bevölkerung

    garantiert Sicherheit und Komfort."

    – aus: Information zur obligatorischen Chip-Implantierung, Jahr 15 nach

    der Flucht –

    Samstag, 14. Juli 1.016 (nach der Flucht)

    Die Walleystreet ist eine der größten Einkaufsstraßen in Bezirk 3 von Cyntos. An der buntgepflasterten Straße reihen sich die Geschäfte aneinander und sobald sich eine der automatischen Türen öffnet, kann man einige Fetzten von Musik aufschnappen, die die Bummelnden während ihres Einkaufs begleitet hat.

    Zwar gibt es in jedem Laden eigene Teleporter, doch das richtige Shopping-Feeling bekommt man nur, wenn man an den bunten Schaufenstern entlang spazieren und die kunstvoll arrangierten Auslagen bewundern kann. Das ist auch der Grund, warum die Straße nur so von Menschen wimmelt, die ihren pflichtenfreien Vormittag damit verbringen sich im seichten Licht des Tages, das von der Kilometer entfernten Decke leuchtet, die neuesten Klamotten oder sonstige Schönheitstrends zu kaufen und bei der Gelegenheit ihren Reichtum zur Schau zu stellen.

    Die Uhr über einem Schmuckgeschäft tickt und die Zeitanzeige rückt um eine weitere Minute vor. Natürlich wäre das Ticken nicht nötig, aber das Geschäft macht offensichtlich auf Retro. Es ist 10:03 Uhr, ich bin spät dran, allerdings achte ich kaum darauf, zu sehr schwirrt mein Kopf. Ein Gedanke jagt den nächsten, während ich mich gekonnt durch den Menschenstrom schlängle und auf den Treffpunkt, eine Statue von C. Cyntos aus Bronze, die auf einem kleinen Platz mit Springbrunnen steht und die Mitte der Einkaufsmeile markiert, zuhalte.

    Nachdem ich meinen ersten Schock über die Bilder, die ausgemergelte Gestalten an seltsamen Maschinen oder in Tanks mit grüner Flüssigkeit zeigen und weitere unglaublich blasse Wesen, die unter den zerschlissenen Mänteln eindeutig als Menschen zu erkennen gewesen waren, denen Hoffnungslosigkeit, Krankheit und Hunger mit scharfen Furchen ins Gesicht geschrieben waren, überwunden hatte, habe ich Ane die Bilder auf Echtheit überprüfen lassen, fest davon überzeugt, dass es sich um animierte Bilder handelt.

    Ane jedoch teilte mir mit, dass die Fotos echt und von einer alten Canon 4030-MIN gemacht worden sind, die vor 150 Jahren auf den Markt gekommen ist und schon längst nicht mehr verkauft wurde. Auch hatte sie einen Zeitstempel entdeckt, der die Aufnahme der Fotos auf letzten Monat datierte. Letzten Monat! Das ist schlichtweg unmöglich. Wo sollen diese schrecklichen Orte denn sein? Nie und nimmer in Cyntos! Die Menschen leben hier in Wohlstand und Harmonie, keine Spur von der Verwahrlosung und dem Schmerz, die die Kreaturen auf den Bildern erleiden.

    Eine Verfolgung des Datenflusses ist Ane nicht möglich gewesen. Der Fremde hatte seine Spuren derart gut verwischt, dass es scheint als seien die Bilder aus dem Nichts auf meinen Computer erschienen...

    „Hey Lis, hier bin ich!" Weiße Haut, blaue Locken und funkelnde Smaragdaugen. Aufgedreht und fröhlich wie eh und je eilt Cassie mir entgegen und ich schiebe die düsteren Gedanken beiseite. Schließlich bin ich gerade weil ich ständig seltsamen Gedanken nachgehe hier, um mich mal wieder richtig auszuspannen und eine extra Cassandra-Meyer-Shoppingkur zu genießen. Diese ominöse Website ist sicherlich nur ein blöder Scherz von einem gelangweilten Computerfreak gewesen, der nur so zum Spaß irgendwelche Fotos fälscht, sodass einfache KI´s wie Ane sie als echt ansehen, und diese dann dem Erstbesten, der auf seine Seite kommt, untergejubelt hat, um ihn mit ihnen zu schocken.

    Das ist ihm auf jeden Fall gelungen. Wenn er seine Spuren derart verschleiern kann, ist das überzeugende Fälschen bestimmt kein Problem für ihn gewesen. Allerdings ist diese Art des Zeitvertreibs nicht gerade das, was man unter gutem Bürgertum versteht. Es grenzt an Hochverrat, derartiges über Cyntos und dessen Schöpfer zu verbreiten. Cyntos ist unser aller Heimat und nichts an ihr ist schlecht, sie gewährt jedem Lebewesen eine gute und gesicherte Existenz.

    „Huhu! Hörst du mich? Erschrocken fahre ich hoch. Schon wieder (!) bin ich derart mit meinen Gedanken beschäftigt gewesen, dass ich nicht mitbekommen habe, was meine Freundin gesagt hat. „Äh,… „Was hat eine Shoppingkur für einen Sinn, wenn du sie nicht ernst nimmst und schon bevor sie richtig angefangen hat völlig abwesend bist?"

    Cassie legt den Kopf schief und schaut leicht zu mir auf. Mit ihren 1,54m ist sie 16cm kleiner als ich. Allerdings will sie daran nichts ändern. „Die Jungs stehen auf kleine Mädchen. Das weckt Beschützerinstinkte in ihnen. Außerdem kann ich so hohe Schuhe tragen wie ich will, ohne dass mein Freund wie ein Zwerg wirkt.", hatte sie gesagt, als ich sie einmal danach fragte. „Sorry, kommt nicht wieder vor.", beteuere ich und meine es vollkommen ernst. Für heute will ich alles vergessen und mich einfach treiben lassen, mit Cassie durch die Läden bummeln und mir irgendwas Schönes von meinem Taschengeld kaufen.

    „Wo fängt denn die extra klasse Shoppingkur an?, frage ich und ein schelmisches Grinsen legt sich auf Cassies volle Lippen. „Ich weiß da genau das Richtige, dir werden die Augen aus dem Kopf fallen, also natürlich nur im übertragenen Sinn, oder vielleicht auch doch nicht. Du wirst schon sehen, der Laden ist der Hammer! Und schon zerrt mich der blauhaarige, kleine, so ganz und gar nicht schutzbedürftige Engel durch das Gedränge auf dem Platz auf das nächstbeste Hochhaus zu, in dessen unzähligen Etagen nur ein einziges Geschäft und darüber einige Billigwohnungen zuhause sind.

    Bereitwillig lasse ich mich hineinziehen und bemerke sofort was Cassie gemeint hat, als sie von „ausfallenden Augen" gesprochen hat. An den weißen Wänden reihen sich Regale voller Glasaugen, die alle nur erdenklichen Augenfarben und dazu passende Schattierungen zur Betrachtung ausstellen. Der Laden scheint sich außerordentlicher Beliebtheit zu erfreuen, denn obwohl er dutzende Etagen umfasst, ist wenigstens die erste proppe voll.

    „Und?, erkundigt sich Cassie erwartungsvoll. „Was meinste, wollen wir uns einen neuen Blick auf die Welt zulegen? Sie grinst, wartet meine Antwort nicht ab und bugsiert mich mit lautem „Entschuldigen Sie! und „Dürften wir bitte einmal durch? quer durch das Geschäft zu den Aufzügen und fährt mit mir in den 7. Stock, der auf die Farbe Blau spezialisiert ist.

    Blau ist Cassies Lieblingsfarbe und seit Monaten jammert sie mir schon vor, dass ihre Augen nicht zu ihrem Outfit und ihren Haaren passen würden, ihr allerdings das Geld für die dementsprechende Genänderung fehle. Nun scheint es ihr jedoch gelungen zu sein ihrem Vater genug Credits aus dem Kreuz zu leiern.

    Aufgeregt wie ein kleines Kind an seinem Geburtstag, hüpft sie die Reihen an Glasaugen entlang und stößt von Zeit zu Zeit verzückte Ausrufe aus. Ich folge ihr mit etwas Abstand und werfe den strahlenden Augen, die mich alle anstarren als würden sie jeden meiner Schritte verfolgen, nur vereinzelte Blicke zu. Blaue Augen passen überhaupt nicht zu mir. Ich bevorzuge mehr erdige Farben, weshalb ich mit meinen dunkelbraunen, beinahe schwarzen Augen, die ich schon als Baby hatte, sehr zufrieden bin.

    Bevor ich Gefahr laufe wieder abzuschweifen, reiße ich mich von dem Anblick der stechend blauen Augen im Regal neben mir los und hole Cassie ein, die vor einer Reihe leicht türkisen Augen stehen geblieben ist und nachdenklich eins nach dem anderen mustert. „Ich finde Türkis beißt sich zu sehr mit deinen Haaren. Ist es Ok, wenn ich mal in einer anderen Etage nachschaue? Wir können uns ja in einer Stunde an der Kasse treffen."

    Ohne aufzuschauen murmelt Cassie: „Geht klar. Hmm… irgendwie hast du mit der Farbe Recht, das passt nicht…" Ich lasse sie weiter in sich hinein brabbeln und begebe mich zurück zu den Glasaufzügen. Wahllos drücke ich einen Knopf auf der langen Leiste. Geräuschlos gleitet die Tür zu und die Kabine schießt nach oben.

    Nach wenigen Augenblicken öffnet sie sich wieder und eine Frauenstimme sagt: „30. Stock" Ich trete hinaus und finde mich in einem Raum mit goldenen Wänden wieder. Naja, es waren mehr die Augen, die den Anschein erweckt haben, der Raum sei mit Gold ausgekleidet. Nun doch etwas interessiert gehe ich die Regale entlang und bleibe schließlich bei den Sandfarbenen stehen. Ein Auge hatte meine Aufmerksamkeit erregt und ich mustere es genauer.

    Der schmale äußere Rand der Regenbogenhaut ist goldbraun, rahmt die Iris ein, die wie der Sand in der Oase des Wellnesspools in der Bakerroad strahlt und zu einem sandbraunen sanften Gelb wird, bis sie zur Pupille hin die Farbe von flüssigem Karamell hat. Keinen Schimmer warum mir das eine aus tausend direkt ins Auge gefallen ist (welch ein Wortwitz, der hätte glatt von Cassie kommen können!), doch je länger ich es betrachte, desto mehr gefällt es mir.

    Vorsichtig nehme ich die Glaskugel von ihrem Sockel und trete drei Schritte nach rechts vor einen großen Ganzkörperspiegel, aus dem mich ein schlankes Mädchen in einem figurbetonten, olivgrünen Kleid entgegen blickt, das knapp über den Knien in leicht ausgefranzten Zipfeln endet und durch einen braunen Ziergürtel, ergänzt wird. Ihre gewellten Haare von der Farbe besten Rotweins, reichen ihr bis fast zur Taille und passen hervorragend zu dem Schokobraun ihrer Haut, die so makellos wie die Haut aller Bewohner Cyntos´ ist. Die Füße stecken in schlichten, schwarzen Sandalen, da in der Stadt wie jeden Tag angenehme 23°C herrschen. Doch was mich in diesem Moment interessiert sind bloß die Augen.

    Ich gehe noch ein wenig näher ran und das Mädchen im Spiegel tut es mir nach. Im sanften Licht des Geschäftes leuchten ihre Augen warm und freundlich in einem hellen Sandgelb, das zur Mitte hin dunkler wird. Ich drehe den Kopf leicht zur Seite und beobachte das Lichtspiel in den Augen meines Spiegel-Ich´s. „Hologramm beenden." Auf meine Worte hin verdunkeln sich die Augen im Spiegel und kommen mir nach der hellen Freundlichkeit der goldenen Augen wie zwei schwarze Löcher vor.

    Kurzentschlossen verstärke ich den Griff um das Glasauge in meiner Hand und wende mich zum Gehen. Ich werde Cassie nach ihrer Meinung fragen, auch wenn ich mir schon nahezu vollkommen sicher bin, dass ich diese Augen haben will. Dennoch würde sich meine Freundin gekränkt fühlen, wenn ich nicht vorher ihre Meinung eingeholt hätte.

    Im 7. Stock halte ich vergebens nach Cassie Ausschau und fahre deshalb in den 2., wo sich vor 10 Kassen lange Schlangen gebildet haben. In dem Meer aus bunten Haaren suche ich nach dem azurblauen Schopf meiner Freundin. Kurz nachdem ich den Aufzug verlassen habe tönt auch schon das aufgeregte Rufen von Cassie durch die gesamte Etage: „Lis! Lis! Hierher!" Gleich darauf sehe ich eine kleine Hand emporschießen und wild hin und her winken.

    Ich halte darauf zu und eile dabei die Schlange an Leuten an der Kasse 3 entlang, wobei ich mir mehr als einen unfreundlichen Blick einhandle, was mich nicht im Geringsten stört. In letzter Zeit habe ich mich irgendwie daran gewöhnt, von den Menschen um mich herum missbilligend angesehen zu werden. Cassie steht zwischen zwei hochgewachsenen, gertenschlanken Frauen, wo sie regelrecht untergeht.

    Ohne zu fragen schiebe ich mich zu ihr in die Schlange, was mir ein weiteres Stirnrunzeln der einen Gertenfrau einbringt. „Und, was gefunden?, frage ich. So als habe Cassie gerade nur auf diese Frage gewartet, hält sie mir ein Glasauge entgegen, dessen Iris wie ein Lapislazuli funkelt. „Ist es nicht einfach bezaubernd? Stell dir dazu meine großen Ohrringe und die Kette vor, die ich mir letzte Woche gekauft habe! Ein Traum, sage ich dir. Ich stimme ihr zu und ihr sowieso schon strahlendes Gesicht wird noch eine Spur heller.

    „Jetzt du. Welches hast du dir gekrallt, Süße? Ein Schokibraun zu deiner Haut? „Wär das nicht etwas eintönig? Ich will doch nicht den Eindruck erwecken gewissen Trendsettern nachzumachen. Verschmitzt zwinkere ich Cassie zu, die ein Auflachen unterdrückt und zeige ihr dann mein Glasauge. Plötzlich wird ihre Miene ernst und ihre schmalen Augenbrauen wandern langsam ihre Stirn hoch, während ihr Mund ein stummes O bildet. „Damit wirst du wie eine Göttin aussehen!", haucht sie schließlich.

    „Jetzt übertreib´s doch nicht, Cassie. Kumpelhaft stupse ich sie an. „Wenn bist du hier diejenige, die wie ein Engel aussieht. „Nein, ich meins ernst. So ein Jammer, dass du nichts mit deiner Schönheit anstellst." Schönheit ist in Cyntos eigentlich Geschmackssache, denn jeder kann sein Erscheinungsbild im Austausch für die entsprechende Summe Credits beliebig verändern. Sie ist also nicht mehr als ein Ausdruck des eigenen Reichtums. Jedoch schadet ein gewisses Maß an angeborenem gutem Aussehen nie, wenn man weitreichende Eingriffe vermeiden will.

    Ein Kunde an Kasse 3 bezahlt und alle rücken auf. „Du könntest jeden haben. Kein Junge bei Verstand würde dich abweisen. Du bist schön, klug und sportlich, was will man mehr? Aber du… Wieder schiebt sich die Schlange vorwärts und Cassie unterbricht ihren Redeschwall für einen Atemzug. „… verkriechst dich in deine Studien und geheimen Nachforschungen und träumst in der Gegend rum. Wir sind in dem Alter der ersten Liebe und du bist noch immer die Unschuld in Person. Nicht mal deinen ersten Kuss hattest du.

    „Schon gut, schon gut. Abwehrend erhebe ich beide Hände. „Ich nehm´s mir zu Herzen, Cas. Ungläubig verzieht sie das Gesicht. „Irgendwie werd ich das Gefühl nicht los, dass du mich bloß abwimmeln willst. Ich glaube ich muss das selber in die Hand nehmen. Demnächst werde ich dich einigen meiner Freunde vorstellen. Da ist bestimmt einer für dich dabei." Cassie kennt so ziemlich alle Jungs des Bezirks persönlich und hat in ihrem Kommunikator eine beachtliche Liste an Nummern.

    Sie fantasiert solange weiter über ihre neue selbstauferlegte Pflicht, mich so rasch wie möglich zu verkuppeln, bis wir endlich an der Kasse angelangen. „Einzeln oder zusammen?, unterbricht die Angestellte Cassies Überlegungen. „Einzeln. Cassie legt als Erste ihr Glasauge auf den Scanner, der die Ware erfasst.

    „1.800 Credits. Legen sie ihren Chiparm bitte hier hinein, dann wird die DNA-Änderung sogleich nach Bezahlung durchgeführt und ihr Identitäts-Ausweis dementsprechend geändert." So wie die Frau das herunterleiert klingt es mehr noch als gelangweilt. Wahrscheinlich sagt sie diese beiden Sätze über tausend Mal am Tag. Ein wenig tut sie mir leid. Das verfliegt aber schnell, denn ich weiß, dass jeder Bürger seine Aufgabe im Getriebe der Stadt zu erfüllen hat und diese Frau damit ihr Geld verdient.

    Androiden wären eigentlich ebenso gut dafür geeignet, allerdings sind die Kassierer/innen auch zur persönlichen Beratung und Überwachung da. Kein Computer kann selbstständig Zugriff auf die Chips in den Körpern der Menschen erhalten. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme, die uns vor technischem Versagen schützen und uns eine gewisse Sicherheit geben soll.

    Während sie ihren rechten Arm wie beiläufig in den kleinen weißen Apparat steckt, dreht sich Cassie wieder zu mir um. „Du entkommst dem nicht, das versichere ich dir." Die Versicherung klingt in meinen Ohren mehr wie eine Drohung und ergeben seufze ich auf. Wenn Cassie sich etwas in den Kopf setzt, dann zieht sie es gnadenlos durch, ohne Rücksicht auf Verluste. In diesem Fall den Verlust meiner Sanftmütigkeit und Geduld, die schon jetzt auf eine harte Probe gestellt werden. Und wenn es nach Cassie geht auch der Verlust meiner Jungfräuligkeit.

    „Cas, dafür habe ich doch gar keine Zeit, und du auch nicht. Wir müssen für die Prüfungen lernen. Cassie zeigt sich wenig beeindruckt. „Aber deine Recherchen nach der Alten Zeit machst du trotzdem, oder was? Meiner Meinung nach solltest du dich weniger mit der Vergangenheit und mehr mit der Zukunft beschäftigen.

    Cassie ist die Einzige, der ich von meinen Überlegungen erzähle. Zwar heißt sie sie nicht unbedingt gut und findet ich solle mir schleunigst ein anderes Hobby suchen, doch wenigstens lässt sie mir meine, wie sie es nennt, „kleine Macke der unlöschbaren Neugierde und Zweifel". Wenn ich ihr meine Ergebnisse und Überlegungen vorlege, schüttelt sie meist den Kopf und lächelt nachsichtig, so wie Ärzte lächeln, wenn sie mit verrückten Patienten reden.

    Von gestern Abend habe ich ihr allerdings nichts erzählt. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist die Seite ein Fake gewesen und die Bilder wertlos. „Die werde ich wohl auch hinten anstellen müssen.", versuche ich Cassie zu besänftigen. Dass ich in der kommenden Woche vorhabe mich ins Archiv zu hacken, muss ich ihr ja nicht unter die Nase reiben.

    Ich belüge meine Freundin nur ungern, in dieser Sache jedoch ist es so etwas wie Notwehr. „Tja, dann verschieben wir die Dates halt auf die Woche nach den Prüfungen. Schelmisch blitzten Cassies Augen auf. „Dann hab ich mehr Zeit schon mal eine kleine Auswahl an Kandidaten zusammenzustellen. Vielleicht hilft mir Johnny dabei.

    Johnny ist Cassies derzeitiger fester Freund, mit dem sie nun schon vier Monate zusammen ist, ein neuer Rekord. Meist halten ihre Beziehungen nicht länger als einige Wochen bis zwei Monate. Ich nicke nur. Für meinen Geschmack konzentriert sie sich viel zu sehr auf diesen Beziehungsquatsch. Meiner Meinung nach kann man Gefühle nicht erzwingen, ganz im Gegensatz zu Cassies Sicht auf die Dinge.

    Bei ihr ist schlichtweg alles möglich. Sie lebt in einer Welt der unerschöpflichen Möglichkeiten und manchmal habe ich in ihrer Gegenwart das Gefühl auch dort zu sein. Das ist einer der vielen Gründe, warum ich ihre Freundschaft so schätze. Sie ist eine absolute Optimistin und ein wahrer Quell an guter Laune.

    „So, das war´s. Der Nächste bitte." Eine Welle aus Blau spült durch Cassies Augen und verdrängt das Grün, bis sie mich mit Lapislazuli-Blicken durchbohrt, die so viel sagen wie: „Dann hast du keine Ausreden mehr, die ich gelten lasse!" Im Stillen bete ich, dass Cassie ihr Vorhaben über das Pauken und den Stress der kommenden Wochen vergessen möge.

    Dann bin ich auch schon an der Reihe und lege das sandfarbene Auge an die Stelle, wo eben noch Cassies gelegen hat. Die Kassiererin wiederholt ihre einstudierten Sätze und ich lege meinen Arm in den Apparat. Eine winzige Nadel sticht durch die Haut an meinem Handgelenk und nach ungefähr einer Minute spüre ich ein leichtes Kribbeln hinter den Augen. Das war´s auch schon.

    Der nächste Kunde wird aufgerufen und ich verlasse mit Cassie den Laden. Auf der Walleystreet ist noch genauso viel los wie vor einer Stunde und ohne dass wir uns absprechen müssen, steuern wir auf einen Laden drei Häuser weiter zu. Es ist unser Lieblingsklamottenladen, den zu betreten Pflicht bei jeder Shoppingtour ist. Zum Glück scheint Cassie das Thema meines Liebeslebens bis zur Neige ausgeschöpft zu haben und beginnt nun damit über die neuste Mode und die Lehrer abzulästern. Endlich etwas, wo ich mit ihrem Wortschwall mithalten kann, denn ich bin grundsätzlich gegen den neusten Trend und jeder Schüler hat etwas an seinen Lehrern auszusetzen. Das ist schon seit Ewigkeiten so. Es scheint regelrecht in unserer Natur zu liegen. Vielleicht haben wir ja so ein Anti-Lehrer-Gen in unserer DNA?!

    Die nächsten Stunden verbringen Cassie und ich in den Umkleiden, albern rum und ziehen gefühlt jedes Kleidungsstück des Ladens an. Nach dreieinhalb Stunden geben wir auf und bezahlen unsere bisherige Beute. An der Kasse geben wir unsere Adressen an, damit unsere Einkäufe per Teleport gleich hingeschickt werden können und wir sie nicht mit uns herumschleppen müssen.

    Es ist nun fast 15:00 Uhr und wir genehmigen uns eine Pause. Jede mit einer Waffel Eis bewaffnet, setzten wir uns auf eine Bank, die zwischen zwei Sträuchern steht, die die Form von einem W und einem S haben und damit die Initialen des Straßennamens bilden. Ich lege den Kopf in den Nacken und schaue zur leuchtenden Kuppel auf, die Cyntos überspannt und in helles Licht taucht.

    Wie tausende lange Finger ragen die Hochhäuser hinauf, als wollen sie die Kuppel durchstoßen. Was wohl außerhalb von ihr liegt, auf der anderen Seite? In der Heiligen Schrift heißt es, dass es da draußen nichts gibt, nur Leere, in der niemand überleben kann. Cyntos sei eine strahlende Oase des Lebens in der Dunkelheit des Todes, die um sie herum herrscht. Deshalb gibt es auch niemanden, der Cyntos je verlassen hat. Nicht mal bis zur Grenze, wo die Kuppel auf den Boden trifft, ist je ein Mensch gegangen.

    Über einen Kilometer ist die Fläche breit, die die letzten Häuser vom Kuppelrand trennt. Trotzdem soll sie von einem Meterhohen Elektrozaun umgeben sein, um Selbstmörder oder verirrte Seelen daran zu hindern, die Stadt zu verlassen. Selbstverständlich habe ich das nie mit eigenen Augen gesehen, sondern nur im Intranet gelesen. Die Stadt ist alles was es gibt.

    Ich wende mich wieder meinem Eis zu und genieße das herrlich kühle Gefühl und die Geschmacksexplosion von Erdbeere und Schokolade auf meiner Zunge. In der Walleystreet gibt es mit Abstand das beste Eis. Wie zur Bestätigung lässt Cassie neben mir ein genießerisches „Hmm… ertönen und ein wohliges Lächeln zieht ihre Mundwinkel nach oben. „Ich könnte glatt darin baden., murmelt sie.

    „Wenn du deinen Dad bittest, wird er dir bestimmt ein Becken mit Giovannis Eis füllen lassen.", necke ich sie, denn Cassie bekommt von ihrem Vater, der ein ganz hohes Tier in der Mikrotechnologie ist und Milliarden mit der Entwicklung von Verbesserungen der Chipimplantate verdient (er arbeitet eng mit dem Labor meiner Eltern zusammen), so ziemlich jeden Wunsch erfüllt, als Entschädigung dass er so selten daheim ist.

    Das Grinsen meiner Freundin verbreitert sich und sie zwinkert mir zu. „Ich kann´s ja mal versuchen.", meint sie zum Scherz und wir beide fangen bei der Vorstellung, wie Mr. Meyer ein Schwimmbecken besten Eises bei Giovanni bestellt, haltlos an zu kichern.

    Wir essen unser Eis auf und gerade als wir überlegen wohin wir als nächstes wollen, fällt mir eine Gruppe uniformierter Männer mit mindestens 10 Wachandroiden im Schlepptau auf. Dank des allgegenwärtigen Wohlstandes gibt es so gut wie keine Kriminalität, nur gelegentliche Diebstähle und leichte Körperverletzung, wenn die aufgeschniegelten Machos in der Bar zu viele Drinks hatten.

    Deshalb ist es höchst ungewöhnlich, dass eine so große Gruppe an Polizeibeamten mitten durch die Einkaufsmeile marschiert. „Was wollen die denn hier?", flüstert Cassie mir zu, doch ich habe plötzlich einen Kloß im Hals und kann ihr nicht antworten.

    Mir kommen die Worte des Unbekannten von gestern in den Sinn: „Du bist ganz schön mutig mit unverschlüsselter IP diese Seite aufzurufen, oder einfach nur dämlich, Elisabeth Hope Miller. Es ist schlimm genug, dass ich deinen Namen kenne. Wenn ich das tue, dann tun Sie es auch. Kann es sein, dass die Polizei meinetwegen hier ist? Meinte der Typ mit „Sie die Regierung? Wollen sie mich verhaften, weil ich diesem Betrüger auf den Leim gegangen bin und eine möglicherweise nicht genehmigte Intranetseite besucht habe? Mein ganzer Körper versteift sich während die Polizisten weiter auf uns zukommen.

    „Alles in Ordnung mit dir Lis? Du bist so blass." Ich schlucke, um den Kloß aus meinem Hals zu bekommen, doch vergebens. Unablässig schaue ich auf die Gruppe aus dunkelblauen Uniformen, die sich wie ein Keil durch die Menschen schiebt - weiter in meine Richtung. Kalter Angstschweiß bricht mir aus und läuft mir mit eisigen fingern den Rücken hinunter. Unwillkürlich wandert mein Blick zu den Waffen der Beamten und Androiden. Sollte ich abhauen, würden sie mich damit niederschießen. Es gibt keine andere Möglichkeit für mich, als zu warten und den Beamten das Missverständnis zu erklären.

    Angespannt kralle ich meine Hände in den Rock meines Kleides, als die Gruppe unsere Bank erreicht. Und dann einfach weiterzieht, ohne Cassie und mich zu beachten.

    Ich stoße den angehaltenen Atem aus und schelte mich sogleich eine Närrin. Warum sollte dieses Aufgebot mir gelten, die nur im öffentlichen Intranet auf eine Fakeseite gestoßen ist? Es gibt überhaupt keinen Grund für mich nervös zu sein. Wenn müsste sich der Betreiber der Seite vor polizeilicher Ahndung in Acht nehmen.

    Gestern Abend habe ich mit Anes Hilfe versucht den Ursprung der Website ausfindig zu machen, was uns selbst nach Stunden nicht gelungen ist. Aber womöglich hat er einen Fehler begangen und nun führt die Polizei eine Razzia durch, um ihn zu verhaften, schließlich hat er auf seiner Seite ketzerisches Material verbreitet, für das er mindestens zwei Jahre Haft erwarten kann.

    Wer auch immer der Host ist, er sollte sich in Acht nehmen. Zwar ist er auf dem neusten Stand der Technik und kennt sich mit dem Verwischen von Spuren aus, aber ich bin auch nur ein Hobby IT-girl und längst nicht so gekonnt im Verfolgen von digitalen Spuren wie die Kommission für digitale Verbrechen im Intranet.

    Indirekt ist das sogar der absolute Beweis, dass die Fotos nicht echt sein können. Wer, der über solche Hightech-Geräte verfügt, gebraucht schon eine antike Canon 4030-MIN? Energisch schüttle ich den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Das Beste ist, ich vergesse den gestrigen Tag und die Fotos!

    Cassie sieht mich immer noch besorgt an und rasch setze ich mein unbeschwertes Lächeln auf und sage: „Ach, ich dachte nur ich hätte dort jemanden gesehen, dem ich lieber aus dem Weg gehen möchte. Was hältst du davon, wenn wir als nächstes… ich sehe mich um und nenne den Namen des erstbesten Geschäftes, das mir ins Auge fällt. „… ins „Skin Art gehen?"

    Sofort hellt sich Cassies Miene auf. „Das ist ´ne klasse Idee! Weißte was? Zur Feier des Tages spendiere ich dir ein Tattoo, vor allem, da es dein Erstes ist. Dann wirst du dich immer an mich erinnern!" Also machen wir uns auf in den grellbunten Laden und Cassie beginnt sogleich mir ein Tattoo nach dem anderen vorzuschlagen und wenn ich sie gelassen hätte, hätte sie jeden Zentimeter meiner Haut mit einem anderen versehen.

    Schlussendlich wähle ich ein goldenes Rankentattoo, das hinter meinem rechten Ohr beginnt und sich am Haaransatz bis zur Mitte der Stirn schlängelt, sodass ich es auch unter meinen Haaren verbergen kann und es bloß wie ein verborgenes Geheimnis unter den roten Strähnen hervor lugt. „Das passt wunderbar zu deinen Augen und betont sie auf exotisch schöne Art.", bekundet Cassie und genehmigt somit meine Wahl.

    Nachdem Cassie mit ihrem Chip bezahlt und ich den obligatorischen Piks in den Arm bekommen habe, verspüre ich wieder ein Kribbeln. Diesmal wandert es über meine Haut und der Kassierer verkündet, mein Ausweis sei soeben mit den nötigen Veränderungen versehen worden.

    Beim Verlassen der Geschäftsräume fällt mir auf, dass sich die Kuppel zu verdunkeln beginnt, der Tag sich also bereits dem Abend zuneigt. Mit einer herzlichen Umarmung verabschiede ich mich von Cassie, die mich noch einmal fest drückt und dann auf den Teleporter steigt. In ganz Cyntos sind an jeder Straßenecke frei zugängliche Teleporter, sodass einem der Nachhauseweg erspart wird. Sie verschwindet in einem hellen Licht und ich folge ihr.

    Wenig später finde ich mich in meiner Etage unserer Wohnung wieder und werde von Steve begrüßt. „Eure Einkäufe habe ich bereits in Euer Ankleidezimmer gebracht. Wünscht Ihr nun zu Abend zu speisen? „Ja, gerne. „Wo darf ich servieren? Einen kurzen Moment überlege ich, dann erwidere ich: „In meinem Schlafzimmer. Steve verlässt mich, um das Essen zu holen, ich ziehe meine Schuhe aus und gehe barfuß über den weichen Teppichboden in mein Zimmer. Dort lasse ich das Kopfende meines Bettes etwas nach oben fahren und fläze mich darauf. Anschließend rufe ich nach Ane, die sich augenblicklich anschaltet. „Ich würde gerne einen Film schauen, irgendwas, such dir einen aus. Für heute bin ich fix und fertig. Cas hat im Shoppen eindeutig mehr Ausdauer als ich."

    Eine große Hologrammleinwand erscheint und die Vorschau beginnt. Irgendwann nach den ersten Minuten kommt Steve mit einem Servierwagen, den er neben das Bett stellt. Ich merke kaum, dass ich die Suppe mit Hühnerfleisch und Gemüse esse und auch von dem Film bekomme ich nur die Hälfte mit, denn nach einer Dreiviertelstunde schlafe ich vor Erschöpfung ein. Den ganzen Tag bin ich auf den Beinen gewesen und durch Läden gelaufen, sodass ich müder als sonst in den Schlaf sinke.

    Wie immer aktiviert sich die automatische Schlafkontrolle (aSk) und lässt mich in einen traumlosen, erholsamen Schlaf gleiten, aus dem mich die aSk wie jeden Sonntag um 5:30 Uhr wecken wird, denn ab da beginnt mein Wochenend-Tagesplan, den zu erfüllen die Pflicht eines jeden Bürgers ist. Selbstverständlich sind die Wochenendpläne meist leer und mit freier Zeit ausgefüllt, doch am Sonntag habe ich vor dem Pflichtgottesdienst noch Training. Seit ich klein bin laufe ich schon und ich freue mich deshalb immer auf die Tage der Woche, an denen „Sport" im Tagesplan steht, so wie morgen.

    3. Kapitel

    „Die Grenzen der Wissenschaft sind die Grenzen des Möglichen,

    sie dehnen sich mit dem Fortschritt.

    Die Gesetze der Wissenschaft sind die Gesetze der Stadt,

    sie sind unveränderlich und unverbrüchlich.

    So findet alles seinen Platz, seine Ordnung, seine Bestimmung."

    – aus: Die Welt und die Wissenschaft, Kinderbuch –

    Montag, 16. Juli – Sonntag, 22. Juli 1.016 (nach der Flucht)

    „Physik und Sozialkunde habe ich beides am Montag und Chemie und Bio am Dienstag. Da schaffe ich es doch nie alles zu lernen, wenn man bedenkt, dass am Mittwoch Musik, Kunst und Technologie-Geschichte dran sind…" Ich stehe mit Cassie in der Pausenhalle der Spring-School und bemühe mich die aufwallende Panik zu unterdrücken.

    Heute Morgen hat uns Mrs. Dolton unsere genauen Prüfungstermine mitgeteilt, die mich in eine mittelschwere Hysterie und Verzweiflungsdepression gleichzeitig stürzen. Wenn ich die übernächste Woche überstehen will, muss ich spätestens heute Nachmittag mit dem Lernen anfangen! Glücklicherweise werden die Hausaufgaben bis nach den Prüfungen ausgesetzt. Allerdings wird dann leider auch mein Plan, einen Blick ins Archiv zu werfen, platzen müssen.

    Mein erster Versuch gestern war sowieso erfolglos geblieben. Ane war schon an Dad´s Computer gescheitert, also habe ich nicht mal richtig anfangen können. Eigentlich hatte ich geplant meinen Vater unter irgendeinem „wichtigen" Vorwand, um sein Password zu bitten. Das kann ich mir jetzt aber abschminken. Ich werde jede Minute zum Lernen brauchen.

    „Donnerstag: Mathe und Englisch! Als von meiner Freundin noch immer kein Kommentar wie „Stell dich nicht so an! oder „Das schaffst du doch mit Links! kommt, werfe ich ihr einen verwunderten Blick zu. Sie jedoch scheint es nicht zu bemerken, sondern schaut auf irgendeinen Punkt hinter mir. „Halloo?! Ich bin hier kurz vorm Selbstmord und du träumst! Haben wir jetzt etwa die Rollen getauscht? „Ich träume nicht!, zischt Cassie, ohne mich anzusehen. „Hab schon gehört, dass du wieder maßlos übertreibst!

    Na bitte! Da ist sie ja, die Casandra, die ich kenne! Dennoch sieht sie mir nicht in die Augen. „Wollen wir uns heute zum Lernen treffen? Dann können wir uns Merkdateien zusammenstellen und uns gegenseitig abfragen. „Hm… klar., entgegnete Cassie abwesend und auf ihrer Stirn bildet sich eine Falte, ihre „Ich führe was im Schilde und das ist nichts Gutes Falte. „Was starrst du denn da an?, frage ich und will mich gerade umdrehen, als Cassie mich an den Schultern festhält.

    „Nicht umdrehen!, zischt sie und schaut mich endlich an, so intensiv, dass ich gleich ein ungutes Gefühl in der Magengegend bekomme und verstumme. Rasch wirft Cassie wieder einen Blick über meine Schulter und wendet sich dann wieder zu mir. „Der Typ da… Sie deutet mit dem Kopf hinter mich. „… starrt dich schon die ganze Pause lang an."

    „Wer? Erneut hindert mich Cassie daran mich umzudrehen. „Keine Ahnung wie der heißt, der ist neu, ein echter Leckerbissen, wenn du mich fragst. Ich glaub der steht auf dich, so wie er die Augen nicht von dir lassen kann. Endlich schaffe ich es, mich Cassies Griff zu entwenden, und drehe mich um.

    Die Pausenhalle ist voller schwatzender Schülergruppen, Jungen und Mädchen in Schuluniformen, da die beiden Trakte sie gemeinsam nutzen. Dennoch erkenne ich sofort wen Cassie meint. Der Junge von letztem Freitag, der sich vorgedrängelt und mich nicht mal eines Blickes gewürdigt hat, lehnt an der gegenüberliegenden Wand, mustert mich mit seinen braunen Augen und sieht auch nicht weg, als ich mich zu ihm umdrehe. Er zieht nur die Stirn kraus und verändert leicht seine Haltung.

    Rasch wende ich ihm wieder den Rücken zu, meine seine intensiven Blicke aber immer noch zu spüren. Im Gegensatz zu Cassies Behauptung habe ich ganz und gar nicht das Gefühl, er würde auf mich stehen, eher als hege er irgendeine tiefe Abneigung gegen mich.

    „Wir sollten reingehen, der Unterricht fängt gleich an und ich glaube, dass er mich nicht leiden kann. Entschlossen packe ich Cassie am Arm, die mir nur mit Widerwillen folgt. „Hey, wie kommste denn jetzt darauf? Eh, eh, warte doch! Stehst du etwa auf ihn und es ist dir nur peinlich? „Ach Quatsch!" Cassie mit ihrer rosaroten Brille, muss immer überall Liebe wittern!

    Als wir in den Durchgang zum Mädchentrakt treten, wage ich einen letzten Blick nach hinten. Der Junge steht unverändert lässig an der Wand lehnend da und schaut leicht grimmig in unsere Richtung. Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Eilig betrete ich den Flur zu den Klassenräumen der Mädchen und lasse den düsteren Blick hinter mir.

    Was habe ich ihm denn getan, dass er sauer auf mich ist, nachdem er mich erst überhaupt nicht beachtet hat? Versteh einer Jungs! Wahrscheinlich hat ihm einer der anderen Jungen, einen den ich mit einer Abfuhr wohl zu hart vor den Kopf gestoßen habe, irgendwas Schlechtes über mich erzählt.

    Laut erklingt der Schulgong und Schülerinnen strömen aus den Pausenhallen in die Flure und Klassenzimmer. Im Gedränge bahnen wir uns einen Weg zu Raum 402, in dem schon Mr. Reybi wartet. Er ist immer schon da, weil er einer der wenigen Lehrandroiden ist und das Fach Mathematik unterrichtet. Als wir eintreten steht er steif wie eh und je am Lehrerpult und reagiert kaum. Nur ein Aufleuchten in den Augen kündet davon, dass er von Standby auf On umgeschaltet hat.

    Nun kommen unsere Mitschülerinnen ebenfalls und wir setzen uns alle, schalten unsere Kifs´ an und auf die Sekunde genau zu Stundenbeginn, angekündigt durch einen zweiten Gong, beginnt Mr. Reybi den Unterricht. Mathe liegt mir eigentlich ganz gut und so vergeht die Doppelstunde wie im Flug, ohne dass ich auch nur einen Gedanken an anderes verschwende. Ich bin jetzt sozusagen auf „Lernmodus" eingestellt und alles andere rückt in den Hintergrund - wird von den drohenden Prüfungen überschattet.

    Nach Stundenende bleibe ich noch an meinem Platz und warte, dass meine Mitschülerinnen den Raum vor mir verlassen. „Geh schon mal vor, ich will Mr. Reybi noch eben was fragen und komme sofort nach. Cassie, die bereits in der Tür steht, zuckt gleichgültig mit den Achseln. „Gut, ich warte am Haupteingang auf dich. Sie verschwindet im Flur und ich bleibe mit Mr. Reybi allein zurück.

    Dieser sieht mich mit schiefgelegtem Kopf fragend an. „Wie kann ich Ihnen helfen, Miss Miller? „Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir einige Übungsaufgaben schicken könnten. Eigentlich werden sie erst nächste Woche ausgegeben, doch ich würde mich gerne jetzt schon vorbereiten, es würde meine Arbeitsqualität deutlich steigern.

    Da Mr. Reybi ein Androide ist, versuche ich erst gar nicht ihn auf die Mitleidstour zu überzeugen, die bei ihm eh nicht wirken würde. „Die Übungen für die Prüfungen dürfen erst eine Woche vorher ausgegeben werden., sinniert der Androide mit monotoner Stimme. „Können Sie mir nicht einfach andere Aufgaben geben?, lasse ich nicht locker.

    Erneut legt Mr. Reybi den Kopf schräg, diesmal zur anderen Seite, und scheint über meine Bitte nachzugrübeln. Bestimmt durchforstet er seine Datenbank an Vorschriften nach dem passenden Verbot. Anscheinend wird er jedoch nicht fündig und antwortet: „Ich kann Ihnen einige Fördermaterialien auf Ihren PCmKIfSz laden." (Außer den Schülern benutzt niemand die Abkürzung Kifs) Dankbar lächle ich meinen Mathelehrer an, der bereits wieder auf Standby gegangen ist.

    Eilig mache ich mich daran Cassie einzuholen und haste aus dem Zimmer, den Flur entlang und um die Ecke zum Haupteingang, wo ich in vollem Lauf gegen jemanden renne, der mitten im Durchgang steht. „Sorry.", murmle ich und trete einen Schritt zurück. Als ich bemerke wen ich soeben beinahe über den Haufen gerannt habe, rutscht mir das Herz in die Hose (oder besser gesagt in den Rock). Es ist der miesepetrige Junge aus der Pausenhalle. Na super! Jetzt hat er wenigstens einen richtigen Grund mich nicht zu mögen!

    Finster blickt er zu mir runter, er ist etwa 11cm größer als ich, und seine Augen verdunkeln sich um ein, zwei Nuancen. „Du solltest besser aufpassen Elisabeth Hope., sagt er schließlich und in seiner Stimme schwingt etwas Bedrohliches mit, sodass mir heiß und kalt wird und ich unwillkürlich spüre, dass er mehr meint als unseren Zusammenstoß. „Klar… Äh, ja… Sorry nochmal., stammle ich verwirrt. Dann dreht sich der Junge um und taucht in der Schülermenge

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